Das führende europäische Fachmagazin für Spinnentiere »ARACHNE« ist das zweimonatlich erscheinende Publikationsorgan der Deutschen Arachnologischen Gesellschaft e.V. (http://www.dearge.de).
Sie umfasst ca. 50 Seiten und befasst sich mit Themen rund um Spinnentiere - mit Ausnahme der Ordnung Acari (Milben) - wobei der Schwerpunkt bei den Theraphosidae (Vogelspinnen) liegt.
1. 10. Jahrgang
Heft 2
März 2005
Deutsche Arachnologische Gesellschaft e.V.
in dieser Ausgabe:
• Die Vogelspinnen aus Französisch Guyana
• Eine Einführung in die Etymologie von Gattungs- und
Artnamen bei Vogelspinnen (Araneae: Theraphosidae)
• Kokonbau ohne Kopulation Teil II
• Die Spinne des Jahres 2005
• Einige Natur- und Terrarienbeobachtungen zur indischen
Vogelspinne Chilobrachys fimbriatus POCOCK, 1899
• Auffälligkeiten bei der Nachzucht von Ephebopus rufes-
cens WEST & MARSHALL, 2000
ISSN 1613-2688
2. ARACHNE 10(2), 2005 ARACHNE 10(2), 2005
Impressum Inhalt
Redaktion reicht werden. Bevorzugt werden Manuskripte in elek- Seite:
Volker von Wirth Martin Huber tronischer Form (WinWord, StarOffice Writer, Rich-
Lilienstr. 1 Dorfstr. 5 Text Format oder *.txt) per E-Mail, 3,5" Diskette oder
71723 Großbottwar 82395 Obersöchering CD-R. Gattungs- und Artnamen sind kursiv zu schrei-
! von-wirth@dearge.de ! huber@dearge.de ben, Überschriften sollen hervorgehoben werden, wei- Die Vogelspinnen aus Französisch Guyana . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 - 13
tere Formatierungen sind zu unterlassen. von Rick C. West
Tobias Dörr Marcus Löffler Mit der Abgabe des Manuskripts versichern die Auto-
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! doerr@dearge.de ! loeffler@dearge.de eventueller Bild- und anderer Reproduktionsvorlagen Artnamen bei Vogelspinnen (Araneae: Theraphosidae) . . . . . . 13 - 19
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Kristin Finke, Höchst i. Odw. Eingereichte Manuskripte werden ggf. an die Formatie-
Timo Raab, Höchst i. Odw. rung und den Stil des Journals angepasst. Rechtsschrei- Kokonbau ohne Kopulation Teil II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 - 21
Ingo Wendt, Schorndorf bung und Grammatik werden überprüft und gegebe- von Mario Wilfert
nenfalls geändert.
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Die Spinne des Jahres 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 - 23
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Börsen und Ausstellungen. Diese bitte per E-Mail, die Bilder von der Redaktion. ISSN 1613-2688
maschienengeschrieben bzw. in Druckbuchstaben an Vogelspinne Chilobrachys fimbriatus POCOCK, 1899 (Ara-
die Leserbriefannahme schicken! Titelfoto: Chilobrachys fimbriatus, Weibchen neae: Therphosidae: Selenocosmiinae) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 - 29
Foto: Martin Huber von Jean Michel Verdez & Frédéric Cléton
Leserbriefannahme
Michaela Biese Redaktionsschluss ist jeweils der letzte Werktag eines
Düsterbeck 51 ungeraden Monats. Auffälligkeiten bei der Nachzucht von Ephebopus rufes-
45731 Waltrop cens WEST & MARSHALL, 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 - 31
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lungen«) können schriftlich bei der Redaktion nachbe- und Museum A. Koenig
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Artikel Dipl. Biol. Dirk Weinmann
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Die Vogelspinnen aus Französisch Guyana che Tiere außerhalb des kleinen, diffusen
Lichtkreises rund um die Lodge herumkro-
von Rick C. West
chen. Ich wusste genau: würde ich das nicht
machen, könnte ich heute Nacht nicht ruhig
Es war ein langer Tag an Bord der einzigen Groben Schätzungen zufolge starben schlafen.
Fluggesellschaft, die von den USA nach 90% der 70.000 im Exil lebenden Gefange- Auf den Balken der Lodge und den na-
Französisch Guyana fliegt. Viele Passagiere nen an Malaria, Gelbfieber oder während hen Bromelien fand ich sowohl Männchen
nennen diesen Air France-Flug den »French Fluchtversuchen. Die berühmtesten Gefan- wie auch Weibchen einer Vogelspinnenart,
Hopper«, da er in den frühen Morgenstun- genen waren ALFRED DREYFUS und HENRI die im Allgemeinen als »Avicularia metallica
den Miami verlässt und lange Zwischen- »PAPILLON« CHARRIÈRE. AUSSERER, 1875« bezeichnet wird. So lange
stopps in den französisch-sprachigen Flug- Die Hauptstadt Cayenne ist klein und die »rot-füßigen« Arten der Gattung Avicula-
häfen von Haiti, Guadeloupe und Martini- ziemlich heruntergekommen. Der Großteil ria keine taxonomische Revision erfahren,
que macht, bevor er schließlich über der der Gebäude stammt noch aus der alten können wir nur annehmen, dass diese Tiere Ephebopus murinus vor ihrer Wohnröhre sitzend
alten französischen Strafkolonie Iles de Salut französischen Kolonialzeit, mit rostiger und zu dieser Art gehören. Der lebhaft blaue Foto: Rick C. West
of St. Joseph (Salvation Islands), Royale und abblätternder Farbe, zerfurchten Blechdä- Schimmer dieser Vogelspinnen ist ein über- sität. Es dauerte nicht lange bis ich an den
Devil's Island Höhe verliert und bei Son- chern und vergitterten Fensterläden. Die wältigender Anblick im Kontrast zu der grü- Wegrändern Ephebopus murinus (WALCKENA-
nenuntergang am Rochambeau Airport lan- komplette Stadt zu Fuß zu durchqueren nen Vegetation und den braunen Balken. ER , 1837) in den seidenen Eingängen ihrer
det. Ich habe diese Reise bereits fünfmal dauert nur etwa 20 Minuten! Obwohl es in- Während ich in den Wald hinein ging, nah- Erdbauten erblicken konnte. Dies ist eine
gemacht und all dies ist für mich so vertraut teressant ist, die Stadt zu erkunden, sollte men die Geräusche und Laute von Frö- der auffälligsten Vogelspinnen Französisch
wie der tägliche Weg zur Arbeit. man bedenken, dass illegaler Drogenhandel schen, Grillen und anderen nicht identifi- Guyanas mit ihren stroh-farbenen, skelett-
Französisch Guyana ist einzigartig. Es ist und andere Verbrechen ständig zunehmen. zierbaren Nachtschwärmern beständig zu ähnlichen, parallelen Streifen, welche auf
ein kleines Departement Frankreichs, eines Außerhalb der Stadt wird die Strafverfol- und erreichten eine beinahe schaurige Inten- der Oberseite der schwarzen Beine ent-
von nur zweien außerhalb Frankreichs. Die gung noch immer durch die französische langlaufen.
