1. Spruchverfahren aktuell - Nr. 19/2015 SpruchZ 2015 Seite 363
Recht & Praxis bei Squeeze-out-Fällen, Delisting,
Organverträgen, Fusionen und Übernahmeangeboten
Nr. 19/2015 vom 30. September 2015 ISSN 2195-7274
Inhaltsübersicht
Sonderausgabe zur Verabschiedung der
Delisting-Neuregelung am 1. Oktober 2015
Neuregelung des Delistings:
Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, S. 364
Deutscher Bundestag: Zustimmung zur Finanztransparenz, S. 365
Pressemitteilung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, S. 366
Laufende Spruchverfahren S. 368
Delisting-Fälle S. 368
„Bemerkenswerte Befunde“ von Prof. Knoll
Fall 8: Die Peer Group: Alles ähnlich oder was?, S.333
Die 2012 gegründete Zeitschrift „Spruchverfahren aktuell“ (kurz: SpruchZ) wird per E-mail verteilt
und online verfügbar archiviert (u.a. unter http://de.slideshare.net/SpruchZ). Sie erscheint jeweils
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umfassende rechtsanwaltliche Beratung nicht ersetzen.
Spruchverfahren aktuell
2. Spruchverfahren aktuell - Nr. 19/2015 SpruchZ 2015 Seite 364
Neuregelung des Delistings
Delisting-Neuregelung: Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD
von Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG
Der Änderungsantrag zu dem „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-
Änderungsrichtlinie“ mit Stand 29. September 2015 ist abrufbar unter:
http://spruchverfahren.blogspot.de/2015/09/delisting-neuregelung-anderungsantrag.html
Dieser heute, am 30. September 2015, vom Bundestag-Finanzausschuss abgesegnete Entwurf
entspricht der bereits kolportierten, von den Aktionärsvereinigungen DSW (SpruchZ 2015, 355) und
SdK (SpruchZ 2015, 356) sowie von der Verbraucherzentrale für Kapitalanleger (SpruchZ 2015, 339)
heftig kritisierten Kompromisslösung. Die für morgen, den 1. Oktober 2015, vorgesehene Beschluss-
fassung im Bundestag dürfte allerdings nur noch eine Formsache sein.
Von der früheren Rechtslage nach der Macrotron-Rechtfortbildung, die der DAV vorgeschlagen hatte,
in Gesetzesfirm „zu gießen“ (SpruchZ 2015, 359), bleibt somit nur die bloße Verpflichtung zu einem
Angebot übrig. Sowohl der nach der Macrotron-Trias erforderliche Hauptversammlungsbeschluss wie
auch die Möglichkeit einer effektiven gerichtlichen Überprüfung fallen weg. Das Schutzniveau für die
betroffenen Anleger wird damit im Vergleich zur früheren Rechtslage deutlich abgesenkt.
Wenigstens soll im Vergleich zum ursprünglichen Vorschlag ein vorhergehendes Übernahmeangebot
die Pflicht zur Abfindung nicht entfallen lassen.
Die Höhe der Abfindung soll sich an der Höhe des Durchschnittskurses der letzten sechs Monate
orientieren. Der für Unternehmensbewertungen üblicherweise verwendete Ertragswert eines
Unternehmens als Grundlage für die Berechnung der Höhe der Entschädigung der Aktionäre spielt
nach dem Willen der Koalitionspartner praktisch keine Rolle mehr. Dieser soll nur dann maßgeblich
sein, wenn gegen Ad-hoc-Meldepflichten verstoßen wurde oder eine Manipulationen des
Aktienkurses nachgewiesen werden kann (was praktisch nicht denkbar ist: Wie soll ein
Minderheitsaktionär eine strafrechtlich relevante Kursmanipulation beweisen können?). Auch die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hatte in dem Gesetzgebungsverfahren kritisiert, dass die
Neuregelung Manipulationen nicht verhindern könne.
