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18 BRAND EINS 03/12
In China billig herstellen lassen, in Europa teuer
verkaufen – das müsste auch in der Bio-Branche
funktionieren, dachte sich der Unternehmer
Oliver Wehrstedt. Drei Jahre lang kämpfte er mit
chinesischen Zulieferern. Und zog dann eine
überraschende Konsequenz.
Text: Bernhard Bartsch
Porträts: Rüdiger Nehmzow
Die Nudel-
Odyssee
20
Den Luxus einer solchen Blindbestellung gönnt
sich Wehrstedt selten. Im Leben des 40-Jährigen
dreht sich fast alles um Nudelsuppen und ihre
Zutaten. Seine Firma Asia Natur GmbH in Reck-
linghausen beliefert europäische Biomärkte mit
asiatischen Fertignudeln, hergestellt nach Öko-
Standards. Unter seiner Marke Organic Asia stehen
sie in den Regalen von Alnatura und anderen Lä-
den, in denen Menschen einkaufen, die bei ihren
Lebensmitteln nicht nur auf Preis und Geschmack
achten, sondern auch auf die Herkunft.
Alle Rohstoffe stammen von Produzenten, die
sich an die Regeln ökologischer Anbauweise hal-
ten, lautet das Versprechen. Das weckt bei vielen
Kunden romantische Vorstellungen von Bauern-
höfen, auf denen Landwirte alter Schule Felder
beackern, die aussehen wie von van Gogh gemalt.
Dabei ist auch die Biobranche inzwischen eine welt-
umspannende Industrie, deren Zuliefernetze bis
Fernost reichen. Obwohl Made in China gemein-
hin nicht als Gütesiegel für hohe Qualität gilt, ist
die Volksrepublik inzwischen sogar der weltweit
zweitgrößte Produzent von ökologischen Nah-
rungsmitteln.
„Würde man denken, dass von hier Bio-Pro-
dukte kommen?“, fragt Wehrstedt rhetorisch, als
das Taxi eine halbe Stunde später auf den Hof
eines Fabrikkomplexes biegt. Würde man natürlich
nicht. Die schmucklosen Zweckbauten fügen sich
nahtlos in die Industriezone. Ob hier Wellpappen,
Stahlbleche oder Bionudeln vom Band laufen, ist
von außen nicht zu erkennen.
Zwei Angestellte begrüßen den Deutschen wie einen alten
Bekannten und führen ihn durch kahle Flure zu einem Konferenz-
raum. An der Wand hängt eine Tafel mit den Logos internationa-
ler Öko-Siegel, daneben fristen einige Topfpflanzen ein kümmer-
liches Dasein. Auf dem Tisch liegen Nudelpackungen in einem
grünlichen Camouflage-Design. „Was für eine grauenvolle Auf-
machung“, scherzt Wehrstedt. „So was würde in Deutschland
höchstens die Bundeswehr kaufen.“ Die misslungene Optik ge-
fällt ihm: Vor der chinesischen Konkurrenz muss er vorerst keine
Angst haben.
Eine junge Frau bringt dem Gast Tee und richtet ihm aus,
dass die Chefin des Unternehmens lange gewartet habe und nun
erst einen anderen Termin wahrnehmen müsse. „Ich habe Zeit“,
sagt Wehrstedt und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. In China
braucht man Geduld – für diese Lektion hat er in den vergange-
nen Jahren einen hohen Preis bezahlt.
Vier Jahre ist es her, dass Wehrstedt zum ersten Mal in diesem
Konferenzraum saß, um über Nudeln zu verhandeln. Damals
BRAND EINS 03/12
• „Immer der gleiche Mist“, flucht der deutsche Unternehmer
Oliver Wehrstedt und starrt aus dem Taxifenster. Auf sechs Fahr-
spuren stehen Autos Heck an Kühler. Seit einer Stunde quält er
sich durch den Stau der nordchinesischen Industriemetropole
Tianjin, dabei ist es mittags, nicht einmal Stoßzeit. Wehrstedt war
schon häufig hier, und jedes Mal ist das Verkehrschaos wieder ein
bisschen schlimmer, als er es in Erinnerung hatte. „Halt bei dem
Supermarkt da vorne kurz an“, bittet er den Fahrer. „Nur eine
Nudelsuppe, das geht ganz schnell.“
Wehrstedt springt aus dem Wagen und steuert zielsicher auf
einen Imbiss-Stand zu, hinter dem eine Frau mit verschmierter
Küchenschürze einen mächtigen Klumpen Nudelteig bearbeitet.
Auf ihrem Tresen steht eine Batterie Soßenkännchen und Ge-
würzschälchen, aus zwei großen Töpfen steigt der Dampf von
Fleischbrühe. „Einmal alles“, bestellt Wehrstedt mit Gesten, und
die Köchin macht sich an die Arbeit. „Ich möchte gar nicht wis-
sen, was da alles drin ist“, sagt er, „aber es schmeckt einfach
sagenhaft gut.“
Hat in China viel Lehrgeld gezahlt: Oliver Wehrstedt
WAS WIRTSCHAFT TREIBT
21BRAND EINS 03/12
glaubte der Jungunternehmer, kurz vor dem Ziel zu sein. Heute
weiß er, dass er erst ganz am Anfang stand. Wie viele Geschäfts-
leute, die auf Chinas Wirtschafts-Boom mitzureiten versuchen,
musste er lernen, wie schnell Businesspläne an der chinesischen
Realität zerschellen können und dass nur diejenigen Erfolg haben,
die flexibel genug sind, ihren Kurs zu ändern, auch wenn sie da-
mit an einem ganz anderen Ort landen als erwartet.
In der Theorie wusste Wehrstedt das natürlich. Schließlich
kam er nicht als Neuling nach Tianjin, sondern hatte schon meh-
rere Jahre in Peking gearbeitet, auch dies das Ergebnis einer spon-
tanen Kursänderung.
Die ersten 21 Jahre seines Lebens verbrachte er in Marburg,
absolvierte eine Lehre zum Groß- und Außenhandelskaufmann
und studierte anschließend Kommunikationswissenschaften und
Wirtschaft. Nach dem Examen arbeitete er bei einem PR-Unter-
nehmen in Frankfurt am Main. „2001 erzählte mir ein Freund bei
einer Party von einer deutschen Werbeagentur, die in der Volks-
republik ausländische Unternehmen betreut und händeringend
Mitarbeiter sucht“, erinnert sich Wehrstedt. „Da habe ich spon-
tan gedacht: Das mache ich.“ Sollten seine Kollegen doch allein
über die geplatzte Dotcom-Blase klagen. In China lockte das
nächste große Ding.
