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»Hm«, meinte Opa Jakob
plötzlich, »mir scheint’s, ich
hab die Ursache für deinen
Unfall gefunden. Schau dir
das an: Deine Schnürsenkel
waren offen. Du bist
wahrscheinlich
draufgetreten und dann
gestolpert.«
»Oh, ich hab wohl
vergessen, sie zu bin-
den«, räumte Tristan
ein. »Ich war in einem
Wettrennen mit meinem
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Freund,
um zu
sehen,
wer am
schnellsten
draußen sein könnte,
und dabei muss ich das
ganz vergessen haben.«
»Nun, so schnell warst du
dann aber doch nicht, denn du bist
hingefallen und hast dir wehgetan. – Aber weißt du was?
Das erinnert mich an eine Geschichte über Trudy.
»Trudy...?«, fragte Tristan und wischte sich die Tränen
weg.
»Ja, Trudy war eine Libelle, die einen kleinen Unfall
hatte, ähnlich wie du. Aber sie lernte etwas sehr Nützliches
dabei.«
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»Bitte erzähl mir mehr, Opa«, bat Tristan begeistert.
»Alles begann eines Tages, als Trudy ihre Freunde Linus
und Funken traf«, begann Opa Jakob.
—♦—
Keuchend kam
Trudy bei ihren
Freunden an, die
sich in der Sonne
räkelten, und
überraschte
sie mit: »Ihr
werdet
kaum
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glauben, was ich euch jetzt zu
erzählen habe!«
»Bitte erzähl es uns!», bat Linus.
»Du siehst aber müde aus, als ob
du meilenweit geflogen wärst!«, fügte
Funken hinzu.
»Eigentlich nicht, aber ich hatte
eben einen Unfall, der mir richtig
Angst gemacht hat. Ich erzähl
euch alles!«
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Funken flatterte auf ein Löwenzahnblatt und setzte sich
darauf, während Linus es sich nicht weit davon im Gras
bequem machte. Sie waren beide ganz
gespannt auf Trudys Geschichte.
»Heute Morgen war es so warm, dass
ich beschloss, meine Libellenfreunde
am Teich zu besuchen«, fing Trudy
an. »Wir veranstalteten ein Flugspiel
und hatten viel Spaß dabei. Zuerst
flogen wir so hoch hinauf, wie wir
nur konnten, und dann kamen wir
in schnellem Sturzflug hinunter. Wir
wetteiferten gegeneinander, wer es
wohl bis knapp über die Oberfläche
des Sees schaffen würde,
um eine von den Mücken
zu erhaschen, die da
herumschwirrten, ohne
dabei nass zu werden.
Bei mir lief es nicht so
gut«, räumte Trudy ein.
»Ich konnte zwar hoch
hinauffliegen, aber
nicht so schnell hinunter
wie meine Freunde und
fing deshalb kaum eine
Mücke. Ich wurde
immer frustrierter,
weil die anderen
Libellen immer
gewannen. Ich
wurde ganz
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aufgebracht
und wollte allen
beweisen, dass ich
es ebenso gut wie
sie schaffen konnte.
Außerdem wollte ich nicht,
dass irgendjemand dachte, ich
hätte womöglich Angst, im Wasser hängen zu bleiben oder
meine Flügel nass zu machen.
Ich war überhaupt nicht mehr vorsichtig und flog wirklich
hoch hinauf und nahm mir vor, so schnell hinabzustechen, wie
es nur ging. Ich flog mit solch einer Geschwindigkeit hinunter,
dass ich die Kurve unmöglich schaffen konnte und auch keine
Mücke fing. Stattdessen schlug ich mit einem ziemlichen
Platsch auf der Wasseroberfläche auf«, erklärte Trudy.
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»Ich landete mit solcher
Wucht, dass sich alles
um mich herum zu drehen
begann. Meine Freunde
schwebten über mir und
fragten besorgt, ob alles in
Ordnung sei. Ich antwortete,
dass es mir gut gehe. Es
gelang mir dann aber nicht,
mich aus eigener Kraft aus
dem Wasser zu befreien.«
»Schlimm muss das gewesen
sein!«, rief Funken aus.
»Du hattest sicher Angst«,
meinte Linus. »Mir wäre es
jedenfalls so ergangen.«
»Am Anfang hatte ich keine
Angst, aber dann fing ich an,
mir Sorgen zu machen, als ich
merkte, dass ich unmöglich
auffliegen konnte. Meine
Flügel waren triefend nass
und deshalb so schwer,
dass ich sie nicht heben
konnte. Ich steckte fest.«
»Oh, du meine
Güte«, entfuhr es Linus,
der mit besorgtem
Ausdruck zugehört hatte.
»Und was passierte
dann?«, fragte Funken
neugierig.