Fazit: Eine effektive gerichtliche Überprüfung ist damit zukünftig nicht mehr möglich. Die Aktionäre
werden bezüglich eines Delistings gar nicht mehr gefragt wie früher, sondern der Vorstand
entscheidet alleine. Insgesamt stellt sich somit die Neuregelung als deutlichen Rückschritt im
Vergleich zu der mehr als ein Jahrzehnt geltenden Rechtslage nach der Macrotron-Rechtfortbildung
dar.
3. Spruchverfahren aktuell - Nr. 19/2015 SpruchZ 2015 Seite 365
Auch die „Nachbesserung“, dass statt auf einen 3-Monats-Durchschittskurs nunmehr nach dem
Kompromiss auf ein 6-Monats-Durchschnittskurs abgestellt werden soll, stellt eher eine
„Verschlimmbesserung“ dar. In den meisten Fällen dürfte dies zu einer nochmals niedrigeren
Abfindung für die Minderheitsaktionäre führen, was die ganze Sache für die Großaktionäre billiger
und attraktiver macht.
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Deutscher Bundestag: Zustimmung zur Finanztransparenz
Finanzen/Ausschuss - 30.09.2015
Berlin: (hib/HLE) Der Finanzausschuss hat am Mittwoch dem von der Bundesregierung eingebrachten
Gesetzentwurf zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie (18/5010, 18/5272) in
nationales Recht zugestimmt. Für den zuvor mit 14 Anträgen von der Koalition noch geänderten
Entwurf stimmten die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD. Die Fraktionen Die Linke und Bündnis
90/Die Grünen enthielten sich. Mit dem Gesetz sollen Transparenzanforderungen in Bezug auf
Informationen über Emittenten von Wertpapieren in der EU weiter harmonisiert und Meldepflichten
bei Erwerb beziehungsweise Veräußerung bedeutender Beteiligungen geändert werden.
Ein Sprecher der CDU/CSU-Fraktion lobte, mit dem Gesetz würden die Sicherheit und die
Transparenz auf dem Kapitalmarkt sowie der Anlegerschutz deutlich verbessert. Nachdem die
Meldepflichten bei Erwerb beziehungsweise Veräußerung von Wertpapieren bereits verschärft
worden seien, würden jetzt auch effektive Sanktionen bei Verstößen eingeführt. Waren Bußgelder
bisher auf höchstens eine Million Euro begrenzt, so würden diese jetzt von der Umsatzhöhe des
betreffenden Unternehmens abhängig gemacht. Möglich sei auch ein Verlust der Stimmrechte für
Aktionäre bei Verstößen gegen die Meldepflicht.
In dem Gesetz geht es auch um das sogenannte "Delisting" von Aktiengesellschaften. Das bedeutet,
dass Unternehmen, deren Aktien bisher an der Börse gehandelt werden, von der Börse genommen
werden. Künftig soll den freien Aktionären eine Abfindung angeboten werden müssen. Die Höhe der
Abfindung soll sich an der Höhe des Durchschnittskurses der letzten sechs Monate orientieren. Der
Sprecher der CDU/CSU-Fraktion bezeichnete die getroffenen Maßnahmen als dringend erforderlich,
um eine Lücke im Anlegerschutz zu schließen. Auf die Forderungen mehrerer Verbände in der
öffentlichen Anhörung, statt des Börsenwertes den Ertragswert eines Unternehmens zur Grundlage
für die Berechnung der Höhe der Entschädigung der freien Aktionäre zu machen, reagierte die
Unionsfraktion mit dem Hinweis, dies sei nicht sachgerecht, weil der Aktionär nur die
Handelsmöglichkeit der Aktie beim Delisting verliere, aber Inhaber des Wertpapiers bleibe. Sollten
sich aber Manipulationen des Aktienkurses herausstellen, könne nach dem Ertragswert entschädigt
werden. Zur Begrenzung der Interbankenentgelte für kartengebundene Zahlungsvorgänge und deren
Auswirkungen auf das deutsche girocard-System soll die Regierung prüfen, ob weiterer
Gesetzgebungsbedarf besteht. Die Bankenverbände hatten in der Anhörung vor höheren
Kartenpreisen für Verbraucher gewarnt.
