1. wirks Magazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at
«Fülle»
Service und Orientierung für Menschen in der Wirtschaft.
Heute:
• Cradle-to-cradle, die nächste industrielle Revolution -
Idee, Kritik und Interviews mit Albin Kälin und
Reinhard Backhausen
• Management und Füllebewusstsein
• Akteure des Wandels
• ... und andere nützliche Texte
3. wirks Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at
Editorial
von Harald Koisser
Der Sommerbeginn hat uns heuer, der Notwendigkeit eines Füllebewusst- werden. An Lärm und Tempo hatten
trotz regenerischen Bedingungen, in seins im Management und sehen, wie wir genug, jetzt ist die Zeit von Reife
Wallung gebracht. wirks wollte in die die Pioneers of Change, ein Lern- und und Besinnung. Zeit für wirks.
Welt. wirks ist ein Magazin für Zu- Werdegang für AkteurInnen des Wan-
kunftskompetenz und richtet sich an dels, aus einer Fülle von Ideen zu-
Wirtschaftstreibende. Es soll jenen, kunftstaugliche Projekte entwickeln.
welche in Zeiten des Wandels die
Ökonomie in die Zukunft führen müs- Fülle! Von diesem Zustand ist die
sen, Service und Orientierung bieten. erste Ausgabe von wirks getränkt.
Es ist soviel da, was Mut macht. Fülle!
Service und Orientierung – nichts wird Ein Zustand, der nun vom Sommer
gerade jetzt so sehr gebraucht, wo eingeläutet wird. Die Natur begibt sich
Unsicherheit, Fundamentalismus und in ihre satte, überschäumende Periode.
Okkultismus erblühen. Wir unterstüt- Sie ist in voller Entfaltung. Nichts
zen die positiven Kräfte des Wandels weniger schien uns als Leitthema für
und leuchten journalistisch die Zukunft diese erste Ausgabe angemessen.
aus.
Wir folgen mit der Erscheinungsweise
Unser Scheinwerferlicht fällt dabei auf von wirks dem Naturjahr und seiner
auf nichts weniger als „die nächste jeweiligen Qualität, somit jenem
industrielle Revolution“, wie ein Prin- natürlichen Rhythmus, der den indu-
zip namens Cradle-to-cradle gerne strialisierten Menschen und ihren öko-
euphorisch genannt wird. Produkte nomischen Prozessen abhanden
sollen so gestaltet werden, dass sie gekommen ist. Dass das Magazin
niemals zu Abfall werden und man sie „nur“ vier Mal pro Jahr herauskommt,
plötzlich – horribile dictu – sinnvoll darf als Zeichen jener Rückbesinnung
verschwenden kann. Wir erfahren von auf natürliche Rhythmen verstanden
Editorial zur
ersten Ausgabe von wirks
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Inhalt
Cradle-to-cradle
• Cradle-to-cradle, das natürlichste Prinzip der Welt fünf
• „Abfall existiert nicht“ - Interview mit Albin Kälin, dem Entdecker des C2C-Prinzips sieben
• C2C Geschichte zwölf
• „Denkende Stof fe“ - Interview mit Reinhard Backhausen dreizehn
• Die C2C-Community (Auswahl an C2C-Produkten und -Dienstleistungen) siebzehn
• Ameise, Regenwurm und Berggorilla neunzehn
• Cradle-to-cradle, die nächste Sau, die man durch das globale Dorf treibt? einundzwanzig
• Bin ich kreislauffähig? (satirische Anmerkung) siebenundzwanzig
Gaia: Zeit der Fülle achtundzwanzig
Ein Bewusstsein von Fülle - Interview mit Wolfgang Stabentheiner, Begründer der Future-Methode dreißig
Tipps vierunddreißig
Akteure des Wandels
• Pioneers of Change sechsunddreißig
• Natur und Kunststoff - das muss kein Widerspruch sein (kompostierbare Flaschen und Frischhaltebeutel) neununddreißig
Für Sie gelesen - Theorie der Unbildung und die Parabel des Schachpielers aus Hermann Hesses Steppenwolf vierzig
Begriff & Erhellung zweiundvierzig
Kunst - In der Schaudeponie (Upcycling: wie aus Müll Produkte mit Ewigkeitswert werden) vierundvierzig
Über uns sechsundvierzig
Impressum siebenundvierzig
5. Cradle-to-cradle – das
natürlichste Prinzip der Welt
Was mit einem schicken englischen Modebegriff daher kommt, beschreibt nichts als das natürlichste Prinzip
der Welt. Der Mensch erinnert sich an sich selbst. Text von Harald Koisser
Was ist cradle-to-cradle? Eine Wort- läufe, sei es, dass sie total verrottbar schreibt letztlich nichts als das natür-
schöpfung des deutschen Chemikers sind und zB. als Dünger verwendet lichste Prinzip der Welt, welches der
Michael Braungart, basierend auf einer werden können („biologische Nähr- Chemiker Hanswerner Mackwitz „das
Idee des Schweizer Textilkaufmanns stoffe“), sei es, dass sie nach Ge- vielseitige schöpferische Vermögen der
Albin Kälin. Während alle Produkte, brauch wieder zu Ausgangsmaterial Natur“ nennt, welches „respektvoll
welche der Mensch herstellt, „von der von anderen Produkten werden annerkannt und genutzt“ werden
Wiege ins Grab“ (cradle-to-grave) („technische Nährstoffe“). Die Idee in möge. Es gelte, Diversität zu feiern.
führen, weil alles irgendwann immer Kürze: Abfall = Nährstoff. Wobei auch Die Erde ist so aufgebaut, dass alle
auf Mülldeponien landet, möge man diese Formel schon falsch ist, wie Stoffströme sich in ewigen Kreisläufen
sich die Natur zum Vorbild nehmen, Braungart anmerkt, weil man den befinden. Eine kleine Insel im Univer-
wo niemals Abfall anfällt und immer Terminus „Abfall“ gänzlich aus dem sum muss nolens volens mit dem aus-
alles wiederverwertet wird. Alles, was Vokabular streichen sollte. Es soll zukommen, was da ist. Ein bisschen
endet, ist wieder Nährstoff für etwas nichts mehr geben, was man als Abfall Zufuhr an Metall von außen gibt es ab
Neues. Stoffe reisen somit „von der bezeichnen kann. Zahlreiche Projekte und zu, wenn ein Meteor auf der
Wiege zu Wiege“ (cradle-to-cradle). zeigen, dass das machbar ist. Jüngstes
Nach diesem natürlichen Prinzip soll Beispiel: die österreichische Firma C2C - ein Etikett für das 3,5 Mrd
der Mensch seine Welt gestalten. Backhausen hat ihre Produktion kom- Jahre alte Betriebssystem der Erde
plett nach cradle-to-cradle ausgerich-
Es geht hier nicht um Downcycling tet. Erdoberfläche einschlägt, aber mehr
oder Resteverwertung, sondern um Geschenke des Universums darf man
eine hundertprozentige Wiederein- Was hier mit einem schicken engli- sich nicht erwarten. Die Natur ist
bringung von Stoffen in neue Kreis- schen Modebegriff daher kommt, be- Meisterin im Verwerten. Alles was
Cradle-to-cradle
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vergeht, geht ein und auf in etwas Selbstverständlichste unter einem zeit-
anderem. Sondermülldeponien gibt es geistigen Markennamen neu verkau-
in der Natur keine. „Cradle-to-cradle“ fen müssen. Cradle-to-cradle ist nichts,
ist somit bloß ein Etikett, welches auf was erfunden wurde, es ist keine
das seit 3,5 Milliarden Jahren erfolgrei- Innovation, es ist die Erinnerung des
che Betriebssystem dieses Planeten Menschen an sich selbst, sein Télos.
geklebt wird. So wie auf eine Banane Diesen griechischen Begriff kann man
ein Markenname geklebt wird, als mit „Ziel“ übersetzen. Jeder Mensch
hätte „Chiquita“ die Banane erfunden hat sein Ziel, doch nicht in dem Sinne
und erzeugt. wie ein Manager Ziele hat, sondern
im Sinne von Zweckbestimmtheit.
Der Mensch entdeckt, dass er Dieser Télos lässt sich nicht erschaffen,
Bestandteil der Natur ist er ist stets da und kann nur erinnert
und wieder-gefunden werden. C2C ist
Es ist das zweifelhafte Privileg des die Wiederentdeckung des Umstandes,
Menschen, etwas unwiderbringlich dass der Mensch Bestandteil der Natur
von dieser Lebenskugel zu entfernen. ist, einer Natur, die in endlosen Kreis-
So weit sind wir also, dass wir uns läufen agiert, weil dies die einzige
selbst das Allernatürlichste und Möglichkeit ist zu bestehen.
Cradle-to-cradle
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7. „Abfall existiert nicht“
Harald Koisser im Gespräch mit Albin Kälin, dem Pionier einer Denkungsart, die sich „Cradle to Cradle“
(C2C) nennt und von der man sich nicht weniger als „die nächste industrielle Revolution“ (so der deutsche
Chemiker Michael Braungart) verspricht.
Herr Kälin, Sie haben das weltweit ten drei Jahre beraten. Die Holländer Konsumenten zu treten, das wissen
erste Cradle to Cradle Projekt durch- wissen jetzt wie es geht. Jetzt kommt wir alle. Es erweist sich, dass Cradle to
geführt, was ist Cradle to Cradle der nächste Schritt. In der Region Cradle somit auch die Unternehmens-
überhaupt ? Stuttgart, München, Wien, Mailand, kommunikation ändert. Das Unter-
Lyon, dem industrielle Herz Europas, nehmen wird eine andere Partner-
Cradle to Cradle ist ein Denken in wollen wir innovative Unternehmen schaft eingehen mit den Kunden, weil
Kreisläufen. Man sollte Produkte mit C2C vertraut machen. man wissen muss, wohin die Produkte
machen, wo die Materialien so defi- verkauft werden. Und von den Liefer-
niert sind, dass sie sicher sind für bio- Um präzise zu fassen, was Cradle to anten muss man wissen, was sie in ein
logische oder technische Kreisläufe. Cradle ist: Es ist eigentlich ein Tool, Produkt, das man selbst weiterverar-
Wir dürfen keinen Rohstoffe verlieren, welches sich auf stofflicher Ebene beitet, hinein tun.
nichts darf jemals Abfall werden. Das bewegt, und dort eine völlig neue
bedingt, dass wir auch ein anderes Antwort versucht, welche darin C2C macht Schluss damit, immer nur
Wirtschaften aufbauen müssen. besteht, dass ein Material, was immer den billigsten Rohstoff zu verwenden
es auch sein mag, niemals zu Abfall
Ich habe das allererste Cradle to wird. Wenn man in Kreisläufen denkt und
Cradle - Produkt überhaupt gemacht. sein eigenes Produkt zum Wiederver-
Das war 1993. Mittlerweile ist die Idee Die Philosopie besteht darin, dass werten zurück erhält, dann muss man
sehr populär geworden, insbesondere Abfall gar nicht existiert. Wir reden nicht mehr unbedingt den billigsten
in Holland. Holland möchte ein Cradle nicht einmal von Abfall, wir reden von Rohstoff einzusetzen, sondern kann
to Cradle-Land werden, weil sie sich in Nährstoffen. Biologische Nährstoffe, jenen verwenden, der sich am besten
einer Krise befinden. Sie haben in dem technische Nährstoffe. Da stellen sich für Kreislaufwirtschaft eignet.