Sechs Wochen nach der Party trat Wehrstedt in Peking seinen
ersten Arbeitstag an. Nicht nur für den damals 30-Jährigen war
China Neuland, sondern auch für seinen Arbeitgeber und dessen
Kunden. Es herrschte Gründerstimmung, Weltkonzerne arbeite-
ten wie Start-ups, in denen kleine Teams große Projekte auf den
Weg bringen. „Ich bekam sehr schnell sehr viel Verantwortung,
das wäre in Deutschland undenkbar gewesen“, erzählt Wehrstedt.
„Das Tempo der Entwicklung war ungeheuer.“ Zwischen Kon-
ferenzräumen, Flughäfen, Messehallen und den Bars, in denen
Pekings aufstrebende Elite sich ihre Erfolgsgeschichten erzählen,
vergingen schnell drei Jahre.
Dann wechselte Wehrstedt zu einer chinesischen Werbe- und
Marketingagentur, die unter anderem eine Lizenzausgabe der
deutschen Zeitschrift »Auto Motor und Sport« verlegte. Er
hoffte, weiter auf der Erfolgsspur zu bleiben, doch diesmal ging
seine Rechnung nicht auf. Die Firmeninhaber erwiesen sich als
windige Gesellen. Als Wehrstedt mehrere Monate seinen Lohn
nicht ausgezahlt bekam, drohte er, ihre Machenschaften aufflie-
gen zu lassen. „Ein paar Tage später saßen morgens Schlägerty-
pen an meinem Schreibtisch und sagten, dass sie mich umbringen
würden, wenn ich die Klappe aufmache“, erinnert er sich. Er nahm
die Drohung ernst und räumte seine Schubladen aus. Es war sein
letzter Tag als Angestellter.
Weil er schon lange mit dem Gedanken gespielt hatte, sich
selbstständig zu machen, nutzte er die unfreiwillige Auszeit, um
ein eigenes Projekt zu verwirklichen. „Ich habe damals beob-
achtet, wie meine chinesischen Freunde anfingen, über ihre Er-
nährung nachzudenken“, sagt er. Bei vielen jungen Chinesen war
die erste Fortschrittseuphorie vorbei, und ihnen ging auf, dass
das Leben in den schnell gewachsenen Megacitys nicht gesund
sein kann. Auf den Straßen herrscht Dauerstau, der Smog führt
zu einem sprunghaften Anstieg von Atemwegserkrankungen. Be-
richte über Lebensmittelskandale machen den Menschen bewusst,
dass die Industrialisierung auch die Nahrungsmittelkette ergrif-
fen hat und die Qualität dort genauso bereitwillig dem schnel-
len Profit geopfert wird wie in den Sweatshops der Textil- oder
Spielzeugbranche.
Die Idee des Jungunternehmers: den Trend hin
zu Bio, Asien und Fertigessen verbinden
Es begann sich auch in China eine Öko-
bewegung zu entwickeln. In großen Städten
eröffneten erste Reformhäuser, Supermärkte
richteten Regale für Bio-Lebensmittel ein.
Wohlhabende Großstädter bezahlen für ihre
Lebensmittel bereitwillig mehr, wenn ein
Ökosiegel bessere Qualität verspricht. Auch
die Regierung propagiert die Bio-Landwirt-
schaft, von der sie sich eine neue Einnahme-
quelle für Chinas arme Bauern verspricht.
Darin erkannte Wehrstedt seine Chance: In
China billig herstellen lassen, in Europa
teuer verkaufen – warum sollte diese Glo-
balisierungsregel nicht auch in der Bio-
Branche gelten?
2006 kehrte er nach Deutschland zurück
und begann von einem Büro im Dachge-
schoss einer Villa in Recklinghausen aus, ein Geschäftsmodell
zu entwickeln. Er war nicht der Erste, der asiatische Bio-Lebens-
mittel nach Europa importieren wollte. Anbauverbände und
Großhändler unterhielten schon seit Längerem Kontakte nach
China, kauften aber vor allem Rohstoffe wie Getreide oder Soja-
bohnen, bei denen Herkunft und Qualität relativ einfach zu kon-
trollieren sind.
Der Jungunternehmer strebte etwas Anspruchsvolleres an.
„Ich sehe im Lebensmittelbereich drei Megatrends“, sagt er und
malt ein Dreieck auf ein Papier. An die Ecken schreibt er die Be-
griffe „Convenience“, „Gesundheitsbewusstsein“ und „asiatischer
Lebensstil“. Convenience, Neudeutsch für Bequemlichkeit, steht
für Fertigessen und damit eigentlich im Gegensatz zum Image der
gesunden Biowelt. Aber Wehrstedt kann den Widerspruch über-
winden: „Früher war Convenience-Food ein Synonym für ‚Dick-
macher‘ oder ‚Ich kann nicht kochen‘. Aber jetzt erleben wir die
New Convenience – Essen, das einfach, lecker und gesund ist.“
Seine Idee war es, „authentische asiatische Produkte in Bio-
qualität anzubieten“. Er entwarf einen Businessplan und bekam
ein 30 000-Euro-Förderdarlehen von der Kreditanstalt für 3
22 BRAND EINS 03/12
WAS WIRTSCHAFT TREIBT _BIOWARE AUS CHINA
Wiederaufbau und noch einmal den gleichen Betrag von einer
Bank. Dann ging er auf Fachmessen und bot deutschen Bioläden
an, für sie Nudeln und Instant-Nudelsuppen in chinesischen Ge-
schmacksrichtungen zu importieren. „Die Idee schlug ein wie eine
Bombe“, sagt er.
Im Konferenzraum in Tianjin öffnet sich die Tür, und die Che-
fin kommt herein. Sie ist schmal und blass, offenbar geht die
Beschäftigung mit Bio-Lebensmitteln nicht automatisch mit einem
gesunden Lebensstil einher. „Ich habe heute leider nicht viel Zeit“,
eröffnet sie das Gespräch, „aber was kann ich für dich tun?“
Wehrstedt will über japanische Nudeln sprechen, über Udon, Soba
und Somen, außerdem über seine Neukreation. Zunächst braucht
er Warenmuster für eine Messe. In ein paar Wochen könnten
daraus Aufträge werden.
