1. 07 11 | 2009
advertising, art & ideas
Durchschnitt
*
Tyrann oder Täuschung?
* Für ein optisch ganz und gar
durchschnittliches Lesevergnügen sind
alle Artikel in Arial-Schrift gesetzt.
Im Bild: Die Sehnsucht, anders zu sein Seite 12
Im Trend: Wie die Marktforschung Fortschritt verhindert Seite 24
Im TV: Drama, Baby – nicht Durchschnitt! Seite 52
Im Test: Nutzen Sie die Potenziale Ihrer Website Seite 78
2. Drama, Baby,
Drama!
Bruce Darnell über den Durchschnitt im Showbiz
Pimp
my brand Das Arschgeweih als Erfolgssymbol
Masse
vs. Klasse
Auf der Jagd nach der guten Idee
connected 07 11 | 2009 Seite
3. Editorial
Inhalt
Im Visier des Durchschnitts Seite 6
Ein Gespenst geht um – nicht nur im Leitartikel Seite 8
Die Angst vor dem Durchschnitt – Einblicke Seite 12
Planen nach Zahlen – und Fortschritt verhindern Seite 24
Planet Web: Das Beziehungsnetz vom anderen Stern Seite 0
Von Arithmetik und alten Zöpfen – kluge Köpfe und der Durchschnitt Seite 4
Pimp my brand: Die Erfolgsstory von Jägermeister Seite 44
I Love Paris Seite 48
Drama Baby, nicht Durchschnitt – Interview mit Bruce Darnell Seite 52
Die MissACHTung der Bilder Seite 56
Ein Babe im XXL-Format – Interview mit Nomi Fernandes Seite 62
Masse vs. Klasse – die (Miss-)Geburt einer Idee Seite 66
Technologie: No power, no point Seite 70
Aussen glänzend, innen brillant Im Gleichschritt durchs Netz. Eine Einschätzung von Anton Hofmann Seite 78
Testen Sie Ihre Website Seite 82
Der runtal versus ist der Star unter den Badheizkörpern. Mit advertising, art ideas Seite 84
seinem aussergewöhnlichen Design veredelt er jedes Bad. Als
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Flur sowie als eleganter Raumteiler. Funktionale Qualitäten
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connected 07 11 www.runtal.ch Seite 5
4. Editorial
Im Visier des
Durch
schnitts
«Der mittelmässige Mensch hält zu Warum entscheiden sich so viele Menschen
knapp nach dem richtigen Gedanken für den Durchschnitt, obwohl sie ihn doch
inne; daher die vielen Halbwahrheiten eigentlich konsequent vermeiden wollen?
in der Welt.» Hugo von Hofmannsthal Wieso verspielen so viele Marken ihre Einzig-
artigkeit, indem sie sich genauso inszenieren
Kompromisse fördern die Demokratie und wie alle anderen? Und warum fürchten so
häufig auch den Stillstand. Konzessionen viele Unternehmen die Angriffsfläche, die
sichern die Harmonie, aber eben auch die eine eindeutige Differenzierung gegenüber
Eintönigkeit. Der Mittelweg repräsentiert die dem durchschnittlichen Wettbewerber offen-
Mehrheit, aber meist auch einen uferlosen legen würde?
Einheitsbrei. Wir erleben es täglich: Um
wirklich voranzukommen, nutzt es nichts, ein Das neue connected widmet sich den Fragen
wenig zu wagen oder ein bisschen Neues zu dem alles in mattgrauen Tönen überstrah-
auszuprobieren. Die Angst, etwas falsch zu lenden «Mittelmass», um den unauffälligen,
machen, hat schon viele Impulse verpuffen farb- und leidenschaftslosen und vor allem
lassen, die Dominanz der Vernunft über In- langweiligen, aber eben auch äusserst er-
tuition und Bauchgefühl schon so manche folgreichen «Durchschnitt». Deshalb haben
grosse Idee im Keim erstickt. wir diese Ausgabe in der omnipräsenten
arial-Schrift gestaltet. Doch abgesehen da-
Eine weitverbreitete Geisteshaltung, die uns von ist das neue connected alles andere als
zu Zeugen einer scheinbar paradoxen Ent- «Durchschnitt». Lesen Sie selbst, welch über-
wicklung macht: Obwohl wir unsere Indivi- raschende Facetten das Thema bietet, und
dualität immer intensiver ausleben können Sie werden sehen: Nicht überall, wo Durch-
und uns dafür immer mehr Möglichkeiten zur schnitt draufsteht, ist auch Durchschnitt drin.
Verfügung stehen – Plattformen, um unsere
eigenen Gedanken und Gefühle mitzuteilen,
Angebote, um unsere persönlichen Bedürf-
nisse zu stillen – wird doch alles immer ähn-
licher, eben durchschnittlicher. Oder eben Stefan Winzenried
vielleicht genau darum? CEO I CCO advertising, art ideas
connected 07 11 | 2009 Seite 7
5. Leitartikel
«Das Durchschnittliche gibt der Welt ihren Bestand,
Ein
das Aussergewöhnliche ihren Wert», das wusste
Gespenst
schon Oscar Wilde. Tatsächlich: Durchschnitt ist
überall, obwohl er doch mathematisch betrachtet
gar nicht existiert. Er ist eine fruchtbare Eigenschaft,
geht um die sich in den eigenen Schwanz beisst und daher
kein Entrinnen vor sich selbst kennt. Und er bleibt
ein interessantes Phänomen, das durch seine über-
raschenden Facetten aber immer auch fasziniert.
connected 07 11 | 2009 Seite 9
6. Leitartikel
Phänomen oder Phantom? Treiber oder Getriebener? Ist Durchschnittlichkeit Kommunikationsbranche krankt an dieser
Durchschnitt ist überall, und mittlerweile Eigentlich könnte die aktuelle Ausgabe von Entwicklung. Umso mehr, als sie ganz am
finden wir ihn auch an Orten, wo wir ihn gar connected bereits hier enden. Doch wunder-
die Ursache des heute Ende der Kette steht: Immer häufiger werden
nicht vermutet hätten. Klingt nicht der x-te samerweise bietet uns das eigentlich gar populären Infotainments Durchschnittsprodukte mit austauschbaren
Gewinner der Talentshow deutschland sucht nicht existente Leitthema einen Überfluss Werten und Botschaften und mit Hilfe unauf-
den superstar fast genauso – eben durch- an Inhalten, mit denen sich noch unzählige
und Trivialkonsums? fälliger Kommunikationsmassnahmen an
schnittlich – wie der aus der vorvorletzten Seiten füllen liessen. Denn tatsächlich be- Der austauschbaren den Kunden gebracht. Natürlich meist mit
Staffel? Haben wir die diesjährige Dankes- gegnen wir immer häufiger den allgegen- dem zu erwartenden mässigen Erfolg.
rede bei der Überreichung des wichtigsten wärtigen Spuren des Durchschnitts und
Inhalte und Formate?
aller Film-, Funk- oder Fernsehpreise nicht werden – meist unfreiwillig – zu Zeugen Oder ist sie selbst nur Warum führt das
irgendwo schon einmal gehört? Und fällt es seines siegreichen Feldzugs. Daran sind
Ihnen in letzter Zeit auch immer schwerer, aber nicht nur Durchschnitt und Mittelmass
das Ergebnis und also wachsende Bewusstsein
sich an die in der letzten Werbepause be- selbst schuld, sondern auch die zentrifugen- das Opfer der immer der eigenen Person,
worbenen Produkte zu erinnern? ähnlichen Teilchenbeschleuniger, die uns
Inhalte und Informationen ungefiltert um die
durchschnittlicheren und die zunehmende Förde-
Während die meisten Marken dagegen Ohren hauen: die neuen Technologien. austauschbareren rung von Individualität
ankämpfen, im nimmersatten Schlund des
Durchschnitts zu verschwinden, wählen Während die Untertanen früher noch ge-
Kommunikationsmittel? und Eigenständigkeit so
andere diesen Weg mehr oder weniger frei- spannt auf das Eintreffen der Depeschen häufig zu durchschnitt-
willig. So schneidert Stardesigner matthew warteten, ereilen uns Nachrichten heute im Mehr Kommunikation,
williamson seine Anzüge neuerdings für h m. Sekundentakt: Mit twitter und Co. hat eine mehr Durchschnitt
lichen Ergebnissen?
