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Foto:JessicaLowry
Der
amerikanische
Tod
Von Alexandra Kraft, Kuno Kruse und Dominik Stawski
Diren Dede lebte als deutscher Austausch-
schüler im US-Staat Montana seinen
Traum. Bis er eines Nachts in eine fremde
Garage trat. Wer war dieser Junge?
Und warum musste er sterben?
Der 17-jährige
Diren war in der
Stadt Missoula
beliebt. Nachdem
er erschossen
worden war,
stellten Freunde
Blumen und
eine deutsche
Fahne vor das
Haus seiner
Gasteltern
66 8.5.2014
 Gesellschaft
+
Missoula
MONTANA
USA
Fotos:JessicaLowry(2);BillGorman/AP
Der Ort liegt im
Westen Montanas,
es sind 250 Kilo-
meter bis Kanada
D
ieFreundehatteninder
Nacht lange ums La-
gerfeuer gesessen, der
dunkelhaarigeZach,der
blonde Chance, Robby
aus Ecuador und Diren,
dervonDeutschlander-
zählte und der Türkei.
Es war Freitag und eine
der ersten warmen Frühlingsnäch-
te nach diesem sehr langen Winter
in den Bergen Montanas nahe der
kanadischenGrenze.Dievierhatten
geredet und geredet, von ihren
Plänen, ihren Träumen. Vom Leben
nach der Schule.Sie alle sind 17.
Diren wollte reisen.Länder ken-
nenlernen, Orte wie Hawaii. „Dort
hatte ich meine glücklichste Zeit“,
sagte er. Austauschschüler wie er
waren im März auf der Pazifikinsel
von überall zusammengekommen.
Nur eine Woche, aber so eine in­
tensive. Er hatte unverbrüchliche
Freundschaften geschlossen.
Es wurde fast schon hell, als sie
dasFeueraustraten.Siehörtennoch
dieKojotenheulen,dieindenRocky
Mountains umherstreifen.
Erst gegen Mittag wachte Diren
an diesem Samstag in seinem Zim-
merauf.DiedreiHundeseinerGast-
familie,die fast jede Nacht bei ihm
im Bett schliefen,wuselten um ihn
herum. Seine Freundin Sophia aus
Hamburg weckte ihn,sie schrieben
hin und her.46 Tage waren es noch
bis zu seiner Rückkehr,Sophia hat-
te einen Countdown auf ihrem
Handy laufen.
Direnskyptedanachauchmitsei-
nerMutter.Siewarsoglücklich,ihn
aufdemBildschirmzusehen,sogut,
wie er aussah.Im Hintergrund war
wieder dieser nette Robby,auch ein
Austauschschüler, von dem Diren
ihnen allen schon erzählt hatte. Er
hatte bei Diren übernachtet.
Diren wohnte in einem eigenen
kleinen Apartment in der unteren
Etage des Hauses seiner Gasteltern
inder70 000-Einwohner-StadtMis-
soula.Er hatte hier viel mehr Platz
als in der Wohnung seiner Eltern
in Hamburg. Schlafzimmer, Bad,
Küche, ein Fernseher, eine Couch-
Landschaft. Hier hatten mal die
beidenKinderseinerGastelternge-
wohnt, des Tierfotografen Randy
Smith und seiner Frau Kate Walker.
„RobbyundDirenlerntensicham
ersten Schultag kennen und waren
sofort wie Brüder“, sagt die Gast-
mutter.Die52-JährigesitzteineWo-
che später auf der Terrasse ihres
Hauses.SiestrecktihremMannihre
zitternde Hand hin und flüstert:
„Bitte halte mich fest.“ Zu ihren
Füßen liegt Pasha,einer der Misch-
lingshunde. „Diren“, sagt Randy
Smith,61,„gab ihm diesen Namen.“
Es war so vieles türkisch gewor-
den in ihrem Haus. Der Kaffee, die
Musik.Er kochte viel.Und Nutella.
„Aber das war,glaube ich,deutsch“,
sagt Randy. „Wir lernten viel über
Europa.Auch über Politik.Die Pro-
testeinderTürkeiwühltenihnauf.“
Kate sagt: „Er hatte die Seele eines
sehr erfahrenen Mannes.“
RobbyundDirenspieltenandem
NachmittaganderXbox,FifaWorld
Cup.Dazwischen gingen sie immer
wieder an die Fitnessgeräte. Diren
trainiertetäglich,spielteFußballin
derSchul-undinderStadtauswahl.
ErwarauchimLeichtathletik-Team,
probiertesichalsRinger,stürztesich
kopfübervonFelseninBergseen.In
den neun Monaten in den USA hat-
teersicheinenmächtigenOberkör-
per antrainiert,er wirkte viel reifer
als seine Freunde. Die Fotos, die er
nach Deutschland schickte, ließen
allestaunen.Sophiaerzählteer,dass
er sein Körperfett auf null Prozent
reduzieren wolle.
Dabei tranken sie an diesem
Nachmittag Sprite, Direns Lieb-
lingsgetränk.Es war meist das Ein-
zige, was in seinem Kühlschrank
stand.50,60 Dosen.Oft auch mehr.
Während er wie immer die Spie-
ler von Galatasaray Istanbul über
seinen Bildschirm steuerte, spra-
chensieüberdenAbend,dervorih-
nenlag.SiewarenzueinerPartyam
anderenEndederStadteingeladen,
ihr Freund Zach sollte sie mit dem
Auto abholen.Die Stunden vergin-
gen, doch Zach tauchte nicht auf.
Diren wohnte am
Rande Missoulas
in den Rocky
Mountains (linker
Kreis). Er wurde
nur eine Straße
weiter erschossen
(rechter Kreis).
