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Die Autorin behandelt in ihren vier mal zwei Portraits zwei Lehrer, zwei
Entwicklungsfachleute, zwei Administratoren sowie zwei Ordensbrüder im
praktischen Weltdienst. Ihr erkenntnisleitendes Anliegen ist es nicht nur, die
Missionsgeschichten in der biographischen Konkretion zu erzählen, sondern,
dem Anspruch des Untertitels entsprechend, Spannungsfelder im Missions-
feld sichtbar zu machen und auf den missions-, kolonial- und nicht zuletzt
kirchengeschichtlichen Forschungsstand zu beziehen. Der Spagat zwischen
BiographienausderinteressantenFerneundproblemgeschichtlicherMetaper-
spektive auf die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, der beginnenden Dekoloni-
sierung, des Zweiten Weltkriegs sowie des ii. Vatikanischen Konzils sowie der
entwicklungspolitisch aktiven 1970er Jahre gelingt ihr durchweg überzeugend
nach dem Erzählmuster von challenge and response.
Einen Eindruck von den dramatischen Veränderungen im Selbst- und
Fremdbild der Missionare gibt bereits ihr Hinweis in der Einleitung, dass die
Interviewquellen einen deutlichen Generationsbruch abbilden. Nach dem
Zweiten Weltkrieg, so Willemsen, bezeichneten die Ordensleute nicht nur un-
ter den Bedingungen der Selbständigkeit Indonesiens ihr Wirken lieber als
Entwicklungsarbeit, obwohl sich am grundsätzlichen Charakter und der Moti-
vationihresTunserstnachundnachetwaszuverändernbegann(7):Gleichzei-
tigkeit des Ungleichzeitigen—und Ambivalenzen: Die Erfahrungen der japani-
schen Besetzung standen für Lagerinternierung und Zwangsarbeit, aber, so im
Fall von Frans Cornelissen, auch für die Begegnung mit japanischen Priestern.
Eigentlich hatten diese die auf Flores verbliebenen Europäer internieren und
ersetzen sollen, was sie ablehnten. Cornelissen beschrieb die schwierige Inter-
kulturalität der Situation im Rückblick so: „(…) Und doch waren wir Angehö-
rige befeindeter Nationen, (…) das machte tiefen Eindruck auf die Katholiken
unserer Mission, und auch ich muss bekennen, dass ich die Katholizität der
Kirche nie so empfunden habe wie in der Zeit unseres Zusammenlebens mit
diesen japanischen Priestern“ (25, Übs. d. Verf.).
Willemsens Biographien bieten eine ganze Reihe solcher Sollbruchstellen,
entlang derer deutlich erkennbar wird, in welchem Ausmaß Missions- oder
Entwicklungshilfearbeit Spiegel des Mindsets einer Zeit, ihrer offenen und
ihrer hidden agenda ist. Das ii. Vatikanum mit seiner Hinwendung zum Thema
der strukturellen, nicht nur die Folgen der Kolonialgeschichte kompensieren-
den Verantwortung ist ein weiteres Beispiel dafür. Zu recht betont Willemsen,
dass die Spannungen keineswegs allein den Bereich der Evangelisation betra-
fen. Interkulturelle Probleme stellten sich in nahezu jedem Bereich: von der
Frage der Sprache, der sich in ihr vermittelnden Vorstellungen und kanonisier-
ten Werte, der Bildungsinhalte und Pfadverschiedenheiten im Verständnis von
Modernisierung und Entwicklung, aber auch von Kirchentreue. Es ist ein tiefer
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Einblick in den Werkzeugkasten des Andersonschen Identitätskonstruktivis-
mus,1 der hier geboten wird, angewandt auf das praktische Feld der Mission
undEntwicklung.WieunterderLupezeigtsichimmerwieder,wiederWegvon
der christlich motivierten Europäisierung zu einer nicht mehr eurozentrischen
Kooperation mühsam durch trial and error sowie learning by doing gefunden
werden musste. Ein Beispiel mag illustrieren, von welcher Wegstrecke hier die
Rede ist. Im Rückblick auf seine Anfänge in den 1920er Jahren war der Seminar-
gründer Frans Cornelissen in den 1970er Jahren noch stolz auf seine malaiisch-
sprachigen Seminaristen, die nach einem niederländischen Lehr- und Übungs-
werk Latein lernten. Jedoch unterschied sich dieser multipel verwestlichende
Kulturtransfer schon durch die Eigendynamik der Evangelisation und die Er-
fahrbarkeit der katholischen Weltkirche substantiell von dem bekennenden
Kulturrassismus eines Rudyard Kipling in seinem berühmten Gedicht The
White Man’s Burden aus dem Jahr 1899:
Take up the White Man’s burden—
Send forth the best ye breed—
Go bind your sons to exile
To serve your captives’ need;
To wait in heavy harness,
On fluttered folk and wild—
Your new-caught, sullen peoples,
Half-devil and half-child.
Die svd-Ordensleute waren eben nicht in heavy harness, sondern bewaffnet
mit Bibel, Enzyklika und praktisch nützlichen Kenntnissen.
Die einzelnen Biographien sollen hier nicht noch einmal zusammengefasst
werden. Der Wert von Willemsens Studie liegt darin, dass sie die longue durée
von Missions-, Entwicklungs- und Selbsthilfearbeit verständlich machen: „Der
Bischof von Flores hatte z.B. schon in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg
die Ordensoberen gebeten, Menschen ausbilden lassen zu können, die u.a. die
lokalen Probleme in der Landwirtschaft lösen helfen konnten. In den 1960er
Jahren gingen auch die europäischen Regierungen dazu über, große Entwick-
lungsprojekte zu starten und Millionen für Entwicklungszusammenarbeit aus-
zugeben“ (56, Übs. d. Verf.). Vielleicht hätte die Autorin sich und ihrer Leser-
schaft den Gefallen tun sollen, am Ende noch ein Fazit zu ziehen, das den Ort
der svd-Biographien aus Flores in die weiten Linien der Kirchen- und Zeit-
1 Cf. Benedict Anderson, Imagined Communities (London-New York, 1983).
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geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts stellt, was so nur in den einzelnen
Personenportraits erfolgt. Aber das mindert nicht den Wert ebendieser Stu-
dien.
Rolf-Ulrich Kunze
Karlsruhe
rolf-ulrich.kunze@kit.edu