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16
Interview
Über der Stadt Fribourg, im Park der Auberge
Aux 4 Vents – «ein wunderbarer Ort».
«DieSpracheist
derwichtigsteSchlüsselzum
VerständnisderWelt.»
17
«Die Hommage an den Menschen
will ich noch machen»
Wir haben Stephan Eicher in Fribourg getroffen. Der Berner Musiker mit französischem
Wohnsitz steht seit mehr als 30 Jahren auf der Bühne. Mit uns hat er über Sprache und
Kultur, über das Reisen, Maschinen und seinen grössten Luxus gesprochen.
Text: Gaston Haas; Fotos: Herbert Zimmermann
Zur
Person
Stephan Eicher wird 1960 in
Münchenbuchsee geboren.
1980 hat er mit der Band
Grauzone und «Eisbär»
seinen ersten grossen Hit.
In den folgenden Jahren
avanciert Eicher zu einem
der erfolgreichsten Schwei-
zer Musiker. Seine grössten
Erfolge feiert er in Frankreich,
der Schweiz und in Deutsch-
land. Stephan Eicher lebt und
arbeitet in der Camargue.
Sprache ist Heimat, haben Sie einmal gesagt.
So gesehen haben Sie zwei Heimaten.
Spracheistsovieles.Eshatlangegedauert,bisichdas
herausgefunden hatte. Wenn mich ein Marsmensch
fragenwürde,wasichdenganzenTaglangtue,würde
ichsagen:Nun,ichglaube,ichbinKünstler.EinKünst-
leristvielleichtjemand,vondemmanakzeptiert,dass
er Dinge vereinfacht. Plötzlich abstrahiert ein Maler
die Welt, wird ein gebrochenes Herz in drei Lied-
minuten abgehandelt oder findet ein ganzes Leben
Platz in einem Roman. Sprache ist alles.
In der Schweiz haben Sie ja gleich vier Ein-
stiegsmöglichkeiten.
Stimmt. Da heisst es im Zug: «Wir kommen in fünf
Minuten in Bern an. Leider haben wir zwei Minuten
Verspätung. Ich entschuldige mich dafür und werde
mitmeinemjapanischenMessernochvorderEinfahrt
in den Bahnhof Harakiri begehen.» (lacht laut) Und
dann alles dreisprachig: willkommen, bienvenu, wel-
come – das ist traumhaft, einmalig. Die Sprache ist
der wichtigste Schlüssel zum Verständnis der Welt.
Dicht gefolgt vom Essen.
In welcher Sprache finden Sie das richtige Wort
am sichersten?
Bärndütsch, ganz klar, immer noch. Meine Selbst-
gesprächeführeichimDialekt.ÜberhauptistSprache
an meinen Konzerten zentral: Das Medley zum Bei-
spiel,dasichaufderaktuellenTourneespiele,kommt
inFrankreichganzandersdaheralsinderSchweiz.Ich
binSänger,sageichda.MeineStimmeistmeinKapi-
tal, mein Arbeitswerkzeug. Deshalb finde ich es so
schwierig,meineStimmeabzugeben(lacht).InFrank-
reichistdasnurallefünfJahremöglich,inderSchweiz
allegefühltendreiMonate.InFrankreichhabensieden
aktuellen Präsidenten gewählt, weil sie den früheren
nichtmehrwollten.UndimnächstenJahrvotierensie
danngegendieBlondineundgegenHollande.Mitdem
Ergebnis, dass der, den sie das letzte Mal nicht mehr
wollten, wieder an die Macht kommt. Solche Dinge
erzähle ich meinem französischen Publikum. In der
Schweiz wäre das unmöglich.
Unterscheidet sich das Publikum in der Schweiz
wirklich so sehr vom französischen?
Beim Automatenprojekt ist es ziemlich anders, ja.
Können Sie das illustrieren?
In Frankreich herrscht die Stimmung vor: «Oh, das
funktioniertja!»InderSchweizheissteseher«Jaund?
