1. Besser sozial?
Online-Journalisten zwischen Dialog und Verzettelung
Dr. Jan-Hinrik Schmidt
@janschmidt
Wissenschaftlicher Referent
für digitale interaktive Medien
und politische Kommunikation
Frankfurt, 14.5.2012
2. „Man hat ja früher gesagt, die Tagesschau ist so Hochamt, das wird um 20.00
Uhr verlesen und fertig, *…+ das könnte auch auf Latein sein. Mittlerweile ist es
ein bisschen anders.“
„Die Leute waren immer kritisch, aber sie haben jetzt eine Möglichkeit das zu
äußern. Das tun sie zum Teil sehr massiv, zum Teil ist es auch blöd [..] oder
ungerechtfertigt. Aber im Prinzip ist das natürlich für uns wahnsinnig hilfreich
und *…+ die Kritik, die wir bekommen oder auch das Lob, das spiegeln wir
schon auch zurück in die Redaktionen, die es zu verantworten haben.“
„Also die Transparenz, glaube ich, erhöht sich. Die Kommunikation erhöht sich
auch und am Ende haben wir ein Output, von dem wir glauben, dass er näher
an den Bedürfnissen, zumindest dieser Zielgruppe, die bei Facebook sich
bewegt, dran ist. Das heißt nicht dass wir damit näher an allen Deutschen dran
sind, aber zumindest an den jungen, gebildeten, männlichen Zuschauern.“
Social-Media-Redakteur der Tagesschau
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3. Gliederung
1. Aus Sicht der Nutzer: Soziale Medien und ihre Praktiken
2. Was heisst das für den (Online-)Journalismus?
– Erweiterung von Öffentlichkeit
– Konvergenz von Konversation und Publikation
– Vermessung des Publikums
3. Publikumsbeteiligung: Qualitätssteigerung oder Verzettelung?
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4. Soziale Medien und ihre Praktiken
Identitäts- Selbst- „Wer bin ich?“
management auseinander-
setzung
Beziehungs- Sozial- „Welchen Platz
management auseinander- habe ich in der
setzung Gesellschaft?“
Informations- Sach- „Wie orientiere ich
management auseinander- mich in der Welt?“
setzung
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5. Persönliche Öffentlichkeiten (1/2)
Social Web lässt persönliche Öffentlichkeiten entstehen, in denen Nutzer
(a) Informationen nach Kriterien der persönlichen Relevanz auswählen,
[anstatt nach journalistischen Nachrichtenfaktoren]
(b) sich an (intendiertes) Publikum richten, das aus sozialen Kontakten besteht,
[anstatt des verstreuten, unbekannten, unverbundenen Publikums der Massenmedien]
(c) und sich im Kommunikationsmodus des „Konversation Betreibens“ befinden.
*anstatt im Modus des „Publizierens“+
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6. Persönliche Öffentlichkeiten (2/2)
Trennung zwischen „Sender“- und
„Empfänger“-Rollen der
Massenkommunikation löst sich
weiter auf; in persönlicher
Öffentlichkeit ist man beides
Persönliche Öffentlichkeiten bestehen
aus „Microcontent“, der aus anderen
Angeboten gelöst („entbündelt“) und
durch soziale Beziehungen gefiltert
wird
„Re-Bündelung“ findet nicht in
abgeschlossenen / linearen Produkten
(„Ausgabe“; „Sendung“) statt,
sondern im konstanten
Informationsfluss der „streams“ bzw.
„feeds“
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7. Konvergenz von Konversation & Publikation
Persönliche Öffentlichkeiten lassen Monopol
des Journalismus auf das
Auswählen, Aufbereiten und öffentliche zur-
Verfügung-Stellen von Informationen
+1, Fav-Stern,
erodieren, … Retweet
… weil Nutzer auch als Urheber von
gesellschaftlich relevanten Informationen
auftreten („user-generated content“;
„citizen journalism“)
… vor allem aber, weil sie als Filter bzw.