Seine Gasteltern
(rechtes Bild) und
Hunderte andere
trauern um ihn
Todesschütze
Kaarma war neu
in der Siedlung
68 8.5.2014
Diren schickte ihm eine Nachricht:
„Robby und ich gehen spazieren.“
Die offenen Garagen
SienennenesGarageHopping.Esist
eineTraditionunterdenSchülernin
Missoula.DerLehrerCameronJohn-
son von ihrer Big Sky High School
hatte schon oft mit ihnen darüber
gesprochen.„Fürmanchewareseine
Mutprobe,indieGaragenderNach-
barn zu schleichen und mit einem
Sixpack Bier wieder rauszukom-
men“,sagt der Lehrer.Auch er lässt
seine Garage meist offen. „Wenn
eineDosefehlt,fülleichebennach.“
In Montana darf man erst mit
21 Jahren Alkohol trinken und mit
18 Jahren Zigaretten kaufen. Viele
halten das für zu streng.Sie dulden
deshalb diese kleinen Besuche in
ihrenGaragen,lassendieToreoffen.
MancheErwachsenepackendieGe-
tränkesogarabsichtlichindieKühl-
schränke.WürdensiedasBierdirekt
andieJugendlichengeben,wäredas
strafbar.
Am Samstagabend war es stock-
dunkel. Straßenlaternen gibt es in
dieser dünn besiedelten Gegend
nicht, nur wenige Häuser haben
Außenlampen. Es ist eine sichere
Nachbarschaft, in der Haustüren
undAutosnichtabgeschlossensind.
Vor Mitternacht müssen Diren
und Robby an der Hausnummer
2607amDeerCanyonCourtvorbei-
gekommen sein, einer dieser auf-
geräumten Straßen mit Vorgärten
undBarbecue-Grills.2607liegteine
Straße oberhalb des Hauses von
Direns Gasteltern. Die Garagentür
stand offen.
Markus Kaarma war erst im No-
vembermitseinerLebensgefährtin
JanellePflagerundihremzehnMo-
natealtenSohnindaszweistöckige
Haus gezogen.Er ist 29 Jahre alt,
Fußball, Jetski,
Klippenspringen –
Diren postete
Fotos aus Ameri-
ka. Er war sport-
lich, mutig und
ein guter Freund
4
Fotos:PaulaMarkert(3);OliverHardt/GettyImages
Feuerwehrmann, einer, der Wald-
brändelöscht.Esisteingutbezahl-
ter Job, der einem in den USA viel
Respekt einbringt.Es gibt Helden-
mythen um Leute wie ihn. Sein
Anwalt Paul Ryan sagt: „Das Paar
kamausNorthDakotahierher,weil
sieihrKindineinersicherenUmge-
bung aufwachsen lassen wollten.“
Ein Fremder in der Stadt
Doch in der Siedlung blieb die Fa-
milie fremd. Sie sprachen mit kei-
nem. Wenn man sie mal sah, dann
standen sie vor der Garagentür an
ihrem Pick-up und rauchten.
Eine Woche zuvor hatte Kaarma
bei der Polizei einen Diebstahl aus
seiner Garage angezeigt. Noch am
DienstagsaßerbeimFriseur„Great
Clips“und brüllte herum.„Ich war-
te darauf,eines dieser fucking Kids
abzuknallen!“ Er wurde so ausfal-
lend,dassdieFriseurinihnrauswarf.
SeinHausamDeerCanyonCourt
war inzwischen mit zwei Bewe-
gungsmeldernvorundinderGara-
ge ausgestattet.Es gab ein Babyfon
mit Kamera,auf dem Kühlschrank
lageineHandtaschealsKöder.Mar-
kus Kaarma hatte fünf Waffen und
genügend Munition.Er wartete.
„Für mich war Diren unverletz-
bar“, sagt Tage später Furkan, sein
bester Freund in Hamburg. „Mit
ihmdurfteichimmerweggehen,da
hatten meine Eltern keine Sorgen.“
„Diren war jemand, der sich an
Gesetze hält. So war er. Und in
Deutschland mochte er kein Bier“,
sagtseinCousinYigit.SeineSchwes-
ter Esra sagt: „Er hatte alles,was er
brauchte, auch Geld. Er hatte es
nicht nötig zu stehlen.“ Und seine
Freundin Sophia erzählt, dass sie
einmal mit ihm über den Zaun des
Freibads klettern wollte. „Aber so
etwas machte Diren nicht.“
Am Sonntagvormittag klingelte
beidenDedesinHamburgdasTele-
fon. Fünfmal, dann hob Direns
Schwester Esra ab. Sie hörte eine
Frau,dieEnglischsprach,abernicht
wie in der Schule.Esra ist 18,sie hat
gerade Abitur gemacht, aber sie
verstand nichts. Sie legte auf und
schrieb ihrem Bruder Diren per
Whatsapp: „Hör auf damit!“ Auch
ihre Mutter sagte: „Geh nicht wie-
der ran,er macht einen Streich.“
Aberesklingeltewiederundwie-
der,Esra hob ab.Dieses Mal sprach
eine Stimme Deutsch. Esra kann
sich an die Worte nicht erinnern,
aberdieFrausagte,ihrBruderseitot.
„Kann nicht sein“, sagte Esra, „wir
hatten gerade noch Kontakt mit
ihm.“Siefragtenach:„SagenSiemir
erst, wann Diren geboren ist.“ Sie
hörte die Frau am Telefon in Papie-
ren blättern. Dann sagte die Stim-
me: 21.September 1996.
Ihre Mutter schrie.Der Vater,ein
Taxifahrer, rief in dem Moment zu
Hause an. Sie hatten ein gemein­
sames Sonntagsfrühstück geplant.
