1. Handelsblatt Nr. 127 vom 05.07.2011 Seite 22
05.07.2011
Unternehmen und Märkte
JIM HEEKIN
"Wir haben drei Agenturen in Deutschland auf dem Radar"
Seit Ende 2006 ist Jim Heekin an der Spitze der weltweiten Werbeagentur Grey Group.Catrin Bialek
sprach mit dem Agenturchef, der seit 36 Jahren in der Werbeindustrie arbeitet, über die Relevanz von
sozialen Netzwerken, die neue Kreativitätsoffensive der Grey-Werber und geplante Agenturzukäufe.
Handelsblatt: Herr Heekin, ich habe Sie im Internet bei Facebook gesucht. Es gab mehrere Jim
Heekins - sind Sie der mit dem Hund als Profilbild?
Jim Heekin: Ja, das bin ich. Das ist übrigens ein Wheaten Terrier.
Handelsblatt: Wie oft sind Sie auf Facebook?
Heekin: Ich bin da nicht von morgens bis abends. Vielleicht so drei-, viermal die Woche. Dadurch
habe ich viele alte Freunde wiedergefunden. Und ich finde interessante Dinge über meinen 15-jährigen
Sohn heraus, der auf seiner Seite über viele Sachen schreibt (lacht).
Handelsblatt: Das ist die private Seite. Ist denn Facebook auch für die Kunden einer Werbeagentur wie
Grey relevant?
Heekin: Auf jeden Fall. Aber Sie müssen Werbung heute anders definieren. Es geht darum, wie sich
Marken an den Gesprächen im Internet beteiligen, wie sich die Menschen darüber unterhalten und was
Unternehmen darauf antworten. Das ist eine neue spannende Dimension des Marketings. Deshalb
meine ich: Jedes Unternehmen sollte mit Social Media experimentieren.
Handelsblatt: Sie sind seit fünf Jahren der Chef von rund 10 000 Grey-Werbern. Was haben Sie in
dieser Zeit verändert?
Heekin: Wir haben Grey wieder ein klares Bild gegeben. Unser neuer Agenturslogan heißt "Famously
effective since 1917". Die Menschen verstehen das sofort: Einerseits bedeutet das effektive
Werbearbeit, andererseits kreative Werbung, über die Menschen sprechen. Wir sind davon überzeugt,
dass "famous" und "effective" eng miteinander verbunden sind.
Handelsblatt: Kreativität gehörte bislang ja nun nicht gerade zur DNA von Grey … Heekin: Stimmt.
Wir haben unser kreatives Profil radikal verändert. Unser Vorgehen ist einfach: In jedem relevanten
Markt suchen wir nach den besten kreativen Talenten, um sie dann zu uns zu locken. Dabei wollen wir
nicht den etablierten Kreativchef abwerben, sondern die jungen aufstrebenden Talente, die sich eine
Hierarchiestufe darunter befinden. Die sind frischer, weniger wählerisch - und billiger (lacht).
Handelsblatt: Zeigt die Kreativitätsoffensive schon Ergebnisse?
Heekin: Sicher. Zum Beispiel beim internationalen Werbefestival in Cannes: Als ich 2006 zu Grey
kam, haben wir acht Cannes-Löwen gewonnen, 2010 waren es 20, und dieses Jahr sind es immerhin
18 Pokale.
Handelsblatt: Wie finden Ihre Werbekunden die neue Strategie?
Heekin: Viele Konzerne haben sich ebenfalls gewandelt und fordern mehr Mut und Kreativität von
ihren Agenturen. Immer mehr Werbetreibende kommen inzwischen nach Cannes, um von den
ausgezeichneten Arbeiten zu lernen. Das hätten sie früher nie getan. Damals haben sie die Agenturen
2. in zwei Gruppen eingeteilt: Es gab die sicheren Agenturen, die effektiv arbeiteten, aber dafür keine
großen Überraschungen bereithielten. Und es gab die verrückten Agenturen, die einen vielleicht
berühmt machten, mit denen man aber auch unangenehme Überraschungen erleben konnte.
Handelsblatt: Vor einigen Wochen hat die Grey-Mutter WPP die inhabergeführte Agentur Scholz &
Friends gekauft. Hält die Konsolidierung im Agenturmarkt an?
Heekin: Ja, auf jeden Fall. Spektakuläre Übernahmen dieser Größenordnung wird es dieses Jahr noch
häufiger geben. Viele große Werbenetzwerke wie WPP haben derzeit viel Geld in der Kasse und sind
deshalb in einem "Einkaufsmodus".
Handelsblatt: Welche deutschen Agenturen sind interessant?