Al Gore-Film gesehen, dass ihr Land neue Herausforderungen in allem:
plötzlich nicht mehr auf der Landkarte Engineering, Marketing, Kommuni- All die Kunststoffe, die wir heute ken-
war. Das schien der Regierung keine kation, ...! Wenn ich Rohstoffe in ewi- nen, sind ja nicht in Hinblick auf meh-
tolle Perspektive. Man hat zukunfts- gen Kreisläufen bewege, dann muss rere Leben entwickelt worden. Darum
taugliche Ansätze gesucht und ist auf ich Produkte nach ihrer Verwendung reden wir heute von Recycling oder
Cradle to Cradle gestoßen. Die wollen vom Konsumenten zurückbekommen. Downcycling. Das Neue besteht darin,
nun die ganze Infrastruktur im Land Sonst gehen sie für den Kreislauf ver- Kunststoffe zu entwickeln, die ein ewi-
kreislauffähig gestalten. Um dorthin zu loren. Wie schwierig es für ein Unter- ges Leben haben können bei gleich-
kommen, haben wir das Land die letz- nehmen ist, in direkten Dialog mit den bleibender Qualität. Dann verlieren wir Cradle-to-cradle
Interview mit Albin Kälin
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den Rohstoff und seine Eigenschaften ist. Altpapier hat zum Teil chemische Sie sagen, das erste C2C-Projekt
nicht. Das ist auch ein enormer finan- Substanzen, die nicht sicher sind für stammt aus dem Jahr 1993.
zieller Anreiz. biologische Systeme. Wir haben die Was war das?
Qualität dieses Toilettenpapiers ver-
Protagonisten der chemischen Indus- bessert, indem wir einen Recycling- Das war ein Möbelbezugsstoff, primär
trie würden Ihnen widersprechen oder betrieb gefunden haben, der das aus Wolle und aus Ramie, einer
zumindest skeptisch sein. Wir sitzen Ausgangsmaterial verbessert hat. Aber Bastfaser. Die hatte eine spezielle
hier in einem Raum mit Möbel, wir ein Papierrecyclingbetrieb kann auch Funktion: klimatisiertes Sitzen, also,
haben Kleidung an, vor uns steht ein nicht einfach so sagen: okay, ich liefe- dass man weniger schwitzt, und das
Mikrofon mit einem Computer. Über- re besseres Ausgangsmaterial für dein hat man dann auch so konzipiert, dass
all ist Technik und vor allem Chemie Toilettepapier. Die sind ja auch wieder es sicher in biologische Kreisläufe
drinnen. Kriegt man sie da überall auf Rohstoff angewiesen, auf jenes geführt werden konnte, - auch die
auch wieder raus ? Altpapier, das wir alle wegschmeißen. Farbstoffe. Da gab es zuerst großen
Da haben wir u.a. eine Bank gefun- Widerstand der Farbstoffchemie. Aber
Es geht nicht darum, Chemie rauszu- den, die aus Datenschutzgründen viele schließlich haben sie alle Daten offen
kriegen. Wir brauchen die richtige Akten, also Papier, zur Vernichtung gelegt und wir sahen: von 1.600
Chemie. bringt. Wir konnten zwischen Bank, Farbstoffen konnten wir gerade einmal
Recyclingbetrieb und Toilettepapier- 16 verwenden, also 1 %.
Es geht nicht darum, die Chemie raus- hersteller einen sinnvollen Kreislauf
zukriegen. Das ist genau der Punkt. herstellen. Man schafft so neue Opor- Unser Ziel war, essbare Textilien zu
Wir müssen die richtige Chemie ein- tunitäten, die auch wirtschaftlich sehr machen. Warum essbar? Weil immer
setzen. Also Chemie, die sicher ist für förderlich sind. Abrieb entsteht und Fasern in die Luft
Mensch und Umwelt, für biologische kommen, inhaliert sie der Mensch. Das
und technische Systeme. Wenn eine Es hätte also auf keinen Fall gereicht, war 1993 ziemlich verrückt. Freunde
Substanz sicher ist für ein biologisches zum Produzenten des Toilettenpapiers von mir haben gesagt, da kommt der
System, dann ist es richtig. Dann ist es zu gehen und ihm eine Umstellung „Komposti“. Das wollte ich überhaupt
vereint mit der Natur. Dann brauchts der Produktion auf C2C-Standard nicht sein, ich bin auch nicht grün.
keine Regulierung mehr. Wir alle sind schmackhaft zu machen. Weil er dann Aber man hat auch erst ein Wording
erzogen worden, dass wir eigentlich gesagt hätte: „Schön und gut, Herr finden müssen.
immer das Negative in den Vorder- Kälin, nur wo bekomme ich nicht
grund rücken, und das ist genau das kontaminierten Rohstoff her?“ Wie haben Sie denn den allerersten
Interessante an Cradle to Cradle. Es ist Auftraggeber davon überzeugen
positiv definiert. Wir alle sind erzogen Es genügt nicht, eine Firma zu über- können zu diesen mutigen, eigentlich
worden, linear zu denken statt in zeugen. Man braucht die ganze Kette. auch riskanten Schritt. Es geht ja doch
Kreisläufen. um die Umstellung einer Produktion.
Eben, genau das ist dieses System-
Wir haben ein Projekt in Holland, wo denken über diese ganzen Lieferket- Stimmt, es war ein kolossales Umden-
es um Toilettenpapier ging. Für die ten, diese Stoffströme, da muss man ken in der Produktion, denken Sie nur
Herstellung verwendet man Altpapier, vernetzt denken. Es genügt eben an die Färberei. Der Betrieb war in der
Cradle-to-cradle wo eigentlich die falsche Chemie drin nicht, nur einen Partner zu überzeu- Schweiz, südlich vom Bodensee, dem
Interview mit Albin Kälin gen, man braucht die ganze Kette.
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9. größten Trinkwasserreservoir von ist, weil man über die Kompostierung Es ist sehr interessant zu hören, dass,
Europa. Wir haben das hinbekommen, den Kreislauf schließen kann. Bei wenn man sich einmal auf Cradle to
dass die Färberei das Abwasser ohne Backhausen war es viel komplexer, Cradle eingelassen hat, sich in Folge
Klärung abführen konnte. Es hatte weil man die Kompostierbarkeit gleich das Denken und Handeln ganz auto-
den Status von Trinkwasser. Das war einmal vergessen konnte. Flammhem- matisch ändern, - ändern müssen. Auf
phänomenal. mende Fasern sind nun einmal aus einmal entsteht so etwas wie eine
Ja, wie überzeugt man einen Kunden? Kunststoff. Ein biologischer Kreislauf kooperative Wirtschaft.
Im vorhinein weiß man ja nicht, was schied somit aus, wir mussten einen
für ein Erfolg das sein kann. Den Kun- technischen Kreislauf schaffen. Wenn Das ist ein schöner Begriff. Es geht
den haben wir nicht primär in Europa etwas nicht kompostierbar ist, also darum, ein neues Verständnis zu ent-
gefunden, sondern im Land der unbe- von der Natur aufgenommen werden wickeln und gemeinsam am Markt
grenzten Möglichkeiten. Die haben kann, dann muss es endlos in techni- erfolgreich zu sein.
einfach etwas gewagt und es war ein schen Kreisläufen gehalten werden.
Erfolg. Wir haben 19 internationale Im Prinzip schafft es auch ein neues
Auszeichnungen erhalten und dann Ein einzelner Betrieb kann das nie Denken der Konsumenten.
kam plötzlich die Nachfrage vom schaffen. Man braucht Volumen. Und
Markt. Wir hatten dem ersten Kunden damit Kooperation. Das ist das Herausragende an Cradel
allerdings Exklusivität des Konzeptes to Cradel, dass man plötzlich ver-
versprochen und haben nun zu disku- Backhausen macht das, indem er schwenderisch sein kann. Stoffe wer-
tieren begonnen. Wir argumentierten, heute eine Rücknahmegarantie für alte den in Kreisläufen geführt, also ich
dass das, wenn es einen derart tollen Stoffe abgibt, um sie der Wiederauf- kann nach Lust und Laune damit
biologischen Effekt hat, alle anderen bereitung zuführen zu können. umgehen, es kommt immer wieder
auch machen müssen. Wir haben ihn Backhausen ist auch bereit, sein zurück und es richtet keinen Schaden
gefagt, ob er nicht auch Mitbewerber Know-how an die Mitbewerber zu an weil es positiv definiert ist.
hätte, die fair sind. Er hat schließlich geben, einfach weil man Volumen
eingewilligt und die Mitbewerber braucht. Je mehr sichere Produkte am Wenn man sich das alles anhört und
haben das übernommen, und haben Markt sind, desto sicherer bekommt bedenkt, dass das erste Projekt 1993
auf allen ihren Musterkarten hinge- man tauglichen Nährstoff für die Pro- durchgeführt worden ist - und wir
schrieben, dass die Initiative durch duktion. Ein einzelner Betrieb kann das schreiben jetzt das Jahr 2010 - dann
jene Firma gekommen ist. So haben nie schaffen. Das eröffnet neue Ge- fragt man sich, wieso eigentlich nichts
alle gewonnen. schäftsmöglichkeiten in der Zukunft, passiert ist bis jetzt, warum eigentlich
z.B. können sich Partner zu einem Cradle to Cradle immer noch wie eine
Jetzt, 17 Jahre später, haben wir ein Konsortium zusammenschließen und Art Geheimwissenschaft gehandelt
Beispiel aus Österreich. Backhausen einem großen Abnehmer ein gemein- wird ?
