Benclowitz: Die Kunst ist frei!? Teil I: Tendenzschutz im Betriebs- und Perso...
Institut KMM Hamburg: „Das war schon immer so“ ist kein Erfolgsgarant
1. D 3.8
„Das war schon immer so“ ist kein Erfolgsgarant
Ergebnisse und Erkenntnisse aus der Kulturpraxis
Institut KMM Hamburg
Kultureinrichtungen sind wichtige Kommunikations- und Erlebnisorte; ihr Streben reicht von Bil-
dung bis Unterhaltung. Das Institut KMM Hamburg hat zahlreiche von ihnen über Jahre hinweg
begleitet – Einrichtungen in privater und öffentlicher Trägerschaft sowie große und kleine, kom-
merzielle und nicht-kommerzielle Einrichtungen. Die zentralen Ergebnisse und Erkenntnisse dieser
Praxisbegleitung werden nachfolgend vorgestellt.
Einige Gedanken werden anhand von Museen beispielhaft detailliert. Die meisten der dort getroffe-
nen Aussagen lassen sich auf Einrichtungen anderer Genres übertragen – und haben somit auch für
diese eine hohe Relevanz.
Gliederung Seite
1. Zentrale Erkenntnisse 2
2. Kulturvermittlung 2
3. Besucherforschung 10
4. Kooperationen 17
5. Fördervereine und Drittmittel 22
6. Internet-Präsenz 30
7. Schlussfolgerung 35
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2. D 3.8 Planung und Steuerung
Evaluation und Qualitätsmanagement
1. Zentrale Erkenntnisse
Die Annahme, dass die größten Kultureinrichtungen zugleich auch die
aktivsten seien, hat sich nicht bestätigt. Damit hat sich auch nicht be-
wahrheitet, dass diejenigen Einrichtungen, die über die besten finan-
ziellen und personellen Ressourcen verfügen, auch das umfangreichste
Programm anböten bzw. die meisten Menschen erreichten.
Engagement der Entscheidend für den Erfolg der Kulturarbeit ist somit weniger die
Mitarbeiter entscheidend Größe der Einrichtung, sondern vielmehr das Engagement der Mitwir-
kenden. Nicht selten sind die großen Einrichtungen gefährdet, zu einer
reinen Verwaltungseinheit zu werden, die sich mehr um sich selbst als
um ihre aktuellen und potenziellen Besucher – also die Bewohner und
Gäste ihrer Stadt – bemühen.
Mitarbeiter in nicht wenigen Einrichtungen scheinen der Ansicht zu
sein, dass ihr Haus in allen Abläufen etwas ganz Besonderes sei und
sich ihre Arbeit daher mit keiner anderen Einrichtung vergleichen
ließe. Doch betriebliche Abläufe lassen sich prinzipiell durchaus ver-
gleichen – unabhängig von den angebotenen Produkten und Dienst-
leistungen. Das Management von Kultureinrichtungen ist dem Mana-
gement anderer Betriebe keineswegs unähnlich. „Nicht bei allen be-
trieblichen Entscheidungen das Rad neu erfinden wollen“ bedeutet
also: Bei den allgemeinen Dingen ruhig auch mal auf die Erfahrungen
Anderer zurückgreifen – dies gefährdet nicht, sondern es hilft, spart
Zeit und eröffnet unbekannte Perspektiven.
Große können auch Die großen Einrichtungen können in vielen Aspekten sogar von klei-
von kleinen lernen neren Einrichtungen lernen – z. B. hinsichtlich kreativer Überlegun-
gen zur Gewinnung von Besuchern und hinsichtlich der Gestaltung
ihres Internet-Auftritts. Die kleineren Einrichtungen wiederum können
ihre kapazitär begrenzten Möglichkeiten besser ausschöpfen, wenn sie
bei Aufgaben, die sich in dieser Form auch in anderen Kultureinrich-
tungen finden, z. B. Buchhaltung und Administration, (enger) zusam-
men arbeiten. Das entsprechende Motto lautet: „Kooperation im Ver-
borgenen und Eigenständigkeit im Sichtbaren“.
