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Leipziger Freiräume
Das Hausprojekt ‚Kunterbunte 19‘
Bild rechts: Vorher, Bild oben links:
Nachher. Mit viel Enthusiasmus und Ar-
beitseinsatz haben die späteren Bewoh-
nerInnen der Kunterbunten 19 ihr altes
Haus in kurzer Zeit in ein Schmuckstück
verwandelt. Noch werden Abenteure-
rInnen und Baufreudige gesucht, die sich
in das gemeinsame Hausprojekt stürzen
und später mietfrei gemeinschaftlich
wohnen möchten
Foto: Christina Weiss
Selbst gestalten, selber machen, öko-
logisch, autonom und in Gemeinschaft
leben: Das ist die Vision der Kunterbun-
ten 19 in der Georg-Schwarz-Straße in
Leipzig. Ein Ort in Deutschland, an dem
es möglich ist, Freiräume für selbstge-
machte Stadtentwicklung zu finden und
zu formen.
Wer sich Leipzig etwas genauer ansieht,
entdeckt viele alte, baufällige Häuser.
Häuser, die einst schön und voller Leben
waren und jetzt leer stehen, vermodern,
den Jahren zum Opfer fallen. Auch in der
Georg-Schwarz-Straße im Leipziger Wes-
ten stand ein solches Haus. Mit Baujahr
1888 ist es eines der ältesten Gründerzeit-
häuser der Straße.
Doch 2012 startete eine kleine Gruppe
von Leuten ein Projekt, um dieses vier
stöckige Haus zu retten und es gleichzei-
tig dem spekulativen Wohnungsmarkt zu
entziehen. In Leipzig gibt es einige dieser
Hausprojekte und es ist in nur wenigen
anderen Städten so gut möglich, ein bau-
fälliges Haus als private Gruppe aufzukau-
fen und auszubauen.
Mit Vieren begann es: Dazu gehören auch
die ROBIN WOOD-AktivistInnen Klaus
Schotte und Regina Möller. Inzwischen
sind es acht Erwachsene, zwei Kinder
und ein Hund, die später, wenn das Haus
fix und fertig renoviert sein wird, in der
Kunterbunten 19 leben werden. Und
es können noch mehr werden. „Insge-
samt haben hier 14 Menschen Platz. Wir
wollen ein Mehr-Generationen-Wohnen
möglich machen, deswegen kann Jung
und Alt hier einziehen“, erzählt Klaus
Schotte. In der Kunterbunten 19 bauen
und werkeln tatsächlich nicht nur junge
Leute, das Altersspektrum reicht von 20
bis knapp 60 Jahre - die Kinder nicht
dazu gezählt.
Warum „Kunterbunt“?
„Das bezieht sich zum einen auf die
Straße, in der sich das Haus befindet.
Dort stehen viele Häuser leer und die
Fassaden sind meist grau und trist. Zum
anderen wollen wir als künftige Bewoh-
nerInnen des Hauses Farbe und Leben
in den Stadtteil bringen! Wir werden
hier in einer sehr vielfältigen bunten
Mischung zusammenleben“ berichtet
Klaus Schotte. Die Grundidee ist es,
nicht eine ganz normale Wohnung in
einem Mietshaus zu haben, in dem oft
niemand den anderen kennt, sondern
in einer selbstgewählten Gemeinschaft
zu leben. Deshalb wird es in der ersten
Etage zusätzlich zu den anderen Etagen-
küchen auch eine Gemeinschaftsküche
geben, in der alle gemeinsam kochen
und zusammensitzen können.
Das Ganze ist ein Projekthaus im Ver-
bund des Mietshäusersyndikats (MHS)
und gehört damit sozusagen allen, die
darin wohnen. Es ist der Spekulation und
dem Immobilienmarkt entzogen und
kann somit auch nicht mehr verkauft
werden. Keiner hat hier einen kom-
merziellen Anspruch, alles geschieht in
Selbstorganisation. Um Entscheidungen
zu fällen, treffen sich alle gemeinsam zu
Plena, in denen die vorhandenen Opti-
onen diskutiert werden und als Gruppe
im Konsens ein gemeinsamer Nenner
gefunden wird. „Wir versuchen, soziale
und ökologische Lösungen weiterzuent-
wickeln. Unser Anspruch ist es, Ressour-
cen zu schonen und am Ende wenig
Energiekosten zu haben, “ berichtet
Schotte weiter. So konzentrieren sich die
späteren BewohnerInnen darauf, eine
gute Heizung in das denkmalgeschützte
Gebäude einzubauen. Dafür wird eine
solarthermische Anlage auf dem Dach
mit Unterstützung durch eine Gasbrenn-
werttherme im Keller genutzt, die einen
geringen Verbrauch hat. Zusätzlich wird
das Haus energetisch saniert.
