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KAPITEL2

    DIE DARSlELLUNG ASENETIIS IN KURZ- UNO LANGlEXT

1m ersten Kapitel wurde dargesteUt, daB JosAs eine fiktive Erzahlung ist, die
durch auBere Kriterien weder sieher datiert noch lokalisiert werden kann. Es
ist daher notwendig, einen Zugang zu JosAs auf der literarischen Ebene zu
suchen. Die Tatsache, daB JosAs in mehreren Textversionen vorliegt, kann,
so meine These, einen Einblick in die antike Diskussion urn diesen Text
gewahren. Anhand der beiden neuesten Rekonstruktionen, also des
Kurztextes der Familie d (des etwas veranderten Texts von Philonenko) und
des Langtextes der Familie b (des "Vorlaufigen Texts" von Burchard), die
beide fUr sich den Anspruch erheben konnen, als altester erreichbarer Text
zu gelten, soU deutlich gemacht werden, an welchen Themen und
Formulierungen Kontroversen entstanden sind. Da nicht vorweg entschieden
werden kann, welcher der beiden Texte der altere ist, werde ich versuchen,
die Texte miteinander ins Gesprach zu bringen.
    In der Erzahlung JosAs steht eine Frau, namIich Aseneth von Heliopolis,
die Tochter des Pentephres und seiner Frau, im Zentrum. Dieses Spezifikum,
so werde ich im folgenden zeigen, stand bereits in der Antike im Zentrum
des Interesses derer, die sich mit diesem Text beschaftigten. Die These, die
es in diesem Kapitel zu iiberpriifen gilt, ist, daB sich der Kurztext und der
Langtext gerade in der DarsteUung der Frau Aseneth signifikant
unterscheiden. 1st dies zu erweisen, so ware damit nicht nur ein
Bearbeitungskriteriurn bzw. -interesse ermittelt worden, das zu der Ent-
stehung des zweiten oder auch beider Texte gefiihrt haben konnte, die Er-
heUung einer antiken Diskussion urn das Frauenbild dieser Schrift ware auch
ein Beitrag zur Erforschung der jiidisch-heUenistischen Kontroverse urn die
RoUe der Frau in der Antike insgesamt.
    1m folgenden werde ich die beiden Texte parallel untersuchen, vor allem
die SteUen, an denen sich die Texte signifikant unterscheiden. Als Einstieg
soU eine Ubersicht iiber Ort und Charakter der Hauptunterschiede gegeben
werden (1.). Bevor ich dann mit der Untersuchung beginne, die im wesent-
lichen dem Gang der Erzahlung folgen wird (3.-5.), miissen methodische
V orilberlegungen iiber die Erhebung des Frauenbildes in einer antiken
fiktiven Erzahlung angesteUt werden (2.). AbschlieBend wird die theolo-
gische Frage nach dem Gottesbild in den beiden Texten gesondert untersucht
werden (6.).
50                                         KAPITEL2

             1. DIE UNTERSCHIEDE ZWISCHEN KURZ- UND LANGTEXT


    Der Kurztext und der Langtext unterscheiden sich ZlUlachst deutlich im
Umfang. 1 Auch wenn, wie ich bereits gezeigt habe, mit auBeren Kriterien
nicht entschieden werden kann, welcher Text der altere ist, ist es in der
Forschung unumstritten, daB beide Texte literarisch voneinander abhangen.
Wenn im folgenden von 'Textauslassung' bzw. 'TextiiberschuB' die Rede
ist, solI damit nicht ein Vorgang der Textbearbeitung, sondem lediglich der
positive Sachverhalt beschrieben werden.
    Der Langtext, d.h. der Text der Familie b (VorlT Burchards) bietet also
an zahlreichen Stellen mehr als der Kurztext, d.h. der Text der Familie d
(philonenkos Text). Zu diesen Umfangsdifferenzen treten noch ca. 520
Anderungen in der Wortwahl hinzu. Dies kann z.B. im Wechsel von a.no
und elC bestehen,2 oder nur im Wechsel von 'AcreviS und aUnl. Neben
solchen geringfiigigen Unterschieden lliBt sich aber eine signifikant unter-
schiedliche Wortwahl beider Texte beobachten, z.B.                       15,717
elCAtnapetv/napalCaA£tV;3 16,17b/12 j3A.S1tBtV/SeOlpdv4 und 23,10/10
uiD<; 'to) Seo) npOl'tO'tolCoq'a.Ya.1tTl'tD<; 'tq> Seq>.' Die Bedeutung einer
solchen Veranderung lliBt sich aber jeweils nur im Kontext beurteilen.
    Langere Lesarten finden sich fast nur im Langtext von JosAs. Der
Kurztext liest lediglich 214 Malliinger, zum allergrofiten Teil nur urn ein
Wort. Hin und wieder wird der Stil etwas verbessert, wie z.B. in 10,20(Ph)
oder 21,8(Ph),6 manchmal wird ein Sinnabschnitt hinzugefiigt, wie z.B.
12,7(Ph) oder 23,9f(Ph) und besonders in 28,15f(Ph), wo sich auch der
einzige vom Langtext nicht mitbezeugte vollst1indige Satz findet?

     1S. obenKap. I Anm. 185.
     2Das Verhaltnis von   ano  und 8K betrllgt im Kurztext insgesamt 36 zu 74 im Langtext 83
zu 101. Dies k6nnte angesiehts des Prozesses der Aufnahme von 8K in att6, der zur Zeit des
Neuen Testaments bereits begonnen hat, filr die Datierung nieht uninteressant sein, ist aber
angesiehts der Unsieherheit des Textbestandes im Detail kein sehr fundiertes Argument.
Zurnindest ist die Verrnisehung nieht verwunderlieh (vgl. Blass/Debrunner, Paragraph 209).
Die Vertausehung fmdet gegenseitig statt. Sechsmalliest der Kurztext filr EK im Langtext      ano,
zehnmal filr ano  im Langtext 8K.
   3 S. unten 6.
   4 S. unten 4.3.
   , S. unten 6.
   6 10,20(Ph) 1l1lliE OAox; YEUO'aIliVll 'tty&; statt 10,17(B): Ka c'ip-tOY OUK ecpa.YE Ka
00r0p OUK Eml:Y EY <EKl:iYalC;> 'tIlit; E1t'tCt TjpipatC; riic; 'tIl1tt:lVOOEox; aun;c;; 21,8(Ph):
yeYDjJ£YIDY 'troy YUI-HOY Ka 'tOU &i1tVOU 't1:A.ea9ty·toC; statt 21,9(B): EytYI:'tO Il&'to. 'tIlUm.
   7 Natilrlieh ist aueh bei den "Ubersehilssen" des Kurztextes erst bei der nllheren
Untersuehung im Einzelnen zu kUlren, ob und inwiefern diese sirmver!lndernd wirken. Die bier
aufgefilhrten Stellen sind lediglieh die, in denen ein SirmiibersehuB sogleieh ins Auge springt.
In 12,7(Ph) wird Gott mit dem Bild einer Mutter besehrieben [vgl. das Vater-Kind-Bild in
12,8(B)]. In 23,9f(Ph) identifiziert der Kurztext den Sohn des Pharao als N!lehsten, dem niehts
Sehlechtes anzutun ist [was urn so mehr auffi!llt, als der Langtext das 'N!lehster-sein' der
S6hne der Magde mit ihrer ZugehOrigkeit rum Volk Israel verbindet (28, 14(B))]. In 28, 15(Ph)
erkennt Levi Aseneths Rettungsaktion nieht nur ausdriieklieh an, sondern der ErzIIhler betont
DIE DARSTELLUNG ASENETHS                                              51

    Die groBten Differenzen allerdings entstehen durch W ortpassagen, .die
lediglich im Langtext zu enthalten sind. Der Umfang dieser 'Uberschiisse' ist
sehr unterschiedlich, wie auch der Charakter der Srucke. Zum einen finden
sich fiber die gesamte Lange des Textes Hinzufiigungen von einzelnen
Wortem oder Ausdriicken, sowie Wiederholungen von Satzteilen, was oft
den Eindruck einer gewissen Umstandlichkeit hervorruft. 8 Lediglich kurze
Abschnitte wie z.B. 3,4f15-8 (bis lCA.llPOv0J.1tac; iu.t(Ov) sind vollkommen
identisch.
    Zurn anderen gibt es groBere Textpassagen, die lediglich im Langtext
erhalten sind und zwar vor allem in Kapitel 10 bis 24 und 28. Die Tatsache,
daB die langsten zusammenhiingenden 'Sonderlesarten' des Langtextes in
Kapitel 1l,2-19(B) und 21,lO-21(B) zu finden sind, die anderen sozusagen
mehrmals pro Kapitel in den Kurztext eingeschoben bzw. aus dem Langtext
ausgelassen sind, zeigt noch einrnal, daB es sich beim Kurztext nicht urn
einen zuflilligen Textschwund, wie er durch Blattverlust oder ahnliches
hervorgerufen wird, handeln kann. Trotz der oben aufgefilhrten Differenzen
stimmen beide Texte in den fibrigen Kapiteln und Passagen so weitgehend
fiberein, daB die literarische Abhlingigkeit nicht bestritten werden kann.
Innerhalb der textgeschichtlichen Entwicklung miissen, das zeigen bereits
diese oberfl1ichlichen Beobachtungen, bewufite Rezensionen, d.h. kiirzende
oder erweitemde Bearbeitungen stattgefunden haben.9


abschlieBend: "Und Aseneth rettete die Manner aus dem Zom ihrer Bruder, so daB sie sie nicht
toteten."
     8 Zur "Umstandlichkeit" vgl. z.B. 1,6(B) (zweimalige Wiederholung der uioi) oder 1,7(B)
(Wiederholung des Subjekts der Rede als 6 uiex; au'mu 6 7tparto-roKO<;). Wiederholungen ge-
hOren insgesamt rum Charakter beider Texte, also der Schrift. Das besondere Bemilhen des
Langtextes ist dennoch deutlich zu spilren. Vgl. z.B. 3,1(B): BV 'tCji npo)'tCP 6't1ll 'tiiiv £7t'tCt
B'tiiiv -rils BUElrjviac; ... Kal llv ouvaywv 'tOY o'i'tov 'tfjc; El)'tT1Vta<; -n;C; xropaC; BKElVT]C; mit
1,lf(B) [l,1.3(ph)]. lO,17(B): Kal lip'mv OUK 6<paYB Kal JOWl' OUK 6mBv mit lO,l(B)
[lO,2(ph)], die viermalige Wiederholung des Ausdrucks: Bmi.'tacrm: 'tfi XBlPl 'to crn19oc;
aU'tfjc; (7tUKviiic;) lO,l(B).lS(B); 1l,1b(B).lS(B) lim Kurztext nur lO,17(Ph)], den
wiederholten Hinweis auf das zweite Gemach, in dem Aseneths Kleider sich befinden
(14,12.14(B); 18,5(B) [jeweils ohne Kurztext]). Zum Stil von 10sAs allgemein und besonders
des Langtextes vgl. Burchard, JSHRZ, 592-594.
     An einigen Stellen unterbricht der Langtext stllrker als der Kurztext den ErzahlfluB filr
einige Detailbeobachtungen. Es entsteht, modem gesprochen, eine ,,zeitlupenperspektive", z.B.
in 8,5(B); 11,lb(B); 20,5(B). Details an Aseneths Korper werden minutios beschrieben. In
diese Kategorie sind wohl auch die bildhaften Beschreibungen besonders in der zweiten HlIlfte
der Schrift einzuordnen, wie 18,3(B) 22,7-8(B). Vgl. hierzu unten 4.5.
     9 Dec Einfachheit halber gehe ich hier mit Burchard von der Existenz eines
Autor(inn)enwerks aus. Welche Schwierigkeiten entstehen konnten, wenn von einem Autor
weitere vergessene Werke oder Mss. mit stark verllndertem Wortlaut auf'tauchten, hat
eindrucksvoll Dieter Georgi, Die Aristoteles- und Theophrastausgabe, gezeigt. Georgi machte
auch darauf aufinerksam, daB vermutlich von vielen philosophischen Werken mehrere
unterschiedliche Fassungen yom Beginn der Uberlieferung an in Umlauf gebracht wurden, so
daB man nicht notwendigerweise von der Existenz nur eines Urtextes ausgehen muB. Zur
weiteren Diskussion dieses Problems, s. unten Kap. 3, 4.
52                                        KAPITEL2


    Einen ersten Hinweis auf den Charakter dieser Bearbeitungen geben be-
reits die Passagen, die sich nur in einem Text finden. Die beiden Hingsten
zusammenhlingenden StUcke, die lediglich im Langtext erhalten sind, sind
zwei Monologe, ein Selbstgesprach und ein Silndenbekenntnis Aseneths in
Kapitel 1l,2-19(B) und 21,lO-21(B). Der einzige vollstandige Satz des
Kurztextes, den der Langtext nicht mitiiest, handelt von Aseneths Rettung
der Sohne Silpas und Bilhas. Bei allen diesen UberschOssen geht es also
wesentlich urn die Darstellung bzw. Charakterisierung Aseneths. Die Frage
nach dem Frauenbild der beiden Texte ist somit nicht zufallig gewiihlt.
    Um die Strategien der Bearbeitungen zu erfassen, werde ich die Orte der
Texte aufsuchen, an denen sie sich signifikant unterscheiden. Das in einem
Text Erziihlte muJ3 erfaBt werden, urn dann den anderen Text daraufhin zu
befcagen, wie und ob er das im ersten Text Geschilderte ebenfalls berichtet,
oder ob hier Aspekte ausgelassen oder hinzugefugt werden und wie sich der
Gesamtcharakter der Erziihlung bzw. die Gewichtung einzelner Aspekte
durch dieses Mehr oder Weniger an Informationen verandert. Bevor ich in
diese Untersuchung einsteige, sollen aber noch einige methodische Uber-
legungen angestellt werden.


                        2. METHODISCHE VOROBERLEGUNGEN:
                    DAS FRAUENBILD ALS ANALYTISCHE KATEGORIE

Die Zuspitzung der Frage nach den Unterschieden zweier Textfassungen von
JosAs auf die Frage nach den jeweils erzeugten Frauenbildern wurde
zunachst an den Texten selbst entwickelt. Der Begriff ,,Frauenbild" wurde
dabei in Anlehnung an das in der US-amerikanischen theologischen Frau-
enforschung hiiufig verwendete Wort ,,image" (Bild, Abbild, Ebenbild,
Vorstellung) gewiihlt. Die mit "The Image of... " uberschriebenen Unter-
suchungen zielen auf die Erfassung der Geschlechterrollen in Texten, urn
RuckschlOsse auf die soziale Wirklichkeit hinter den Texten zu ziehen. So
schreibt Karen L. King in der von ihr herausgegebenen Anthologie The
Images of the Feminine in Gnosticism: ,,Images of gender both reflect the
social practice of men and women and playa role in shaping the gendered
character of social reality. "10
   Mit dieser sicher richtigen Feststellung hat King allerdings recht schnell
den tiefen Graben ubersprungen, den die modeme Literaturwissenschaft
zwischen fiktiven Texten und realen Autorinnen und Autoren, Leserinnen
und Lesem aufgedeckt hat. Aus fiktiven Texten kann, so betont die Litera-
turwissenschaft, zumal wenn, wie im Falle JosAs, weder Autor noch hi-
storischer Ort und Zeit aus auJ3eren, d.h. nicht dem Text immanenten,

     10   Karen L. King, Images ofthe Feminine in Gnosticism, Editor's Foreword, XI.
DIE DARSTELLUNG AsENETHS                                        53


Informationen bekannt sind, lediglich auf den impliziten Autor,l1 seine
Textgestaltung und damit auch den impliziten Leser geschlossen werden,
nicht aber auf die realen Autorinnen und Autoren, oder Leserinnen und
Leser.12 Will man dennoch etwas uber die historischen Bedingungen und die
politischen und sozialen Implikationen eines fiktiven Textes wissen, bleiben
zwei Verfahrensweisen ubrig. Zurn einen kann der Text eben auf den
impliziten Autor und den impliziten Leser, d.h. das, was gelesen werden
sollte und konnte, befragt werden. Allerdings ist dieses Verfahren fUr die
Erforschung der Frauenbilder in JosAs m.E. allein nicht hinreichend. Denn
im Gegensatz zu antiken Leserinnen und Lesem fehlt uns die Kompetenz,
die diese als Partizipienten und Partizipientinnen der antiken Diskussion urn
die Rolle der Frau batten. Daher miissen zum anderen Aussagen bzw.
Darstellungsweisen der Texte auch mit anderen literarischen Texten, die sich
mit Frauenbildem beschiiftigen, konfrontiert und so in die zeitgenossische
Diskussion eingeordnet werden.
   Die Aufdeckung eben dieser Diskussion zwischen den Textfassungen von
JosAs kann neue Quellen zur Frage nach der sozialen Wirklichkeit antiker
Frauen erschlieBen, nicht indem man vom Text auf soziale Wirklichkeit
einfach zurUckschlieBt, sondem indem man diese Texte als Teil der sozialen
Wirklichkeit antiker judischer, ,,heidnischer" und jesusbewegter Frauen
begreift.


     11 Die Rede vom impliziten Autor solI den Unterschied zum realen Autor als historischer
PersOnlichkeit betonen.
     12 Was hier mit ,,moderner Literaturwissenschaft" benannt wini, ist seit dem Ende der
sechziger Jahre in der biblischen Exegese mit dem im Deutschen nur schlecht
wiederzugebenden Wort 'literary criticism' bezeichnet worden. In Abgrenzung zu den
Fragestellungen der alteren Fonnkritik und Redaktionskritik meinen die der literary criticism
verpflichteten Forscher und Forscherinnen, daB die Texte der Evangelien bzw. der
Apostelgeschichte keine "windows" zur Wirklichkeit bieten, und daB man daher nicht hinter
die Texte auf eventuelle Quellen und Gemeindetradtionen zurUckfragen kOnne. Die Texte
blieben vielmehr ,,mirror", d.h. sie spiegeln (nur) die inhlirente Kommunikation zwischen dem
im Text eingeschriebenen Autor (d.h. dem Autor oder der Autorin, der oder die sich allein aus
dem Text als Ganzem erschlieBen laBt) und dem ebenfalls im Text eingeschriebenen Leser (d.h.
dem Leser und der Leserin, von dem oder der angenommen werden kann, der implizite Autor
habe ihn oder sie sich als Idealleser vorgestellt). Die Frage nach dem wirklichen Autor bzw. der
Autorin und den wirklichen Lesem, Leserinnen bzw. HOrern und HOrerinnen ist daher laut
literary criticism unzullissig (vgl. Norman Petersen, Literary CritiCism, besonders 9-23. Die
Metaphern 'text as window/mirror' stammen von Murray Krieger).
    In den achtziger Jahren zentrierte sich die Fragerichtung der literary criticism allerdings
allgemein auf die Frage nach dem Leser. In den Diversifizierungen der 'literary criticism', in
'narrative criticism', 'rhetorical criticism', Strukturalismus und Dekonstruktivismus, ist vor
allem die Frage nach den jeweils gemeinten Lesem bzw. Leserinnen unlstritten. Neben den
Anslltzen, die weiterhin strikt vom impliziten Leser ausgehen, d.h. die den Leser allein im Text
eingeschrieben sehen, wie Strukturalismus und 'narrative criticism', haben sich andere
Richtungen wie 'rhetorical criticism' und Dekonstruktivismus mehr der Frage nach dem Lesen
von historischen bzw. zeitgenOssischen Lesem und Lerserinnen zugewendet. Wie im folgenden
deutlich wird, liegt mein Interesse bei den historischen Leserinnen und Lesem.
54                                       KAPITEL2

2.1 Zum literarischen Frauenbild
Die Frage nach dem Bild einer Frau weist bereits auf den kiinstlichen Cha-
rakter und die damit verbundene Beschrlinkung auf die literarische Ebene
des hier Verhandelten hin. Die Erzahltextanalyse verwendet an dieser Stelle
den Begriff "Figur", urn wie Manfred Pfister betont
       einer ... weitverbreiteten Tendenz, dramatische Figuren wie Personen oder
       Charaktere des realen Lebens zu diskutieren, schon tenninologisch entgegen-
       zuwirken und so die ontologische Differenz zwischen fiktiven Figuren und
       realen Charakteren zu betonen.13
   Wie wird nun eine solche literarische Figur erzeugt? PfisterlLudwig
unterscheiden unter den 'Techniken der Figurencharakterisierung' zunachst
zwischen Figurenperspektive und Erzahlerperspektive. 14 Aus beiden
Perspektiven konnen die in der Erziihlung beteiligten Figuren direkt oder
indirekt charakterisiert werden. ,,Direkte Charakterisierungen erfolgen
entweder figural durch Figurenrede oder auktorial durch Erzahlerkom-
mentar. "IS Die Personen- bzw. Figurenrede kann entweder im Fremdkom-
mentar oder im Eigenkommentar realisiert werden, in dem die Figur explizit
ihr Selbstverstandnis darlegt, und hier wiederum entweder im mono-
logischen oder dialogischen Eigenkommentar. Diese Selbstcharakterisie-
rungen sind figurenperspektivisch gebrochen, konnen also ein falsches und
verzerrtes Selbstverstandnis darlegen, das von den Rezipientinnen und
Rezipienten durchschaut werden muB. In modemen Dramen und Erzahl-
texten entsteht beim dialogischen Eigenkommentar noch ein weiterer Ver-
zerrungsfaktor, der durch strategische Absichten, die die Figur ihrem Dia-
logpartner gegenuber verfolgt, hinzutritt.
   In antiken Erzahlungen wie 10sAs ist dies sicher nicht so ausgepriigt,
doch fallt auch hier das Arbeiten mit Spannungen, Millverstandnissen und
Unwahrheiten auf (vgl. 7,8/11 mit 8,5-6/4-6; 4,7/8 mit 12,12/11 und 20,6-
7/5; 1,9/14 mit 23,3/4).


    13 Manfred Pfister, Dos Drama, 221. Der Rekurs auf die Dramentheorie wird hier mit
Hans-Werner Ludwig, Figur und Handlung, 106-144, untemommen. Die Erzahltextanalyse
bzw. Romananalyse wie auch die narrative criticism konzentriert sich im Gefolge von Vladimir
Propp und Algirdas 1. Greimas stark auf die Handlungs- und Settings-Untersuchung und sieht
die Figuren vor allem durch die Handlungen charalcterisiert (vgl. auch Wilhelm Egger,
Methodenlehre, 74-158, besonders 125f und Mark Allan Powell, What Is Narrative
Criticism?, besonders 51-67). Dies ist sicher ein wesentlicher Aspekt. Jedoch eignet sich eine
vomehmlich von der Handlungsstruktur ausgehende Untersuchung nicht fUr direkt
voneinander literarisch abhllngige rexte. 1m folgenden schlieBe ich mich daher den von
Ludwig und Pfister vorgeschlagenen Untersuchungskriterien der Figurencharakterisierung an.
    14 Die Begrifflichkeit orientiert sich im folgenden an Ludwig, Figur und Handlung, 143f,
der die von Pfister, Dos Drama, 251-264, vorgeschlagene Begriftlichkeit fUr die
Erzahltextanalyse modifiziert.
   I' Ludwig, ebd., 144.
DIE DARSTELLUNG ASENETHS                                       55

    Der Fremdkommentar kann in erzahlenden Texten entweder durch
Figurenkommentar oder durch Erzlihlerkommentar realisiert werden. Da in
losAs ein "situationsuberlegener Erzlihler l6 auftritt",17 der nirgends als
mithandelnd identifiziert wird, sind die von ihm vorgenommenen Charak-
terisienmgen eindeutig als Aussageabsicht zu identifizieren. Figurenkom-
mentare konnen dagegen Unwahrheiten ausdrUcken (vgl. 23,3/4).
    Neben diesen direkten Charakterisienmgen unterscheiden PfisterlLudwig
noch die indirekten. Auch sie sind in erzahlenden Texten sprachlich
realisiert. Hierzu gehOren Wohnraum und Besitz, Kleidung, physische
Gestalt, realisierte Handlungsmoglichkeiten sowie auch sprachliche
Eigenheiten der Figuren.
    Zu den auktorialen Charakterisienmgstechniken gehOrt auch der Name.
Der Autor oder die Autorin kann z.B. durch die Verwendung eines
sprechenden Namens wie z.B. Psyche (Apul. met. IV-VI) die entsprechende
Figur bereits zu Beginn der Erzlihlung definieren oder durch die Verwen-
dung eines interpretierenden Namens einen charakterisierenden Bezug zur
Figur implizit andeuten. Namensetymologien sind in der Antike ein wich-
tiges Forschungsgebiet, was besonders in den Werken des Philo von
Alexandrien deutlich zutage tritt. Leider tellt er uns keine Etymologie fUr
den Namen Aseneth mit,18 Drei verschiedene Wege zu einer Deutung des
Namens Aseneth sind in der Forschung bisher beschritten worden.
Philonenko und Slinger suchten eine Deutung unter Zuhilfenahme der
agyptischen Etymologie des Namens. Aseneth bedeutet dann "die der Neith
Angehorende" oder "Sitz der Neith" oder iihnliches. 19 Philonenko deutet den
Namen Aseneth als Bild der Gottin und die Schrift selbst als Schlfissel-
roman. 20 Slinger erblickt in der Namensgebung einen
       latent aggressiven Zug ... , der iigyptische GOtter, in diesem Fall speziell Neith
       depotenziert und fUr eigentlich rnachtlos erkliirt ... Die Tragerin des erhabenen
       gottlichen Namens, mit dem ein regelrechtes Besitzverhiiltnis angezeigt wird,



    16 Der ErzlIhler von JosAs wird nirgends identifIziert. Daher ist ihm bzw. ihr auch kein be-
stimrntes Geschlecht zuzuweisen. Wenn inI folgenden von "dem ErzlIhler" geredet wird, so inI-
pliziert dies keine Entscheidung iiber das Geschlecht dieser ErzlIhlfigur.
    17 Zur Bestimrnung der erzllhlenden Figur vgl. Cordula Kahrmann u.a., Erzahltextanalyse,
143-147. Der Standort des ErzlIhlers in JosAs ist genauer als Er-ErzlIhler zu beschreiben, der
situationsiiberiegen aus einer AuBenposition erzllhlt. Sein Standpunkt zeigt sich nicht nur an
der "Konstruktionsweise einzelner erzllhlter Details" und der darin ablesbaren
ErzlIhleinstellung, sondem auch in den "expliziten Bewertungen inI ErzlIhlen iiber das
ErzlIhlte" (ebd., 147), wie es in den ErzlIhlungen der Gedanken und Gefilhle Aseneths (z.B.
16,2(B).13(B)/ ohne Ph) gegeben ist.
    18 Nach Som I 78 ist Aseneths Vater Pentephres als Priester der Sonnenstadt Priester des
Geistes.
    19 Sanger, Antikes Judentum, 59-60; ders, Bekehrung, 13-15; Philonenko, Joseph et
Aseneth, 61f).
    20 Ebd., 60-79.
56                                             KAPITEL2

          wendet sich von der ihr angestammten religiosen Uberliefenmg ab und dern
          Gott der Rebmer ZU. 21
Problematisch an dieser Namensdeutwlg sind m.E. die Voraussetzungen, die
hier gesetzt werden miissen. V orauszusetzen ware nlimlich erstens, daB den
antiken Leserinnen bzw. den antiken Lesem die Gottin Neith bekannt war
und zweitens, daB sie diese Etymologie entschliisseln konnten. Letzteres ist
nicht ganz unproblematisch, da Neith auf griechisch Nate umgeschrieben
wird, was die wenigen erhaltenen theophoren Namen auch belegen. 22
Lediglich ein koptischer theophorer Name liest ... 69.23 Es ist also nicht
zwanglaufig vorauszusetzen, daB griechisch sprechende Leserinnen und
Leser den Namen 'Acrevs9 mit Nate identifizierten. Schwer zu beantworten
ist auch die Frage nach der Bekanntheit der Gottin Neith. Bereits unter den
Ptolemaem ging ihr EinfluB stark zuriick, so daB ihre Denkmiiler zum Bau
Alexandriens verwendet wurden. Daher sind wohl auch relativ wenige
theophore Namen mit Neith erhalten. Wie in den wenigen Papyri, so wird
Neith auch in den literarischen Zeugnissen als Athene gedeutet und erkliirt. 24
Einen gewissen Bekanntheitsgrad fiber Sais und Esneh hinaus konnte Neith
allerdings als Totengottin im Osiriskreis erlangt haben.25
    1m Rahmen des jiidisch-hellenistischen Schrifttums ware eine ll.gyptische
Etymologie ohnehin ungewohnlich. Philo z.B. geht bei seinen Etymologien
vom Hebriiischen aus, wenn er Sara von i1irZ1 als herrschend deutet (Cher
41; Mut 77, Quaest in Gn 3,52; IV.122) oder Rahel als Blick der
Entheiligung von t"n und ~~i (Congr 25). Zur Deutung zieht Philo auch
den niiheren Kontext heran. So deutet er Rahel an anderen Stellen als
Sinnlichkeit wegen ihres Sitzens auf den Gotzenbildem ihres Vaters (All II
46) oder wegen der Liebesapfel, die sie Lea gibt (post 135).
    IUdische Exegeten haben daher versucht, fUr den Namen Aseneth eine
Etymologie aus dem Hebriiischen herzuleiten und eine Verbindung zwischen
dem Namen Aseneth und Zutluchtsstadt (15,7a/6) zu finden. Kaufinann
Kohler meint, daB der Name nlO~ durch eine Umstellung der Buchstaben
auf oOl/O'l (fliehen) und om~ (Zuilucht) deutet 26 Louis Ginsberg erkliirt
die Umbenennung Aseneths in Zuiluchtsstadt (15,7a/6) durch die
Ahnlichkeit von nlO~ und mono lon bedeutet ,,kriiftig sein" und im
Aramiiischen bedeutet ~lo'n sowohl "Starke" wie auch "befestigter Platz,