Es funktioniert halt.» In Deutschland hört man eher
den Satz: «Ja, wie funktioniert denn das?»
Im November wurde mitten in Paris der Kon-
zertsaal Bataclan angegriffen. Dort haben Sie
auch selbst schon oft gespielt. Kann Kultur
etwas ausrichten gegen diese Art von Gewalt?
Ja – wenn sie denn noch gehört, gesehen, begriffen
werden kann. Vielleicht existieren übermorgen in
Frankreich viele Orte gar nicht mehr, wo Kultur
entstehen könnte. Weildie neuen Sicherheitsbestim-
mungen nicht für alle finanzierbar sein werden. Paris
als Zentrum der französischen Kultur dürfte überle-
ben.DieStadtistalsSymbolundauchganzprofanals
Tourismusmotorzuwichtig.AberinderProvinzsieht
Interview
Februar | 2016
18
«Langeweileist
grossartig:Dasist
geschenkteZeit,inder
ichmachenkann,was
ichwill.DasSmart-
phonekilltdieseZeit:
ÜberallInforma-
tion,mitderich
letztlichnichts
anfangenkann.»
Interview
esschlimmaus.HiergehenwohlvieleOrtederkünst-
lerischen Kommunikation verloren.
Wie reisen Sie an Ihre Konzerte?
Die meisten Konzerte gebe ich in Frankreich. Ich bin
wahrscheinlicheinerderbestenKundenderfranzösi-
schen Staatsbahnen.
Reisen Sie allein oder in Begleitung?
Früher war ich wie ein König mit Gefolge unterwegs.
Heute reise ich fast immer alleine. Und ich habe es
schätzen gelernt, so unterwegs zu sein…
Ich staune, dass das möglich ist bei Ihrer Be-
kanntheit.
Die Leute denken: Der Typ sieht aus wie der Eicher,
vielleicht etwas älter (lacht). Aber der echte Eicher
wäre bestimmt nicht alleine unterwegs, so ganz ohne
«Entourage». Also lassen sie mich in Ruhe. Wenn sie
trotzdem auf mich zugehen, drücken sie meist ihre
Sympathie gegenüber meiner Arbeit aus. Es ist also
eher angenehm…
Wie oft sind Sie unterwegs?
Ich gebe im Jahr etwa achtzig Konzerte. So bin ich
immermalwiederaufdengleichenStreckenanzutref-
fen,deshalberkennenmichdieZugbegleiter.Beiman-
chenKontrolleurenmussichnichteinmalmehrmein
Abonnement zeigen. Wahrscheinlich gibt es von
niemandem so viele Selfies mit SNCF-Kontrolleuren
wie mit mir (lacht).
Mögen Sie keine Autos?
Auto und Flugzeug tun mir nicht gut. Ich fühle mich
darinwieeinSchaf,nichtwieeinMensch.DerZugist
für mich das einzige vertretbare Verkehrsmittel.
Meine ganze Tournee absolviere ich im Zug. Ich will
mit der Landschaft auf Augenhöhe sein. (Eicher holt
sein schwarzes Skizzenbuch hervor. Es ist voller
NotizenundZeichnungen).Ichdenkenachundzeich-
ne viel, wenn ich unterwegs bin.
Spielen Sie einzelne Ihrer Lieder, weil das Publi-
kum dies erwartet und verlangt?
Jaklar,dieLeutekommenauchwegenmeinerHits an
meine Konzerte. Das kann man mit einem Familien-
fest vergleichen: Wenn da die wichtigen Tanten und
Onkel fehlen, ist es kein Familienfest mehr, sondern
nur noch ein nettes Meeting.
Ich glaube, Paul McCartney hat mal gesagt, er
könne «Yesterday» nicht mehr hören…
…so ein Tubel (lacht herzlich und entschuldigt sich
gleich bei Sir Paul)! Wir müssen akzeptieren, dass
mancheLiedergrössersindalswirundunsüberleben
werden.