porsche ist bald ein echter volkswagen, und Entwicklung stattgefunden, die unseren In- Es ist nicht zu übersehen: Gerade in der Warum krankt die Kreati-
der englische Starkoch heston blumenthal formationsbedarf sättigt und bei weitem Kommunikation untereinander nimmt die
verköstigt hungrige Autofahrer in der Rast- überflügelt: ashton kutcher bestellt sich Durchschnittlichkeit überhand. Social Net-
vität an der Angst der
stättenkette little chef. eine Pizza? Wir wissen, mit welchem Belag. works wie facebook, youtube und flickr Menschen, etwas falsch
barack obama trifft sich mit den Staatsober- machen den Trend eindeutig sichtbar – und
Frisst uns am Ende der häuptern dieser Welt? Wir erfahren, welches tragen durch ihre wachsende Beliebtheit
zu machen und wirklich
Durchschnitt auf? Sind Outfit seine Gemahlin trägt. hans müller dazu bei, dass er noch verstärkt wird. Eine anders zu sein?
kauft bei ikea ein? Wir begleiten ihn beim Entwicklung, die eigentlich Ausdruck einer
wir bald alle integraler Kauf von ivar, billy oder hutten und vermut- zunehmenden Individualisierung und Demo- Um eventuelle Unwägbarkeiten gänzlich aus-
lich auch beim anschliessenden Versuch, kratisierung ist: Jeder hat das Recht und zuschliessen, fliessen darüber hinaus immer
Bestandteil einer profil- das Ganze zusammenzuschrauben. die Möglichkeit, zu allem eine Meinung zu mehr finanzielle Mittel in die Marktforschung,
losen Schnittmenge? haben und diese der gewünschten Öffent- in sogenannte Pretests oder Kundenbefra-
Tatsächlich stehen uns immer mehr Wege lichkeit mitzuteilen – die aber gleichzeitig gungen. Mittel, die letzten Endes dazu füh-
Oder ist diese Angst offen, um frei, unabhängig und global zu dazu führt, dass alles immer beliebiger, ren, dass unkonventionelle, überraschende
eigentlich unbegründet? kommunizieren. In Sekundenschnelle und ähnlicher und austauschbarer wird. und vielleicht noch nie da gewesene Ideen
mit allen Menschen, die uns ihr Ohr, Handy keine echte Chance mehr bekommen. Denn
Denn rein rechnerisch oder ihren Computer leihen. Über Themen, Risiken, die der radikalere und kreativere von der Beschränkung der Kreativität bis
hat der Durchschnitt die vordem lediglich einer limitierten Be- Weg mit sich bringt, werden leider allzu zur Diktatur des Durchschnitts ist es eben
völkerungsschicht zugänglich waren, und oft gescheut. Stattdessen verlassen sich nur ein kurzer Weg. Leider so kurz, dass er
eine Wahrscheinlichkeit Fragen, die bislang von einer elitären Mei- immer mehr Menschen auf das Mittelmass immer häufiger mit dem Weg zum Erfolg
von null. nungsführerschaft beantwortet wurden. und die Meinung der Mehrheit. Gerade die verwechselt wird.
connected 07 11 | 2009 Seite 11
7. Einblicke
Die Angst
vor dem Durchschnitt.
Oder unsere Sehnsucht nach
Individualität.
connected 07 11 | 2009 Seite 1
12. Statistik: Der typische Schwarzfahrer
Neue Pol y g r a p hie
Reich
Intelligent
Schweizer Staatsbürger
Jung
Damit dem Halm Flügel wachsen:
Retusche und Composing vom Feinsten.
Männlich
Schwarzfahrer mit weissem Hemd Der typische Schwarzfahrer? Die Antwort liegt ja wohl auf
der Hand. Oder vielleicht doch nicht? Eine breit angelegte Untersuchung in der Schweiz hat bei den
schwarzfahrenden 2,5 Prozent aller Nutzer des öffentlichen Verkehrs die oben dargestellten Eigenschaften
ermittelt. Die überraschende Korrektur einer weitverbreiteten Fehleinschätzung und ein überzeugender
Hinweis, sich nicht immer auf (s) eine vorgefasste Meinung zu verlassen.
Egli.Kunz Partner . Neue Polygrafie . www.ekp.ch Quelle: Universität Bern, Institut für Erziehungswissenschaft Seite 2
13. Marktforschung
Die Welt in Segmente unterteilt, der Mensch
in Zahlensysteme gegliedert, seine Gewohnheiten in
Planen nach Zahlen – und Raster geordnet. Ginge es nach den Marktforschern
Fortschritt dieses Planeten, wäre alles und jeder Teil eines um-
fangreichen Datensystems. Doch genauso vielseitig
verhindern wie die Blickwinkel sind eben auch die Wirklich-
keiten, die sich dahinter verbergen. Und so entpuppt
sich Marktforschung häufig als der gefährlichste
Gegenspieler aussergewöhnlicher Ideen und damit
als bedrohlicher Verhinderer des Fortschritts.
connected 07 11 | 2009 Seite 25
14. Marktforschung Statistik: Ausgaben für Marktforschung
coca- cola weiss ein Lied davon zu singen. Selbst wer die richtigen Fragen stellt, kann
Mitte der 80er-Jahre wollte der Brausekon- sich seiner Sache nie sicher sein. Denn Hand
zern den Geschmack seines Erfolgsprodukts aufs Herz: Wie sollen wir über etwas urtei-
erneuern. Angeregt durch Werbespots des len, was wir gar nicht kennen, geschweige
grössten Konkurrenten, die das bessere denn in der Lage sind, es uns vorzustellen?
Abschneiden von pepsi-cola in sogenannten Wie kann eine nie da gewesene Neuheit ad
Blindtests herausstellten, änderten die Ver- hoc zum mehrheitsfähigen Produkt in einem
antwortlichen die Zusammensetzung des beliebigen Panel avancieren? Tatsächlich
Getränks. Alle nur erdenklichen Testverfah- überrascht es kaum, dass bei vielen der
ren, Umfragen und Marktstudien wurden erfolgreichsten Produkteinführungen keine 2005 18,650
durchgeführt und führten zu dem einstim- Zeit mit Marktforschungen verbracht wurde –
migen Urteil, dass die neue Cola besser dass cornflakes das Ergebnis eines erfolg-
schmecke. Ein Erfolg auf ganzer Linie. Zu- losen Brotbackexperiments sind, dass die
mindest bis zum ersten Schluck. ersten Filtertüten aus Furcht vor Kaffee-
rückständen auf den Zähnen ihrer Gäste
«A public opinion von einer deutschen Hausfrau erfunden
wurden und dass ein genervter Kirchgänger
poll is no substitute zum ersten Mal Klebezettel verwendete, um
for thought.» die gesuchte Stelle im Gesangsbuch zu
Warren E. Buffett markieren – und so die Erfolgsgeschichte
der post- its einläutete.
Die Markteinführung entwickelte sich zum
Desaster: Konsumenten protestierten, coca- «Traue keiner Statistik.»
cola verlor Marktanteile. Tatsächlich war den Überlieferte Volksweisheit
Marktforschern ein grosser Fehler unterlau-
fen: In ihrem Bemühen, sämtliche Risiken Übrigens verzichtet selbst microsoft-Gründer 2005 8,361
durch aufwendige Befragungen und Markt- bill gates auf aufwendige Marktforschung
tests auszuschalten, hatten sie eine ent- und pflegt einen eher experimentellen An- 1995 7,468
scheidende Frage nicht gestellt – die nach satz: Anfang der 80er-Jahre glaubte sein
der Gewohnheit und emotionalen Bindung Unternehmen noch an die Zukunft von os /2
zum bestehenden Produkt. Werte, die sich und entwickelte nur nebenbei das windows-
ganz einfach nicht messen lassen, aber Betriebssystem. An dieser «Trial and error»-
doch so einflussreich sind, dass sie beinahe Vorgehensweise hat sich bis heute wenig
zum Ende der Erfolgsmarke geführt hätten. geändert. Ob ein neues Produkt funktioniert, 1995 3,336
weiss microsoft erst, wenn der Kunde es
«Wenn ich die Menschen ausprobiert hat. Eines von vielen Beispielen,
die zeigen, dass es sich auf jeden Fall lohnt,
gefragt hätte, was sie nicht nur auf Fakten und Umfrageergebnisse,
wollen, hätten sie gesagt: sondern vielmehr auf die innere Stimme, die
Erfahrung, Intuition oder das Bauchgefühl
schnellere Pferde.» zu hören. Ganz nach dem Motto: Kontrolle
Henry Ford
ist gut, Vertrauen ist besser. Global in Mio. Euro Europa in Mio. Euro
connected 07 11 | 2009 Quelle: ESOMAR Seite 27
15. Marktforschung
Noch Fragen? Coding: Zuordnung von numerischen Codes zu in In-Home-Befragung: Befragung, die bei den Primärforschung: Unmittelbare Marktforschung,
Textform festgehaltenen Antworten. Testpersonen zu Hause stattfindet. die neue Fakten erforscht.