Landessprache ist Französisch, die Währung Fremdenlegion ausgeübt, Überwachungs- Die Vegetation in der unmittelbaren
Euro – dennoch ist man in Südamerika. Die stellen am Straßenrand sind allgegenwärtig. Umgebung der Lodge ist eine Mischung aus
Bevölkerung besteht aktuell aus etwa Was trotz allem an Französisch Guyana Savanne und Sekundärwald, Palmen und
190.000 Menschen, davon ca. 70% creolisch, großartig ist, ist die Tatsache, dass noch gut Laubbäumen, die auf lehmhaltigem, mit vie-
10% europäisch, 8% asiatisch, 8% brasilia- 90% des ursprünglichen Regenwaldes völlig len Blättern bedecktem Untergrund wach-
nisch und 4% Ur-Einwohner (Karib und intakt sind, obwohl diese Zahl leider durch sen. Dieser Untergrund absorbiert nur we-
Arawak). zunehmende Holzfällerei und Bergbau zu nig Wasser und sorgt dafür, dass sich Regen-
Das Land ist gezeichnet von seiner alten sinken beginnt. wasser schnell sammelt und Savannen, Wäl-
Geschichte, hauptsächlich durch Piraterie Nach Erledigung der Zollformalitäten der und die Bauten bodenbewohnender Vo-
und die Strafkolonien. Um die Gefängnisko- empfing mich ein langjähriger Freund, der gelspinnen flutet. Die Tag- und Nachttem-
sten in Frankreich zu senken und einen Bei- mich gerade zur rechten Zeit für ein herrli- peraturen schwanken zwischen 21°C und
trag zur Entwicklung der französischen Ko- ches Abendessen und ein kaltes Bier zu sei- 31°C, die Luftfeuchte liegt zwischen 71%
lonien zu leisten, wurden zwischen 1852 ner Lodge brachte. Die Hitze, hohe Luft- und 96%. Es war September und wir befan-
und 1940 Gefangene nach Französisch feuchtigkeit und Übermüdung brachen über den uns in der »Trockenzeit«. Die Laubbäu-
Guyana ins Exil geschickt. mich herein. Der Schweiß begann an mir me warfen ihre Blätter ab, um besser Wasser
Sie lebten auf der Iles du Salut und wur- herunterzutropfen, meine Reisekleidung speichern zu können. Das Laufen auf den
den als Sklavenarbeiter auf dem Festland klebte an mir, aber nach einem guten am Boden angehäuften lockeren Blättern
zum Bau von Straßen oder zur Arbeit auf Abendessen, einer netten Unterhaltung und machte es nicht gerade einfach, für vernünf-
großen Zuckerrohr- oder Kokosnuss-Plan- mit frischer Kleidung machte ich mich mit ein »Avicularia metallica« Weibchen vor ihrem Bromelien- tige Bilder unbemerkt an Ephebopus murinus
Versteck sitzend
tagen benutzt. einer Taschenlampe auf, um zu sehen, wel- Foto: Rick C. West heranzukommen. Während der Regenzeit
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zerfallen die Blätter und verschwinden teil- tetieren aufzulauern, die sich tagsüber im und adulte Tiere findet man hauptsächlich renden Welt hatte, die ich heute Nacht noch
weise, sie werden dann Nahrungsgrundlage Schutz des Bodenbelages aufhalten und zur in den oberen Regionen, wobei es keinen erkundet hatte. Als ich heruntergefallene
für unzählige Organismen und machen neu- nächtlichen Futtersuche in das blättrige Unterschied macht ob die Bäume nun 5 m und verrottende Äste mit einer kleinen,
en Pflanzen Platz, die ans Licht streben. Schutzdach der Bäume bewegen. Beide Tapi- oder 30 m hoch sind. Vermutlich basieren handlichen Hacke herumdrehte, entdeckte
Ich war überrascht, adulte Männchen nauchenius-Arten ließen sich durch das Licht die Unterschiede bei der regionalen Verbrei- ich Ephebopus rufescens W EST & M ARSHALL ,
und Weibchen sowie jüngere Stadien von E. der Taschenlampe nicht beirren, reagierten tung der verschiedenen Stadien auf Größe, 2000 und eine kleine, bisher unbeschriebene,
murinus zu finden. Sie alle hockten an den aber extrem empfindlich auf Vibrationen Art und Verfügbarkeit der Beutetiere, wel- braune Holothele-Art in ein und demselben
Eingängen ihrer Bauten und warteten auf wenn man beispielsweise an den Ast klopfte. che in der Regel in den oberen Regionen ei- Ast. Heruntergefallene Äste bilden ein her-
vorüberlaufende Beute. Ich dachte darüber Sie zogen sich dann sehr schnell in den nes Baumes zahlreicher und konzentrierter vorragendes Mikrohabitat für bodenbewoh-
nach, ab wann ein adultes Männchen »weiß«, Schutz ihrer Bauten zwischen den Palmwe- vorkommen. nende Theraphosiden und sind eine gute
dass es tatsächlich adult ist und was es dann deln oder Blattachseln zurück. Wenn man Ganz allmählich ging ich zurück Rich- Quelle für Beute wie Würmer, Salamander,
veranlasst, nach einem Weibchen zur Paa- einen Baum empor klettert um ein Exem- tung Lodge und konnte nun beruhigt und Frösche, kleine Eidechsen, Schaben, Grillen,
rung zu suchen? Ich würde vermuten, dass plar von Tapinauchenius, Avicularia oder Psal- gut schlafen. Käfer und Käferlarven sowie Termiten.
sich ein adultes Männchen unmittelbar nach mopoeus zu sammeln, quetschen sich die Tie- Am nächsten Morgen wurde ich um Diese Äste beherbergen aber auch Feinde
seiner Reifehäutung zunächst weiterhin so re immer tiefer in die Ritzen und Spalten, 7 Uhr durch den »Frühstücks-Gong« ge- der Vogelspinnen wie etwa fleischfressende
verhält wie vorher und erst bestimmte Hor- die an den Ansatzstellen der Blätter am weckt. Frühstück und Abendessen gab es zu Nager, Kröten, grabende, gliedertierfressen-
mone das in den Genen einprogrammierte Baumstamm entstehen. Ich habe dieses Ver- festen Zeiten, 7 Uhr morgens und 19 Uhr de Schlangen, größere Eidechsen, größere
Sexualverhalten auslösen. (Anmerkung: Bei halten bei vielen Gelegenheiten beobachten abends. Hastig schlang ich das Frühstück Spinnentiere und sonstige Arthropoden
der Ausgrabung in zwei separaten Bauten können. Leider wird das Einfangen der Tie- herunter und machte mich wieder auf den (Spinnen, Skorpione, Hundertfüßer und
die von Männchen bewohnt waren, wurde in re dadurch nicht gerade einfacher. Oftmals Weg in den Wald, der jetzt keinerlei Ähnlich- Geißelspinnen).
jeder Höhle eine Haut gefunden. Diese sind die eng anliegenden, nach oben gerich- keiten mehr mit der schattigen und faszinie- Ephebopus rufescens legt seine seidenen,
Häute konnten nach einer Untersuchung als teten Ritzen und Spalten am Blattansatz röhrenförmigen Bauten in heruntergefalle-
die jenigen, die während der Reifehäutung einer Palme oder einer Bromelie mit Wasser nen, feuchten und verrottenden Ästen, unter
abgestreift wurden, identifiziert werden.) gefüllt. Diese gefüllten Bereiche liegen in Steinen oder aber auch am Fuß lebender
Binnen zwei Wochen besuchte ich die Bau- der Regel unterhalb der seidenen Bauten der Bäume oder toter Baumstümpfe an. Kleine
ten der Männchen mehrfach, fand diese aber Theraphosiden. Sowohl baum- als auch bo- Stückchen Moos, Dreck oder Blattstücke
nach und nach verlassen vor. Dies bestärkte denbewohnende Theraphosiden verschwin- werden häufig zur besseren Tarnung in das
die Vermutung, dass die adulten Tiere ihre den bei Störungen oder wenn sie gejagt wer- Gespinst eingearbeitet. Einige Tiere kann
sicheren Höhlen für immer verlassen hatten, den manchmal für längere Zeit in diesen man auch in Bauten finden, die ähnlich de-
um geschlechtsreife Weibchen zur Paarung Wasseransammlungen. nen der baumbewohnenden Vogelspinnen
zu suchen, allerdings habe ich an den Bau- Während vieler Jahre der Beobachtung etwas erhöht an älteren und größeren Bäu-
ten der adulten Weibchen niemals werbende von baumbewohnenden Vogelspinnen habe men, in Astgabeln oder unter bemooster
Männchen feststellen können. ich festgestellt, dass es anscheinend tatsäch- Borke angelegt sind (siehe Abbildung näch-
Während ich weiterging, beleuchtete ich lich einen Zusammenhang zwischen den ste Seite).