Langeweile gilt als eine Art Krankheit unserer
Zeit. Kennen Sie dieses Gefühl?
Überhauptnicht,imGegenteil(blättertwiederinsei-
nemNotizbuch).Langeweileistgrossartig,geschenk-
te Zeit, in der ich machen kann, was ich will. Das
Smartphone killt diese Zeit: Überall Information, mit
der ich letztlich nichts anfangen kann. «Déjeuner en
paix»: Davon handelt dieses Lied.
Haben Sie ein Smartphone?
Ich habe eins, ja. Das sind die Dinger, die Miles Davis
in Streamingdiensten kommentarlos neben Justin
Bieberstellen…IchbraucheeszumTelefonieren.Und
die Kamera ist wirklich gut. Den Rest habe ich ausge-
schaltet. Einer meiner Söhne hat ein Telefon zum
Aufklappen, das kann telefonieren und SMS, sonst
nichts. «Le chic ultime», so eines will ich auch.
Sie stehen allein mit den Musikautomaten auf
der Bühne. Baut man über die Wochen und
Monate auf Tournee eine Beziehung zu diesen
Maschinen auf?
Wir werden durch Maschinen ersetzt, Algorithmen
kontrollierenuns.DasscheintdienächsteEvolutions-
stufe der Menschheit zu sein. Ich habe seit 2012 mit
einertollenLivebandgearbeitet,dannmitBläsernund
mit Chören – danach hat das kreative Pendel in die
Gegenrichtung ausgeschlagen. Da kam die Idee
einerSolotourneemitMaschinen,mitAutomaten.Es
geht um Melancholie. Maschinen haben meist einen
prägnanten Rhythmus, der bei mir Melancholie aus-
löst. Das Vergängliche wird rhythmisiert. Tiktak-tik-
tak,dieUhr–einAutomat–hatesinderSchweizzur
Kunstform gebracht.
19
Februar | 2016
«Ich spiele gerne mit Realität
und Illusion»: Eicher in Fribourg.
«Wirwerdendurch
Maschinenersetzt,
Algorithmenkontrol-
lierenuns.Dasscheint
dienächsteEvolutions-
stufederMenschheit
zusein.»
«Ich möchte die Menschen tief
drinnen berühren können.»
Interview
Haben Sie Ihren Automaten Namen gegeben?
Nach einigen Konzerten kamen die Techniker zu mir
undsagten:Du,derJean-Jacques,dasSchlagzeug,hat
das und das gemacht. Nein! Das Schlagzeug heisst
SchlagzeugundnichtJean-Jacques,esisteineMaschi-
ne. Man darf die Maschinen nicht vermenschlichen.
Manchmal fragt man sich während des Konzer-
tes: Ist das jetzt Eicher oder spielt die Maschine?
Ich spiele gerne mit Realität und Illusion. Das Publi-
kum soll sich fragen: Mensch oder Automat? Eines
Tages möchte ich ein Konzert machen, bei dem die
Leutenichtmehrwissen,woderEichereigentlichist.
Was ist Ihr grösster Luxus?
HiersitzenzukönnenandiesemwunderbarenOrt,an
diesem herrlichen Tag dieses Gespräch zu führen.
Später mit meinen Technikern das Konzert von heute
Abendzubesprechen.DasPublikumzubegrüssenund
ihm zu danken, dass es sich die Zeit für meine Musik
nimmt. Es hoffentlich nicht zu enttäuschen. Etwas zu
Abend zu essen und das nächste Projekt mit meinem
Managerzudiskutieren,michalsverrücktbezeichnen
zu lassen und es dann doch auf die Beine stellen zu
können. Das ist Luxus.
Ihr grösster Fehler?
Ich denke oft, ein bestimmtes Muster verstanden zu
haben.UndverbauemirsodieMöglichkeit,spannen-
de neue Ideen kennenzulernen.
Was möchten Sie unbedingt noch erreichen?
