Dr. Sabine Hafner, Prof. Dr. Manfred Miosga, Dr. Anne von Streit: Wissen, Kultur und Kreativität als Faktoren für erfolgreiche Stadt- und Regionalentwicklung
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Dr. Sabine Hafner, Prof. Dr. Manfred Miosga, Dr. Anne von Streit: Wissen, Kultur und Kreativität als Faktoren für erfolgreiche Stadt- und Regionalentwicklung
1. B 2.10
Wissen, Kultur und Kreativität als Faktoren für
erfolgreiche Stadt- und Regionalentwicklung
Dr. Sabine Hafner
Prof. Dr. Manfred Miosga
Dr. Anne von Streit
Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist in den letzten Jahren als wichtiger Wirtschaftssektor entdeckt
worden. Zudem wird der Rolle der Kultur und Ihrer Produzenten als „weichem“ Standortfaktor
verstärkt Beachtung geschenkt. Der vorliegende Beitrag geht anhand der Ergebnisse zweier empiri-
scher Studien den Fragen nach, welche wirtschaftliche Bedeutung die Kultur- und Kreativwirt-
schaft mittlerweile hat, worin der Zusammenhang zwischen wissensintensiven und kreativen Bran-
chen, ihren Beschäftigten und einer erfolgreichen Stadt- und Regionalentwicklung besteht, und wie
die Kultur- und Kreativwirtschaft zur Förderung dieser Entwicklung beitragen kann.
Gliederung Seite
1. Einleitung 2
2. Die Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland 3
3. Institutionentheoretische und beschäftigtenorientierte Ansätze zur
Erklärung von stadtregionalem Erfolg 5
4. Die Ansprüche kreativer Wissensarbeiter an ihre Stadt 7
4.1 Kreative und wissensintensive Branchen: Beschäftigte, Unternehmen und Umsätze 8
4.2 Kreative Wissensarbeiter in München 10
4.3 Wohnstandortwünsche kreativer Wissensarbeiter 10
4.4 Entgrenzte Arbeit kreativer Wissensarbeiter und ihre Bedeutung für die Stadtentwicklung 12
4.5 Harte und weiche Standortfaktoren – bedeutend für die Wahl des Wohn- und
Arbeitsstandorts 14
4.6 Wechselwirkungen zwischen Hochkreativen und Hochqualifizierten 17
5. Schlussfolgerungen für eine Politik der kreativen Stadt 18
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2. B 2.10 Kultur und Politik
Wirtschaft, Gesellschaft und Politik
1. Einleitung
Wissen und Kreativität Globalisierung sowie der Wandel zu einer zunehmend wissensbasier-
sind entscheidend ten Wirtschaft haben zu einem verschärften Standortwettbewerb ge-
führt, der Städte und Regionen vor neue Herausforderungen stellt.
Wissen und Kreativität gelten heute als die wichtigsten Faktoren er-
folgreicher Regionalentwicklung (Malecki 2000). Wettbewerbsfähig
sind Städte und Regionen, die sowohl einen hohen Bestand an wis-
sensintensiven und kreativitätsorientierten Unternehmen bspw. aus
den I&K-Technologien, den Finanzdienstleistungen oder den Medien,
der Grafik- und der Designbranche und gleichzeitig einen großen Pool
an hochqualifizierten Arbeitskräften aufweisen können. Es sind Städte
wie Zürich, Wien, Genf, Vancouver, Auckland, Düsseldorf und Mün-
chen, die als Gewinner des Strukturwandels bezeichnet werden kön-
nen. Neben ihrer wirtschaftlichen Stärke verfügen sie über ein hohes
Maß an Lebensqualität und nehmen deshalb z.B. im Städteranking des
Consulting-Unternehmens Mercer Spitzenpositionen ein (Mercer LLC
2009).
Neu in der Während der Fokus in den Debatten um die Wettbewerbsfähigkeit von
Standortdiskussion: Städten und Regionen schon in den letzten zwei Jahrzehnten auf die
Die Rolle von Kultur High-Tech-Branchen wie die Medizin-, Bio- und Umwelttechnolo-
gien, den IT-Sektor oder die Luft- und Raumfahrt sowie auf die wis-
sensintensiven Dienstleistungen wie z.B. die Bank- und Versiche-
rungswirtschaft gelegt wurde, ist die Rolle, die der Kultur in dieser
Diskussion zugesprochen wird, neu. Machen ein reiches Kulturange-
bot und eine lebendige Szenekultur einen Standort attraktiver und in
der Folge auch wirtschaftlich erfolgreicher? Doch wie passen Kultur
und Wirtschaft als zwei unterschiedliche gesellschaftliche Teilbereiche
überhaupt zusammen? Ein offensichtlicher Zusammenhang ergibt
sich, wenn man die vor Ort vorhandene Kultur- und Kreativwirtschaft
genauer betrachtet und damit den Kulturbegriff zunächst einschränkt.