die oberen Äste und Kronen der größeren Stadien der Jungtiere und deren bevorzugten Im Gegensatz hierzu findet man jüngere
Palmen und erblickte hin und wieder Tapin- Lebensräumen in unterschiedlichen Berei- Entwicklungsstadien von Ephebopus murinus
auchenius gigas CAPORIACCO 1954 und Tapin- chen auf dem »mütterlichen« Baum bzw. nach dem Verlassen des mütterlichen Ge-
auchenius purpureus SCHMIDT, 1995. Ich kann- den umliegenden Bäumen gibt. Die kleine- spinstes ausschließlich »baumbewohnend« in
te diese Arten bereits von früheren Reisen. ren Jungtiere scheinen die unteren Bereiche kleinen seidenen Röhren auf kleinwüchsiger
Wie die meisten echten baumbewohnenden der Bäume oder nahstehende, kleinwüchsige Vegetation, hauptsächlich auf Bromelien
Theraphosiden hocken sie mit dem Vorder- Vegetation zu bevorzugen, während man (siehe nebenstehende Abbildung). Diese
körper Richtung Boden weisend auf den etwas größere Jungtiere eher in den mittle- frühes Entwicklungsstadium von Ephebopus murinus eine
Bromelie bewohnend
Tatsache unterstützt die Einordnung der
Bäumen. Ich vermute sie tun dies, um Beu- ren Bereichen der Bäume findet. Subadulte Foto: Rick C. West Gattung in die Unterfamilie der Aviculari-
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inae. Wenn E. murinus adult werden, legen gelegene Gebiete für meine Untersuchungen
sie diese baumbewohnende Lebensweise zu suchen. Also mietete ich mir ein Auto
jedoch vollständig ab und gehen ebenso und nutzte die Gelegenheit, um mir Cayen-
konsequent zur bodenbewohnenden Le- ne, diese alte Stadt aus der Kolonialzeit, an-
bensweise über. Ich würde vermuten, dass zuschauen. Es gibt dort aber nicht wirklich
Größe und Verfügbarkeit der Beute im Lau- viel zu sehen. Die meisten Shops sind klein
fe der Evolutionsgeschichte dazu geführt und mit ihren kitschigen Souvenirs wohl
haben, dass E. murinus diese strikt getrennte, hauptsächlich auf europäische Touristen
»zweigleisige« Lebensweise als Überlebens- ausgerichtet. Für mich gehören diese hun-
strategie entwickelt hat. derte (insgesamt vermutlich eher tausen-
Große Hitze und hohe Luftfeuchtigkeit de) von getrockneten und eingerahmten
können häufig sehr an den Kräften zehren. Schmetterlinge, Käfer und Vogelspinnen zu
Aus diesem Grunde esse ich nicht sehr den Souvenirs, über die ich mich am meisten
reichhaltig und belastend zu Mittag. Statt- aufregen könnte. Schmetterlinge der Art
dessen begnüge ich mich mit Powerriegeln Morpho und die Vogelspinnenart Theraphosa
und Energydrinks. Tagsüber wandere ich, blondi gehören zu den am häufigsten ange-
mache Bilder und führe wissenschaftliche botenen Arten. Unter anderem werden auch
Feldarbeiten durch. Meist kehre ich dann Avicularia metallica und Ephebopus murinus
erst spätnachmittags zur Lodge zurück, sor- »gerahmt« angeboten. Die Samaracas (um-
tiere meine Notizen und gönne mir irgend- gangssprachlich für »Afrikanische Nach-
ein alkoholisches Getränk. Ich war glücklich kommen, die im Busch leben«) fangen große
darüber, bei dieser Reise die komplette Lod- Mengen all dieser Tiere, indem sie Benzin in
ge allein für mich zu haben. Es ist für mich die Bauten der Vogelspinnen spritzen. Der
das größte Ärgernis, während meiner Reisen Geruch treibt die Tiere dann ans Tageslicht,
Gäste in den Lodges zu haben, die mir laut- wo sie hastig gefangen und in kleinen Pla-
stark überall hin folgen, als wäre ich ihr per- stikbeuteln »verstaut« werden. Zurück bei
sönlicher »Dschungel«-Reiseführer. Nach ihren Unterkünften werden die Beutel mit
etwa zwei Tagen kannte ich auf dem den Tieren in die Sonne gelegt und dort
Grundstück der Lodge und dem umliegen- sterben sie dann den Hitzetod, bevor sie
den Gebiet beinahe jeden Baum und ausgeweidet, ausgestopft, getrocknet und in
Strauch. Es war daher nötig, neue und höher die Bilderrahmen eingesetzt werden. Diese
Habitat und arboreales Versteck von Ephebopus rufescens In vielen Läden werden getrocknete Vogelspinnen, Skorpione, Schmetterlinge und Käfer als Souvenirs für Touristen angeboten.
Foto: Rick C. West Fotos: Rick C. West
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6. ARACHNE 10(2), 2005 ARACHNE 10(2), 2005
völlig alleine in den dichten Reizung mit einem flexiblen Stöckchen
Regenwald, aber ich hatte sprang der Bewohner der Höhle hervor. Es
leider keine Wahl. Ich mar- war die größte Vogelspinne der Welt: ein
kierte meinen Weg mit flu- wunderschönes Weibchen von Theraphosa
oreszierendem Maßband blondi (LATREILLE, 1804). Im Laufe des Ta-
und hatte vor meinem Aus- ges fand ich weitere Exemplare von T. blondi
flug mit meinem Bekannten in unterschiedlichen Größen. Jüngere Exem-
vereinbart, dass wohl etwas plare von T. blondi fand ich hauptsächlich in
passiert sei, wenn ich nicht natürlichen, nicht mit Seide ausgekleideten
zum Abendbrot wieder zu- Höhlen unter abgefallenen Ästen, großen
rück an der Lodge wäre. In Felsen und in verlassenen Löchern anderer
diesem Fall würde jemand bodenbewohnender Lebewesen. Ich be-
vorbeikommen und nach merkte, dass die jüngeren Altersstadien bei
mir suchen. der Wahl ihrer Behausungen eher opportu-
Nach kurzer Zeit er- nistisch waren und sich nicht, wie die adul-
blickte ich ein typisches, ten Weibchen, Höhlen bauten. Subadulte
eine Theraphosa blondi mit ca. 25 cm Spannweite vor ihrem Bau auf Beute lauernd baumwoll-weißes Gewebe: und adulte T. blondi wurden hauptsächlich in
Foto: Rick C. West
der Eingang zu einem Erd- den üblichen, im Boden angelegten Bauten
Vorgehensweise wird hauptsächlich auf- bau. Der Größe nach zu urteilen musste es entdeckt. Vor den meisten dieser Höhlen
grund der extrem aggressiven Reizhaare des eine wahrlich riesige Vogelspinne sein. Der findet man die oben beschriebenen, gesäu-
Typs III bei T. blondi gewählt – alles in allem Bereich vor dem Eingang der Höhle war berten seidenen Bereiche. Wenn dieser
ein entsetzlicher Handel. sehr sorgfältig von Blättern und heranwach- Bereich zerfleddert aussieht oder Blätter
Während ich zum Kaw-Gebirgszug hin- senden Pflanzen befreit. Diese Zone oder und Stöckchen darauf herumliegen, kann
auf fuhr, flitzten hin und wieder Gruppen die »Arena«, wie ich diesen Bereich in der man davon ausgehen, dass der Bau verlassen
von Saguinus midas midas (kleinwüchsige, Regel nenne, war mit Seide bedeckt, die ist. Umweltbedingungen wie wenig verfüg-
schwarze Tamarin-Äffchen mit gelben Fü- wohl von dieser großen Spinne ausgelegt bares Futter, Trockenheit oder häufige
ßen) über die Straße. Wenn man den »Screa- wurde, um vorbeilaufende Beute schneller Störungen führen dazu, dass T. blondi ihren vorkolumbianischen Felszeichnungen u.a. mit Spinnen-