Ich möchte mal so singen, meine Stimme so beherr-
schenkönnen,dassichdieMenschentiefdrinnenbe-
rühre. Diese Aufnahme muss ich noch machen. Es
wird eine Hommage an den Menschen sein.

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Via 01 2016 stephan eicher

  • 1. 16 Interview Über der Stadt Fribourg, im Park der Auberge Aux 4 Vents – «ein wunderbarer Ort». «DieSpracheist derwichtigsteSchlüsselzum VerständnisderWelt.»
  • 2. 17 «Die Hommage an den Menschen will ich noch machen» Wir haben Stephan Eicher in Fribourg getroffen. Der Berner Musiker mit französischem Wohnsitz steht seit mehr als 30 Jahren auf der Bühne. Mit uns hat er über Sprache und Kultur, über das Reisen, Maschinen und seinen grössten Luxus gesprochen. Text: Gaston Haas; Fotos: Herbert Zimmermann Zur Person Stephan Eicher wird 1960 in Münchenbuchsee geboren. 1980 hat er mit der Band Grauzone und «Eisbär» seinen ersten grossen Hit. In den folgenden Jahren avanciert Eicher zu einem der erfolgreichsten Schwei- zer Musiker. Seine grössten Erfolge feiert er in Frankreich, der Schweiz und in Deutsch- land. Stephan Eicher lebt und arbeitet in der Camargue. Sprache ist Heimat, haben Sie einmal gesagt. So gesehen haben Sie zwei Heimaten. Spracheistsovieles.Eshatlangegedauert,bisichdas herausgefunden hatte. Wenn mich ein Marsmensch fragenwürde,wasichdenganzenTaglangtue,würde ichsagen:Nun,ichglaube,ichbinKünstler.EinKünst- leristvielleichtjemand,vondemmanakzeptiert,dass er Dinge vereinfacht. Plötzlich abstrahiert ein Maler die Welt, wird ein gebrochenes Herz in drei Lied- minuten abgehandelt oder findet ein ganzes Leben Platz in einem Roman. Sprache ist alles. In der Schweiz haben Sie ja gleich vier Ein- stiegsmöglichkeiten. Stimmt. Da heisst es im Zug: «Wir kommen in fünf Minuten in Bern an. Leider haben wir zwei Minuten Verspätung. Ich entschuldige mich dafür und werde mitmeinemjapanischenMessernochvorderEinfahrt in den Bahnhof Harakiri begehen.» (lacht laut) Und dann alles dreisprachig: willkommen, bienvenu, wel- come – das ist traumhaft, einmalig. Die Sprache ist der wichtigste Schlüssel zum Verständnis der Welt. Dicht gefolgt vom Essen. In welcher Sprache finden Sie das richtige Wort am sichersten? Bärndütsch, ganz klar, immer noch. Meine Selbst- gesprächeführeichimDialekt.ÜberhauptistSprache an meinen Konzerten zentral: Das Medley zum Bei- spiel,dasichaufderaktuellenTourneespiele,kommt inFrankreichganzandersdaheralsinderSchweiz.Ich binSänger,sageichda.MeineStimmeistmeinKapi- tal, mein Arbeitswerkzeug. Deshalb finde ich es so schwierig,meineStimmeabzugeben(lacht).InFrank- reichistdasnurallefünfJahremöglich,inderSchweiz allegefühltendreiMonate.InFrankreichhabensieden aktuellen Präsidenten gewählt, weil sie den früheren nichtmehrwollten.UndimnächstenJahrvotierensie danngegendieBlondineundgegenHollande.Mitdem Ergebnis, dass der, den sie das letzte Mal nicht mehr wollten, wieder an die Macht kommt. Solche Dinge erzähle ich meinem französischen Publikum. In der Schweiz wäre das unmöglich. Unterscheidet sich das Publikum in der Schweiz wirklich so sehr vom französischen? Beim Automatenprojekt ist es ziemlich