Für Transporte etc. wird kein Auto ge-
nutzt, sondern Lastenfahrräder, um auch
in Sachen Mobilität ökologisch zu han-
deln. Die Menschen in der Kunterbunten
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Noch herrscht
Baustellenbe-
trieb, doch im
nächsten Jahr
kann das Haus
bezogen wer-
den und wird
dann neue
Freiräume
in der Stadt
bieten
19 wollen deshalb einen Autoparkplatz
vor dem Haus in einen Fahrradabstellplatz
umwandeln.
Die öffentlichen Räume des Projekts sollen
vielfältig genutzt werden können, also
beispielsweise für Veranstaltungen. Unter
Einbeziehung der BewohnerInnen des
Stadtteils und anderer unterschiedlicher
Gruppen sind auch Konzerte und Le-
sungen denkbar. Sowohl für den poli-
tischen als auch kulturellen Austausch gibt
es ein altes Kellergewölbe und mehrere
große barrierefreie Räume. Zum poli-
tischen Selbstverständnis gehört es auch,
einen Raum für AktivistInnen zur Verfü-
gung zu stellen. Rückwärtig ist ein großer
Hinterhof, der sehr grün gestaltet werden
soll und für den auch eine Werkstatt
vorgesehen ist, um so viel wie möglich
selber zu reparieren oder zu bauen. Davon
sieht man bisher auf der großen Baustelle
noch wenig. Im Moment ist vieles voller
Bauschutt. Doch alle packen motiviert an
für das gemeinsame Ziel: „Bezahlbaren
Wohnraum für alle zu schaffen“. Das
Highlight ist hier aber der Ökolocus, die
Alternative zum chemischen Plumpsklo.
Der Ökolocus ist aus Holz, sehr hell und
das eigene Geschäft wird mit Sägemehl
abgedeckt. Das Besondere: Es riecht,
als würde man mitten im Wald stehen.
Also nicht nur eine ökologisch bessere
Alternative zur Chemietoilette, sondern
auch eine angenehmere.
Und wie wird das alles
finanziert?
Die Menschen der Projektgruppe sind
im Herbst 2012 von der Mitgliedervoll-
versammlung des Mietshäusersyndi-
kats herzlich aufgenommen worden.
Das MHS hat sich darauf spezialisiert
Hausprojekte zu fördern und in einem
Verbund zusammenzuführen. 72 au-
tonome Hausprojekte sind im Moment
dabei und es werden immer mehr. Mit
einem Solidarbeitrag werden Gleichge-
sinnte bei ihrem Projektaufbau unter-
stützt.
Natürlich lässt sich dadurch allein kein
baufälliges Haus sanieren. Eine wichtige
Säule bei der Finanzierung sind Direkt-
kredite von Personen, die das Projekt,
die Initiative der Gruppe und das Modell
unterstützen wollen. Das Geld wird nicht
in einer Bank angelegt, sondern direkt
zwischen der Kunterbunten 19 und den
KreditgeberInnen vergeben. Somit wird
es den Banken entzogen und man kann
seinen eigenen Zahlungsrhythmus ver-
folgen. Allerdings funktioniert es leider
doch nicht ganz ohne Bankkredite. Die
Kunterbunte 19 hat sich für eine Bank
entschieden, die soziale ökologische und
ethische Kriterien zugrunde legt. Durch
den Besitz des Gebäudes wird es den
BewohnerInnen möglich, eine dauerhaft
sozial verträgliche Miete, die unter dem
Hartz-IV Satz bleibt, zu zahlen.
Kann ich mich daran beteiligen?
Alle, die das Projekt unterstützen möch-
ten, können dies gerne tun. Wer will,
geht einfach hin und guckt sich das
Gebäude an oder hilft gleich beim Bauen
mit. Die BewohnerInnen der Kunterbun-
ten 19 geben außerdem gerne Rat für
InteressentInnen, die selbst ein Hauspro-
jekt verwirklichen wollen.
Lisa Schelhas studiert Kommunika-
tions- und Medienwissenschaften in
Leipzig und war 2012 Praktikantin
beim ROBIN WOOD-Magazin
Hausprojektgesellschaft
KunterBunte 19 mbH
Dreilindenstr. 21, 04177 Leipzig
Tel.: 0341/91858925
kunterbunte 19@syndikat.org
Mehr Infos unter www. syndikat.org
Fotos: Pay Numrich
Highlicht des Hinterhofs ist zur Zeit noch
der Ökolocus. Später soll es hier eine
Werkstatt geben und eine grüne Oase in
der Stadt entwickelt werden