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Die herausragenden Chancen Deutschlands
als „bildungstechnisches Entwicklungsland“
– eine Reaktion auf ein gerne verwendetes und wiederholt zitiertes Negativ-Schlagwort

Wiederholt treffe ich im Internet auf von Politikern schlagwortartig
breitgetretene Äußerungen und Überschriften wie „Bildungstechnisch ist
Deutschland die Dritte Welt“1.
  Sachlich könnte man diese Überschrift wie folgt ändern: quot;In Bezug auf
technische Bildung gehört Deutschland zur Dritten Weltquot; - und auch hier
wäre ich nicht ganz einverstanden. Ich persönlich finde es gut, daß Kinder
in jungen Jahren, so etwa bis zur 5. Klasse nicht noch zusätzlich in der
Schule mit Technik zugemüllt werden. Die Entwicklung von Kindern
braucht den spielerischen Umgang in der Welt des Raumes, der
anfassbaren, schmeckenden, realen Welt. Die Kinder sind ohnehin durch
die Eltern ständig mit Technik konfrontiert und lernen den Umgang
hiermit ganz nebenbei, bzw. aus einem Spieltrieb heraus. Ich glaube, daß
die Erwachsenen sich mehr für die Techniken interessieren könnten, daß
hier ab einem bestimmten Alter mehr Offenheit und Perspektive in Bezug
auf die Technologien geschaffen werden muß. Aber Kinder und
Jugendliche, sind abgesehen von der individuellen Veranlagung zunächst
einmal Wesen einer Welt aus Fleisch und Blut, die sich körperlich
entwickeln müssen und lernen müssen, Ihren Bewegungsapparat, Ihre
Sinne, die anfaßbare Welt einerseits und die Phantasiewelt andererseits zu
beherrschen, zu bewohnen etc. So etwa ab 14 Jahren, je nach dem schon
etwas früher, ist die zusätzliche Heranführung der Jugendlichen an die
technischen Medien eine wichtige Sache, die bei uns wohl tatsächlich
hinterherhinkt. Aber Leute!, wenn ich mir überlege, daß in den USA heute
durchschnittlich doppelt so viel ferngesehen wird wie sonst weltweit, und
wenn ich mir ansehe, was der maßgebliche Teil des US-Amerikanischen
Volkes gerade mit sich machen läßt, indem es die Medien statt den eigenen
Verstand nutzt zur Meinung- und Willensbildung nutzt, dann frage ich
mich: wozu führt eine stärkere Heranführung an die modernen Medien?
Nicht etwa zu stärkerer Beeinflußbarkeit und Lenkbarkeit?
   Sicherlich muß man das differenziert betrachten. Aber für Kinder und
Jugendliche ist es so unglaublich wichtig, sich zu entwickeln, indem Sie
ihre eigenen fünf Sinne entwickeln und zunächst analoge Grundfähigkeiten
wie Wahrnehmen, Phantasieren, Untersuchen, Erzählen, Lesen und
Schreiben erlernen, mit deren Hilfe Sie die Welt eigenständig erleben
lernen, sich in der Welt eigenständig bewegen lernen, durch die sie in einer
Zeit, in der der ausgesprochene Wille zur zentralisierten Überwachung der
Einzelnen durch einen übergeordneten Kontrollmechanismus sich in
lawinenschneller Geschwindigkeit manifestiert, daß die Kinder und
Jugendlichen lernen, sich mit den Grundlagen Ihrer eigenen physischen
und geistigen Existenz auseinanderzusetzen. Gehen können ist die solide
Basis, um tanzen zu lernen, denken lernen ist eine gute Basis um sinnvoll
handeln zu können. Um Lebens- und Freiheitsfähigkeiten fördernde
technologische Entwicklungen zu leisten, die im Sinne von Gesundheit,
Lebensfreude und Freiheit im Dienst der Menschen stehen, brauchen wir
eine Erziehung, die auf die künstliche Durch-und-Durch-
Technologisierung der frühkindlichen und kindlichen Erziehung in
weitgehenden Zügen verzichtet(!), um gesunden Kinder mit sich
entwickelndem klarem Verstand, wachem Geist und Freude an einem
lebendigen Körper und Dasein zu helfen, diese Lebendigkeit und Freude
z.B. später in den Dienst der Technologie (und ich meine damit vor allem
den Dienst der Technologie an uns) stellen zu können.