Erfragte:„Hastdudaswirklichrich-
tig verstanden, Esra? So etwas sagt
doch niemand am Telefon.“
Celal Dede wollte lange nicht,
dass sein Sohn nach Amerika ging.
Aber Diren hatte gedrängt, er war
entschlossen, wollte unbedingt
Englisch lernen. Wollte BWL in
Frankfurtstudieren,eininternatio-
naler Geschäftsmann werden.
Jeden Tag fing er wieder mit die-
sem Thema an.Der Vater dachte an
Gefahr und Kriminalität. Aber er
wollte seinem Sohn nicht den Weg
verbauen.DanngingimselbenJahr
Selin in die USA, auch ein Einwan-
dererkind und Direns Schulfreun-
din.SeitdererstenKlassegingensie
gemeinsameWege,zurSchule,nach
Hause und dann ins Leben.
CelalDede,48,isteinliberalerVa-
ter. Und Diren sein einziger Sohn.
Der war respektvoll gegenüber al-
len, hilfsbereit. In der Schule ohne
Probleme.DerSchnellsteinderFuß-
ballmannschaft,Libero des SC Teu-
tonia 1910 in Hamburg-Altona.
Sportlich wie der Vater. Mutig und
auchklug.InderNachbarschaftrie-
fen sie ihn „großer Bruder“. Als der
VatervonderKatastrophehört,weiß
er, wenigstens er muss jetzt stabil
bleiben. Freunden und auch sich
selbstsagter:„EsisteinfachSchick-
sal.DerTodriefihnnachMontana.“
Die 17-jährige
Sophia aus Ham-
burg war Direns
Freundin (oben
links). Sein Vater
Celal weint
um den Sohn,
gestützt von
seinem Schwager
(unten links).
Direns Mutter
Gülçin verlor
ihren einzigen
Sohn (Mitte). Bei
einem Benefiz-
spiel zu Direns
Ehren trauert die
A-Jugend-Mann-
schaft des SC
Teutonia um
ihren Mitspieler
70 8.5.2014
Er braucht 25 Stunden von Ham-
burg zum Flugplatz von Missoula.
Dienstagabend kommt er an,fährt
sofortzuseinemSohn.Alserdanach
seine Frau anruft,weint er.Er sagt:
„Dirensiehtsowunderschönaus.Er
hat ein Lächeln im Gesicht.“
In Hamburg kommen jeden Tag
Frauen in die Wohnung von Direns
Mutter.Sie weinen laut,sagen trös-
tende Worte, die nicht trösten. Di-
rensSchwesternsindda,umsiehe-
rum Cousinen, Cousins, Schwager,
Freunde, die Tür ist für alle offen.
Und alle wollen der Mutter helfen,
mit Worten, mit Tränen. Sie sitzen
istErzieherin,ihrejüngereSchwes-
ter Esra bewirbt sich gerade um
einenStudienplatz.DieMutterkam
vom Schwarzen Meer hierher, der
VaterausAnkara.DieKinderkamen
in Hamburg zur Welt. Sie nennen
sich scherzhaft „die Elbtürken“. Je-
des Jahr machen sie Urlaub in Bo-
drum an der türkischen Ägäis, wo
die Eltern hinziehen wollen, wenn
siealtsind.Undwoamvergangenen
Montag ihr Sohn begraben wurde.
Die Freunde organisieren in die-
senTageneinBenefizspielzuEhren
Direns. Als seine Mutter den Fuß-
ballplatz betritt, umringt und
bei ihr auf dem Sofa, auf dem klei-
nenBalkon,dieMännerhockenvor
demgelbenKlinkerhaus,woDirens
Cousins ein Schild aufgehängt ha-
ben mit dem Satz: „We are Diren.“
Die Dedes sind eine sehr respek-
tierte Familie. „Fleißig“, sagen alle.
Direns Vater Celal Dede fährt mit
seinem Taxi oft nachts, manchmal
rund um die Uhr.Wie sonst könnte
er seiner Familie so ein Leben bie-
ten? Mittags kommt er zum Essen
vorbei.VordemHausstehennundie
Taxis vieler Kollegen.
SeineFrauGülçinarbeitetineiner
Bäckerei. Başak, die ältere Tochter, 4
Jeden Sommer
verbrachte Diren
den Urlaub
mit seiner Familie
in Bodrum an
der türkischen
Ägäis, wo er nun
beerdigt wurde.
Schon als kleiner
Junge trug
er stolz eine
türkische Sol-
datenmütze
Alexandra
Kraft erlebte
eine geschock-
te Stadt in
Montana. Ihr
Sohn ging in Hamburg in dieselbe Kita,
in der Direns Schwester als Erzieherin
arbeitet. Kuno Kruse (M.) und Dominik
Stawski (l.) leben in der Nachbarschaft
der Familie Dede. Esra Özer interviewte
mit ihnen die Freunde
Fotos:PaulaMarkert;GettyImages
beschützt von ihren Neffen,schreit
sie auf,sie muss gehalten werden.
„Gülçins Kraft war verbraucht,
schonbevorihrSohnstarb“,sagtihr
Schwager. Über Monate hatte sie
ihremBruderbeigestanden,dermit
46JahrendemKnochenkrebserlag,
sie hatte viele Nächte auf der Bank
im Krankenhaus geschlafen.
Hamburg und Missoula trauern
Fast 2000 Menschen stehen am
Spielfeldrand,diemeistenjung,vie-
le sind Mitschüler ihres toten Soh-
nes.FreundehabenFotosaufPappen
geklebt: Diren als kleines Kind,
Diren mit einem Freund tobend im
Wasser, Diren im Fußballtrikot,
Diren in Amerika.Frauen haben auf
weiß gedeckten Tapeziertischen ein
Büfettaufgebaut,daraufstehenauch
Spendendosen.NachdemSpielwer-
den 25 000 Euro darin sein.