Wie viele Container er denn brauche, will seine Gesprächs-
partnerin wissen. Einen Container, vielleicht zwei, antwortet
Wehrstedt, also zwischen 70 000 und 150 000 Packungen. „Das
ist aber eine sehr kleine Menge“, bekommt er müde zurück. Er
schiebt einige Blätter mit Rezepten über den Tisch, und die Unter-
haltung beginnt sich um Zutaten und Zertifikate zu drehen, um
Allergenfragebögen und Nährwerttabellen. Mit jedem Detail kom-
men neue Probleme auf. In Deutschland sind 250-Gramm-Pa-
ckungen üblich, in China 240 Gramm. Außerdem sind deutsche
Konsumenten an Nudeln gewöhnt, die einige Zentimeter länger
sind als in China. Für die Produktion müssten also alle Maschi-
nen umgestellt werden, was der Managerin zu mühsam ist. Außer-
dem geht es um die Fragen: Wer soll den Druck für die Hüllen
organisieren? Wer die Rückstandskontrollen bezahlen? Wer die
Ausfuhrpapiere besorgen?
Dass die Verhandlung mithilfe eines Übersetzers geführt wird,
macht alles noch komplizierter. Einmal glaubt Wehrstedt im Ge-
spräch der Chinesen das Wort „Dummy“ gehört zu haben und
unterbricht, um ein paar spezielle Anforderungen an die Muster
zu beschreiben. Dabei sprachen die Chinesen über ihre Vorräte –
„dami“ bedeutet Reismehl. Bis das Missverständnis geklärt ist, ver-
gehen Minuten. Bis zum wichtigsten Thema, dem Preis, ist es
noch lang.
Wehrstedt wird ungeduldig. Er hat kein Pokerface, trommelt
mit den Fingern auf dem Tisch, rollt die Augen. Die Chinesin ver-
zieht keine Miene und schaut auf ihre Uhr. „Wir müssen unser
Gespräch wohl ein andermal fortsetzen“, sagt sie. Aber dann hat
sie doch noch etwas Zeit. Wie es eigentlich mit den Instant-Nu-
delsuppen aussehe, will sie wissen. „Ja, die machen wir immer
noch “, entgegnet Wehrstedt mit einem geheimnisvollen Lächeln.
„Aber wo wir die herstellen lassen, kann ich nicht verraten.“
Die Firma in Tianjin war die erste, mit der Wehrstedt zu-
sammenzuarbeiten versuchte, nachdem seine Geschäftsidee auf
Interesse gestoßen war. Der Kontakt kam auf einer Biomesse
zustande, und er glaubte, dass er nun einfach noch seine Ware
bestellen und nach Deutschland verfrachten müsse. Doch als er
dann nach China reiste, um die Instant-Nudelsuppen seiner Zu-
lieferer zu kosten, gab es ein böses Erwachen. „Die haben ge-
schmeckt wie altes Kirchengestühl“, erinnert er sich. „Ich hatte
die Chinesen überschätzt.“
Also brauchte er eigene Rezepte. Er beauftragte den Hambur-
ger Lebensmittelveredler Worlée damit. In der Testküche kostete
er sich durch Hunderte Suppen. Am Ende standen sechs Ge-
schmacksrichtungen mit Namen wie „Tofu“, „Sesam“ oder „Ing-
wer-Karotte“. Seine Produktlinie nennt Wehrstedt „Szechuan“,
nach der westchinesischen Provinz. „Das sollte für exotisches,
mystisches Asien stehen“, sagt Wehrstedt – keine glückliche Wahl,
wie er heute zugibt, weil „Szechuan“ im deutschen China-Res-
taurant-Vokabular für „scharf“ steht.
Mit seinen Rezepten reiste Wehrstedt wieder nach China
zurück, musste dort aber feststellen, dass einige seiner Zutaten
in der Volksrepublik nicht hergestellt werden, jedenfalls nicht in
Bioqualität. Also musste er Teile seiner Gewürze in Europa kau-
fen, nach China schicken, dort in Beutel füllen, mit den Nudeln
verpacken lassen und alles zusammen zurückverfrachten. „Die
damit verbundene Logistik war der blanke Wahnsinn“, sagt er.
Durch die langen Schiffsreisen lagen seine Bestellzeiten bei vier
Monaten.
Es gibt Probleme mit der Sprache,
der Kultur und der Qualität
Dennoch ging Ende 2008
sein erster Container auf
die Reise. Die Reaktio-
nen waren gut, neue
Kunden interessierten
sich für seine Nudeln. Doch als Wehrstedt in Tianjin Nachschub
bestellen wollte, zeigte sich seine Lieferantin plötzlich unwillig. Sie
wollte ihn nur weiter versorgen, wenn er in Deutschland neben
seiner eigenen Marke auch ihre vermarktet. Zehn Containerla-
dungen sollte er abnehmen. „Die Chinesen denken immer in
ihren eigenen Größenordnungen und haben gar keine Vorstel-
lungen davon, wie klein der europäische Markt für ein solches
Produkt ist“, sagt Wehrstedt.
Bio-Instant-Nudeln waren nicht nur ein neues Produkt. Die
Aufgussgerichte sind auch sonst viel weniger verbreitet. Während
jeder Chinese im Jahr durchschnittlich 32 Portionen Instant-
Nudeln verzehrt, sind es in Deutschland gerade einmal zwei. Es
kam zum Eklat, der damit endete, dass die Chinesen sich wei-
gerten, einen bereits bezahlten Container mit Nudeln zu verschi-
cken. Wehrstedt stand nun mit Kunden, aber ohne Lieferanten da:
„Da habe ich gemerkt, dass man sich nicht nur an einen einzigen
Partner binden darf.“
Inzwischen hatte er seine Kredite weitgehend aufgebraucht.
Das Projekt stand auf der Kippe, alles kam auf den Prüfstand. 3
24 BRAND EINS 03/12
WAS WIRTSCHAFT TREIBT _BIOWARE AUS CHINA
Erstmals begann er zu zweifeln, ob Bio-Importe aus China tat-
sächlich eine gute Idee waren. Ließen sich seine Nudelsuppen
nicht auch in Europa produzieren? Er hörte sich um, doch keine
europäische Fabrik verfügte über die Anlagen zur Herstellung
von Instant-Nudelnestern. Er hatte keine andere Wahl, als sich in
China neue Lieferanten zu suchen.