Bläst die Marktforschung zum Angriff,
bleibt keine Frage unbeantwortet. Conjoint Measurement: Messung der Bewertung Konzept-, Produkt- und Packungstests: Qualitative Forschung: Erhebung von
Das lässt zumindest die Breite und Viel- eines Gutes, bei der Stimuli mit Bedeutungsgewichten Untersuchung eines neuen Produkts, Werbetexts nicht standardisierten Daten durch offene Interviews,
falt des Angebots vermuten. Eine versehen werden, um daraus das Gesamt-Präferenz- oder deren Verpackung. Feldprotokolle oder Dokumente wie beispielsweise
zufällige Auswahl, ohne Anspruch auf urteil der Verbraucher abzuleiten. Tagebücher.
Vollständigkeit oder Sinn. Längsschnittstudie oder Longitudinalstudie:
Degustationstest: «Verkostungstest», bei dem Studie, bei der über einen längeren Zeitraum immer Quantitative Forschung: Numerische Darstellung
Akzeptanztest: Test eines neuen Produkts, die Testpersonen das Produkt probieren. wieder Fragen zum selben Thema gestellt werden. empirischer Sachverhalte.
Konzepts oder Werbemittels mit Schwerpunkt auf
der Zielgruppenakzeptanz. Delphi-Methode: Systematisches, mehrstufiges Markttest: Experiment, bei dem ein Produkt RLD-Verfahren: Verfahren zur zufälligen Ermittlung
Befragungsverfahren mit Rückkopplung bzw. Schätz- testweise unter Anwendung aller Massnahmen des von Stichproben, die für computergestützte Telefon-
Ausschöpfung: Der Anteil der Elemente einer methode, um Trends einzuschätzen. Marketingmix angeboten wird. interviews ausgewählt werden.
Stichprobe, der bei einer Befragung für ein Interview
gewonnen werden kann. Demoskopische Marktforschung: Untersuchung Mystery Shopping: Subsumierung von Verfahren Schwedenschlüssel: Verfahren zur Randomisierung
der marktbeeinflussenden Handlungsobjekte. zur Erhebung der Dienstleistungsqualität, bei denen der Zielperson bei mehreren potenziellen Probanden
Assoziationsverfahren: Psychologische geschulte Beobachter als Kunden auftreten. in einem Haushalt.
Erhebungsmethoden auf der Grundlage von Asso- Diskriminanzanalyse: Multivariates Verfahren
ziation zu einem bestimmten Produkt. zur Definition eines Marken- oder No-Name-Käufers. Multiple Regressionsanalyse: Statistisches Sekundärforschung: Mittelbare Forschungsmethode
Analyseverfahren, das Beziehungen zwischen einer auf Basis von bestehenden Marktdaten.
Befragungen: Durch Meinungsumfragen oder Experiment: Massnahme, mit Hilfe derer abhängigen und unabhängigen Variablen feststellt.
Interviews systematisch gewonnene Informationen zuverlässige Kausalaussagen gemacht werden. Szenario-Technik: Strategische Methode, die
über Einstellungen, Meinungen, Wissen und Omnibuserhebung: Mehrthemenumfrage, bei auf der Entwicklung und Analyse möglicher Zukunfts-
Verhaltensweisen. Eye Tracking: Erfassung der Blickbewegungen der Fragen verschiedener Auftraggeber in einem szenarien basiert.
von Probanden. Fragebogen zusammengefasst werden.
Beobachtung: Methode zur zielgerichteten, objektiven Tracking-Studien: Fortlaufende Befragungen
Wahrnehmung von Objekten oder Vorgängen. Face-to-Face-Interview: Interview, bei dem Ökoskopische Marktforschung: Untersuchung gleichen Inhalts mit unterschiedlichen Befragten zu
Interviewer und Befragter im selben Raum sitzen. objektiver Marktgrössen in der Empirie. Markenbekanntheit, -verwendung und -image.
Clusteranalyse: Strukturentdeckendes, multivariates
Analyseverfahren zur Ermittlung von Objektgruppen, Faktorenanalyse: Multivariates Verfahren zur Panelforschung: Forschungsdesign, Tiefeninterviews: Tiefenpsychologische Interviews,
deren Eigenschaften Ähnlichkeiten aufweisen. Untersuchung der Faktoren für das Kaufverhalten. bei dem jede Erhebung mit derselben Stichprobe die unbewusste und verdeckte Motivationen bei den
und demselben Erhebungsinstrument wiederholt Befragten aufzudecken versuchen.
Computer Assisted Personal Interview: Haushaltspanel: Statistische Erhebung über durchgeführt wird.
Face-to-Face-Befragungsmethode. Arbeits- und Lebensbedingungen von Menschen. Werbepretest: Untersuchung von Werbespots
Paper-Pencil-Befragung: Befragung, bei oder «Stills» auf Verbraucherakzeptanz, Einprägsam-
Computer Assisted Telephone Interview: Home-Use-Test: Produkttest, bei dem der der Interviewer die Antworten der Befragten keit, emotionale Tönung, Erwecken von Kaufinteresse
Telefonische Befragungsmethode. die Testpersonen das Produkt mit nach Hause handschriftlich festhält. und Imagekommunikation.
nehmen.
Computer Assisted Web Interview: Preistest: Untersuchung über den Einfluss Werbeposttest: Untersuchung des Erfolgs einer
Computergestützte Webinterviews, deren Antworten In-Hall-Test: Studie, bei der die Befragten in der Preisgestaltung auf die Wahrnehmung und Werbekampagne, zum Beispiel mit Recall- oder
verschlüsselt eingegeben werden. ein Teststudio eingeladen werden. Attraktivität eines Produkts/einer Marke. Recognition-Tests.
connected 07 11 | 2009 Seite 29
16. Web 2.0
Planet Web: Das Beziehungsnetz vom
anderen
Stern
connected 07 11 | 2009 Seite 1
17. Web 2.0
Wahrscheinlich stellen sich künftige Generationen wacht, keine Instanz die moralische Gutartigkeit prüft und sich kein Absender zu
den veröffentlichten Inhalten bekennen muss. Wer versteckt sich hinter einem Avatar?
die Welt nicht mehr als Kugel, sondern als fein Wer verbirgt sich hinter meinem Gegenüber im Chatroom? Die grenzenlose Freiheit
des Internets birgt auch seine grösste Gefahr: Das neue, globale Gehirn funktioniert ohne
gewobenes Beziehungsnetz vor. Denn schon heute Hypothalamus, oft ohne Gewissen, ethische Grundsätze und Erfahrung. Es ist nicht
lernfähig und lebt ausschliesslich in der Gegenwart. Wie ein Nervensystem, das selb-
sind Hunderte Millionen Menschen auf YouTube, ständig wuchert und sich von keiner Macht der Erde mehr bändigen lässt.
Facebook, Twitter oder einer der anderen knapp Das stumpfe Nebeneinander wird zu einem fahlen
tausend Onlineplattformen zu Hause. In Sachen Einheitsbrei, aus dem nur noch vereinzelt inhaltliche
oder visuelle Höchstleistungen herausragen.