motiven
ming Piha« (Lipaugus vociferans – ein Vogel, und einfacher zu erkennen. Nach kurzer Bau verlassen und nach einem besseren Foto: Rick C. West
ungefähr so groß wie ein Star) schreien hört, Platz suchen. Ein weiterer Grund kann aber
weiß man, dass man im ursprünglichen auch die vollzogene Reifehäutung der nen Pfade. Einer dieser Pfade führte mich
Hochlandwald angekommen ist. Ich stellte Männchen und die damit einhergehende zu vorkolumbianischen Felszeichnungen
den Wagen am Straßenrand ab, packte mei- Suche nach einem paarungsbereiten Weib- unbekannten Alters und Herkunft. Obwohl
ne Ausrüstung zusammen und ging hinein chen sein. Die üblichen Beutetiere von T. gut vorbereitet, freute ich mich sehr über
in den Regenwald. Die Bäume und Baum- blondi sind kleine Frösche und Eidechsen diese große Felszeichnung mit Riesenschlan-
kronen waren hier wesentlich höher und (auch Skinke und Geckos). Obwohl ich in gen und Spinnen als Motive. Da sich diese
ausladender als in den Wäldern der Niede- diesem Gebiet hin und wieder auch den Zeichnung inmitten des T. blondi-Habitats
rungen. Die Temperatur betrug zwischen Pfeilgiftfrosch Dendrobates tinctorius entdeck- befindet, glaube ich, dass die frühen Ur-Ein-
20°C und 27°C, die relative Luftfeuchte lag te, wurde bisher noch nie davon berichtet, wohner in Ehrfurcht vor diesen großen
zwischen 79% und 96%. Das Gelände hier dass Frösche dieser Gattung von Vogelspin- Spinnen und vermutlich den in Flussnähe
war eine Mischung aus steilen, lehmigen nen gefressen wurden. anzutreffenden Anacondas und Buschmei-
Hängen, felsigen, lava-ähnlichen Formatio- In den verbleibenden zwei Wochen stern lebten. Ich überlegte, welche spirituelle
nen und einigen Höhlen. Ich brach im übri- ein Jungtier von Theraphosa blondi mit ca. 10 cm Bein- kehrte ich öfters zum Kaw-Gebirgszug zu- Rolle diese Lebewesen für die altertümlichen
spannweite
gen gerade eine der Grundregeln – ich ging Foto: Rick C. West rück und untersuchte die vielen vorhande- Handwerker gespielt haben mögen, als sie
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damals hier an dieser Stelle standen und sie auszog, lief etwa ein halber Liter Blut aus sich aufbäumende und fauchende Schlank- SUMMARY
im Quarzit verewigten. dem Stiefel. Die Socke war voll von geron- natter (Leptophis ahaetulla). Obwohl diese
Ich habe noch viele andere Vogelspin- nenem Blut, das in den Gummistiefel ge- Schlange nicht giftig ist, war ich doch ziem- The author describes one of his trips to
nenarten gefunden, deren Beschreibung steckte Hosenbein scharlachrot. Offenbar lich schockiert über diesen Vorfall. Hätte sie French Guiana, South America.
würde aber leider den Rahmen dieses Arti- hatte die Hacke eine Vene verletzt, die durch mich getroffen und sich um mich gewickelt, A general overview of the country is
kels sprengen. Unnötig zu sagen, dass Fran- das Schienbein verläuft und so konnte das hätte ich entweder netten Dünger für den provided along with some natural history
zösisch Guyana aufgrund der hohen Arten- Blut den ganzen Tag lang in meinen Stiefel Waldboden abgegeben oder mir einen schö- notes on some of the theraphosid diversity
vielfalt auf einem so kleinen Gebiet, nicht laufen. Nach ein wenig erster Hilfe und viel nen Gürtel aus dem Tier gemacht. Nachdem found in both lowland and highland forest
nur bezüglich Vogelspinnen, sondern allge- Bier (natürlich nur um die verlorene Flüssig- ich alle Sinne wieder beisammen hatte, habitats.
mein in Flora und Fauna, eines meiner Lieb- keit zu ersetzen) fühlte ich mich schnell wie- nahm ich meinen Rucksack, um die Kamera
lingsländer ist. der kerngesund – ein bisschen jedenfalls. herauszuholen und ein paar Bilder von die- Adresse des Autors:
Während ich alleine durch den Regen- Während ich allein im Regenwald her- ser unheimlich schönen Schlange zu ma- Royal British Museum
wald ging, wurde ich zweimal hart auf die umstreife, bin ich nervlich immer etwas an- chen, bevor sie im Grün des Regenwaldes Rick C. West
Probe gestellt. Obwohl es nichts mit Vogel- gespannt, weil ich ständig nach giftigen verschwand. c/o 3436 Blue sky Place
spinnen zu tun hat, verdienen diese beiden Schlangen, Jaguaren oder illegalen bzw. be- Als ich meiner Frau diese beiden Ge- Victoria BC
Begebenheiten schon aufgrund ihrer Komik trunkenen Jägern Ausschau halte. Als ich schichten erzählte, sagte sie nur »Wie ich Canada V9C 3N5
erwähnt zu werden, bevor ich den Artikel irgendwann einmal stehen geblieben bin, um schon sagte, Liebling… Du wirst älter!«.
beschließe. dem Gesang des »Screaming Piha« zu lau-
Meine Frau zieht mich jedes Mal damit schen, zischte plötzlich irgendetwas aus ei-
auf, dass ich zu alt bin um alleine in Regen- ner Baumkrone fallend an mir vorbei, ver-
wäldern nach Vogelspinnen zu suchen. passte meinen Kopf nur ganz knapp und Eine Einführung in die Etymologie von Gattungs- und
LYNN hat durchaus Recht, wenn sie sich be- landete wenige Zentimeter entfernt auf dem
schwert, denn wann immer ich verreise pas- Waldboden. Herunterfallende tote Äste oder
Artnamen bei Vogelspinnen (Araneae: Theraphosidae)
siert mir irgendetwas Schlimmes oder ich große Blätter sind für den Regenwald durch- von Tobias Wagner
verletze mich sehr schwer. Vielleicht bin ich aus nicht ungewöhnlich. Als ich mich um-
irgendwie verflucht oder es ist »Murphy's drehte, um zu sehen was da heruntergefallen
Law«. Was immer es ist, irgendwie scheine war, lief mir ein eiskalter Schauer über den EINLEITUNG WAS IST ETYMOLOGIE?
ich vom Pech verfolgt zu werden. Diese Rei- Rücken. Vor mir lag eine etwa 180 cm lange,
se machte da keinen Unterschied. Sicherlich hat sich jeder Spinnenhalter schon Unter Etymologie versteht man die Wissen-
Während ich mit meiner kleinen Hacke einmal gefragt, was sich eigentlich hinter schaft von der Herkunft der Wörter. Dieses
versuchte einen Stein herumzudrehen, den oft schwer verständlichen bzw. auszu- Fremdwort leitet sich aus dem Altgriechi-
rutschte ich ab und traf mein Schienbein sprechenden Gattungs- und Artnamen sei- schen ab: von étymos für »wirklich, wahr,
knapp über den Gummistiefeln. Es tat sehr ner Pfleglinge an Bedeutung verbirgt. Für gewiss« und lógos für »Rede, Darlegung,
weh, aber ich untersuchte die Wunde nicht, viele bleibt es beim berüchtigten »lateini- Lehre«. Etymologie ist also wortgetreu über-
weil ich davon ausging, dass es nur eine klei- schen Namen«, eine Bezeichnung jedoch, setzt »die Lehre des Wahren« oder auch »die
ne Schramme war. Während ich den Rest die, wie später verdeutlicht wird, inkorrekt Darlegung des tatsächlichen Ursprungs«.