     21   Bekehrung, 21.
     22 llE'tEVTJS( (Dativ), 1lE'tE'tTL't1. (Dativ), N1'tTL'toc; (Genitiv) ptolemeische Zeit. Nl'tOt't1.C;
aus der Zeit des Augustus sowie Nt'tEtpoc; aus der spllten Kaiserzeit (vgl. Adolf Rusch, Art.
Neith, PRE 16/2 (1935), 2197) oder llEaj3ovaLEn,c; bzw. llE'tEvaLEn,c; U.Il. im Pap. Bruxelles
(vgi. Joseph Vergote, Les Noms Propres, 13f(Nr. 66.78).
   23 C')"Nee vgl. Gustav Heuser, Personennomen der Kopten, 61.
   24 Vgl. Plut. Is. 9; 62 (nur an letzterer Stelle nennt Plutarch uberhaupt den Namen Neith).
   25 Zum Ganzen Rusch, Art. Neith, PRE 16/2 (1935), 2188-2218.
   26 Art. Asenath, JE 2 (1902),174.
DIE DARSTELLUNG AsENETIfs                                  57


Zitadelle".27 Victor Aptowitzer leitet nlO~ von l'O~ (Ungliicksfall) abo Die
Umbenennung Aseneths in Zufluchtsstadt (l5,7a/6) konnte dann auf nlOi1
zurUckzufilhren sein, in dem Aptowitzer die Wurzeln i10i1 (sich bergen) und
lOi1 (aufbewahren) findet. 28 Zwar versuchen alle diese Autoren, durch die
hebraischen Etymologien Argumente fUr ein hebraisches Original von JosAs
zu gewinnen, doch ist die Annahme eines hebraischen Urtextes der Schrift
fUr die Existenz hebraischer Etymologien nicht unbedingt notwendig, wie
Philo zeigt. Vielmehr sind diese Etymologien traditionell. Aber der einzige
antike Beleg fUr die Annahme dieser hebraischen Etymologie, die den
Namen Aseneth mit der Deutung Zutluchtsstadt verbindet, ist die
Namensdeutung des Hieronymos, der in seinem liber interpretation is
hebraicorum nominum Aseneth mit ruina 1bersetzt. Die Riickfilhrung des
Wortes Zutluchtsstadt auf ein hebraisches Wort, das an ,,Aseneth" anklingt,
bleibt, wie oben gesehen, problematisch,29
   Die dritte Moglichkeit, den Namen Aseneth zu deuten, ist eine grie-
chische Etymologie, welche in einem koptischen Papyrus erhalten ist. 30
Aseneth wird hier als "die, die vom Tod gerettet wird" gedeutet. Oscar von
Lemm halt dies fUr eine V olksetymologie aus IX und 9o.va't0<; also
'ASavaala. 31 Diese Deutung des Namens Aseneth ist allerdings wahr-
scheinlich jiinger als die Schrift selbst.
   Es ist also durchaus moglich, daB es sich bei dem Namen Aseneth urn
einen charakterisierenden Namen handelt. Die Umbenennung in 15,7aJ6
deutet zumindest darauf bin. Aber die Bedeutung des Namens Aseneth ist
nicht mehr sicher zu erheben. FUr die hier unternommene Untersuchung ist
lediglich davon auszugehen, daB der Name von den Autoren bzw. Autorin-
nen nicht frei gewiihlt wurde, sondern in der Genesis bereits vorgegeben
war.
   Nach den von Ludwig/Pfister entwickelten Kriterien entsteht also das
Bild der Figur Aseneth beim Leser bzw. bei der Leserin durch die vom
Erzahler vorgenommene Charakterisierung Aseneths, durch die Beschrei-
bung ihres Wohnraums, ihrer Kleidung, durch die Handlungen, die er sie
ausfiihren laBt, und im Langtext zusatzlich noch durch Aseneths Gedanken,
die er dem Leser und der Leserin mitteilt. Hinzu treten noch Figurenkom-
mentare iiber Aseneth, ihre eigenen Monologe, zu denen man auch die




   27 The Legends Y, 374 Anm. 432.
   28 Aptowitzer, Asenath, 280-281.
   29 Ygl. Burchard, Untersuchungen, 92-95, der hier noch weitere Yersuche der
Rllckfilhru:ng anfilhrt.
   30    Walter M. Crum, Catalogue a/the Coptic Manuscripts, 12Of, Nr. 271, Zeile 1-3.
    31   Koptische Miszellen I-VX; (V)143f.
58                                      KAPITEL2

Gebete zahlen muB und ihre Dialoge. Dabei ist Aseneth in JosAs keine
statische, sondem eine dynamische, sich entwickelnde Figur!2
    Fiir das Bild, das sich eine Leserin und ein Leser von einer Figur machen,
ist zudem die Figurenkonstellation entscheidend. Sie bestimmt sich aus der
Zahl der Figuren einer Erzahlung und dem Anteil einer Figur am Text im
Verhliltnis zu anderen Figuren. Wenn auch nicht direkt quantitativ, so
bemessen sich hieran nicht nur die Wichtigkeit einer Person fUr den
impliziten Autor und Leser, sondem auch die angelegten Identifizie-
rungsmoglichkeiten.
    Neben dieser Frage der Figurenkonstellation ist im erzahlenden Text
auch noch die Frage des eroffneten Blickwinkels, bzw. das, was der Leserin
und dem Leser zu sehen ermoglicht (erzahlt) wird und was nicht, ent-
scheidend. So schwenkt z.B., ubertragen gesprochen, in Kapitel 9 die
Kamera zunachst auf die Abschiedsszene zwischen Pentephres und Joseph,
urn dann Aseneth in den Blick zu nehmen. Was Joseph, Pentephres, oder
seine Frau in den 8 Tagen zwischen Josephs erstem und zweitem Besuch bei
Aseneth erleben, bleibt auBerhalb des Blickfelds. Daran, wie oft eine Figur
in den Blickwinkel der Erzahlung kommt, sei es von der Erzahlinstanz oder
aus der Sichtweise einer anderen erzahlten Figur, bemiJ3t sich ihre
Wichtigkeit.
    Fiir eine Untersuchung des Bildes einer bestimmten Figur konnten nun
alle diese Faktoren, also die indirekten Charakterisierungen, Besitz, Ver-
fiigungs- und Bewegungsraurn, Wahrnehmungsmoglichkeiten etc. und die
direkten Charakterisierungen durch Erzahler, in Dialogen und Monologen, in
ihrer Entwicklung untersucht und eventuell mit einer anderen Figur
verglichen werden. Fiir die vorliegende Untersuchung muB dieses Verfahren
jedoch modifiziert werden. Durch die direkte literarische Abhangigkeit
beider Texte sind die Handlungsverlaufe so ahnlich, daB bei einer in dieser
Weise generalisierenden Untersuchung der Figur Aseneth die Unterschiede
eher verwischt wiirden, als daB sie zu Tage zu traten. Ein weiteres Problem
ergibt sich aus der Nacherzahlungspraxis, die fUr eine solche Methode
notwendig wiirde. Nacherzahlungen, die immer schon Interpretationen sind,
verstarken die Gefahr der Verwischung, zumal auch nicht sicherzustellen ist,
daB die in der Nacherzahlung einflieBenden Informationen nur aus einem
Text und nicht aus einem Konglomerat beider en1standen sind.
    Daher wird im folgenden der Text an den Orten, an denen er sich deutlich
unterscheidet, in Ubersetzung parallel gegenubergestellt und verglichen,
wobei darauf zu achten ist, die jeweilige Passage in ihrem Gesamt-
zusammenhang des jeweiligen Textes zu interpretieren. Um die Interpreta-

   32 Zur Figurenk:onzeption vgl. Pfister, Das Drama, 240-247. DaB Aseneth eine sich ent-
wickelnde Figur ist, wird nicht zuletzt an der zentralen Stellung, die der Begriff J.1S'tUVOlU
(Bulle, Sinneswandel) im Ganzen einnimmt, deutlich.
DIE DARSTELLUNG ASENETHS                                  59


tionsmoglicbkeiten der antiken Leserinnen und Leser in den Blick zu be-
kommen, werden die Besonderheiten in der Darstellung Aseneths in beiden
Textenjeweils in den Kontext der antiken Diskussion urn die Rolle der Frau
gestellt. Bevor ich in die Untersuchung einsteigen kann, muB ich daher
einige Eckpunkte dieser Diskussion aufzeigen.

2.2 Zur Frage nach antiken Frauenbildern
Um das Frauenbild des Romans 10sAs aufzuzeigen und einzuordnen, ware
es naheliegend, die Darstellung der Figur Aseneth mit den Frauenbildem
antiker Liebesromane zu vergleichen. Ein soIches Verfahren ist jedoch an
dieser Stelle aus zwei GrUnden nicht zweckdienlich. Erstens geht es in der
folgenden Untersuchung urn die Uberpriifung der These, daB die beiden hier
untersuchten Textfassungen sich gerade in dem von ihnen jeweils erzeugten
Frauenbild unterscheiden. Ein Vergleich mit Frauenbildem des antiken
Romans ware daher zu grob, urn die unterschiedliche Darstellung Aseneths
in den beiden Texten zu erfassen. Zweitens sind die Frauenbilder antiker
Romane bisher nur selten untersucht worden und zudem mit vollig kontraren
Ergebnissen, so daB sie zunachst selbst in die antike Diskussion urn die
Rolle der Frau eingeordnet werden miiBten. Im folgenden wird daher der
Vergleich der Frauenbilder in 10sAs mit denen der antiken Romane zunachst
zuriickgestellt33 und statt dessen ein Teil der antiken Diskussion urn die
Rolle der Frau herangezogen werden, der bereits genauer untersucht
wurde---die Oikonomia-Philosophie und ihre antiken Bestreitungen.
   Um die Darstellung der Frauenfiguren in 10sAs zu profilieren ist es notig,
einige Eckpunkte dieser Diskussion vorab darzustellen und einen Kanon von
sogenannter paganer wie auch jiidischer Literatur zusammenzustellen, die als
Vergleichstexte herangezogen werden konnen. Das Geschlecht als soziale
Konstruktion war gerade in der hellenistisch-romischen Zeit Gegenstand
kontroverser Diskussion. Um es mit den Worten Wayne A. Meeks' zu sagen:
        If any generalization is permissible about the place of women in Hellenistic
        society of Roman imperial times, it is that the age brought in all places a
        heightened awareness of the differentiation of male and female. The traditional
        social roles were no longer taken for granted but debated, consciously violated
        by some, vigorously defended by others. While the general status of women
        had vastly and steadily improved over several centuries, the change brought in
        some circles a bitter reaction in the form of misogyny.34

  FUr die antike Disskussion urn die Rolle der Frau soIl hier beispielhafi ein
Typos von Literatur herangezogen werden, dessen Vorbild Xenophons

   33 S. ooten Kap. 3, 5.
   34  Meeks, The Image, 179. Vgl. auch zum Ganzen besonders Klaus Thraede, A"rger;
Schottroff, Frauen in der Nachfolge, 91-100, und Sarah B. Pomeroy, Frauenleben, besonders
181-363.
60                                       KAPITEL2

Oikonomikos war. 3S In einem Dialog zwischen Sokrates Wld Kritobulos
stellt ersterer das seiner MeinWlg nach ideale Ehepaar Ischomachos Wld
Aspasia vor Wld laBt Ischomachos berichten, was er seine sehr jWlge Wld
vollig Wlerfahrene Frau gelehrt habe (VII.5f). Die Gottheit habe die Men-
schen ihrer Natur nach so gescbaffen, daB die Frau schwach Wld angstlich
sei, der Mann aber stark Wld mutig. Daher fielen dem Mann die Aufgaben
au13erhalb des Hauses zu, der Frau aber die innerhalb, niimlich die W ollar-
beiten, die EssenszubereitWlg Wld die KleinkinderziehWlg sowie die Be-
aufsichtigoog der entsprechenden Sklavinnen Wld Sklaven (VII.22-26).
Neben den AnweisWlgen liber die Fiihrung des gemeinsamen Haushalts
verpflichtet der Hausherr, nach Xenophon, seine Frau auf seine Gotter
(VILS) Wld warnt sie vor dem Tragen von Schmuck (X.2-13).
    Es ist die MeinWlg vertreten worden, Xenophon entwerfe in seinem
Oikonomikos ein emanzipatorisches Frauenbild, da er die Frau zur AHein-
verwalterin der innerhauslichen Angelegenheiten mache (VII.32-36, vgl.
auch IX.14-1 7) Wld ihr die Moglichkeit einraume, sollte sie sich hierin dem
Mann als liberlegen zeigen, ihn zu ihrem Gefolgsmann (gepa.1tcov) zu
machen (VII.42).36 Jedoch mu13 man zwischen der WirkWlg dieser Schrift im
Athen des 4. Jh. v. Chr. Wld ihrer WirkWlg auf die zahlreichen Re-
zipientinnen Wld Rezipienten in den folgenden JahrhWlderten Wlterscheiden.
In der romisch-hellenistischen Gesellschaft, in der besonders die Frauen der
oberen Schichten, wie Aspasia, faktisch Wld rechtlich liber Besitz Wld
Einflu13 auch in der Offentlichkeit verfiigten (s.u.), kann m.E. kaum noch von
einem frauenemanzipatorischen Effekt dieser Schrift gesprochen werden.
Xenophons Oikonomikos erfreute sich, neben dem peripatetischen ersten
Buch der Oikonomia des Pseudo-Aristoteles, besonders seit dem 1. Jh. v.
Chr. einer steigenden Beliebtheit. 37 Unter Riickgriff auf die Ansichten des
Aristoteles Wld des Xenophon entstehen in den nachsten JahrhWlderten
zahlreiche mit 1tBp1. OilCOVoJ.Liac; betitelte Schriften Wld Frauenspiegel. In



    3S Die nach dem Vorbild Xenophons entwickelten ,,Haushaltslehren" bilden den Kontext
vieler antiker AuBerungen fiber die Frau und werden daher hier zunllchst ausfilhrlich behandelt.
Vgl. auch Thraede, A'rger, 62-69.
    36 Vgl. z.B. Ernst Dassmann/Georg SchOllgen, Art. Haus II Hausgemeinschajt, RAC 13
(1986), besonders 823-25 und Pomeroy, The Persian King. Allerdings wird m.E. von den
Autoren und Autorinnen fibersehen, daB Ischomachos seiner Frau keine Freiheit bei der
Gestaltung des von ihr "beherrschten" Hauses einrllumt, sondern ihr sogar Anweisungen fiber
die Ordnung gibt (8,1-9,10) und ihr den Schmuck verbietet. Der Frau stand nach athenischem
Recht nach eventueller Scheidung oder dem Tod ihres Mannes auch kein Anteil an dem
gemeinsam erwirtschafteten Besitt zu. Ihr KUP10<;, dh. ihr Vater, Bruder oder Sohn bzw. ein
anderer mlinnlicher Verwandter erhielt die 1tpOu; (Mitgift) mit 18% Zinsgewinn zuruck (vgl.
Hans Julius Wolff, Art. Upou;, PRE 23,1 (1957), 133-170).
    37 Cicero fibersetzte das Werk ins Lateinische (vgl. off. IT 87 und Colum. xn praef. 7).
Philodem schreibt ebenfalls im 1. Jh. v. Chr. einen polemischen Traktat mpl. OiKovofliac;.
DIE DARSTELLUNG AsENETHS                                       61


den okonomischen Schriften der Neupythagoraer Bryson und Kallikratidas38
sowie im ersten Buch der Oikonomia des Pseudo-Aristoteles39 wird dem
Verhaltnis zwischen Mann und Frau als Herrschaftsform die Jlovapxta
zugewiesen. 40 Der Mann soIl herrschen, die Frau muB beherrscht werden. 41
Gewamt wird daher vor der Heirat mit einer reichen Frau, die selbst die
Herrschaft iibemehmen konnte. 42 Durch ihre Natur kommt der Frau zu, im
Haus zu bleiben. 43 Der Mann solI eine junge, unerfahrene Frau heiraten und



     38 Kallikratidas' Schrift nept OlKOl> £00a.11lOvias wird im folgenden nach der Ausgabe
von Holgar Thesleff, The Pythagorean Texts, 102-107, nach Seiten und Zeilen zitiert. Brysons
Oikonomikos, der vollstandig nur in arabischen Handschriften erhalten is!, nach der
Obersetzung von Martin Plessner, Der Oikonomikos, 214-259, mit den dort angegebenen
Kapitein und Paragraphen. Die Datierung der neupythagoraischen Schriften wird noch immer
kontrovers diskutiert. Friedrich Wilhelm, Die Oeconomica, nahm das 2. Jh. n. ehr. als
Entstehungszeit an. Thesleff, An Introduction, datierte sie ins 3. Jh. v. ehr. David L. Balch,
Neopythagorean Moralists, votiert nach sorgfliltiger Analyse der Diskussion filr einen weiteren
Zeitraurn urn die Zeitenwende. M.E. ist dem zuzustimmen, u.a. weil die Renaissance des
Aristoteles nach Sulla ein bekanntes Faktum ist.
     39   1m folgenden zitiert nach der Ausgabe von Ulrich Victor, [AristotelesJ
OlKONOMIKOI, 87-105. Der Herausgeber mOchte die Schrift in die Nahe Aristoteles rilcken
(vgl. besonders 167-175). Philodem von Gadara (1. Jh. v. ehr.), der aus diesem Werk zitiert,
hielt Theophrast, den Nachfolger des Aristoteles, filr den Verfasser.
     40 Pseudo-Aristot. oik. (1) 43al-4.
     41 Kallikratidas, 105,6-106,17; 106,21-107,7 (Theslefl) behandelt besonders ausfilhrlich
die zu wahlende Herrschaftsform des Mannes gegenllber der Frau. Vgl. auch Bryson ill 82;
Hierokles bei Stob. IV 22.23 (Hense).
     42 Kallikratidas 106,14-19; Bryson ill 85-89.
     43 Vgl. Pseudo-Aristot. oik. (1) 43b26-44aS: "So ist von der Gottheit die Natur jedes
einzeinen, des Mannes und der Frau, auf die Gemeinschaft hin angelegt: (Thre Naturen) sind
n!im.l.ich dadurch voneinander unterschieden, dal3 ihre (jeweilige) Fahigkeit nicht in allen
F!Illen demselben (Zweck) dient, sondem manches gegenslltzlichen (Zwecken), wenn es auch
denselben (heiden gemeinsarnen Endzweck) anstrebt. Denn (die Gottheit) hat das eine starker,
das andere schwllcher gemacht, damit das eine infolge seiner Furcht vorsichtiger, das andere
aufgrund seiner Tapferkeit verteidigungsbereiter sei, und damit das eine die Angelegenheiten
auBerhaib bestreite, das andere die im Haus besorge. Und in Hinsicht auf die Arbeit (hat die
Gottheit) das eine flIhig zu einer sitzenden Lebensweise (gemacht), filr Aufenthalte im Freien
aber (zu) schwach, das andere filr ruhige Tlitigkeiten ungeeigneter, filr mit Bewegung
verbundene Tlitigkeiten aber kraftig" (Obers. Victor). Vgl. auch Bryson ill 75.80. Der Stoiker
Hierokles (2. Jh. n. ehr.), der ebenfalls einen Oikonomikos und eine Schrift mit dem Titelnept
ya,wl> geschrieben hat (vgl. Stob. IV 28.21 (Hense) und IV 22.21-24 (Hense» lOst die
traditionelle Arbeitsteilung zwischen Arbeiten im Haus und auBerhaib zunllchst scheinbar auf,
wenn er die Arbeiten, die kOrperliche Kraft benOtigen, wie z.B. Schleifen, Teig kneten, Wolle
schneiden, Wasser tragen, den Mlinnern zuordnet (IV.28.21 = 698,13-699,2 (Hense» und den
Frauen Feldarbeiten in Gesellschaft ihres Mannes, wie Frilchte einsarnmein und Oliven
pf1llcken, zuweist (ebd., 699,2-14). Dennoch betont auch er die traditionelle Arbeitsteilung
(696,23-697,3), und die Frauen bleiben auch bei ihrn von Arbeiten in Hinsicht auf die
Marktpilitze und in der Stadt (m nept   m.;     cXy~ Kat -riJv cX<rnJ1tOA.laV 697,1f), d.h. von
der MOglichkeit zur politisch wirksarnen Tlitigkeit, ausgeschlossen. Zudem birgt diese neue
Arbeitsverteilung keineswegs die AufiOsung des Verhaltnisses von Herrscher und Beherrschter
zwischen Mann und Frau (IV.22.23), und auch Hierokles warnt vor der Heirat mit einer
reichen Frau (4.22.24 (506,14-507,5». Was hier wie auch bei anderen Stoikem sichtbar winl,
ist ein gewisser Sinn filr die praktische Wirklichkeit. S. auch unten.
62                                        KAPITEL2

sie in ihren Aufgaben sowie im rechten Verhliltnis zu ibm unterweisen. 44
Hintergrund der okonomischen Schriften ist der Gedanke, daB ein Staat nur
gut gedeiben kann, wenn seine kleinsten Einheiten, die Hauser (otKot),
wohlgeordnet sind.45
   Speziell mit Verhaltensregeln fUr die Frau beschaftigen sich in iihnlicher
Weise Frauenspiegel, wie sie im ersten Kapitel des dritten Buches der
Pseudo-aristotelischen Oikonomia46 und in den Schriften der Neu-
pythagoraerinnen Periktione (1t£pl. yuvatKOc; CtpJ.loviac;) und Phintys (1t£pl.
YUVatKOc; O"rocppocrUvac;) vorliegen.47


     44Vgl. Pseudo-Aristot. oik. (I) 43a22-24; Kallikratidas, 107,4-11 (Thesleft); Bryson ill 84.
     45  Vgl. bereits Aristot. pol. 1253b,1-14. Ebd., 1259a,37-1260b,35 wird das rechte
Verhlll.tnis zwischen Hausherr und Frau als Herrscher und Beherrschte ausgefilhrt und aus der
Natur der Geschlechter begriindet sowie die jeweiligen Tugenden der Geschlechter verhandelt.
Neben dem Verhlll.tnis yom Hausherm zu seiner Frau behandeln die Oikonomia-Schriften
traditioneller Weise auch sein Verhlll.tnis zu Sklaven, Kindem und Besitz.
    46 Zitiert nach der Ausgabe von Franciscus Susemihl, Aristotelis qlUle feruntur
oeconomica, 40-63. Die auffilllige Verwandtschaft zwischen diesem dritten Buch der
Oikonomia des Pseudo-Aristoteles und Plutarchs Coniugal Precepts (mor. 138B-146A) hat
bereits Karl Praechter, HierokJes der Stoiker, 131-137, herausgestellt. Die Weiterentwicklung
und Ausfilhrung der Gedanken verrat zudem einigen Abstand von dem ersten Buch der
Oikonomia des Pseudo-Aristoteles, so daB ich Praechter zustimmen wilrde und den Verfasser
eher nach der Zeitenwende verrnute. Praechter verweist bereits auf die Verwandtschaft dieses
Traktats mit Periktiones nepl. YUVCltKO<; (xpJ.1OvlW; (ebd., 137).
    47 Zitiert nach Seiten und Zeilen bei Thesleff. Bereits Wilhelm, Die Oeconomica, hat die
Schriften der Periktione und der Phintys der okonomischen Literatur zugeordnet. Johannes
Stobaeus filhrt in seinem Kapitel oiKoVOlltK~ (IV 28 (Hense)) Periktione U.a. neben Xen. oik;
Kallikratidas und Bryson sowie Plut. mor. 138B-146A und Musonius Rufus an.
    Wer diese Frauenspiegel geschrieben hat, ist in der Forschung umstritten. Mary Ellen
Waithe und vorsichtiger Vicki Lynn Harper, Authenticating, halten sie fur echte Schriften von
Platos Mutter Periktione und Kallikratidas Tochter Phintys und datieren sie ins 4.-3. Jh. v. Chr.
Thesleff, Introduction, 113-115, hlll.t sie fur pseudonym und datiert sie ins 3.-2. Jh. v. Chr. ,
halt dies aber spater (On the Problem) fur zu frilh. Wilhelm, Die Oeconomica, und Balch,
Neopythagorean Moralists ordnen sie ins 1. Jh. v.-2. Jh. n. Chr. ein. Vgl. auch E.A. Judge, A
Woman's Behaviour. Diese Datierung deckt sich auch mit den inhaltlich verwandten Briefen
der Neuphythagoraerinnen Melissa, Myia und Theano, die Alfons StlI.dele, Die Briefe, aile in
diesen Zeitraum, sogar eher ans Ende einordnet (vgl. besonders 256; 269; 293; 308f; 325 u.o.).
Wenn in Phintys' Schrift mit bpYlClOJ1O und IlCl'tp(Xl0I.lO (152,2lf; 154,7-10 Thesleft) die
Bakchanalien und Kybelefeiem gemeint sind, was die weitere Beschreibung von Rausch und
Ekstase bei den gottesdienstlichen Handlungen nahelegt, und weiter gesagt wird, daB ein
gemeinsames Gesetz der Stadt verhindere, daB Frauen diese Feste feiem, so macht diese
Begrilndung mehr Sinn, wenn es ein solches Gesetz gibt bzw. gegeben hat. Die Bakchanalien
wurden 186 v. Chr. verboten (vgl. das entsprechende Gesetz bei Mary Lefkowitz and Maureen
Fant, Women's Life, 250-52 (Nr. 243) und Liv. 39,8-18). Die Teilnahme romischer
Bilrgerinnen und Bilrger an den Kybelemysterien war ebenfalls yom 2. Jh. v. Chr. bis in die
Mitte des 1. Jh. n. Chr. verboten (vgl. H. LeBonniec, Art. Magna Mater, LAW (1965),1812).
    DaB die Briefe Uberhaupt von Frauen verfaBt sind, wurde verschiedentlich angezweifelt
(vgl. z.B. Susan G. Cole, Could Greek Women Read and Write?, 229; Pomeroy, Frauenleben,
203-206). Aber auch wenn die pseudonyme Abfassung von Schriften derartigen Inhalts unter
einem weiblichen Pseudonym eine politisch kluge Taktik gewesen ware, ist es nicht
unm6glich, daB Frauen selbst derartige Meinungen vertreten haben (vgl. auch Jane M. Snyder,
The Women and the Lyre, 108-113).
DIE DARSTELLUNG ASENETHS                                        63


   Auch hier wird die Frau aufgefordert, im Inneren des Hauses zu
bleiben,48 ihre Keuschheit zu bewahren,49 den Mann zu lieben und zu
fUrchten,so auch wenn er die eheliche Treue miBachtet,SI und sie wird
eindringlich vor Schmuck gewarnt.52
   Diesem Bild der im Haus verbleibenden, allein um das Wohl ihres
Mannes bemiihten Frau, die entweder tiber moglichst wenig eigene finan-
zielle Ressourcen verfiigt oder sie jedenfalls nicht fUr eigene Zwecke aus-
gibt, steht das Bild gegentiber, das sich aus Inschriften und Epigrammen
ergibt. Phile aus Priene z.B. baute im 1. Jh. v. Chr. aus ihren eigenen Mitteln
Wasserleitungen und einen Wasserbehalter und bekleidete (als erste Frau,
wie betont wird) das Magistratsamt der [cr't]Ecp<lVTJ<POp"cra[cra].53 Plancia
Magna, die im 2. Jh. n. Chr. in Perge lebte, hatte zahlreiche Stadtamter inne,
darunter das der eponymen OTlJltOUpy&; und der Gymnasiarchin,54 also der
Vorsteherin des ortlichen Gymnasiums, und baute sowohl Teile des groBen
Stadttores der Stadt Perge als auch einen Triumphbogen. ss Auch wenn der

   48 Pseudo-Aristot. oik. (ill) 140,6-9; Phintys 152,9-11; 154,1-6 (Theslefl).
   49 Periktione 143,4-9.26f(Theslefl); Phintys 152,20.24-153,15 (Theslefl).
    50 Pseudo-Aristot. oik. (ill) 141,7-10 und Melissa an Kleareta 160, 19-22 (Stadele) weisen
die Frau an, den Willen des Mannes fO.r ihr Gesetz (lexiv6j.1o<;) zu halten. Vgl. auch
Pythagoras' Rede zu den Frauen, Iambl. vita Pyth. 11.54
    Sl Periktione 144, 8-17 (Theslefl); Theano an Nikostrate 170-175 (Stadele) und Eudike
179-181(Stlldele) vgl. auch Pseudo-Aristot. oik. (ill) 141,13-29.
    S2 Periktione 143,9-27 (Theslefl); Pseudo-Aristot. oik. (ill) 140,10-18; Phintys 153,12-29
(Theslefl); Melissa an Kleareta 160f (Stadele) vgl. auch Iamb!. vita Pyth. 11. 56 und schon Xen.
oik. Vm.l-IX.13; Pseudo-Aristot. oik. (I) 44aI8-22.
    S3 Vgl. H. W. Pleket, Epigrapha II, 16 (Nr.5) und Lefkowit7iFant, Women's Life, 24 (Nr.
48). Zom Amt der Stephanephoros s. auch Paul R. Trebilco, Jewish Communities, 12lf.
    S4 ZU weiteren Gymnasiarchinnen vgl. Lefkowit7iFant, Women's Life, 157-159 (Nr. 159.
164l' Vgl. auch Trebilco, ebd., 117f.
     S VgI. Reinhold Merkelbach und Sencer Sahin, Die publizierten Inschriften, 97-169,
besonders 120-123 (Nr. 29-37) und Mary T. Boatwright, Plancia Magna. Zu weiteren reichen
und einflul3reichen Frauen S.a. Ramsay MacMullan, Women in Public, Riet Van Bremen,
Women and Wealth, und Trebilco, Jewish Communities, 113-126. Unter den Historikerinnen
und Historikem ist es omstritten, was diesen (erstaunlichen) EinfluB hellenistisch-rOmischer
Frauen in der Offentlichkeit bewirkt hat und ob mit diesem EinfluB eine Verllnderung des
Rollenbildes von Frauen einherging. Pomeroy, Frauenleben, vg!. auch dies., Women in
Hellenistic Egypt, macht die groBe rllumliche Flexibilitllt der Menschen seit dem Beginn des
hellenistischen Zeitalters und die damit verbundene AuflOsung des traditionellen 01KO<; fO.r
eine allgemeine Emanzipation von Frauen verantwortlich. Dagegen hat Van Bremen, Women
and Wealth, eingewandt, daB die von Pomeroy angenommene Entwicklung yom Rechtsstatus
der "eingesperrten" athenischen zur "freien" hellenistischen Frau nicht festzustellen ist, wenn
man die Quellen tiber die rechtlichen MOglichkeiten aller griechischen Frauen vor dem 2. Jh. v.
ehr. betrachtet. Da auch die reichen Wohltaterinnen der hellenistischen Stadte in den
Inschriften trotz ihrer politischen Taten weiterhin mit "konservativen" Frauentugenden geehrt
Wiirden, widerspricht Van Bremen dem Entwicklungsmodell und meint stattdessen, daB Titel
wie ,,Mutter der Stadt" oder "Tochter der Stadt" andeuten, daB das traditionelle Farnilienmodell
auf die Stadt ausgeweitet werde. Allerdings trifft es nicht zu, daB aile reichen Spenderinnen in
den Inschriften mit angestammten Tugenden gepriesen werden (vgl. z.B. Phile). Und auch
wenn in der rOmischen Oberschicht, zu der viele dieser Frauen gehCirten, konservative
Gesinnung nicht untiblich gewesen sein mag, IllBt sich dieses Urteil nicht auf die politisch
64                                        KAPITEL2