Hatte er bisher nur Schwierigkeiten, die er nicht vorhergese-
hen hatte, so bekam er mit seinen neuen Produzenten ein Pro-
blem, mit dem er schon früher gerechnet hatte und das sein Unter-
fangen viel grundsätzlicher infrage stellte als Lieferunsicherheiten:
Obwohl sein Hersteller über Öko-Zertifikate chinesischer und
internationaler Prüfinstitute verfügt, fand ein von Wehrstedt
beauftragtes Testlabor im Mehl, aus dem Nudeln hergestellt wer-
den sollten, Rückstände des Pestizids Phoxim, mit dem Getreide-
silos vor Insektenbefall geschützt werden. In Bio-Lebensmitteln
hat so etwas nichts zu suchen.
„Mir war von Anfang an klar, dass man sich in China nicht
nur darauf verlassen kann, dass die Unternehmen zertifizierte Bio-
Produzenten sind“, sagt er. „Deshalb habe ich bei jeder Produk-
tion erst alle Zutaten untersuchen lassen und hinterher noch
einmal die fertige Ware.“ 5000 Euro kostete ihn das bei jeder
Lieferung – gut investiertes Geld, wie er nun merkte. Denn wäre
das Pestizid erst bei einer Kontrolle in Europa aufgefallen, wäre
sein Ruf in der Branche zerstört gewesen.
Vertrauen ist gut, Kontrolle besser: Wehrstedt
nimmt Lieferanten persönlich unter die Lupe
Das Misstrauen gegen-
über chinesischen Pro-
dukten sei hierzulande
so hoch, dass man nicht
nur alle Standards peni-
bel einhalten, sondern eigentlich noch viel besser sein müsse, sagt
Wehrstedt. Es blieb nicht das einzige Mal, dass seine Zutaten
nicht den Anforderungen entsprachen. Bei einer anderen Charge
fiel den Chemikern auf, dass eine Ladung Chilipulver mit ioni-
sierender Strahlung haltbar gemacht worden war. Bei herkömm-
lichen Lebensmitteln ist das gang und gäbe und in den USA auch
bei „Organic Food“ erlaubt, aber in Europa streng verboten.
Wehrstedt saß nun zwischen allen Stühlen. In China stritt er mit
seinen Zulieferern darum, wer für die fehlerhaften Zutaten bezah-
len sollte, in Europa musste er seinen Kunden erklären, warum
es immer wieder zu Verzögerungen kam.
Um Überraschungen künftig zu vermeiden, beschloss Wehr-
stedt, die Sublieferanten für die rund 14 Zutaten, die in jeder sei-
ner Nudelsuppen stecken, selbst zu überprüfen. Er reiste durch
die Provinzen, besuchte Farmen und Mühlen, ließ sich Kontroll-
bögen zeigen und schickte Proben zu Tests. Die Tage vergingen
mit hektischer Arbeit und nervenaufreibendem Warten. Monate
verbrachte er in Hotelzimmern und ernährte sich größtenteils von
den Mustern seiner eigenen Suppen. Am Ende hatte er eine kom-
plett durchzertifizierte Zulieferkette – und einen Job, den er nie
angestrebt hatte. Er war nicht mehr nur der Importeur seiner
Suppen, sondern auch sein eigener Produktionsleiter. Von der
anfänglichen Idee war wenig übrig geblieben.
Wehrstedts Businessplan war längst Makulatur. Ein großer
Teil seiner Ersparnisse war in den Geschäftsaufbau geflossen. Und
auch das hätte wohl kaum gereicht, wenn er in Deutschland kei-
ne Partner gefunden hätte, die mit zu investieren bereit waren und
mit denen er 2010 die Asia Natur GmbH gründete. Aber immer-
hin: Die Szechuan-Suppen kamen gut an, und Wehrstedt nutzte
seine chinesischen Kontakte auch, um für andere europäische
Bio-Marken Auftragsproduktionen für japanische Nudeln wie
Udon oder Soba abzuwickeln. Drei Container importierte er 2010,
im vergangenen Jahr waren es schon sechs.
Es ist einer dieser Container, für die Wehrstedt an diesem Tag
nach Tianjin gereist ist. Für die Fahrt durch den Feierabendstau
zurück zum Bahnhof hat ihm die Chefin des Unternehmens ihre
Limousine mit Fahrer überlassen. In zwei Tagen will man sich in
Peking wiedertreffen, um über die restlichen Details zu sprechen.
Wehrstedt muss lachen. „Hast du gemerkt, wie sie unbedingt
wissen wollte, wo wir jetzt unsere Instant-Suppen herstellen
lassen?“, fragt er. „Die wären für sie natürlich viel lukrativer als
einfache Nudeln.“
Doch mit seinem Kernprodukt ist Wehrstedt inzwischen in ein
günstigeres Produktionsland umgezogen: Deutschland. 2010 traf
er auf einer Messe einen Nudelhersteller, der ihm erzählte, dass
er in Taiwan eine ausrangierte Maschine für Instant-Nudelnester
gekauft und in seiner Fabrik in Ostdeutschland aufgestellt hat.
Wehrstedt ist perplex: Als er zwei Jahre zuvor nach einer euro-
päischen Produktionsmöglichkeit gesucht hatte, gab es keine,
doch just in dem Moment, da er alle seine chinesischen Zuliefe-
rer überprüft hat, bekommt er doch eine. Er rechnet die Sache
durch: Die reinen Produktionskosten sind in Deutschland höher,
aber dafür hat er kürzere Wege, keine Reisekosten, weniger Risi-
ko und muss sich nicht so viele Sorgen um die Qualität machen.
Unter dem Strich ist Deutschland billiger.
„Das ist eine ziemlich verrückte Wendung“, sinniert Wehr-
stedt. Letztlich seien seine Bio-Instant-Suppen mit ihren vielen Zu-
taten eben ein ähnlich komplexes Produkt wie eine Maschine, und
für Anlagenbauer sei Deutschland ja auch noch immer ein guter
Standort. Echte Kostenvorteile haben die Chinesen nur bei sei-
nen einfacheren Nudeln, die nur aus wenigen Zutaten bestehen
und in größeren Mengen gefertigt werden.