hat die Produktion unter Ihrer Be- sames Angebot machen. Und die wer-
ratung auch in diesem Sinne umge- den diese Produkte nicht mehr verkau- Ja, das frustriert mich auch, um ehrlich
stellt, darf man sich das jetzt ähnlich fen, sondern z.B. für fünf Jahre ver- zu sein, aber seit Januar 2010 gibt es
vorstellen wie bei Ihrem ersten Projekt? mieten. Die Stoffe werden zurückge- eine gewisse Dynamik, wir haben auch
nommen und durch neue ersetzt und hier in Wien eine Kooperation mit dem
Das erste Projekt war ein biologischer ein neuer Mietvertrag wird aufgesetzt. Institut für Ökologie, Technik und Cradle-to-cradle
Kreislauf, was natürlich viel einfacher Interview mit Albin Kälin
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Innovation, dem ÖTI, gestartet. Es und wahrzunehmen. Die Rahmenbe- Wenn Sie das zu stark in bestehende
muss sich etwas tun, denn wir haben dingungen sind nicht auf ein Kreislauf- Institutionen oder Organisationen ein-
nicht mehr allzuviel Zeit. Unser Haupt- denken ausgelegt; die Gesetzesstruk- fließen lassen, ist das Ergebnis immer
problem ist nicht das Energieproblem, tur ist oft hinderlich. Es klappt aber, der kleinste gemeinsame Nenner. Jetzt,
welches bloß ein technisches Problem wenn wir es schaffen, möglichst viele wo bereits einige Zertifizierungen ge-
ist, weil wir die Sonne als unerschöpfli- Akteure zu finden, die bereit sind, laufen sind, denken die Philosophen
che Energiequelle haben. Wir wissen diese Veränderung anzugehen. Wir und Erfinder von Cradle to Cradle -
bloß noch nicht genau, wie wir sie am sehen das zum Beispiel in der Chemie- William McDonough und Michael
Besten nutzen. Viel gravierender sind industrie. Die Chemieindustie hat zum Braungart - darüber nach, die Zertifi-
die Rohstoffe, denn die gehen uns Teil sehr sehr gute Produkte. Aber sie zierung an andere Institutionen zu
aus. Und so wie wir in der Industrie hat es schwer, diese guten Produkte in übergeben. Dieser Prozess ist schon im
funktionieren, wie wir mit den Roh- die Industriekette hineinzubringen. Sie Gange.
stoffen umgehen, geht das nicht mehr müssen die Prozesse verändern, sie
lange gut. Wir dürfen die Rohstoffe müssen die Rezepturen verändern, sie Wenn es nicht gelingt, den Unter-
nicht verlieren. Denken Sie an Kupfer, müssen alles wieder neu testen, sie schied der Qualität aufzuzeigen und
das haben wir noch 30 Jahre, dann ist müssen die Verkaufsunterlagen abän- zu dokumentieren, dann wird diese
Schluss. Denken Sie an Phosphat, den- dern, usw.; das tut die Industrie nicht ganze Cradle to Cradle-Bewegung wie
ken Sie auch an Öl. Also alle diese so gern. Das tut niemand gerne. viele andere Bewegungen irgendwann
Rohstoffe gehen zu Ende. Wir sollten Cradle to Cradle ist aber eine Riesen- einmal verflachen und dann wird man
eigentlich auch für die nächsten chance, weil man plötzlich in alles „die sagen, es ist halt dasselbe wie alles
Generationen eine Verantwortung guten Dinge“ reinpacken kann. andere auch.
übernehmen und sollten denen die
Möglichkeit geben, dass sie sich auch EPEA zertifiziert ja auch diesen Cradle Wenn man ein Gebäude abreißt,
entwickeln können und so arbeiten to Cradle Prozess. Wie darf man sich kommt so ein Riesenmonster und
und leben können, wie sie es für rich- das vorstellen? haut alles zusammen. Das ist ja nicht
tig erachten. unbedingt Kreislaufführung.
Es gibt 4 Levels: Basic, Silber, Gold und
Die Rahmenbedingungen sind nicht Platinum. Firma Backhausen z.B. ist Der Unterschied ist bestechend, aber
auf ein Kreislaufdenken ausgerichtet. mit Gold zertifiziert. Es gibt auch Stoffe sind das eine, ganze Häuser mit
Kritik, weil diese Zertifizierung eine Stahl-, Glas- und Holzkonstruktionen
Sie haben die Industrie erwähnt. Jetzt private Initiative ist. Wir mussten aber und vielen Bauelementen sind etwas
ist es so, dass die Industrie gelernte unbedingt einen neuen Qualitäts- anderes. Ist das auch machbar?
Prozesse fährt, und diese Prozesse in begriff etablieren. Einen neuen Quali-
Gesetzesstrukturen eingebettet sind, tätsanspruch kann man eigentlich nur, Das ist machbar. Das beweisen wir
das heißt sie stechen hier in ein ohne dass ich da irgendwie chauvini- eigentlich. Es gibt ein gutes Beispiel in
System hinein, das sehr gefestigt ist. stisch bin, auf einer privaten Basis Österreich, die Firma Thoma. Die
angehen. bauen Häuser ausschließlich aus Holz,
Das ist korrekt. Wir müssen nur uns das heißt auch die Verbindungen sind
selber betrachten, wie schwer wir uns Weil? holztechnisch gelöst ist, ganz ohne
Cradle-to-cradle tun, Veränderungen zu akzeptieren Kleber.
Interview mit Albin Kälin
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11. Wenn Sie ein Gebäude abreißen wol- Das heißt, dass eigentlich jeder
len, kommt so ein Riesenmonster und Unternehmer, jeder Manager, wel-
haut das Zeugs zusammen. Das ist ja chem Unternehmen er jetzt auch
nicht unbedingt Kreislaufführung, wie immer vorsteht, sich mit dem Cradle-
wir uns das vorstellen. In Holland gibt Gedanken auseinandersetzen sollte,
es jetzt ein Projekt mit Fliesen, wo wir weil man immer in irgendeiner Form
die Frage stellen, wie man Fliesen wie- mit Stoffen zu tun hat, und es auch
der leicht vom Gebäude demontieren auf einer abstrakteren Ebene neue
kann. Wenn das gelingt, dann kann Impulse geben kann.
man Fliesen und andere Materialien
auch wieder sortenrein herausnehmen Das würde ich genau so unterstützen
und in den Kreislauf überführen. Das und wir kommen ganz schnell in die
revolutioniert auch die Bauindustrie, Situation, wo wir wirklich etwas
die ja einer der größten Materialver- wesentlich verändern müssen weil die
braucher überhaupt ist. Probleme immer unkontrollierbarer auf
uns zu rollen. Wir müssen das Um-
In ihrem Portfolio führen Sie ja nicht denken beginnen, insbesondere unse-
nur potentielle Kunden, Produktgrup- ren Kindern zuliebe.
pen aus der Reihe der stofflichen
Ebene an, sondern Sie ermuntern auch Das war jetzt eigentlich schon der
Dienstleistungsbetriebe, sich mit dem berühmte Wunsch für die Zukunft
Cradle – Gedanken auseinanderzuset- zum Schluss. Sie sagen, es ist aber
zen: Tourismus, Behörden, Logistik. etwas in Bewegung gekommen in
den letzten Jahren. Was genau?
Es geht überall um Stoffströme. Jeder
Manager sollte sich mit C2C ausein- Holland, ein ganzes Land! Kalifornien,
andersetzen. ein Bundesstaat! Sie haben sich dem
C2C-Gedanken verschrieben und das
Es geht überall um Stoffströme, auch kann man durchaus eine gewaltige
und gerade im Tourismus. Die Peaks in Bewegung nennen. In Holland hat die
der Saison mit den ganzen Abfällen, Regierung entschieden, ihre Einkaufs-
die dort erzeugt werden, oder wie richtlinien, und da geht es um 40 Mrd
man mit der Natur umgeht! Warum EUR, so zu verändern, dass Cradle to
nicht Stoffströme ganzer Regionen Cradle Produkte bevorzugt werden.
neu denken? Warum nicht endlich ein
Blick auf das Facility Management, Ja, Herr Kälin, dann hoffe ich, dass ich
also Gebäudemanagement? Wir wol- das nächste Interview mit einem
len gar nicht auf der stofflichen Ebene Computer führe, der bereits komplett
stehen bleiben. Wir müssen mit C2C „gecradlet“ ist.
in die komplexeren Systeme. Cradle-to-cradle
Das wäre cool. Interview mit Albin Kälin
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12. wirks Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at
C2C Geschichte
1987: Michael Braungart und andere Schlossberg ein Set von Frottierwäsche 2009: Der Österreichische Textilher-
Greenpeace-Aktivisten besetzen einen und Bademänteln. Übersicht über eini- steller Backhausen stellt unter Be-
der Schornsteine des Schweizer ge Case Studies findet man auf der ratung von EPEA seine komplette
Chemiekonzerns Ciba-Geigy (heute Website von EPEA Switzerland: Produktion auf C2C um.
Novartis) wegen einer katastrophalen http://www.epeaswitzerland.com/
Verschmutzung des Rhein durch den
Konzern. Braungart gründet EPEA 2005: Der deutsche Chemiker Michael
(Environmental Protection Encourage- Braungart holt Kälin nach Hamburg. Er
ment Agency). erfindet die Bezeichnung „Cradle-to-
cradle (C2C)“ und zieht seither als
1993: Der Schweizer Textilkaufmann genialer Wanderprediger durch TV-
Albin Kälin hat eine bahnbrechende Shows und Umweltkongresse. Im
Idee, welche der Firma Rohner Textil, Amerika übernimmt diese Rolle der
deren Geschäftsführer Kälin damals Architekt William McDonough.
war, zahlreiche Auszeichnungen und Braungart und McDonough haben
Designpreise einbrachte. Die Rohner- gemeinsam ein Standardwerk über
Produktlinie Climatex (climatex.com) C2C herausgebracht, ein Buch, das
wird zum weltweit ersten Cradle-to- bizarrerweise aus Plastik ist (siehe kriti-
cradle-Produkt, auch wenn dieser Ter- sche Anmerkung).
minus damals noch nicht gebraucht
wurde. Gründung der Beratungsfirma EPEA
(www.epea.com) durch Braungart.