DieMutternimmtdasalleskaum
wahr.SiesitztaufderBank,siehtnur
die Jungen aus der Fußballmann-
schaft, alle sind Kinder türkischer
Eltern,alle so alt wie ihr Diren.
Menschen kondolieren ihr. Der
Direktor von Direns Gymnasium
trittvorsie,sprichtzuihr.DasGym-
nasium hat einen guten Ruf und
Schüler aus 40 Nationen. Doch Di-
rensAmerika-Aufenthaltwaretwas
Besonderes. Für ihn war es nur der
Anfang,späterwollteerSpanischler-
nen und sein Türkisch aufbessern,
weil seine Sprache längst Deutsch
war.„So ein hoffnungsvoller junger
Mensch“,sagt der Direktor.
Die Bilder gleichen sich: Auch in
Montana umarmen sich die Men-
schen,alssiezueinerTrauerfeieran
der High School zusammenkom-
men. Robby, Zach, Chance, all die
Freundesindgekommen.SeitTagen
verteilendieSchülerfarbigeBänder
inSchwarz-Rot-Gold,dieanihner-
innern sollen.„Ich habe mir ,Diren‘
aufdieHauttätowierenlassen“,sagt
Zach.Vor dem Haus der Gasteltern
haben sie eine Gedenkstelle aus
Sprite-Dosen gebaut, sie stellt sei-
ne Initialen dar,D. D.
„DirenhatdieMenschenberührt.
Wissen Sie, es sind nicht nur vier,
fünf, die um ihn weinen. Es ist die
ganze Schule“, sagt sein Lehrer in
Missoula,Cameron Johnson.Er er-
zählt,wieDirensichmutigvoreine
Klasse voller Amerikaner gestellt
hatte,umseineneuropäischenBlick
auf die Welt zu vertreten.
In Deutschland habe er sich als
Türke gefühlt, in der Türkei als
Deutscher, sagt der Lehrer. „Im
­Melting Pot USA fühlte er sich frei
davon.“Diren war gläubig,„aber er
betete nicht jeden Tag“. Er hatte
pragmatischePläne:„Mit40wollte
er dann ein guter Muslim werden
und eine Hadsch beginnen.“
Der Feuerwehrmann Markus
KaarmawargerademitseinerFrau
ausdemWhirlpoolgestiegen,alsan
diesemSamstagabendum0.20Uhr
dieBewegungsmelderinseinerEin-
fahrt reagierten.Janelle Pflager lief
zum Bildschirm, sah darauf einen
jungen Mann mit hellem Pullover,
fotografierte das mit dem Handy.
Kaarma griff zur Waffe,ging durch
die Haustür und stellte sich vor das
offene Tor. Er lud durch, rief noch
einmal:„Hey!“EineStimmeausder
Dunkelheitantwortete:„Hey.“Kaar-
mas Freundin sagte bei der Polizei,
sie könnte auch gesagt haben:
„Wait!“
Direns Vater wollte die Garage
nicht sehen,als er in Missoula war.
ErginglieberindieSchule.Esmach-
te ihn stolz, dass sein Sohn den
Menschen hier so viel von der tür-
kischen und der deutschen Kultur
vermittelt hatte. Schmerzhafter
kann Stolz nicht sein.
Das Amerika, das Celal Dede in
Montana sah, war nicht das, das er
sichvorgestellthatte.Jederbegrüß-
te ihn im Café. Die Straßen so auf-
geräumt.„NirgendswarPolizei“,sagt
erspäter.Alles,vordemAustausch-
schülergewarntwerden,gabesdort
nicht,keineDrogen,keineKrimina-
lität. Aber vor den Waffengesetzen
habeihnniemandgewarnt.InMon-
tana gibt es ein Gesetz, die „Castle
Doctrine“,nach der jeder sein Haus
mit einer Waffe verteidigen darf,
wennersichbedrohtfühlt.Esistso-
gar möglich, dass Markus Kaarma
freigesprochen wird.Aber die Poli-
zisteninMissoulahabendemVater
festversprochen,dasssiesehrsorg-
fältig ermitteln werden.
Die Schüler fürchteten den Zorn
des Vaters, weil sie Diren zum Ga­
rage Hopping verführt hatten. Der
Vater ließ sich geduldig erklären,
was das ist. Dann sagte er: „Damit
müsst ihr aufhören, das müsst ihr
mir versprechen!“
Eine Shotgun ist eine wütende
Macht,fünf Kilo schwer,einen Me-
terlang.JederSchussdurchbebtden
Schützen,derRückschlagistgewal-
tig,DurchschlagundStreuungsind
zerstörerisch.Werdamitviermalin
eine dunkle Garage schießt, will
nicht nur erschrecken.
Kaarma schoss viermal,in Kopf-
höhe.Ersagte,erwollteseineAutos
nicht beschädigen.
Die Schrotkugeln rissen eine
klaffende Wunde in Direns Hals.
Kaarmas Freundin Janelle Pflager
ist Rettungssanitäterin. Sie ver-
suchtedieBlutungmitdenHänden
zu stoppen.Kaarma rief die Polizei
und wartete in der Einfahrt.„Mar-
kus Kaarma wird sich für unschul-
dig erklären“,sagt sein Anwalt Paul
Ryan. „Er fühlte sich von diesen
Teenagern bedroht. Er hatte jedes
Recht zu feuern.“
Direns Leiche lag in einer Blut-
lache vor dem Kühlschrank. 2
Beim SC Teutonia
1910 in Hamburg-
Altona haben
Freunde ein
Transparent
angebracht.