anders, ja. Können Sie das illustrieren? In Frankreich herrscht die Stimmung vor: «Oh, das funktioniertja!»InderSchweizheissteseher«Jaund? Es funktioniert halt.» In Deutschland hört man eher den Satz: «Ja, wie funktioniert denn das?» Im November wurde mitten in Paris der Kon- zertsaal Bataclan angegriffen. Dort haben Sie auch selbst schon oft gespielt. Kann Kultur etwas ausrichten gegen diese Art von Gewalt? Ja – wenn sie denn noch gehört, gesehen, begriffen werden kann. Vielleicht existieren übermorgen in Frankreich viele Orte gar nicht mehr, wo Kultur entstehen könnte. Weildie neuen Sicherheitsbestim- mungen nicht für alle finanzierbar sein werden. Paris als Zentrum der französischen Kultur dürfte überle- ben.DieStadtistalsSymbolundauchganzprofanals Tourismusmotorzuwichtig.AberinderProvinzsieht Interview Februar | 2016
  • 3. 18 «Langeweileist grossartig:Dasist geschenkteZeit,inder ichmachenkann,was ichwill.DasSmart- phonekilltdieseZeit: ÜberallInforma- tion,mitderich letztlichnichts anfangenkann.» Interview esschlimmaus.HiergehenwohlvieleOrtederkünst- lerischen Kommunikation verloren. Wie reisen Sie an Ihre Konzerte? Die meisten Konzerte gebe ich in Frankreich. Ich bin wahrscheinlicheinerderbestenKundenderfranzösi- schen Staatsbahnen. Reisen Sie allein oder in Begleitung? Früher war ich wie ein König mit Gefolge unterwegs. Heute reise ich fast immer alleine. Und ich habe es schätzen gelernt, so unterwegs zu sein… Ich staune, dass das möglich ist bei Ihrer Be- kanntheit. Die Leute denken: Der Typ sieht aus wie der Eicher, vielleicht etwas älter (lacht). Aber der echte Eicher wäre bestimmt nicht alleine unterwegs, so ganz ohne «Entourage». Also lassen sie mich in Ruhe. Wenn sie trotzdem auf mich zugehen, drücken sie meist ihre Sympathie gegenüber meiner Arbeit aus. Es ist also eher angenehm… Wie oft sind Sie unterwegs? Ich gebe im Jahr etwa achtzig Konzerte. So bin ich immermalwiederaufdengleichenStreckenanzutref- fen,deshalberkennenmichdieZugbegleiter.Beiman- chenKontrolleurenmussichnichteinmalmehrmein Abonnement zeigen. Wahrscheinlich gibt es von niemandem so viele Selfies mit SNCF-Kontrolleuren wie mit mir (lacht). Mögen Sie keine Autos? Auto und Flugzeug tun mir nicht gut. Ich fühle mich darinwieeinSchaf,nichtwieeinMensch.DerZugist für mich das einzige vertretbare Verkehrsmittel. Meine ganze Tournee absolviere ich im Zug. Ich will mit der Landschaft auf Augenhöhe sein. (Eicher holt sein schwarzes Skizzenbuch hervor. Es ist voller NotizenundZeichnungen).Ichdenkenachundzeich- ne viel, wenn ich unterwegs bin. Spielen Sie einzelne Ihrer Lieder, weil das Publi- kum dies erwartet und verlangt? Jaklar,dieLeutekommenauchwegenmeinerHits an meine Konzerte. Das kann man mit einem Familien- fest vergleichen: Wenn da die wichtigen Tanten und Onkel fehlen, ist es kein Familienfest mehr, sondern nur noch ein nettes Meeting. Ich glaube, Paul McCartney hat mal gesagt, er könne «Yesterday» nicht mehr hören… …so ein Tubel (lacht herzlich und entschuldigt sich gleich bei Sir Paul)! Wir müssen akzeptieren, dass mancheLiedergrössersindalswirundunsüberleben werden. Langeweile gilt als eine Art Krankheit