Eine Überprüfung der Regelung zu den Interbankenentgelten wurde auch von der SPD-Fraktion
4. Spruchverfahren aktuell - Nr. 19/2015 SpruchZ 2015 Seite 366
unterstützt. Es gehe hier um ein Volumen von sechs Milliarden Euro. Die SPD-Fraktion würdigte
ebenfalls die mit dem Gesetz erreichten Verbesserungen für die deutschen Reeder, deren Erlöspools
(gemeinsam betriebene Schiffe) von der Versicherungsteuer befreit werden. Es sei mehr Sicherheit
für die Anleger erreicht worden, so ein Sprecher der SPD-Fraktion zum Gesetzentwurf insgesamt.
Die Linksfraktion erkannte zwar Verbesserungen bei den Sanktionen wegen Verstößen gegen die
Meldepflicht an, die neuen Bußgeldhöhen gingen ihr aber noch nicht weit genug. Begrüßt wurde die
Aufhebung der Pflicht zur Veröffentlichung von Quartalsberichten durch die Unternehmen.
Der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gingen die Transparenzpflichten nicht weit genug. Alle
Unternehmen müssten offenlegen, in welchen Ländern sie Steuern in welcher Höhe zahlen würden.
Nur so werde man die Steuergestaltungen internationaler Unternehmen in den Griff bekommen. Die
Aufhebung der Versicherungsteuerpflicht für Reeder bezeichnete die Fraktion als "ordnungspolitisch
fragwürdig". Kritik übte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auch am gefundenen Delisting-
Verfahren. Dass die Höhe der Abfindung sich an der Höhe des Durchschnittskurses der letzten sechs
Monate orientieren solle, könne Manipulationen nicht verhindern. In der Sechsmonatsfrist könne die
Kursentwicklung auch von Zufällen geprägt sein.
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Tillmann/Middelberg: Anleger werden beim Börsenrückzug wieder
entschädigt
Pressemitteilung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 30. September 2015
Berlin - Unternehmen besser vor feindlichen Übernahmen geschützt
Der Finanzausschuss hat am heutigen Mittwoch das Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-
Änderungsrichtlinie beschlossen. Dazu erklären die finanzpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion, Antje Tillmann und der zuständige Berichterstatter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion,
Mathias Middelberg:
"Wir haben den Anlegerschutz beim Delisting - also beim Rückzug eines Unternehmens von
der Börse - wieder eingerichtet, nachdem durch die Rechtsprechung hier eine Schutzlücke
entstanden war. Der Anleger hat künftig wieder einen Entschädigungsanspruch in Geld.
Dieser wird schnell und rechtssicher nach einem einfachen Verfahren, nämlich nach dem
Durchschnittsbörsenkurs der letzten sechs Monate, berechnet. Das komplexe und meist
langwierige Ertragswertverfahren, bei dem Gutachter den Wert bestimmen, kommt nur dann
zur Anwendung, wenn der Börsenkurs nicht aussagekräftig ist. Dies ist dann der Fall, wenn
der Börsenkurs manipuliert wurde oder das Unternehmen kursrelevante Informationen
fehlerhaft veröffentlicht hat und diese den Börsenkurs wesentlich verzerrt haben.
Mit dem Gesetzentwurf stellen wir zudem sicher, dass Unternehmen künftig besser vor
feindlichen Übernahmen geschützt sind. Durch die Verschärfung der kapitalmarktrechtlichen
Regelungen erschweren wir das sog. Anschleichen an Unternehmen, also den verdeckten
Aufbau wesentlicher Unternehmensbeteiligungen.
5. Spruchverfahren aktuell - Nr. 19/2015 SpruchZ 2015 Seite 367
Auch die Sanktionen für Verstöße gegen Transparenzpflichten haben wir deutlich verschärft:
Für juristische Personen sind nun Geldbußen von bis zu 10 Mio. Euro oder bis zu fünf Prozent
des Jahresumsatzes beziehungsweise des zweifachen der erlangten Vorteile möglich."