Reichtum dieser Frauen zwar keineswegs singulIlr ist, doch eher nur von
einer Minderheit geteilt wurde,56 sind sowohl in Pompeji wie auch in Papyri
aus Agypten Frauen belegt, die Land, Hiiuser oder Sklavinnen bzw. Sklaven
besaBen und diese kauften, verkauften oder vererbten.'7 Inschriften und
Epigramme zeigen Frauen, die Wagen- oder Pferderennen gewannen oder
selbst Liiuferinnen waren. '8 Auch Dichterinnen gewannen Wettkiimpfe. '9
Dabei scheinen sich Frauen auch fUr Politik interessiert zu haben60 und
vereinzelt unter starker MiBbilligung miinnlicher Historiographen sind sie
z.B. bei Verschworungen oder vor Gericht politisch tiitig gewesen.61
   Auch wenn die bier aufgefiibrten Frauen nur eine Minderheit gegenuber
den jeweils bezeugten M1i.nnem darstellen,62 zeigt dies, daB das oIleO<;-
Modell, das gerade wohlhabende Frauen im Blick hat, nicht (mehr) die
einzig maBgebende Wirklichkeit in hellentistisch-romischer Zeit bedeutet.
Die okonomischen Schriften wollen vielmehr proskriptiv sein und entwerfen,

weniger einfluBreichen, aber durchaus mit finanziellen Ressourcen ausgestatteten Frauen der
Provinzen ausweiten (s. unten). Boatwright, Plancia Magna, wendet m.E. ZIl Recht gegen Van
Bremen ein, daB die Zeugnisse von Frauen wie Plancia Magna "enable us to see elite women's
lifes in more detail, and the contradictions these lifes pose to the hegemonic paradigm. Plancia
Magna and a significant number of other elite women crossed over into traditionally male
roles, public ones, and achieved status and prominence equal to that of many men" (263).
     '6 Vgl. Van Bremen, Women and Wealth; Leikowit:1iFant, Women's Life, 157-59 (Nr.
158f; 160; 162-165). S. auch zum Ganzen Wolfgang Schuller, Frauen in der griechischen
Geschichte, besonders 106-126, und ders., Frauen in der romischen Geschichte.
    '7 Vgl. z.B. Lefkowit:1iFant, Women's Life, 201 (Nr. 202); 236f (Nr. 223; 225) Kraemer,
Maenads, 89f (Nr. 46f); Pomeroy, Women in Hellenistic Egypt, 83-173; fUr ltalien in der
Kaiserzeit Liselot Huchthausen, Herkunft und okonomische Stellung, sowie speziell fUr
Pompeji MacMullen, Women in Public, 209-211, und Schuller, Frauen in der romischen
Geschichte, 22-33. Unter den Berufen, die Frauen ausilbten, sind Arnme, Antin und Hebamme
neben zahlreichen Weberinnen am besten bezeugt, aber es gibt auch HAndierinnen (vgl. z.B.
Lefkowit:1iFant, ebd., 29 (57f); Geldverieiherinnen (vgl. Schuller, ebd., 22); Malerinnen
(Lefkowit:1iFant, ebd., 169 (Nr. 181)); Lehrerinnen und Schreiberinnen (vgl. Lefkowit:1iFant,
ebd., 169 (Nr. 183), SchOnschreiberinnen (bei Origines vgl. Eus. hist.eccl. VI.23.2) und
Steuereintreiberinnen (2./3. Jh. n. Chr. vgl. P. 1. Sijpesteijn, A Female Tax Collector und ders.,
Another Female Tax Collector). Vgl. auch Monika Eichenauer, Untersuchungen zur
Arbeitswelt.
    5& LefkowitzlFant, Women's Life, 23f(Nr. 44-47); 160 (169).
    '9 V gl. Schuller, Frauen in der griechischen Antike, 115.
    60 Vgl. die Wahlempfehiungen von Frauen mit und ohne (ihren) Mann fUr die Wahl der
Aedilen in Pompeji (LefkowitzlFant, Women's Life, 213 (Nr. 210)).
    61 V gl. Sail. Catil. 25 llber die nach dem Urteil Sallusts hochgebildete Semporina, die an
der Catilinischen VerschwOrung beteiligt war. Val. Max. 8.3 ilber Amesia Sentina, Afrania und
Hortensia, die alle ihre Angelegenheiten selbst Offentlich verteidigten.
    62 MacMullen, Women in Public, meint, die Quellen zeigten "the female sex, as such,
entirely excluded from no role or aspiration at all, in the public affairs of their community, nor
required to demonstrate merits much different from man's in claiming respect and
participation, but yet included only in far, far smaller numbers" (213). Er demonstriert dies am
Beipiel der Milnzen aus 13 Ideinasiatischen Stadten, auf denen 17 Frauen genannt werden
gegenilber 214 MAnnem. In den 2500 Reskripten an Privatleute des Cod Just. aus den Jahren
117-305 n. Chr. richten sich ilber 600 an Frauen. Die meisten davon betreffen
Vermogensfragen (vgl. Liselot Huchthausen, Herkunft und okonomische Stellung).
DIE DARSTELLUNG AsENETIIS                                      65

zumindest wenn sie ab dem 1. Jh. v. Chr. rezipiert werden, utopische
Vorstellungen yom Geschlechterverhaltnis. Kritisch gelesen geben sie selbst
dariiber Auskunft. So wird im dritten Buch der pseudo-aristotelischen
Oikonomia der Frau verboten, eigene Heiratspl1l.ne fUr ihre Tochter zu
machen (pseudo-Aristot. oik. (lli) 140,21-141,7), und auch die Warnung vor
einer Heirat mit einer reichen Frau sowie das an vielen Orten stereotyp
wiederholte Verbot des Schmucks63 zeigen, daB die Frauen, die hier im
Blick sind, fiber nicht unerhebliche finanzielle Ressourcen verfilgten, die
ihnen dank der im hellenistischen und romischen Privatrecht verankerten
Vermogenstrennung auch nach Beendigung einer Ehe blieben. 64 Columella
beklagt in seinem Buch fiber die Landwirtschaft, nachdem er aus Xenophons
Oikonomikos zitiert hat:
       Jetzt dagegen, wo die meisten Frauen derart dem Luxus und der Faulheit ver-
       fallen sind, daB sie sich schon zu gut sind, Woll- und Tucharbeiten auf sich zu
       nehmen, ja sich genieren, hausgemachte Kleider zu tragen, und ihnen in ihren
       wahnsinnigen Anspriichen das am besten gefiillt, was mit teurem Geld und
       beinahe mit dem gesamten Vermogen gekauft ist, ist es kein Wunder, wenn
       ihnen die Sorge urn das Landgut und die Feldgeriite zu liistig ist und ein
       Aufenthalt von wenigen Tagen ihnen als die widerlichste Pflicht erscheint. 6S


    63 Interessant ist in diesem Zusammenhang die Darstellung der Diskussion urn das Opische
Gesetz bei Liv. 34.1,1-8,3. Das Gesetz verbot Frauen das Tragen von Schmuck und
kostspieligen Kleidern und war wahrend des zweiten punischen Krieges (wenn es historisch ist
sieher zur Sanierung dec Staatsfmanzen) erlassen worden. Die Frauen besetzten zwanzig Jahre
danach die Offentlichen Pilltze, urn auf Abschaffung dieses Gesetzes zu drangen. Erst nachdem
Valerius in seiner Rede den unpolitischen Charakter des Wunsches der Frauen erldllrt hat, wird
diesem stattgegeben (vgl. auch Thraede, A'rger, 82f).
    64 1m rOmisehen Recht herrsehte zwischen den Ehepartnern GUtertrennung, jedenfalls bei
einer manus-freien Ehe, die in dem hier zur Diskussion stehenden Zeitraurn Ublich ist. Der
Mann kann das VermOgen dec Frau lediglich verwalten und auch nur dann, wenn die Frau es
ibm zuspricht. Uneingeschrtlnkte Verfilgungsgewalt wurde dem Mann bis zum 1. Th. v. Chr.
fiber die Mitgift (dos) wllhrend der Ehe eingerllumt. Seit der Zeitenwende wurde dieses Recht
an verschiedenen Punkten eingesehrllnkt. Nach AutlOsung der Ehe muBte der Mann bzw. seine
Erben die Mitgift mit dem erreichten Wertzuwachs wieder an die Frau zurOckgeben (vgl. Max
Kaser, Das Romische Privatrecht, besonders 281-290). 1m Gegensatz zur athenischen Mitgifi,
der 7tpOU;, die an den entsprechenden KJp<l<; der Frau gegeben wurde, ruIt die cpepvtl
grundslltzIich nach Beendigung dec Ehe an die Frau, die 1tpOO'<popci und die mxpcicpepva
bleiben ihr Eigenturn (vgl. GUnther Hllge, Ehegiiterrechtliche Verhiiltnisse). An der in den
llgyptisch-hellenistischen Ehevertrllgen auftretenden Form der Mitgift, der cpepvtl, hatte der
Mann wahrend dec Ehe nur ein beschrllnktes Nutzungsrecht Er haftete fOr eventuellen Verlust.
Die cpepvtl wurde grundsatzIich bei der EheschlieBung geschlltzt und in ihrem Geldwert bzw.
bei Edelmetallen in ihrem Gewichtswert dokumentiert. Sie hestand aus Geld bzw.
Edelmetallen, Kleidem und Hausgeraten, sofem die persOnlichen Gebrauchsgegenstllnde der
Frau nicht als 1tapacpepva bezeichnet wurden, die auch wahrend der Ehe im Besitz der Frau
blieben und fOr die dec Mann nicht haftete. GrundstOcke, Immobilien und Sldaven wurden in
den rOmisch-llgyptischen Ehevertrllgen nie als Mitgift gegeben, sondem blieben als 7tpO<J<popci
Eigenturn der Frau. Dern Mann oblag lediglich ein Nutzungsrecht bzw. eine Nutzungspflicht.
Literarische Zeugnisse von dieser Rechtspraxis geben Juv. Vl.203-213 und P1ut. mor. 140F. S.
auch unten.
    6S Colurn. xn praef. 9 (Obers. von Will Richter).
66                                      KAPlTEL2


Klagen wie diese zeugen davon, daB sich die Frauen trotz der zahlreichen
Tugendspiegel nicht zwangslaufig den in den okonomischen Schriften
vorgeschlagenen Verhaltensmustem unterwarfen.
   Es wundert claher nicht, daB in der Kaiserzeit besonders der stoische
Philosoph Musonius Rufus (ca. 30-100 n. Chr)66 ein scheinbar aufgekliirte-
res Frauenbild vertrat und meinte, daB Frauen sich mit Philosophie be-
schiiftigen67 und die gleiche Erziehung wie Manner genieBen sollten. 68 Er
sprach Frauen die gleiche aps't'ft (Tugend) ZU69 und war der Ansicht, daB
Frauen auch avcSpda. (mannhaft) und cpp6vtll~ (verstiindig) sein konnten. 70
Allerdings driickt sich auch bei Musonius die aps't'ft der Frauen in einer
frauenspezifischen Weise aus. So sollen sie nicht etwa deshalb Philo sophie
studieren, urn
      ... ihren Haushalt im Stiche (zu) lassen und sich mitten unter den Mlinnem
      (zu) bewegen und sich (zu) iiben, Reden zu halten, spitzfindige Beweise zu
      fiihren und Trugschliisse zu widerlegen, wlihrend sie zu Hause sitzen und
      spinnen sollten.1J
Vielmehr lehrt die Philosophie die Frau, enthaltsam (crrocpprov) zu sein72 und
fiihrt dazu, daB sie
      iiberall selbst mit Hand anlegt, auch beschwerliche Arbeit auf sich nimmt, die
      Kinder, die sie geboren hat, an ihrer eigenen Brust nlihrt und ihrem Mann
      dient mit ihren eigenen Hlinden ... eine solche Frau ist ein groBer Segen fUr
      ihren Mann, eine Zierde fUr ihre Verwandten und ein leuchtendes Beispiel fUr
      alle, die sie kennen.73
Ebenso fiihrt auch die gleiche Erziehung von Madchen und Jungen nach
Musonius nicht dazu, daB geschlechtsspezifische Zuschreibungen sich
auflosen.74
   Washier fUr Musonius gezeigt wurde, gilt auch fUr den Eklektiker
Plutarch (ca. 45-120 n. Chr.).75 In seinem groBen Traktat mulierum virtutes,
in dem er die These aufstellt, daB die aps't'ft (Tugend) von Frauen und


   66 Vgl. Heinrich DOrrie, Musonius Rufus, Der kleine Pauly 3 (1969), 1496f. Zitiert (mit
Rede, Seite und Zelle) nach der Ausgabe von O.Hense, C. Musonii Rufi Reliquiae.
   67 Vgl. Musonius Rufus, Daft auch Frauen philosophieren sollten (Rede 3) (8,15-13,3
Hense).
   68 Vgl. ders., Ob man die T6chter iihnlich wie die S6hne erziehen soli (Rede 4) (13,8-
19,14 Hense).
   69 Der erste, dem der Satz avlipOc; Kat yuvaK~ ..; a&tTt Ctpa-nl (pili" Mann und Frau ist
die Tugend eine namJ.i.che) zugeschrieben winl, ist (der Stoiker) Antisthenes (Diog.Laert.
Vl.12). Zur Vorgeschichte der Diskussion bei Plato vgl. Thraede, .4rger, 49-54.
   70 Vgl. besonders Rede4 (Hense 14,4-6; 16,9-15).
   1J Rede 3 (Hense 12,5-10) Ubers. Wilhlem Capelle.
   72 Ebd., (Hense 10,10).
   73 Ebd., (Hense 11,20-12,5), Ubers. Capelle.
   74 Vgl. Rede 4 (Hense 13,8-19,14 vgl. besonders 15,4-19; 16,15-17,5; 19,8-13).
   75 Vgl. Konrad Ziegler, Art. Plutarch, Der kleine Pauly 4 (1972), 945-953.
DIE DARSTELLUNG ASENETHS                                        67


Miinnem ein lUld dieselbe sei (mor. 242F-243A), schriinkt er diese
Behauptung sogleich ein, indem er Beispiele vorfiihren will, die zeigen
sollen, worin die apE-dt von Miinnem lUld Frauen gleich sei lUld worin sie
sich lUlterscheide (mor. 243B-C).76 Die 27 Beispiele der Tugendtaten von
Frauen, die er aufffihrt, zeigen zwar einige offentlich wirksame Frauen,77
aber ihre Tugendtat setzt in der Regel dort ein, wo Miinner ihre Aufgaben,
z.B. die BefreilUlg von Tyrannen oder Feinden, nicht wahrnehmen lUld sie
ziehen sich zumeist wieder zuriick, wenn die Miinner ihre Rollen wieder zu
iibemehmen gewillt sind. 78 Haufig bestatigen sie in Wort lUld Tat die ihnen
nach der Oikonomia-Philosophie zukommenden Verhaltensnormen. 79
Wenige iibemehmen selbst die Rolle der Kampferin im Krieg.80
   DaB Plutarch letztlich doch den Verhaltensnormen der Frauenspiegel lUld
Oikonomiaschriften zustimmt, zeigt ein Vergleich seiner Schriften,
besonders der Schrift "Uber die Pilichten der Ehegatten" mit den
neupythagorwschen Schriften der Phintys lUld der Periktione. 81
    Wie Phintys ist Plutarch der MeinlUlg, daB eine keusche Frau zu Hause
bleibt lUld nur mit ihrem Mann ausgeht. 82 Phintys verbietet den Frauen,

   76 Vgl. zum Folgenden auch Kathleen O'Brien Wicker, Mulierum virtutes.
   77 Durchaus nicht alle hier aufgefilhrten Frauen sind wirklich Offentlich wirksam. Vgl. z.B.
Taten der Frauen von Phocis (mor. 244A-E) und Coos (mor. 249D-E) und besonders die aus
Milet (mor. 244B-D), die sich nicht umbringen, weil ihnen angedroht wird, sie sonst nackt
1ber den Markt zu tragen.
    78 Vgl. besonders Aretaphila (mor. 255E-257E), die sich, statt das angebotene
Regierungsamt anzunehmen, in die YUVcttKOlVt"tl<; an den Webstuhl zuruckzieht. Was Plutarch
von machtigen und politisch einfluBreichen Frauen MIt, zeigt seine Bewertung von Kloopatra
(VII;] und Fulvia (Ant. 10).
     9 Vgl. z.B. Megisto, die dem Tyrannen Aristotirnus entgegenhlilt: "Wllrest du ein kluger
Mann, so wlrdest du nicht mit Frauen wegen der Mllrmer sprechen, sondem zu jenen als
unsern Herren schicken" (mor. 252B). Kamma racht den Tad ihres Mannes, indem sie sich
zusammen mit dem MOrder, der sie begehrt, umbringt (mor. 257F-258C).
    80 Vgl. besonders die Frauen von Argos (mor. 245C-F) und die von Salmantica (mor.
248E-249D). Die Frau des Pythes filhrt die Geschlifte ihres abwesenden Mannes (mor. 262D-
263C).
    81 Thraede, A."rger, 59-62, wollte Plutarchs Satz von der gleichen Iip€." (mulierum
virtutes, mor. 242F) der Geschlechter als Beleg dafilr ansehen, daB "die Philosophie
einigermaBen in Nachbarschaft zur hellenistischen Wirklichkeit (tritt), gerade auch indem sie
die Schranken der 'Okonomik' 1berspringt" (60) (vgl. auch seine Behandlung der Stoiker,
ebd., 55-59). Balch, Let Wives Be Submissive, Appendix V, 143-149, hat ihm darin zu Recht
widersprochen. Allerdings halte ich es fur iibereilt und zu generalisierend, deswegen zu
behaupten: ,,Plutarch demonstrates that the subordination of wives was general, contemporary
Hellenistic practice" (147) (vgl. auch Wicker, First Century Marriage Ethics). Vielmehr muB
man feststellen, daB Plutarch wie auch Musonius Mchstens eine Modifizierung, aber nicht
unbedingt ein Gegenmodell zu den Vorstellungen 1ber Frauentugenden, wie sie in der
Oikonomia-Literatur und verwandten Schriften zu fInden sind, beabsichtigen. Sie
unterscheiden sich zwar zum Teil in dem bei ihnen entworfenen Rollenbild eines Mannes bzw.
eines HallSherrn oder Philosophen. Das Frauenbild bleibt aber erstaunlich konstant. Zur
Bewertung und Einordnung von Plutarchs Eheschrift vgl. auch Cynthia Patterson, Plutarch 's
 'Advice on Ma"iage '.
    82 Phintys 152,9f; 21f; 154,1-6 (Theslefl); Plut. mor. 139C (9); 142C (30); 142D (32).
68                                       KAPITEL2

wegen der damit verbundenen Trunkenheit und Ekstasen, Bakchanalien und
Kybelefeste. 83 Plutarch halt Trunkenheit und Ekstasen bei Frauen ebenfalls
fUr unschicklich und verpflichtet die Frauen auf die Gotter ihres Ehemannes,
was bedeutet, daB sie Frauenkulten fernbleiben miissen. 84 Ebenso wie
Phintys und Periktione mahnt auch Plutarch Frauen vor zu viel Schmuck,85
obwohl er auch zu wenig Schmuck fUr unanstiindig halt. 86 Auch Plutarch
hillt die Harmonie in der Beziehung zwischen Mann und Frau fUr
grundlegend. 87 Dafiir muB die Frau sich ihrem Mann gegeniiber in jeder
Lage freundlich erweisen, darf sich nicht an Ehebruch, Zorn oder
Trunkenheit storen,88 und muB den Verwandten und Freunden, die ihr Mann
ehrt, zur Seite stehen. 89 Da sich Plutarchs Eheschrift auch an Manner richtet,
wundert es nicht, wenn hier wie bei Kallikratidas Anweisungen zum rechten
Herrschen gegeben werden.90 Wenn Plutarch in seinem Amatorius meint:
          widersinnig ist es allerdings zu sagen, daB Frauen keinen Anteil an der Tugend
          (apsnu   haben. Was aber ist es notig zu reden fiber ihre Enthaltsamkeit
          (O"OJcppomJVl'J) und Einsicht (aUv£<ru;), noch fiber ihre Treue (menu;) und
          Gerechtigkeit (OtKUtoaUVl'J), wo doch die Tapferkeit ('to avopetov) und die
          Kiihnheit ('to 8appuAiov) und die Hochgesinntheit ('to Il8YUA.OjIUXov)
          offenbar geworden sind,9)

findet sich auch dies mit iihnlichen Formulierungen bei Phintys und
Periktione wieder.92 Fiir aile drei ist ein wichtiger Ausdruck der Tugend


     83152,23f; 154, 8-11 (Thesleft).
     84Mor. 140B (16); 140D (19).
    85 Phintys 152,21; 153,15-28 (Thesleft); Periktione 143,9-144,8 (Thesleft); Plut. mor.
139F (14); 142B-C (29); 145A-B (48); 145E; vgl. auch 1410 (25).
    86 Mor. 142A-C (29).
    87 Periktione 142,18 (Thesleft) u.O.; Plut. mor. 138C-D u.o.
    88 Periktione 144,8-23 (Thesleft); Plut. mor. 139F-140A (14); 141A-B (22); 141F (27);
143C (37). (vgl. auch 141B-C (23»; 140B (16); 143D-I44A (40f).
    89 Periktione 145,2-6 (Thesleft) Plut. mor. 140D (19) vgl. auch 141B-C (23).
    90 Kallikratidas besonders 105,6-106,13 (Thesleft); Plut. 142C-D (33), vgl. auch 139B (8)
139D (11); Wie bei Kallikratidas und Bryson wird auch bei Plutarch vor einer Heirat mit einer
reichen Frau wegen ihrer Mitgift gewamt (mor. 141C-D (24», auch wenn Plutarch die Heirat
mit einer vermOgenden Frau befUrworten kann (vgl. besonders Amatorius, mor. 753D-754E).
Er verlangt aber von der Frau, daB sie ihren Besitz zum Besitz des Mannes erldart (vgl. mor.
767D-E; 140E-F (20» . Plutarch hat hier mOglicherweise nicht unrea1istische Verhaltnisse irn
Blick, wenn er sagt: ,.Den gemischten Wein nennt man, obwohl mehr Wasser darin ist, irnmer
noch Wein; so soli VermOgen und Haus Besitz des Mannes heiBen, wenn auch die Frau den
gr06eren Teil zugebracht hat" (mor. 140F (20); Obers. Snell). DaB das Verhaltnis zwischen
Mann und Frau nicht unbedingt ais Herrschaft des Mannes uber die Frau gelebt wurde, zeigt
die folgende Passage: ,,Frauen, die lieber einen einfllltigen (UV01ftOC;) Mann beherrschen
(Kpa'tElv) als einem vemilnftigen (!ppOVl!109 gehorchen wollen, gleichen denjenigen, die
lieber einem Blinden den Weg weisen, ais einem Sehenden, der den Weg kennt, zu folgen"
(mor. 139A (6) Obers. Snell).
    9) Mor. 769B. Obersetzungen, soweit nicht anders vermerkt, von der Verfasserin.
    92 FUr Periktione ist eine harmonische (Up/!OVtri) Frau voll von cppovltmoc; (Klugheit) und
croxppocr6V11 (EnthaitsamkeitIBesonnenheit). Ihre UpEn'} besteht neben Klugheit auch hier
DIE DARSTELLUNG ASENETHS                                          69

{O,pEnV von Frauen die Kinder- und Gattenliebe. 93 Was Plutarch von den
Frauenspiegeln und Oikonomia-Schriften unterscheidet, ist, daB die Be-
ziehung in der Ehe an sich und nicht das Haus (01C~) bzw. der Staat bei
ibm im Mittelpunkt der Betrachtung steht,94 und daB er einen Sinn fUr die
praktische Wirklichkeit hat, nicht nur dann, wenn er davon ausgeht, daB
Frauen sich scheiden lassen konnten,9' sondern auch, wenn er an zahlreichen
Stellen praktische Tips gibt. 96 Auffiillig ist ebenfalls, daB besonders
Musonius, aber auch Plutarch und Pseudo-Aristoteles im dritten Buch der
Oikonomia, den Mann zur Keuschheit auffordern?7
   Literarische Zeugnisse eines anderen Frauenbildes finden sich weniger
haufig. Es scheint, daB Kyniker Ul.:.d Epikuraer eine andere Auffassung von
der Rolle der Frau vertreten haben. Diogenes Laertius berichtet von der

darin, daB sie SUCatllKal. avSP1ltll ist. (142,18-20 (Thesleff)). Nach Phintys sind Mann und
Frau gemeinsam: aVSpEia Kal. SlKatoaUva Kal. q>pOvamc; (152,11 (Thesleff)).
    Phintys (152,5-19 (Thesleff)) ist wie Plut. mor. 145B-146A (48) und Musonius Rufus Rede
3 (8,15-13,3 (Hense) u.O.) der Meinung, daB Frauen philosophieren sollten, urn das Gute,
namlich die cr~Vll (Enthaltsamkeit) zu erkennen.
    93 Plut. mor. 769C; Phintys 152,9-11 (Thesleff); Periktione 144.17-19 (Thesleff).
    94 Allerdings verrat auch die Eheschrift des Plutarch, daB dies der eigentliche Ursprung der
Gedanken ist (vgl. 144B-C (44)). Musonius Rufus verbindet den Gedanken von der
Niltzlichkeit der Ehe file den Staat mit der Hochbewertung der Ehe urn der Ehe willen (vgl.
Rede 1470,11-76,17 (Hense)).
    9S Vgl. mor. 144A (41). Siehe auch oben Anm. 64. Allerdings finden sich auch in den
neupythagoraischen Schriften versteckt Hinweise auf andere Wirklichkeiten. Warum wamt
z.B. Phintys Frauen vor groBen Aufwendungen fur Opfer und vor Balcchanalien und
Kybelefesten (154,6-11 (Thesleff))? Vgl. auch die Ausfilhrungen des Pythagoras (lambl. vita
Pyth. 11.54) irn Sinne der Kritik Colurn. :xn praef. 9.
    96 Z.B. ilber den Beginn einer Ehe 138D-F (2-4) oder wie ein Mann sich gegenilber einer
sich straubenden Ehefrau verhalten soli 139D-F (12-13) oder yom Umgang mit der
Schwiegermutter (143A-B (35). Zurn pra1ctischen Charakter der ganzen Schrift vgl. besonders
Patterson, Plutarch's 'Advice on Ma"iage '.
    97 Vgl. Musonius Rufus, besonders Rede 12 (63,10-67,2 (Hense)). Musonius wendet sich
auch gegen den sexuellen Verkehr eines Herren mit seiner Sklavin. Dabei verwendet Musonius
ein interessantes Argument, das die doppelte Sexualmoral der Antike aufdeckt und bekampft.
"Wennjemandem es nicht schirnpflich oder anstOBig erscheint, daB ein Herr mit seiner Sklavin
verkehrt, zumal wenn es eine Witwe ist, der soli doch einmal darilber nachdenken, wie er es
flInde, wenn die Herrin mit ihrem Sklaven verkehrte! Denn das wilrde er doch fur ganz
unertraglich halten, nicht nur wenn die Herrin, die einen rechtmaBigen Ehemann hat, sich mit
ihrem Sklaven einlieBe, sondem auch dann, wenn sie keinen Ehemann hlitte und so etwas tiite"
(66,7-19 (Hense), Obers. Capelle).
    Auch Plutarch scharft beiden Geschlechtern Treue (crroq>p<><nlVll rtpCx; aA.A:llM>uC;) ein, vgl.
besonders mor. 767E vgl. auch mor. 144A-B (42). Allerdings rllt er der Frau, die
Ausschweifungen des Mannes zu akzeptieren (vgl. mor. 140B (16) 143F-144A (40f) 144D-F
(45f). Der gleiche Widerspruch laBt sich auch irn dritten Buch der Oikonomia des Pseudo-
Aristoteles beobachten. In oik. (lll) 144,23-144,14 mahnt der Autor oder die Autorin den Mann
zur ehelichen Treue, wogegen er bzw. sie die Frau auffordert, den Mann auch dann nicht zu
verlassen, wenn er sich gegen sie verfehlt (141,13-142,17). Angesichts dieser Doppelmoral
bleibt die Frage offen, ob Musonius, wenn er eine seiner Reden an Frauen adressiert batte, sie
nicht ebenfalls dazu aufgefordert batte, Ehebrilche ihrer Manner zu ertragen. Anders Patterson,
Plutarch's 'Advice on Ma"iage ', 4712, die U.a. wegen der Differenz zwischen Musonius und
Plutarch an diesem Punkt letzteren von der Stoa abrilcken will.
70                                        KAPITEL2

kynischen Philosophin Hipparchia, die sich im Gegensatz zu ihren miinn-
lichen Kollegen nicht einschiichtem lieB und die auf die Frage: "Wer ist sie,
die vom Webeschiffchen sich entfemt?",98 antwortet:
          Ieh bin's, Theodoros; aber du glaubst doeh nieht etwa, da1 ieh mir selbst libel
          damit gedient habe, wenn ieh die Zeit, die ieh auf den Webstuhl hatte ver-
          wenden sollen, einer tiiehtigen Geistesbildung (muoo{a) zugute kommen
          lie.6?99
An diese Frau sind auch einige pseudonyme Briefe des Krates aus dem 1.
oder 2. Jh. n. ehr. erhalten geblieben. In einem hellit es:
          Die Frauen sind nieht sehwiieher (Xeiprov) als Manner besehaffen. loo Die
          Amazonen jedenfalls, die so viele Werke vollbraehten, waren in niehts
          schlechter als Manner. So da1 du, wenn du dieh an diese erinnerst, diesen
          nieht naehstehst. lol
   Die Epikuraerln Leontion schrieb eine Abhandlung gegen Theophrast, 102
der nach dem Tod des Aristoteles dessen Philosophenschule leitete und der
moglicherweise die pseudo-aristotelische Oikonomia verfaBt hat.103
   Auch einige Kulte und Mysterien scheinen sich zumindest teilweise fUr
ein den Oikonomia-Lehren widersprechendes Frauenbild engagiert zu haben.
Von der Gottin Isis hellit es in einer Litanei aus Oxyrhynchus: O'U
yuvu#[v] to'llV 86vuJ.l1.V 'trov av8prov e[1toi]llO'uC; (Du [verschafftest] den
Frauen (die) gleiche Macht wie den Miinnem).I04 Dies zeigt, daB in der