des Tages ganz normal weiterwanderte, ist. Dass jedoch das Beherrschen der wis-
fühlte sich mein Fuß irgendwie feucht an. senschaftlichen Artnamen auf Grund der B EZUG DER E TYMOLOGIE ZUR WISSEN -
Das war aber nichts ungewöhnliches, weil internationalen Gültigkeit der binominalen SCHAFTLICHEN NOMENKLATUR
sich im Laufe des Tages jede Menge an den Nomenklatur (= in Gattungs- und Artna-
Beinen herunter laufender Schweiß in den men aufgeteilt) gerade im Bereich der Terra- Seit der Einführung der binominalen No-
Gummistiefeln sammelt. Als ich abends zur ristik außerordentlich wichtig ist, dürfte menklatur durch CARL VON LINNÉ im Jahre
eine etwa 180 cm lange Schlanknatter (Leptophis ahaetulla)
Lodge zurückkehrte und die Gummistiefel Fotos: Rick C. West jedem erfahreneren Halter einleuchten. 1751 mit seinem Werk »Philosophia botani-
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8. ARACHNE 10(2), 2005 ARACHNE 10(2), 2005
ca« verfügt jedes wissenschaftlich erfasste (= Wenn jemand eine Erstbeschreibung durch- Der griechische Buchstabe Kappa (»k«) in son(en) entsprechend] angehängt, wie z.B.
beschriebene) Lebewesen über einen Gat- führt obliegt es ihm nun, dem neuen Objekt kéras wird in der latinisierten Form zum bei Euathlus pulcherrimaklaasi (Patronym für
tungsnamen und ein oder, im Falle von einen passenden und unfehlbaren Namen zu Buchstaben »c«, die griechische Endung PETER KLAAS), Aphonopelma mooreae (Patro-
Unterarten, mehrere sog. Artepitheton(e) erteilen, der noch nicht existieren darf. Zu- »-os« von gýros (Nominativ Singular; Mas- nym für BARBARA MOORE) oder Chaetopelma
(gr. epíthetos = hinzugefügt). Darauf basie- dem ist vorher zu klären, ob das Lebewesen kulinum) zum lateinischen »-us«. webborum (Patronym für A NN und F RANK
rend existieren heute detaillierte und kom- einer bereits vorhandenen Gattung zuge- Die Ortsbezeichnung »Bechuana« wird WEBB).
plexe Regelwerke (s. a. KRAUS et al. 2000). hörig ist, oder ob anhand der neuen Art als Artepitheton wie ein Adjektiv gehand- In vielen Erstbeschreibungen ist unter
Der Anfangsbuchstabe des Gattungsna- auch eine neue Gattung aufgestellt werden habt und muss somit dem Gattungsnamen dem Punkt Derivatio nominis in wenigen
mens wird nach diesen Regeln stets groß, muss, weil sie sich keiner vorhandenen zu- in Kasus (»Fall«), Numerus (Singular-Plural) Worten angegeben, wie es zu der Entschei-
der des Artepitheton klein geschrieben. Bei- ordnen lässt. und Genus (Geschlecht) angepasst werden dung kam, der neuen Art/Gattung den je-
de werden kursiv gedruckt. Dieses Binomen Die Namen stammen zum Großteil aus (Anm.: Die Verwendung des Plurals findet weiligen Namen zu verleihen.
ist der Artname, auch wenn es in der Zoolo- dem Lateinischen und Altgriechischen, aber jedoch nur noch als personenbezogener Ge- Im folgenden Teil sind gängige Vogel-
gie oft üblich ist, allein das Epitheton als auch aus dem Wortschatz anderer Sprachen nitiv Verwendung). Da im gegebenen Bei- spinnengattungen und -arten mit der Ety-
»Artnamen« zu bezeichnen (vgl. SUDHAUS & und beziehen sich auf Eigenschaften, Ei- spiel Ceratogyrus männlich ist, wird aus dem mologie ihres Namens aufgelistet. Die Aus-
REHFELD 1992). gennamen und weitere Dinge. Sie nehmen Ortsnamen bechuanicus. wahl erfolgte primär nach in der Terrarien-
Zur vollständigen wissenschaftlichen Be- in den meisten Fällen Bezug auf besondere haltung verbreiteten Arten. Bei weiterem
zeichnung einer Art gehören daneben noch Merkmale des beschriebenen Organsimus, [2] Brachypelma albopilosum VALERIO, 1980 Interesse sind sämtliche Etymologien für die
der Name der Person, welche die Erstbe- sind zu Ehren einer Person (oft des Ent- Brachypelma < (gr.) brachýs = kurz + tò Familie Theraphosidae im Internet unter
schreibung durchgeführt hat (auch mehrere deckers oder einer Person, die sich in beson- pélma = die Sohle, der Fuß http://etymologie.dearge.de abrufbar.
Personen), sowie das Jahr, in dem diese ver- derer Weise verdient gemacht hat) bezeich- albopilosum < (lat.) albus = weiß + pilo-
öffentlicht wurde. net oder geben Rückschlüsse auf das Her- sus = haarig H INWEIS : Die Etymologien basieren auf
Stehen Personenname und Jahr in Klam- kunftsland bzw. den Fundort der beschrie- Hier ist allein »albopilosum« die korrekte Be- fundierten Kenntnissen des Lateinischen,
mern, so deutet dies darauf hin, dass die Art benen Art. Vor allem in Hinsicht auf die zeichnung des Epithetons. »pélma« ist im Altgriechischen und anderer Sprachen und
zuvor einer anderen Gattung zugehörig be- Eigenschaften sind diese Namen häufig rein Altgriechischen ein Neutrum, also sächlich. anatomischer Strukturen im Körperbau der
schrieben wurde. subjektiv gewählt. Dies ist aber nebensäch- Das Adjektiv »pilosus« besitzt im Lateini- Vogelspinnen und auf Wissen bezüglich der
lich, da das Ziel in erster Linie nur darin be- schen die drei Endungen -us (für männlich), Regeln der internationalen Nomenklatur.
Beispiele: steht, der neuen Gattung/Art einen Namen -a (für weiblich) und -um (für sächlich). Da, Dennoch kann keine Garantie auf Richtig-
zu geben, um eine internationale und un- wie oben beschrieben, das Epitheton dem keit und Vollständigkeit gegeben werden.
[1] Ephebopus uatuman LUCAS, SILVA & BER- fehlbare Bezeichnung gemäß den Nomen- Gattungsnamen angepasst werden muss, Die Zuordnung der wissenschaftlichen
TANI, 1992 klaturregeln zu gewährleisten. muss es korrekterweise albopilosum lauten. Gattungs- und Artnamen richtet sich zum
Ephebopus uatuman wurde somit in der Gemäß den Regeln der Nomenklatur Bezieht sich das Artepitheton auf eine gegenwärtigen Zeitpunkt nach »The World
Gattung Ephebopus von LUCAS, SILVA und sind alle Namen latinisiert, d.h. in Form und Person (sog. Patronym), so wird i.A. dem Spider Catalog, Version 5.0« (P LATNICK ,
BERTANI im Jahre 1992 wissenschaftlich Grammatik der lateinischen Sprache ange- Namen die lateinische Genitivendung [dem 2004).
beschrieben. passt, selbst wenn es sich um Wörter bei- Geschlecht und dem Numerus der Per-
spielsweise altgriechischen Ursprungs handelt.
[2] Acanthoscurria geniculata (C. L. KOCH, 1841)
Da Name und Jahreszahl in Klammern Beispiel: GÄNGIGE VOGELSPINNEN MIT HERLEITUNG IHRER NAMEN
stehen, wurde Acanthoscurria geniculata
von C. L. KOCH 1841 zum damaligen [1] Ceratogyrus bechuanicus PURCELL, 1902 Glossar: PN = Patronym/Personenname, ON = Ortsname (Ortsangabe)
Zeitpunkt also in einer anderen Gattung Ceratogyrus < (gr.) tò kéras = das Horn +
beschrieben. Wie so viele früh beschrie- ho gýros = der Kreis Acanthoscurria
bene Vogelspinnenarten war A. geniculata bechuanicus < Adjektiv zum Eigennamen < (gr.) he ákantha = die Distel + (lat.) currere = laufen (?)
anfangs der Gattung Mygale zugehörig. eines Ortes (Bechuanaland) => »auf spitzen Beinen laufend«/»auf Zehenspitzen laufend« ?