Hintergrund:
Mit dem Gesetzentwurf sollen die notwendigen Änderungen der europäischen Transparenzrichtlinie-
Änderungsrichtlinie in nationales Recht umgesetzt werden. Die Richtlinie sieht eine Umsetzung bis
Ende November 2015 vor.
Der Gesetzentwurf wurde von den Koalitionsfraktionen um eine gesetzliche Regelung zum sog.
Delisting ergänzt. Der Bundesgerichtshof hatte in seiner "Frosta"-Entscheidung (Beschluss vom 8.
Oktober 2013, II ZB 26/12) seine bisherige Rechtsprechung (Urteil vom 25. November 2002, II ZR
133/01 "Macrotron") zu den Voraussetzungen eines Widerrufs der Zulassung von Aktien zum Handel
im regulierten Markt auf Veranlassung der Gesellschaft (sog. Delisting) grundlegend revidiert und
entschieden, dass weder ein Hauptversammlungsbeschluss noch ein im Spruchverfahren über-
prüfbares Barabfindungsgebot an die Aktionäre Voraussetzung für ein solches Delisting ist.
Im Nachgang zu der "Frosta"-Entscheidung ist die Zahl der Emittenten, die einen Widerruf der
Zulassung ihrer Aktien zum Handel im regulierten Markt beantragt und den Rückzug vollzogen
haben, stark angestiegen. Der Rückzug eines Emittenten aus dem regulierten Markt kann im Falle
eines vollständigen Börsenrückzugs den Verlust der Handelbarkeit des betroffenen Wertpapiers, im
Falle eines Wechsels in den (qualifizierten) Freiverkehr (sog. Downlisting) zumindest eine Beein-
trächtigung der Veräußerungschancen bedeuten. In der Zeit zwischen der Ankündigung und dem
Wirksamwerden des Delistings kann es daher zu erheblichen Kursverlusten kommen. In der Praxis
waren Kursverluste nach Ankündigung von Delisting festzustellen. Vor diesem Hintergrund erschien
eine gesetzliche Verbesserung des Anlegerschutzes beim Widerruf der Zulassung eines Wertpapiers
zum Handel am regulierten Markt (also einschließlich des Downlistings) erforderlich.
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"Die Kuh kommt vom Eis: Delisting"
In seinem Blog "Unternehmensrechtliche Notizen" kommentiert Prof. Dr. Ulrich Noack die geplante
Delisting-Neuregelung:
http://notizen.duslaw.de/die-kuh-kommt-vom-eis-delisting/
6. Spruchverfahren aktuell - Nr. 19/2015 SpruchZ 2015 Seite 368
Laufende Spruchverfahren
Verhandlungstermin im Spruchverfahren zum Beherrschungsvertrag mit der
GSW Immobilien AG
Das Landgericht Berlin hat in dem Spruchverfahren zu dem Beherrschungsvertrag der Deutschen
Wohnen AG (als herrschender Gesellschaft) mit der GSW Immobilien AG einen Termin zur
Verhandlung auf den 1.Dezember 2015, 10 Uhr angesetzt.
Nach der Verfügung vom 18. September 2015 hält das Landgericht eine Bestimmung der Abfindung
auf der Basis der Ertragswerte beider Gesellschaften für zutreffend. Eine alternative Wertermittlung
anhand des NAV-Verfahrens sei nicht notwendig, da der NAV den Wert eines bestandhaltenden
Immobilienunternehmens für die Aktionäre nicht zutreffend widergeben könne (S. 2). Im Rahmen
der Plausibilisierung könne allerdings "ohne Weiteres" auf den NAV abgestellt werden (S. 4).
Da die Planungen beider Gesellschaften gut zwei Monate vor dem Bewertungsstichtag "aktualisiert"
worden sein, sei von einer Anlassbezogenheit auszugehen. Die anlassbezogenen
Planungsanpassungen seien daher kritisch daraufhin zu überprüfen, ob diese unzulässiger Weise
nachteilig von der tatsächlichen Unternehmensplanung abwichen. In diesem Zusammenhang hat das
Gericht der Antragsgegnerin aufgegeben, das zwischen ihr und der GSW 2013 abgeschlossene
Business Combination Agreement (BCA) vorzulegen.