Qualität und Originalität führt der virtuelle Weg aber
Virtuelles Paradies
nicht in eine leuchtende Zukunft, sondern zurück Ein Roman ohne Lektorat, das Stil und Inhalt auf Herz und Nieren prüft? Ein Polit-
magazin ohne Chefredaktion, bei der alle Stricke zusammenlaufen und sämtliche Themen
in die Höhle der Finsternis. und Artikel koordiniert und kritisch hinterfragt werden? Eine TV-Talkshow ohne Moderator,
bei der jeder nach Lust und Laune kommentieren und argumentieren kann – ohne Gewähr
auf Verständlichkeit, die angesichts des wahrscheinlich herrschenden Tohuwabohus
Die Stärken des Internets sind gleichzeitig seine Schwächen: Das World Wide Web ist kaum mehr durchzusetzen sein dürfte?
für jeden zugänglich und dabei anonym. Es verleiht allen eine Stimme und versagt
häufig jegliche Qualitätskontrolle. Nach Jahren der virtuellen Ödnis hat das web 2.0 mit Technologische Errungenschaften sind die Voraussetzung für unsere Entwicklung.
der Gründung zahlloser Portale, Blogs und Communitys eine echte Renaissance erlebt. Doch entsteht mit ihnen gerade in den Anfängen häufig ein Vakuum hinsichtlich Sinn,
Und – Technologie sei Dank – unzählige Plattformen geschaffen, die jeden Nutzer Zweck, Nutzbarkeit und Verantwortung. Es ist kaum mehr vorstellbar, dass unsere seit
dazu auffordern, sich an der Gestaltung zu beteiligen. Und tatsächlich: Jeder zehnte vielen Jahren bewährten Medien wie Bücher, Zeitschriften, TV oder Radio diesen
Computernutzer besucht auch regelmässig vier oder mehr der sogenannten Social Selbstfindungsprozess einmal durchlaufen haben.
Networks. Dort «hört er zu», kommuniziert, liest oder veröffentlicht selbst, informiert sich
oder kauft ein. Doch das Internet steckt mittendrin. Aktuelle Debatten wie die Streitfrage um Zensur
und Kontrolle oder der Zulauf zu politisch aktiven Interessensverbänden wie der Piraten-
Moloch Internet partei sind erst der Anfang einer sicherlich langen und vielschichtigen Auseinander-
Mit der wachsenden Demokratisierung und Vielfalt geht eine erdrutschartige Entwicklung setzung. Doch leuchtet am Ende des Tunnels bereits ein Licht: ein Bildschirm, der freien
der Qualität einher: Rechtschreiberegeln werden missachtet, monotone Aufmachungen, Zugang zu Informationen und Wissen bietet, der Raum für Vielfalt und Kreativität lässt
austauschbare Bilder und selbstgebastelte Präsenzen zur Norm. Eigentlich nicht verwun- und dabei das Versprechen grösster Qualität und Sorgfalt hält.
derlich, wenn man bedenkt, dass kein Herausgeber über die Qualität des Geschriebenen
Epidemischer Erfolg Eine ähnlich starke Wachstumsrate wie die des Internets kennt man sonst Boomtown Global Village MySPACE, XING, FLICKR, TWITTER und Co. sind die virtuellen
nur von Epidemien und dem obligatorischen Sommerhit. Während im Sommer des Jahres 1997 der Grossteil Treffpunkte einer ganzen Generation. Die Mitgliederzahl des weltweit erfolgreichsten Social Network, FACEBOOK,
der Schweizer Bevölkerung wahrscheinlich gerade damit beschäftigt war, den MACARENA oder MAMBO wird auf rund 00 Millionen geschätzt. Ein Wachstum, von dem zumindest in der realen Welt kein Unternehmen
zu tanzen, nutzten lediglich 7 Prozent der über 14-Jährigen mehrmals pro Woche das Internet. Gut ein Jahr- zu träumen wagt. Dazu kommt der erstmalige wirtschaftliche Erfolg der Community, die eigentlich erst
zehnt später surfen bereits mehr als 70 Prozent der Befragten regelmässig im Netz. im Jahr 2010 mit schwarzen Zahlen gerechnet hat.
connected 07 11 | 2009 Seite
18. Meinung
Von Prof. Andreas Diekmann
Arithmetik
Chair of Sociology, ETH ZÜRICH
Gefühlter Durchschnitt oder: 2. Täglich begegne ich dem Phänomen bei
Wenn die Hand im Kühlfach steckt meiner Arbeit, der statistischen Analyse von
und alten
Verteilungen.
1. Durchschnitt ist für einen Sozialstatistiker
der arithmetische Mittelwert, also xm = 1/n ∑xi. Aber in der Realität
Zöpfen
Oder bei theoretischen Verteilungen für ste-
tige Variablen µ = ∫xf(x)dx mit Integrations-
begegnet mir der Durch-
grenzen – ∞ und +∞. Bei unimodalen sym- schnitt selten. Oder
metrischen Verteilungen sollte man immer
Rücksicht auf den Durchschnitt nehmen.
kennen Sie eine Frau
Er ist nämlich gleichzeitig der Modalwert mit 1,3 Kindern?
und kommt daher am häufigsten vor. Aller-
dings nur, wenn man ein Intervall um den Im Übrigen wissen wir doch, dass wir alle uns
Ob Soziologe, Journalist, Arzt, Lehrer oder Forscher – exakten Wert legt. Paradoxerweise kommt gerne für überdurchschnittlich einschätzen.
der exakte Durchschnitt nie vor, denn er hat Gilt das vielleicht besonders für sogenannte
die meisten Menschen begegnen dem Durch- die Wahrscheinlichkeit null. So ist der Durch- Kreative? Der «gefühlte» Durchschnitt liegt
schnitt nach Belieben selten und häufig, und also weit über dem Durchschnitt. Das hat
schnitt täglich. Daher haben wir einige Vertreter ihrer man kann sich immer herausreden. Ausser- den schönen Vorteil, dass wir immer über-
dem sollte man über dem Durchschnitt nicht durchschnittlichen Leuten begegnen. Nur:
Berufsgattung gebeten, ihre professionelle die Varianz vergessen. Was haben Sie eigentlich gegen ehrlichen
Durchschnitt?
Einschätzung mit uns zu teilen und folgende Fragen «Mit der einen Hand auf
. Ich vermeide den Durchschnitt, indem ich
zu beantworten: der heissen Herdplatte den Median verwende. Er ist viel robuster
und der anderen im und reagiert nicht so sensibel auf Extreme.
Wenn bill gates nach Zürich zöge, würde
1. Was bedeutet «Durchschnitt» für Sie?
Eisfach sei im Durch- sich das durchschnittliche Vermögen der
2. Wann und wie begegnen Sie dem Phänomen auf Ihrem Fachgebiet? schnitt eine angenehme Zürcher steil nach oben bewegen. Der Me-
3. Wie vermeiden Sie den «Durchschnitt»? dian bliebe dagegen von bill gates völlig
Temperatur», sagen unbeeindruckt.
die Kritiker statistischer
Einäugigkeit.
Die Statistik kann aber nichts für den Fehl-
schluss von Leuten, die nur auf Durch-
schnitte und nicht auf die Varianz schauen.
connected 07 11 | 2009 Seite 5
19. Meinung
Thomas Schmid Dr. Christoph Wolfensberger
Managing Director THE DOLDER RESORT, Zürich Spezialarzt FMH für Plastische Chirurgie, Zürich
Hoch oben thront das Aussergewöhnliche Ein Mann gegen Normen 2. Oh ja, in meiner Branche sind wir an-
dauernd mit Durchschnitt konfrontiert! Mit-
1. Durchschnitt ist eine Mittelmässigkeit, von der man sich abheben kann, sei es 1. Durchschnitt ist gleichbedeutend mit telmässige ästhetisch-plastische Chirurgie
durch eine aussergewöhnliche Architektur oder durch eine hervorragende Dienstleistung. Gleichmacherei, Mittelmass. liegt dann vor, wenn man die Operation
2. Dem Phänomen begegne ich täglich. sieht. Einem perfekt operierten Gesicht je-
Es ist leider so: doch sieht man die Operation nicht an!
Denn die Erwartungen der unterschiedlichsten Demokratie führt zu . Ich schaue täglich, dass meine Patienten
Menschen zu übertreffen, fängt beim Mittelmass, weil jeder nicht nur straffer, sondern schöner werden.
Durchschnitt an und birgt viel Steigerungs- und mit- und dreinredet.