Das Projekt wird filmisch dokumen- Kälin wird Geschäftsführer und berät
tiert, Kälins Idee wird von Universitä- u.a. die Niederlande, die vorhaben, als
ten und Wissenschaft gewürdigt. Trotz ganzes Land komplett nach C2C zu
großartigem Echo passiert aber in der leben!
Industrie nichts. Die Projekte bleiben
überschaubar: Triumph bringt eine EPEA vergibt C2C-Zertifizierungen in
Damenwäscheserie aus rein ökologi- Silber, Gold und Platin, was Braungart
scher Baumwolle namens Pure Origin zu Anfällen von Selbstironie bringt
auf den Markt, die Schweizer Firma (siehe „kritische Anmerkungen“).
Cradle-to-cradle
Geschichte
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13. Denkende Stoffe
Ing. Reinhard Backhausen über den „Stoff der vielen Leben“, zwei Jahre Forschung am Rande des
Scheiterns und warum man niemals aufgeben darf. Backhausen hat die gesamte Produktion in einem
Gewaltakt auf Cradle-to-cradle umgestellt. Interview: Harald Koisser
Sie haben einen Stoff entwickelt, der an die Halbwertszeiten von Kunststoff Welt gehen. Wir gehören zu denen,
Returnity heißt. Was darf man sich denke. die jetzt schon ein Produkt anbieten
unter diesem Kunstbegriff vorstellen? können, nämlich Möbelstoffe und
Eternity heißt hier „ewig im Kreislauf“, Vorhangstoffe.
Returnity findet man nicht im Lexikon. darum sprechen wir auch vom „Stoff
Das setzt sich zusammen aus Return der vielen Leben“. Wichtig ist, dass Wie reagiert der Markt auf Ihre
(zurückgeben) und Eternity (die Ewig- wir ressourcenschonend und abfallver- Innovation?
keit). Es ist eine Weltneuheit – der meidend denken. Wir werden in Zu-
erste Flammhemmstoff, der umwelt- kunft ein riesiges Ressourcenproblem Sehr aufgeschlossen, aber es gibt auch
freundlich produziert und recycling- haben. Heute leben 6,5 Mrd Men- diejenigen, die beim Fenster hinaus-
fähig nach der Cradle-to-cradle-Philo- schen auf der Welt, irgendwann wer- schauen und sagen: Eh noch alles in
sophie ist. Wir haben den gesamten den es 9 Mrd sein. Dafür reichen die Ordnung. Vielleicht müssen noch
Produktionsprozess umweltfreundlich Ressourcen nicht aus. Da sind die mehr Umweltkatastrophen passieren,
gestaltet, wir haben zum Beispiel aus Industrie und die Politiker gefordert, damit die Menschen aufwachen und
den Farbstoffen und Ausrüstungs- alternative Konzepte zu entwickeln. sehen, dass es schon 2 vor 12 ist und
chemikalien die bedenklichen Sub- etwas getan werden muss. Je mehr
stanzen entfernt. Wir arbeiten also mit Ist Returnity Ihr persönlicher Wunsch, sich dem Cradle-to-cradle-Movement
völlig anderen Farbstoffen als zuvor. sich mit der Welt zu versöhnen? anschließen, desto eher kann es um-
Und wir haben das Versprechen gesetzt werden. Und es muss schnell
gegenüber unseren Kunden abgege- Es ist ein Herzensanliegen, aber auch umgesetzt werden, denn wir brauchen
ben, dass wir den Stoff nach der Notwendigkeit. Wir sind in der Textil- Mengen an Material für ein günstiges
Verwendung zurücknehmen. Der industrie Vorreiter und hoffen, dass Recycling.
Kunde muss nur ein E-Mail an uns andere mitziehen. Cradle-to-cradle
schreiben und wir organisieren das wird sich absolut durchsetzen. Holland Im Moment erweist es sich also noch
Cradle-to-cradle-gerechte Recycling. will 2012 eine ganze Stadt umstellen, nicht als Vorteil im Marketing, mit so
Es darf dabei kein Abfall entstehen, sodass dort kein Abfall produziert einem neuen Konzept hinauszugehen?
sondern muss komplett zu einem wird. Arnold Schwarzenegger hat
neuen Produkt werden. Cradle-to-cradle in sein Regierungs- Der Vorteil liegt darin, dass wir
programm aufgenommen und jetzt im Umweltbewusstsein wecken. Die
Dann muss ich mich bei dem Wort Mai das erste Cradle-Institut in San Leute verstehen das Prinzip ja sehr Cradle-to-cradle
Eternity nicht schrecken, weil ich da Francisco eröffnet. Das wird um die schnell. Außerdem hat der Kunde Interview mit
Reinhard Backhausen
Seite 13
14. wirks Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at
einen messbaren Vorteil. Wenn er ein wir auf so breiter Basis agieren, dann auch um die Frage, wie man Energie
Produkt zurückgibt, bekommt er werden auch die Mengen zustande gewinnt. Wir mussten auch mit der
Rabatt auf künftige Returnity- kommen. EVN klären, dass wir einen hohen
Bestellungen. Anteil an Wind- und Sonnenenergie
Das ist eine höchst ungewöhnliche wollen. Erst das gesamte Maßnah-
Wann werden die ersten Stoffe Aussage von einem Unternehmer in menpaket führt zu einer Cradle-to-
zurückkommen? einer Zeit, wo man sehr auf seinen cradle-Zertifizierung. Wir haben diese
Patenten sitzt und sich daraus Zertifizierung in Gold bekommen und
Wir haben voriges Jahr unsere gesam- Wettbewerbsvorteile erhofft. da sind wir stolz darauf, weil wir uns
te Produktion und sämtliche Kollek- enorm bemüht haben. Es hat auch
tionen umgestellt. Ein Kunde kann Ich möchte auf keinen Fall alleine Situationen gegeben, wo Mitarbeiter
jederzeit einen Stoff zurückgeben, auf dem System sitzen. gesagt haben: das geht einfach nicht.
allerdings haben die sehr gute Qualität Wir hatten etwa große Probleme mit
und ich schätze, dass es nun zwischen Es funktioniert aber nur so. Ich möchte der Farbe Schwarz und einem Dunkel-
drei und fünf Jahre dauern wird, bis auf keinen Fall alleine auf dem System rot. Ich habe einfach weiterforschen
etwas zurückkommt. Wir sind jeden- sitzen. Es wird sich ja auf alle Bereiche lassen, bis wir schließlich eine Lösung
falls vorbereitet darauf. Das erstrecken. Es wird Cradle-to-cradle- gefunden haben.
Recyclingsystem steht. Autos geben, ein völlig anderes Den-
ken muss Einzug halten, wir müssen So wie das jetzt sagen, klingt das sehr
Sie haben gesagt, dass Sie Mengen mehr partnerschaftlich agieren. souverän, aber ich vermute, sie haben
brauchen. Wenn das in drei Jahren auch dem Scheitern ins Auge gesehen.
hereintröpfelt, kommen wohl keine Wo liegen denn die größten Hürden
Mengen zustande. bei einer Umstellung? Liegen sie im Ja, aber wenn man nach der Devise
Kopf? In der Produktion? lebt „niemals aufgeben“ tut man sich
Wenn nur die Firma Backhausen das nicht so schwer. Ich hatte das Ziel
verfolgen würde, funktioniert das nie Zuerst einmal muss man die eigenen genau vor Augen. Es tut sich immer
im Leben. Leute davon überzeugen. Das kann irgendwo eine Tür auf.
man nicht mit einer Veranstaltung in
Die Cradle-Community muss wachsen. der Firma abtun. Da muss man sich Wie bleibt man dran? Haben Sie ein
Wir arbeiten daher in drei Richtungen. mit den Leuten auch einzeln auseinan- persönliches Geheimnis?
Das eine ist die eigene Kollektion. dersetzen und zwar nicht nur in der
Zweitens produzieren wir für Produktion, sondern auch im Vertrieb, Positiv Denken. Ich bin ein sehr positiv
Grossisten und Möbelindustrie, die bei der Auftragsannahme, etc.; wenn denkender Mensch. Für mich sind
Spezialentwicklungen von uns welt- die eigene Mannschaft dahinter steht, Probleme Chancen. Angesichts eines
weit verkaufen. Und drittens lizenzie- hat man schon viel gewonnen. Problemes denke ich: Juhu, ein Pro-
ren wir Returnity an andere Hersteller Wirklich schwierig war die Frage: geht blem! Ich freue mich, wieder etwas
von Trevira CS (so heißt der flamm- das technisch? Und das war während lösen zu dürfen. Mit so einer Einstel-
hemmende Stoff). Mit der Lizenz kön- der zweijährigen Entwicklungsphase lung tut man sich generell leichter.
Cradle-to-cradle nen die das gesamte Know-how und gar nicht so klar. Dabei ging es ja nicht
Interview mit auch den Logo übernehmen. Wenn nur um unsere Farbstoffe, sondern
Reinhard Backhausen
Seite 14
15. Das kommt offenbar auch im Es war in Teilbereichen so. Das Schlüs- haben ein wirklich schönes Medien-
Managementstil hinüber. selerelebnis habe ich mit meinen Kin- echo, desto leichter wird es.
dern gehabt. Wir haben uns vor vier
Man muss es leben und begeistern Jahren den Al Gore-Film angesehen. Wo ist das meiste Geld hineinge-
können. Die Leute müssen spüren, Populistisch, aber aufrüttelnd und auf flossen?
dass man selbst voll daran glaubt und Wahrheiten beruhend. Meine Kinder
dahinter steht. So kann man Leute haben gefragt, was man da machen Das meiste Geld fließt in Forschung
mitreißen. Ist man nur halbherzig kann. Ich habe sofort gesagt: Standby- und Marketing
dabei, kann sich alles im Sand ver- zustand ausschalten, Mülltrennung, -
laufen. naja, das Übliche eben. Da haben Das ganze spielt sich im chemischen
beide gemeint, wir haben doch eine Bereich ab. Wirklich viel Geld ist in
Ist durch die Arbeit an Returnity auch Firma. Dort muss etwas geschehen. Research geflossen und ein großer
ein ökologischeres Bewusstsein bei Ich habe begonnen nachzudenken, Aufwand war die Überprüfung der
Ihren MitarbeiterInnen entstanden? aber wir stellen Stoffe aus Polyester gesamten Produktionskette. Und
her. Da habe ich keine gute Idee ge- natürlich das Marketing! Was nützt es,
Absolut! Es hat einige gegeben, die habt, wie man das ökologisch wertvoll wenn man ein tolles Produkt hat und
mit Umweltdenken nicht viel am Hut macht. Da habe ich Professor Braun- niemand es weiß. Aber wir geben nur
hatten. Ich halte derzeit sehr viele gart und Albin Kälin kennengelernt. einen Bruchteil der Kosten an den
Vorträge im in- und Ausland, auch vor Das war Bestimmung. Wie dann Re- Kunden weiter. Wir verlangen nur um
meinen Mitarbeitern, und da geht es turnity endlich fertig war, habe ich 2% mehr als vorher. Das ist ein be-
nicht nur um das Produkt. Es geht um meinen Kindern sehr beruhigt in die scheidener und von den Kunden gerne
Verständnis für unsere Augen schauen können. akzeptierter Anteil für die Umwelt.