LG Berlin, Az. 102 O 49/14.SpruchG
67 Antragsteller
gemeinsamer Vertreter: RA Klaus Rotter, c/o Rotter Rechtsanwälte Partnerschaft mbH, 82031
Grünwald
Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin, Deutsche Wohnen AG:
Rechtsanwälte Squire Patton Boggs (US) LLP, 10117 Berlin
Delisting-Fälle
Sachsenmilch AG: Beschluss zum Delisting
Ad-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG
Leppersdorf, 29. September 2015 - Der Vorstand der Sachsenmilch AG (nachfolgend "Gesellschaft")
mit dem Sitz in Leppersdorf, ISIN DE000A0DRXC4, WKN A0DRXC, hat heute beschlossen, den
7. Spruchverfahren aktuell - Nr. 19/2015 SpruchZ 2015 Seite 369
Widerruf der Zulassung der Aktien der Gesellschaft zum Handel im regulierten Markt (General
Standard) bei der Frankfurter Wertpapierbörse als dem einzigen regulierten Markt, zu dem die
Aktien der Gesellschaft zugelassen sind, in Kürze zu beantragen (sogenanntes Delisting).
Nach positiver Bescheidung des Antrags auf Widerruf der Zulassung und Wirksamwerden der
Entscheidung der Wertpapierbörse Frankfurt würden die Aktien der Gesellschaft nicht mehr in einem
regulierten Markt einer Börse im Inland oder einem vergleichbaren Markt im Ausland zum Handel
zugelassen sein und gehandelt werden. Derzeit rechnet der Vorstand der Gesellschaft damit, dass
der Handel der Aktien der Gesellschaft im regulierten Markt der Frankfurter Börse voraussichtlich
spätestens sechs Monate nach Veröffentlichung der Widerrufsentscheidung der Frankfurter
Wertpapierbörse endet.
Nach dem Wirksamwerden der Entscheidung der Wertpapierbörse Frankfurt rechnet der Vorstand
mit dem zeitnahen Widerruf von Amts wegen der Einbeziehung der Aktien der Gesellschaft zum
Handel im regulierten Markt der Börse Berlin und Stuttgart. Die Aktien der Gesellschaft würden dann
nicht mehr in einem regulierten Markt einer Börse im Inland oder einem vergleichbaren Markt im
Ausland handelbar sein.
Leppersdorf, den 29. September 2015
Der Vorstand
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Spruchverfahren zum Delisting bei der Frogster Interactive Pictures AG:
Anträge nach Frosta-Entscheidung unzulässig
In dem seit 2011 laufenden Spruchverfahren zur Aufhebung der Börsenzulassung (Delisting) der
Aktien der Frogster Interactive Pictures AG, Berlin, hat das Landgericht Berlin mit Beschluss vom 8.
September 2015 aufgrund der zwischenzeitlich geänderten Rechtsprechung des BGH (Frosta-
Entscheidung vom 8. Oktober 2013) die Spruchanträge als unzulässig zurückgewiesen. Es dürfte sich
dabei wohl um das letzte noch anhängige Delisting-Spruchverfahren gehandelt haben.
Das Vertrauen der Antragsteller in die Rechtsprechung des BGH (Macrotron-Rechtsfortbildung) hat
das LG Berlin aber in seiner Kostenentscheidung berücksichtigt. So hat die Antragsgegnerin die
Kosten der Antragsteller zu tragen.