Trotzdem will Oliver Wehrstedt nicht ausschließen, dass er
eines Tages auch Instant-Nudelsuppen wieder in China produ-
zieren lässt: „Aber bevor sich das lohnt, müssen wir erst einmal
solche Unmengen verkaufen, wie ich mir sie gar nicht zu erträu-
men wage.“ --

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  • 2. 18 BRAND EINS 03/12 In China billig herstellen lassen, in Europa teuer verkaufen – das müsste auch in der Bio-Branche funktionieren, dachte sich der Unternehmer Oliver Wehrstedt. Drei Jahre lang kämpfte er mit chinesischen Zulieferern. Und zog dann eine überraschende Konsequenz. Text: Bernhard Bartsch Porträts: Rüdiger Nehmzow Die Nudel- Odyssee
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  • 4. 20 Den Luxus einer solchen Blindbestellung gönnt sich Wehrstedt selten. Im Leben des 40-Jährigen dreht sich fast alles um Nudelsuppen und ihre Zutaten. Seine Firma Asia Natur GmbH in Reck- linghausen beliefert europäische Biomärkte mit asiatischen Fertignudeln, hergestellt nach Öko- Standards. Unter seiner Marke Organic Asia stehen sie in den Regalen von Alnatura und anderen Lä- den, in denen Menschen einkaufen, die bei ihren Lebensmitteln nicht nur auf Preis und Geschmack achten, sondern auch auf die Herkunft. Alle Rohstoffe stammen von Produzenten, die sich an die Regeln ökologischer Anbauweise hal- ten, lautet das Versprechen. Das weckt bei vielen Kunden romantische Vorstellungen von Bauern- höfen, auf denen Landwirte alter Schule Felder beackern, die aussehen wie von van Gogh gemalt. Dabei ist auch die Biobranche inzwischen eine welt- umspannende Industrie, deren Zuliefernetze bis Fernost reichen. Obwohl Made in China gemein- hin nicht als Gütesiegel für hohe Qualität gilt, ist die Volksrepublik inzwischen sogar der weltweit zweitgrößte Produzent von ökologischen Nah- rungsmitteln. „Würde man denken, dass von hier Bio-Pro- dukte kommen?“, fragt Wehrstedt rhetorisch, als das Taxi eine halbe Stunde später auf den Hof eines Fabrikkomplexes biegt. Würde man natürlich nicht. Die schmucklosen Zweckbauten fügen sich nahtlos in die Industriezone. Ob hier Wellpappen, Stahlbleche oder Bionudeln vom Band laufen, ist von außen nicht zu erkennen. Zwei Angestellte begrüßen den Deutschen wie einen alten Bekannten und führen ihn durch kahle Flure zu einem Konferenz- raum. An der Wand hängt eine Tafel mit den Logos internationa- ler Öko-Siegel, daneben fristen einige Topfpflanzen ein kümmer- liches Dasein. Auf dem Tisch liegen Nudelpackungen in einem grünlichen Camouflage-Design. „Was für eine grauenvolle Auf- machung“, scherzt Wehrstedt. „So was würde in Deutschland höchstens die Bundeswehr kaufen.“ Die misslungene Optik ge- fällt ihm: Vor der chinesischen Konkurrenz muss er vorerst keine Angst haben. Eine junge Frau bringt dem Gast Tee und richtet ihm aus, dass die Chefin des Unternehmens lange gewartet habe und nun erst einen anderen Termin wahrnehmen müsse. „Ich habe Zeit“, sagt Wehrstedt und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. In China braucht man Geduld – für diese Lektion hat er in den vergange- nen Jahren einen hohen Preis bezahlt. Vier Jahre ist es her, dass Wehrstedt zum ersten Mal in diesem Konferenzraum saß, um über Nudeln zu verhandeln. Damals BRAND EINS 03/12 • „Immer der gleiche Mist“, flucht der deutsche Unternehmer Oliver Wehrstedt und starrt aus dem Taxifenster. Auf sechs Fahr- spuren stehen Autos Heck an Kühler. Seit einer Stunde quält er sich durch den Stau der nordchinesischen Industriemetropole Tianjin, dabei ist es mittags, nicht einmal Stoßzeit. Wehrstedt war schon häufig hier, und jedes Mal ist das Verkehrschaos wieder ein bisschen schlimmer, als er es in Erinnerung hatte. „Halt bei dem Supermarkt da vorne kurz an“, bittet er den Fahrer. „Nur eine Nudelsuppe, das geht ganz schnell.“ Wehrstedt springt aus dem Wagen und steuert zielsicher auf einen Imbiss-Stand zu, hinter dem eine Frau mit verschmierter Küchenschürze einen mächtigen Klumpen Nudelteig bearbeitet. Auf ihrem Tresen steht eine Batterie Soßenkännchen und Ge- würzschälchen, aus zwei großen Töpfen steigt der Dampf von Fleischbrühe. „Einmal alles“, bestellt Wehrstedt mit Gesten, und die Köchin macht sich an die Arbeit. „Ich möchte gar nicht wis- sen, was da alles drin ist“, sagt er, „aber es schmeckt einfach sagenhaft gut.“ Hat in China viel Lehrgeld gezahlt: Oliver Wehrstedt
  • 5. WAS WIRTSCHAFT TREIBT 21BRAND EINS 03/12 glaubte der Jungunternehmer, kurz vor dem Ziel zu sein. Heute weiß er, dass er erst ganz am Anfang stand. Wie viele Geschäfts- leute, die auf Chinas Wirtschafts-Boom mitzureiten versuchen, musste er lernen, wie schnell Businesspläne an der chinesischen Realität zerschellen können und dass nur diejenigen Erfolg haben, die flexibel genug sind, ihren Kurs zu ändern, auch wenn sie da- mit an einem ganz anderen Ort landen als erwartet. In der Theorie wusste Wehrstedt das natürlich. Schließlich kam er nicht als Neuling nach Tianjin, sondern hatte schon meh- rere Jahre in Peking gearbeitet, auch dies das Ergebnis einer spon- tanen Kursänderung. Die ersten 21 Jahre seines Lebens verbrachte er in Marburg, absolvierte eine Lehre zum Groß- und Außenhandelskaufmann und studierte anschließend Kommunikationswissenschaften und Wirtschaft. Nach dem Examen arbeitete er bei einem PR-Unter- nehmen in Frankfurt am Main. „2001 erzählte mir ein Freund bei einer Party von einer deutschen Werbeagentur, die in der Volks- republik ausländische Unternehmen betreut und händeringend Mitarbeiter sucht“, erinnert sich Wehrstedt. „Da habe ich spon- tan gedacht: Das mache ich.