     98 Zitat aus Eur. Bakch. 1236.
     99 Diog.Laert. VI.98 (Obers. Otto Apelt). Vgl. auch das Gedicht des Antipatros von Sidon
auf Hipparchia, Anthologia Graeca Vll 413. Zu den Kynikerinnen vgl. auch Snyder, The
Woman and the Lyre, 105-108.
    100 Anders behaupten sowohl Pseudo-Aristot. oik. (I) 43b30 und Musonius Rufus Rede 12
(66,16 (Hense», Frauen seien aa&vE~, die Manner aber iaxup6-repo<;.
    10 1 Vgl. Abraham J. MaIherbe, The Cynic Epistles, 78 (Brief 28). Vgl. auch Brief 30, wo
Krates ein selbstgewebtes Unterkleid Hipparchias ablehnt, da sie nach Philosophie streben
solie und nicht danach, vor den vielen als eine zu gelten, die ihren Marm liebt (ebd., 80). In
einem pseudepigraphen Brief des Diogenes an Hipparchia heillt es: ,,Ich bewundere Dich fur
die Begierde, denn als eine Frau verlangtest du nach Philosophie und bist unsere Geflihrtin
geworden, vor der wegen der Strenge auch die Manner erschreckten" (ebd., 95 Brief 3).
Interessant ist auch der Brief des Aristippus (Freund des Sokrates) an seine Tochter Arete.
Arete scheint von dem Magistrat der Stadt Kyrene urn Besitz betrogen worden zu sein. Thr
Vater schreibt ihr, sie kanne auf das Umstrittene verzichten, da sie noch zwei Garten und
Besitz in Berenike beslille. AuBerdem soli sie ihren Sohn in Philosophie unterweisen und, wenn
sie keine Tocbter selbst gebliren will, die Tochter einer Sklavin adoptieren. SchlieBlich soli sie
nach Athen gehen, urn sich in die Mysterien einweihen zu lassen und in Gemeinschaft mit
Xanthippe und Myrto zu leben (ebd., 283 Brief27).
    102 Cie. nat.deor. 1. 93. Vgl. auch Plin. nat. Praef. 29. Zu den Epikuraerinnen Snyder, The
Woman and the Lyre, 101-105.
    103 So jedenfalls Pbilodem von Gadara (1. Jb. v. Chr.). S. aucb oben Anm. 37.
    104 P.Oxy. 1380, 214f(2. Jb. n. Chr.).
DIE DARSTELLUNG AsENETHS                                        71


Isisreligion die traditionellen Geschlechtsrollen nicht nur im Sinne der
Oikonomia-Philosophen diskutiert wurden.los
    Die Rolle der Frau wurde in der hellenistisch-romischen Antike nicht nur
unter Philosophen und Philosophinnen heftig und kontrovers diskutiert, auch
Theaterstiicke und Inschriften bzw. Epigramme zeigen eine differenzierte
Wahrnehmung von Frauen. Die neue Komodie kennt mindestens vierzehn
verschiedene Frauenmasken. 106 In den Tragodien des Euripides traten
Frauencharaktere in den Vordergrund. Neben Frauen, die yom Schicksal der
Kriegsgefangenschaft betroffen sind (die Troerinnen), gibt es sich selbst
opfemde Tochter (Iphigenie in AuIis), aber auch Frauen, die ihre eigenen
Kinder toten (Medea; die Bakchen).107 Besonders letztere haben in der
Antike eine Diskussion dariiber ausgelost, ob Euripides ein Frauenfeind ist
oder nicht. 108 Dabei sind kaum andere TragOdien so einfluBreich und
wahrend der ganzen Antike gespielt und gelesen worden, wie die des
Euripides. l09 Euripideszitate werden nicht nur in Darstellungen von Frauen
verwendet, llO sondem auch unter Rubriken wie 'Uber die Schlechtigkeit der
Frau' gesammelt. lll

   IDS  VgI. Kraemer, Her Share, 71-79.
   106  VgI. Pollux IV. 151-54. VgI. auch Eva Cantarella, Pandora's Daughters, 93-97; Elaine
Fantham, Sex, Status, and Survival.
    107 Zu den Darstellungen der Frauencharaktere des Euripides vgI. u.a.: Pomeroy,
Frauenleben, 155-167; Jennifer March, Euripides the Misogynist?, 32-75, und Lefkowitz,
Did Ancient Women Write Novels?, 204-207.
    108 Der Zeitgenosse Aristophanes (Thesm. 383-413) und Antipater (bei Stob. IV 22.25
(509,5-7) 2. Jh. v. Chr.) sowie Aulus Gellius (Noctes Atticae XV.20.6, 2. Jh. n. Chr.) halten
ihn fUr einen Frauenfeind (ersterer laBt dies in seiner Komlidie eine Frau sprechen), Athenaios
(Deipnosophistai xm.557e; 603e; 2. Jh. v. Chr.) fUr einen Frauenfreund.
    109 VgI. Theodor Bergk, Griechische Literaturgeschichte 111,565-568.
    llO Z.B. von Diogenes Laertios in seiner Darstellung der Hipparchia s.o.
    III Bei Johannes Stobaeus IV 22 Teil 7 ist eine solche Sammlung erhalten geblieben, aber
es hat sie wohl schon viel frilher gegeben. (vgI. P.Berol. 9772f (2. Jh. v. Chr.) und P.Oxy 3214
(2. Jh. n. Chr.) sowie Otto Hense, Art. Johannes Stobaeus PW 9/2 (1916), 2549-2586). Jesus
Sirach klinnte mliglicherweise eine solche benutzt haben (vgI. die haufigen Verweise auf
Euripides gerade bei den sich auf Frauen beziehenden Spruchen Sirachs, die T. Middendorp,
Die Stellung Jesus Ben Sirach, 21 u.li. aufgefuhrt hat). Sicherer ist dies m.E. bei Clemens von
Alexandrien, vgI. z.B. die Auslegung I Kor 11,3-16. (strom. IV.61-63). Dabei wird der
urspriingliche Sinn oft entstellt. VgI. z.B. Eur. Med. 231-248: "Sind doch wir Frau'n das
traurigste Gewlichs. Erst milssen wir fUr teures Geld den Gatten! Uns kaufen, dann verfilgt er
iiber uns/ Als Herr; ist das nicht sch1immer noch als schiinIm?" Bis hierher zitiert Stob. IV
22.186 (Hense). Der Text geht allerdings folgenderrnaBen weiter: "Und davon hlingt nun alles
fUr uns ab,l Ob uns ein schlechter oder guter Mann! Beschieden. Scheidung schadet ja dem
Ruff Der Frau. Abweisen kann man nicht den Freier'! In ungewohnte Sitte gilt's und Art! Sich
einzufilh1en. Niemand lehrte uns,l Wie einen Gatten man behandeln muB.! Gelingt uns dies
und lebt der Gatte friedlichl Mit uns und trligt der Ehe Joch geduldig -I Das ist das Gluckl
Wenn nicht hilft nur der Tod" (Obers. Hans von Amim). Indem die Samm1ung des Stobaeus
dies auslaBt und dafilr aber etwas weiter hinten wieder einsetzt: ,,Ein Weib ist sonst ein
furchtsam Wesen,l Taugt nicht zurn Kampf, scheut den geschliffen Stahl.! Doch krlinkt man sie
in ihres Bettes Rechten,l Dann ist kein Herz mordgieriger als ihres." (ebd. 263-266 = Stob. IV
22.143 (Hense» bekommt der Monolog Medeas bei ilIm einen anderen Sinn.
72                                      KAPITEL2


    Zeitgenossische Frauenbilder zeichnen auch die Epigramme und Ge-
dichte, die in der Anthologia Graeca gesammelt wurden. Hier finden sich
Liebesgedichte, Spottverse, einfache Beschreibungen, Ideale und Bilder von
Frauen der hellenistisch-griechischen Antike.
    An der Diskussion urn die Rolle der Frau nahm auch das zeitgenossische
Judentum regen Anteil. Jfidinnen scheinen rechtlich in keiner Weise
schlechter gestellt gewesen zu sein als ihre ,,heidnischen" Schwestem. Sie
konnten sich scheiden lassen, Guter kaufen und verkaufen. ll2 Einige
Jfidinnen verfiigten uber nicht unerhebliche finanzielle Ressourcen. In
Hamman Lif (Nordafrika) stiftet eine Juliana einen ca. 50 m 2 groBen
Mosaik-FuBboden fUr die Synagoge.lI3 JUdinnen verfiigten nicht nur im
rechtlichen und okonomischen Bereich, sondem auch innerhalb der
jfidischen Gemeinden fiber EinfluB. 114 Bernadette Brooten hat gezeigt, daB
Frauen Amter in den Synagogen uberall im romischen Reich eingenommen
haben, m und daB sie vermutlich in der Synagoge bei ihren mlinnlichen
Glaubensgenossen saBen. 116 Es verwundert daher nicht, daB ein gesteigertes
Interesse an bzw. eine groBe Sensibilitiit fUr Frauenfiguren in der Literatur
des hellenistischen Judentums zu beobachten ist. In den Neuerzlihlungen des
Pentateuchs und der friihen Propheten, z.B. im Jub und im LibAnt, werden
Frauenfiguren wie Rebekka,1l7 Melcha (Mutter des UrgroBvaters von
Abraham), Mirjam (Maria), Debora, Sella (Jephthas Tochter), Hanna, aber
auch Sedecla (Witwe von Endor)ll8 ausgeschmuckt und ins Zentrum

     112V gl. Kraemer, Maenads, 88-93 (Nr. 45-49) und dies, Non-Literary Evidence.
     113Bernadette Brooten, Women Leaders, 161 (Nr. 22). Vgl. Erwin R. Goodenough, Jewish
Symbols II, 89-100 und m, besonders Abb. 886-888.
    114 VgJ. zum folgenden besonders Kraemer, Her Share, 93-127; van der Horst, Einige
Beobachtungen und-allerdings nicht besonders kritisch-Gilnter Mayer, Die jiidische Frau.
Mehr aus praktischen als aus inhaltlichen Grunden beschrltnke ich mich in der folgenden
DarsteUung zumeist auf jildisch-hellenistische Schriften. Die rabbinischen Quellen, die nicht
nur schwer zu datieren, sondern auch in ihrer Tendenz bisher kaum untersucht sind, kiionen
nur am Rande und zu Einzelfragen herangezogen werden. Vgl. aber auch Barbara H. Geller
Nathanson, Rejlextions und dies., Toward a Multicultural Ecumenical History o/Women.
    m Women Leaders, 5-99. Vgl. auch dies., IaeI1tpOO'tll.'t1')C;; Kraemer, A New Inscription
from Malta, 432-38; dies. Maenads, 218-220 Nr. 84-92; Peter van der Horst, Ancient Jewish
Epitaphs, 105-109, und Trebilco, Jewish Communities, 104-113, und Matthew S. Collins,
Money, Sex and Power.
    116 Brooten, Women Leaders, 103-38.
    117 Vgl. besonders Jub 25; 27,1.7f; 31,6f. 35. VgJ. auch Chesnutt, Revelatory Experiences,
 108-111, undJohn C. Endres, Biblical Interpretation, besonders 73-83; 92-97; 173-176. Aller-
 dings bleiben die Taten Rebekkas auf das Innere des Hauses beschrltnkt und das 'Modell
Rebekka' ilberschreitet nur selten das, was sich fUr eine Matrone geMrt (vgl. aber 25,14-23 ;
 27,1; 35 besonders V. 6). Mindestens ein Frauenideal in Jub zeigt sich in der Beschreibung
 Leas 36,23: ,,Deon sie war vollkommen und recht auf allen ihren Wegen, und sie ehrte Jakob.
Und in allen Tagen des Lebens mit ibm Mrte er aus ihrem Munde kein hartes Wort, denn
 Sanftheit und Friede und RechtschafIenheit und Ehre war in ihr" (O'bers. nach Klaus Berger).
    118 Zu Melcha vgl. LibAnt 4,11; 23,4; zu Maria LibAnt 9,9f; 20,8 (ahnliche Traditionen
 fmden sich auch im bSot 12,b-13a und bMeg 14,a), zu Debora LibAnt 30-34; 38,2; zu Seila
LibAnt 40 (vgJ. auch Cynthia Baker, Pseudo-Philo); Hanna LibAnt 5Of; 23,12f; Sedecla
DIE DARSTELLUNG ASENETHS                                      73


geruckt. Das IV Makkabaerbuch macht das Martyrium der Mutter der
Makkabaer zum kronenden Abschlu13 der Erzawung.lI9
   Einige judische Philosophen bzw. Historiker bestimmen die Rolle der
judischen Frau im Sinne der Oikonomia-Philosophie. Philo (ca. 25 v. ehr.
bis 40 n. ehr) z.B. meint:
       Es gibt niimlich zwei Formen von Staatswesen (1t()A.tC;), grofiere und kleinere.
       Die gro8eren werden Stadt genannt, die kleineren Wohnung (oiKia). Von
       jenen haben die Mlinner die Leitung in den grofieren, die man Staatsver-
       waltung nennt, erlangt, die Frauen aber in den kleineren, die man Haushaltung
       (oiKovollia) nennt. Eine Frau soIl sich urn nichts auBerhalb der Haushaltung
       kiimmem, (und) indem sie die Abgeschiedenheit sucht, soIl sie nicht als eine,
       die auf den Stra8en im Blick fremder Mlinner herumschweift, ans Licht treten,
       au8er wenn sie in den Tempel gehen muB.12°

  Josephus (ca. 38-100 n. ehr.) beschreibt das seiner Meinung nach vom
Gesetzgeber Mose bestimmte Verhaltnis zwischen Frau und Mann:
       Heiraten aber, gebietet er, darf man nieht, indem man auf die Mitgift achtet,
       noch durch gewaltsame Entfiihrungen, noch indem man durch List oder Tau-


LibAnt 64,3-9. In LibAnt werden noch zahlreiche andere Frauen im Gegensatz zu ihren
inzwischen kanonischen Vorlagen ausgemalt, andere jedoch, wie Sara und Hagar, unterdruckt.
Vgl. auch van der Horst, Portraits of Biblical Women; ders., Debora und Seila; Cheryl Anne
Brown, No Longer Be Silent, Cynthia Baker, Pseudo-Philo and the Transformation of
Jephthas's Daughter, und besonders Halpem-Amaru, Portraits of Women. Letztere zeigt:
,,Pseudo-Philo rewrites narratives so that they consistently demonstrate the hand of God.
Within the context of the theology, women have a specific function: they are either the
instruments or the active agents of God. For the various types of instruments and agents within
these patterns all strong female characters are associated in one way or another with
motherhood, be it in the role of parent, villainess, or leader of Israel. Conversely, when the
biblical story offers no context for a matemal characterization, Pseudo-Philo either
underdevelops the portrait or portrays the women ineffective and dependent" (105f). So sehr
ich dieser Einschatzung zustimme, meine ich dennoch, daB man vermuten muI3, der Autor oder
die Autorin habe in seiner bzw. ihrer DarsteUung auf Traditionen oder QueUen
zurUckgegriffen, die an manchen Punkten, z.B. in den ausfillrrlichen Gebeten einiger
Frauengestalten wie Hanna, Seila oder Debora (vgl. besonders 51,3-6; 40,5-7 (vgl. auch 40,4)
32; (vgl. auch 33,1-3.5)) oder in den Prophetenspruchen von Frauen wie Maria (9,9f 5.0.),
Sedecla (64,5f) oder Melcha (4,11), seiner oder ihrer Absicht bzw. Tendenz in der DarsteUung
der Frauengestalten zuwiderlaufen. Zur QueUenbenutzung Pseudo-Philos vgl. A. Zeron,
Erwiigungen.
    119 IV Makk 14,9-18,6. GemaB der stoischen Tradition, in der der Autor oder die Autorin
steht, will er oder sie beweisen, daB ,,Dicht nur Mlinner die Leiden beherrschten, sondem auch
Frauen den grOBten Folterungen widerstanden" (16,2). Daruber hinaus bleibt sein Frauenbild
im Rahmen dessen, was auch andere Stoiker fUr tugendhaft halten. In der Autobiographie der
Mutter heiBt es 18,7: ,,Ich wurde geboren als heiJige Jungfrau und karn nicht aus dem
vllterlichen Haus heraus, hutete aber die aufgebaute Rippe."
    120 SpecLeg ill 17Of, vgl. auch Quaest in Go IV. 145. Zum VerhaItnis von Frau und Mann
vgl. z.B. Hypothetica 7,3.14. Zur Gemeinsarnkeit der Gedanken Philos und der Oikonornia-
Wissenschaft, Balch, Let Wives be Submissive, 52-56; 58t: Zu Philos Frauenbild und seinen
Quellen vgl. auch Judith Romney Wegner, Philo's Portrayal of Women, und Dorothy Sly,
Philo's Perception of Women, die jedoch wenig Wert auf QueUenkritik legt. Vgl. hierzu die
Rezension von Kraemer.
74                                     KAPITEL2

      schung tiberredet, sondem indem man bei dem Herm, der (die Frau) gibt, oder
      bei verwandten AngehOrigen urn sie wirbt. Die Frau, sagen sie (sc. die
      Gesetzgeber), ist in allem schwiicher (xeipmv) als der Mann. Daher solI sie
      gehorchen (imaKouB'tm), nicht zum Zweck einer MiBhandlung, sondem damit
      sie beherrscht wird (apxll'tat). Gott aber hat dem Mann die Herrschaft
      (Kpch~) gegeben. 121


   Die Spriiche Jesus Sirachs (hebr. 2. Jh. v. Chr.; griech. 1. Jh. v. Chr.) pas-
sen zu denen der Oikonomia-Philosophen. Vgl. z.B. 26,14-16; 25,2lf;
33,20a (LXX):122
      (26,14-16) Eine Gabe des Herrn ist eine schweigsame (cnyrun) Frau,
      und es gibt kein Geld fUr eine erzogene Seele.
      Gnade tiber Gnade fUr eine schamhafte (aicrxuV'tTlpa) Frau.
      Und kein Gewicht ist angemessen fUr eine enthaltsame (eYKpCl'tol:X;) Seele.
      Die Sonne geht auf in den Hohen des Herrn,
      und die SchOnheit einer guten Frau im Schmuck ihrer Wohnung (oiKia).
      (25,21f) Werfe dich nicht nieder vor der SchOnheit einer Frau,
      und sehne dich nicht nach einer Frau.
      Zorn und Frechheit und Schande ist groB,
      wenn eine Frau ihren Mann emiihrt. 123
      (33,20a) Dem Sohn und der Frau, dem Bruder und Freund,
      gib keine Macht (~oucria) tiber dich in deinem Leben.

   Aber auch im Judentwn beweist das hliufige Wiederholen dieser Meinung
nicht unbedingt, daB Frauen sich auch in der Realitat mit einer
schweigsamen Existenz innerhalb der Hausmauem begnugt haben. Vielmehr
gibt es Zeugnisse, die bis in die Spatantike belegen, daB Frauen das
Judentum besonders attraktiv fanden und sich judischen Gemeinschaften
angeschlossen haben. 124 Philos Werk zeigt, trotz gegenteiliger Absicht des
Verfassers, die allegorisch geschulten Therapeutinnen und birgt, tradi-
tionskritisch gelesen, an manchen Stellen ein von der Oikonomia-Literatur
abweichendes Frauenbild. 125 Andere judische literarische Dokumente zeigen

    121 Ap IT.20Ot: Zur Einordnung des Josephus in die Oikonomia-Literatur vgl. Balch, Let
Wifes be Submissive, 52-56, 58t: Zunl Frauenbild des Josephus vgl. auch James L. Bailey,
Josephus' Portrayal, und Betsy Halpem-Amaro, Portraits ofBiblical Women.
    122 Jesus Sirach wird im folgendenjeweils nach der Septuagintafassung zitiert.
    123 S. auch oben Anm. 111. Vgl. auch Warren C. Trenchard, Ben Sira's View; Claudia V.
Camp, Understanding a Patriarchy. Eine ahnliche Meinung vertritt auch Pseudo-Phokylides
(1. Jh. v. Chr. bis 1. Jh. n. Chr.), besonders 177-217 (vgl. auch van der Horst, Pseudo-
Phocylides, ad. loc).
    124 Neben den Zeugnissen von Josephus z.B. Bell IT.559-61, vgl. besonders Joh.Chrys.,
Adversos Judaeos Orationes 2,3-6; 4,6 {Obers. bei Kraemer, Maenads, 59f (Nr. 31». Vgl.
auch dies., Her Share, 121-127.
    125 VitCont, besonders 28. Zunl traditionsgeschichtlichen Lest:·1 Philos vgl. Burton L.
Mack, Weisheit und Allegorie, der im Traktat Congr mehrere vorphilonische Stufen der
Auslegung und Allegorie aufdeckt. Der Ruckgriff auf allegorische Traditionen bei Philo ist
nicht nur in Quaest in Gn und Quaest in Ex sichtbar, sondem erklart auch die merkwilrdige
Doppeldeutigkeit der Figuren Sara und Rebekka einerseits als himm1ische Weisheit,
DIE DARSTELLUNG ASENETHS                                        75


Frauen, die mutig und entschlossen ihr Volk verteidigten (Esther, Judi~126
oder die mit besonderen prophetischen Fiihigkeiten ausgezeichnet wurden
(TestHiob).127
    JosAs, eine Schrifi, die wie Jdt eine Frau ins Zentrum der Erz1:ihlung
stellt, steht also inmitten einer Diskussion urn das Frauenbild sowohl im
Judentum als auch in seiner nicht-jiidischen Umwelt. 1m folgenden wird
aufgewiesen werden, wie die beiden Textfassungen je auf ihre Weise an


andererseits gerade als nicht-(mehr)Frau. Vgl. auch ders., Philo Judaeus und Georgi, Frau
Weisheit, besonders 248-253. David M. Hay, References to Other Exegetes, machte auf die
zahheichen Zitierungen anderer Exegeten besonders in den Quaest in Gn und Quaest in Ex
aufmerksam. "Philos does not think of himself as doing exegesis in a vacuum or even in an
ivory tower, far removed from the serious ongoing religious decisions and challenges of Jews
of his time ... He conceives of exegesis as a kind of dialogical enterprise that involves many
debate partners and opponents" (97). S. auch unten 5.3.
     126 Esther erlangt mit der geschickten Beachtung der ihr zugedachten Rolle die Macht des
halben KOnigreiches (5,4; 7,2 u.O.), allerdings erst nachdem die rebellische Vasti verstoBen
wurde (vgl. 1,12-22). Die offenkundige Spannung, daB Vasti zunachst gerade deshalb
verstoBen wird, damit die Frauen in Land und Stadt ihre Manner ehren und Furcht herrsche in
den Hausern (oildatc;) (vgl. besonders 1,20.22), Esther aber letzt1ich politische Macht ausfibt,
ist sicher keine ungewollte Ironie. Vgl. auch Sidnie A. White, Ester.
     Auch Jdt arbeitet mit Ironie (vgl. Carey A. Moore, Judith, besonders 78-86). Judith stellt
die Manner von Betulia sowohl theologisch als auch militarisch in den Schatten (vgl.
besonders Jdt 8). Starker als bei Est sind in dieser E17Ahlung die Frauen als Betroffene stltndig
im Blick (vgl. 4,10-12; 6,16; 7,22; 9,4; 15,12-14). Dabei scheint die Autorin bzw. der Autor
dieser Schrift sich den Traditionen biblischer Frauengestalten sehr bewuJ3t zu sein und stellt
Judith nicht nur deutlich in die Tradition der Debora und Jael, sondem bezieht sich u.a. auch
auf die Miljarns- und Dina-Traditionen. Zum Buch Judith vgl. besonders Toni Craven,
Tradition and Convention; White, In the Steps, und Amy-Jill Levine, Sacrifice and Salvation.
S. auch unten 5.3.
     127 Zu TestHiob, in dem mebr als ein Viertel der Verse von Frauen handeln, vgl. van der
Horst, Images of Women, und R. P. Spittler, Testament ofHiob, besonders 83Sf Die Frage, ob
die Frauen hier eine andere Rolle als die der dem Mann Untergeordneten einnehmen, ist in der
Forschung umstritten. Van der Horst, ebd., besonders 101-106, und Kraemer, Her Share, 109,
machen die geistbegabten TOchter Hiobs stark (TestHiob 46-51) als die einzigen neben Hiob
selbst, die durch das Tragen eines besonderen gottgegebenen Gllrtels die Fahigkeit zur
Wahrnehmung der, hier als eigentlich gedachten, himmlischen Wirklichkeit besitzen. Anders
meint z.B. Collins, Between, 223, ,,neither Job's wife nor his servant defmitively transcends
the state of deception", da beide sich vom Satan verfilhren lassen, und weist darauf hin, daB
auch die TOchter nur durch Hiobs Vermittlung zur Geistbegabung geiangten. Susan R. Garrett,
The "Weaker Sex", 70, meint sogar, daB im TestHiob "women are those whose hearts are
naturally preoccupied with 'earthly affairs'. This preoccupation of the heart makes women
vulnerable to the onslaughts of Satan". M.E. iibersieht diese Bewertung aber die interessanten
ZwischentOne, die in dieser Schrift vorhanden sind. Die Wahrnehmung der himmlischen
Wirklichkeit bzw. des Satans ist nur durch direkte Offenbarung Gottes bzw. das Geben des
Gllrtels zu erlangen. Dies gilt sowohl filr Riob (3f; 47,S), als auch filr die TOchter Hemera,
Kasia und Amaltheias Keras. Die Frau Riobs, Sidotis, d.h. die Getreidegeberin (zum Namen
vgl. van der Horst, 96f) verfilgt ganz selbstverstandlich fiber beachtlichen Besitz (25,1-8; 40,1-
4), bekommt eine Offenbarung (vgl. Act 7,SSf) und wird in ahnlicher Weise von der Kreatur
und den Armen beklagt (40,9.13f) wie Riob selbst, nachdem sie eines sanften Todes gewllrdigt
wurde (40,6). An zahlreichen Stellen tauchen in der Scbrift zudem Frauen oder Bilder aus der
Frauenwelt auf (vgl. besonders 18,4: Hiob vergleicht sein stummes Leiden mit dem einer Frau
in den Wehen).
76                                       KAPITEL2


dieser Diskussion partizipieren. Mit Hilfe des oben aufgefiihrten Literatur-
kanons, der zwar keinen Anspruch auf Vollstiindigkeit erheben kann, aber
doch der Versuch eines repriisentativen Querschnitt sein will, ist ein Rahmen
fUr die Einordnung der Charakterisierungen von Frauenfiguren in den beiden
Textfassungen von JosAs gewonnen.