Umweltprobleme. Meine Vorträge
beginnen oft mit einem Bild vom Wie haben das denn die Mitbewerber Zum Schluss noch eine verwegene
Universum. Es geht doch darum, unse- aufgenommen? Frage: ist Cradle-to-cradle schon
ren kleinen Planenten vor uns selbst zu alles? Was kommt noch?
schützen. Ich rede über Skeptisch! Es gibt ja so viele Umwelt-
Umweltprobleme, baue dabei ein konzepte. Die Kunst besteht darin, die Es gibt eine Steigerung. Die heißt
wenig auf dem Film von Al Gore („Die Leute zu begeistern und zu gewinnen. „smart textiles“. Als Verbandspräsi-
unbequeme Wahrheit“) auf. Es muss Es war schon ungewöhnlich, offen auf dent der Textilindustrie habe ich die
klar werden, dass da eine Welt-Vision den Mitbewerb zuzugehen und ihn Smart-textiles-Plattform gegründet,
dahinter steckt. Ich sehe uns als aufzufordern, etwas gemeinsam zu einen Schulterschluss der Beklei-
Teilbereich eines großen Ganzen. machen. Etwas großes Gemeinsames! dungsindustrie mit der Elektronik-
Manche, die anfangs misstrauisch industrie. Wir wollen textile Produkte
Jetzt kann ich meinen Kindern abgelehnt haben, sind dann auf mich entwickeln, die denken können.
beruhigt in die Augen schauen zugekommen und wollten doch mit- Stoffe, die ihre Farbe verändern kön-
machen. Es ist eben ein langsamer nen. Heute ein blaues, morgen ein
Wo kommt Ihr persönliches ökologi- Überzeugungsprozess und auch da grünes Sofa! Oder Vorhänge, die
sches Gewissen und die Verantwor- darf man nie aufgeben. Je mehr die Energie speichern können. Oder Cradle-to-cradle
tung, die Sie zeigen, her? War das Medien darüber berichten, und wir Mäntel mit Airbags. Im Medizintextil- Interview mit
schon immer so? Reinhard Backhausen
Seite 15
16. wirks Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at
Bereich könnte man Textilien entwik-
keln, die Organe im Körper umschlie-
ßen und Informationen an Ärzte fun-
ken. Das sind alles realistische Visi-
onen. International wird viel daran
geforscht. Aber natürlich müssen die
in Textilien eingebauten Komponenten
cradle-to-cradle-fähig sein.
Cradle-to-cradle
Interview mit
Reinhard Backhausen
Seite 16
17. Die C2C-Community
Weltweit werden derzeit etwa 600 Produkte nach dem Cradle-Prinzip hergestellt, Tendenz steigend.
Hier ist eine kleine Übersicht über das aktuelle Angebot an C2C-Waren und Dienstleistungen.
Aveda (Estée Lauder) Desso gugler
USA Holland Österreich
Kosmetiklinie, die komplett aus pflanz- Der weltweit führende Teppichher- Cross Media-Betrieb mit hohem Öko-
lichen und mineralischen Inhaltsstoffen steller arbeitet daran, sein gesamtes bewusstsein; arbeitet derzeit an hun-
besteht Portfolio (Teppiche und Kunstrasen) dert Prozent kompostierbaren
www.aveda.com ausschließlich nach dem C2C-Prinzip Druckprodukten
zu gestalten. Derzeit können 90% www.gugler.at
Backhausen interior textiles aller Fabrikabfälle und 100% aller
Österreich Verpackungen recycelt werden Hermann Miller
Möbel- und Dekorationsstoffe für www.desso.com England
Prestigebauten (Hotels, Opernhäuser, Stühle, Tische, System-Büromöbel aus
...) und Eigenheim nach dem C2C- Dr. Petry nachhaltigen Materialien,
Prinzip (komplett wiederverwertbar); Deutschland Produkteigenschaften und schonenden
damit die Stoffe wieder in das Werk Nachhaltige Textilveredelung Produktionsverfahren. Es werden die
zurückkommen, gibt Backhausen eine www.drpetry.de jeweils sichersten Chemikalien verwen-
Rücknahmegarantie und Prozente bei det sowie die Zerlegbarkeit und
Folgekäufen earthbuddy Recyclingfähigkeit der Möbel beachtet
www.backhausen.com Hongkong/China www.hermanmiller.com
Produzent von biologisch abbaubaren
Belland Verpackungsmaterialien, Johann Müller AG
Deutschland Essensbehältern, Tabletts, etc.; Schweiz
Kunststoff mit den gewohnten Ge- Ausgangsstoffe sind Agrarrückstände Die Firma hat biologisch abbaubare
brauchseigenschaften aber mit der www.earthbuddy.hk Näh- und Strickgarne, Frottierware
Recyclingfähigkeit von Papier, lässt und die bilogisch abbaubare Kunst-
sich preisgünstig auf gleichem Quali- Elastic faser PLA entwickelt. Auch die Ver-
tätsniveau wiederverwerten; zB für Deutschland packungen und Etiketten sind biolo-
Catering-Geschirr, Trinkbecher für Elastische Stoffe und Spitzen für die gisch unbedenklich
Großveranstaltungen (Sport, Konzer- Wäsche-, Sport- und Bademoden- www.mueller-textil.ch
te), etc. industrie. Entwicklung des biologisch
www.belland.de kreislauffähigen Stoffes Pure Origin, Cradle-to-cradle
der sich in einer Unterwäscheserie der Die C2C-Community
Firma Triumph findet Seite 17
www.elastic.de
18. wirks Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at
method Shaw für Allergiker interessant.
USA USA www.trigema.de
Umweltfreundliche und gesundheits- Die Firma ist Zulieferer für Teppich-
verträgliche Haushaltsprodukte. Es produzenten und hat sich auf Teppich- Triumph
dampfen keine Lösungsmittel mehr fliesenunterseiten spezialisiert. Die Deutschland
aus und man braucht auch keine Produkte werden umweltschonend in Die Damenunterwäsche „Pure Origin“
Gummihandschuhe, um die Hände zu geschlossenen Kreisläufen wiederver- besteht aus ökologisch angebauter
schützen. Die Gebinde und Verpack- wertet. Baumwolle und einer biologisch ab-
ungen sind kreislauffähig. www.shawfloors.com baubaren Elastanfaser.
www.methodhome.com www.triumph.com
Steelcase
Remondis Deutschland van Houtum
Deutschland Büromöbel, die am Ende jedes Lebens- Holland
Wasser- und Kreislaufwirtschaft; zyklus leicht zerlegt und wiederver- Toilettepapier und Handtücher, die
Kompostwerke und Erdenwerk nach wertet werden können. Star des nach C2C hergestellt werden
dem Prinzip geschlossener Stoffkreis- Sortiments ist der Arbeitsstuhl www.satino.com
läufe „Think“, der höchste ökologische
www.remondis.de Standards erfüllt und zu 98% wieder- van Kaathoven
verwertbare Komponenten enthält. Er Holland
Safechem lässt sich innerhalb von fünf Minuten C2C für Katzenfreunde. Komplett
Deutschland zerlegen, die wenigen Teile, die ent- kreislauffähiges Katzenstreu, gepaart
Risikomanagement zur Handhabung sorgt werden müssen, sind gekenn- mit einem Hausservice. Die Kunden
chlorierter Lösemittel, wie sie für zeichnet. Steelcase produziert auch erhalten ein Katzenklo samt Katzen-
Reinigungsprozesse in der Industrie Stoffe, Trennwände, Monitore und streu, die Schale wird alle zwei Wo-
verwendet werden; Reduktion der diverse Arbeitzsplatzausstattung nach chen vor die Haustür gestellt und aus-
Lösemittel um 90% innerhalb von C2C. getauscht.
10 Jahren bei gleichzeitigem Anstieg www.steelcase.de www.katzenkomfort.com
gereinigter Teile; Entwicklung von
Geschäftsmodellen und Services für Thoma Wexla
den verantwortlichen Einsatz von Österreich Österreich
Chemikalien Häuser (Einfamilienhäuser, Hotel- Schuhe sind laut Braungart „Franken-
www-safechem-europe.com bauten, Industrieanlagen) aus 100% steinprodukte“, da sie künstliche und
Holzbauweise. Kein Leim, keine che- biologische Materialien enthalten, die
Search mischen Verbindungen. Nur Holz. untrennbar miteinander verbunden
Holland www.thoma.at werden. Wexla hat ein System entwik-
International agierende Technikbera- kelt, wie man günstig Ersatzteile für
tung, Labor- und Lehrorganisation Trigema Schuhe nachkaufen kann: Schuhsohle,
Dienstleistung: Beratung für nachhalti- Deutschland Schuhoberteil, Fußbett. Eine Realisati-
Cradle-to-cradle ge Entwicklung Der Hersteller von Sport- und Frei- on solcher Schuhe gibt es noch nicht.
Die C2C-Community www.searchbv.nl zeitbekleidung führt ein kompostierba- Im Programm sind kompostierbare
Seite 18 res T-Shirt im Programm. Die biolo- Flipflops.
gisch wertvollen Inhaltsstoffe sind v.a. www.wexla.at
19. Ameise, Regenwurm
und Berggorilla
Kritische Anmerkungen zu C2C, Teil 1
Text von Harald Koisser
Wider die Verschwendung Dem kann man entgegenhalten, dass Nur weil maßloser Konsum auf stoffli-
diese Kritik aus der „alten Welt“ cher Ebene durch C2C plötzlich unbe-
Es war die Rede davon, dass C2C das stammt, in der zurecht gegen blind- denklich wird, wäre er es noch lange
ökonomische Denken in Richtung wütige Vergeudung unwiederbringli- nicht auf zwischenmenschlicher Ebene.