Heekin: Es ist kein Geheimnis, dass viele Networks gerne Inhaberagenturen wie Jung von Matt oder
Serviceplan besitzen würden. Außerdem interessieren wir uns für digitale Agenturen, die
außergewöhnliche Kompetenzen haben oder einzigartige Technologien beherrschen. Egal, ob
Marktforschung, Social Media, Datenverarbeitung oder Shopper Marketing. Unser Deutschland-Chef
Uli Veigel hat derzeit mindestens drei Agenturen auf dem Radar, die er zukaufen möchte. In den
vergangenen Tagen haben wir uns die Kandidaten genauer angeguckt. Ich kann nur sagen: Sie sind
alle sehr vielversprechend.
Handelsblatt: Wie steht die Agenturgruppe Grey zahlenmäßig da?
Heekin: Als Tochterunternehmen des Werbenetzwerks WPP kann ich natürlich keine konkreten
Zahlen nennen. Nur so viel: Das globale Umsatzwachstum von Grey in 2010 lag zwischen fünf und
zehn Prozent, in den USA sogar bei 20 Prozent. In der WPP-Welt hatte Grey die höchste
Gewinnsteigerung. Auch unsere Wirtschaftlichkeit haben wir erhöht. Das ist im Werbemarkt zurzeit
schwer zu erreichen.
Handelsblatt: Grey ging es nicht immer so gut … Heekin: Nein. Glücklicherweise haben wir aber vor
der Rezession umstrukturiert. Das ist vielleicht unser Vorsprung gegenüber anderen Agenturen, die
jetzt erst mit der Umstrukturierung beginnen.
Handelsblatt: Und wie lautet Ihre Prognose für dieses Jahr?
Heekin: Es wird mindestens so gut wie das vorherige Jahr. Insgesamt sehe ich ein Wachstum zwischen
fünf und zehn Prozent. Amerika, Asien, Südamerika und die BRIC-Staaten sind weiterhin stark,
Europa hingegen bleibt schwierig. Deutschland dagegen ist eine positive Ausnahme, da hier die
Wirtschaft deutlich anzieht. Davon bin ich übrigens sehr beeindruckt.
Handelsblatt: Welche Werbekunden geben am meisten Geld aus?
Heekin: Der Gesundheitssektor ist sensationell stark und schaltet viel Werbung. Ebenfalls starkes
Wachstum sehe ich in der Luxusgüterbranche. Viele Menschen geben weniger Geld für Alltagsdinge
aus und sparen lieber, um sich ab und zu etwas Außergewöhnliches zu leisten.
Handelsblatt: Immer mehr Unternehmen nutzen die Kreativität der Kunden bei der Produktgestaltung.
Wie beurteilen Sie Crowdsourcing?
Heekin: Bei vielen Unternehmen ist die Nutzung der Schwarmintelligenz eine hervorragende Idee. In
einigen Fällen werden die Produkte von Wissenschaftlern und Ingenieuren entwickelt, die nicht nah
genug an den Konsumenten sind. Sie sind nicht unbedingt von den Bedürfnissen des Konsumenten
geleitet, sondern eher durch Wissenschaft und Technologien.
Handelsblatt: Es birgt aber auch Risiken, wenn Leute markenschädigende Gag-Vorschläge machen.
Heekin: Sicher. Aber ein Unternehmen sollte immer die Hoheit über seine Marke haben und irrwitzige
Vorschläge vorab aussortieren. Produktentwicklungswettbewerbe zeigen, wie ernst Unternehmen ihre
Kunden inzwischen nehmen. Dieses Thema wird die Kommunikationsagenturen in den nächsten
3. Jahren noch stark beschäftigen.
Handelsblatt: Herr Heekin, vielen Dank für das Interview.
Bialek, Catrin
SE (Seite):022
DE (Thema):Interview; Community; Internet-Portal; Internet; Informationstechnik; Werbeagenturen; Werbung
und Marketing;
CN (Land):Bundesrepublik Deutschland C4EUGE;
CO (Unternehmen):Grey Worldwide GmbH;
VITA
Der Manager Jim Heekin löste Ende 2006 die Werbelegende Ed Meyer als Grey-Chef ab, der die Agentur über
30 Jahre prägte, sie aber auch mit einem Modernisierungsbedarf hinterließ. Grey galt lange Zeit als effizient,
nicht als kreativ. Der 61-jährige Heekin ist ein erfahrener Agenturmanager, er führte zuvor international tätige
Agenturen wie EuroRSCG aus dem Havas-Konzern oder McCann aus dem Werbenetzwerk Interpublic.
Das Unternehmen Die Agenturgruppe Grey mit Wurzeln in den USA ist einer der größten Anbieter im Markt:
432 Büros in 96 Ländern, rund 10 000 Werber. Viele große Konzerne sind Kunden, darunter Procter &
Gamble, Kraft, Mars und Glaxo-Smithkline. Die Grey Group gehört zum britischen Werbekonzern WPP.