                                  3. DIE ALTE AsENETH

In JosAs steht der Sinneswandel Aseneths, ihre Bekehrung oder Verwand-
lung, im Zentrum der Erzahlung. Die Darstellung dieser Figur kann dabei
grob in drei Phasen unterteilt werden: Die Charakterisierung der 'alten
Aseneth' (ca. Kap. 1-13 und 21,10-21(B)),128 die Charakterisierung der
 'neuen', d.h. verwandelten bzw. bekehrten Aseneth (Kap. 14-21,9/8) und die
Erzahlung von Aseneths Begegnung mit der Welt (Kap. 22-29).
    Die Darstellung der 'alten Aseneth' solI hier unter zwei Gesichtspunkten
untersucht werden. Zum einen wird gefragt, wie diese Figur in die Erzahlung
eingefiihrt ist, d.h. wie sie der Erziihler im jeweiligen Text einleitend
charakterisiert und wie sie anderen Figuren gegeniibertritt (3.1). In den Blick
rUcken hier besonders die Kapitel 1-9. Zum andem werden Aseneths
Monologe (Kap. 11-13 und 21,10-21(B)) danach befragt, was Aseneth im
jeweiligen Text als ihre Verfehlung benennt (3.2).
    1m Vordergrund der Untersuchung steht jeweils die Frage, wo und in
welcher Weise die verschiedenen Textfassungen von JosAs sich in charak-
teristischer Weise unterscheiden. Ich werde daher die Textabschnitte, in
denen sich Kurz- und Langtext deutlich unterscheiden, aufsuchen und im
Kontext des jeweiligen Gesamttextes interpretieren. Die These, die es im