“ Sollten seine Kollegen doch allein über die geplatzte Dotcom-Blase klagen. In China lockte das nächste große Ding. Sechs Wochen nach der Party trat Wehrstedt in Peking seinen ersten Arbeitstag an. Nicht nur für den damals 30-Jährigen war China Neuland, sondern auch für seinen Arbeitgeber und dessen Kunden. Es herrschte Gründerstimmung, Weltkonzerne arbeite- ten wie Start-ups, in denen kleine Teams große Projekte auf den Weg bringen. „Ich bekam sehr schnell sehr viel Verantwortung, das wäre in Deutschland undenkbar gewesen“, erzählt Wehrstedt. „Das Tempo der Entwicklung war ungeheuer.“ Zwischen Kon- ferenzräumen, Flughäfen, Messehallen und den Bars, in denen Pekings aufstrebende Elite sich ihre Erfolgsgeschichten erzählen, vergingen schnell drei Jahre. Dann wechselte Wehrstedt zu einer chinesischen Werbe- und Marketingagentur, die unter anderem eine Lizenzausgabe der deutschen Zeitschrift »Auto Motor und Sport« verlegte. Er hoffte, weiter auf der Erfolgsspur zu bleiben, doch diesmal ging seine Rechnung nicht auf. Die Firmeninhaber erwiesen sich als windige Gesellen. Als Wehrstedt mehrere Monate seinen Lohn nicht ausgezahlt bekam, drohte er, ihre Machenschaften aufflie- gen zu lassen. „Ein paar Tage später saßen morgens Schlägerty- pen an meinem Schreibtisch und sagten, dass sie mich umbringen würden, wenn ich die Klappe aufmache“, erinnert er sich. Er nahm die Drohung ernst und räumte seine Schubladen aus. Es war sein letzter Tag als Angestellter. Weil er schon lange mit dem Gedanken gespielt hatte, sich selbstständig zu machen, nutzte er die unfreiwillige Auszeit, um ein eigenes Projekt zu verwirklichen. „Ich habe damals beob- achtet, wie meine chinesischen Freunde anfingen, über ihre Er- nährung nachzudenken“, sagt er. Bei vielen jungen Chinesen war die erste Fortschrittseuphorie vorbei, und ihnen ging auf, dass das Leben in den schnell gewachsenen Megacitys nicht gesund sein kann. Auf den Straßen herrscht Dauerstau, der Smog führt zu einem sprunghaften Anstieg von Atemwegserkrankungen. Be- richte über Lebensmittelskandale machen den Menschen bewusst, dass die Industrialisierung auch die Nahrungsmittelkette ergrif- fen hat und die Qualität dort genauso bereitwillig dem schnel- len Profit geopfert wird wie in den Sweatshops der Textil- oder Spielzeugbranche. Die Idee des Jungunternehmers: den Trend hin zu Bio, Asien und Fertigessen verbinden Es begann sich auch in China eine Öko- bewegung zu entwickeln. In großen Städten eröffneten erste Reformhäuser, Supermärkte richteten Regale für Bio-Lebensmittel ein. Wohlhabende Großstädter bezahlen für ihre Lebensmittel bereitwillig mehr, wenn ein Ökosiegel bessere Qualität verspricht. Auch die Regierung propagiert die Bio-Landwirt- schaft, von der sie sich eine neue Einnahme- quelle für Chinas arme Bauern verspricht. Darin erkannte Wehrstedt seine Chance: In China billig herstellen lassen, in Europa teuer verkaufen – warum sollte diese Glo- balisierungsregel nicht auch in der Bio- Branche gelten? 2006 kehrte er nach Deutschland zurück und begann von einem Büro im Dachge- schoss einer Villa in Recklinghausen aus, ein Geschäftsmodell zu entwickeln. Er war nicht der Erste, der asiatische Bio-Lebens- mittel nach Europa importieren wollte. Anbauverbände und Großhändler unterhielten schon seit Längerem Kontakte nach China, kauften aber vor allem Rohstoffe wie Getreide oder Soja- bohnen, bei denen Herkunft und Qualität relativ einfach zu kon- trollieren sind. Der Jungunternehmer strebte etwas Anspruchsvolleres an. „Ich sehe im Lebensmittelbereich drei Megatrends“, sagt er und malt ein Dreieck auf ein Papier. An die Ecken schreibt er die Be- griffe „Convenience“, „Gesundheitsbewusstsein“ und „asiatischer Lebensstil“. Convenience, Neudeutsch für Bequemlichkeit, steht für Fertigessen und damit eigentlich im Gegensatz zum Image der gesunden Biowelt. Aber Wehrstedt kann den Widerspruch über- winden: „Früher war Convenience-Food ein Synonym für ‚Dick- macher‘ oder ‚Ich kann nicht kochen‘. Aber jetzt erleben wir die New Convenience – Essen, das einfach, lecker und gesund ist.“ Seine Idee war es, „authentische asiatische Produkte in Bio- qualität anzubieten“. Er entwarf einen Businessplan und bekam ein 30 000-Euro-Förderdarlehen von der Kreditanstalt für 3