Verbesserungspotenzial. Echte Schönheits-
In Abu Dhabi gibt es drei spektakuläre Pro-
. Die Vermeidung des Durchschnitts beginnt mit dessen Erkenntnis. Dieses Erkennen jekte für neue Kunstmuseen: Ein louvre,
chirurgie heisst nicht
bildet die Basis für entsprechende Massnahmen und Trainings. Ausserdem gilt es, sein ein guggenheim und ein deutsches Museum. Gleichmacherei nach
eigenes persönliches Vorbild im alltäglichen Handeln vorzuleben. Sich vom Durchschnitt Diese werden in zwei Jahren realisiert sein.
abzuheben bedeutet für uns das Schaffen einer Welt für Genuss und Ästhetik für Menschen, Und bei uns? Grosse Bauprojekte werden
Schönheitsnormen,
die Qualitäten zu unterscheiden wissen und das Detail erkennen und schätzen. durch Volksabstimmungen verhindert. Die sondern Individualität
Landschaft wird mit eintönigen und sterilen
Glas-Beton-Klötzen zugepflastert, alles ist
und Authentizität.
genormt. Eben Durchschnitt. Womit wir wieder bei der Architektur ange-
langt wären.
Dr. David Bosshard
Geschäftsführung GDI GOTTLIEB DUTTWEILER INSTITUT, Zürich
Menschenfeind
1. Durchschnitt ist Masse, ist industriell, ist langweilig, ist gefährlich.
Durchschnitt ist falsche Sicherheit, Roger Köppel
der Feind Nummer 1 des Menschen. Chefredaktor und Verleger WELTWOCHE
2. Durchschnitt und Durchschnittlichkeit sind die Brutalität des Alltags. Sie sind angst- Der tägliche Kampf
getrieben. Man will nicht auf- oder abfallen. Der Herdentrieb.
. Radikal anders sein. Wer sagt, er sei «überdurchschnittlich», orientiert sich am 1. Durchschnitt ist eine tägliche Bedrohung.
Durchschnitt. Das genügt mir nicht. Disziplin, Übung, Kreativität und Leidenschaft sind 2. Ich begegne ihm immer dann, wenn ich mich selber zu wenig anstrenge.
die Basis, um die Ansprüche an sich selbst ständig zu erhöhen. . Durchschnitt vermeide ich, indem ich ihn nicht zulasse.
connected 07 11 | 2009 Seite 7
20. Meinung
Claude Longchamp Ueli Steck
Verwaltungsratspräsident und Vorsitzender der Geschäftsleitung GFS.BERN, Extrembergsteiger
Lehrbeauftragter an den UNIVERSITÄTEN ST. GALLEN und ZÜRICH
Ein Leben ohne Durchschnitt es steckt sehr viel Arbeit dahinter: Präzision,
Hier geht’s um die Wurst Fokussierung, Zielstrebigkeit, Ausdauer und
1. Ich bin ein ehrgeiziger und leistungsori- die Auseinandersetzung mit dem Berg. Ich
1. Die Wurst mit einem sauberen Durchschnitt in zwei Teile zu zerlegen! entierter Mensch. Wenn ich etwas anpacke, trainiere jeden Tag stundenlang sehr hart.
Seit ich mich im Gymnasium vertieft mit Mathematik beschäftigt habe, steht auch bei mir dann ziehe ich es ganz konsequent durch.
das gewichtete Mittel aus den Einzelteilen im Vordergrund. Entweder richtig, sonst lasse ich es lieber Durchschnitt interessiert
2. Dem Durchschnitt begegne ich als Mittelwert aus numerischen Antworten von Befragten, bleiben. Durchschnitt kommt für mich daher
was Sinn macht, wenn es um quantifizierbare Grössen geht. nicht infrage.
mich nicht, weil ich
so nicht weiterkomme
Schwieriger ist es aus meiner Sicht, aus 2. Mich persönlich interessiert vor allem
im Leben. Vielleicht
die sportliche Seite des Bergsteigens. Es
qualitativen Werten einen Durchschnitt zu machen. ist der Leistungsgedanke, den ich offen bin ich auch deshalb ein
Das ist dann meist eine falsch verstandene kommuniziere und der früher als solcher
«Einzelkämpfer».
nicht so thematisiert wurde. Bergsteigen
Anwendung von Mainstream. wurde lange mit Natur, Abenteuer, Genuss . Durchschnitt vermeide ich, indem ich
. Durchschnitt vermeide ich, indem ich für überdurchschnittliche Qualität in der verbunden. Auf der anderen Seite war das mich ganz gezielt und fokussiert mit all
Arbeit, für Produkte und Dienstleistungen plädiere, was anspornt, sich abzuheben und Konkurrenzdenken schon immer da. Man meinen Projekten auseinandersetze und
unverwechselbar zu sein. hat schon immer auf die Uhr geschaut. Für hart für meine Ziele trainiere.
meine Projekte trainiere ich sehr hart, und
Prof. Andrea Deplazes
Professor für Architektur und Konstruktion, ETH ZÜRICH Marco Boselli
Chefredaktor 20 MINUTEN
In Memorium Gauss
20 Sekunden für den Durchschnitt
1. Der Durchschnitt liegt im Bauch von Gauss.
(Gemeint ist die Gauss’sche Normalverteilung, die sogenannte Glockenkurve.) 1. Durchschnitt ist die Verbindungslinie zwischen Mut- und Einfallslosigkeit.
2. Gauss ist wie Gravitation ein Naturgesetz und findet bei Menschen überall und immer statt. 2. In meiner Branche begegne ich dem Phänomen bei all unseren Mitbewerbern,
. Durchschnitt vermeide ich, indem ich die interessanten Menschen seitlich die nur eine durchschnittliche Kopie von uns sind.
des Bauchs von Gauss berücksichtige. . Wir vermeiden den Durchschnitt, indem wir auch mal alte Zöpfe durchschneiden.
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21. Meinung
Prof. Dr. Dr. h. c. Walther Ch. Zimmerli nicht die Nummer 1 in Physik, dann wenigs- Daniel Moschin
Präsident BRANDENBURGISCHE TECHNISCHE UNIVERSITÄT COTTBUS tens die Nummer 1 im Kostensenken etc. General Manager Consumer Online,
MICROSOFT SCHWEIZ
Exzellenz setzt auf Durchschnitt Das ist eine ähnlich paradoxe Struktur wie Universitäten sind,
diejenige unserer Beziehung zum Alter: Je- In der Höhle des Wettbewerbs
«Durchschnitt» gibt es nicht; «Durchschnitt» der möchte alt werden, aber keiner möchte
wie ein kanadischer Er-
ist vielmehr ein mathematisches Konstrukt – alt sein. Dabei zeigt schon eine einfache ziehungswissenschaftler Ich mag den Durchschnitt eigentlich ganz
der «Mittel-Wert»: Wenn ich abends mit mei- Überlegung, dass es keinen Sinn machen und gar nicht. Genau deshalb sehe ich es
ner Frau zusammensitze, und ich zwei Bier würde, wenn alle die Nummer 1 wären.
einmal formuliert hat, aber als eine meiner primären Aufgaben im
trinke, sie aber keins, haben wir im Durch- Vereinigungen von geschäftlichen Umfeld an, den Durchschnitt
schnitt jeder ein Glas Bier getrunken. Trotz- Wenig Exzellenz setzt Menschen, die durch das laufend zu erhöhen. Der Wissens- und Fä-
dem hat der Begriff «Durchschnitt» sich higkeitsstand meiner Mitarbeiter muss regel-
sozusagen verselbständigt und sich dabei
viel Durchschnitt voraus; gemeinsame Interesse mässig steigen, damit wir auch in Zukunft
auch noch einen schlechten Ruf eingehan- abheben kann man sich verbunden sind, einen eine überdurchschnittliche Organisation blei-
delt. Durchschnitt wird nie lobend, sondern ben. Für unsere Online-Werbedienstleistun-
immer nur in abwertender Weise verwendet.
nur, wenn «die Masse» Parkplatz zu finden. gen auf msn.ch oder windows live (messenger,
«Durchschnittlich» zu sein, heisst so viel wie ununterscheidbar ist. hotmail) ist der Durchschnitt irrelevant – da
schlecht zu sein oder im besten Fall gar nicht Und deswegen ist es auch nicht verwunder- gilt immer nur der Vergleich zum «Best in
zu existieren. Wenn man ein Durchschnitts- Das gilt in zunehmendem Masse auch im lich, dass es in den USA folgendes Univer- class» als Massstab. Und in diesem Bereich
gesicht hat, fällt man nicht auf, weder positiv deutschen Universitätssystem, in dem seit sitätsranking gibt: «Excellence in Parking». wollen wir vor allem die durchschnittlichen
noch negativ. Woher – in aller Welt – rührt kurzem zur Hatz auf das Etikett «Exzellenz» Werbekontaktkosten unserer Kunden nach
dann das schlechte Renommee? geblasen wird. unten drücken.