    128 Die Kapitelangaben fUr die ersten beiden Phasen sind m.E. nicht eindeutig vorweg zu
benennen. Sanger (Bekehrung, besonders 29-33, vgl. auch ders., Antikes Judentum, 154-157)
hat 9,2/2 die Stelle in den beiden Texten, an der das Stichwort J.1E'tavosiv zum ersten Mal
vorkommt, als Zeitpunkt der Bekehrung ausgemacht. For ibn ist "die Bekehrung in 9,2
geschehen, Kap. 10-13 ziehen deren soziale und anthropologische, 14-18 deren soteriologische
Seite aus" (Bekehrung, 33). Iedoch kann diese Bestimmung einige Details im Text nicht
erkHlren. Z.B. sagt der MENSCH, der Aseneth aus dem Himmel besucht, ihr in 15,5/4 zu:
"Siehe (doch), von heute an (a,7tb ~ cn1J.1Epc>v) wirst du wiederemeuert werden" (vgl. auch
15,1/1; 16, 16(B». Dies geschieht gemaB der erzlIhJ.ten Zeit acht Tage nach J.1E'tavosiv von
9,2/2. Will man also 9,2/2 als Bekehrungszeitpunkt annehmen, so mull die ,,Bullphase" in Kap.
10-13 als Zwischenstufe vor der eigentlichen Verwandlung (die zumindest liuBerlich im
Langtext tlbrigens erst zwischen 18,4(B) und 18,9(B) stattfmdet) betrachtet werden. Da es sich
bei Kap. 10-13 urn die ErzlIhlung von ,,BuBhandlungen" und Monologe Aseneths handelt, in
denen sie auf ihr bisheriges Leben und Handeln rekurriert, werde ich diese Kapitel hier im
ersten Teil als 'die alte Aseneth' verhandeln und den Schnitt bei der Erscheinung des
MENSCHEN aus dem Himmel (Kap. 14) machen. Auf die Frage des Zeitpunktes der
Emeuerung Aseneths in Kurz- und Langtext wird im folgenden besonders unter 4. eingegangen
werden.
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  • 1. KAPITEL2 DIE DARSlELLUNG ASENETIIS IN KURZ- UNO LANGlEXT 1m ersten Kapitel wurde dargesteUt, daB JosAs eine fiktive Erzahlung ist, die durch auBere Kriterien weder sieher datiert noch lokalisiert werden kann. Es ist daher notwendig, einen Zugang zu JosAs auf der literarischen Ebene zu suchen. Die Tatsache, daB JosAs in mehreren Textversionen vorliegt, kann, so meine These, einen Einblick in die antike Diskussion urn diesen Text gewahren. Anhand der beiden neuesten Rekonstruktionen, also des Kurztextes der Familie d (des etwas veranderten Texts von Philonenko) und des Langtextes der Familie b (des "Vorlaufigen Texts" von Burchard), die beide fUr sich den Anspruch erheben konnen, als altester erreichbarer Text zu gelten, soU deutlich gemacht werden, an welchen Themen und Formulierungen Kontroversen entstanden sind. Da nicht vorweg entschieden werden kann, welcher der beiden Texte der altere ist, werde ich versuchen, die Texte miteinander ins Gesprach zu bringen. In der Erzahlung JosAs steht eine Frau, namIich Aseneth von Heliopolis, die Tochter des Pentephres und seiner Frau, im Zentrum. Dieses Spezifikum, so werde ich im folgenden zeigen, stand bereits in der Antike im Zentrum des Interesses derer, die sich mit diesem Text beschaftigten. Die These, die es in diesem Kapitel zu iiberpriifen gilt, ist, daB sich der Kurztext und der Langtext gerade in der DarsteUung der Frau Aseneth signifikant unterscheiden. 1st dies zu erweisen, so ware damit nicht nur ein Bearbeitungskriteriurn bzw. -interesse ermittelt worden, das zu der Ent- stehung des zweiten oder auch beider Texte gefiihrt haben konnte, die Er- heUung einer antiken Diskussion urn das Frauenbild dieser Schrift ware auch ein Beitrag zur Erforschung der jiidisch-heUenistischen Kontroverse urn die RoUe der Frau in der Antike insgesamt. 1m folgenden werde ich die beiden Texte parallel untersuchen, vor allem die SteUen, an denen sich die Texte signifikant unterscheiden. Als Einstieg soU eine Ubersicht iiber Ort und Charakter der Hauptunterschiede gegeben werden (1.). Bevor ich dann mit der Untersuchung beginne, die im wesent- lichen dem Gang der Erzahlung folgen wird (3.-5.), miissen methodische V orilberlegungen iiber die Erhebung des Frauenbildes in einer antiken fiktiven Erzahlung angesteUt werden (2.). AbschlieBend wird die theolo- gische Frage nach dem Gottesbild in den beiden Texten gesondert untersucht werden (6.).
  • 2. 50 KAPITEL2 1. DIE UNTERSCHIEDE ZWISCHEN KURZ- UND LANGTEXT Der Kurztext und der Langtext unterscheiden sich ZlUlachst deutlich im Umfang. 1 Auch wenn, wie ich bereits gezeigt habe, mit auBeren Kriterien nicht entschieden werden kann, welcher Text der altere ist, ist es in der Forschung unumstritten, daB beide Texte literarisch voneinander abhangen. Wenn im folgenden von 'Textauslassung' bzw. 'TextiiberschuB' die Rede ist, solI damit nicht ein Vorgang der Textbearbeitung, sondem lediglich der positive Sachverhalt beschrieben werden. Der Langtext, d.h. der Text der Familie b (VorlT Burchards) bietet also an zahlreichen Stellen mehr als der Kurztext, d.h. der Text der Familie d (philonenkos Text). Zu diesen Umfangsdifferenzen treten noch ca. 520 Anderungen in der Wortwahl hinzu. Dies kann z.B. im Wechsel von a.no und elC bestehen,2 oder nur im Wechsel von 'AcreviS und aUnl. Neben solchen geringfiigigen Unterschieden lliBt sich aber eine signifikant unter- schiedliche Wortwahl beider Texte beobachten, z.B. 15,717 elCAtnapetv/napalCaA£tV;3 16,17b/12 j3A.S1tBtV/SeOlpdv4 und 23,10/10 uiD<; 'to) Seo) npOl'tO'tolCoq'a.Ya.1tTl'tD<; 'tq> Seq>.' Die Bedeutung einer solchen Veranderung lliBt sich aber jeweils nur im Kontext beurteilen. Langere Lesarten finden sich fast nur im Langtext von JosAs. Der Kurztext liest lediglich 214 Malliinger, zum allergrofiten Teil nur urn ein Wort. Hin und wieder wird der Stil etwas verbessert, wie z.B. in 10,20(Ph) oder 21,8(Ph),6 manchmal wird ein Sinnabschnitt hinzugefiigt, wie z.B. 12,7(Ph) oder 23,9f(Ph) und besonders in 28,15f(Ph), wo sich auch der einzige vom Langtext nicht mitbezeugte vollst1indige Satz findet? 1S. obenKap. I Anm. 185. 2Das Verhaltnis von ano und 8K betrllgt im Kurztext insgesamt 36 zu 74 im Langtext 83 zu 101. Dies k6nnte angesiehts des Prozesses der Aufnahme von 8K in att6, der zur Zeit des Neuen Testaments bereits begonnen hat, filr die Datierung nieht uninteressant sein, ist aber angesiehts der Unsieherheit des Textbestandes im Detail kein sehr fundiertes Argument. Zurnindest ist die Verrnisehung nieht verwunderlieh (vgl. Blass/Debrunner, Paragraph 209). Die Vertausehung fmdet gegenseitig statt. Sechsmalliest der Kurztext filr EK im Langtext ano, zehnmal filr ano im Langtext 8K. 3 S. unten 6. 4 S. unten 4.3. , S. unten 6. 6 10,20(Ph) 1l1lliE OAox; YEUO'aIliVll 'tty&; statt 10,17(B): Ka c'ip-tOY OUK ecpa.YE Ka 00r0p OUK Eml:Y EY <EKl:iYalC;> 'tIlit; E1t'tCt TjpipatC; riic; 'tIl1tt:lVOOEox; aun;c;; 21,8(Ph): yeYDjJ£YIDY 'troy YUI-HOY Ka 'tOU &i1tVOU 't1:A.ea9ty·toC; statt 21,9(B): EytYI:'tO Il&'to. 'tIlUm. 7 Natilrlieh ist aueh bei den "Ubersehilssen" des Kurztextes erst bei der nllheren Untersuehung im Einzelnen zu kUlren, ob und inwiefern diese sirmver!lndernd wirken. Die bier aufgefilhrten Stellen sind lediglieh die, in denen ein SirmiibersehuB sogleieh ins Auge springt. In 12,7(Ph) wird Gott mit dem Bild einer Mutter besehrieben [vgl. das Vater-Kind-Bild in 12,8(B)]. In 23,9f(Ph) identifiziert der Kurztext den Sohn des Pharao als N!lehsten, dem niehts Sehlechtes anzutun ist [was urn so mehr auffi!llt, als der Langtext das 'N!lehster-sein' der S6hne der Magde mit ihrer ZugehOrigkeit rum Volk Israel verbindet (28, 14(B))]. In 28, 15(Ph) erkennt Levi Aseneths Rettungsaktion nieht nur ausdriieklieh an, sondern der ErzIIhler betont
  • 3. DIE DARSTELLUNG ASENETHS 51 Die groBten Differenzen allerdings entstehen durch W ortpassagen, .die lediglich im Langtext zu enthalten sind. Der Umfang dieser 'Uberschiisse' ist sehr unterschiedlich, wie auch der Charakter der Srucke. Zum einen finden sich fiber die gesamte Lange des Textes Hinzufiigungen von einzelnen Wortem oder Ausdriicken, sowie Wiederholungen von Satzteilen, was oft den Eindruck einer gewissen Umstandlichkeit hervorruft. 8 Lediglich kurze Abschnitte wie z.B. 3,4f15-8 (bis lCA.llPOv0J.1tac; iu.t(Ov) sind vollkommen identisch. Zurn anderen gibt es groBere Textpassagen, die lediglich im Langtext erhalten sind und zwar vor allem in Kapitel 10 bis 24 und 28. Die Tatsache, daB die langsten zusammenhiingenden 'Sonderlesarten' des Langtextes in Kapitel 1l,2-19(B) und 21,lO-21(B) zu finden sind, die anderen sozusagen mehrmals pro Kapitel in den Kurztext eingeschoben bzw. aus dem Langtext ausgelassen sind, zeigt noch einrnal, daB es sich beim Kurztext nicht urn einen zuflilligen Textschwund, wie er durch Blattverlust oder ahnliches hervorgerufen wird, handeln kann. Trotz der oben aufgefilhrten Differenzen stimmen beide Texte in den fibrigen Kapiteln und Passagen so weitgehend fiberein, daB die literarische Abhlingigkeit nicht bestritten werden kann. Innerhalb der textgeschichtlichen Entwicklung miissen, das zeigen bereits diese oberfl1ichlichen Beobachtungen, bewufite Rezensionen, d.h. kiirzende oder erweitemde Bearbeitungen stattgefunden haben.9 abschlieBend: "Und Aseneth rettete die Manner aus dem Zom ihrer Bruder, so daB sie sie nicht toteten." 8 Zur "Umstandlichkeit" vgl. z.B. 1,6(B) (zweimalige Wiederholung der uioi) oder 1,7(B) (Wiederholung des Subjekts der Rede als 6 uiex; au'mu 6 7tparto-roKO<;). Wiederholungen ge- hOren insgesamt rum Charakter beider Texte, also der Schrift. Das besondere Bemilhen des Langtextes ist dennoch deutlich zu spilren. Vgl. z.B. 3,1(B): BV 'tCji npo)'tCP 6't1ll 'tiiiv £7t'tCt B'tiiiv -rils BUElrjviac; ... Kal llv ouvaywv 'tOY o'i'tov 'tfjc; El)'tT1Vta<; -n;C; xropaC; BKElVT]C; mit 1,lf(B) [l,1.3(ph)]. lO,17(B): Kal lip'mv OUK 6<paYB Kal JOWl' OUK 6mBv mit lO,l(B) [lO,2(ph)], die viermalige Wiederholung des Ausdrucks: Bmi.'tacrm: 'tfi XBlPl 'to crn19oc; aU'tfjc; (7tUKviiic;) lO,l(B).lS(B); 1l,1b(B).lS(B) lim Kurztext nur lO,17(Ph)], den wiederholten Hinweis auf das zweite Gemach, in dem Aseneths Kleider sich befinden (14,12.14(B); 18,5(B) [jeweils ohne Kurztext]). Zum Stil von 10sAs allgemein und besonders des Langtextes vgl. Burchard, JSHRZ, 592-594. An einigen Stellen unterbricht der Langtext stllrker als der Kurztext den ErzahlfluB filr einige Detailbeobachtungen. Es entsteht, modem gesprochen, eine ,,zeitlupenperspektive", z.B. in 8,5(B); 11,lb(B); 20,5(B). Details an Aseneths Korper werden minutios beschrieben. In diese Kategorie sind wohl auch die bildhaften Beschreibungen besonders in der zweiten HlIlfte der Schrift einzuordnen, wie 18,3(B) 22,7-8(B). Vgl. hierzu unten 4.5. 9 Dec Einfachheit halber gehe ich hier mit Burchard von der Existenz eines Autor(inn)enwerks aus. Welche Schwierigkeiten entstehen konnten, wenn von einem Autor weitere vergessene Werke oder Mss. mit stark verllndertem Wortlaut auf'tauchten, hat eindrucksvoll Dieter Georgi, Die Aristoteles- und Theophrastausgabe, gezeigt. Georgi machte auch darauf aufinerksam, daB vermutlich von vielen philosophischen Werken mehrere unterschiedliche Fassungen yom Beginn der Uberlieferung an in Umlauf gebracht wurden, so daB man nicht notwendigerweise von der Existenz nur eines Urtextes ausgehen muB. Zur weiteren Diskussion dieses Problems, s. unten Kap. 3, 4.
  • 4. 52 KAPITEL2 Einen ersten Hinweis auf den Charakter dieser Bearbeitungen geben be- reits die Passagen, die sich nur in einem Text finden. Die beiden Hingsten zusammenhlingenden StUcke, die lediglich im Langtext erhalten sind, sind zwei Monologe, ein Selbstgesprach und ein Silndenbekenntnis Aseneths in Kapitel 1l,2-19(B) und 21,lO-21(B). Der einzige vollstandige Satz des Kurztextes, den der Langtext nicht mitiiest, handelt von Aseneths Rettung der Sohne Silpas und Bilhas. Bei allen diesen UberschOssen geht es also wesentlich urn die Darstellung bzw. Charakterisierung Aseneths. Die Frage nach dem Frauenbild der beiden Texte ist somit nicht zufallig gewiihlt. Um die Strategien der Bearbeitungen zu erfassen, werde ich die Orte der Texte aufsuchen, an denen sie sich signifikant unterscheiden. Das in einem Text Erziihlte muJ3 erfaBt werden, urn dann den anderen Text daraufhin zu befcagen, wie und ob er das im ersten Text Geschilderte ebenfalls berichtet, oder ob hier Aspekte ausgelassen oder hinzugefugt werden und wie sich der Gesamtcharakter der Erziihlung bzw. die Gewichtung einzelner Aspekte durch dieses Mehr oder Weniger an Informationen verandert. Bevor ich in diese Untersuchung einsteige, sollen aber noch einige methodische Uber- legungen angestellt werden. 2. METHODISCHE VOROBERLEGUNGEN: DAS FRAUENBILD ALS ANALYTISCHE KATEGORIE Die Zuspitzung der Frage nach den Unterschieden zweier Textfassungen von JosAs auf die Frage nach den jeweils erzeugten Frauenbildern wurde zunachst an den Texten selbst entwickelt. Der Begriff ,,Frauenbild" wurde dabei in Anlehnung an das in der US-amerikanischen theologischen Frau- enforschung hiiufig verwendete Wort ,,image" (Bild, Abbild, Ebenbild, Vorstellung) gewiihlt. Die mit "The Image of... " uberschriebenen Unter- suchungen zielen auf die Erfassung der Geschlechterrollen in Texten, urn RuckschlOsse auf die soziale Wirklichkeit hinter den Texten zu ziehen. So schreibt Karen L. King in der von ihr herausgegebenen Anthologie The Images of the Feminine in Gnosticism: ,,Images of gender both reflect the social practice of men and women and playa role in shaping the gendered character of social reality. "10 Mit dieser sicher richtigen Feststellung hat King allerdings recht schnell den tiefen Graben ubersprungen, den die modeme Literaturwissenschaft zwischen fiktiven Texten und realen Autorinnen und Autoren, Leserinnen und Lesem aufgedeckt hat. Aus fiktiven Texten kann, so betont die Litera- turwissenschaft, zumal wenn, wie im Falle JosAs, weder Autor noch hi- storischer Ort und Zeit aus auJ3eren, d.h. nicht dem Text immanenten, 10 Karen L. King, Images ofthe Feminine in Gnosticism, Editor's Foreword, XI.
  • 5. DIE DARSTELLUNG AsENETHS 53 Informationen bekannt sind, lediglich auf den impliziten Autor,l1 seine Textgestaltung und damit auch den impliziten Leser geschlossen werden, nicht aber auf die realen Autorinnen und Autoren, oder Leserinnen und Leser.12 Will man dennoch etwas uber die historischen Bedingungen und die politischen und sozialen Implikationen eines fiktiven Textes wissen, bleiben zwei Verfahrensweisen ubrig. Zurn einen kann der Text eben auf den impliziten Autor und den impliziten Leser, d.h. das, was gelesen werden sollte und konnte, befragt werden. Allerdings ist dieses Verfahren fUr die Erforschung der Frauenbilder in JosAs m.E. allein nicht hinreichend. Denn im Gegensatz zu antiken Leserinnen und Lesem fehlt uns die Kompetenz, die diese als Partizipienten und Partizipientinnen der antiken Diskussion urn die Rolle der Frau batten. Daher miissen zum anderen Aussagen bzw. Darstellungsweisen der Texte auch mit anderen literarischen Texten, die sich mit Frauenbildem beschiiftigen, konfrontiert und so in die zeitgenossische Diskussion eingeordnet werden. Die Aufdeckung eben dieser Diskussion zwischen den Textfassungen von JosAs kann neue Quellen zur Frage nach der sozialen Wirklichkeit antiker Frauen erschlieBen, nicht indem man vom Text auf soziale Wirklichkeit einfach zurUckschlieBt, sondem indem man diese Texte als Teil der sozialen Wirklichkeit antiker judischer, ,,heidnischer" und jesusbewegter Frauen begreift. 11 Die Rede vom impliziten Autor solI den Unterschied zum realen Autor als historischer PersOnlichkeit betonen. 12 Was hier mit ,,moderner Literaturwissenschaft" benannt wini, ist seit dem Ende der sechziger Jahre in der biblischen Exegese mit dem im Deutschen nur schlecht wiederzugebenden Wort 'literary criticism' bezeichnet worden. In Abgrenzung zu den Fragestellungen der alteren Fonnkritik und Redaktionskritik meinen die der literary criticism verpflichteten Forscher und Forscherinnen, daB die Texte der Evangelien bzw. der Apostelgeschichte keine "windows" zur Wirklichkeit bieten, und daB man daher nicht hinter die Texte auf eventuelle Quellen und Gemeindetradtionen zurUckfragen kOnne. Die Texte blieben vielmehr ,,mirror", d.h. sie spiegeln (nur) die inhlirente Kommunikation zwischen dem im Text eingeschriebenen Autor (d.h. dem Autor oder der Autorin, der oder die sich allein aus dem Text als Ganzem erschlieBen laBt) und dem ebenfalls im Text eingeschriebenen Leser (d.h. dem Leser und der Leserin, von dem oder der angenommen werden kann, der implizite Autor habe ihn oder sie sich als Idealleser vorgestellt). Die Frage nach dem wirklichen Autor bzw. der Autorin und den wirklichen Lesem, Leserinnen bzw. HOrern und HOrerinnen ist daher laut literary criticism unzullissig (vgl. Norman Petersen, Literary CritiCism, besonders 9-23. Die Metaphern 'text as window/mirror' stammen von Murray Krieger). In den achtziger Jahren zentrierte sich die Fragerichtung der literary criticism allerdings allgemein auf die Frage nach dem Leser. In den Diversifizierungen der 'literary criticism', in 'narrative criticism', 'rhetorical criticism', Strukturalismus und Dekonstruktivismus, ist vor allem die Frage nach den jeweils gemeinten Lesem bzw. Leserinnen unlstritten. Neben den Anslltzen, die weiterhin strikt vom impliziten Leser ausgehen, d.h. die den Leser allein im Text eingeschrieben sehen, wie Strukturalismus und 'narrative criticism', haben sich andere Richtungen wie 'rhetorical criticism' und Dekonstruktivismus mehr der Frage nach dem Lesen von historischen bzw. zeitgenOssischen Lesem und Lerserinnen zugewendet. Wie im folgenden deutlich wird, liegt mein Interesse bei den historischen Leserinnen und Lesem.
  • 6. 54 KAPITEL2 2.1 Zum literarischen Frauenbild Die Frage nach dem Bild einer Frau weist bereits auf den kiinstlichen Cha- rakter und die damit verbundene Beschrlinkung auf die literarische Ebene des hier Verhandelten hin. Die Erzahltextanalyse verwendet an dieser Stelle den Begriff "Figur", urn wie Manfred Pfister betont einer ... weitverbreiteten Tendenz, dramatische Figuren wie Personen oder Charaktere des realen Lebens zu diskutieren, schon tenninologisch entgegen- zuwirken und so die ontologische Differenz zwischen fiktiven Figuren und realen Charakteren zu betonen.13 Wie wird nun eine solche literarische Figur erzeugt? PfisterlLudwig unterscheiden unter den 'Techniken der Figurencharakterisierung' zunachst zwischen Figurenperspektive und Erzahlerperspektive. 14 Aus beiden Perspektiven konnen die in der Erziihlung beteiligten Figuren direkt oder indirekt charakterisiert werden. ,,Direkte Charakterisierungen erfolgen entweder figural durch Figurenrede oder auktorial durch Erzahlerkom- mentar. "IS Die Personen- bzw. Figurenrede kann entweder im Fremdkom- mentar oder im Eigenkommentar realisiert werden, in dem die Figur explizit ihr Selbstverstandnis darlegt, und hier wiederum entweder im mono- logischen oder dialogischen Eigenkommentar. Diese Selbstcharakterisie- rungen sind figurenperspektivisch gebrochen, konnen also ein falsches und verzerrtes Selbstverstandnis darlegen, das von den Rezipientinnen und Rezipienten durchschaut werden muB. In modemen Dramen und Erzahl- texten entsteht beim dialogischen Eigenkommentar noch ein weiterer Ver- zerrungsfaktor, der durch strategische Absichten, die die Figur ihrem Dia- logpartner gegenuber verfolgt, hinzutritt. In antiken Erzahlungen wie 10sAs ist dies sicher nicht so ausgepriigt, doch fallt auch hier das Arbeiten mit Spannungen, Millverstandnissen und Unwahrheiten auf (vgl. 7,8/11 mit 8,5-6/4-6; 4,7/8 mit 12,12/11 und 20,6- 7/5; 1,9/14 mit 23,3/4). 13 Manfred Pfister, Dos Drama, 221. Der Rekurs auf die Dramentheorie wird hier mit Hans-Werner Ludwig, Figur und Handlung, 106-144, untemommen. Die Erzahltextanalyse bzw. Romananalyse wie auch die narrative criticism konzentriert sich im Gefolge von Vladimir Propp und Algirdas 1. Greimas stark auf die Handlungs- und Settings-Untersuchung und sieht die Figuren vor allem durch die Handlungen charalcterisiert (vgl. auch Wilhelm Egger, Methodenlehre, 74-158, besonders 125f und Mark Allan Powell, What Is Narrative Criticism?, besonders 51-67). Dies ist sicher ein wesentlicher Aspekt. Jedoch eignet sich eine vomehmlich von der Handlungsstruktur ausgehende Untersuchung nicht fUr direkt voneinander literarisch abhllngige rexte. 1m folgenden schlieBe ich mich daher den von Ludwig und Pfister vorgeschlagenen Untersuchungskriterien der Figurencharakterisierung an. 14 Die Begrifflichkeit orientiert sich im folgenden an Ludwig, Figur und Handlung, 143f, der die von Pfister, Dos Drama, 251-264, vorgeschlagene Begriftlichkeit fUr die Erzahltextanalyse modifiziert. I' Ludwig, ebd., 144.
  • 7. DIE DARSTELLUNG ASENETHS 55 Der Fremdkommentar kann in erzahlenden Texten entweder durch Figurenkommentar oder durch Erzlihlerkommentar realisiert werden. Da in losAs ein "situationsuberlegener Erzlihler l6 auftritt",17 der nirgends als mithandelnd identifiziert wird, sind die von ihm vorgenommenen Charak- terisienmgen eindeutig als Aussageabsicht zu identifizieren. Figurenkom- mentare konnen dagegen Unwahrheiten ausdrUcken (vgl. 23,3/4). Neben diesen direkten Charakterisienmgen unterscheiden PfisterlLudwig noch die indirekten. Auch sie sind in erzahlenden Texten sprachlich realisiert. Hierzu gehOren Wohnraum und Besitz, Kleidung, physische Gestalt, realisierte Handlungsmoglichkeiten sowie auch sprachliche Eigenheiten der Figuren. Zu den auktorialen Charakterisienmgstechniken gehOrt auch der Name. Der Autor oder die Autorin kann z.B. durch die Verwendung eines sprechenden Namens wie z.B. Psyche (Apul. met. IV-VI) die entsprechende Figur bereits zu Beginn der Erzlihlung definieren oder durch die Verwen- dung eines interpretierenden Namens einen charakterisierenden Bezug zur Figur implizit andeuten. Namensetymologien sind in der Antike ein wich- tiges Forschungsgebiet, was besonders in den Werken des Philo von Alexandrien deutlich zutage tritt. Leider tellt er uns keine Etymologie fUr den Namen Aseneth mit,18 Drei verschiedene Wege zu einer Deutung des Namens Aseneth sind in der Forschung bisher beschritten worden. Philonenko und Slinger suchten eine Deutung unter Zuhilfenahme der agyptischen Etymologie des Namens. Aseneth bedeutet dann "die der Neith Angehorende" oder "Sitz der Neith" oder iihnliches. 19 Philonenko deutet den Namen Aseneth als Bild der Gottin und die Schrift selbst als Schlfissel- roman. 20 Slinger erblickt in der Namensgebung einen latent aggressiven Zug ... , der iigyptische GOtter, in diesem Fall speziell Neith depotenziert und fUr eigentlich rnachtlos erkliirt ... Die Tragerin des erhabenen gottlichen Namens, mit dem ein regelrechtes Besitzverhiiltnis angezeigt wird, 16 Der ErzlIhler von JosAs wird nirgends identifIziert. Daher ist ihm bzw. ihr auch kein be- stimrntes Geschlecht zuzuweisen. Wenn inI folgenden von "dem ErzlIhler" geredet wird, so inI- pliziert dies keine Entscheidung iiber das Geschlecht dieser ErzlIhlfigur. 17 Zur Bestimrnung der erzllhlenden Figur vgl. Cordula Kahrmann u.a., Erzahltextanalyse, 143-147. Der Standort des ErzlIhlers in JosAs ist genauer als Er-ErzlIhler zu beschreiben, der situationsiiberiegen aus einer AuBenposition erzllhlt. Sein Standpunkt zeigt sich nicht nur an der "Konstruktionsweise einzelner erzllhlter Details" und der darin ablesbaren ErzlIhleinstellung, sondem auch in den "expliziten Bewertungen inI ErzlIhlen iiber das ErzlIhlte" (ebd., 147), wie es in den ErzlIhlungen der Gedanken und Gefilhle Aseneths (z.B. 16,2(B).13(B)/ ohne Ph) gegeben ist. 18 Nach Som I 78 ist Aseneths Vater Pentephres als Priester der Sonnenstadt Priester des Geistes. 19 Sanger, Antikes Judentum, 59-60; ders, Bekehrung, 13-15; Philonenko, Joseph et Aseneth, 61f). 20 Ebd., 60-79.
  • 8. 56 KAPITEL2 wendet sich von der ihr angestammten religiosen Uberliefenmg ab und dern Gott der Rebmer ZU. 21 Problematisch an dieser Namensdeutwlg sind m.E. die Voraussetzungen, die hier gesetzt werden miissen. V orauszusetzen ware nlimlich erstens, daB den antiken Leserinnen bzw. den antiken Lesem die Gottin Neith bekannt war und zweitens, daB sie diese Etymologie entschliisseln konnten. Letzteres ist nicht ganz unproblematisch, da Neith auf griechisch Nate umgeschrieben wird, was die wenigen erhaltenen theophoren Namen auch belegen. 22 Lediglich ein koptischer theophorer Name liest ... 69.23 Es ist also nicht zwanglaufig vorauszusetzen, daB griechisch sprechende Leserinnen und Leser den Namen 'Acrevs9 mit Nate identifizierten. Schwer zu beantworten ist auch die Frage nach der Bekanntheit der Gottin Neith. Bereits unter den Ptolemaem ging ihr EinfluB stark zuriick, so daB ihre Denkmiiler zum Bau Alexandriens verwendet wurden. Daher sind wohl auch relativ wenige theophore Namen mit Neith erhalten. Wie in den wenigen Papyri, so wird Neith auch in den literarischen Zeugnissen als Athene gedeutet und erkliirt. 24 Einen gewissen Bekanntheitsgrad fiber Sais und Esneh hinaus konnte Neith allerdings als Totengottin im Osiriskreis erlangt haben.25 1m Rahmen des jiidisch-hellenistischen Schrifttums ware eine ll.gyptische Etymologie ohnehin ungewohnlich. Philo z.B. geht bei seinen Etymologien vom Hebriiischen aus, wenn er Sara von i1irZ1 als herrschend deutet (Cher 41; Mut 77, Quaest in Gn 3,52; IV.122) oder Rahel als Blick der Entheiligung von t"n und ~~i (Congr 25). Zur Deutung zieht Philo auch den niiheren Kontext heran. So deutet er Rahel an anderen Stellen als Sinnlichkeit wegen ihres Sitzens auf den Gotzenbildem ihres Vaters (All II 46) oder wegen der Liebesapfel, die sie Lea gibt (post 135). IUdische Exegeten haben daher versucht, fUr den Namen Aseneth eine Etymologie aus dem Hebriiischen herzuleiten und eine Verbindung zwischen dem Namen Aseneth und Zutluchtsstadt (15,7a/6) zu finden. Kaufinann Kohler meint, daB der Name nlO~ durch eine Umstellung der Buchstaben auf oOl/O'l (fliehen) und om~ (Zuilucht) deutet 26 Louis Ginsberg erkliirt die Umbenennung Aseneths in Zuiluchtsstadt (15,7a/6) durch die Ahnlichkeit von nlO~ und mono lon bedeutet ,,kriiftig sein" und im Aramiiischen bedeutet ~lo'n sowohl "Starke" wie auch "befestigter Platz, 21 Bekehrung, 21. 22 llE'tEVTJS( (Dativ), 1lE'tE'tTL't1. (Dativ), N1'tTL'toc; (Genitiv) ptolemeische Zeit. Nl'tOt't1.C; aus der Zeit des Augustus sowie Nt'tEtpoc; aus der spllten Kaiserzeit (vgl. Adolf Rusch, Art. Neith, PRE 16/2 (1935), 2197) oder llEaj3ovaLEn,c; bzw. llE'tEvaLEn,c; U.Il. im Pap. Bruxelles (vgi. Joseph Vergote, Les Noms Propres, 13f(Nr. 66.78). 23 C')"Nee vgl. Gustav Heuser, Personennomen der Kopten, 61. 24 Vgl. Plut. Is. 9; 62 (nur an letzterer Stelle nennt Plutarch uberhaupt den Namen Neith). 25 Zum Ganzen Rusch, Art. Neith, PRE 16/2 (1935), 2188-2218. 26 Art. Asenath, JE 2 (1902),174.
  • 9. DIE DARSTELLUNG AsENETIfs 57 Zitadelle".27 Victor Aptowitzer leitet nlO~ von l'O~ (Ungliicksfall) abo Die Umbenennung Aseneths in Zufluchtsstadt (l5,7a/6) konnte dann auf nlOi1 zurUckzufilhren sein, in dem Aptowitzer die Wurzeln i10i1 (sich bergen) und lOi1 (aufbewahren) findet. 28 Zwar versuchen alle diese Autoren, durch die hebraischen Etymologien Argumente fUr ein hebraisches Original von JosAs zu gewinnen, doch ist die Annahme eines hebraischen Urtextes der Schrift fUr die Existenz hebraischer Etymologien nicht unbedingt notwendig, wie Philo zeigt. Vielmehr sind diese Etymologien traditionell. Aber der einzige antike Beleg fUr die Annahme dieser hebraischen Etymologie, die den Namen Aseneth mit der Deutung Zutluchtsstadt verbindet, ist die Namensdeutung des Hieronymos, der in seinem liber interpretation is hebraicorum nominum Aseneth mit ruina 1bersetzt. Die Riickfilhrung des Wortes Zutluchtsstadt auf ein hebraisches Wort, das an ,,Aseneth" anklingt, bleibt, wie oben gesehen, problematisch,29 Die dritte Moglichkeit, den Namen Aseneth zu deuten, ist eine grie- chische Etymologie, welche in einem koptischen Papyrus erhalten ist. 30 Aseneth wird hier als "die, die vom Tod gerettet wird" gedeutet. Oscar von Lemm halt dies fUr eine V olksetymologie aus IX und 9o.va't0<; also 'ASavaala. 31 Diese Deutung des Namens Aseneth ist allerdings wahr- scheinlich jiinger als die Schrift selbst. Es ist also durchaus moglich, daB es sich bei dem Namen Aseneth urn einen charakterisierenden Namen handelt. Die Umbenennung in 15,7aJ6 deutet zumindest darauf bin. Aber die Bedeutung des Namens Aseneth ist nicht mehr sicher zu erheben. FUr die hier unternommene Untersuchung ist lediglich davon auszugehen, daB der Name von den Autoren bzw. Autorin- nen nicht frei gewiihlt wurde, sondern in der Genesis bereits vorgegeben war. Nach den von Ludwig/Pfister entwickelten Kriterien entsteht also das Bild der Figur Aseneth beim Leser bzw. bei der Leserin durch die vom Erzahler vorgenommene Charakterisierung Aseneths, durch die Beschrei- bung ihres Wohnraums, ihrer Kleidung, durch die Handlungen, die er sie ausfiihren laBt, und im Langtext zusatzlich noch durch Aseneths Gedanken, die er dem Leser und der Leserin mitteilt. Hinzu treten noch Figurenkom- mentare iiber Aseneth, ihre eigenen Monologe, zu denen man auch die 27 The Legends Y, 374 Anm. 432. 28 Aptowitzer, Asenath, 280-281. 29 Ygl. Burchard, Untersuchungen, 92-95, der hier noch weitere Yersuche der Rllckfilhru:ng anfilhrt. 30 Walter M. Crum, Catalogue a/the Coptic Manuscripts, 12Of, Nr. 271, Zeile 1-3. 31 Koptische Miszellen I-VX; (V)143f.
  • 10. 58 KAPITEL2 Gebete zahlen muB und ihre Dialoge. Dabei ist Aseneth in JosAs keine statische, sondem eine dynamische, sich entwickelnde Figur!2 Fiir das Bild, das sich eine Leserin und ein Leser von einer Figur machen, ist zudem die Figurenkonstellation entscheidend. Sie bestimmt sich aus der Zahl der Figuren einer Erzahlung und dem Anteil einer Figur am Text im Verhliltnis zu anderen Figuren. Wenn auch nicht direkt quantitativ, so bemessen sich hieran nicht nur die Wichtigkeit einer Person fUr den impliziten Autor und Leser, sondem auch die angelegten Identifizie- rungsmoglichkeiten. Neben dieser Frage der Figurenkonstellation ist im erzahlenden Text auch noch die Frage des eroffneten Blickwinkels, bzw. das, was der Leserin und dem Leser zu sehen ermoglicht (erzahlt) wird und was nicht, ent- scheidend. So schwenkt z.B., ubertragen gesprochen, in Kapitel 9 die Kamera zunachst auf die Abschiedsszene zwischen Pentephres und Joseph, urn dann Aseneth in den Blick zu nehmen. Was Joseph, Pentephres, oder seine Frau in den 8 Tagen zwischen Josephs erstem und zweitem Besuch bei Aseneth erleben, bleibt auBerhalb des Blickfelds. Daran, wie oft eine Figur in den Blickwinkel der Erzahlung kommt, sei es von der Erzahlinstanz oder aus der Sichtweise einer anderen erzahlten Figur, bemiJ3t sich ihre Wichtigkeit. Fiir eine Untersuchung des Bildes einer bestimmten Figur konnten nun alle diese Faktoren, also die indirekten Charakterisierungen, Besitz, Ver- fiigungs- und Bewegungsraurn, Wahrnehmungsmoglichkeiten etc. und die direkten Charakterisierungen durch Erzahler, in Dialogen und Monologen, in ihrer Entwicklung untersucht und eventuell mit einer anderen Figur verglichen werden. Fiir die vorliegende Untersuchung muB dieses Verfahren jedoch modifiziert werden. Durch die direkte literarische Abhangigkeit beider Texte sind die Handlungsverlaufe so ahnlich, daB bei einer in dieser Weise generalisierenden Untersuchung der Figur Aseneth die Unterschiede eher verwischt wiirden, als daB sie zu Tage zu traten. Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Nacherzahlungspraxis, die fUr eine solche Methode notwendig wiirde. Nacherzahlungen, die immer schon Interpretationen sind, verstarken die Gefahr der Verwischung, zumal auch nicht sicherzustellen ist, daB die in der Nacherzahlung einflieBenden Informationen nur aus einem Text und nicht aus einem Konglomerat beider en1standen sind. Daher wird im folgenden der Text an den Orten, an denen er sich deutlich unterscheidet, in Ubersetzung parallel gegenubergestellt und verglichen, wobei darauf zu achten ist, die jeweilige Passage in ihrem Gesamt- zusammenhang des jeweiligen Textes zu interpretieren. Um die Interpreta- 32 Zur Figurenk:onzeption vgl. Pfister, Das Drama, 240-247. DaB Aseneth eine sich ent- wickelnde Figur ist, wird nicht zuletzt an der zentralen Stellung, die der Begriff J.1S'tUVOlU (Bulle, Sinneswandel) im Ganzen einnimmt, deutlich.