    Wenn sich Deutschland also bildungstechnisch in der zweiten oder
dritten Welt positionierte, fände ich dies mehr als fruchtbar für eine
Gesellschaft, in der die Technik dem Menschen dienen soll und nicht
umgekehrt. Ich bin selbst Programmierer und weiß, welche Umwälzungen
uns bevorstehen. Ich arbeite ja selbst daran mit. Aber um diese Dinge in
eine lebensnahe, gesunde, freiheitliche, auf den Menschenrechten und
Menschenbedürfnissen (das sind die Entwicklung der menschlichen
körperlichen, seelischen und geistigen Sinne) orientierten Weise zu
entwickeln, benötigen wir einen gesunden Körper, eine gesundes soziales
Wesen (das allmählich nicht mehr nur in den traditionellen Formen
verankert zu sein scheint) und die Möglichkeit, über die
Massenhirnwäsche durch Reizüberflutung hinaus unseren Verstand in
lebendiger, lebensbezogener Weise zu entwickeln. Der Körper, die Seele
(die Beziehungen zu den Mitmenschen und die Beziehung zum eigenen
Selbst), der Geist (die Fähigkeit frei zu denken) müssen geschützt,
entwickelt und gepflegt werden. Nur so kann langfristig ein freiheitliches
Verhältnis zur uns dienenden Technologie entwickelt werden. Dies ist
nicht im Sinne, der uns in den Medien und durch Angstmache
überwältigenden Interessen, die uns vermitteln wollen, daß wir von unserer
Natur wegsehen sollen, um den Ansprüchen einer quot;New World Orderquot;
gerecht zu werden, in der wir nur bestehen können, wenn wir unsere
Entwicklung, unser Leben, unsere Sicherheit den Technologiewerkzeugen
übergeben. Was wir im Gegenteil dringend benötigen sind Mut und
Offenheit für grundlegende Selbstvertrauenserfahrungen, die wir
gewinnen, indem wir nicht nur als Kinder gehen, sprechen, denken lernen
und uns dabei zugleich als kreative, d.h. Freiheit in die Welt bringende
Wesen erleben und entfalten. Der Körper des Kindes ist schwer und kann
sich zunächst nicht selbständig bewegen. Das Kind lernt gehen und wird
hierdurch frei. Das Kind kann seine Bedürfnisse nicht deutlich äußern, es
ist auf das Verständnis seiner Umwelt angewiesen, es lernt sprechen und
wird dadurch frei. Das Kind erfährt die Welt, erlebt sich in der Welt als ein
Wesen mit einem eigenen Willen, ein Wesen mit eigenen Bedürfnissen ,
Gefühlen und Impulsen und greift nach seinem Recht, sich frei zu
entfalten, indem es lernt - auf Basis seiner Fähigkeit, sich zu bewegen und
zu sprechen - selbständig zu denken. Der Grad an Lebendigkeit, die das
Kind in diese Entwicklungsprozesse hinein mitnimmt, bestimmen die
Lebendigkeit und damit die Freiheitsfähigkeit, den Grad der Kreativität des
sich entwickelnden Individuums.
    Der Verzicht auf eine allzufrühe und allzu starke Vermaschung des
empfindlichen und empfänglichen jungen Lebens mit der eigentlich
Freiheit bringenden Technologie, ist ein Akt des Vertrauens in das
menschliche Potential, das auch ein ethisches Potential ist.