Wir leben in einer Wir Universitätsverantwortlichen, Präsiden- Den Schlüssel
ten und Rektoren, haben – mit einer Aus-
Gesellschaft, die gleich- nahme – nur die Wahl, nicht die Nummer 1
zur Verbesserung des
zeitig von der Jagd nach zu sein. Daher entziehen wir uns dieser aus- Durchschnitts sehe
wegslosen Situation durch das, was wir «in-
Exzellenz und dem terne Differenzierung» nennen: Wenn man
ich im Wettbewerb, egal
Bestreben, sich im Durch- schon nicht als Universität die Nummer 1 in welchem Bereich
sein kann, dann will man es zumindest in
schnitt zu verstecken und einigen Gebieten werden. Dass das eine
des Lebens.
behaglich zu verharren, durchaus weitverbreitete und ernst zu neh- Das ist zwar oft nicht nur angenehm, aber
mende Strategie ist, ist eines; auf einem ohne Wettbewerb sässen wir wohl alle noch
geprägt ist. Zwar wollen ganz anderen Blatt dagegen steht, dass das in der Urzeithöhle am Feuersteineklopfen.
alle die Nummer 1 sein, oft auch skurrile Blüten treibt. Nicht nur in den
klassischen wissenschaftlichen Disziplinen,
zugleich möchte aber sondern auch in allerlei anderen Hinsichten
niemand auffallen. ist der Wettkampf angesagt: Wenn schon
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22. Statistik: Der Schweizer Warenkorb
Gesunde Ergebnisse
Ein gesundes Unternehmen braucht gesunde Mitarbeitende. Setzen Sie für Ihren
nachhaltigen Erfolg auf das bewährte Gesundheitsmanagement unserer Experten:
mit ganzheitlicher Betreuung und gezielter Förderung. Und mit Massnahmen, die
Meistverkaufte Schweizer Produkte in der Migros 2008 nach Absatzmengen: dazu beitragen, Gesundheit und Leistungsfähigkeit im gesamten Unternehmen
1. Tragtasche, 2. Kiwis, . Banane, 4. Kochbutter, 5. Cervelat, 6. Gurke, 7. M-Budget Energy Drinks, zu verbessern – und damit auch das Geschäftsergebnis positiv zu beeinflussen.
8. Joghurt Mocca, 9. Karotten, 10. Buttergipfeli
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connected 07 11 | 2009
23. Imagewechsel
Pimp
my brand
Durchschnittlichkeit ist kein begehrtes Attribut in
der Markenwelt. Um nicht in der Masse der Anbieter und
in der Belanglosigkeit austauschbarer Produkte zu
verschwinden, werden häufig grosse Anstrengungen
unternommen. Was manchmal radikale Massnahmen
erfordert und am Ende nur ganz wenigen gelingt.
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24. Imagewechsel
Aufstieg geschafft Gegen den Strom
Vom Magenbitter zum Kultgetränk war es Kantig, wild und selbstbewusst lautet die Au-
ein weiter Weg. Mit «Jägermeister ist gut für todiagnose von jägermeister. Dafür spricht
den Magen und macht gute Laune» wurde der Retro-Anstrich der Flasche, im Original-
für das Produkt noch vor wenigen Jahren design aus den 0er-Jahren und mit minimal
geworben. Und genauso verstaubt wie der verändertem Etikett.
Claim war auch das einstige Image der Mar-
ke. Heute ist dem Unternehmen eine Meis-
terleistung in Sachen Imagewechsel und
ein Quantensprung in Sachen Popularität
gelungen. Der in Deutschland produzierte
Kräuterlikör ist in mehr als 80 Ländern auf
dem Markt, und 75 Jahre nach seiner Erfin-
dung zählt er zu den bekanntesten Marken
überhaupt. Für diesen fulminanten Aufstieg Dennoch ist es den Machern gelungen,
war vor allem eines verantwortlich: Eine durch überraschende Promotionsaktionen,
konsequente, kreative Kommunikationsstra- fulminante Partys, stringente Sponsorings
tegie, die den Kräuterlikör vom Opagetränk und ein regional adaptiertes Marketing die
zum In-Drink gemacht und auf Rang neun Lebensgewohnheiten und Bedürfnisse von
der Weltrangliste der Premium-Spirituosen- immer mehr Menschen anzusprechen.
marken katapultiert hat.
Doch die Erschliessung neuer Märkte und
Während die Aufstellung Zielgruppen bildet noch keine Faustregel
für den Erfolg, wie das unrühmliche Bei-
der Marke – Name, spiel des US-amerikanischen Sportschuh-
Schriftzug, Hirschkopf herstellers airwalk zeigt. War die Marke
zunächst als echter Insidertipp und Trend-
und Etikett – on Brasilien
v setter unter Skatern begehrt, fand Mitte der
bis Bosnien-Herzegowina 90er-Jahre ein wahrer Ausverkauf statt. Mit
dem Ziel, immer breitere Zielgruppen an-
und von Neuseeland bis zusprechen, wurden neue Absatzmärkte
Namibia unverändert erschlossen und Verkaufsstrategien entwor-
fen. Das ehemalige Nischenprodukt war im
bleibt, variieren Strategie Mainstream angekommen. Doch bald wen-
und Taktik je nach regio- dete sich das Blatt: Trendsetter wandten
sich ab, und das Premiumimage bröckelte.
nalen Anforderungen. Der Beginn vom Ende und gleichzeitig von
Ein deutlicher Imagewechsel mit Folgen, einem Neuanfang, den airwalk seit einigen
denn heute spielt die Marke jägermeister Jahren eingeleitet hat: Durch die Konzent-
nicht mehr in der Regionalliga, sondern in ration auf die Bedürfnisse der Skateboarder
der Weltliga, wo sie sich mit Gegnern wie und auf ihre eigentlichen, überdurchschnitt-
bacardi, baileys oder smirnoff misst. lichen Markenwerte.
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25. Wettbewerb der Namen
Am Abgrund des Durchschnitts Die Rechnung ist einfach: Ein Produkt ver-
Im Getümmel der nach Schätzungen über kauft sich nur dann gut, wenn auch sein
50 000 Marken, die im deutschsprachigen Name überzeugt. Im Kampf um die Aufmerk-
Raum beworben werden, wird die Unter- samkeit der Konsumenten ist eine präg-
scheidbarkeit zum wichtigen Kriterium. Der nante Bezeichnung bereits die halbe Miete.