  • 11. DIE DARSTELLUNG ASENETHS 59 tionsmoglicbkeiten der antiken Leserinnen und Leser in den Blick zu be- kommen, werden die Besonderheiten in der Darstellung Aseneths in beiden Textenjeweils in den Kontext der antiken Diskussion urn die Rolle der Frau gestellt. Bevor ich in die Untersuchung einsteigen kann, muB ich daher einige Eckpunkte dieser Diskussion aufzeigen. 2.2 Zur Frage nach antiken Frauenbildern Um das Frauenbild des Romans 10sAs aufzuzeigen und einzuordnen, ware es naheliegend, die Darstellung der Figur Aseneth mit den Frauenbildem antiker Liebesromane zu vergleichen. Ein soIches Verfahren ist jedoch an dieser Stelle aus zwei GrUnden nicht zweckdienlich. Erstens geht es in der folgenden Untersuchung urn die Uberpriifung der These, daB die beiden hier untersuchten Textfassungen sich gerade in dem von ihnen jeweils erzeugten Frauenbild unterscheiden. Ein Vergleich mit Frauenbildem des antiken Romans ware daher zu grob, urn die unterschiedliche Darstellung Aseneths in den beiden Texten zu erfassen. Zweitens sind die Frauenbilder antiker Romane bisher nur selten untersucht worden und zudem mit vollig kontraren Ergebnissen, so daB sie zunachst selbst in die antike Diskussion urn die Rolle der Frau eingeordnet werden miiBten. Im folgenden wird daher der Vergleich der Frauenbilder in 10sAs mit denen der antiken Romane zunachst zuriickgestellt33 und statt dessen ein Teil der antiken Diskussion urn die Rolle der Frau herangezogen werden, der bereits genauer untersucht wurde---die Oikonomia-Philosophie und ihre antiken Bestreitungen. Um die Darstellung der Frauenfiguren in 10sAs zu profilieren ist es notig, einige Eckpunkte dieser Diskussion vorab darzustellen und einen Kanon von sogenannter paganer wie auch jiidischer Literatur zusammenzustellen, die als Vergleichstexte herangezogen werden konnen. Das Geschlecht als soziale Konstruktion war gerade in der hellenistisch-romischen Zeit Gegenstand kontroverser Diskussion. Um es mit den Worten Wayne A. Meeks' zu sagen: If any generalization is permissible about the place of women in Hellenistic society of Roman imperial times, it is that the age brought in all places a heightened awareness of the differentiation of male and female. The traditional social roles were no longer taken for granted but debated, consciously violated by some, vigorously defended by others. While the general status of women had vastly and steadily improved over several centuries, the change brought in some circles a bitter reaction in the form of misogyny.34 FUr die antike Disskussion urn die Rolle der Frau soIl hier beispielhafi ein Typos von Literatur herangezogen werden, dessen Vorbild Xenophons 33 S. ooten Kap. 3, 5. 34 Meeks, The Image, 179. Vgl. auch zum Ganzen besonders Klaus Thraede, A"rger; Schottroff, Frauen in der Nachfolge, 91-100, und Sarah B. Pomeroy, Frauenleben, besonders 181-363.
  • 12. 60 KAPITEL2 Oikonomikos war. 3S In einem Dialog zwischen Sokrates Wld Kritobulos stellt ersterer das seiner MeinWlg nach ideale Ehepaar Ischomachos Wld Aspasia vor Wld laBt Ischomachos berichten, was er seine sehr jWlge Wld vollig Wlerfahrene Frau gelehrt habe (VII.5f). Die Gottheit habe die Men- schen ihrer Natur nach so gescbaffen, daB die Frau schwach Wld angstlich sei, der Mann aber stark Wld mutig. Daher fielen dem Mann die Aufgaben au13erhalb des Hauses zu, der Frau aber die innerhalb, niimlich die W ollar- beiten, die EssenszubereitWlg Wld die KleinkinderziehWlg sowie die Be- aufsichtigoog der entsprechenden Sklavinnen Wld Sklaven (VII.22-26). Neben den AnweisWlgen liber die Fiihrung des gemeinsamen Haushalts verpflichtet der Hausherr, nach Xenophon, seine Frau auf seine Gotter (VILS) Wld warnt sie vor dem Tragen von Schmuck (X.2-13). Es ist die MeinWlg vertreten worden, Xenophon entwerfe in seinem Oikonomikos ein emanzipatorisches Frauenbild, da er die Frau zur AHein- verwalterin der innerhauslichen Angelegenheiten mache (VII.32-36, vgl. auch IX.14-1 7) Wld ihr die Moglichkeit einraume, sollte sie sich hierin dem Mann als liberlegen zeigen, ihn zu ihrem Gefolgsmann (gepa.1tcov) zu machen (VII.42).36 Jedoch mu13 man zwischen der WirkWlg dieser Schrift im Athen des 4. Jh. v. Chr. Wld ihrer WirkWlg auf die zahlreichen Re- zipientinnen Wld Rezipienten in den folgenden JahrhWlderten Wlterscheiden. In der romisch-hellenistischen Gesellschaft, in der besonders die Frauen der oberen Schichten, wie Aspasia, faktisch Wld rechtlich liber Besitz Wld Einflu13 auch in der Offentlichkeit verfiigten (s.u.), kann m.E. kaum noch von einem frauenemanzipatorischen Effekt dieser Schrift gesprochen werden. Xenophons Oikonomikos erfreute sich, neben dem peripatetischen ersten Buch der Oikonomia des Pseudo-Aristoteles, besonders seit dem 1. Jh. v. Chr. einer steigenden Beliebtheit. 37 Unter Riickgriff auf die Ansichten des Aristoteles Wld des Xenophon entstehen in den nachsten JahrhWlderten zahlreiche mit 1tBp1. OilCOVoJ.Liac; betitelte Schriften Wld Frauenspiegel. In 3S Die nach dem Vorbild Xenophons entwickelten ,,Haushaltslehren" bilden den Kontext vieler antiker AuBerungen fiber die Frau und werden daher hier zunllchst ausfilhrlich behandelt. Vgl. auch Thraede, A'rger, 62-69. 36 Vgl. z.B. Ernst Dassmann/Georg SchOllgen, Art. Haus II Hausgemeinschajt, RAC 13 (1986), besonders 823-25 und Pomeroy, The Persian King. Allerdings wird m.E. von den Autoren und Autorinnen fibersehen, daB Ischomachos seiner Frau keine Freiheit bei der Gestaltung des von ihr "beherrschten" Hauses einrllumt, sondern ihr sogar Anweisungen fiber die Ordnung gibt (8,1-9,10) und ihr den Schmuck verbietet. Der Frau stand nach athenischem Recht nach eventueller Scheidung oder dem Tod ihres Mannes auch kein Anteil an dem gemeinsam erwirtschafteten Besitt zu. Ihr KUP10<;, dh. ihr Vater, Bruder oder Sohn bzw. ein anderer mlinnlicher Verwandter erhielt die 1tpOu; (Mitgift) mit 18% Zinsgewinn zuruck (vgl. Hans Julius Wolff, Art. Upou;, PRE 23,1 (1957), 133-170). 37 Cicero fibersetzte das Werk ins Lateinische (vgl. off. IT 87 und Colum. xn praef. 7). Philodem schreibt ebenfalls im 1. Jh. v. Chr. einen polemischen Traktat mpl. OiKovofliac;.
  • 13. DIE DARSTELLUNG AsENETHS 61 den okonomischen Schriften der Neupythagoraer Bryson und Kallikratidas38 sowie im ersten Buch der Oikonomia des Pseudo-Aristoteles39 wird dem Verhaltnis zwischen Mann und Frau als Herrschaftsform die Jlovapxta zugewiesen. 40 Der Mann soIl herrschen, die Frau muB beherrscht werden. 41 Gewamt wird daher vor der Heirat mit einer reichen Frau, die selbst die Herrschaft iibemehmen konnte. 42 Durch ihre Natur kommt der Frau zu, im Haus zu bleiben. 43 Der Mann solI eine junge, unerfahrene Frau heiraten und 38 Kallikratidas' Schrift nept OlKOl> £00a.11lOvias wird im folgenden nach der Ausgabe von Holgar Thesleff, The Pythagorean Texts, 102-107, nach Seiten und Zeilen zitiert. Brysons Oikonomikos, der vollstandig nur in arabischen Handschriften erhalten is!, nach der Obersetzung von Martin Plessner, Der Oikonomikos, 214-259, mit den dort angegebenen Kapitein und Paragraphen. Die Datierung der neupythagoraischen Schriften wird noch immer kontrovers diskutiert. Friedrich Wilhelm, Die Oeconomica, nahm das 2. Jh. n. ehr. als Entstehungszeit an. Thesleff, An Introduction, datierte sie ins 3. Jh. v. ehr. David L. Balch, Neopythagorean Moralists, votiert nach sorgfliltiger Analyse der Diskussion filr einen weiteren Zeitraurn urn die Zeitenwende. M.E. ist dem zuzustimmen, u.a. weil die Renaissance des Aristoteles nach Sulla ein bekanntes Faktum ist. 39 1m folgenden zitiert nach der Ausgabe von Ulrich Victor, [AristotelesJ OlKONOMIKOI, 87-105. Der Herausgeber mOchte die Schrift in die Nahe Aristoteles rilcken (vgl. besonders 167-175). Philodem von Gadara (1. Jh. v. ehr.), der aus diesem Werk zitiert, hielt Theophrast, den Nachfolger des Aristoteles, filr den Verfasser. 40 Pseudo-Aristot. oik. (1) 43al-4. 41 Kallikratidas, 105,6-106,17; 106,21-107,7 (Theslefl) behandelt besonders ausfilhrlich die zu wahlende Herrschaftsform des Mannes gegenllber der Frau. Vgl. auch Bryson ill 82; Hierokles bei Stob. IV 22.23 (Hense). 42 Kallikratidas 106,14-19; Bryson ill 85-89. 43 Vgl. Pseudo-Aristot. oik. (1) 43b26-44aS: "So ist von der Gottheit die Natur jedes einzeinen, des Mannes und der Frau, auf die Gemeinschaft hin angelegt: (Thre Naturen) sind n!im.l.ich dadurch voneinander unterschieden, dal3 ihre (jeweilige) Fahigkeit nicht in allen F!Illen demselben (Zweck) dient, sondem manches gegenslltzlichen (Zwecken), wenn es auch denselben (heiden gemeinsarnen Endzweck) anstrebt. Denn (die Gottheit) hat das eine starker, das andere schwllcher gemacht, damit das eine infolge seiner Furcht vorsichtiger, das andere aufgrund seiner Tapferkeit verteidigungsbereiter sei, und damit das eine die Angelegenheiten auBerhaib bestreite, das andere die im Haus besorge. Und in Hinsicht auf die Arbeit (hat die Gottheit) das eine flIhig zu einer sitzenden Lebensweise (gemacht), filr Aufenthalte im Freien aber (zu) schwach, das andere filr ruhige Tlitigkeiten ungeeigneter, filr mit Bewegung verbundene Tlitigkeiten aber kraftig" (Obers. Victor). Vgl. auch Bryson ill 75.80. Der Stoiker Hierokles (2. Jh. n. ehr.), der ebenfalls einen Oikonomikos und eine Schrift mit dem Titelnept ya,wl> geschrieben hat (vgl. Stob. IV 28.21 (Hense) und IV 22.21-24 (Hense» lOst die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Arbeiten im Haus und auBerhaib zunllchst scheinbar auf, wenn er die Arbeiten, die kOrperliche Kraft benOtigen, wie z.B. Schleifen, Teig kneten, Wolle schneiden, Wasser tragen, den Mlinnern zuordnet (IV.28.21 = 698,13-699,2 (Hense» und den Frauen Feldarbeiten in Gesellschaft ihres Mannes, wie Frilchte einsarnmein und Oliven pf1llcken, zuweist (ebd., 699,2-14). Dennoch betont auch er die traditionelle Arbeitsteilung (696,23-697,3), und die Frauen bleiben auch bei ihrn von Arbeiten in Hinsicht auf die Marktpilitze und in der Stadt (m nept m.; cXy~ Kat -riJv cX<rnJ1tOA.laV 697,1f), d.h. von der MOglichkeit zur politisch wirksarnen Tlitigkeit, ausgeschlossen. Zudem birgt diese neue Arbeitsverteilung keineswegs die AufiOsung des Verhaltnisses von Herrscher und Beherrschter zwischen Mann und Frau (IV.22.23), und auch Hierokles warnt vor der Heirat mit einer reichen Frau (4.22.24 (506,14-507,5». Was hier wie auch bei anderen Stoikem sichtbar winl, ist ein gewisser Sinn filr die praktische Wirklichkeit. S. auch unten.
  • 14. 62 KAPITEL2 sie in ihren Aufgaben sowie im rechten Verhliltnis zu ibm unterweisen. 44 Hintergrund der okonomischen Schriften ist der Gedanke, daB ein Staat nur gut gedeiben kann, wenn seine kleinsten Einheiten, die Hauser (otKot), wohlgeordnet sind.45 Speziell mit Verhaltensregeln fUr die Frau beschaftigen sich in iihnlicher Weise Frauenspiegel, wie sie im ersten Kapitel des dritten Buches der Pseudo-aristotelischen Oikonomia46 und in den Schriften der Neu- pythagoraerinnen Periktione (1t£pl. yuvatKOc; CtpJ.loviac;) und Phintys (1t£pl. YUVatKOc; O"rocppocrUvac;) vorliegen.47 44Vgl. Pseudo-Aristot. oik. (I) 43a22-24; Kallikratidas, 107,4-11 (Thesleft); Bryson ill 84. 45 Vgl. bereits Aristot. pol. 1253b,1-14. Ebd., 1259a,37-1260b,35 wird das rechte Verhlll.tnis zwischen Hausherr und Frau als Herrscher und Beherrschte ausgefilhrt und aus der Natur der Geschlechter begriindet sowie die jeweiligen Tugenden der Geschlechter verhandelt. Neben dem Verhlll.tnis yom Hausherm zu seiner Frau behandeln die Oikonomia-Schriften traditioneller Weise auch sein Verhlll.tnis zu Sklaven, Kindem und Besitz. 46 Zitiert nach der Ausgabe von Franciscus Susemihl, Aristotelis qlUle feruntur oeconomica, 40-63. Die auffilllige Verwandtschaft zwischen diesem dritten Buch der Oikonomia des Pseudo-Aristoteles und Plutarchs Coniugal Precepts (mor. 138B-146A) hat bereits Karl Praechter, HierokJes der Stoiker, 131-137, herausgestellt. Die Weiterentwicklung und Ausfilhrung der Gedanken verrat zudem einigen Abstand von dem ersten Buch der Oikonomia des Pseudo-Aristoteles, so daB ich Praechter zustimmen wilrde und den Verfasser eher nach der Zeitenwende verrnute. Praechter verweist bereits auf die Verwandtschaft dieses Traktats mit Periktiones nepl. YUVCltKO<; (xpJ.1OvlW; (ebd., 137). 47 Zitiert nach Seiten und Zeilen bei Thesleff. Bereits Wilhelm, Die Oeconomica, hat die Schriften der Periktione und der Phintys der okonomischen Literatur zugeordnet. Johannes Stobaeus filhrt in seinem Kapitel oiKoVOlltK~ (IV 28 (Hense)) Periktione U.a. neben Xen. oik; Kallikratidas und Bryson sowie Plut. mor. 138B-146A und Musonius Rufus an. Wer diese Frauenspiegel geschrieben hat, ist in der Forschung umstritten. Mary Ellen Waithe und vorsichtiger Vicki Lynn Harper, Authenticating, halten sie fur echte Schriften von Platos Mutter Periktione und Kallikratidas Tochter Phintys und datieren sie ins 4.-3. Jh. v. Chr. Thesleff, Introduction, 113-115, hlll.t sie fur pseudonym und datiert sie ins 3.-2. Jh. v. Chr. , halt dies aber spater (On the Problem) fur zu frilh. Wilhelm, Die Oeconomica, und Balch, Neopythagorean Moralists ordnen sie ins 1. Jh. v.-2. Jh. n. Chr. ein. Vgl. auch E.A. Judge, A Woman's Behaviour. Diese Datierung deckt sich auch mit den inhaltlich verwandten Briefen der Neuphythagoraerinnen Melissa, Myia und Theano, die Alfons StlI.dele, Die Briefe, aile in diesen Zeitraum, sogar eher ans Ende einordnet (vgl. besonders 256; 269; 293; 308f; 325 u.o.). Wenn in Phintys' Schrift mit bpYlClOJ1O und IlCl'tp(Xl0I.lO (152,2lf; 154,7-10 Thesleft) die Bakchanalien und Kybelefeiem gemeint sind, was die weitere Beschreibung von Rausch und Ekstase bei den gottesdienstlichen Handlungen nahelegt, und weiter gesagt wird, daB ein gemeinsames Gesetz der Stadt verhindere, daB Frauen diese Feste feiem, so macht diese Begrilndung mehr Sinn, wenn es ein solches Gesetz gibt bzw. gegeben hat. Die Bakchanalien wurden 186 v. Chr. verboten (vgl. das entsprechende Gesetz bei Mary Lefkowitz and Maureen Fant, Women's Life, 250-52 (Nr. 243) und Liv. 39,8-18). Die Teilnahme romischer Bilrgerinnen und Bilrger an den Kybelemysterien war ebenfalls yom 2. Jh. v. Chr. bis in die Mitte des 1. Jh. n. Chr. verboten (vgl. H. LeBonniec, Art. Magna Mater, LAW (1965),1812). DaB die Briefe Uberhaupt von Frauen verfaBt sind, wurde verschiedentlich angezweifelt (vgl. z.B. Susan G. Cole, Could Greek Women Read and Write?, 229; Pomeroy, Frauenleben, 203-206). Aber auch wenn die pseudonyme Abfassung von Schriften derartigen Inhalts unter einem weiblichen Pseudonym eine politisch kluge Taktik gewesen ware, ist es nicht unm6glich, daB Frauen selbst derartige Meinungen vertreten haben (vgl. auch Jane M. Snyder, The Women and the Lyre, 108-113).
  • 15. DIE DARSTELLUNG ASENETHS 63 Auch hier wird die Frau aufgefordert, im Inneren des Hauses zu bleiben,48 ihre Keuschheit zu bewahren,49 den Mann zu lieben und zu fUrchten,so auch wenn er die eheliche Treue miBachtet,SI und sie wird eindringlich vor Schmuck gewarnt.52 Diesem Bild der im Haus verbleibenden, allein um das Wohl ihres Mannes bemiihten Frau, die entweder tiber moglichst wenig eigene finan- zielle Ressourcen verfiigt oder sie jedenfalls nicht fUr eigene Zwecke aus- gibt, steht das Bild gegentiber, das sich aus Inschriften und Epigrammen ergibt. Phile aus Priene z.B. baute im 1. Jh. v. Chr. aus ihren eigenen Mitteln Wasserleitungen und einen Wasserbehalter und bekleidete (als erste Frau, wie betont wird) das Magistratsamt der [cr't]Ecp<lVTJ<POp"cra[cra].53 Plancia Magna, die im 2. Jh. n. Chr. in Perge lebte, hatte zahlreiche Stadtamter inne, darunter das der eponymen OTlJltOUpy&; und der Gymnasiarchin,54 also der Vorsteherin des ortlichen Gymnasiums, und baute sowohl Teile des groBen Stadttores der Stadt Perge als auch einen Triumphbogen. ss Auch wenn der 48 Pseudo-Aristot. oik. (ill) 140,6-9; Phintys 152,9-11; 154,1-6 (Theslefl). 49 Periktione 143,4-9.26f(Theslefl); Phintys 152,20.24-153,15 (Theslefl). 50 Pseudo-Aristot. oik. (ill) 141,7-10 und Melissa an Kleareta 160, 19-22 (Stadele) weisen die Frau an, den Willen des Mannes fO.r ihr Gesetz (lexiv6j.1o<;) zu halten. Vgl. auch Pythagoras' Rede zu den Frauen, Iambl. vita Pyth. 11.54 Sl Periktione 144, 8-17 (Theslefl); Theano an Nikostrate 170-175 (Stadele) und Eudike 179-181(Stlldele) vgl. auch Pseudo-Aristot. oik. (ill) 141,13-29. S2 Periktione 143,9-27 (Theslefl); Pseudo-Aristot. oik. (ill) 140,10-18; Phintys 153,12-29 (Theslefl); Melissa an Kleareta 160f (Stadele) vgl. auch Iamb!. vita Pyth. 11. 56 und schon Xen. oik. Vm.l-IX.13; Pseudo-Aristot. oik. (I) 44aI8-22. S3 Vgl. H. W. Pleket, Epigrapha II, 16 (Nr.5) und Lefkowit7iFant, Women's Life, 24 (Nr. 48). Zom Amt der Stephanephoros s. auch Paul R. Trebilco, Jewish Communities, 12lf. S4 ZU weiteren Gymnasiarchinnen vgl. Lefkowit7iFant, Women's Life, 157-159 (Nr. 159. 164l' Vgl. auch Trebilco, ebd., 117f. S VgI. Reinhold Merkelbach und Sencer Sahin, Die publizierten Inschriften, 97-169, besonders 120-123 (Nr. 29-37) und Mary T. Boatwright, Plancia Magna. Zu weiteren reichen und einflul3reichen Frauen S.a. Ramsay MacMullan, Women in Public, Riet Van Bremen, Women and Wealth, und Trebilco, Jewish Communities, 113-126. Unter den Historikerinnen und Historikem ist es omstritten, was diesen (erstaunlichen) EinfluB hellenistisch-rOmischer Frauen in der Offentlichkeit bewirkt hat und ob mit diesem EinfluB eine Verllnderung des Rollenbildes von Frauen einherging. Pomeroy, Frauenleben, vg!. auch dies., Women in Hellenistic Egypt, macht die groBe rllumliche Flexibilitllt der Menschen seit dem Beginn des hellenistischen Zeitalters und die damit verbundene AuflOsung des traditionellen 01KO<; fO.r eine allgemeine Emanzipation von Frauen verantwortlich. Dagegen hat Van Bremen, Women and Wealth, eingewandt, daB die von Pomeroy angenommene Entwicklung yom Rechtsstatus der "eingesperrten" athenischen zur "freien" hellenistischen Frau nicht festzustellen ist, wenn man die Quellen tiber die rechtlichen MOglichkeiten aller griechischen Frauen vor dem 2. Jh. v. ehr. betrachtet. Da auch die reichen Wohltaterinnen der hellenistischen Stadte in den Inschriften trotz ihrer politischen Taten weiterhin mit "konservativen" Frauentugenden geehrt Wiirden, widerspricht Van Bremen dem Entwicklungsmodell und meint stattdessen, daB Titel wie ,,Mutter der Stadt" oder "Tochter der Stadt" andeuten, daB das traditionelle Farnilienmodell auf die Stadt ausgeweitet werde. Allerdings trifft es nicht zu, daB aile reichen Spenderinnen in den Inschriften mit angestammten Tugenden gepriesen werden (vgl. z.B. Phile). Und auch wenn in der rOmischen Oberschicht, zu der viele dieser Frauen gehCirten, konservative Gesinnung nicht untiblich gewesen sein mag, IllBt sich dieses Urteil nicht auf die politisch
  • 16. 64 KAPITEL2 Reichtum dieser Frauen zwar keineswegs singulIlr ist, doch eher nur von einer Minderheit geteilt wurde,56 sind sowohl in Pompeji wie auch in Papyri aus Agypten Frauen belegt, die Land, Hiiuser oder Sklavinnen bzw. Sklaven besaBen und diese kauften, verkauften oder vererbten.'7 Inschriften und Epigramme zeigen Frauen, die Wagen- oder Pferderennen gewannen oder selbst Liiuferinnen waren. '8 Auch Dichterinnen gewannen Wettkiimpfe. '9 Dabei scheinen sich Frauen auch fUr Politik interessiert zu haben60 und vereinzelt unter starker MiBbilligung miinnlicher Historiographen sind sie z.B. bei Verschworungen oder vor Gericht politisch tiitig gewesen.61 Auch wenn die bier aufgefiibrten Frauen nur eine Minderheit gegenuber den jeweils bezeugten M1i.nnem darstellen,62 zeigt dies, daB das oIleO<;- Modell, das gerade wohlhabende Frauen im Blick hat, nicht (mehr) die einzig maBgebende Wirklichkeit in hellentistisch-romischer Zeit bedeutet. Die okonomischen Schriften wollen vielmehr proskriptiv sein und entwerfen, weniger einfluBreichen, aber durchaus mit finanziellen Ressourcen ausgestatteten Frauen der Provinzen ausweiten (s. unten). Boatwright, Plancia Magna, wendet m.E. ZIl Recht gegen Van Bremen ein, daB die Zeugnisse von Frauen wie Plancia Magna "enable us to see elite women's lifes in more detail, and the contradictions these lifes pose to the hegemonic paradigm. Plancia Magna and a significant number of other elite women crossed over into traditionally male roles, public ones, and achieved status and prominence equal to that of many men" (263). '6 Vgl. Van Bremen, Women and Wealth; Leikowit:1iFant, Women's Life, 157-59 (Nr. 158f; 160; 162-165). S. auch zum Ganzen Wolfgang Schuller, Frauen in der griechischen Geschichte, besonders 106-126, und ders., Frauen in der romischen Geschichte. '7 Vgl. z.B. Lefkowit:1iFant, Women's Life, 201 (Nr. 202); 236f (Nr. 223; 225) Kraemer, Maenads, 89f (Nr. 46f); Pomeroy, Women in Hellenistic Egypt, 83-173; fUr ltalien in der Kaiserzeit Liselot Huchthausen, Herkunft und okonomische Stellung, sowie speziell fUr Pompeji MacMullen, Women in Public, 209-211, und Schuller, Frauen in der romischen Geschichte, 22-33. Unter den Berufen, die Frauen ausilbten, sind Arnme, Antin und Hebamme neben zahlreichen Weberinnen am besten bezeugt, aber es gibt auch HAndierinnen (vgl. z.B. Lefkowit:1iFant, ebd., 29 (57f); Geldverieiherinnen (vgl. Schuller, ebd., 22); Malerinnen (Lefkowit:1iFant, ebd., 169 (Nr. 181)); Lehrerinnen und Schreiberinnen (vgl. Lefkowit:1iFant, ebd., 169 (Nr. 183), SchOnschreiberinnen (bei Origines vgl. Eus. hist.eccl. VI.23.2) und Steuereintreiberinnen (2./3. Jh. n. Chr. vgl. P. 1. Sijpesteijn, A Female Tax Collector und ders., Another Female Tax Collector). Vgl. auch Monika Eichenauer, Untersuchungen zur Arbeitswelt. 5& LefkowitzlFant, Women's Life, 23f(Nr. 44-47); 160 (169). '9 V gl. Schuller, Frauen in der griechischen Antike, 115. 60 Vgl. die Wahlempfehiungen von Frauen mit und ohne (ihren) Mann fUr die Wahl der Aedilen in Pompeji (LefkowitzlFant, Women's Life, 213 (Nr. 210)). 61 V gl. Sail. Catil. 25 llber die nach dem Urteil Sallusts hochgebildete Semporina, die an der Catilinischen VerschwOrung beteiligt war. Val. Max. 8.3 ilber Amesia Sentina, Afrania und Hortensia, die alle ihre Angelegenheiten selbst Offentlich verteidigten. 62 MacMullen, Women in Public, meint, die Quellen zeigten "the female sex, as such, entirely excluded from no role or aspiration at all, in the public affairs of their community, nor required to demonstrate merits much different from man's in claiming respect and participation, but yet included only in far, far smaller numbers" (213). Er demonstriert dies am Beipiel der Milnzen aus 13 Ideinasiatischen Stadten, auf denen 17 Frauen genannt werden gegenilber 214 MAnnem. In den 2500 Reskripten an Privatleute des Cod Just. aus den Jahren 117-305 n. Chr. richten sich ilber 600 an Frauen. Die meisten davon betreffen Vermogensfragen (vgl. Liselot Huchthausen, Herkunft und okonomische Stellung).
  • 17. DIE DARSTELLUNG AsENETIIS 65 zumindest wenn sie ab dem 1. Jh. v. Chr. rezipiert werden, utopische Vorstellungen yom Geschlechterverhaltnis. Kritisch gelesen geben sie selbst dariiber Auskunft. So wird im dritten Buch der pseudo-aristotelischen Oikonomia der Frau verboten, eigene Heiratspl1l.ne fUr ihre Tochter zu machen (pseudo-Aristot. oik. (lli) 140,21-141,7), und auch die Warnung vor einer Heirat mit einer reichen Frau sowie das an vielen Orten stereotyp wiederholte Verbot des Schmucks63 zeigen, daB die Frauen, die hier im Blick sind, fiber nicht unerhebliche finanzielle Ressourcen verfilgten, die ihnen dank der im hellenistischen und romischen Privatrecht verankerten Vermogenstrennung auch nach Beendigung einer Ehe blieben. 64 Columella beklagt in seinem Buch fiber die Landwirtschaft, nachdem er aus Xenophons Oikonomikos zitiert hat: Jetzt dagegen, wo die meisten Frauen derart dem Luxus und der Faulheit ver- fallen sind, daB sie sich schon zu gut sind, Woll- und Tucharbeiten auf sich zu nehmen, ja sich genieren, hausgemachte Kleider zu tragen, und ihnen in ihren wahnsinnigen Anspriichen das am besten gefiillt, was mit teurem Geld und beinahe mit dem gesamten Vermogen gekauft ist, ist es kein Wunder, wenn ihnen die Sorge urn das Landgut und die Feldgeriite zu liistig ist und ein Aufenthalt von wenigen Tagen ihnen als die widerlichste Pflicht erscheint. 6S 63 Interessant ist in diesem Zusammenhang die Darstellung der Diskussion urn das Opische Gesetz bei Liv. 34.1,1-8,3. Das Gesetz verbot Frauen das Tragen von Schmuck und kostspieligen Kleidern und war wahrend des zweiten punischen Krieges (wenn es historisch ist sieher zur Sanierung dec Staatsfmanzen) erlassen worden. Die Frauen besetzten zwanzig Jahre danach die Offentlichen Pilltze, urn auf Abschaffung dieses Gesetzes zu drangen. Erst nachdem Valerius in seiner Rede den unpolitischen Charakter des Wunsches der Frauen erldllrt hat, wird diesem stattgegeben (vgl. auch Thraede, A'rger, 82f). 64 1m rOmisehen Recht herrsehte zwischen den Ehepartnern GUtertrennung, jedenfalls bei einer manus-freien Ehe, die in dem hier zur Diskussion stehenden Zeitraurn Ublich ist. Der Mann kann das VermOgen dec Frau lediglich verwalten und auch nur dann, wenn die Frau es ibm zuspricht. Uneingeschrtlnkte Verfilgungsgewalt wurde dem Mann bis zum 1. Th. v. Chr. fiber die Mitgift (dos) wllhrend der Ehe eingerllumt. Seit der Zeitenwende wurde dieses Recht an verschiedenen Punkten eingesehrllnkt. Nach AutlOsung der Ehe muBte der Mann bzw. seine Erben die Mitgift mit dem erreichten Wertzuwachs wieder an die Frau zurOckgeben (vgl. Max Kaser, Das Romische Privatrecht, besonders 281-290). 1m Gegensatz zur athenischen Mitgifi, der 7tpOU;, die an den entsprechenden KJp<l<; der Frau gegeben wurde, ruIt die cpepvtl grundslltzIich nach Beendigung dec Ehe an die Frau, die 1tpOO'<popci und die mxpcicpepva bleiben ihr Eigenturn (vgl. GUnther Hllge, Ehegiiterrechtliche Verhiiltnisse). An der in den llgyptisch-hellenistischen Ehevertrllgen auftretenden Form der Mitgift, der cpepvtl, hatte der Mann wahrend dec Ehe nur ein beschrllnktes Nutzungsrecht Er haftete fOr eventuellen Verlust. Die cpepvtl wurde grundsatzIich bei der EheschlieBung geschlltzt und in ihrem Geldwert bzw. bei Edelmetallen in ihrem Gewichtswert dokumentiert. Sie hestand aus Geld bzw. Edelmetallen, Kleidem und Hausgeraten, sofem die persOnlichen Gebrauchsgegenstllnde der Frau nicht als 1tapacpepva bezeichnet wurden, die auch wahrend der Ehe im Besitz der Frau blieben und fOr die dec Mann nicht haftete. GrundstOcke, Immobilien und Sldaven wurden in den rOmisch-llgyptischen Ehevertrllgen nie als Mitgift gegeben, sondem blieben als 7tpO<J<popci Eigenturn der Frau. Dern Mann oblag lediglich ein Nutzungsrecht bzw. eine Nutzungspflicht. Literarische Zeugnisse von dieser Rechtspraxis geben Juv. Vl.203-213 und P1ut. mor. 140F. S. auch unten. 6S Colurn. xn praef. 9 (Obers. von Will Richter).
  • 18. 66 KAPlTEL2 Klagen wie diese zeugen davon, daB sich die Frauen trotz der zahlreichen Tugendspiegel nicht zwangslaufig den in den okonomischen Schriften vorgeschlagenen Verhaltensmustem unterwarfen. Es wundert claher nicht, daB in der Kaiserzeit besonders der stoische Philosoph Musonius Rufus (ca. 30-100 n. Chr)66 ein scheinbar aufgekliirte- res Frauenbild vertrat und meinte, daB Frauen sich mit Philosophie be- schiiftigen67 und die gleiche Erziehung wie Manner genieBen sollten. 68 Er sprach Frauen die gleiche aps't'ft (Tugend) ZU69 und war der Ansicht, daB Frauen auch avcSpda. (mannhaft) und cpp6vtll~ (verstiindig) sein konnten. 70 Allerdings driickt sich auch bei Musonius die aps't'ft der Frauen in einer frauenspezifischen Weise aus. So sollen sie nicht etwa deshalb Philo sophie studieren, urn ... ihren Haushalt im Stiche (zu) lassen und sich mitten unter den Mlinnem (zu) bewegen und sich (zu) iiben, Reden zu halten, spitzfindige Beweise zu fiihren und Trugschliisse zu widerlegen, wlihrend sie zu Hause sitzen und spinnen sollten.1J Vielmehr lehrt die Philosophie die Frau, enthaltsam (crrocpprov) zu sein72 und fiihrt dazu, daB sie iiberall selbst mit Hand anlegt, auch beschwerliche Arbeit auf sich nimmt, die Kinder, die sie geboren hat, an ihrer eigenen Brust nlihrt und ihrem Mann dient mit ihren eigenen Hlinden ... eine solche Frau ist ein groBer Segen fUr ihren Mann, eine Zierde fUr ihre Verwandten und ein leuchtendes Beispiel fUr alle, die sie kennen.73 Ebenso fiihrt auch die gleiche Erziehung von Madchen und Jungen nach Musonius nicht dazu, daB geschlechtsspezifische Zuschreibungen sich auflosen.74 Washier fUr Musonius gezeigt wurde, gilt auch fUr den Eklektiker Plutarch (ca. 45-120 n. Chr.).75 In seinem groBen Traktat mulierum virtutes, in dem er die These aufstellt, daB die aps't'ft (Tugend) von Frauen und 66 Vgl. Heinrich DOrrie, Musonius Rufus, Der kleine Pauly 3 (1969), 1496f. Zitiert (mit Rede, Seite und Zelle) nach der Ausgabe von O.Hense, C. Musonii Rufi Reliquiae. 67 Vgl. Musonius Rufus, Daft auch Frauen philosophieren sollten (Rede 3) (8,15-13,3 Hense). 68 Vgl. ders., Ob man die T6chter iihnlich wie die S6hne erziehen soli (Rede 4) (13,8- 19,14 Hense). 69 Der erste, dem der Satz avlipOc; Kat yuvaK~ ..; a&tTt Ctpa-nl (pili" Mann und Frau ist die Tugend eine namJ.i.che) zugeschrieben winl, ist (der Stoiker) Antisthenes (Diog.Laert. Vl.12). Zur Vorgeschichte der Diskussion bei Plato vgl. Thraede, .4rger, 49-54. 70 Vgl. besonders Rede4 (Hense 14,4-6; 16,9-15). 1J Rede 3 (Hense 12,5-10) Ubers. Wilhlem Capelle. 72 Ebd., (Hense 10,10). 73 Ebd., (Hense 11,20-12,5), Ubers. Capelle. 74 Vgl. Rede 4 (Hense 13,8-19,14 vgl. besonders 15,4-19; 16,15-17,5; 19,8-13). 75 Vgl. Konrad Ziegler, Art. Plutarch, Der kleine Pauly 4 (1972), 945-953.
  • 19. DIE DARSTELLUNG ASENETHS 67 Miinnem ein lUld dieselbe sei (mor. 242F-243A), schriinkt er diese Behauptung sogleich ein, indem er Beispiele vorfiihren will, die zeigen sollen, worin die apE-dt von Miinnem lUld Frauen gleich sei lUld worin sie sich lUlterscheide (mor. 243B-C).76 Die 27 Beispiele der Tugendtaten von Frauen, die er aufffihrt, zeigen zwar einige offentlich wirksame Frauen,77 aber ihre Tugendtat setzt in der Regel dort ein, wo Miinner ihre Aufgaben, z.B. die BefreilUlg von Tyrannen oder Feinden, nicht wahrnehmen lUld sie ziehen sich zumeist wieder zuriick, wenn die Miinner ihre Rollen wieder zu iibemehmen gewillt sind. 78 Haufig bestatigen sie in Wort lUld Tat die ihnen nach der Oikonomia-Philosophie zukommenden Verhaltensnormen. 79 Wenige iibemehmen selbst die Rolle der Kampferin im Krieg.80 DaB Plutarch letztlich doch den Verhaltensnormen der Frauenspiegel lUld Oikonomiaschriften zustimmt, zeigt ein Vergleich seiner Schriften, besonders der Schrift "Uber die Pilichten der Ehegatten" mit den neupythagorwschen Schriften der Phintys lUld der Periktione. 81 Wie Phintys ist Plutarch der MeinlUlg, daB eine keusche Frau zu Hause bleibt lUld nur mit ihrem Mann ausgeht. 82 Phintys verbietet den Frauen, 76 Vgl. zum Folgenden auch Kathleen O'Brien Wicker, Mulierum virtutes. 77 Durchaus nicht alle hier aufgefilhrten Frauen sind wirklich Offentlich wirksam. Vgl. z.B. Taten der Frauen von Phocis (mor. 244A-E) und Coos (mor. 249D-E) und besonders die aus Milet (mor. 244B-D), die sich nicht umbringen, weil ihnen angedroht wird, sie sonst nackt 1ber den Markt zu tragen. 78 Vgl. besonders Aretaphila (mor. 255E-257E), die sich, statt das angebotene Regierungsamt anzunehmen, in die YUVcttKOlVt"tl<; an den Webstuhl zuruckzieht. Was Plutarch von machtigen und politisch einfluBreichen Frauen MIt, zeigt seine Bewertung von Kloopatra (VII;] und Fulvia (Ant. 10). 9 Vgl. z.B. Megisto, die dem Tyrannen Aristotirnus entgegenhlilt: "Wllrest du ein kluger Mann, so wlrdest du nicht mit Frauen wegen der Mllrmer sprechen, sondem zu jenen als unsern Herren schicken" (mor. 252B). Kamma racht den Tad ihres Mannes, indem sie sich zusammen mit dem MOrder, der sie begehrt, umbringt (mor. 257F-258C). 80 Vgl. besonders die Frauen von Argos (mor. 245C-F) und die von Salmantica (mor. 248E-249D). Die Frau des Pythes filhrt die Geschlifte ihres abwesenden Mannes (mor. 262D- 263C). 81 Thraede, A."rger, 59-62, wollte Plutarchs Satz von der gleichen Iip€." (mulierum virtutes, mor. 242F) der Geschlechter als Beleg dafilr ansehen, daB "die Philosophie einigermaBen in Nachbarschaft zur hellenistischen Wirklichkeit (tritt), gerade auch indem sie die Schranken der 'Okonomik' 1berspringt" (60) (vgl. auch seine Behandlung der Stoiker, ebd., 55-59). Balch, Let Wives Be Submissive, Appendix V, 143-149, hat ihm darin zu Recht widersprochen. Allerdings halte ich es fur iibereilt und zu generalisierend, deswegen zu behaupten: ,,Plutarch demonstrates that the subordination of wives was general, contemporary Hellenistic practice" (147) (vgl. auch Wicker, First Century Marriage Ethics). Vielmehr muB man feststellen, daB Plutarch wie auch Musonius Mchstens eine Modifizierung, aber nicht unbedingt ein Gegenmodell zu den Vorstellungen 1ber Frauentugenden, wie sie in der Oikonomia-Literatur und verwandten Schriften zu fInden sind, beabsichtigen. Sie unterscheiden sich zwar zum Teil in dem bei ihnen entworfenen Rollenbild eines Mannes bzw. eines HallSherrn oder Philosophen. Das Frauenbild bleibt aber erstaunlich konstant. Zur Bewertung und Einordnung von Plutarchs Eheschrift vgl. auch Cynthia Patterson, Plutarch 's 'Advice on Ma"iage '. 82 Phintys 152,9f; 21f; 154,1-6 (Theslefl); Plut. mor. 139C (9); 142C (30); 142D (32).