2. Kulturvermittlung
Kulturvermittlung – z. B. Musikvermittlung und Theater- oder Muse-
umspädagogik – leidet im Grundsatz daran, dass jeder darüber spricht,
aber kaum ein Haus über ein stringentes Vermittlungskonzept verfügt.
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3. Planung und Steuerung D 3.8
Evaluation und Qualitätsmanagement
Die Bedeutung von Kultureinrichtungen ist für Bewohner einer Regi- Bereitschaft zur
on durchaus groß. Jedoch gelingt es nicht allen Häusern gleicherma- Besucherorientierung
ßen erfolgreich, mit ihrem Angebot den Bedürfnissen der aktuellen
und potenziellen Besucher zu entsprechen. Dies mag zum Ersten an
der finanziellen und personellen Ausstattung liegen. Es mag zum
Zweiten an baulichen und räumlichen Grenzen liegen. Die Untersu-
chungen zeigen jedoch, dass es überwiegend an der Bereitschaft der
Verantwortlichen liegt, sich für die Bedürfnisse der Besucher zu inte-
ressieren und die Aktivitäten der Kultureinrichtung danach auszurichten.
Auch wenn es dem Sprachempfinden von Kulturschaffenden vielleicht
zunächst nicht behagen mag: Kulturvermittlung ist letztlich nichts
anderes als ein Instrument des Kulturmarketing. Denn unter Kultur-
vermittlung können alle jene Aktivitäten einer Kultureinrichtung ver-
standen werden, die der Ausrichtung eines Hauses auf seine Besucher
dienen. Und genau mit einem Kulturvermittlungsangebot versucht ein
Haus, sich zielgruppenspezifisch an seine Besucher zu richten: Bei-
spielsweise werden für Kinder Malkurse angeboten, für die Erwach-
senen Führungen, die sie in der Mittagspause wahrnehmen können,
und für alle individuellen Besucher sind die Erklärungen an den Ex-
ponaten gedacht, die das nötige Fachwissen vermitteln, um Ausstel-
lungsstücke zu verstehen.
Um eine gute und zielführende Kulturvermittlung anzubieten, muss Warum
sich daher zunächst eine Kultureinrichtung darüber klar sein, ob und Kulturvermittlung?
mit welchem Ziel es ein Vermittlungsprogramm anbieten möchte.
Daraus leiten sich dann der Anspruch an die Qualität und die Orientie-
rung am Probanden ab.
Zur Kulturvermittlung zählen alle Bemühungen, dem Besucher die
Einrichtung und das künstlerische Angebot näher zu bringen, also das
Anliegen des Hauses transparent zu machen. Ein Vermittlungskonzept
umfasst daher nicht nur einzelne Angebote, sondern idealerweise ein
aufeinander abgestimmtes Angebotssortiment. Darüber hinaus gehört
hierzu auch eine entsprechende „Vermarktung“ dieser Angebote,
sprich: ein Publik-Machen der einzelnen Vermittlungs-Offerten bei
den entsprechenden Zielgruppen – womit man wieder beim Kultur-
marketing wäre.
Von Alfred Lichtwark, dem Nestor der deutschen Museumspädagogik Vermittlung = Bildung?
