1. Theater zum Fürchten: Othello
Januar 10, 2016 in Bühne
VON MICHAELA MOTTINGER
Gegen die gängigen Klischees gespielt
Alexander Rossi, Tino Führer, Roman Binder, Selina Ströbele
und Christina Saginth (v.l.n.r.)
Bild: Bettina Frenzel
Bruno Max kann auf seiner Shakespeare-To-Do-Liste ein weiteres Projekt als erfolgreich
abgeschlossen abhaken: „Othello“. Das Theater zum Fürchten zeigt die Tragödie des
„Mohren von Venedig“ nach dem Stadttheater Mödling nun in seiner Wiener Spielstätte, der
Scala. Und wie von Bruno Max und seiner Truppe nicht anders zu erwarten, bricht man mit
den gängigen Klischees über den afrikanischen General.
Was über weite Strecken dem Spiel von Tino Führer zuzuschreiben ist, der sich als
Glücksfall für die Rolle und das Theater erweist. Der Hamburger Schauspieler ist zwar
optisch ein wahrer schwarzer Feldherr, hat es aber dank seiner darstellerischen Kompetenz
– und der Max’schen Regie – nicht nötig, „wüst“ oder „wild“ zu sein – was hat man nicht
schon alles an zähnefletschenden und augenrollenden mehr oder weniger „edlen Wilden“
gesehen -, sondern er gestaltet einfach und sensibel das Leid eines Liebenden jenseits aller
Fragen nach Hautfarbe und Herkunft. Die Klischees und Vorurteile, mit denen die anderen
Figuren argumentieren, spielt Führer schlicht nicht. Mit Othellos „Rasse“ haben hier nur die
Rassisten ein Problem; er selbst sieht sich nicht als Fremden, bis er immer wieder daraufhin
gewiesen wird, dass er einer ist. Dann aber läuft „der Neger“ Amok, was wiederum die
vorgefassten Meinungen bestätigt. Ein starkes Statement zur Zeit.
Die Handlung ist ebenfalls in die Gegenwart verlegt. Der Doge, Jörg Stelling, beruft seine
Mannen in eine computergesteuerte Kommandozentrale ein, einen War Room, auf dessen
Monitoren die Warnung DefCon 3 blinkt. Zypern ist eine Insel im Kriegszustand, die Bilder
sind wie aus dem besetzten Bagdad, das Hauptquartier der Besatzungsmacht ist die mit
Stacheldraht und Suchscheinwerfern und Scharfschützen gesicherte Green Zone. Man trägt
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Tarnfarbe Dessert, Klara Steinhausers Bianca ist Soldatin, Randolf Destallers Rodrigo
verkleidet sich mit Fotoapparat als Embedded Journalist. Das alles geht gewaltfrei, ohne den
britischen Barden in ein unsinniges Neu zu nötigen, wiewohl die Herren Schlegel-Baudissin-
Tieck immer wieder schlüssig unterbrochen werden. Und wenn einmal zum Ruf, ein Schiff
lege an, Hubschraubergeräusche zu hören sind, dann ist auch das charmant. Othello ist halt
im Hafen in den Heli umgestiegen.
Diesen gibt Führer als selbstbewussten, professionellen Militär. Sein Othello ist ein
Pragmatiker, selbst noch als Mörder und Selbstmörder. Souverän kann der Spezialist für
heikle Einsätze über die Alltagsrassismen seiner Umgebung hinweghören, auch dass er als
„Heid‘ und Sklav'“ bei Brabantio nicht vom gern gesehenen Gast zum gern gesehenen
Schwiegersohn avancieren konnte, versucht er mit einer versöhnend hingestreckten Hand
auszugleichen. Er hat sich nur einer Untat schuldig gemacht: Er will Liebe machen, statt
Krieg treiben. Bierdosen gehen in der Runde, die Betten werden bereitet. Selten zuvor
haben Inszenierungen so deutlich dargelegt, dass es dem Zypern-Kommando eklatant an
Disziplin und Moral mangelt.
Was Jagos Plänen sehr entgegen kommt. Alexander Rossi brilliert in dieser Rolle; er ist der
Spielmacher des Abends. Gemeinsam mit Georg Kusztrichs Brabantio vertritt er die zwei
Gesichter von Xenophobie: der Senator die ängstliche gegenüber dem, was ihm andersartig
scheint, der bei der Beförderung übergangene Fähnrich die aggressive, diese Ängste weiter
schürende. Rossi spielt nicht den „Schurken“, sein Jago ist ein einwandfreier, schmieriger
Intrigant, ein Meister der Zwischentöne, ein gewiefter Taktiker, der anderen seine Meinungen
ins Hirn pflanzt, ohne dass sie es recht merken. Eine gelungene – ebenfalls klischeefrei
aktuelle – Interpretation dieser Figur.
Roman Binder darf als Cassio der gute Mensch, der Held der Geschichte sein, eine leichte
Übung für den Schauspieler, der schon als Person so sympathisch rüberkommt. Dass hier
die Bianca aber weder Kurtisane, noch „Äffchen“ ist, kratzt doch an seinem rechtschaffenen
Image. Noch eine von Bruno Max in dieses Schwarzweiß-Spiel eingefügte Grauschattierung.
In diesem Sinne deutet auch Christina Saginth Jagos Ehefrau Emilia: als enttäuscht und
verletzt über die abgekühlte Leidenschaft ihres Mannes, als loyal bis zum äußersten, aber
als es dazu kommt, als reine Seele, die – wenn auch zu spät – das Richtige tut. Hat man
Emilia auch schon als Mitintrigantin gesehen, diese hier ist es definitiv nicht. Selina Ströbele
ist als Desdemona ein Society-Girlie ohne Falsch und Arg, zu kindlich, um die
Veränderungen, die um sie stattfinden zu begreifen. Als ihr Multikultiglück platzt, legt sie sich
fast wie ein Opferlamm auf die Schlachtbank.
Und der „Mohr“? Will an seinem Ende nur noch eines, und das ist epochenübergreifend
gültig: Gesehen werden, als das, was er ist. Ohne, dass die Patriotrischen Europäer etwas
skandalisieren oder die Willkommenskulturschaffenden etwas schönreden. Mehr kann man
über „Othello“ dieser Tage nicht sagen.
www.theaterzumfuerchten.at
Wien, 10. 1. 2016
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