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9. ARACHNE 10(2), 2005 ARACHNE 10(2), 2005
Epitheton Herleitung Bedeutung Chromatopelma
brocklehursti Eigenname PN
geniculata < (lat.) geniculatus = knotig »knotig« < (gr). tò chróma = die Farbe + tò pélma = der Fuß, die Sohle
=> »farbige Sohle«
Avicularia Epitheton Herleitung Bedeutung
cyaneopubescens < (gr.) kyáneos = schwarzblau + (lat.) pubes- »beim Heranwachsen
< (lat.) avicularis = Vogel- (avis = Vogel) cere = mannbar werden, heranwachsen schwarzblau werdend«
=> »Vogel(spinne)« [CARL VON LINNÉ beschrieb die erste Vogelspinne als Aranea (= lat. die
Spinne) avicularia]
Grammostola
Epitheton Herleitung Bedeutung
aurantiaca < (lat.) aurantiacus = orangefarbig »orangefarbig« < (gr.) tò grámma = die Schrift, Zeichnung + hé stolé = die Stola, das Gewand
avicularia < (lat.) avicularis = Vogel... (avis = Vogel) Vogel(spinne) => »beschriebenes/bemaltes Kleid«
geroldi Eigenname PN
laeta < (lat.) laetus = fröhlich »fröhlich« Epitheton Herleitung Bedeutung
metallica < (lat.) metallum = das Metall < metallicus »metallen (schimmernd)« actaeon Eigenname PN (Actaeon, Jäger in der grie-
(Adj.) chischen Mythologie?)
minatrix < (lat.) minari = drohen + -trix (fem. nomen »drohend« aureostriata < (lat.) aureus = golden + striatus = gerieft, »goldgestreift«
agentis) gerippt
purpurea < (lat.) purpura = das Purpur < purpureus »purpurn, purpurfarbig« grossa < (lat.) grossus = groß, fett »groß, fett«
(Adj.) iheringi Eigenname PN
urticans < (lat.) urtica = die Brennnessel; das Jucken»brennend, juckend« (vgl. a. mollicoma < (lat.) mollis = weich, locker + coma = »weichhaarig, flauschig«
< urticans (Adv.) 'urticating hairs' im engli- (Haupt-)Haar
schen Sprachgebrauch!) pulchra < (lat.) pulcher = schön »schön«
versicolor < (lat.) vertere = wenden, wandeln + color = »Farbe wandelnd; sich farb- rosea < (lat.) roseus = rosenfarbig, rosig, rosa »rosafarbig«
Farbe lich verändernd«
Haplopelma
Brachypelma
< (gr.) haplóos = einfach + tò pélma = der Fuß, die Sohle
< (gr.) brachýs = kurz + tò pélma = die Sohle, der Fuß => »einfache Sohle«
=> »kurze Sohle«
Epitheton Herleitung Bedeutung
Epitheton Herleitung Bedeutung albostriatum < (lat.) albus = weiß + striatus = gerieft, »weiß gestreift«
albopilosum < (lat.) albus = weiß + pilosus = haarig »weißhaarig« gerippt
auratum < (lat.) aur(e)atus = vergoldet »vergoldet« lividum < (lat.) lividus = bläulich »bläulich (schimmernd)«
boehmei Eigenname PN minax < (lat.) minari = drohen < minatrix < minax »drohend«
emilia Eigenname PN = drohend
klaasi Eigenname PN schmidti Eigenname PN
ruhnaui Eigenname PN
smithi Eigenname PN
vagans < (lat.) vagare = umherschweifen, umherzie- »umherschweifend«
hen
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10. ARACHNE 10(2), 2005 ARACHNE 10(2), 2005
Lasiodora Pterinochilus
< (gr.) lásios = zottig, wollig + tò dóron = das Geschenk < (gr.) ptérinos = von Feder gemacht + tò cheílos = die Lippe
=> »zottiges Geschenk (Bezug?)« => »gefiederte Lippe«
Epitheton Herleitung Bedeutung Epitheton Herleitung Bedeutung
difficilis < (lat.) difficilis = schwer, schwierig »schwierig« (bzgl. Bestim- murinus < (lat.) mus = die Maus < murinus = mäuse- »mäuseartig«
mung?) artig, Mäuse-
klugi Eigenname PN
parahybana Eigenname ON: Parahyba do Norte SUMMARY chisch. 6. Aufl., Langenscheidt KG, Berlin,
München.
The etymology of tarantula species names is P ERTSCH , E. & L ANGE -K OWAL , E. E.
Pamphobeteus described. On the basis of two examples (1992): Langenscheidts Schulwörterbuch
TOBIAS WAGNER points out the meaning of Latein. Lateinisch-Deutsch. Deutsch-
< (gr.) pás = voll, ganz + ho phobeteús = der Erschrecker the scientific names and the correct process Lateinisch. 21. Aufl., Langenscheidt KG,
=> »Alleserschrecker« of »composing« a scientific species name. Berlin, München.
PLATNICK, N. I. (2004): The World Spider
Epitheton Herleitung Bedeutung DANKSAGUNG Catalog, Version 5.0. online at
antinous < (gr.) antínoos = gegensinnend »gegensinnend, feindlich« http://research.amnh.org/entomolo
ornatus < (lat.) ornatus = geschmückt »geschmückt« Mein Dank gilt allen bisherigen und zukünf- gy/spiders/catalog81-87/INTRO1.html.
tigen Kritikern, Beteiligten und Interessen- The American Museum of Natural History,
Poecilotheria ten für »etymologie.dearge.de« sowie MAR- New York
TIN H UBER (Untersöchering) für die Anre- SCHMIDT, G. (1993): Vogelspinnen. Lebens-
< (gr.) poikílos = bunt, vielfältig, listig + tò theríon = das wilde Tier gung zu diesem Artikel. weise – Bestimmungsschlüssel – Haltung
=> »buntes, wildes Tier« Zu weitaus größerem Dank allerdings – Zucht. 4. erw. Aufl., Landbuch-Verlag,
bin ich meinem langjährigen Freund THO- Hannover.
Epitheton Herleitung Bedeutung MAS STEER (Ingolstadt) verpflichtet, der mir STRIFFLER, B. F. (2003): Literatur Recher-
fasciata < (lat.) fasciatus = gebändert »gebändert« mit seinen außerordentlich umfassenden che – was hat das mit Vogelspinnen zu
formosa < (lat.) formosus = wohlgestaltet, schön »schön« Sprachkenntnissen stets interessiert und tat- tun?? DeArGe-Mitteilungen 8(1): 14-18.
ornata < (lat.) ornatus = geschmückt »geschmückt« kräftig zur Seite steht. SUDHAUS , W. & K. REHFELD (1992): Ein-
regalis < (lat.) regalis = königlich »königlich« führung in die Phylogenetik und Syste-
rufilata < (lat.) rufus = rothaarig + latus = die Seite »rot behaarte Seite« LITERATUR matik. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart,
Jena, New York.
KLAAS, P. (2003): Vogelspinnen. Herkunft – WERNER, F. C. (1967): Wortelemente latei-
Psalmopoeus Pflege – Arten. 2., völlig neu bearb. nisch-griechischer Fachausdrücke in den
Aufl., Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart. biologischen Wissenschaften. 3. Aufl.,
< (gr.) ho psalmós = das Lied, der Psalm + poieín = dichten, singen K RAUS , O. ET AL . (2000): Internationale Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Halle.