unserer Zeit. Kennen Sie dieses Gefühl? Überhauptnicht,imGegenteil(blättertwiederinsei- nemNotizbuch).Langeweileistgrossartig,geschenk- te Zeit, in der ich machen kann, was ich will. Das Smartphone killt diese Zeit: Überall Information, mit der ich letztlich nichts anfangen kann. «Déjeuner en paix»: Davon handelt dieses Lied. Haben Sie ein Smartphone? Ich habe eins, ja. Das sind die Dinger, die Miles Davis in Streamingdiensten kommentarlos neben Justin Bieberstellen…IchbraucheeszumTelefonieren.Und die Kamera ist wirklich gut. Den Rest habe ich ausge- schaltet. Einer meiner Söhne hat ein Telefon zum Aufklappen, das kann telefonieren und SMS, sonst nichts. «Le chic ultime», so eines will ich auch. Sie stehen allein mit den Musikautomaten auf der Bühne. Baut man über die Wochen und Monate auf Tournee eine Beziehung zu diesen Maschinen auf? Wir werden durch Maschinen ersetzt, Algorithmen kontrollierenuns.DasscheintdienächsteEvolutions- stufe der Menschheit zu sein. Ich habe seit 2012 mit einertollenLivebandgearbeitet,dannmitBläsernund mit Chören – danach hat das kreative Pendel in die Gegenrichtung ausgeschlagen. Da kam die Idee einerSolotourneemitMaschinen,mitAutomaten.Es geht um Melancholie. Maschinen haben meist einen prägnanten Rhythmus, der bei mir Melancholie aus- löst. Das Vergängliche wird rhythmisiert. Tiktak-tik- tak,dieUhr–einAutomat–hatesinderSchweizzur Kunstform gebracht.
  • 4. 19 Februar | 2016 «Ich spiele gerne mit Realität und Illusion»: Eicher in Fribourg. «Wirwerdendurch Maschinenersetzt, Algorithmenkontrol- lierenuns.Dasscheint dienächsteEvolutions- stufederMenschheit zusein.» «Ich möchte die Menschen tief drinnen berühren können.» Interview Haben Sie Ihren Automaten Namen gegeben? Nach einigen Konzerten kamen die Techniker zu mir undsagten:Du,derJean-Jacques,dasSchlagzeug,hat das und das gemacht. Nein! Das Schlagzeug heisst SchlagzeugundnichtJean-Jacques,esisteineMaschi- ne. Man darf die Maschinen nicht vermenschlichen. Manchmal fragt man sich während des Konzer- tes: Ist das jetzt Eicher oder spielt die Maschine? Ich spiele gerne mit Realität und Illusion. Das Publi- kum soll sich fragen: Mensch oder Automat? Eines Tages möchte ich ein Konzert machen, bei dem die Leutenichtmehrwissen,woderEichereigentlichist. Was ist Ihr grösster Luxus? HiersitzenzukönnenandiesemwunderbarenOrt,an diesem herrlichen Tag dieses Gespräch zu führen. Später mit meinen Technikern das Konzert von heute Abendzubesprechen.DasPublikumzubegrüssenund ihm zu danken, dass es sich die Zeit für meine Musik nimmt. Es hoffentlich nicht zu enttäuschen. Etwas zu Abend zu essen und das nächste Projekt mit meinem Managerzudiskutieren,michalsverrücktbezeichnen zu lassen und es dann doch auf die Beine stellen zu können. Das ist Luxus. Ihr grösster Fehler? Ich denke oft, ein bestimmtes Muster verstanden zu haben.UndverbauemirsodieMöglichkeit,spannen- de neue Ideen kennenzulernen. Was möchten Sie unbedingt noch erreichen? Ich möchte mal so singen, meine Stimme so beherr- schenkönnen,dassichdieMenschentiefdrinnenbe- rühre. Diese Aufnahme muss ich noch machen. Es wird eine Hommage an den Menschen sein.