Multiplikatoren innerhalb ihrer sozialen
Netzwerke agieren
Wechselseitiges Beobachten und
Referenzieren: Journalismus und neue
Öffentlichkeiten sind komplementär
Konvergenz von Konversation und Publikation FTOJ 2012 7 von 12
8. Vermessung des Publikums
• Soziale Medien sind für den Online-Journalismus
verführerisch, weil sie auch die Anschluss-
kommunikation der „people formerly known as
the audience“ sichtbar und messbar machen
– neben reiner Reichweite können Facetten der
Bewertung und Einschätzung erfasst und
verglichen werden
– Publikum bleibt nicht mehr diffus, sondern wird
als vernetztes Publikum sichtbar
– Entbündelung und Re-Bündelung von Inhalten
macht auch „Microcontent“ vermessbar
– Einbettung in Streams und Feeds macht Dynamik
und virale Verbreitung messbar
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10. Alles wird besser – oder doch Verzettelung?
Der Wandel von Öffentlichkeit, den soziale Medien mit sich bringen, verlangt
vom (Online-)Journalismus einen Balanceakt:
Wieviel Beteiligung, Dialog und Beobachtung des Publikums steigert die
Qualität und Akzeptanz des Journalismus, wo fängt die Verzettelung an?
Individuell: Verbesserung der eigenen Arbeit durch Feedback und neue
Perspektiven vs. Überlastung und konfligierende Ansprüche
Kollektiv-systemisch: Neudefinition journalistischer Aufgaben in der
konvergenten Informationsgesellschaft vs. Verblassen der gesellschaftlichen
Funktion des Journalismus
I: Wo liegen Ihrer Einschätzung nach die Grenzen der Publikumsbeteiligung?
B: Letzten Endes für uns, als Nachrichtenanbieter, bei der Auswahl relevanter Stoffe. *…+
Die Aufgabe des Journalisten ist nicht unwichtiger geworden, sondern sie wird
wichtiger, […] weil wir diejenigen sind, die die vielen tausend Knäueln entwirren
müssen.
Leitender Redakteur der Tagesschau
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11. Fazit und Ausblick
Die sozialen Medien lassen Formen von Öffentlichkeit entstehen, die nicht an
journalistischen Maßstäben gemessen werden dürfen.
Die Konvergenz von Konversation und Publikation stärkt die Bedeutung von
Anschlusskommunikation als Form der Publikumseinbindung in den
Journalismus. Dadurch müssen sich aber auch journalistische Praktiken und
Selbstbilder ändern.
Das entstehende „Regime der sozialen Medien“ ist noch nicht klar strukturiert,
weder in publizistischer noch in ökonomischer Hinsicht. Es stärkt aber
tendenziell die Macht neuer Intermediäre auf Kosten der Mitspracherechte für
Nutzer und Medienanbieter.
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12. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Dr. Jan-Hinrik Schmidt
Hans-Bredow-Institut
Warburgstr. 8-10, 20354 Hamburg
j.schmidt@hans-bredow-institut.de
www.hans-bredow-institut.de
www.schmidtmitdete.de
jpub20.hans-bredow-institut.de
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14. Verwendete und weiterführende Literatur
Loosen, W.; Schmidt, J.-H. (2012): (Re-)Discovering the Audience. The
relationship between journalism and audience in networked digital media.
In: Information, Communication & Society, Special Issue “Three Tensions
Shaping Creative Industries in a Digitized and Participatory Media Era”.
Preprint unter: http://jpub20.hans-bredow-institut.de/wp-
content/uploads/2012/01/Loosen-Schmidt-ICS-rediscovery-audience-
preprint.pdf
Neuberger, C.; Nuernbergk, C.; Rischke, M. (2009): Journalismus im Internet:
Profession, Partizipation, Technisierung. Wiesbaden: VS
Schiffers, O. (2010): Tools und Kennzahlen für das Social Web. In:
Brauckmann, P. (Hg.): Web-Monitoring. Konstanz: UVK. S. 267-286
Schmidt, J. (2011): Das neue Netz - Merkmale, Praktiken und Folgen des Web
2.0. 2. überarbeitete Auflage. Konstanz: UVK
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15. Partizipation, Inklusion und Beobachtung (1/3)
Journalismus Publikum
Inklusionsleistungen Inklusionsleistungen
•Formen der Publikumsintegration •Praktiken der Partizipation
•Arbeitsabläufe/Routinen Inklusionsniveau •Grad der
Kollektivorientierung
•journalistische Produkte
Inklusionserwartungen Inklusionserwartungen
•Publikumsbild •Beteiligungsmotive
•Rollenselbstverständnis Inklusionsdistanz •Einschätzung der
Einflussmöglichkeiten
•strategische Bedeutung von
Inklusion
Vgl. Loosen/Schmidt 2012;
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