=> »Psalmensänger« Regeln für die Zoologische Nomenkla-
tur. Offizieller Deutscher Text. 4. Aufl., Adresse des Autors:
Epitheton Herleitung Bedeutung Goecke & Evers, Keltern-Weiler. Tobias Wagner
cambridgei Eigenname PN MENGE, H. ET AL. (1996): Langenscheidts Zum Salm 7
irminia Eigenname PN (nach IRMI OBERHUBER, der Taschenwörterbuch Altgriechisch. Alt- 88662 Überlingen
Lebensgefährtin des Beschreibers F. SAAGER) griechisch-Deutsch. Deutsch-Altgrie- ! spideretymology@gmx.net
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11. ARACHNE 10(2), 2005 ARACHNE 10(2), 2005
Kokonbau ohne Kopulation Teil II
von Mario Wilfert
Das schon im ersten Teil erwähnte Gram- instinktiv, dass mit ihren Kokons etwas nicht
mostola grossa Weibchen (WILFERT 2003), wel- in Ordnung war, denn andere Gründe die
ches ich im Jahre 1996 als Nymphe bekam, für einen Kokonverzehr verantwortlich sein
hat inzwischen eine Größe von 7,5 cm und könnten, wie z.B. eine Störung bei der Brut-
ein Gewicht von 28 g erreicht. Nach der Er- pflege oder eine klimatische Veränderung im
langung ihrer Geschlechtsreife stellte sie am Terrarium, lagen nicht vor. Es kann aber
25.06.2001 einen Kokon her. Die Besonder- auch vorkommen, dass ein Weibchen seinen
heit an diesem Kokonbau war die Tatsache, Kokon einfach nur ablegt und ihn nicht wei-
dass ihm keine Kopulation voraus ging und ter beachtet. Bei diesem regelmäßig auftre-
es sich demnach dabei um einen sogenann- tenden Phänomen stellt sich nun die Frage geöffneter Scheinkokon von Grammostola grossa
Foto: Mario Wilfert
Nahaufnahme der unbefruchteten Eier
Foto: Mario Wilfert
ten »Scheinkokon« handeln musste. Ihrem nach den möglichen Ursachen, die einen
ersten Scheinkokon sollten bis heute noch Scheinkokonbau unter Terrarienbedingun- reinstimmung, dass bei einem Scheinkokon- SUMMARY
drei weitere folgen, die am 27.06.2002, gen auslösen könnten. Für den Kokonbau in bau wohl optimale Haltungsbedingungen
26.06.2003 und am 28.06.2004 gebaut wur- ihrem natürlichen Habitat spielen verschie- vorgeherrscht haben müssen, gab es für die- M ARIO W ILFERT owns an unmated, eight
den. Da ich ihr diese ersten drei Kokons dene Faktoren eine Rolle, wie z.B. die Kli- ses Verhalten keine plausible Erklärung, years old female of Grammostola grossa that
überlassen hatte, wurden sie von ihr inner- mabedingungen, die Jahreszeit oder der sondern nur Vermutungen. Einige der ge- produces »phantom eggsacs« since 2001.
halb der ersten Woche erwartungsgemäß Ernährungs- bzw. Gesundheitszustand. nannten Erklärungen sehen die mögliche The data of the phantom eggsacs are pre-
wieder verzehrt. Möglicherweise spürte sie Nach meinen bisherigen Beobachtungen Ursache in einer Fehlsteuerung des Zentra- sented and some suggestions concerning the
und dem Erfahrungsaustausch mit einigen len Nervensystems und einer damit verbun- reasons for this behaviour are given.
Kollegen, beginnt das Grammostola grossa denen Impulsstörung, die einen Kokonbau
Weibchen nach einer erfolgreichen Kopula- auslösen würde. Weitere Vermutungen brin- LITERATUR
tion ca.12 bis 14 Wochen später mit der gen dieses Verhalten mit einer Überfütte-
Kokonherstellung und der Eiablage von ca. rung oder den jahreszeitlich typischen Be- MEINHART, M. (2000): Kurze Einführung
500-600 Stück. Die Größe des Kokons dingungen in Zusammenhang. Was aber in die Vogelspinnenkunde. Buthus-Fach-
beträgt dabei in der Regel ca. 6-8 cm und wiederum die Frage aufwirft, warum nicht verlag,
hat ein Gewicht von ca. 8-10 g. Bei den bis- alle geschlechtsreifen, unbefruchteten und STADLER, G. (2000): Ihr Hobby Vogelspin-
her angefertigten Scheinkokons gab es ge- überernährten Weibchen zu einer ganz nen. bede Verlag, Ruhmannsfelden.
genüber dem Normalfall erhebliche Ab- bestimmten Zeit einen Scheinkokon bauen. VON WIRTH, V. (1996): Vogelspinnen richtig
weichungen, denn ihr zuletzt gebauter Da der Scheinkokonbau nicht nur auf einige pflegen und verstehen. GU Verlag, Mün-
Scheinkokon hatte ein Gewicht von 6 g und Gattungen beschränkt ist, wäre es interes- chen.
einen Durchmesser von 5 cm und beinhalte- sant zu erfahren, bei welchen Arten ähnliche WILFERT, M. (2003): Kokonbau ohne Ko-
te 114 Eier die zwischen 2 mm und 4 mm Beobachtungen gemacht wurden und ob pulation. DeArGe Mitteilungen 8(1): 19.
groß waren. Bei Gesprächen und schriftli- das regelmäßige Scheinkokonbauverhalten
chem Erfahrungssaustausch mit einigen durch eine inzwischen stattgefundene Ko- Adresse des Autors:
Kollegen berichteten mir diese über ihre Be- pulation beendet wurde. Weil es aber in der Mario Wilfert
obachtungen beim Scheinkokonbau, der Natur keine grundlosen Vorgänge gibt, wird Burgweg 19
übrigens auch bei anderen Gattungen wie hier noch einiges an Ursachen- bzw. Verhal- 35619 Braunfels
z.B. Acanthoscurria, Chilobrachys oder Haplopel- tensforschung nötig sein.
Grammostola grossa mit »Scheinkokon«
Foto: Mario Wilfert ma vorkommt. Außer der allgemeinen Übe-
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12. ARACHNE 10(2), 2005 ARACHNE 10(2), 2005
Die Spinne des Jahres 2005 gen und Mücken, die sich natürlich gerne im bestimmte Art legen und dadurch auch
menschlichen Siedlungsbereich aufhalten. mehr Informationen über ihre Gefährdung,
von John Osmani
Bei kühler Witterung zieht sich die Ze- ihre Haltung und Zucht berichten und aus-
braspringspinne allerdings in ihren Wohnge- tauschen. Darüber hinaus könnte dies auch
Wie jedes Jahr wurde auch in diesem Januar spinnstsack, den sie irgendwo zwischen den einen Werbeeffekt für das Hobby »Vogel-
wieder die Spinne des Jahres durch die Mauerfugen anlegt, zurück und wartet auf spinnen im Terrarium« darstellen, denn auch
Arachnologische Gesellschaft e.V. (AraGes) pro- besseres Wetter. dieses Thema ist vielen unkundigen Mit-
klamiert – dieses Jahr zum ersten mal in Ziel und Sinn der Proklamierung der
Kooperation mit der Belgischen Arachnologi- »Spinne des Jahres«, des »Vogel des Jahres«
schen Vereniging (ARABEL). oder eines anderen Tieres, ist es, die Bevöl-
Die Arachnologische Gesellschaft e.V. be- kerung auf eine Tierart aufmerksam zu ma-
schäftigt sich vor allem mit der Erforschung chen und Verständnis und Neugier auf die
von einheimischen Spinnentieren. Vielleicht Natur zu wecken. Bei der Spinne des Jahres
wäre es ja auch mal eine Idee für die Deutsche ist nun für dieses Jahr eine Spinnenart
Arachnologische Gesellschaft e.V. eine Vogel- gewählt worden, die aufgrund ihrer Häufig-
spinne des Jahres zu proklamieren, um auch keit in ihrem Bestand sicher nicht gefährdet
dieser Tiergruppe ein Diskussionsforum zu ist. Dies sollte aber dennoch auch zum An-
bieten? Aber dazu später mehr. Salticus scenicus
Foto: John Osmani
lass genommen werden daran zu erinnern,
Für das Jahr 2005 haben sich die Kura- dass viele andere Arten in ihrem Bestand
toren der beiden oben genannten Gesell- vollführen im Frühjahr ausgeprägte Kom- gefährdet sind – auch bei unseren einheimi- Philaeus chrysops, eine vom Aussterben bedrohte Spring-
schaften nun für die Zebraspringspinne Sal- mentkämpfe, indem sie sich mit weit ges- schen Spinnen. Um bei den Salticiden zu spinnenart
Foto: John Osmani
ticus scenicus entschieden. Neben der Be- preizten Chelizeren gegenseitig androhen. bleiben, denke ich dabei zum Beispiel an die
zeichnung Zebraspringspinne für diese Art Aufgrund ihrer Lebensweise ist die Ze- in unseren Breiten so gut wie ausgestorbene, menschen sicher noch unbekannt und mit
findet man in älterer Literatur übrigens auch braspringspinne den meisten Menschen wunderschöne Springspinne Philaeus chrysops. entsprechenden Vorurteilen belastet.