LG Berlin, Az. 102 O 91/11.SpruchG
Wiederhold u.a. ./. Gameforge AG
22 Antragsteller
gemeinsamer Vertreter: RA Dr. Malte Diesselhorst, 10719 Berlin
Antragsgegnerin Gameforge AG anwaltlich nicht vertreten
9. Spruchverfahren aktuell - Nr. 19/2015 SpruchZ 2015 Seite 371
mündlichen Verhandlung diskutiert. Dort gab der Sachverständige die folgende Antwort (Quelle:
Gerichtsprotokoll):
„Lassen Sie mich das anhand eines Beispiels aus der Mengenlehre klarstellen. Die Schnitt-
mengen sind vorhanden, aber nicht sehr umfangreich. Wesentlich größere Unternehmen
wurden nur bei … [B], wesentlich kleinere nur bei … [A] aufgenommen. Bei … [A] war die
Aufnahme von … [B] möglicherweise nicht zwingend, aber vertretbar. Der Bewertungs-
gutachter setzte bei der Ermittlung des Beta-Faktors Jahresscheiben zum 30.6. eines jeden
Jahres an. Dies war vorliegend dann der 30.6.2008. Zu diesem Zeitpunkt war … [B] noch nicht
oder noch nicht so stark von der Abfindungsspekulation beeinflusst, sodass der Beta-Faktor
bei … [A] berücksichtigt werden konnte.“
Diese Ausführungen wurden durch die folgende spontan gezeichnete Abbildung ergänzt (Namens-
beschriftung durch Verwendung der obigen Symbole ersetzt):
Nehmen Sie zu diesen Aussagen des Sachverständigen unter folgenden Aspekten Stellung:
Was ist für die Ermittlung eines Peer Group-Betas hinsichtlich der Vergleichbar-
keitseigenschaft zu fordern?
Darf das Größenargument eine Rolle spielen?
Ist der Verweis auf damals fehlende Abfindungsspekulationen für den später höheren Peer
Group-Wert bei B relevant?
A B
10. Spruchverfahren aktuell - Nr. 19/2015 SpruchZ 2015 Seite 372
c) Ein Landgericht hielt in der Begründung eines seiner Beschlüsse zu Spruchverfahren hinsichtlich
der Bestimmung des Beta-Faktors nach dem Verwerfen anderer Verfahren fest:
„Die Kammer ist deshalb der Ansicht, dass mangels gesicherter Erkenntnisse von dem Durch-
schnittsbetafaktor 1 auszugehen ist. (…) Nach Auffassung der Kammer hat es deshalb bei
einem unverschuldeten Beta von 1 zu verbleiben.“
Welcher fundamentale Fehler ist bereits aus diesen wenigen Zeilen zu erkennen?
Lösungen:
a) Diese Formulierung würde man ohne Kenntnis ihrer Provenienz vermutlich am ehesten dem
Bereich der Politik zuordnen, denn Politiker zeichnen sich oft dadurch aus, Probleme durch
Proklamation der eigenen Deutungshoheit lösen zu wollen. In der Wissenschaft und Praxis der
Unternehmensbewertung sollten entsprechende Versuche eher als unfreiwilliges Kabarett
interpretiert werden, auch wenn gegebenenfalls ergänzende Ausführungen dann die Prozedur
der Ähnlichkeitsidentifikation weiter ausbreiten.
Die Modelllogik des CAPM zeigt zudem, dass solchen Versuchen ein entscheidendes Problem
ent-gegensteht, denn das gleiche Beta folgt nicht notwendigerweise aus der Zugehörigkeit zur
gleichen Branche o.ä., sondern umgekehrt wird ähnliches oder gar gleiches Risiko theoretisch
über einen Vergleich der gemessenen Beta-Faktoren definiert:
„Unternehmen sind gemäß dem CAPM (näherungsweise) gleich, wenn sie ein (näherungs-
weise) gleiches Beta aufweisen. Das Modell lässt die Basis dieser rein stochastisch formu-
lierten Vergleichbarkeit offen – wenn ein Internetbuchhändler das gleiche Beta wie ein
Stahlproduzent aufweist, sind die beiden aus Anlegersicht perfekte Substitute.“
(Knoll in RM 23/2014, S. 21)
Selbst wenn man die Verwendung einer Peer Group hinnehmen möchte, kann durch die in der
Aufgabenstellung zitierte „Qualifikation“ das entscheidende Kriterium gerade nicht geeignet
kontrolliert werden: Die Messung des Beta-Faktors über eine Peer Group unterstellt, dass für alle
betroffenen Unternehmen einschließlich dem Bewertungsobjekt das geschätzte Beta derselben
Verteilungsfunktion unterliegen muss, vgl. Ziemer, ZBB 2012, S. 50. Mir ist kein Fall bekannt, in
dem der ökonometrische Nachweis dieser Eigenschaft geführt worden wäre. Wenn Sie einen
solchen Fall kennen, wäre ich für einen kurzen Hinweis überaus dankbar!