  • 6. 22 BRAND EINS 03/12 WAS WIRTSCHAFT TREIBT _BIOWARE AUS CHINA Wiederaufbau und noch einmal den gleichen Betrag von einer Bank. Dann ging er auf Fachmessen und bot deutschen Bioläden an, für sie Nudeln und Instant-Nudelsuppen in chinesischen Ge- schmacksrichtungen zu importieren. „Die Idee schlug ein wie eine Bombe“, sagt er. Im Konferenzraum in Tianjin öffnet sich die Tür, und die Che- fin kommt herein. Sie ist schmal und blass, offenbar geht die Beschäftigung mit Bio-Lebensmitteln nicht automatisch mit einem gesunden Lebensstil einher. „Ich habe heute leider nicht viel Zeit“, eröffnet sie das Gespräch, „aber was kann ich für dich tun?“ Wehrstedt will über japanische Nudeln sprechen, über Udon, Soba und Somen, außerdem über seine Neukreation. Zunächst braucht er Warenmuster für eine Messe. In ein paar Wochen könnten daraus Aufträge werden. Wie viele Container er denn brauche, will seine Gesprächs- partnerin wissen. Einen Container, vielleicht zwei, antwortet Wehrstedt, also zwischen 70 000 und 150 000 Packungen. „Das ist aber eine sehr kleine Menge“, bekommt er müde zurück. Er schiebt einige Blätter mit Rezepten über den Tisch, und die Unter- haltung beginnt sich um Zutaten und Zertifikate zu drehen, um Allergenfragebögen und Nährwerttabellen. Mit jedem Detail kom- men neue Probleme auf. In Deutschland sind 250-Gramm-Pa- ckungen üblich, in China 240 Gramm. Außerdem sind deutsche Konsumenten an Nudeln gewöhnt, die einige Zentimeter länger sind als in China. Für die Produktion müssten also alle Maschi- nen umgestellt werden, was der Managerin zu mühsam ist. Außer- dem geht es um die Fragen: Wer soll den Druck für die Hüllen organisieren? Wer die Rückstandskontrollen bezahlen? Wer die Ausfuhrpapiere besorgen? Dass die Verhandlung mithilfe eines Übersetzers geführt wird, macht alles noch komplizierter. Einmal glaubt Wehrstedt im Ge- spräch der Chinesen das Wort „Dummy“ gehört zu haben und unterbricht, um ein paar spezielle Anforderungen an die Muster zu beschreiben. Dabei sprachen die Chinesen über ihre Vorräte – „dami“ bedeutet Reismehl. Bis das Missverständnis geklärt ist, ver- gehen Minuten. Bis zum wichtigsten Thema, dem Preis, ist es noch lang. Wehrstedt wird ungeduldig. Er hat kein Pokerface, trommelt mit den Fingern auf dem Tisch, rollt die Augen. Die Chinesin ver- zieht keine Miene und schaut auf ihre Uhr. „Wir müssen unser Gespräch wohl ein andermal fortsetzen“, sagt sie. Aber dann hat sie doch noch etwas Zeit. Wie es eigentlich mit den Instant-Nu- delsuppen aussehe, will sie wissen. „Ja, die machen wir immer noch “, entgegnet Wehrstedt mit einem geheimnisvollen Lächeln. „Aber wo wir die herstellen lassen, kann ich nicht verraten.“ Die Firma in Tianjin war die erste, mit der Wehrstedt zu- sammenzuarbeiten versuchte, nachdem seine Geschäftsidee auf Interesse gestoßen war. Der Kontakt kam auf einer Biomesse zustande, und er glaubte, dass er nun einfach noch seine Ware bestellen und nach Deutschland verfrachten müsse. Doch als er dann nach China reiste, um die Instant-Nudelsuppen seiner Zu- lieferer zu kosten, gab es ein böses Erwachen. „Die haben ge- schmeckt wie altes Kirchengestühl“, erinnert er sich. „Ich hatte die Chinesen überschätzt.“ Also brauchte er eigene Rezepte. Er beauftragte den Hambur- ger Lebensmittelveredler Worlée damit. In der Testküche kostete er sich durch Hunderte Suppen. Am Ende standen sechs Ge- schmacksrichtungen mit Namen wie „Tofu“, „Sesam“ oder „Ing- wer-Karotte“. Seine Produktlinie nennt Wehrstedt „Szechuan“, nach der westchinesischen Provinz. „Das sollte für exotisches, mystisches Asien stehen“, sagt Wehrstedt – keine glückliche Wahl, wie er heute zugibt, weil „Szechuan“ im deutschen China-Res- taurant-Vokabular für „scharf“ steht. Mit seinen Rezepten reiste Wehrstedt wieder nach China zurück, musste dort aber feststellen, dass einige seiner Zutaten in der Volksrepublik nicht hergestellt werden, jedenfalls nicht in Bioqualität. Also musste er Teile seiner Gewürze in Europa kau- fen, nach China schicken, dort in Beutel füllen, mit den Nudeln verpacken lassen und alles zusammen zurückverfrachten. „Die damit verbundene Logistik war der blanke Wahnsinn“, sagt er. Durch die langen Schiffsreisen lagen seine Bestellzeiten bei vier Monaten. Es gibt Probleme mit der Sprache, der Kultur und der Qualität Dennoch ging Ende 2008 sein erster Container auf die Reise. Die Reaktio- nen waren gut, neue Kunden interessierten sich für seine Nudeln. Doch als Wehrstedt in Tianjin Nachschub bestellen wollte, zeigte sich seine Lieferantin plötzlich unwillig. Sie wollte ihn nur weiter versorgen, wenn er in Deutschland neben seiner eigenen Marke auch ihre vermarktet. Zehn Containerla- dungen sollte er abnehmen. „Die Chinesen denken immer in ihren eigenen Größenordnungen und haben gar keine Vorstel- lungen davon, wie klein der europäische Markt für ein solches Produkt ist“, sagt Wehrstedt. Bio-Instant-Nudeln waren nicht nur ein neues Produkt. Die Aufgussgerichte sind auch sonst viel weniger verbreitet. Während jeder Chinese im Jahr durchschnittlich 32 Portionen Instant- Nudeln verzehrt, sind es in Deutschland gerade einmal zwei. Es kam zum Eklat, der damit endete, dass die Chinesen sich wei- gerten, einen bereits bezahlten Container mit Nudeln zu verschi- cken. Wehrstedt stand nun mit Kunden, aber ohne Lieferanten da: „Da habe ich gemerkt, dass man sich nicht nur an einen einzigen Partner binden darf.“ Inzwischen hatte er seine Kredite weitgehend aufgebraucht. Das Projekt stand auf der Kippe, alles kam auf den Prüfstand. 3