noch die Namen Harlekinspringspinne und sicher schon mal über den Weg gelaufen, Und wenn wir schon einmal beim Wer sich weiter über die »Spinne des Jah-
Mauer-Hüpfspinne. denn man kann sie durchaus als Kulturfol- Artenschutz sind, sollte natürlich dar- res« informieren will, der sollte den folgen-
Salticus scenicus ist wohl eine der häufig- ger bezeichnen, da sie bevorzugt an Haus- an erinnert werden, dass auch sehr den Bereich auf der Webseite der Arachnolo-
sten Spinnen überhaupt und sicher eine der wänden lebt. Daneben kann man sie aber viele Vogelspinnenarten in ihrem gischen Gesellschaft e.V. besuchen:
bekanntesten Vertreter der rund 80 ver- auch an Zäunen und Felsen finden. Im Ge- Bestand gefährdet sind. Die Ur- http://www.arages.de/sdj/sdj_05.php
schiedenen Arten von Salticiden (Spring- gensatz zu den beiden verwandten Arten sachen dafür sind sicher viel-
spinnen), die in Mitteleuropa vorkommen. meidet sie allerdings Baumstämme. fältig. Vielleicht wäre es SUMMARY
Durch ihr typisches »Zebraoutfit« ist sie In typischer Springspinnenmanier lauert ja auch einmal sinn-
fast unverwechselbar, auch wenn es noch 2 die Harlekinspringspinne an sonnenbeschie- voll eine »Vogel- The Arachnologische Gesellschaft e.V. (AraGes)
weitere Arten der Gattung in unserer Hei- nenen Hauswänden auf Fluginsekten, die spinne des Jah- and the belgian Arachnologische Vereniging
mat gibt die ähnlich gefärbt sind (S. cingula- sich dort zum Aufwärmen oder zur Rast res« zu prokla- (ARABEL) have proclaimed the »spider of
tus, S. zebraneus). Diese sind aber im Gegen- niederlassen. Sie schleicht sich dann an ihre mieren? Mit der the year 2005«. Salticus scenicus, a small jum-
satz zu S. scenicus nicht so häufig im Sied- Beute an, befestigt einen Sicherheitsfaden an intensiven Be- ping spider with zebra-like black and white
lungsbereich anzutreffen, sondern leben vor den Untergrund und springt ihre Mahlzeit schäftigung striped patterns has been elected.
allem an und auch unter Baumrinde. zielsicher an. Dabei ist erstaunlich, dass sie einer Art für die
Mit einer Größe von bis zu 7 mm bei durchaus Beute macht, die doppelt so groß Dauer eines Jah- Adresse des Autors:
den Weibchen ist S. scenicus zugleich die sein kann wie sie selbst. Darüber hinaus ist res könnte man John Osmani
größte Art der Gattung. Die Männchen blei- sie für den Menschen ein wirklicher Nütz- sicher sehr viel Auf- Dürerstr. 1
ben mit bis zu 5 mm etwas kleiner. Diese ling, denn sie fängt große Mengen an Flie- merksamkeit auf eine 50226 Frechen
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13. ARACHNE 10(2), 2005 ARACHNE 10(2), 2005
Einige Natur- und Terrarienbeobachtungen zur indi- • Chilobrachys huahini SCHMIDT & HUBER, BIOTOP
1996
schen Vogelspinne Chilobrachys fimbriatus POCOCK, Thailand Chilobrachys fimbriatus lebt in Bauten an Ab-
1899 (Araneae: Therphosidae: Selenocosmiinae) • Chilobrachys hubei SONG & ZHAO, 1988 hängen und Böschungen, in Höhen zwi-
von Jean-Michel Verdez & Frédéric Cléton China schen 50 cm und 2 Metern. Ein einzelnes
• Chilobrachys jingzhao Z HU, S ONG & L I , Exemplar ist unter einem großen Stein ge-
2001 funden worden. Die Erdbauten haben eine
Die Gattung Chilobrachys KARSCH, 1891 zählt • Chilobrachys dyscolus (SIMON, 1886) China maximale Tiefe von 30 cm. Sie sind auf-
aktuell 23 Arten (PLATNICK 2005): Vietnam • Chilobrachys nitelinus KARSCH, 1891 grund der gut sichtbaren Eingänge sehr
• Chilobrachys femoralis POCOCK, 1900 Sri Lanka
• Chilobrachys andersoni (POCOCK, 1895) Indien • Chilobrachys oculatus (THORELL, 1895)
Myanmar, Malaysia • Chilobrachys fimbriatus POCOCK, 1899 Myanmar
• Chilobrachys annandalei SIMON, 1901 Indien • Chilobrachys paviei (SIMON, 1886)
Myanmar, Malaysia • Chilobrachys flavopilosus (SIMON, 1884) Thailand
• Chilobrachys assamensis HIRST, 1909 Indien, Myanmar • Chilobrachys pococki (THORELL, 1897)
Indien • Chilobrachys fumosus (POCOCK, 1895) Myanmar
• Chilobrachys bicolor (POCOCK, 1895) Indien • Chilobrachys sericeus (THORELL, 1895)
Myanmar • Chilobrachys hardwicki (POCOCK, 1895) Myanmar
• Chilobrachys brevipes (THORELL, 1897) Indien • Chilobrachys soricinus (THORELL, 1887)
Myanmar Myanmar
• Chilobrachys stridulans (W OOD M ASON ,
1877)
Indien
• Chilobrachys thorelli POCOCK, 1900
Indien
• Chilobrachys tschankoensis SCHENKEL, 1963 Abb. 2: Das Typusmaterial, nach dem POCOCK die Art Chi-
China lobrachys fimbriatus 1899 beschrieben hat, wurde im We-
sten Indiens in der Region um Goa gefunden.
HERKUNFT leicht auszumachen. Die Bauten sind tubus-
förmig, relativ breit und mit Laub und ver-
Chilobrachys fimbriatus stammt aus Westindien schiedenen Pflanzenresten ausgekleidet. Die
aus der Region um Goa. Es handelt sich um Eingänge sind stark mit dichter Spinnseide
eine Art mit einer Spannweite von ca. 12-14 ausgewebt. Im Februar, während der Trock-
cm bei den Weibchen. Die Größe der adul- enzeit, herrschte eine wenig feuchte Atmos-
ten Männchen variiert stark. Sie können bis phäre im Inneren der Bauten. Die Außen-
zu drei mal kleiner als die Weibchen sein. temperatur überstieg zu diesem Zeitpunkt
Das Männchen sieht dem Weibchen sehr nie 28°C im Schatten. Es war uns nicht
ähnlich, besitzt allerdings längere und feine- möglich, sie innerhalb der Bauten zu mes-
re Gliedmaßen. Zeichnung und Färbung der sen. Es wurden in den Biotopen nur wenig
beiden Geschlechter sind annähernd iden- Beutetiere (Insekten und andere) gesichtet.
tisch, jedoch ist das Blau der Femora bei den Diese Knappheit an Futter lag möglicher-
Männchen sehr schwach ausgeprägt und weise in der unbarmherzigen Trockenheit
Abb. 1: Chilobrachys fimbriatus, Weibchen
Foto: Frédéric Cléton kaum zu sehen. der Jahreszeit begründet.
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