Sie kleben Fotos
von Diren darauf.
Sie nannten ihn
„großer Bruder“
Waffen
Mit 18 kann
man sich in
Montana Waffen
kaufen. Die
„Castle Doctrine“
erlaubt dem
Hausbesitzer, auf
Eindringlinge zu
schießen, wenn
er sich bedroht
fühlt. Will man ihn
zur Rechenschaft
ziehen, muss
der Staatsanwalt
beweisen, dass
er sich nicht in
einer gefühlten
Gefahr befand
72 8.5.2014

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  • 1. Foto:JessicaLowry Der amerikanische Tod Von Alexandra Kraft, Kuno Kruse und Dominik Stawski Diren Dede lebte als deutscher Austausch- schüler im US-Staat Montana seinen Traum. Bis er eines Nachts in eine fremde Garage trat. Wer war dieser Junge? Und warum musste er sterben? Der 17-jährige Diren war in der Stadt Missoula beliebt. Nachdem er erschossen worden war, stellten Freunde Blumen und eine deutsche Fahne vor das Haus seiner Gasteltern 66 8.5.2014  Gesellschaft
  • 2. + Missoula MONTANA USA Fotos:JessicaLowry(2);BillGorman/AP Der Ort liegt im Westen Montanas, es sind 250 Kilo- meter bis Kanada D ieFreundehatteninder Nacht lange ums La- gerfeuer gesessen, der dunkelhaarigeZach,der blonde Chance, Robby aus Ecuador und Diren, dervonDeutschlander- zählte und der Türkei. Es war Freitag und eine der ersten warmen Frühlingsnäch- te nach diesem sehr langen Winter in den Bergen Montanas nahe der kanadischenGrenze.Dievierhatten geredet und geredet, von ihren Plänen, ihren Träumen. Vom Leben nach der Schule.Sie alle sind 17. Diren wollte reisen.Länder ken- nenlernen, Orte wie Hawaii. „Dort hatte ich meine glücklichste Zeit“, sagte er. Austauschschüler wie er waren im März auf der Pazifikinsel von überall zusammengekommen. Nur eine Woche, aber so eine in­ tensive. Er hatte unverbrüchliche Freundschaften geschlossen. Es wurde fast schon hell, als sie dasFeueraustraten.Siehörtennoch dieKojotenheulen,dieindenRocky Mountains umherstreifen. Erst gegen Mittag wachte Diren an diesem Samstag in seinem Zim- merauf.DiedreiHundeseinerGast- familie,die fast jede Nacht bei ihm im Bett schliefen,wuselten um ihn herum. Seine Freundin Sophia aus Hamburg weckte ihn,sie schrieben hin und her.46 Tage waren es noch bis zu seiner Rückkehr,Sophia hat- te einen Countdown auf ihrem Handy laufen. Direnskyptedanachauchmitsei- nerMutter.Siewarsoglücklich,ihn aufdemBildschirmzusehen,sogut, wie er aussah.Im Hintergrund war wieder dieser nette Robby,auch ein Austauschschüler, von dem Diren ihnen allen schon erzählt hatte. Er hatte bei Diren übernachtet. Diren wohnte in einem eigenen kleinen Apartment in der unteren Etage des Hauses seiner Gasteltern inder70 000-Einwohner-StadtMis- soula.Er hatte hier viel mehr Platz als in der Wohnung seiner Eltern in Hamburg. Schlafzimmer, Bad, Küche, ein Fernseher, eine Couch- Landschaft. Hier hatten mal die beidenKinderseinerGastelternge- wohnt, des Tierfotografen Randy Smith und seiner Frau Kate Walker. „RobbyundDirenlerntensicham ersten Schultag kennen und waren sofort wie Brüder“, sagt die Gast- mutter.Die52-JährigesitzteineWo- che später auf der Terrasse ihres Hauses.SiestrecktihremMannihre zitternde Hand hin und flüstert: „Bitte halte mich fest.“ Zu ihren Füßen liegt Pasha,einer der Misch- lingshunde. „Diren“, sagt Randy Smith,61,„gab ihm diesen Namen.“ Es war so vieles türkisch gewor- den in ihrem Haus. Der Kaffee, die Musik.Er kochte viel.Und Nutella. „Aber das war,glaube ich,deutsch“, sagt Randy. „Wir lernten viel über Europa.Auch über Politik.Die Pro- testeinderTürkeiwühltenihnauf.“ Kate sagt: „Er hatte die Seele eines sehr erfahrenen Mannes.“ RobbyundDirenspieltenandem NachmittaganderXbox,FifaWorld Cup.Dazwischen gingen sie immer wieder an die Fitnessgeräte. Diren trainiertetäglich,spielteFußballin derSchul-undinderStadtauswahl. ErwarauchimLeichtathletik-Team, probiertesichalsRinger,stürztesich kopfübervonFelseninBergseen.In den neun Monaten in den USA hat- teersicheinenmächtigenOberkör- per antrainiert,er wirkte viel reifer als seine Freunde. Die Fotos, die er nach Deutschland schickte, ließen allestaunen.Sophiaerzählteer,dass er sein Körperfett auf null Prozent reduzieren wolle. Dabei tranken sie an diesem Nachmittag Sprite, Direns Lieb- lingsgetränk.Es war meist das Ein- zige, was in seinem Kühlschrank stand.50,60 Dosen.Oft auch mehr. Während er wie immer die Spie- ler von Galatasaray Istanbul über seinen Bildschirm steuerte, spra- chensieüberdenAbend,dervorih- nenlag.SiewarenzueinerPartyam anderenEndederStadteingeladen, ihr Freund Zach sollte sie mit dem Auto abholen.Die Stunden vergin- gen, doch Zach tauchte nicht auf. Diren wohnte am Rande Missoulas in den Rocky Mountains (linker Kreis). Er wurde nur eine Straße weiter erschossen (rechter Kreis). Seine Gasteltern (rechtes Bild) und Hunderte andere trauern um ihn Todesschütze Kaarma war neu in der Siedlung 68 8.5.2014 Diren schickte ihm eine Nachricht: „Robby und ich gehen spazieren.