Kooperation wenden könnte, doch cher Ressourcen gewettert wurde. Mit
auch auf Seiten der KonsumentInnen C2C gibt es aber keine unwiederbring- Es bleibt dabei allerdings zu fragen, ob
wird C2C eine sukzessive Wendung im lichen Ressourcen mehr. Wenn sich der Einzelne dies als Ausbeutung er-
Denken und Verhalten bewirken, aller- das Prinzip durchsetzt, wird sich die lebt oder seinen Arbeitseinsatz gerne
dings eine, die argwöhnisch beobach- moralische Debatte von der Theorie in erbringt, sei es wegen entsprechender
tet wird und auf Kritik stößt. Wenn die Lebenspraxis verlagern und eine Entlohnung, sei es als Quid pro Quo
Stoffe ökologisch komplett unbedenk- Neubewertung des Begriffs „Ver- für eigenes verschwenderisches Ver-
lich sind und wieder in neue Kreisläufe schwendung“ notwendig machen. halten. Wenn Arbeit sinnvoll ist, kann
eingehen, so darf man plötzlich etwas, Man könnte also der Tugend der man sie auch lustvoll verrichten.
wofür man sich heute noch in der Mäßigung folgen und abwarten,
alten Welt der Müllberge geniert: würde nicht Ernst Gugler von gugler Rahim Taghizadegan merkt in seinem
maßlos verschwenden! Weil alle C2C- crossmedia, selbst ein C2C-Pionier, ein Gastkommentar allerdings sehr richtig
ProtagonistInnen dieses lustvolle Ver- Argument jenseits der stofflichen Welt an, dass zum Beispiel Lebensmittel
schwenden so herzhaft propagieren, vorbringen. Er meint, dass jedes Pro- Cradle-to-cradle-Produkte sind, aber
regt sich moralischer Unmut. Man dukt immer auch Ergebnis von men- eine Verschwendung immer bedenk-
würde hier einen neuen Konsumwahn schlicher Arbeitszeit ist, und lustvolles lich ist.
begründen, dessen Vorteil wohl in der
ökologischen Unbedenklichkeit liege, Darf man menschliche Arbeitszeit
aber moralisch bedenklich wäre. Man verschwenden?
sieht die Tugend der Mäßigung
bedroht. Verschwenden somit bedeutet, men-
schliche Arbeitszeit zu verschwenden. Cradle-to-cradle
Kritik
Seite 19
20. wirks Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at
Du sollst zertifizieren Braungart erklärt, er wolle sich den
unsäglichen Öko-Zertifikaten entge-
EPEA vergibt Zertifikate für C2C- genstemmen, welche die Produktwelt
Projekte und –Betriebe. Man darf überschwemmen. Jeder fadenscheinige
zurecht bemerken, dass üblicherweise Mist wäre eine Öko-Plankette wert,
aus gutem Grund Beratung und Zer- die man sich an die Eingangstür kleben
tifizierung von unterschiedlichen kann. Also müsse man dem mit einer
Stellen durchgeführt werden. Der C2C-Auszeichnung begegnen.
Berater kann sich wohl selbst kein
objektives Zeugnis ausstellen. Mit einer guten Portion Selbstironie
Braungart weiß das natürlich und merkt der Chemiker an, dass er in
übergibt die Zertifizierung auch dem- Silber, Gold und Platin zertifiziere: „Ist
nächst an solch eine unabhängige das nicht lustig: Das sind ökologisch
Stelle. Bleibt allerdings die Frage, hoch bedenkliche Edelmetalle. Im Sinn
wozu überhaupt zertifizieren? Es der Sache, der Nützlichkeit, die wir
scheint als müsse ein Wahn nach anstreben, müsste es eigentlich Zer-
objektiven Belegen für das eigene tifikate geben, die Ameise, Regen-
Gut- und Bessersein befriedigt werden. wurm und Berggorilla heißen“.
Cradle-to-cradle
Kritik
Seite 20
21. Cradle-to-cradle - die nächste Sau,
die man durch das globale Dorf treibt?
Kritische Anmerkungen zu C2C, Teil 2
Gastkommentar von DI Rahim Taghizadegan,
Institut für Wertewirtschaft (www.wertewirtschaft.org)
Aus dem Inhalt: Der Ausdruck „cradle-to-cradle“
(Wiege-zu-Wiege) findet gegenwärtig
• C2C bietet reale Innovationen und nicht bloß Zertifikate für greenwashing. wachsende Beachtung. Mit diesem
• Leider sind es stets Übertreibungen, die im Konkurrenzkampf um knappe Konzept reüssieren vor allem der
Aufmerksamkeit eingesetzt werden. Braungart kontert mit einer amerikanische Architekt William
Verschwendungsideologie gegen jene, die sich „gesund schrumpfen“ wollen. McDonough und der deutsche
• Die Größe der Versprechungen von Cradle-to-cradle bringt die Gefahr von Chemiker Michael Braungart. Der
politischer Planwirtschaft Ansatz bezieht sich auf das Gestalten
• Es klingt so schön, alle Verschleißteile durch kompostierbare Materialien zu von Produktzyklen, bei denen Abfall
ersetzen. Doch wer sagt, dass „natürliche“ Stoffe weniger gefährlich sind? direkte Verwertung als Rohstoff findet.
• Vor dem Auto erstickten Städte im Pferdemist. Das Problem liegt stets Produkte sollten also nicht als Schad-
in der Masse. stoffe in der Totenbahre von End-
• Am gefährlichsten ist cradle-to-cradle, wenn es Leute anspricht, die lagern enden, sondern die Wiege für
weder Investitionen aus eigenen Mitteln verantworten, noch sich mit ihrer neue Produkte abgeben.
individuellen Verantwortung als Konsument zufrieden geben, sondern
ungeduldig nach der Weltverbesserung trachten. Dann stecken wieder Nachdem Steven Spielberg gerade an
überschuldete Bürokratien, Steuergeld in Hype-Projekte, die sie mittels von einem Film über diese Idee arbeitet,
ihnen ernährter „Experten“ als große Zukunftsinvestitionen vermarkten. wird sie wohl bald nicht mehr bloß der
Hype kleiner Zirkel sein, sondern zum
Massen-Hype wachsen. Die Größe der
Versprechungen dieser Idee begünstigt
ihre Aufnahme, weckt aber auch neu-
gierige Skepsis. Man ist es mittlerweile
gewohnt, daß ein Weltrettungsplan
den nächsten ablöst, der sofort und
umfassend umgesetzt werden muß. Es
Cradle-to-cradle
sei zu spät, darauf zu warten, daß die
Kritik II
Seite 21
22. wirks Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at
Menschen ihr Leben ändern, die einzi- fluß leben, nach Herzenslust ver- Braungart und seine Kollegen durch-
ge Hoffnung bestünde darin, den schwenden. aus reale Innovationen zu bieten
Rettungsplan so groß wie möglich zu haben und nicht bloß Zertifikate für
dimensionieren, so schnell wie möglich Zweitens fällt auf, daß Braungart und greenwashing (Umwelt-Marketing)
umzusetzen und so zentral wie mög- McDonough schon lange vor dem verkaufen. Je größer der Hype wird,
lich zu steuern. Ist cradle-to-cradle Hype sehr viel Geld mit ihrem Ansatz desto eher ist allerdings zu erwarten,
bloß die nächste Sau, die durch das verdienen. Braungart wurde als daß Motive der Eitelkeit und PR bei
medial-globale Dorf getrieben wird? Greenpeace-Aktivist bei der Besetzung
eines Schornsteins des Unternehmens Die Gegendogmatik tut der
Zwei Unterschiede fallen zunächst ins Ciba vom Fleck weg von den ver- Umweltbewegung sehr gut
Auge. Erstens sind die Betonungen meintlichen ideologischen Feinden
hier deutlich anders als man es sonst engagiert. Ciba heuerte ihn als selb- der Adaption der geschützten Marke
bei ökologischen Bedenkenträgern ständigen Berater an. Unzählige große cradle-to-cradle bedeutsam werden.
gewohnt ist. Insbesondere Michael und finanzkräftige Unternehmen folg- Dies wird durch die psychologisch sehr
Braungart, ein ehemaliger Green- ten. 1995 gründete er das Unterneh- wirksamen ideologischen Übertreibun-
peace-Aktivist, lästert gerne über den men McDonough Braungart Design gen in der Darstellung begünstigt.
„Schuldkult“ der modernen Umwelt- Chemistry mit McDonough in den Solche Übertreibungen sind zwar stets
bewegung. Braungarts Ökologismus USA. Ford ließ sich etwa von einseitig, können aber als Korrektiv
ist durch und durch progressiv. Nach McDonough für gesalzene zwei und Aufweckmittel dienen. Die Dosis
der ideologischen Verwirrung des letz- Gegendogmatik tut der Umweltbewe-
ten Jahrhunderts bringt konsequenter Nachhaltigkeit - ein leeres Konzept gung ganz gut, die in der Regel ihr
Progressismus (die ideologische Über- Wissen maßlos überschätzt.
höhung des Fortschritts und Wachs- Milliarden Dollar die Dächer des größ- Braungarts Witze gehen häufig auf
tums) heute meist Betonungen mit ten Werkes begrünen. Geld, so könnte Kosten populärer Öko-Irrtümer. Doch
sich, die verwirrte Beobachter als neo- man einwenden, das aus dem Verkauf auch Cradle-to-cradle ist vor Irrtümern
liberal bis neokonservativ einordnen von Produkten und der Aufnahme von nicht gefeit. Je größer der Kontext,
würden. Dies erklärt auch, warum sich Krediten stammt, die mit Nachhaltig- desto unübersehbarer die Komplexität.
unter Neokonservativen so erstaunlich keit wohl wenig zu tun haben. Doch Die beste Intention kann in einem
viele ehemalige „Linke“ finden. Nachhaltigkeit ist für Braungart ohne- komplexen System die schlimmsten
Braungarts Glaube an Wissenschaft hin ein leeres Konzept: Es ginge um Auswirkungen nach sich ziehen.
