Dr. Achim Gmilkowsky: Vertragsgestaltung für Fotografen, Teil 1
Mertens: Orchesterarbeitsrecht. Der Tarifvertrag für Musiker in Kulturorchestern (TVK)
1. D Arbeits- und Personalrecht
D2 Der Künstler als Arbeitnehmer oder Unternehmer
Orchesterarbeitsrecht
Der Tarifvertrag für Musiker in Kulturorchestern (TVK)
Gerald Mertens
Rechtsanwalt, Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung (DOV),
Leitender Redakteur der Zeitschrift „das Orchester“, Berlin
Inhalt Seite
1. Einleitung 2
2. Tarifpolitische Situation 3 D
3. Struktur des TVK 5 2.4
4. Inhalt des TVK 7
S. 1
5. Haus- und Sondertarifverträge 30
Der TVK findet als Flächentarifvertrag auf die Arbeitsverhältnisse von Musikern
in rund 100 deutschen Kulturorchestern Anwendung. Für Rundfunkklangkörper
gelten gesonderte Tarifregelungen der einzelnen Rundfunkanstalten. Allgemeine,
nicht orchesterspezifische Bestimmungen des TVK sind teilweise identisch mit
den Regelungen des TVÖD bzw. des NV Bühne. Besondere, orchesterspezifische
Bestimmungen im TVK betreffen vor allem die Bereiche der Mitwirkungspflicht,
der Arbeitszeit sowie Vergütungen, Instrumente, Befristungen, Kündigungen,
Abfindungen.
56 Kultur & Recht Januar 2012
2. D Arbeits- und Personalrecht
D2 Der Künstler als Arbeitnehmer oder Unternehmer
1. Einleitung
Das Arbeits- und Tarifrecht für Orchestermusiker hat sich historisch eigenständig
und parallel zum Arbeitsrecht für die Bühnenkünstler („Bühnenarbeitsrecht“, vgl.
Kap. D 2.3) entwickelt. Dies hat verschiedene Gründe: Erste Orchestergründun-
gen in Deutschland erfolgten bereits Ende des 15. Jahrhunderts, also weit vor der
Gründung der ersten stehenden Theater mit festem Ensemble. Anders als Sänger
oder Schauspieler wurden Musiker von Hofkapellen meist langfristig angestellt
und erlangten in 19. und 20. Jahrhundert vereinzelt sogar einen Beamtenstatus.
Schließlich waren Hofkapellen und städtische Orchester zunächst eigenständig
und vorrangig als Repräsentations-, Konzert- und Kantatenorchester tätig, wäh-
rend sich die Funktion als Opernorchester erst schrittweise mit dem Aufblühen
dieser Kunstform im 17. und 18. Jahrhundert entwickelte. Der Unterschied von
Konzert- und Opernorchestern setzt sich bis heute auch im Orchestertarifrecht
D fort, vor allem in Fragen der Dienstplan- und Arbeitszeitgestaltung.
2.4
S. 2 Das geltende Tarifrecht für die Orchester, sei es als Flächentarifvertrag oder auch
als Haus- oder Sondertarifvertrag (s.u. Ziff. 5), ist Bestandteil des national gel-
tenden Arbeitsrechts. Es ist damit eingebunden in die Hierarchie von Grundge-
setz, allgemein geltenden Gesetzen und Rechtsverordnungen sowie der Ausle-
gung durch die (höchstrichterliche) Rechtsprechung. Im Rahmen der vom Grund-
gesetz garantierten Tarifautonomie haben die zuständigen Tarifparteien einen
großen Gestaltungsspielraum, der einem Flächentarifvertrag letztlich die rechtli-
che Wirkung eines Gesetzes zukommen lässt.
Konkret für den Orchesterbereich ergibt sich daraus folgende Pyramide:
Abb. D 2.4.1: Hierarchie von Tarifverträgen und weiteren Vereinbarungen
56 Kultur & Recht Januar 2012
3. D Arbeits- und Personalrecht
D2 Der Künstler als Arbeitnehmer oder Unternehmer
2. Tarifpolitische Situation
Tarifverträge werden auch im Orchesterbereich von den Tarifparteien, also Ar-
beitgeberverbänden und/oder einzelnen Arbeitgebern einerseits und der Deut-
schen Orchestervereinigung (DOV) als eigenständige, tariffähige Gewerkschaft
und als Berufsverband der Orchestermusiker und Rundfunkchorsänger anderer-
seits verhandelt und abgeschlossen.
Der TVK, der „Tarifvertrag für Musiker in Kulturorchestern“, sowie ergänzende
Flächentarifverträge für weitere tarifliche Leistungen (Aufwendungsersatz wie
z. B. Kleidergeld oder Instrumentengeld) sowie Haustarifverträge für die kommu-
nalen und staatlichen Orchester werden von der DOV in der Regel mit dem Deut-
schen Bühnenverein (DBV) – „Bundesverband deutscher Theater und Orchester“ –
als Arbeitgeberverband abgeschlossen. Der TVK gilt dann unmittelbar für das je-
weilige Orchester, soweit der Orchesterträger, der einzelne Arbeitgeber, Mitglied D
des DBV ist. 2.4
S. 3
Ist der Arbeitgeber nicht Mitglied im DBV, erfolgt der Tarifabschluss unmittelbar
mit der DOV. Dies gilt z. B. bei der Stiftung Berliner Philharmoniker, den Bam-
berger Symphonikern, der Jenaer Philharmonie, den Hamburger Symphonikern
und einigen weiteren Konzertorchestern. Vereinzelt gibt es auch Fälle, in denen
der Arbeitgeber trotz Mitgliedschaft im DBV ergänzend zum TVK einen geson-
derten Tarifvertrag direkt mit der DOV abgeschlossen hat (z. B. Sächsische
Staatskapelle Dresden, Dresdner Philharmonie, Gewandhausorchester Leipzig,
Münchner Philharmoniker, Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, Lud-
wigshafen).