  • 7. 24 BRAND EINS 03/12 WAS WIRTSCHAFT TREIBT _BIOWARE AUS CHINA Erstmals begann er zu zweifeln, ob Bio-Importe aus China tat- sächlich eine gute Idee waren. Ließen sich seine Nudelsuppen nicht auch in Europa produzieren? Er hörte sich um, doch keine europäische Fabrik verfügte über die Anlagen zur Herstellung von Instant-Nudelnestern. Er hatte keine andere Wahl, als sich in China neue Lieferanten zu suchen. Hatte er bisher nur Schwierigkeiten, die er nicht vorhergese- hen hatte, so bekam er mit seinen neuen Produzenten ein Pro- blem, mit dem er schon früher gerechnet hatte und das sein Unter- fangen viel grundsätzlicher infrage stellte als Lieferunsicherheiten: Obwohl sein Hersteller über Öko-Zertifikate chinesischer und internationaler Prüfinstitute verfügt, fand ein von Wehrstedt beauftragtes Testlabor im Mehl, aus dem Nudeln hergestellt wer- den sollten, Rückstände des Pestizids Phoxim, mit dem Getreide- silos vor Insektenbefall geschützt werden. In Bio-Lebensmitteln hat so etwas nichts zu suchen. „Mir war von Anfang an klar, dass man sich in China nicht nur darauf verlassen kann, dass die Unternehmen zertifizierte Bio- Produzenten sind“, sagt er. „Deshalb habe ich bei jeder Produk- tion erst alle Zutaten untersuchen lassen und hinterher noch einmal die fertige Ware.“ 5000 Euro kostete ihn das bei jeder Lieferung – gut investiertes Geld, wie er nun merkte. Denn wäre das Pestizid erst bei einer Kontrolle in Europa aufgefallen, wäre sein Ruf in der Branche zerstört gewesen. Vertrauen ist gut, Kontrolle besser: Wehrstedt nimmt Lieferanten persönlich unter die Lupe Das Misstrauen gegen- über chinesischen Pro- dukten sei hierzulande so hoch, dass man nicht nur alle Standards peni- bel einhalten, sondern eigentlich noch viel besser sein müsse, sagt Wehrstedt. Es blieb nicht das einzige Mal, dass seine Zutaten nicht den Anforderungen entsprachen. Bei einer anderen Charge fiel den Chemikern auf, dass eine Ladung Chilipulver mit ioni- sierender Strahlung haltbar gemacht worden war. Bei herkömm- lichen Lebensmitteln ist das gang und gäbe und in den USA auch bei „Organic Food“ erlaubt, aber in Europa streng verboten. Wehrstedt saß nun zwischen allen Stühlen. In China stritt er mit seinen Zulieferern darum, wer für die fehlerhaften Zutaten bezah- len sollte, in Europa musste er seinen Kunden erklären, warum es immer wieder zu Verzögerungen kam. Um Überraschungen künftig zu vermeiden, beschloss Wehr- stedt, die Sublieferanten für die rund 14 Zutaten, die in jeder sei- ner Nudelsuppen stecken, selbst zu überprüfen. Er reiste durch die Provinzen, besuchte Farmen und Mühlen, ließ sich Kontroll- bögen zeigen und schickte Proben zu Tests. Die Tage vergingen mit hektischer Arbeit und nervenaufreibendem Warten. Monate verbrachte er in Hotelzimmern und ernährte sich größtenteils von den Mustern seiner eigenen Suppen. Am Ende hatte er eine kom- plett durchzertifizierte Zulieferkette – und einen Job, den er nie angestrebt hatte. Er war nicht mehr nur der Importeur seiner Suppen, sondern auch sein eigener Produktionsleiter. Von der anfänglichen Idee war wenig übrig geblieben. Wehrstedts Businessplan war längst Makulatur. Ein großer Teil seiner Ersparnisse war in den Geschäftsaufbau geflossen. Und auch das hätte wohl kaum gereicht, wenn er in Deutschland kei- ne Partner gefunden hätte, die mit zu investieren bereit waren und mit denen er 2010 die Asia Natur GmbH gründete. Aber immer- hin: Die Szechuan-Suppen kamen gut an, und Wehrstedt nutzte seine chinesischen Kontakte auch, um für andere europäische Bio-Marken Auftragsproduktionen für japanische Nudeln wie Udon oder Soba abzuwickeln. Drei Container importierte er 2010, im vergangenen Jahr waren es schon sechs. Es ist einer dieser Container, für die Wehrstedt an diesem Tag nach Tianjin gereist ist. Für die Fahrt durch den Feierabendstau zurück zum Bahnhof hat ihm die Chefin des Unternehmens ihre Limousine mit Fahrer überlassen. In zwei Tagen will man sich in Peking wiedertreffen, um über die restlichen Details zu sprechen. Wehrstedt muss lachen. „Hast du gemerkt, wie sie unbedingt wissen wollte, wo wir jetzt unsere Instant-Suppen herstellen lassen?“, fragt er. „Die wären für sie natürlich viel lukrativer als einfache Nudeln.“ Doch mit seinem Kernprodukt ist Wehrstedt inzwischen in ein günstigeres Produktionsland umgezogen: Deutschland. 2010 traf er auf einer Messe einen Nudelhersteller, der ihm erzählte, dass er in Taiwan eine ausrangierte Maschine für Instant-Nudelnester gekauft und in seiner Fabrik in Ostdeutschland aufgestellt hat. Wehrstedt ist perplex: Als er zwei Jahre zuvor nach einer euro- päischen Produktionsmöglichkeit gesucht hatte, gab es keine, doch just in dem Moment, da er alle seine chinesischen Zuliefe- rer überprüft hat, bekommt er doch eine. Er rechnet die Sache durch: Die reinen Produktionskosten sind in Deutschland höher, aber dafür hat er kürzere Wege, keine Reisekosten, weniger Risi- ko und muss sich nicht so viele Sorgen um die Qualität machen. Unter dem Strich ist Deutschland billiger. „Das ist eine ziemlich verrückte Wendung“, sinniert Wehr- stedt. Letztlich seien seine Bio-Instant-Suppen mit ihren vielen Zu- taten eben ein ähnlich komplexes Produkt wie eine Maschine, und für Anlagenbauer sei Deutschland ja auch noch immer ein guter Standort. Echte Kostenvorteile haben die Chinesen nur bei sei- nen einfacheren Nudeln, die nur aus wenigen Zutaten bestehen und in größeren Mengen gefertigt werden. Trotzdem will Oliver Wehrstedt nicht ausschließen, dass er eines Tages auch Instant-Nudelsuppen wieder in China produ- zieren lässt: „Aber bevor sich das lohnt, müssen wir erst einmal solche Unmengen verkaufen, wie ich mir sie gar nicht zu erträu- men wage.“ --