und Technologie ist von unerschütterli- Veränderung, nicht darum, Dinge zu In einem der zahlreicher werdenden
chem Optimismus, eine intelligente erhalten. als Dokumentation getarnten Werbe-
wirtschaftliche Entwicklung könnte in filme über cradle-tocrade sieht man
Zukunft noch einem Vielfachen der Die Erwähnung dieser zwei Aspekte die feierliche Eröffnung eines Modell-
Erdbevölkerung eine bessere Versor- mutet nach Kritik an, doch der wirt- Dorfes in China, das mit der Beratung
gung bieten. Er will dem Konsumenten schaftliche Erfolg und die ideologi- von McDonough geplant worden sein
das schlechte Gewissen nehmen. Dank schen Betonungen verdienen zunächst soll, um ein bestehendes Dorf zu
nach cradle-to-cradle zertifizierter Pro- eine Würdigung. Die Nachfrage durch ersetzen. Dies wurde als wegweisen-
Cradle-to-cradle duktgestaltung könne man wieder Unternehmen bevor das Konzept zum der erster Schritt gepriesen, wie für
Kritik II Spaß beim Konsum haben, im Über- Medienhype wird, deutet an, daß Abermillionen von Chinesen im Zuge
Seite 22
23. des nächsten, revolutionären Fünfjah- letztlich 12.000$, wie dies bei Staats- sein Leben verbessern kann, ist dabei
resplan neue und moderne Öko- aufträgen die Regel ist. Das ist das nicht von Interesse. Die Entmündigung
Häuser geschaffen werden könnten. Zehnfache des dortigen Jahresein- des Menschen ist die große Gefahr
Die Tochter von Deng Xiao-Ping war kommens. Nur zwei Familien sind von allzu technologieorientierten
daran beteiligt und die staatliche überhaupt jemals in das „Musterdorf“ Lösungen.
Fernsehsprecherin pries die Weitsicht eingezogen, und das nur, weil ihre Braungart schlägt technische Produkt-
der Partei. Trotz vorteilhaftester Häuser niederbrannten. Sie mußten zyklen vor, bei denen Produkte im
Aufnahmen und massiver Propaganda alte Ölöfen nutzen, weil die „alternati- Eigentum der Hersteller bleiben und
ist das Projekt für den nüchternen ven Energiequellen“ nicht funktionier- bloß deren Nutzung als Dienstleistung
Betrachter jedoch sofort als groteske ten. angeboten wird. Das ist ein mögliches,
Fehlplanung erkennbar. Häßliche, voll- Es steht außer Frage, daß die geschick- aber kein notwendiges Konzept. Die
kommen identische Häuser mit winzi- te Imitation der Natur ein riesiges
gen, trostlosen „Gärten“, direkt Potential bietet, das eine zugleich Nullwachstumsfetischisten gegen
nebeneinander aufgefädelt, mitten im menschen- und naturferne Technik, Verschwendungsideologen
Nichts. Der Vorzeige-Bewohnerin die auf effiziente Massenlösungen hin
rutschte heraus, daß sie für normale ausgerichtet ist, bislang weitgehend gleiche Funktion könnte eine Rück-
Menschen wohl noch dazu viel zu übersehen hat. Dieses Potential findet nahmegarantie von Produkten spielen.
teuer wären. Der umjubelte ökologi- sich aber nicht nur in neuer Technolo- Doch auch den gegenläufigen, fort-
sche Aspekt bestand darin, daß die gie, wie der Fortschrittsfreund es sieht, schrittskritischeren Ansatz sollte man
Wände dank der teuren Beratung aus sondern auch in verlorenem oder ver- dabei nicht aus dem Auge verlieren:
den USA nicht aus Ziegeln, sondern loren gehendem Wissen, die der weniger unnötige Geräte, höhere
aus Sand und Stroh bestanden. Fortschrittsfeind betont. Beide Be- Lebenszeit, einfachere Konstruktion,
Die Häuser stehen bis heute leer und tonungen sind einseitige Übertreibun- die das Reparieren durch den Konsu-
verrotten. Sie waren trostlosen ameri- gen, doch werfen wir ein wenig für menten selbst erlaubt. Auch das ist
kanischen Vororten nachempfunden, letztere Ansicht in die Waagschale, um kein Allheilmittel, vor allem weil jeder
hatten winzige Ziergärten und Gara- unsere Abwägung ins Lot zu bringen: Ansatz in der Gegenwart zunächst die
gen, obwohl nur vier der bisherigen Der moderne Innovationsbetrieb hängt Bequemlichkeit der Konsumenten
1.400 Dorfbewohner ein Auto haben zu sehr am Subventionstropf, sodaß akzeptieren muß. Leider sind es stets
und als Landwirte mit den gräßlichen, ihm oft der Blick für Knappheiten und Übertreibungen, die im Konkurrenz-
lächerlich kleinen Vorhöfen keinesfalls menschliche Dimensionen fehlt. All die kampf um knappe Aufmerksamkeit
überleben können. Die Energie für das Machbarkeiten und all das fabrizierte und natürlich um Geld stehen. Kein
Musterdorf sollte aus einer Biogasan- Wissen sind sinnlos, wenn sie in das Wunder, daß diejenigen, die das
lage kommen, in der die landwirt- persönliche Wirken beschränkter Men- Nullwachstum zu ihrer Ideologie über-
schaftlichen Abfälle verheizt werden schen keinen Eingang finden können, dehnt haben, Verschwendungsideolo-
sollten. Niemand hatte sich die Mühe sondern weiter entpersönlichen und gen wie Braungart feindlich gesinnt
gemacht, herauszufinden, daß diese entfremden. Heutige Forscher forschen sind. Beides ist als Ideologie Unfug.
„Abfälle“ den Ziegen verfüttert wur- in der Regel ihren Auftraggebern zu: Man kann sich nicht „gesund
den, die ohne diese Reste im Winter aufgeblähten staatlichen Apparaten schrumpfen“, wenn das Schrumpfen
verhungern würden. Die Häuser, die und Großkonzernen. Wie der einzelne zum Ziel wird; dies ist nämlich schon Cradle-to-cradle
für je 3.500$ geplant waren, kosteten Mensch in seinem konkreten Umfeld an sich krankhaft. Die entsprechenden Kritik II
Seite 23
24. wirks Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at
Ideologen hoffen wohl unbewußt auf gigkeit noch weitere Probleme auf: dahinter ist, daß Druckwaren techni-
Pöstchen als Politkommissare, wo sie Alle Zyklen müssen, um die verspro- sche Kreisläufe bilden könnten. Dann
aus ihren Steuerungszentralen chene Effektivität zu erlauben, ge- hätte man das Buch vom Verlag bloß
„Wachstum beschränken“ dürfen. Der schlossen sein. Der dazu nötige große gemietet, dieser würde es zurückneh-
nächste Fünfjahresplan: 10% weniger logistische Aufwand wird beim men, nachdem man es ausgelesen hat,
Produktion, 10% weniger Energiever- „Hypen“ der Idee zu zwei Betonun- und es zu einem neuen Buch ein-
brauch, 10% mehr Glück. Das ist ein gen führen: Einerseits sind besonders schmelzen. Natürlich besteht ein sol-
Befehl! große, hochintegrierte Unternehmen cher Zyklus noch nicht und es ist frag-
Die Überhöhung der Verschwendung begünstigt. Andererseits wird die Un- würdig, ob er sinnvoll wäre. Das Buch
durch Braungart ist ebenso zweifel- geduld in dezentraleren Sektoren und ist zwar wasserfest, bleibt aber beim
haft. Er hat vollkommen recht, daß es Regionen zu politischen Ambitionen Lesen nicht geöffnet. Das Konzept,
absurd ist, Wegwerfartikel aus Materi- führen. Das politische Schließen von Bücher auszuborgen, ist uralt: man
alien zu erstellen, die Jahrtausende als Zyklen hat jedoch ganz unweigerlich nennt es Bibliothek. Angesichts der
nicht weiter nutzbare Problemstoffe einen planwirtschaftlichen Charakter. Tatsache, daß es den gewünschten
überdauern. Hier ist noch viel Be- Planwirtschaft hielt man einst für effi- Kreislauf nicht gibt, ist das Buchkon-
wußtseinswandel und technische zienter und effektiver. Heute weiß zept eine ökologische Bruchlandung.
man, daß die mangelnde persönliche Der Transport, die Verbrennung oder
Nur weil etwas kompostierbar ist, Verantwortung zu kolossalen Fehlent- Deponierung sind allesamt umwelt-
ist es nicht automatisch effektiv scheidungen führt, die nicht nur die schädlicher als bei einem herkömmli-
Umwelt, sondern auch das menschli- chen Buch. Und wer weiß, welche
Entwicklung nötig. Doch nur weil che Leben bedrohen. Der systemische Folgen wir noch nicht kennen?
etwas kompostierbar oder in neuen Charakter von cradle-to-cradle und die Dies ist ein weiteres Problem, das
Produkten verwertbar ist, ist es nicht Größe und Übertreibung der Verspre- gerne übersehen wird. Das neuentwik-
automatisch effektiv. Eine Übertrei- chungen verstärken diese Gefahr plan- kelte Substitut für einen Stoff ist in der
bung dieses Ansatzes neigt dazu, den wirtschaftlicher Verlockungen. Insbe- Regel unbekannter als dessen Vorläu-
Energie- und Transportaufwand zu sondere die von Braungart gerne ver- fer. Es klingt so schön einfach, schlicht
ignorieren. Die Gesetze der Thermo- wendete Analogie des Ameisenstaates alle Verschleißteile durch kompostier-
dynamik verbieten ewige Kreisläufe deutet in diese Richtung. bare Materialien zu ersetzen. Doch es
ohne Verluste. Zwar ermöglicht die ist ein häufiger Irrtum, „natürliche“
laufende Energiezufuhr der Sonne das Braungarts Buch aus Plastik - Stoffe für weniger gefährlich zu halten
Überleben organischer Kreisläufe, und eine ökologische Bruchlandung – ein Irrtum, auf den Braungart selbst
diese können uns zweifellos als Vorbild hinweist. Biologisch abbaubare Ver-
dienen. Doch darf man diese Analogie Das Problem nicht geschlossener schleißteile können unerkannte Risiken
nicht überdehnen, denn die geringen Zyklen wird deutlich an einem beson- bergen. Eben weil Plastik nicht kompo-
Wirkungsgrade könnten erst recht ein ders greifbaren Beispiel: Braungart und stierbar ist, d.h. nicht biologisch aktiv
totalitäres Diktat der Energieeffizienz McDonough ließen ihr Buch nicht auf ist, ist es selbst vollkommen ungiftig.
anregen, vor der Braungart zurecht Papier, sondern auf Kunststoff druk- Gefährlich sind die Zusatzstoffe
warnt. ken. Plastik ist natürlich im Gegensatz (Weichmacher, Flammhemmer usw.).