Wettbewerb mit den rund 7000 neuen Mar- Wem es gelingt, diese in den Köpfen der
ken, die tagtäglich auf der ganzen Welt Verbraucher einzunisten, ist der Konkurrenz
hinzukommen, lässt die Nachfrage nach einen Schritt voraus – und setzt sich am
unverwechselbaren Namen wachsen. Noch Ende auch durch. Eine hoch emotionale
ehe der Wettbewerb um Marktanteile und Angelegenheit, die immer häufiger in die
Konsumenten entbrennt, kämpfen die Unter- Hände von Profis gelegt wird.
nehmen daher im wahrsten Sinne des
Wortes um ihren Namen. Natürlich nicht um Spieglein, Spieglein an der Wand
irgendeinen, sondern um den besten, tref- Der Engländer hoovert, der Schweizer föhnt,
fendsten und unvergesslichsten. und die ganze Welt googelt. Manche Mar-
kennamen sind nicht nur besonders etab-
Mein Name heisst Erfolg liert, sondern integraler Bestandteil unseres
Eltern kennen das Problem bei ihren Kin- Sprachwortschatzes – und damit extrem
dern: Wie finde ich den perfekten Namen gefährdet. Ob walkman, tupperware, jo -jo
für ein Baby, zumal dieses (noch) keine oder wonderbra. Kann sich ein Name erst
prägnanten Verhaltensweisen an den Tag einmal durchsetzen, wird er im Laufe der
legen konnte? Noch komplexer ist die Ma- Jahre häufig zum Gattungsbegriff, der sei-
terie, wenn man sich auf die Suche nach nen ursprünglichen Namensgeber über-
Ein aussergewöhnlicher, nicht durchschnittlicher dem passenden Namen für eine neue Marke strahlt. Natürlich zum Nachteil der Marke,
macht. Dieser muss viele Faktoren berück- die dadurch wiederum als eine von vielen
Name ist etwas Unverkennbares. Deshalb ringen sichtigen: Er muss zum Produkt, zum Unter- wahrgenommen wird. Ein zweischneidiger
nehmen und zu den Kunden passen, global Ritterschlag: Der Markenname ist zwar in
Unternehmen immer stärker um gute, im wahrsten verwendbar und einprägsam sein. Zu guter aller Munde und sein Bekanntheitsgrad
Letzt spielt auch die rechtliche Situation überragend. Allerdings ist es zweifelhaft, ob
Sinne des Wortes bemerkenswerte Namen. eine wesentliche Rolle bei der Entscheidung. er überhaupt noch mit einem bestimmten
Denn der Markenname muss aus juristi- Unternehmen oder Produktangebot asso-
Ein Kampf, bei dem siegreiche Marken vor lauter scher Sicht noch frei und registrierbar sein. ziiert wird, und damit letztlich seine Kern-
Keine leichte Aufgabe also, der zudem eine funktion erfüllt: die der eindeutigen und
Erfolg auch schon mal abstürzen. grosse Gefahr innewohnt. zuverlässigen Unterscheidung.
Namensalat Je populärer eine Marke, desto schwieriger die Durchsetzung ihres Kommunikationsmonopols. Googeln verboten Der wohl prominenteste Streitfall der letzten Jahre heisst GOOGLE. Das IT-Unternehmen
So sprach Österreichs Oberster Gerichtshof SONy im Jahr 2002 die Schutzwürdigkeit des Namens WALKMAN wollte verhindern, dass sein Name als Gattungsbegriff verwendet wird. Ein schwieriges Unterfangen, da
ab – die Bezeichnung des von SONy erfundenen Kassettenabspielgeräts sei zum Gattungsbegriff geworden die AMERICAN DIALECT SOCIETy «to google» bereits 2002 zum Wort des Jahres gewählt hat. Doch das Recht
und könne als solcher nicht länger geschützt werden. Zum Glück für SONy ist diese Technologie heute längst gibt GOOGLE recht: «Die Marke darf niemals als Substantiv oder Verb, nie im Plural oder als Possessivum
überholt von besseren – und besser geschützten – Produkten. verwendet werden.» Am besten, Sie googeln mal schnell, was genau damit gemeint ist!
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26. Statistik: Der Mensch im Durchschnitt
Wasserverbrauch (Liter pro Tag) 14 (Benin) 119,5 225
TV-Konsum (Minuten pro Tag) 300 (USA) 229 158
Pkw (pro 1000 Einwohner) 1 (Äthiopien) 258,5 516
Lebenserwartung (in Jahren) 32,6 (Swasiland) 56,22 80,5
Kinder (pro Leben) 7,7 (Niger) 4.59 1,48
Alter (in Jahren) 15 (Uganda) 27,5 40
Mobiltelefone (pro 1000 Einwohner) 3.68 (Nepal) 479,51 955.34
Eisenbahndichte (pro Quadratkilometer) 100 (Vatikan) 55,55 11,1
Einwohnerzahl (pro Quadratkilometer) (bis heute) 9 (Angola) 96 183
Frauen im Parlament (in Prozent) 0 (Kirgisien) 12,4 24.8
Internetnutzer (pro 1000 Einwohner) 5 (Burkina Faso) 251,5 498
Rinder (pro 1000 Einwohner) 3 (Hongkong) 103 203
Sex (pro Jahr) 164 (Griechenland) 133,5 103
Gefängnisinsassen (pro 1000 Einwohner) 7,41 (USA) 4,11 0,81
Zahlen, die für sich sprechen – und kein bisschen mehr Durchschnitts- oder Mittelwerte
gelten als unantastbare Wahrheit. Dass sie eigentlich nur den vergeblichen Versuch darstellen, komplexe,
vielschichtige Daten und Eigenschaften auf einen Punkt zu bringen, wird meist übersehen. Denn genau diese
oft künstlich oder willkürlich herbeigeführte Verflechtung von Wahrheiten liefert die Interpretationen und
Argumente der Marktforschung. Und damit oftmals absurde Ergebnisse.
connected 07 11 | 2009 Seite 51
27. Interview
Drama,
Baby–
nicht Durchschnitt!
Paris, Mailand, Tokio und New York. Kenzo,
Issey Miyake, Hermès und Calvin Klein. Der gebürtige
US-Amerikaner Bruce Darnell war auf den Lauf-
stegen der wichtigsten Modemetropolen zu Hause.
Er hat für alle namhaften Designer posiert und
sein aussergewöhnliches Aussehen für die unter-
schiedlichsten Produkte und Labels vermarktet.
Mit grossem, überdurchschnittlichem Erfolg. Und
mit der Erfahrung, die aus ihm einen der gefragtesten
Juroren in deutschsprachigen TV-Castingshows
www.brucedarnell.com
von heute macht.
connected 07 11 | 2009 Seite 5
28. Interview
connected: Herr Darnell, sind Sie ein die Besten und eben nicht der Durchschnitt.
durchschnittlicher Mensch? Ausserdem muss jemand eins mit seinem
Bruce Darnell: Ich finde schon. Ich bin Talent sein, es darf für mich nichts Aufge-
kein besserer Mensch als andere, sondern setztes haben.
habe meine Stärken und Schwächen, so
wie jeder andere auch. Welche Ansprüche stellen Sie an ein
Nachwuchstalent, das eben gerade nicht
Castings sind zurzeit ein beliebtes durchschnittlich sein möchte?
Mittel, um Überdurchschnittliches vom Üben, üben, üben. Immer ehrgeizig sein,
Durchschnittlichen zu trennen. Für wie an sich glauben und auch in schwierigen
effizient halten Sie diese Methode? Zeiten nicht aufgeben.
Die Qualität der Bewerberinnen und
Bewerber ist enorm. Ich bin immer wieder Ist das «Anderssein» wirklich der rich-
beeindruckt, wie sehr sich Menschen enga- tige Schlüssel zum Erfolg?
gieren und welche Fähigkeiten sie haben.
Ich glaube, Castingshows sind eine echte Es geht nicht darum,
Chance und oft der Beginn einer Karriere.
anders zu sein, es geht
Gibt es die durchschnittliche Schönheit? darum, echt zu sein.
Schönheit ist nicht Man muss wissen, wer
durchschnittlich, sondern man ist, dann hat man
immer etwas Einzigar- das Selbstvertrauen und
tiges. Und jeder Mensch kann auch andere von
ist schön, davon bin sich überzeugen!
ich überzeugt. Inwiefern stellen Sie höhere Anforde-
rungen – auch an sich selbst?
Woran erkennen Sie eine überdurch- Ich versuche immer, das Beste zu geben,
schnittliche Leistung? ein Vorbild zu sein. Man muss hart an sich
Das fühlt man in dem Augenblick – dafür arbeiten, aber darf die Menschlichkeit nicht
gibt es nicht unbedingt feste Kriterien. Mir verlieren. Das Wichtigste ist doch, dass die
ist wichtig, mit welchem Engagement und Menschen glücklich sind – das ist viel mehr
mit welcher Leidenschaft jemand performt. wert als Erfolg und Geld.
Wie sorgen Sie dafür, dass der Durch- Was tragen Sie dazu bei, dass andere
schnitt konsequent ausgesiebt wird? dem Durchschnitt entkommen?