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»Nun, ein paar von meinen Freunden versuchten
mir herauszuhelfen. Aber auch sie hatten nicht
genug Kraft, es zu schaffen.
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Ich dachte, ich würde eine halbe Ewigkeit im Wasser
stecken bleiben, vielleicht sogar ertrinken. Meine Freunde
beschlossen wegzufliegen, um irgendwoher Hilfe zu holen.
Bald waren sie außer Sichtweite und ich blieb allein zurück
und fühlte mich sehr hilflos.«
»Was hast du dann gemacht?«, fragte Linus.
»Ich erinnerte mich daran, dass meine Mutter immer
gesagt hatte, ich sollte beten, falls ich je in Schwierigkeiten
geraten würde. So bat ich Gott, meinen Freunden einen
Weg zu zeigen, wie sie mir helfen könnten, oder jemanden
vorbeizuschicken, der mir beistehen würde. Ich versprach
Ihm, dass ich nächstes Mal vorsichtiger sein würde, auch
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wenn ich noch so gewinnen wollte.«
»Was dann?«, unterbrach Funken.
»In dem Moment kamen zwei
Kinder auf den Teich zu. Sie hatten
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in ihrem Garten einen Frosch gefangen und wollten ihn
zum Wasser bringen, um ihn wieder freizulassen. Ich
versuchte um Hilfe zu rufen, aber sie konnten mich weder
sehen noch hören. Also betete ich noch einmal, und dann
entdeckte mich das Mädchen.
›Simon, Simon!‹, rief sie. ›Da ist eine Libelle im Wasser.
Es sieht aus, als bräuchte sie Hilfe.‹
Ihr Bruder drehte sich um und sah mich auch. Dann
fischte er mich vorsichtig aus dem Wasser.
›Das arme kleine Ding‹, meinte er. Ich hatte auch schon
Wasser geschluckt, denn ich hatte lange Zeit ums Überleben
gekämpft. ›Gut, dass du die Libelle gesehen hast, Sarah‹,
sagte er zu seiner Schwester. ›Ich weiß nicht, wie viel
länger sie noch ausgehalten hätte. Komm, wir legen sie auf
dieses Blatt hier, damit die Sonne ihre Flügel trocknet. Dann
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wird sie wieder
fliegen können.‹
›Ja, lass uns das!‹, bekräftigte Sarah.
»Wie wunderbar, dass diese Kinder genau dann
kamen, als du ihre Hilfe dringend brauchtest!«, meinte Funken.
»Du musst ja furchtbare Angst gehabt haben! Aber ich
bin froh, dass es dir jetzt wieder gut geht«, seufzte Linus
erleichtert.
»Ich auch«, pflichtete ihm Trudy bei. »Von nun an werde
ich viel vorsichtiger sein.«
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»Ganz bestimmt«, bekräftigte auch Linus mit einem
Nicken.
»Hey, kommt, lasst uns etwas spielen«, schlug Funken vor.
Die beiden anderen blickten sie an und lächelten.
»Warum nicht?«, antwortete Trudy mit einem
Schmunzeln. »Wir sollten aber vorher um Schutz beten.«
»Und ganz vorsichtig sein«, fügte Linus hinzu.
»Und daran denken, dass mitspielen wichtiger ist als
gewinnen«, schloss Funken.
—♦—
»Ich bin ja so froh, dass ich nicht in so große Gefahr
geraten bin wie Trudy«, meinte Tristan, als die Geschichte
zu Ende war.
»Ich auch«, sagte Opa und lächelte. »Es ist wichtig,
nicht zu vergessen, dass Unfälle oft passieren, weil wir
nicht vorsichtig sind, vergessen zu beten oder auch – wie
in Trudys Abenteuer – wenn wir mit anderen im Wettstreit
stehen und unbedingt gewinnen wollen.
»Ich binde wohl lieber meine Schuhe, Opa, bevor ich
wieder spielen gehe«, meinte Tristan.
»Ja, und bevor du gehst, da ist etwas aus Trudys
Geschichte, an das du dich erinnern solltest. Weißt du
noch?«
Tristan legte sein Kinn in die Hand und dachte einen
Moment nach. »Vorher zu beten?«
»Genau! Dann kann Gott dich davor bewahren, dass du
dir wehtust.«
Tristan und Opa rückten zusammen, schlossen ihre
Augen und sprachen ein kleines Gebet. Dann hüpfte Tristan
davon, um mit seinem Freund zu spielen.
Von einem nahe gelegenen Blatt aus beobachteten ihn
drei kleine Insekten und lächelten einander vielsagend zu.
16. Verpass nicht die nächste
Folge von Insectissima:
Linus' Schlaflied
Moral:
Bitte Gott, dir
beizustehen, wenn
du Hilfe brauchst,
und Er wird für
dich da sein.
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ISBN 3-03730-077-9