“ Die offenen Garagen SienennenesGarageHopping.Esist eineTraditionunterdenSchülernin Missoula.DerLehrerCameronJohn- son von ihrer Big Sky High School hatte schon oft mit ihnen darüber gesprochen.„Fürmanchewareseine Mutprobe,indieGaragenderNach- barn zu schleichen und mit einem Sixpack Bier wieder rauszukom- men“,sagt der Lehrer.Auch er lässt seine Garage meist offen. „Wenn eineDosefehlt,fülleichebennach.“ In Montana darf man erst mit 21 Jahren Alkohol trinken und mit 18 Jahren Zigaretten kaufen. Viele halten das für zu streng.Sie dulden deshalb diese kleinen Besuche in ihrenGaragen,lassendieToreoffen. MancheErwachsenepackendieGe- tränkesogarabsichtlichindieKühl- schränke.WürdensiedasBierdirekt andieJugendlichengeben,wäredas strafbar. Am Samstagabend war es stock- dunkel. Straßenlaternen gibt es in dieser dünn besiedelten Gegend nicht, nur wenige Häuser haben Außenlampen. Es ist eine sichere Nachbarschaft, in der Haustüren undAutosnichtabgeschlossensind. Vor Mitternacht müssen Diren und Robby an der Hausnummer 2607amDeerCanyonCourtvorbei- gekommen sein, einer dieser auf- geräumten Straßen mit Vorgärten undBarbecue-Grills.2607liegteine Straße oberhalb des Hauses von Direns Gasteltern. Die Garagentür stand offen. Markus Kaarma war erst im No- vembermitseinerLebensgefährtin JanellePflagerundihremzehnMo- natealtenSohnindaszweistöckige Haus gezogen.Er ist 29 Jahre alt, Fußball, Jetski, Klippenspringen – Diren postete Fotos aus Ameri- ka. Er war sport- lich, mutig und ein guter Freund 4
  • 3. Fotos:PaulaMarkert(3);OliverHardt/GettyImages Feuerwehrmann, einer, der Wald- brändelöscht.Esisteingutbezahl- ter Job, der einem in den USA viel Respekt einbringt.Es gibt Helden- mythen um Leute wie ihn. Sein Anwalt Paul Ryan sagt: „Das Paar kamausNorthDakotahierher,weil sieihrKindineinersicherenUmge- bung aufwachsen lassen wollten.“ Ein Fremder in der Stadt Doch in der Siedlung blieb die Fa- milie fremd. Sie sprachen mit kei- nem. Wenn man sie mal sah, dann standen sie vor der Garagentür an ihrem Pick-up und rauchten. Eine Woche zuvor hatte Kaarma bei der Polizei einen Diebstahl aus seiner Garage angezeigt. Noch am DienstagsaßerbeimFriseur„Great Clips“und brüllte herum.„Ich war- te darauf,eines dieser fucking Kids abzuknallen!“ Er wurde so ausfal- lend,dassdieFriseurinihnrauswarf. SeinHausamDeerCanyonCourt war inzwischen mit zwei Bewe- gungsmeldernvorundinderGara- ge ausgestattet.Es gab ein Babyfon mit Kamera,auf dem Kühlschrank lageineHandtaschealsKöder.Mar- kus Kaarma hatte fünf Waffen und genügend Munition.Er wartete. „Für mich war Diren unverletz- bar“, sagt Tage später Furkan, sein bester Freund in Hamburg. „Mit ihmdurfteichimmerweggehen,da hatten meine Eltern keine Sorgen.“ „Diren war jemand, der sich an Gesetze hält. So war er. Und in Deutschland mochte er kein Bier“, sagtseinCousinYigit.SeineSchwes- ter Esra sagt: „Er hatte alles,was er brauchte, auch Geld. Er hatte es nicht nötig zu stehlen.“ Und seine Freundin Sophia erzählt, dass sie einmal mit ihm über den Zaun des Freibads klettern wollte. „Aber so etwas machte Diren nicht.“ Am Sonntagvormittag klingelte beidenDedesinHamburgdasTele- fon. Fünfmal, dann hob Direns Schwester Esra ab. Sie hörte eine Frau,dieEnglischsprach,abernicht wie in der Schule.Esra ist 18,sie hat gerade Abitur gemacht, aber sie verstand nichts. Sie legte auf und schrieb ihrem Bruder Diren per Whatsapp: „Hör auf damit!“ Auch ihre Mutter sagte: „Geh nicht wie- der ran,er macht einen Streich.“ Aberesklingeltewiederundwie- der,Esra hob ab.Dieses Mal sprach eine Stimme Deutsch. Esra kann sich an die Worte nicht erinnern, aberdieFrausagte,ihrBruderseitot. „Kann nicht sein“, sagte Esra, „wir hatten gerade noch Kontakt mit ihm.“Siefragtenach:„SagenSiemir erst, wann Diren geboren ist.