Das passiert automatisch – wenn je- Indem ich ihnen sage: Finde heraus, wer
mand besser ist als ein anderer, kommt der du bist, finde heraus, was du kannst. Sei
natürlich weiter. Und zum Schluss bleiben immer du selbst und zeige das den anderen.
connected 07 11 | 2009 Seite 55
30. Bildhaftes
Lange bevor der Säugling die ersten Wörter und den Triumph der Gleichförmigkeit in der
versteht, sieht er Bilder. Durch ein ganzes Kommunikation. Indem sie schnelllebig und
Menschenleben ziehen sich unvergessliche flüchtig, beliebig und austauschbar und je-
Motive wie ein roter Faden: die Schaukel derzeit verfügbar geworden sind.
im Garten, das Siegestor oder das erste
romantische Abendessen. Und selbst wenn Mach dir (k)ein falsches Bild
wir die Augen schliessen, sind wir noch in Das Lexikon bietet eine Vielzahl von Inter-
der Lage, bestimmte Momente exakt zu pretationen: vom Abbild über die innere
visualisieren. Wahrnehmung und das Kunstbild bis hin
zum visuellen Phänomen. Doch immer
Bilder sind die Grundlage unserer Wahr- häufiger verbinden Bilder diese Elemente:
nehmung. Die kraftvollste und nachhaltigste Während uns beispielsweise die Boulevard-
Form, die unsere Sinne anzusprechen ver- medien scheinbare Abbilder unseres Lieb-
mag. Ihre Darstellung, Wahrnehmung und lingsstars präsentieren, wird unser inneres
Interpretation sind Themen, die die Wissen- Bild der Person geprägt. Wir verdrängen
schaft in zunehmendem Masse beschäfti- dabei, dass wir in Wirklichkeit eigentlich ein
gen. Und die den Rahmen dieses Artikels Kunstbild sehen, das durch ein visuelles
bei weitem sprengen würden. Phänomen – die hemmungslose Retusche –
häufig nicht mehr viel mit dem Original zu
Ein Bild des Durchschnitts tun hat.
Bilder sind ein grundlegender Teil der Kom-
munikation. Sie begegnen uns überall: auf Tatsächlich findet wohl nirgends eine beein-
Magazintiteln und Broschüren, als Bild- druckendere Synthese von Sensation und
schirmschoner und Handydisplays, auf Inse- Star, von (mehr oder weniger) Prominenz
raten und Werbeplakaten. Und natürlich in und plastischer Chirurgie statt als auf VIP-
der virtuellen Welt: Neben Unternehmensauf- Schnappschüssen:
tritten und Informationsportalen bieten immer
mehr soziale Plattformen wie tillate, flickr Retuschiert bis zur
oder facebook Millionen von flüchtigen
Momentaufnahmen ein Zuhause. Und wir
Unkenntlichkeit, manipu-
können uns der Einladung, dieses zu besu- liert bis zum Exzess.
chen, immer schlechter verweigern. Sind
wir erst einmal dort, riskieren wir, uns auf Auf die Spitze getrieben wird diese Un-
den undurchdringlichen Fluren und unend- Form des Bildjournalismus durch Fans und
lichen Fluchten einer prall gefüllten, gleich- Freunde, die ganz im Sinne von Nachah-
förmig wuchernden Bilderwelt zu verirren. mungstätern millionenfach Bilder ihrer Stars
Pioniere in Schwarz-Weiss Am Anfang war alles schwarz-weiss. Und trotzdem nicht farblos. ins Netz stellen. Bilder, über die man eigent-
Fotokünstler wie HENRI CARTIER-BRESSON oder ROBERT CAPA gelten als Ikonen der Fotografie und ebneten So komplex die noch junge Wissenschaft lich nur noch die botoxfreie Stirn runzeln
den Boden für deren Erfolgsgeschichte als Reportagemittel. Auch in der Kommunikation werden Schwarz- der «visual theory» ist – eines steht fest: und die unoperierte Nase rümpfen möchte.
Weiss-Aufnahmen gerne als Symbole für Tradition und Beständigkeit eingesetzt. Doch damit einher geht eine Bilder sind der Antrieb des Durchschnitts.
Empfindung, die unser Gehirn ganz unwillkürlich auslöst: Distanz. Der Abstand zum Motiv, zum Bildinhalt Sie ebnen den Weg für den unaufhalt- Doch Bilder folgen eben keinen Regeln,
und damit auch zur Botschaft beeinflusst die Emotionalität des Motivs – und damit auch seine Wirkungskraft. samen Durchmarsch der Mittelmässigkeit und jeder darf Hand an sie legen.
connected 07 11 | 2009 Seite 59
31. Bildhaftes
Ein Bild ist ein Bild ist ein Bild, oder? emotionale Wirkung erzielen. Weil es nicht
Ein Satz besteht aus Subjekt und Prädikat. genügt, diese unter vagen, austauschbaren
Ein Satz beginnt mit einem Grossbuchsta- Suchbegriffen abzuspeichern, die bei Be-
ben und endet mit einem Satzzeichen. Und darf abgefragt werden und meist nur allzu
ein Bild? Während für die gesprochene und plumpe Antworten auf die gesuchten Inhalte
geschriebene Sprache zum Teil seit vielen bieten; und weil es nutzlos ist, Bilder mit
Hundert Jahren verbindliche Regeln gelten, ihrer enorm kurzen Halbwertszeit in einer
leben Bilder im absoluten Niemandsland. Datenbank verstauben zu lassen, während
Frei von Syntax, bar jeglicher Grammatik sich Zeitgeist, Stil und Unternehmen konti-
und ohne Orthografie wachsen und gedei- nuierlich verändern.
hen sie – und schiessen wie Unkraut aus
dem Boden. You get the picture?
Bilder sind schneller als Worte und bieten
Doch wer würde nicht unendliche Möglichkeiten. Und doch setzen
die wenigsten auf ihre gewaltige Kraft oder
erkennen, dass Bilder nutzen ihre grosse Macht. Dabei ist die
wichtig sind? Wer würde Hirnforschung längst in der Lage, die Krite-
rien zu bestimmen, die ein Bild erfüllen muss,
die Möglichkeiten, die um überhaupt wahrgenommen zu werden.
sie bieten, ungenutzt Und um nicht im durchschnittlichen Ein-
heitsbrei der grossen Masse zu versinken.
lassen und auf die Macht Unser Gehirn hat dafür einen erbarmungs-
eines starken Motivs losen Qualitätskontrolleur eingestellt. Das
limbische System, das jedes Bild nach zwei
verzichten? Leider die Kriterien beurteilt:
meisten.
Ist das, was ich sehe, von
Vom Erkennen der Notwendigkeit und Mög-
lichkeiten einer eigenen Bildsprache bis hin
emotionaler Bedeutung
zur Umsetzung einer passenden, individu- für mich? Und ist das,
ellen Lösung ist es häufig ein weiter Weg.
Wenngleich eine Bilddatenbank heute ge-
was ich sehe, neuartig?
nauso zu einem Unternehmen gehört wie Nur wenn diese beiden Anforderungen er-
die Buchhaltungsabteilung, besteht echter füllt sind, öffnet der Wächter das neuronale
Handlungsbedarf. Denn allzu viele verste- Tor und lässt ein Bild passieren – als einen
hen sie als sprichwörtlichen Tresor und nut- von ungefähr 0,00004 % aller Reize, denen
zen sie als zwar sichere, dafür aber wenig es gelingt, in unser Bewusstsein zu schlüp-
lukrative An- und Ablage von Bildern – ohne fen. Ein Bild, das sich aus dem Kosmos
Aussicht auf Zins oder Rendite. flüchtiger Eindrücke befreien und dem Un- Business as usual Ob Sie diese Bilder an höchste Professionalität, eine perfekte Arbeitswelt oder an
tergrund austauschbarer Inhalte entfliehen die typischen Vertreter des Establishments denken lassen – Motive für die «Geschäftswelt» gibt es in den Bild-
Warum? Weil es eben nicht ausreicht, viele, konnte. Ein Bild eben, das der Anonymität datenbanken * zur Genüge: blass statt harmonisch, belanglos statt natürlich, austauschbar statt einprägsam.
meist ähnliche Bilder anzuhäufen, die keine der Durchschnittlichkeit entkommt. * Suchergebnisse «Business»: GETTy IMAGES: 215’149, ISTOCKPHOTO: 11’1, FOTOSEARCH: 526’996, MASTERFILE: 282’11
connected 07 11 | 2009 Seite 61