Die Kultur- und Erst in den letzen Jahren ist die Kultur- und Kreativwirtschaft auch in
Kreativwirtschaft wirft Deutschland als wichtiger Wirtschaftssektor entdeckt worden. Davon
neue Fragen auf zeugen zahllose Berichte zur Kultur- und Kreativwirtschaft deutscher
Bundesländer und Städte (vgl. z.B. Ministerium für Wirtschaft, Mit-
telstand und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen 2009, Kultur-
behörde Hansestadt Hamburg 2006) sowie der Kultur- und Kreativ-
wirtschaftsbericht des Bundes (Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie 2009). Auch die EU hat das Jahr 2009 zum Jahr der Krea-
tivität und Innovation ausgerufen. Welche wirtschaftliche Bedeutung
spielt die Kultur- und Kreativwirtschaft überhaupt? Worin besteht der
Zusammenhang zwischen wissensintensiven und kreativen Branchen,
ihren Beschäftigten und einer erfolgreichen Stadt- und Regionalent-
wicklung? Diesem Zusammenhang wollen wir in diesem Beitrag
nachgehen und aus einer beschäftigtenzentrierten Perspektive auch
danach fragen, inwieweit eine Trennung in harte und weiche Standort-
faktoren bei dieser Betrachtung noch sinnvoll ist.
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3. Kultur und Politik B 2.10
Wirtschaft, Gesellschaft und Politik
Dabei werden wir in Abschnitt 2 die Querschnittsbranche Kultur- und
Kreativwirtschaft näher vorstellen. In Abschnitt 3 sollen dann die un-
terschiedlichen Perspektiven der Regionalforschung aufzeigt werden,
die Erklärungen für die wirtschaftliche Entwicklung von Städten und
Regionen im Übergang in die Wissensökonomie liefern. Während
lange Zeit vor allem Firmen und deren Standortfaktoren sowie das
regionale Milieu im Fokus des Interesses standen, rücken nun zuneh-
mend hochqualifizierte und kreative Beschäftige mit ihren Bedürfnis-
sen in den Mittelpunkt der Betrachtung. In Anlehnung an diese neue
beschäftigtenorientierte Perspektive fragen wir in Abschnitt 4 nach
den Anforderungen und Wünschen, die hochqualifizierte und kreative
Menschen an ihren Wohn- und Arbeitsort stellen und präsentieren
dazu die empirischen Ergebnisse zweier Studien aus München. Zudem
stellen wir die Zuzugsmotive von hochqualifizierten Migrantinnen
und Migranten dar, die München als ihren Wohn- und Arbeitsstandort
gewählt haben. In Abschnitt 5 entwickeln wir schließlich Bausteine
für eine Politik der kreativen Stadt.
2. Die Kultur- und Kreativwirtschaft in
Deutschland
Seit 2008 existiert, beschlossen von der Wirtschaftsministerkonferenz, Kernbranchen
eine verbindliche Definition der Kultur- und Kreativwirtschaft in der Kultur- und
Deutschland (Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie Kreativwirtschaft
2009). Diese deutsche Definition ist mit der europäischen Kernab-
grenzung der EU-Kommission als auch mit dem weltweiten Refe-
renzmodell, dem Konzept der britischen Creative Industries, kompati-
bel. Das Wirtschaftsfeld Kultur- und Kreativwirtschaft umfasst insge-
samt elf Teilmärkte. Neun Teilmärkte werden der Kulturwirtschaft
zugeordnet und zwar: Musikwirtschaft, Buchmarkt, Kunstmarkt,
Filmwirtschaft, Rundfunkwirtschaft, Pressemarkt, Markt für darstel-
lende Künste, Designwirtschaft und Architekturmarkt. Zwei Teilmärk-
te, nämlich der Werbemarkt sowie die Software-/Games-Industrie
werden als Kreativbranchen miteinbezogen. Bei der Kultur- und Kreativ-
wirtschaft handelt es sich also – vergleichbar zur IKT-Branche – um
einen Branchenmix von verschiedenen Märkten.