“ Sie hörte die Frau am Telefon in Papie- ren blättern. Dann sagte die Stim- me: 21.September 1996. Ihre Mutter schrie.Der Vater,ein Taxifahrer, rief in dem Moment zu Hause an. Sie hatten ein gemein­ sames Sonntagsfrühstück geplant. Erfragte:„Hastdudaswirklichrich- tig verstanden, Esra? So etwas sagt doch niemand am Telefon.“ Celal Dede wollte lange nicht, dass sein Sohn nach Amerika ging. Aber Diren hatte gedrängt, er war entschlossen, wollte unbedingt Englisch lernen. Wollte BWL in Frankfurtstudieren,eininternatio- naler Geschäftsmann werden. Jeden Tag fing er wieder mit die- sem Thema an.Der Vater dachte an Gefahr und Kriminalität. Aber er wollte seinem Sohn nicht den Weg verbauen.DanngingimselbenJahr Selin in die USA, auch ein Einwan- dererkind und Direns Schulfreun- din.SeitdererstenKlassegingensie gemeinsameWege,zurSchule,nach Hause und dann ins Leben. CelalDede,48,isteinliberalerVa- ter. Und Diren sein einziger Sohn. Der war respektvoll gegenüber al- len, hilfsbereit. In der Schule ohne Probleme.DerSchnellsteinderFuß- ballmannschaft,Libero des SC Teu- tonia 1910 in Hamburg-Altona. Sportlich wie der Vater. Mutig und auchklug.InderNachbarschaftrie- fen sie ihn „großer Bruder“. Als der VatervonderKatastrophehört,weiß er, wenigstens er muss jetzt stabil bleiben. Freunden und auch sich selbstsagter:„EsisteinfachSchick- sal.DerTodriefihnnachMontana.“ Die 17-jährige Sophia aus Ham- burg war Direns Freundin (oben links). Sein Vater Celal weint um den Sohn, gestützt von seinem Schwager (unten links). Direns Mutter Gülçin verlor ihren einzigen Sohn (Mitte). Bei einem Benefiz- spiel zu Direns Ehren trauert die A-Jugend-Mann- schaft des SC Teutonia um ihren Mitspieler 70 8.5.2014 Er braucht 25 Stunden von Ham- burg zum Flugplatz von Missoula. Dienstagabend kommt er an,fährt sofortzuseinemSohn.Alserdanach seine Frau anruft,weint er.Er sagt: „Dirensiehtsowunderschönaus.Er hat ein Lächeln im Gesicht.“ In Hamburg kommen jeden Tag Frauen in die Wohnung von Direns Mutter.Sie weinen laut,sagen trös- tende Worte, die nicht trösten. Di- rensSchwesternsindda,umsiehe- rum Cousinen, Cousins, Schwager, Freunde, die Tür ist für alle offen. Und alle wollen der Mutter helfen, mit Worten, mit Tränen. Sie sitzen istErzieherin,ihrejüngereSchwes- ter Esra bewirbt sich gerade um einenStudienplatz.DieMutterkam vom Schwarzen Meer hierher, der VaterausAnkara.DieKinderkamen in Hamburg zur Welt. Sie nennen sich scherzhaft „die Elbtürken“. Je- des Jahr machen sie Urlaub in Bo- drum an der türkischen Ägäis, wo die Eltern hinziehen wollen, wenn siealtsind.Undwoamvergangenen Montag ihr Sohn begraben wurde. Die Freunde organisieren in die- senTageneinBenefizspielzuEhren Direns. Als seine Mutter den Fuß- ballplatz betritt, umringt und bei ihr auf dem Sofa, auf dem klei- nenBalkon,dieMännerhockenvor demgelbenKlinkerhaus,woDirens Cousins ein Schild aufgehängt ha- ben mit dem Satz: „We are Diren.“ Die Dedes sind eine sehr respek- tierte Familie. „Fleißig“, sagen alle. Direns Vater Celal Dede fährt mit seinem Taxi oft nachts, manchmal rund um die Uhr.Wie sonst könnte er seiner Familie so ein Leben bie- ten? Mittags kommt er zum Essen vorbei.VordemHausstehennundie Taxis vieler Kollegen. SeineFrauGülçinarbeitetineiner Bäckerei. Başak, die ältere Tochter, 4 Jeden Sommer verbrachte Diren den Urlaub mit seiner Familie in Bodrum an der türkischen Ägäis, wo er nun beerdigt wurde. Schon als kleiner Junge trug er stolz eine türkische Sol- datenmütze
  • 4. Alexandra Kraft erlebte eine geschock- te Stadt in Montana. Ihr Sohn ging in Hamburg in dieselbe Kita, in der Direns Schwester als Erzieherin arbeitet. Kuno Kruse (M.) und Dominik Stawski (l.) leben in der Nachbarschaft der Familie Dede. Esra Özer interviewte mit ihnen die Freunde Fotos:PaulaMarkert;GettyImages beschützt von ihren Neffen,schreit sie auf,sie muss gehalten werden. „Gülçins Kraft war verbraucht, schonbevorihrSohnstarb“,sagtihr Schwager. Über Monate hatte sie ihremBruderbeigestanden,dermit 46JahrendemKnochenkrebserlag, sie hatte viele Nächte auf der Bank im Krankenhaus geschlafen. Hamburg und Missoula trauern Fast 2000 Menschen stehen am Spielfeldrand,diemeistenjung,vie- le sind Mitschüler ihres toten Soh- nes.FreundehabenFotosaufPappen geklebt: Diren als kleines Kind, Diren mit einem Freund tobend im Wasser, Diren im Fußballtrikot, Diren in Amerika.Frauen haben auf weiß gedeckten Tapeziertischen ein Büfettaufgebaut,daraufstehenauch Spendendosen.NachdemSpielwer- den 25 000 Euro darin sein. DieMutternimmtdasalleskaum wahr.SiesitztaufderBank,siehtnur die Jungen aus der Fußballmann- schaft, alle sind Kinder türkischer Eltern,alle so alt wie ihr Diren. Menschen kondolieren ihr. Der Direktor von Direns Gymnasium trittvorsie,sprichtzuihr.DasGym- nasium hat einen guten Ruf und Schüler aus 40 Nationen. Doch Di- rensAmerika-Aufenthaltwaretwas Besonderes. Für ihn war es nur der Anfang,späterwollteerSpanischler- nen und sein Türkisch aufbessern, weil seine Sprache längst Deutsch war.