Diese gesonderten Tarifverträge ergänzen den TVK in Bezug auf das betreffende
Orchester und enthalten in der Regel besondere Vergütungs- und Arbeitszeitbe-
stimmungen, die Übertragung von Medien- und Leistungsschutzrechten auf den
Arbeitgeber oder Regelungen für Orchesterreisen, die vom Flächentarifvertrag
abweichen und für das jeweilige Orchester maßgeschneidert sind. Hintergrund
hierfür ist u.a. die besondere Wettbewerbssituation im Bereich der national und
international tätigen Spitzenorchester sowie die Attraktivität der Arbeitsplätze
und der künstlerischen Entfaltungsmöglichkeiten für den hoch qualifizierten
Orchesternachwuchs.
Der TVK findet in Deutschland flächendeckend für die meisten Opernorchester
und einzelne Konzertorchester unmittelbar Anwendung. Diese nationale Flächen-
tarifsituation für eine derartige Vielzahl von Orchestern ist weltweit einzigartig.
Eine erste Zusammenfassung der geltenden und regional sehr unterschiedlichen
Arbeits- und Tarifregelungen in Deutschland erfolgte bereits 1938 für den gesam-
ten öffentlichen Dienst in der TO.A (Tarifordnung für die Angestellten des deut-
schen Reichs) und parallel dazu für den Bereich der Orchester in der TO.K (Tarif-
ordnung für die Musiker in Kulturorchestern), dem Vorläufer des aktuellen TVK.
56 Kultur & Recht Januar 2012
4. D Arbeits- und Personalrecht
D2 Der Künstler als Arbeitnehmer oder Unternehmer
Die TO.A wurde 1961 durch den Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) abgelöst
(heute TVÖD bzw. TV-L), die TO.K im Jahr 1971 durch den TVK (vgl. Mertens:
30 Jahre TVK, Das Orchester, 7-8/2001, S. 17 f).
Der „erste“ TVK vom 1. Juli 1971 enthielt eine Kombination von BAT- und
TO.K-Bestimmungen: Einzelne für alle Arbeitnehmer anwendbare Vorschriften
(z. B. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Personalakten, Dienstzeitanrechnung
etc.) wurden wortgleich aus dem BAT übernommen. Die für den Orchesterbetrieb
maßgeblichen, spezifischen Regelungen (Arbeits- und Mitwirkungspflichten des
Musikers, Arbeits- und Ruhezeiten, Regelungen zum Orchestervorstand etc.)
wurden aus dem TO.K-Text weiterentwickelt. Die parallele Entwicklung des
Tarifrechts für den öffentlichen Dienst und für die Kulturorchester in Deutschland
hat also eine lange Tradition und ist inhaltlich vor allem darin begründet, dass die
meisten deutschen Kulturorchester immer noch unmittelbar oder mittelbar in die
D Strukturen der öffentlichen Landes- oder Kommunalverwaltungen eingebunden
2.4 sind, die ihrerseits dem öffentlichen Dienstrecht unterliegen. Außerdem wurde
der TVK vom 1. Juli 1971 noch durch eine Reihe weiterer Tarifverträge ergänzt,
S. 4
z. B. der Tarifvertrag über die Bildung und die Aufgaben des Orchestervorstandes.
Im Herbst 2009 wurde nach über fünfjähriger Verhandlungsdauer, zeitweise
begleitet von Verhandlungsunterbrechungen und den größten Arbeitskämpfen der
Orchestermusiker seit den 1950er Jahren, zwischen dem DBV und der DOV
„TVK vom 31. Oktober 2009“ als neuer Flächentarifvertrag für die deutschen
Kulturorchester neu abgeschlossen. Die Zahl der ergänzenden Tarifverträge wur-
de soweit wie möglich reduziert und deren Inhalte in den „neuen“ TVK integriert
(z. B. Rechte und Pflichten des Orchestervorstandes, § 54f, Zuwendung (13. Mo-
natsgehalt), § 23f). Soweit dies inhaltlich sinnvoll und vertretbar erschien, wur-
den dabei auch Anpassungen bis hin zu wortglichen Formulierungen mit dem seit
dem 1. Januar 2003 geltenden NV Bühne vorgenommen (weitere Einzelheiten
hierzu im Beitrag „Bühnenarbeitsrecht“ von Michael Schröder und Ilka Schmal-
bauch, D 2.3). Diese Entwicklung war insbesondere für die Harmonisierung der
künstlerischen Arbeitsabläufe im Musiktheater aller Sparten (Solisten, Chor,
Ballett, Orchester) von Bedeutung.
Sechs der sieben Kammerorchester und ganz wenige weitere deutsche Kulturor-
chester verfügen über keinen Tarifvertrag (z. B. Hofer Symphoniker, Münchner
Symphoniker, Bad Reichenhaller Philharmonie). Dort sind die Lohn- und Ar-
beitsbedingungen meist in einzelnen Arbeitsverträgen der Musiker festgelegt.
Dennoch sind auch bei diesen Orchestern die Arbeitsbedingungen weitgehend an
den TVK (meist noch an vor 2009 geltende Fassungen) angelehnt.
56 Kultur & Recht Januar 2012