Der Kultur- und Kreativwirtschaft gehören diejenigen Unternehmen Erwerbswirtschaftliche
an, die überwiegend erwerbswirtschaftlich orientiert sind und sich Orientierung und
mit der Schaffung, Produktion, Verteilung und/oder medialen Ver- schöpferischer Akt
breitung von kulturellen bzw. kreativen Gütern und Dienstleistungen
befassen. Der verbindende Kern jeder kultur- und kreativwirtschaft-
lichen Aktivität ist der schöpferische Akt: Damit sind alle künstleri-
schen, literarischen, kulturellen, musischen, architektonischen oder
kreativen Inhalte, Werke, Produkte, Produktionen oder Dienstleis-
tungen gemeint. Mit diesen Umschreibungen des schöpferischen
3
4. B 2.10 Kultur und Politik
Wirtschaft, Gesellschaft und Politik
Aktes sind nur jene Inhalte- oder Kreativproduktionen verbunden,
die einen ästhetischen Kern oder Bezug aufweisen. Im Konzept der
Kultur- und Kreativwirtschaft stellt der schöpferische Akt auch eine
wirtschaftliche Kategorie dar, denn die ästhetische Inhalteproduktion
muss mit einem Prozess wirtschaftlicher Wertschöpfung einhergehen
oder zu diesem hinführen.
„Schöpferischer Akt“: Als Schlüsselbegriff der Kultur- und Kreativwirtschaft ist der „schöp-
Schwer konkret ferische Akt“ eine abstrakte, idealtypische Bezugskategorie, die je-
zu erfassen doch schwer konkret zu erfassen ist. Der „schöpferische Akt“ ist ein
nicht-haptischer Begriff, der Teil einer immateriellen Wirtschaft ist,
die sich trotz des nicht-physischen Charakters anschickt, immer grö-
ßere Anteile der Bruttowertschöpfung zu erbringen (Bundesministeri-
um für Wirtschaft und Technologie 2009). Eine Subsummierung der
Kultur- und Kreativwirtschaft unter das große Dach der wissensinten-
siven Branchen erscheint gerade wenn über eine angemessene Politik
und Förderung nachgedacht werden soll, als nicht angebracht. Zwar
können Tätigkeiten im Bereich der Kultur- und Kreativwirtschaft
durchaus als wissensintensiv bezeichnet werden, allerdings weisen die
Branchen der Kultur- und Kreativwirtschaft einige gemeinsame Cha-
rakteristika auf, die sie klar von anderen wissensintensiven Branchen
unterscheiden. Diese sind z.B. die Dominanz von Klein- und Kleinst-
unternehmen, den hohen Anteil an freien Mitarbeitern oder auch die
Projektarbeit als vorherrschende Arbeitsform.
Geprägt von Kleinst- Zur gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung leistete die Kultur- und
und Kleinunternehmen Kreativwirtschaft in Deutschland im Jahr 2006 einen Beitrag in Höhe
von 61 Milliarden €. Das entspricht einem Anteil von 2,6 % am Brut-
toinlandsprodukt. Im Vergleich zu traditionellen Wirtschaftsbranchen,
wie der Automobil- oder Chemieindustrie, nimmt die Kultur- und
Kreativwirtschaft einen Mittelplatz ein (Bundesministeriums für Wirt-
schaft und Technologie 2009, S. XII). Die Kultur- und Kreativwirt-
schaft ist in hohem Maße eine durch Kleinstunternehmen geprägte
Wirtschaftsbranche, denn rund 213.000 Unternehmen (mit mindestens
17.500 € Jahresumsatz) zählen zur Gruppe der Kleinstunternehmen
und stellen damit 97 % der gesamten Kultur- und Kreativwirtschafts-
betriebe dar. Sie erwirtschaften 2006 27,1 % der Umsätze in der Kul-
tur- und Kreativwirtschaft. Zur Gruppe der Kleinunternehmen gehören
weitere rund 4.800 Unternehmen. Den Rest – etwa ein Prozent – bil-
den die mittelständischen und Großunternehmen, die auf eine Anzahl
von zusammen rund 1.300 Unternehmen kommen. Die 271 Großun-
ternehmen (mit mindestens 50 Millionen € Jahresumsatz) in Deutsch-
land und somit nur 0,12 % aller Unternehmen aus der Kultur- und
Kreativwirtschaft erwirtschafteten hingegen 46,2 % der Umsätze,
nämlich 50.776.000 € im Jahr 2006 (Bundesministeriums für Wirt-
schaft und Technologie 2009, S. 52)!
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