  • 20. 68 KAPITEL2 wegen der damit verbundenen Trunkenheit und Ekstasen, Bakchanalien und Kybelefeste. 83 Plutarch halt Trunkenheit und Ekstasen bei Frauen ebenfalls fUr unschicklich und verpflichtet die Frauen auf die Gotter ihres Ehemannes, was bedeutet, daB sie Frauenkulten fernbleiben miissen. 84 Ebenso wie Phintys und Periktione mahnt auch Plutarch Frauen vor zu viel Schmuck,85 obwohl er auch zu wenig Schmuck fUr unanstiindig halt. 86 Auch Plutarch hillt die Harmonie in der Beziehung zwischen Mann und Frau fUr grundlegend. 87 Dafiir muB die Frau sich ihrem Mann gegeniiber in jeder Lage freundlich erweisen, darf sich nicht an Ehebruch, Zorn oder Trunkenheit storen,88 und muB den Verwandten und Freunden, die ihr Mann ehrt, zur Seite stehen. 89 Da sich Plutarchs Eheschrift auch an Manner richtet, wundert es nicht, wenn hier wie bei Kallikratidas Anweisungen zum rechten Herrschen gegeben werden.90 Wenn Plutarch in seinem Amatorius meint: widersinnig ist es allerdings zu sagen, daB Frauen keinen Anteil an der Tugend (apsnu haben. Was aber ist es notig zu reden fiber ihre Enthaltsamkeit (O"OJcppomJVl'J) und Einsicht (aUv£<ru;), noch fiber ihre Treue (menu;) und Gerechtigkeit (OtKUtoaUVl'J), wo doch die Tapferkeit ('to avopetov) und die Kiihnheit ('to 8appuAiov) und die Hochgesinntheit ('to Il8YUA.OjIUXov) offenbar geworden sind,9) findet sich auch dies mit iihnlichen Formulierungen bei Phintys und Periktione wieder.92 Fiir aile drei ist ein wichtiger Ausdruck der Tugend 83152,23f; 154, 8-11 (Thesleft). 84Mor. 140B (16); 140D (19). 85 Phintys 152,21; 153,15-28 (Thesleft); Periktione 143,9-144,8 (Thesleft); Plut. mor. 139F (14); 142B-C (29); 145A-B (48); 145E; vgl. auch 1410 (25). 86 Mor. 142A-C (29). 87 Periktione 142,18 (Thesleft) u.O.; Plut. mor. 138C-D u.o. 88 Periktione 144,8-23 (Thesleft); Plut. mor. 139F-140A (14); 141A-B (22); 141F (27); 143C (37). (vgl. auch 141B-C (23»; 140B (16); 143D-I44A (40f). 89 Periktione 145,2-6 (Thesleft) Plut. mor. 140D (19) vgl. auch 141B-C (23). 90 Kallikratidas besonders 105,6-106,13 (Thesleft); Plut. 142C-D (33), vgl. auch 139B (8) 139D (11); Wie bei Kallikratidas und Bryson wird auch bei Plutarch vor einer Heirat mit einer reichen Frau wegen ihrer Mitgift gewamt (mor. 141C-D (24», auch wenn Plutarch die Heirat mit einer vermOgenden Frau befUrworten kann (vgl. besonders Amatorius, mor. 753D-754E). Er verlangt aber von der Frau, daB sie ihren Besitz zum Besitz des Mannes erldart (vgl. mor. 767D-E; 140E-F (20» . Plutarch hat hier mOglicherweise nicht unrea1istische Verhaltnisse irn Blick, wenn er sagt: ,.Den gemischten Wein nennt man, obwohl mehr Wasser darin ist, irnmer noch Wein; so soli VermOgen und Haus Besitz des Mannes heiBen, wenn auch die Frau den gr06eren Teil zugebracht hat" (mor. 140F (20); Obers. Snell). DaB das Verhaltnis zwischen Mann und Frau nicht unbedingt ais Herrschaft des Mannes uber die Frau gelebt wurde, zeigt die folgende Passage: ,,Frauen, die lieber einen einfllltigen (UV01ftOC;) Mann beherrschen (Kpa'tElv) als einem vemilnftigen (!ppOVl!109 gehorchen wollen, gleichen denjenigen, die lieber einem Blinden den Weg weisen, ais einem Sehenden, der den Weg kennt, zu folgen" (mor. 139A (6) Obers. Snell). 9) Mor. 769B. Obersetzungen, soweit nicht anders vermerkt, von der Verfasserin. 92 FUr Periktione ist eine harmonische (Up/!OVtri) Frau voll von cppovltmoc; (Klugheit) und croxppocr6V11 (EnthaitsamkeitIBesonnenheit). Ihre UpEn'} besteht neben Klugheit auch hier
  • 21. DIE DARSTELLUNG ASENETHS 69 {O,pEnV von Frauen die Kinder- und Gattenliebe. 93 Was Plutarch von den Frauenspiegeln und Oikonomia-Schriften unterscheidet, ist, daB die Be- ziehung in der Ehe an sich und nicht das Haus (01C~) bzw. der Staat bei ibm im Mittelpunkt der Betrachtung steht,94 und daB er einen Sinn fUr die praktische Wirklichkeit hat, nicht nur dann, wenn er davon ausgeht, daB Frauen sich scheiden lassen konnten,9' sondern auch, wenn er an zahlreichen Stellen praktische Tips gibt. 96 Auffiillig ist ebenfalls, daB besonders Musonius, aber auch Plutarch und Pseudo-Aristoteles im dritten Buch der Oikonomia, den Mann zur Keuschheit auffordern?7 Literarische Zeugnisse eines anderen Frauenbildes finden sich weniger haufig. Es scheint, daB Kyniker Ul.:.d Epikuraer eine andere Auffassung von der Rolle der Frau vertreten haben. Diogenes Laertius berichtet von der darin, daB sie SUCatllKal. avSP1ltll ist. (142,18-20 (Thesleff)). Nach Phintys sind Mann und Frau gemeinsam: aVSpEia Kal. SlKatoaUva Kal. q>pOvamc; (152,11 (Thesleff)). Phintys (152,5-19 (Thesleff)) ist wie Plut. mor. 145B-146A (48) und Musonius Rufus Rede 3 (8,15-13,3 (Hense) u.O.) der Meinung, daB Frauen philosophieren sollten, urn das Gute, namlich die cr~Vll (Enthaltsamkeit) zu erkennen. 93 Plut. mor. 769C; Phintys 152,9-11 (Thesleff); Periktione 144.17-19 (Thesleff). 94 Allerdings verrat auch die Eheschrift des Plutarch, daB dies der eigentliche Ursprung der Gedanken ist (vgl. 144B-C (44)). Musonius Rufus verbindet den Gedanken von der Niltzlichkeit der Ehe file den Staat mit der Hochbewertung der Ehe urn der Ehe willen (vgl. Rede 1470,11-76,17 (Hense)). 9S Vgl. mor. 144A (41). Siehe auch oben Anm. 64. Allerdings finden sich auch in den neupythagoraischen Schriften versteckt Hinweise auf andere Wirklichkeiten. Warum wamt z.B. Phintys Frauen vor groBen Aufwendungen fur Opfer und vor Balcchanalien und Kybelefesten (154,6-11 (Thesleff))? Vgl. auch die Ausfilhrungen des Pythagoras (lambl. vita Pyth. 11.54) irn Sinne der Kritik Colurn. :xn praef. 9. 96 Z.B. ilber den Beginn einer Ehe 138D-F (2-4) oder wie ein Mann sich gegenilber einer sich straubenden Ehefrau verhalten soli 139D-F (12-13) oder yom Umgang mit der Schwiegermutter (143A-B (35). Zurn pra1ctischen Charakter der ganzen Schrift vgl. besonders Patterson, Plutarch's 'Advice on Ma"iage '. 97 Vgl. Musonius Rufus, besonders Rede 12 (63,10-67,2 (Hense)). Musonius wendet sich auch gegen den sexuellen Verkehr eines Herren mit seiner Sklavin. Dabei verwendet Musonius ein interessantes Argument, das die doppelte Sexualmoral der Antike aufdeckt und bekampft. "Wennjemandem es nicht schirnpflich oder anstOBig erscheint, daB ein Herr mit seiner Sklavin verkehrt, zumal wenn es eine Witwe ist, der soli doch einmal darilber nachdenken, wie er es flInde, wenn die Herrin mit ihrem Sklaven verkehrte! Denn das wilrde er doch fur ganz unertraglich halten, nicht nur wenn die Herrin, die einen rechtmaBigen Ehemann hat, sich mit ihrem Sklaven einlieBe, sondem auch dann, wenn sie keinen Ehemann hlitte und so etwas tiite" (66,7-19 (Hense), Obers. Capelle). Auch Plutarch scharft beiden Geschlechtern Treue (crroq>p<><nlVll rtpCx; aA.A:llM>uC;) ein, vgl. besonders mor. 767E vgl. auch mor. 144A-B (42). Allerdings rllt er der Frau, die Ausschweifungen des Mannes zu akzeptieren (vgl. mor. 140B (16) 143F-144A (40f) 144D-F (45f). Der gleiche Widerspruch laBt sich auch irn dritten Buch der Oikonomia des Pseudo- Aristoteles beobachten. In oik. (lll) 144,23-144,14 mahnt der Autor oder die Autorin den Mann zur ehelichen Treue, wogegen er bzw. sie die Frau auffordert, den Mann auch dann nicht zu verlassen, wenn er sich gegen sie verfehlt (141,13-142,17). Angesichts dieser Doppelmoral bleibt die Frage offen, ob Musonius, wenn er eine seiner Reden an Frauen adressiert batte, sie nicht ebenfalls dazu aufgefordert batte, Ehebrilche ihrer Manner zu ertragen. Anders Patterson, Plutarch's 'Advice on Ma"iage ', 4712, die U.a. wegen der Differenz zwischen Musonius und Plutarch an diesem Punkt letzteren von der Stoa abrilcken will.
  • 22. 70 KAPITEL2 kynischen Philosophin Hipparchia, die sich im Gegensatz zu ihren miinn- lichen Kollegen nicht einschiichtem lieB und die auf die Frage: "Wer ist sie, die vom Webeschiffchen sich entfemt?",98 antwortet: Ieh bin's, Theodoros; aber du glaubst doeh nieht etwa, da1 ieh mir selbst libel damit gedient habe, wenn ieh die Zeit, die ieh auf den Webstuhl hatte ver- wenden sollen, einer tiiehtigen Geistesbildung (muoo{a) zugute kommen lie.6?99 An diese Frau sind auch einige pseudonyme Briefe des Krates aus dem 1. oder 2. Jh. n. ehr. erhalten geblieben. In einem hellit es: Die Frauen sind nieht sehwiieher (Xeiprov) als Manner besehaffen. loo Die Amazonen jedenfalls, die so viele Werke vollbraehten, waren in niehts schlechter als Manner. So da1 du, wenn du dieh an diese erinnerst, diesen nieht naehstehst. lol Die Epikuraerln Leontion schrieb eine Abhandlung gegen Theophrast, 102 der nach dem Tod des Aristoteles dessen Philosophenschule leitete und der moglicherweise die pseudo-aristotelische Oikonomia verfaBt hat.103 Auch einige Kulte und Mysterien scheinen sich zumindest teilweise fUr ein den Oikonomia-Lehren widersprechendes Frauenbild engagiert zu haben. Von der Gottin Isis hellit es in einer Litanei aus Oxyrhynchus: O'U yuvu#[v] to'llV 86vuJ.l1.V 'trov av8prov e[1toi]llO'uC; (Du [verschafftest] den Frauen (die) gleiche Macht wie den Miinnem).I04 Dies zeigt, daB in der 98 Zitat aus Eur. Bakch. 1236. 99 Diog.Laert. VI.98 (Obers. Otto Apelt). Vgl. auch das Gedicht des Antipatros von Sidon auf Hipparchia, Anthologia Graeca Vll 413. Zu den Kynikerinnen vgl. auch Snyder, The Woman and the Lyre, 105-108. 100 Anders behaupten sowohl Pseudo-Aristot. oik. (I) 43b30 und Musonius Rufus Rede 12 (66,16 (Hense», Frauen seien aa&vE~, die Manner aber iaxup6-repo<;. 10 1 Vgl. Abraham J. MaIherbe, The Cynic Epistles, 78 (Brief 28). Vgl. auch Brief 30, wo Krates ein selbstgewebtes Unterkleid Hipparchias ablehnt, da sie nach Philosophie streben solie und nicht danach, vor den vielen als eine zu gelten, die ihren Marm liebt (ebd., 80). In einem pseudepigraphen Brief des Diogenes an Hipparchia heillt es: ,,Ich bewundere Dich fur die Begierde, denn als eine Frau verlangtest du nach Philosophie und bist unsere Geflihrtin geworden, vor der wegen der Strenge auch die Manner erschreckten" (ebd., 95 Brief 3). Interessant ist auch der Brief des Aristippus (Freund des Sokrates) an seine Tochter Arete. Arete scheint von dem Magistrat der Stadt Kyrene urn Besitz betrogen worden zu sein. Thr Vater schreibt ihr, sie kanne auf das Umstrittene verzichten, da sie noch zwei Garten und Besitz in Berenike beslille. AuBerdem soli sie ihren Sohn in Philosophie unterweisen und, wenn sie keine Tocbter selbst gebliren will, die Tochter einer Sklavin adoptieren. SchlieBlich soli sie nach Athen gehen, urn sich in die Mysterien einweihen zu lassen und in Gemeinschaft mit Xanthippe und Myrto zu leben (ebd., 283 Brief27). 102 Cie. nat.deor. 1. 93. Vgl. auch Plin. nat. Praef. 29. Zu den Epikuraerinnen Snyder, The Woman and the Lyre, 101-105. 103 So jedenfalls Pbilodem von Gadara (1. Jb. v. Chr.). S. aucb oben Anm. 37. 104 P.Oxy. 1380, 214f(2. Jb. n. Chr.).
  • 23. DIE DARSTELLUNG AsENETHS 71 Isisreligion die traditionellen Geschlechtsrollen nicht nur im Sinne der Oikonomia-Philosophen diskutiert wurden.los Die Rolle der Frau wurde in der hellenistisch-romischen Antike nicht nur unter Philosophen und Philosophinnen heftig und kontrovers diskutiert, auch Theaterstiicke und Inschriften bzw. Epigramme zeigen eine differenzierte Wahrnehmung von Frauen. Die neue Komodie kennt mindestens vierzehn verschiedene Frauenmasken. 106 In den Tragodien des Euripides traten Frauencharaktere in den Vordergrund. Neben Frauen, die yom Schicksal der Kriegsgefangenschaft betroffen sind (die Troerinnen), gibt es sich selbst opfemde Tochter (Iphigenie in AuIis), aber auch Frauen, die ihre eigenen Kinder toten (Medea; die Bakchen).107 Besonders letztere haben in der Antike eine Diskussion dariiber ausgelost, ob Euripides ein Frauenfeind ist oder nicht. 108 Dabei sind kaum andere TragOdien so einfluBreich und wahrend der ganzen Antike gespielt und gelesen worden, wie die des Euripides. l09 Euripideszitate werden nicht nur in Darstellungen von Frauen verwendet, llO sondem auch unter Rubriken wie 'Uber die Schlechtigkeit der Frau' gesammelt. lll IDS VgI. Kraemer, Her Share, 71-79. 106 VgI. Pollux IV. 151-54. VgI. auch Eva Cantarella, Pandora's Daughters, 93-97; Elaine Fantham, Sex, Status, and Survival. 107 Zu den Darstellungen der Frauencharaktere des Euripides vgI. u.a.: Pomeroy, Frauenleben, 155-167; Jennifer March, Euripides the Misogynist?, 32-75, und Lefkowitz, Did Ancient Women Write Novels?, 204-207. 108 Der Zeitgenosse Aristophanes (Thesm. 383-413) und Antipater (bei Stob. IV 22.25 (509,5-7) 2. Jh. v. Chr.) sowie Aulus Gellius (Noctes Atticae XV.20.6, 2. Jh. n. Chr.) halten ihn fUr einen Frauenfeind (ersterer laBt dies in seiner Komlidie eine Frau sprechen), Athenaios (Deipnosophistai xm.557e; 603e; 2. Jh. v. Chr.) fUr einen Frauenfreund. 109 VgI. Theodor Bergk, Griechische Literaturgeschichte 111,565-568. llO Z.B. von Diogenes Laertios in seiner Darstellung der Hipparchia s.o. III Bei Johannes Stobaeus IV 22 Teil 7 ist eine solche Sammlung erhalten geblieben, aber es hat sie wohl schon viel frilher gegeben. (vgI. P.Berol. 9772f (2. Jh. v. Chr.) und P.Oxy 3214 (2. Jh. n. Chr.) sowie Otto Hense, Art. Johannes Stobaeus PW 9/2 (1916), 2549-2586). Jesus Sirach klinnte mliglicherweise eine solche benutzt haben (vgI. die haufigen Verweise auf Euripides gerade bei den sich auf Frauen beziehenden Spruchen Sirachs, die T. Middendorp, Die Stellung Jesus Ben Sirach, 21 u.li. aufgefuhrt hat). Sicherer ist dies m.E. bei Clemens von Alexandrien, vgI. z.B. die Auslegung I Kor 11,3-16. (strom. IV.61-63). Dabei wird der urspriingliche Sinn oft entstellt. VgI. z.B. Eur. Med. 231-248: "Sind doch wir Frau'n das traurigste Gewlichs. Erst milssen wir fUr teures Geld den Gatten! Uns kaufen, dann verfilgt er iiber uns/ Als Herr; ist das nicht sch1immer noch als schiinIm?" Bis hierher zitiert Stob. IV 22.186 (Hense). Der Text geht allerdings folgenderrnaBen weiter: "Und davon hlingt nun alles fUr uns ab,l Ob uns ein schlechter oder guter Mann! Beschieden. Scheidung schadet ja dem Ruff Der Frau. Abweisen kann man nicht den Freier'! In ungewohnte Sitte gilt's und Art! Sich einzufilh1en. Niemand lehrte uns,l Wie einen Gatten man behandeln muB.! Gelingt uns dies und lebt der Gatte friedlichl Mit uns und trligt der Ehe Joch geduldig -I Das ist das Gluckl Wenn nicht hilft nur der Tod" (Obers. Hans von Amim). Indem die Samm1ung des Stobaeus dies auslaBt und dafilr aber etwas weiter hinten wieder einsetzt: ,,Ein Weib ist sonst ein furchtsam Wesen,l Taugt nicht zurn Kampf, scheut den geschliffen Stahl.! Doch krlinkt man sie in ihres Bettes Rechten,l Dann ist kein Herz mordgieriger als ihres." (ebd. 263-266 = Stob. IV 22.143 (Hense» bekommt der Monolog Medeas bei ilIm einen anderen Sinn.
  • 24. 72 KAPITEL2 Zeitgenossische Frauenbilder zeichnen auch die Epigramme und Ge- dichte, die in der Anthologia Graeca gesammelt wurden. Hier finden sich Liebesgedichte, Spottverse, einfache Beschreibungen, Ideale und Bilder von Frauen der hellenistisch-griechischen Antike. An der Diskussion urn die Rolle der Frau nahm auch das zeitgenossische Judentum regen Anteil. Jfidinnen scheinen rechtlich in keiner Weise schlechter gestellt gewesen zu sein als ihre ,,heidnischen" Schwestem. Sie konnten sich scheiden lassen, Guter kaufen und verkaufen. ll2 Einige Jfidinnen verfiigten uber nicht unerhebliche finanzielle Ressourcen. In Hamman Lif (Nordafrika) stiftet eine Juliana einen ca. 50 m 2 groBen Mosaik-FuBboden fUr die Synagoge.lI3 JUdinnen verfiigten nicht nur im rechtlichen und okonomischen Bereich, sondem auch innerhalb der jfidischen Gemeinden fiber EinfluB. 114 Bernadette Brooten hat gezeigt, daB Frauen Amter in den Synagogen uberall im romischen Reich eingenommen haben, m und daB sie vermutlich in der Synagoge bei ihren mlinnlichen Glaubensgenossen saBen. 116 Es verwundert daher nicht, daB ein gesteigertes Interesse an bzw. eine groBe Sensibilitiit fUr Frauenfiguren in der Literatur des hellenistischen Judentums zu beobachten ist. In den Neuerzlihlungen des Pentateuchs und der friihen Propheten, z.B. im Jub und im LibAnt, werden Frauenfiguren wie Rebekka,1l7 Melcha (Mutter des UrgroBvaters von Abraham), Mirjam (Maria), Debora, Sella (Jephthas Tochter), Hanna, aber auch Sedecla (Witwe von Endor)ll8 ausgeschmuckt und ins Zentrum 112V gl. Kraemer, Maenads, 88-93 (Nr. 45-49) und dies, Non-Literary Evidence. 113Bernadette Brooten, Women Leaders, 161 (Nr. 22). Vgl. Erwin R. Goodenough, Jewish Symbols II, 89-100 und m, besonders Abb. 886-888. 114 VgJ. zum folgenden besonders Kraemer, Her Share, 93-127; van der Horst, Einige Beobachtungen und-allerdings nicht besonders kritisch-Gilnter Mayer, Die jiidische Frau. Mehr aus praktischen als aus inhaltlichen Grunden beschrltnke ich mich in der folgenden DarsteUung zumeist auf jildisch-hellenistische Schriften. Die rabbinischen Quellen, die nicht nur schwer zu datieren, sondern auch in ihrer Tendenz bisher kaum untersucht sind, kiionen nur am Rande und zu Einzelfragen herangezogen werden. Vgl. aber auch Barbara H. Geller Nathanson, Rejlextions und dies., Toward a Multicultural Ecumenical History o/Women. m Women Leaders, 5-99. Vgl. auch dies., IaeI1tpOO'tll.'t1')C;; Kraemer, A New Inscription from Malta, 432-38; dies. Maenads, 218-220 Nr. 84-92; Peter van der Horst, Ancient Jewish Epitaphs, 105-109, und Trebilco, Jewish Communities, 104-113, und Matthew S. Collins, Money, Sex and Power. 116 Brooten, Women Leaders, 103-38. 117 Vgl. besonders Jub 25; 27,1.7f; 31,6f. 35. VgJ. auch Chesnutt, Revelatory Experiences, 108-111, undJohn C. Endres, Biblical Interpretation, besonders 73-83; 92-97; 173-176. Aller- dings bleiben die Taten Rebekkas auf das Innere des Hauses beschrltnkt und das 'Modell Rebekka' ilberschreitet nur selten das, was sich fUr eine Matrone geMrt (vgl. aber 25,14-23 ; 27,1; 35 besonders V. 6). Mindestens ein Frauenideal in Jub zeigt sich in der Beschreibung Leas 36,23: ,,Deon sie war vollkommen und recht auf allen ihren Wegen, und sie ehrte Jakob. Und in allen Tagen des Lebens mit ibm Mrte er aus ihrem Munde kein hartes Wort, denn Sanftheit und Friede und RechtschafIenheit und Ehre war in ihr" (O'bers. nach Klaus Berger). 118 Zu Melcha vgl. LibAnt 4,11; 23,4; zu Maria LibAnt 9,9f; 20,8 (ahnliche Traditionen fmden sich auch im bSot 12,b-13a und bMeg 14,a), zu Debora LibAnt 30-34; 38,2; zu Seila LibAnt 40 (vgJ. auch Cynthia Baker, Pseudo-Philo); Hanna LibAnt 5Of; 23,12f; Sedecla
  • 25. DIE DARSTELLUNG ASENETHS 73 geruckt. Das IV Makkabaerbuch macht das Martyrium der Mutter der Makkabaer zum kronenden Abschlu13 der Erzawung.lI9 Einige judische Philosophen bzw. Historiker bestimmen die Rolle der judischen Frau im Sinne der Oikonomia-Philosophie. Philo (ca. 25 v. ehr. bis 40 n. ehr) z.B. meint: Es gibt niimlich zwei Formen von Staatswesen (1t()A.tC;), grofiere und kleinere. Die gro8eren werden Stadt genannt, die kleineren Wohnung (oiKia). Von jenen haben die Mlinner die Leitung in den grofieren, die man Staatsver- waltung nennt, erlangt, die Frauen aber in den kleineren, die man Haushaltung (oiKovollia) nennt. Eine Frau soIl sich urn nichts auBerhalb der Haushaltung kiimmem, (und) indem sie die Abgeschiedenheit sucht, soIl sie nicht als eine, die auf den Stra8en im Blick fremder Mlinner herumschweift, ans Licht treten, au8er wenn sie in den Tempel gehen muB.12° Josephus (ca. 38-100 n. ehr.) beschreibt das seiner Meinung nach vom Gesetzgeber Mose bestimmte Verhaltnis zwischen Frau und Mann: Heiraten aber, gebietet er, darf man nieht, indem man auf die Mitgift achtet, noch durch gewaltsame Entfiihrungen, noch indem man durch List oder Tau- LibAnt 64,3-9. In LibAnt werden noch zahlreiche andere Frauen im Gegensatz zu ihren inzwischen kanonischen Vorlagen ausgemalt, andere jedoch, wie Sara und Hagar, unterdruckt. Vgl. auch van der Horst, Portraits of Biblical Women; ders., Debora und Seila; Cheryl Anne Brown, No Longer Be Silent, Cynthia Baker, Pseudo-Philo and the Transformation of Jephthas's Daughter, und besonders Halpem-Amaru, Portraits of Women. Letztere zeigt: ,,Pseudo-Philo rewrites narratives so that they consistently demonstrate the hand of God. Within the context of the theology, women have a specific function: they are either the instruments or the active agents of God. For the various types of instruments and agents within these patterns all strong female characters are associated in one way or another with motherhood, be it in the role of parent, villainess, or leader of Israel. Conversely, when the biblical story offers no context for a matemal characterization, Pseudo-Philo either underdevelops the portrait or portrays the women ineffective and dependent" (105f). So sehr ich dieser Einschatzung zustimme, meine ich dennoch, daB man vermuten muI3, der Autor oder die Autorin habe in seiner bzw. ihrer DarsteUung auf Traditionen oder QueUen zurUckgegriffen, die an manchen Punkten, z.B. in den ausfillrrlichen Gebeten einiger Frauengestalten wie Hanna, Seila oder Debora (vgl. besonders 51,3-6; 40,5-7 (vgl. auch 40,4) 32; (vgl. auch 33,1-3.5)) oder in den Prophetenspruchen von Frauen wie Maria (9,9f 5.0.), Sedecla (64,5f) oder Melcha (4,11), seiner oder ihrer Absicht bzw. Tendenz in der DarsteUung der Frauengestalten zuwiderlaufen. Zur QueUenbenutzung Pseudo-Philos vgl. A. Zeron, Erwiigungen. 119 IV Makk 14,9-18,6. GemaB der stoischen Tradition, in der der Autor oder die Autorin steht, will er oder sie beweisen, daB ,,Dicht nur Mlinner die Leiden beherrschten, sondem auch Frauen den grOBten Folterungen widerstanden" (16,2). Daruber hinaus bleibt sein Frauenbild im Rahmen dessen, was auch andere Stoiker fUr tugendhaft halten. In der Autobiographie der Mutter heiBt es 18,7: ,,Ich wurde geboren als heiJige Jungfrau und karn nicht aus dem vllterlichen Haus heraus, hutete aber die aufgebaute Rippe." 120 SpecLeg ill 17Of, vgl. auch Quaest in Go IV. 145. Zum VerhaItnis von Frau und Mann vgl. z.B. Hypothetica 7,3.14. Zur Gemeinsarnkeit der Gedanken Philos und der Oikonornia- Wissenschaft, Balch, Let Wives be Submissive, 52-56; 58t: Zu Philos Frauenbild und seinen Quellen vgl. auch Judith Romney Wegner, Philo's Portrayal of Women, und Dorothy Sly, Philo's Perception of Women, die jedoch wenig Wert auf QueUenkritik legt. Vgl. hierzu die Rezension von Kraemer.
  • 26. 74 KAPITEL2 schung tiberredet, sondem indem man bei dem Herm, der (die Frau) gibt, oder bei verwandten AngehOrigen urn sie wirbt. Die Frau, sagen sie (sc. die Gesetzgeber), ist in allem schwiicher (xeipmv) als der Mann. Daher solI sie gehorchen (imaKouB'tm), nicht zum Zweck einer MiBhandlung, sondem damit sie beherrscht wird (apxll'tat). Gott aber hat dem Mann die Herrschaft (Kpch~) gegeben. 121 Die Spriiche Jesus Sirachs (hebr. 2. Jh. v. Chr.; griech. 1. Jh. v. Chr.) pas- sen zu denen der Oikonomia-Philosophen. Vgl. z.B. 26,14-16; 25,2lf; 33,20a (LXX):122 (26,14-16) Eine Gabe des Herrn ist eine schweigsame (cnyrun) Frau, und es gibt kein Geld fUr eine erzogene Seele. Gnade tiber Gnade fUr eine schamhafte (aicrxuV'tTlpa) Frau. Und kein Gewicht ist angemessen fUr eine enthaltsame (eYKpCl'tol:X;) Seele. Die Sonne geht auf in den Hohen des Herrn, und die SchOnheit einer guten Frau im Schmuck ihrer Wohnung (oiKia). (25,21f) Werfe dich nicht nieder vor der SchOnheit einer Frau, und sehne dich nicht nach einer Frau. Zorn und Frechheit und Schande ist groB, wenn eine Frau ihren Mann emiihrt. 123 (33,20a) Dem Sohn und der Frau, dem Bruder und Freund, gib keine Macht (~oucria) tiber dich in deinem Leben. Aber auch im Judentwn beweist das hliufige Wiederholen dieser Meinung nicht unbedingt, daB Frauen sich auch in der Realitat mit einer schweigsamen Existenz innerhalb der Hausmauem begnugt haben. Vielmehr gibt es Zeugnisse, die bis in die Spatantike belegen, daB Frauen das Judentum besonders attraktiv fanden und sich judischen Gemeinschaften angeschlossen haben. 124 Philos Werk zeigt, trotz gegenteiliger Absicht des Verfassers, die allegorisch geschulten Therapeutinnen und birgt, tradi- tionskritisch gelesen, an manchen Stellen ein von der Oikonomia-Literatur abweichendes Frauenbild. 125 Andere judische literarische Dokumente zeigen 121 Ap IT.20Ot: Zur Einordnung des Josephus in die Oikonomia-Literatur vgl. Balch, Let Wifes be Submissive, 52-56, 58t: Zunl Frauenbild des Josephus vgl. auch James L. Bailey, Josephus' Portrayal, und Betsy Halpem-Amaro, Portraits ofBiblical Women. 122 Jesus Sirach wird im folgendenjeweils nach der Septuagintafassung zitiert. 123 S. auch oben Anm. 111. Vgl. auch Warren C. Trenchard, Ben Sira's View; Claudia V. Camp, Understanding a Patriarchy. Eine ahnliche Meinung vertritt auch Pseudo-Phokylides (1. Jh. v. Chr. bis 1. Jh. n. Chr.), besonders 177-217 (vgl. auch van der Horst, Pseudo- Phocylides, ad. loc). 124 Neben den Zeugnissen von Josephus z.B. Bell IT.559-61, vgl. besonders Joh.Chrys., Adversos Judaeos Orationes 2,3-6; 4,6 {Obers. bei Kraemer, Maenads, 59f (Nr. 31». Vgl. auch dies., Her Share, 121-127. 125 VitCont, besonders 28. Zunl traditionsgeschichtlichen Lest:·1 Philos vgl. Burton L. Mack, Weisheit und Allegorie, der im Traktat Congr mehrere vorphilonische Stufen der Auslegung und Allegorie aufdeckt. Der Ruckgriff auf allegorische Traditionen bei Philo ist nicht nur in Quaest in Gn und Quaest in Ex sichtbar, sondem erklart auch die merkwilrdige Doppeldeutigkeit der Figuren Sara und Rebekka einerseits als himm1ische Weisheit,
  • 27. DIE DARSTELLUNG ASENETHS 75 Frauen, die mutig und entschlossen ihr Volk verteidigten (Esther, Judi~126 oder die mit besonderen prophetischen Fiihigkeiten ausgezeichnet wurden (TestHiob).127 JosAs, eine Schrifi, die wie Jdt eine Frau ins Zentrum der Erz1:ihlung stellt, steht also inmitten einer Diskussion urn das Frauenbild sowohl im Judentum als auch in seiner nicht-jiidischen Umwelt. 1m folgenden wird aufgewiesen werden, wie die beiden Textfassungen je auf ihre Weise an andererseits gerade als nicht-(mehr)Frau. Vgl. auch ders., Philo Judaeus und Georgi, Frau Weisheit, besonders 248-253. David M. Hay, References to Other Exegetes, machte auf die zahheichen Zitierungen anderer Exegeten besonders in den Quaest in Gn und Quaest in Ex aufmerksam. "Philos does not think of himself as doing exegesis in a vacuum or even in an ivory tower, far removed from the serious ongoing religious decisions and challenges of Jews of his time ... He conceives of exegesis as a kind of dialogical enterprise that involves many debate partners and opponents" (97). S. auch unten 5.3. 126 Esther erlangt mit der geschickten Beachtung der ihr zugedachten Rolle die Macht des halben KOnigreiches (5,4; 7,2 u.O.), allerdings erst nachdem die rebellische Vasti verstoBen wurde (vgl. 1,12-22). Die offenkundige Spannung, daB Vasti zunachst gerade deshalb verstoBen wird, damit die Frauen in Land und Stadt ihre Manner ehren und Furcht herrsche in den Hausern (oildatc;) (vgl. besonders 1,20.22), Esther aber letzt1ich politische Macht ausfibt, ist sicher keine ungewollte Ironie. Vgl. auch Sidnie A. White, Ester. Auch Jdt arbeitet mit Ironie (vgl. Carey A. Moore, Judith, besonders 78-86). Judith stellt die Manner von Betulia sowohl theologisch als auch militarisch in den Schatten (vgl. besonders Jdt 8). Starker als bei Est sind in dieser E17Ahlung die Frauen als Betroffene stltndig im Blick (vgl. 4,10-12; 6,16; 7,22; 9,4; 15,12-14). Dabei scheint die Autorin bzw. der Autor dieser Schrift sich den Traditionen biblischer Frauengestalten sehr bewuJ3t zu sein und stellt Judith nicht nur deutlich in die Tradition der Debora und Jael, sondem bezieht sich u.a. auch auf die Miljarns- und Dina-Traditionen. Zum Buch Judith vgl. besonders Toni Craven, Tradition and Convention; White, In the Steps, und Amy-Jill Levine, Sacrifice and Salvation. S. auch unten 5.3. 127 Zu TestHiob, in dem mebr als ein Viertel der Verse von Frauen handeln, vgl. van der Horst, Images of Women, und R. P. Spittler, Testament ofHiob, besonders 83Sf Die Frage, ob die Frauen hier eine andere Rolle als die der dem Mann Untergeordneten einnehmen, ist in der Forschung umstritten. Van der Horst, ebd., besonders 101-106, und Kraemer, Her Share, 109, machen die geistbegabten TOchter Hiobs stark (TestHiob 46-51) als die einzigen neben Hiob selbst, die durch das Tragen eines besonderen gottgegebenen Gllrtels die Fahigkeit zur Wahrnehmung der, hier als eigentlich gedachten, himmlischen Wirklichkeit besitzen. Anders meint z.B. Collins, Between, 223, ,,neither Job's wife nor his servant defmitively transcends the state of deception", da beide sich vom Satan verfilhren lassen, und weist darauf hin, daB auch die TOchter nur durch Hiobs Vermittlung zur Geistbegabung geiangten. Susan R. Garrett, The "Weaker Sex", 70, meint sogar, daB im TestHiob "women are those whose hearts are naturally preoccupied with 'earthly affairs'. This preoccupation of the heart makes women vulnerable to the onslaughts of Satan". M.E. iibersieht diese Bewertung aber die interessanten ZwischentOne, die in dieser Schrift vorhanden sind. Die Wahrnehmung der himmlischen Wirklichkeit bzw. des Satans ist nur durch direkte Offenbarung Gottes bzw. das Geben des Gllrtels zu erlangen. Dies gilt sowohl filr Riob (3f; 47,S), als auch filr die TOchter Hemera, Kasia und Amaltheias Keras. Die Frau Riobs, Sidotis, d.h. die Getreidegeberin (zum Namen vgl. van der Horst, 96f) verfilgt ganz selbstverstandlich fiber beachtlichen Besitz (25,1-8; 40,1- 4), bekommt eine Offenbarung (vgl. Act 7,SSf) und wird in ahnlicher Weise von der Kreatur und den Armen beklagt (40,9.13f) wie Riob selbst, nachdem sie eines sanften Todes gewllrdigt wurde (40,6). An zahlreichen Stellen tauchen in der Scbrift zudem Frauen oder Bilder aus der Frauenwelt auf (vgl. besonders 18,4: Hiob vergleicht sein stummes Leiden mit dem einer Frau in den Wehen).
  • 28. 76 KAPITEL2 dieser Diskussion partizipieren. Mit Hilfe des oben aufgefiihrten Literatur- kanons, der zwar keinen Anspruch auf Vollstiindigkeit erheben kann, aber doch der Versuch eines repriisentativen Querschnitt sein will, ist ein Rahmen fUr die Einordnung der Charakterisierungen von Frauenfiguren in den beiden Textfassungen von JosAs gewonnen. 3. DIE ALTE AsENETH In JosAs steht der Sinneswandel Aseneths, ihre Bekehrung oder Verwand- lung, im Zentrum der Erzahlung. Die Darstellung dieser Figur kann dabei grob in drei Phasen unterteilt werden: Die Charakterisierung der 'alten Aseneth' (ca. Kap. 1-13 und 21,10-21(B)),128 die Charakterisierung der 'neuen', d.h. verwandelten bzw. bekehrten Aseneth (Kap. 14-21,9/8) und die Erzahlung von Aseneths Begegnung mit der Welt (Kap. 22-29). Die Darstellung der 'alten Aseneth' solI hier unter zwei Gesichtspunkten untersucht werden. Zum einen wird gefragt, wie diese Figur in die Erzahlung eingefiihrt ist, d.h. wie sie der Erziihler im jeweiligen Text einleitend charakterisiert und wie sie anderen Figuren gegeniibertritt (3.1). In den Blick rUcken hier besonders die Kapitel 1-9. Zum andem werden Aseneths Monologe (Kap. 11-13 und 21,10-21(B)) danach befragt, was Aseneth im jeweiligen Text als ihre Verfehlung benennt (3.2). 1m Vordergrund der Untersuchung steht jeweils die Frage, wo und in welcher Weise die verschiedenen Textfassungen von JosAs sich in charak- teristischer Weise unterscheiden. Ich werde daher die Textabschnitte, in denen sich Kurz- und Langtext deutlich unterscheiden, aufsuchen und im Kontext des jeweiligen Gesamttextes interpretieren. Die These, die es im 128 Die Kapitelangaben fUr die ersten beiden Phasen sind m.E. nicht eindeutig vorweg zu benennen. Sanger (Bekehrung, besonders 29-33, vgl. auch ders., Antikes Judentum, 154-157) hat 9,2/2 die Stelle in den beiden Texten, an der das Stichwort J.1E'tavosiv zum ersten Mal vorkommt, als Zeitpunkt der Bekehrung ausgemacht. For ibn ist "die Bekehrung in 9,2 geschehen, Kap. 10-13 ziehen deren soziale und anthropologische, 14-18 deren soteriologische Seite aus" (Bekehrung, 33). Iedoch kann diese Bestimmung einige Details im Text nicht erkHlren. Z.B. sagt der MENSCH, der Aseneth aus dem Himmel besucht, ihr in 15,5/4 zu: "Siehe (doch), von heute an (a,7tb ~ cn1J.1Epc>v) wirst du wiederemeuert werden" (vgl. auch 15,1/1; 16, 16(B». Dies geschieht gemaB der erzlIhJ.ten Zeit acht Tage nach J.1E'tavosiv von 9,2/2. Will man also 9,2/2 als Bekehrungszeitpunkt annehmen, so mull die ,,Bullphase" in Kap. 10-13 als Zwischenstufe vor der eigentlichen Verwandlung (die zumindest liuBerlich im Langtext tlbrigens erst zwischen 18,4(B) und 18,9(B) stattfmdet) betrachtet werden. Da es sich bei Kap. 10-13 urn die ErzlIhlung von ,,BuBhandlungen" und Monologe Aseneths handelt, in denen sie auf ihr bisheriges Leben und Handeln rekurriert, werde ich diese Kapitel hier im ersten Teil als 'die alte Aseneth' verhandeln und den Schnitt bei der Erscheinung des MENSCHEN aus dem Himmel (Kap. 14) machen. Auf die Frage des Zeitpunktes der Emeuerung Aseneths in Kurz- und Langtext wird im folgenden besonders unter 4. eingegangen werden.