und legendären Direktor der Hamburger Kunsthalle, wird erzählt, er
habe, angetan mit Gehrock und Zylinder, morgens im Foyer seines
Museums die ersten Besucher abgepasst und ihnen im Gespräch die
Kunstschätze seiner Sammlung erläutert. Das Selbstverständnis der
Museumspädagogik geht auf ein Konzept der ästhetischen Erziehung
zum Staatsbürger zurück, das über Lichtwark und Humboldt zurück-
reicht in die Bildungsideologie der Aufklärung. Die „Vermittlung“,
bekanntlich eine der Kernfunktionen der Museumsarbeit, konstituiert
eine „Mitte“, die durch den professionellen Museumskustoden besetzt
ist. Er ist Mittler zwischen Exponat und Publikum, Interpret jener
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4. D 3.8 Planung und Steuerung
Evaluation und Qualitätsmanagement
„Botschaft“, die den Inhalt pädagogischer Anstrengung darstellt. Er ist
aber auch Sachwalter des Publikums, dessen Bildungs- und Erlebnis-
ansprüche er aufgreift und organisiert.
Trotz dieser Gedanken und langjährigen (Er)Kenntnisse scheint Kul-
turvermittlung vielerorts in der Krise zu stecken. Die anhaltende
Haushaltsmisere der Träger hat zu stagnierenden oder rückläufigen
Etats geführt. Disponible Mittel werden auf die Kernaufgaben kon-
zentriert, wobei die Kulturvermittlung auf der Strecke bleibt. Warum
aber zählt sie nicht zu den Kernaufgaben?
Lernort contra Prof. Dr. Kurt Winkler (Berlin): „In den Museen der alten Bundesre-
Musentempel? publik zieht sich die „68-er Generation“, die einst unter dem Schlag-
wort „Lernort contra Musentempel“ die Museen revolutionieren woll-
te, aus dem aktiven Berufsleben zurück. Im Bereich der neuen Bun-
desländer hat man sich zu Recht von einer unter Manipulationsver-
dacht stehenden Bildungsideologie distanziert, die noch jedes Dorf-
museum dazu gezwungen hatte, den Errungenschaften der Arbeiter-
bewegung eine Vitrine zu opfern. Beide Faktoren bewirken einen
Kontinuitätsbruch für museumspädagogische Aktivitäten.“
An die Stelle einer vielleicht gut gemeinten, latenten oder offenen
Politisierung von Kultur bzw. Kultureinrichtungen traten in den letz-
ten Jahren andere Faktoren, die der klassischen Kulturvermittlung
überdies Konkurrenz machen. Kultureinrichtungen sind heute Teil
einer umfassenden Freizeitkultur. Das individuelle Bildungserlebnis
ist vor allem bei der primären Zielgruppe, den Jugendlichen, dem
Event gewichen. So besteht beispielsweise eine wesentliche Aktivität
des zentralen Museumspädagogischen Dienstes in Berlin in der Orga-
nisation der „Langen Nacht der Museen“, die zweimal jährlich Hun-
derttausende in und durch Museen führt, die eigentlich alle Tage zur
Besichtigung offen stehen.
Medien statt Seit bildverarbeitende Computertechnologie auch für den privaten
Kulturvermittlung? Haushalt erschwinglich ist, sind mit der CD-ROM und dem Internet
ganz neue Medien der Vermittlung entstanden. Beide Faktoren schei-
nen den Rang der Kulturvermittlung innerhalb der Kultureinrichtung
eher eingeschränkt als bestärkt zu haben. Auch größeren Einrichtun-
gen fehlen häufig Kapital und Kompetenz, auf einem globalen Markt
der Medien und Kulturen mitzuspielen.
Dennoch besteht zur Resignation kein Anlass, eröffnet die Situation
doch auch Optionen. Gerade im Zeitalter der Medialisierung bietet
sich eine Chance für die Kultureinrichtungen als Orte des unmittelba-
ren Kontakts mit Kunstwerken, künstlerischen Darbietungen, Ge-
schichtszeugnissen – und auch mit Menschen, die anderen den Zugang
zu dieser Welt eröffnen. Angesichts der Haushaltslage vieler Kultur-
einrichtungen scheint jedoch eine Neuorganisation der Kulturvermitt-
lung dringend geboten – notfalls beispielsweise über ein Outsourcing,
also die Auslagerung eigener Dienste.
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