b) Zu den drei Punkten:
Wie gerade festgehalten, unterstellt die Messung des Beta-Faktors über eine Peer Group,
dass für alle betroffenen Unternehmen einschließlich des Bewertungsobjekts das geschätzte
Beta derselben Verteilungsfunktion unterliegen muss. Damit ist die einzige zu betrachtende
11. Spruchverfahren aktuell - Nr. 19/2015 SpruchZ 2015 Seite 373
Menge diejenige der Gesellschaften, deren geschätztes Beta dieselbe Verteilungsfunktion
aufweist:
Selbst wenn man nun diese eigentlich unabdingbare Bedingung aufgibt und Vergleichbarkeit
nicht von einem übergeordneten Maß anhängig macht, sondern für jedes Unternehmen eine
individuelle Kriterienausprägung für die Bestimmung der „Peers-Menge“ heranzieht, muss
zumindest beachtet werden, dass Vergleichbarkeit keine unidirektionale Eigenschaft zweier
Objekte darstellt, sondern eine bidirektionale, was auch die Basis der antragstellerseitig
vorgetragenen Rüge war. Wenn Unternehmen A vergleichbar mit Unternehmen B ist, dann
muss auch Unternehmen B vergleichbar mit Unternehmen A sein. In der bildlichen Dar-
stellung müssen dann aber beide Unternehmen in der Schnittmenge der einzelnen Peer-
Mengen liegen und nicht nur eines wie im Fall der dem Protokoll angehefteten Abbildung B.
In diesem Zusammenhang ist auch der Verweis auf die Größe zu würdigen: Wenn B auch
unter Berücksichtigung der Größe als Peer von A angesehen wurde, kann der Größen-
unterschied vorliegend nicht zum Ausschlusskriterium für A werden.
Das höhere Peer Group-Beta bei B durch die damals fehlende Abfindungsspekulation zu
begründen, ist widersinnig. Abfindungsspekulationen gelten gemeinhin (und tendenziell so
auch aus dem Zitat zu schließen) betadämpfend, so dass das Beta von B am
Bewertungsstichtag von B niedriger als am Bewertungsstichtag von A sein müsste. Nimmt
man die Betrachtung des Unternehmens, wie es am Bewertungsstichtag „steht und liegt“
ernst, müsste man also sogar ein niedrigeres Beta als das damalige Peer Group-Beta von A
heranziehen. Lehnt man diese Vorgabe – aus welchen Gründen auch immer – ab, ergibt sich
aber immer noch kein Grund, das damalige Peer Group-Beta zu erhöhen, denn angesichts
der damaligen Peer-Eigenschaft von B sollte dieses Peer Group-Beta für das „noch nicht oder
noch nicht so stark von der Abfindungsspekulation beeinflusst[e]“ Beta von B repräsentativ
sein.
c) Im Marktdurchschnitt beträgt der verschuldete Beta-Faktor 1. Bereinigt man diesen Wert um die
Nettofinanzschulden, kommt man (abhängig von verwendeter Anpassungsformel und Be-
obachtungsperiode) auf einen Durchschnitt des unverschuldeten Beta-Faktors in einer Größen-
ordnung von etwa 0,75, jedenfalls aber deutlich niedriger als 1, weil im Durchschnitt eine
positive Nettoverschuldung vorliegt.
Fazit: Das Herumhantieren mit der Ähnlichkeit bzw. Repräsentanz erweist sich allzu oft als logische
Mausefalle. Umdefinitionen des eigentlichen Zusammenhangs helfen dabei ebenso wenig wie das
unreflektierte Übernehmen eines allgemeinen Marktdurchschnitts, der nicht nur bei fehlender
A
B