Cradle-to-cradle Das Zyklenkonzept weist neben der zu Papier nicht kompostierbar und viel Wenn alle Abfälle biologisch sind, ist
Kritik II Technologie- und damit Kapitalabhän- weniger „natürlich“. Der Gedanke dies nicht notwendigerweise ökolo-
Seite 24
25. gisch. Vor dem Auto erstickten Städte ten an, bietet es, falls es teurer ist, eine mögliche Einsammlung berück-
im Pferdemist; die Überdüngung rui- einen Vorteil, der den Mehraufwand sichtigen, ändert sich das Bild schon
niert den Boden. Das Problem liegt lohnt, fügt es sich langfristig in einen wieder vollkommen.
eben doch auch in der Masse, jeder Zyklus, was passiert bei Änderungen
Verschwendungslust zum Trotz. Und der Marktlage? Die Fragen sind zahl- Die Gefahr besteht darin, den
diese Masse ist eben das Gefährliche los. Braungart erkennt richtig, daß die Konsumenten wieder einmal bloß
an Hypes. Der Hype rund um Biotreib- besten ökologischen Intentionen oft unnötige Produkte anzudrehen
stoffe ist ein gutes Beispiel dafür, wie ungeheure Irrtümer hervorbringen. Je
eine neue Idee durch massive För- stärker cradle-to-cradle als Heilsver- Viel problematischer in Hinsicht auf
derungen und Heilsversprechen so sprechen und Lösung aller ökologi- den Konsumenten ist der mögliche
überdehnt wird, existenzbedrohende schen Probleme vermarktet wird, Mißbrauch von cradle-to-cradle, nur
Ausmaße zu nehmen und die Ernäh- desto größer wird das Irrtumspotential. ein weiterer Vorwand zu sein, den
rung von Menschen zu gefährden. Die Dabei ist der Ansatz für Produktent- Konsumenten wieder neue, teurere,
moderne Ungeduld setzt alle Hoff- wickler im Kern so simpel, daß er gar letztlich unnötige Produkte anzudre-
nung in die Masse – nur Medien, kein neues Etikett bräuchte. hen, die dann doch wieder entgegen
Großkonzerne und Politik könnten Schwieriger ist die Frage, was der den Intentionen von Braungart eine
wirklich Großes bewegen. Doch je Konsument mit dem Ansatz machen Form von Ablaßhandel darstellen. So
größer der Akteur, desto kleiner das soll. Wenn du nur von cradle-to-crad- benötigt die Ermunterung zur Ver-
Hirn: der politische Tyranno-Saurus le-zertifizierten Unternehmen kaufst, schwendung ein Korrektiv der Mäßi-
will „nur helfen“ und vergrößert den kannst du beliebig verschwenden, gung, genauso wie der übertrieben
Schaden. wäre eine vollkommen falsche Ansage, asketischen Einstellung die Würdigung
eben weil sie Kosten und dazu nötigen des Schöpferischen, des Genießens,
In einer hochkomplexen Welt gibt es Wohlstand nicht berücksichtigt. Das des Ausprobierens gegenübergestellt
keine sicheren Erfolgsstrategien Versprechen besteht eigentlich auch werden sollte.
nur darin, daß man dann ohne Am gefährlichsten ist cradle-to-cradle,
Cradle-to-cradle muß daher danach schlechtes Gewissen verschwenden wenn es Leute anspricht, die weder
bewertet werden, welche Akteure könnte. Doch auch das ist falsch. Investitionen aus eigenen Mitteln ver-
angesprochen werden und wie. Als Nahrungsmittel sind etwa vollkommen antworten, noch sich mit ihrer indivi-
Ansatz für Produktentwickler verdient kompostierbare Produkte. Ist es des- duellen Verantwortung als Konsument
das Konzept größte Würdigung – halb richtig, massenweise angebroche- zufrieden geben, sondern ungeduldi-
doch diese Würdigung muß ihm nicht ne Nahrungsmittel wegzuwerfen? Dies ger nach der Weltverbesserung trach-
durch allzu begeisterungsfähige Missi- vernachlässigt wiederum den Aufwand ten. Dann stecken wieder überschul-
onare verlieren werden, sie erfolgt aus für ihre Produktion, ihren Transport, dete Bürokratien, Mittel, die sie nicht
dem praktischen Erfolg der Produkte. ihre Werthaltigkeit, sowie jegliche kul- haben und für deren Verwendung sie
In einer dynamischen, hochkomplexen turelle Erwägungen. Die Banane ist niemals wirkliche Verantwortung über-
Welt gibt es dabei keine sicheren zweifellos ein perfektes cradle-to-crad- nehmen müssen, in Hype-Projekte, die
Erfolgsstrategien. Die beste Idee kann le-Produkt, ganz ohne Zertifizierungs- sie mittels von ihnen ernährter „Ex-
in der Realität und an der Realität gebühr, denn ihre Verpackung vermag perten“ als große Zukunftsinvestitio-
scheitern. Ist das neue Material wirk- als Nährstoff zu dienen. Doch selten nen vermarkten. Sobald cradle-to- Cradle-to-cradle
lich gesünder, nehmen es Konsumen- am Ort ihres Konsums, und wenn wir cradle zum Vorwand wird, Wunsch- Kritik II
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26. wirks Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at
Wirtschaften mit schönen, runden Steven Spielberg geplante Werbefilm
Kreisläufen am Reißbrett zu planen für seine Idee nichts wird. Sonst schie-
und cradleness zu kommunizieren, be man die ganze Sache wieder auf
wird die Zeit gekommen sein, eine einen Menschen ab. In den USA
weitere aufgeblasene Idee zu kompo- könne man zwar viel schneller Ruhm
stieren und die einzelnen, richtigen erlangen, in Europa werde man über-
und wichtigen Bestandteile als Nähr- haupt erst wahrgenommen, wenn
stoffe für Besseres anzusehen. Ein hin- man es mit einem englischen Buzz-
reichend nüchterner Zugang vermeidet word in die US-Medien geschafft hat.
die Blase von Anfang an, läßt Platz für Die große Begeisterungsfähigkeit und
Hausverstand und übernimmt im Sehnsucht nach Lösungen führe auch
jeweiligen konkreten Lebenskontext oft zu einem Vorliebnehmen mit
konkrete Verantwortung, auch wenn schnellen, aber falschen Lösungs-
es nur die des Konsumenten ist, an- rezepten.
statt ungeduldig nach der nächsten
großen Utopie zu schielen, die stets
eine Ausrede dafür ist, nicht selbst
einen ersten kleinen Schritt zum
Man sollte nur bewegen, was man
auch verantworten kann
Besseren zu setzen. Jeder Schritt kann
sich im Nachhinein als Irrtum heraus-
stellen. Daher sollte man nur das
bewegen, was man verantworten
kann und darf, das aber mit aller
Entschlossenheit und dem nötigen
Mut.
Dies ist weniger eine Kritik an einem
Ansatz, der viel Richtiges und
Wichtiges enthält, sondern eine
Warnung vor der ständigen Überdeh-
nung von Ideen, der Wichtigtuerei,
den hohlen Phrasen: daß sofort aus
jedem Ansatz eine Ideologie und ein
„politischer Auftrag“ gemacht werden
muß. Michael Braungart erkennt das
Cradle-to-cradle durchaus selbst: Er hofft, so merkt er
Kritik II mit etwas Ironie an, daß der von
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27. Bin ich kreislauffähig?
Text von Harald Koisser
Es ist eine wunderbare Idee, Stoffe Bedingungen zu überleben versteht
von der Wiege zur Wiege zu führen und weit und breit keine Chemie-
und sie wieder zum Nährstoff von fabriken hat!
Neuem zu machen. Als Mensch bin ich
kompostierbares Material und wähne Wann erhalte ich die Cradle-to-
mich damit auf der ethisch sicheren cradle-Platin-Zertifizierung?
Seite, insoferne ich einmal Nährstoff
sein werde. Aber die Frage nach mei- Warum das so ist? Wegen der ver-
ner persönlichen Kreislauffähigkeit ist dammten Globalisierung! Alles hängt
nicht eindeutig zu beantworten. mit allem zusammen und die Globali-
sierungsgegner haben schon recht,
Ein Chemiker erzählte mir, dass jedes wenn sie das nicht wollen. Unser
Bio-Schwein bessere Gesundheitswerte chemischer Output durchläuft die
hat als ich. Mein Fleisch würde neimals weltweite Nahrungskette. Die Inuit
das begehrte Bio-Siegel bekommen, haben Wale und Seerobben als Haupt-
was mir jetzt schon für die Maden und nahrungsmittel. Wale und Seerobben
Würmer in meinem Grab leid tut. Die fressen Fische und Muscheln. Die
Muttermilch, die unsere Kinder trin- Konzentration an Schadstoffen steigt
ken, ginge nicht mehr als Bio-Milch in der Nahrungskette sukzessive an,
durch. Die Quecksilberbelastung inner- bis das Höchstmaß an Gift in Grönland
halb der Mutterbrust hat übrigens ein ankommt. Man muss also feststellen,
erstaunliches Süd-Nord-Gefälle. Sie ist dass jeder tote Mensch bald definitiv
bei uns in Europa augenfällig, bei den nicht mehr kreislauffähig und eigent-
Inuit in Grönland aber bereits im Zu- lich eine Sondermülldeponie ist.
stand akuter Quecksilbervergiftung!
Die Konzentration von polychlorierten Dies wäre das gewaltigste C2C-Pro-
Biophenylen in der Muttermilch der jekt, das man aufsetzen müsste: die
Inuitfrauen ist so hoch, dass die Milch Kreislauffähigkeit des Menschen wie-
als Giftmüll eingestuft werden müsste. der herzustellen. Wann erhalte ich die
Und das bei jenem Volk, das mit Cradle-to-cradle-Platin-Zertifizierung?
Mutter Natur lebt, unter extremen
Cradle-to-cradle
Bin ich kreislauffähig?
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