    Junge Menschen bringen aus ihrer Natur, d.h. von Natur aus, genug
Faszinations- und Spieltrieb mit in die Welt, mit denen sie sich die Welt
der Technik und die Anschauungen der Welt transportierenden Medien
erschließen. Menschen sind von Natur aus neugierig und spieltriebig.
Vertrauen wir doch darauf, daß auf einem gesunden Körper auch ein
gesunder Geist wachsen kann, wie es in alten Zeiten bereits formuliert
wurde: ein gesunder Geist in einem gesunden Körper (mens sana in
corpore sano). Hören wir auf, den Kindern die Verantwortung in die
Schuhe zu schieben, indem wir ihnen aufzwingen, was wir selbst nicht
leisten wollen: uns wach mit den technologischen Entwicklungen
auseinanderzusetzen, lebenslang zu lernen und Freiheitsdenken statt
Sicherheitsdenken zu verbreiten.
  Frei nach Hegel ist die Angst etwas zu verpassen schon der Irrtum selbst;
(quot;..., daß die Angst zu irren, schon der Irrtum selbst istquot;).
      Vertrauen ist die entwicklungsförderlichste soziale Kraft, aus der
gesundet, was uns als Einzelne und im Sozialen beschäftigt. Schenken wir
Vertrauen, machen wir uns bewußt zum Entwicklungsland für eine
Vertrauenslandschaft, indem wir an einer bewußten und besonnenen (von
inneren und äußeren Sinnen begleitete) Entwicklung unserer Lebenswelt
arbeiten und uns an ihrer Lebendigkeit erfreuen. Als Softwareentwickler
und Tänzer bewege ich mich täglich in einem Entwicklungsland. Und ich
muß sagen, das ist nichts Schlechtes ;-)

© david lepold, www.nhv24.com / sonnenvogel.blogspot.com, 06. April 2006


1)
  Antwort auf einen Kommentarbeitrag bei heise.de zum Thema
100-Dollar Notebook für die Entwicklungsländer mit der Überschrift:
„Bildungstechnisch ist Deutschland die Dritte Welt“

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  • 2. Lebensfreude und Freiheit im Dienst der Menschen stehen, brauchen wir eine Erziehung, die auf die künstliche Durch-und-Durch- Technologisierung der frühkindlichen und kindlichen Erziehung in weitgehenden Zügen verzichtet(!), um gesunden Kinder mit sich entwickelndem klarem Verstand, wachem Geist und Freude an einem lebendigen Körper und Dasein zu helfen, diese Lebendigkeit und Freude z.B. später in den Dienst der Technologie (und ich meine damit vor allem den Dienst der Technologie an uns) stellen zu können. Wenn sich Deutschland also bildungstechnisch in der zweiten oder dritten Welt positionierte, fände ich dies mehr als fruchtbar für eine Gesellschaft, in der die Technik dem Menschen dienen soll und nicht umgekehrt. Ich bin selbst Programmierer und weiß, welche Umwälzungen uns bevorstehen. Ich arbeite ja selbst daran mit. Aber um diese Dinge in eine lebensnahe, gesunde, freiheitliche, auf den Menschenrechten und Menschenbedürfnissen (das sind die Entwicklung der menschlichen körperlichen, seelischen und geistigen Sinne) orientierten Weise zu entwickeln, benötigen wir einen gesunden Körper, eine gesundes soziales Wesen (das allmählich nicht mehr nur in den traditionellen Formen verankert zu sein scheint) und die Möglichkeit, über die Massenhirnwäsche durch Reizüberflutung hinaus unseren Verstand in lebendiger, lebensbezogener Weise zu entwickeln. Der Körper, die Seele (die Beziehungen zu den Mitmenschen und die Beziehung zum eigenen Selbst), der Geist (die Fähigkeit frei zu denken) müssen geschützt, entwickelt und gepflegt werden. Nur so kann langfristig ein freiheitliches Verhältnis zur uns dienenden Technologie