„So ein hoffnungsvoller junger Mensch“,sagt der Direktor. Die Bilder gleichen sich: Auch in Montana umarmen sich die Men- schen,alssiezueinerTrauerfeieran der High School zusammenkom- men. Robby, Zach, Chance, all die Freundesindgekommen.SeitTagen verteilendieSchülerfarbigeBänder inSchwarz-Rot-Gold,dieanihner- innern sollen.„Ich habe mir ,Diren‘ aufdieHauttätowierenlassen“,sagt Zach.Vor dem Haus der Gasteltern haben sie eine Gedenkstelle aus Sprite-Dosen gebaut, sie stellt sei- ne Initialen dar,D. D. „DirenhatdieMenschenberührt. Wissen Sie, es sind nicht nur vier, fünf, die um ihn weinen. Es ist die ganze Schule“, sagt sein Lehrer in Missoula,Cameron Johnson.Er er- zählt,wieDirensichmutigvoreine Klasse voller Amerikaner gestellt hatte,umseineneuropäischenBlick auf die Welt zu vertreten. In Deutschland habe er sich als Türke gefühlt, in der Türkei als Deutscher, sagt der Lehrer. „Im ­Melting Pot USA fühlte er sich frei davon.“Diren war gläubig,„aber er betete nicht jeden Tag“. Er hatte pragmatischePläne:„Mit40wollte er dann ein guter Muslim werden und eine Hadsch beginnen.“ Der Feuerwehrmann Markus KaarmawargerademitseinerFrau ausdemWhirlpoolgestiegen,alsan diesemSamstagabendum0.20Uhr dieBewegungsmelderinseinerEin- fahrt reagierten.Janelle Pflager lief zum Bildschirm, sah darauf einen jungen Mann mit hellem Pullover, fotografierte das mit dem Handy. Kaarma griff zur Waffe,ging durch die Haustür und stellte sich vor das offene Tor. Er lud durch, rief noch einmal:„Hey!“EineStimmeausder Dunkelheitantwortete:„Hey.“Kaar- mas Freundin sagte bei der Polizei, sie könnte auch gesagt haben: „Wait!“ Direns Vater wollte die Garage nicht sehen,als er in Missoula war. ErginglieberindieSchule.Esmach- te ihn stolz, dass sein Sohn den Menschen hier so viel von der tür- kischen und der deutschen Kultur vermittelt hatte. Schmerzhafter kann Stolz nicht sein. Das Amerika, das Celal Dede in Montana sah, war nicht das, das er sichvorgestellthatte.Jederbegrüß- te ihn im Café. Die Straßen so auf- geräumt.„NirgendswarPolizei“,sagt erspäter.Alles,vordemAustausch- schülergewarntwerden,gabesdort nicht,keineDrogen,keineKrimina- lität. Aber vor den Waffengesetzen habeihnniemandgewarnt.InMon- tana gibt es ein Gesetz, die „Castle Doctrine“,nach der jeder sein Haus mit einer Waffe verteidigen darf, wennersichbedrohtfühlt.Esistso- gar möglich, dass Markus Kaarma freigesprochen wird.Aber die Poli- zisteninMissoulahabendemVater festversprochen,dasssiesehrsorg- fältig ermitteln werden. Die Schüler fürchteten den Zorn des Vaters, weil sie Diren zum Ga­ rage Hopping verführt hatten. Der Vater ließ sich geduldig erklären, was das ist. Dann sagte er: „Damit müsst ihr aufhören, das müsst ihr mir versprechen!“ Eine Shotgun ist eine wütende Macht,fünf Kilo schwer,einen Me- terlang.JederSchussdurchbebtden Schützen,derRückschlagistgewal- tig,DurchschlagundStreuungsind zerstörerisch.Werdamitviermalin eine dunkle Garage schießt, will nicht nur erschrecken. Kaarma schoss viermal,in Kopf- höhe.Ersagte,erwollteseineAutos nicht beschädigen. Die Schrotkugeln rissen eine klaffende Wunde in Direns Hals. Kaarmas Freundin Janelle Pflager ist Rettungssanitäterin. Sie ver- suchtedieBlutungmitdenHänden zu stoppen.Kaarma rief die Polizei und wartete in der Einfahrt.„Mar- kus Kaarma wird sich für unschul- dig erklären“,sagt sein Anwalt Paul Ryan. „Er fühlte sich von diesen Teenagern bedroht. Er hatte jedes Recht zu feuern.“ Direns Leiche lag in einer Blut- lache vor dem Kühlschrank. 2 Beim SC Teutonia 1910 in Hamburg- Altona haben Freunde ein Transparent angebracht. Sie kleben Fotos von Diren darauf. Sie nannten ihn „großer Bruder“ Waffen Mit 18 kann man sich in Montana Waffen kaufen. Die „Castle Doctrine“ erlaubt dem Hausbesitzer, auf Eindringlinge zu schießen, wenn er sich bedroht fühlt. Will man ihn zur Rechenschaft ziehen, muss der Staatsanwalt beweisen, dass er sich nicht in einer gefühlten Gefahr befand 72 8.5.2014