entwickelt werden. Dies ist nicht im Sinne, der uns in den Medien und durch Angstmache überwältigenden Interessen, die uns vermitteln wollen, daß wir von unserer Natur wegsehen sollen, um den Ansprüchen einer quot;New World Orderquot; gerecht zu werden, in der wir nur bestehen können, wenn wir unsere Entwicklung, unser Leben, unsere Sicherheit den Technologiewerkzeugen übergeben. Was wir im Gegenteil dringend benötigen sind Mut und Offenheit für grundlegende Selbstvertrauenserfahrungen, die wir gewinnen, indem wir nicht nur als Kinder gehen, sprechen, denken lernen und uns dabei zugleich als kreative, d.h. Freiheit in die Welt bringende Wesen erleben und entfalten. Der Körper des Kindes ist schwer und kann sich zunächst nicht selbständig bewegen. Das Kind lernt gehen und wird hierdurch frei. Das Kind kann seine Bedürfnisse nicht deutlich äußern, es ist auf das Verständnis seiner Umwelt angewiesen, es lernt sprechen und wird dadurch frei. Das Kind erfährt die Welt, erlebt sich in der Welt als ein Wesen mit einem eigenen Willen, ein Wesen mit eigenen Bedürfnissen , Gefühlen und Impulsen und greift nach seinem Recht, sich frei zu entfalten, indem es lernt - auf Basis seiner Fähigkeit, sich zu bewegen und zu sprechen - selbständig zu denken. Der Grad an Lebendigkeit, die das Kind in diese Entwicklungsprozesse hinein mitnimmt, bestimmen die Lebendigkeit und damit die Freiheitsfähigkeit, den Grad der Kreativität des sich entwickelnden Individuums. Der Verzicht auf eine allzufrühe und allzu starke Vermaschung des empfindlichen und empfänglichen jungen Lebens mit der eigentlich Freiheit bringenden Technologie, ist ein Akt des Vertrauens in das
  • 3. menschliche Potential, das auch ein ethisches Potential ist. Junge Menschen bringen aus ihrer Natur, d.h. von Natur aus, genug Faszinations- und Spieltrieb mit in die Welt, mit denen sie sich die Welt der Technik und die Anschauungen der Welt transportierenden Medien erschließen. Menschen sind von Natur aus neugierig und spieltriebig. Vertrauen wir doch darauf, daß auf einem gesunden Körper auch ein gesunder Geist wachsen kann, wie es in alten Zeiten bereits formuliert wurde: ein gesunder Geist in einem gesunden Körper (mens sana in corpore sano). Hören wir auf, den Kindern die Verantwortung in die Schuhe zu schieben, indem wir ihnen aufzwingen, was wir selbst nicht leisten wollen: uns wach mit den technologischen Entwicklungen auseinanderzusetzen, lebenslang zu lernen und Freiheitsdenken statt Sicherheitsdenken zu verbreiten. Frei nach Hegel ist die Angst etwas zu verpassen schon der Irrtum selbst; (quot;..., daß die Angst zu irren, schon der Irrtum selbst istquot;). Vertrauen ist die entwicklungsförderlichste soziale Kraft, aus der gesundet, was uns als Einzelne und im Sozialen beschäftigt. Schenken wir Vertrauen, machen wir uns bewußt zum Entwicklungsland für eine Vertrauenslandschaft, indem wir an einer bewußten und besonnenen (von inneren und äußeren Sinnen begleitete) Entwicklung unserer Lebenswelt arbeiten und uns an ihrer Lebendigkeit erfreuen. Als Softwareentwickler und Tänzer bewege ich mich täglich in einem Entwicklungsland. Und ich muß sagen, das ist nichts Schlechtes ;-) © david lepold, www.nhv24.com / sonnenvogel.blogspot.com, 06. April 2006 1) Antwort auf einen Kommentarbeitrag bei heise.de zum Thema 100-Dollar Notebook für die Entwicklungsländer mit der Überschrift: „Bildungstechnisch ist Deutschland die Dritte Welt“