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E4542




3 – 2008




           Gedenkstätten
           Lernorte zum nationalsozialistischen Terror
Zeitschrift für die Praxis der politischen Bildung



                                                       HEFT 3 – 2008, 3. QUARTAL, 34. JAHRGANG




                                                       Inhalt
»Politik & Unterricht« wird von der Landeszentrale     Editorial                                                                                    1
für politische Bildung Baden-Württemberg (LpB)
herausgegeben.                                         Geleitwort des Ministeriums
HERAUSGEBER                                            für Kultus, Jugend und Sport                                                                 2
Lothar Frick, Direktor                                 Autorinnen dieses Heftes                                                                     2
CHEFREDAKTEUR
Dr. Reinhold Weber
reinhold.weber@lpb.bwl.de
                                                       Unterrichtsvorschläge                                                               3–19
REDAKTIONSASSISTENZ
Sylvia Rösch, sylvia.roesch@lpb.bwl.de                 Einleitung                                                                                   3
Katharina Rapp, M. A., Offenburg                       Baustein A:     Die frühen Konzentrationslager:
ANSCHRIFT DER REDAKTION                                                Machtausbau durch Terror                                                     9
Stafflenbergstraße 38, 70184 Stuttgart
Telefon: 0711/164099-45; Fax: 0711/164099-77
                                                       Baustein B:     NS-Rassenideologie: Ausgrenzung,
REDAKTION
                                                                       Gewalt und Mord                                                         12
Simone Bub-Kalb, Studiendirektorin,                    Baustein C:     Das Außenlagersystem des KZ Natzweiler:
Staatl. Seminar für Didaktik und Lehrerbildung
                                                                       Vernichtung durch Arbeit                                                17
(Gymnasien), Stuttgart
Judith Ernst-Schmidt, Oberstudienrätin,                Literaturhinweise                                                                       19
Werner-Siemens-Schule (Gewerbliche Schule
für Elektrotechnik), Stuttgart
Ulrich Manz, Rektor der Schillerschule (Grund-
und Hauptschule mit Werkrealschule), Esslingen         Texte und Materialien                                                            21–55
Dipl.-Päd. Holger Meeh, Akademischer Rat,
Pädagogische Hochschule Heidelberg
                                                       Baustein A:          Die frühen Konzentrationslager:
Horst Neumann, Ministerialrat,                                              Machtausbau durch Terror                                           22
Umweltministerium Baden-Württemberg, Stuttgart
Angelika Schober-Penz, Studienrätin,
                                                       Baustein B:          NS-Rassenideologie: Ausgrenzung,
Erich-Bracher-Schule (Kaufmännische Schule),                                Gewalt und Mord                                                    32
Kornwestheim
                                                       Baustein C:          Das Außenlagersystem des KZ Natzweiler:
GESTALTUNG TITEL                                                            Vernichtung durch Arbeit                                           46
Bertron.Schwarz.Frey, Gruppe für Gestaltung, Ulm
www.bertron-schwarz.de

GESTALTUNG INNENTEIL
Medienstudio Christoph Lang, Rottenburg a. N.,         Lehrerteil:          Dr. Anette Hettinger
www.8421medien.de
                                                       Bausteine
VERLAG
                                                       A und B:             Dr. Anette Hettinger
Neckar-Verlag GmbH, Klosterring 1,
78050 Villingen-Schwenningen                           Baustein C:          Dr. Anette Hettinger und Angelika Stephan
Anzeigen: Neckar-Verlag GmbH, Uwe Stockburger
Telefon: 07721/8987-71; Fax: -50
anzeigen@neckar-verlag.de                              Das komplette Heft finden Sie zum Downloaden als PDF-Datei unter
Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 2 vom 1.5.2005.     www.politikundunterricht.de/3_08/gedenkstaetten.htm
DRUCK
PFITZER Druck und Medien e. K., Benzstraße 39,
71272 Renningen
                                                       Politik & Unterricht wird auf umweltfreundlichem Papier aus FSC-zertifizierten Frischfasern
Politik & Unterricht erscheint vierteljährlich.        und Recyclingfasern gedruckt. FSC (Forest Stewardship Council) ist ein weltweites Label
Preis dieser Nummer: 3,00 EUR                          zur Ausweisung von Produkten, die aus nachhaltiger und verantwortungsvoller Waldbewirt-
Jahresbezugspreis: 12,00 EUR                           schaftung stammen. Das Papier wird in Unternehmen hergestellt, die alle nach ISO 9001
Unregelmäßige Sonderhefte werden zusätzlich            und ISO 14001 sowie EMAS zertifiziert sind.
mit je 3,00 EUR in Rechnung gestellt.

Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht
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Genehmigung der Redaktion.
                                                       Nachhaltigkeit – am Beispiel Energie
Titelfoto: Archiv Gedenkstätte Grafeneck
Auflage dieses Heftes: 20.000 Exemplare
Redaktionsschluss: 15. Juni 2008
ISSN 0344-3531
Editorial
           »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten         Es ist ein Zufall und doch symptomatisch, dass dieses Heft zu
           und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.«    den NS-Gedenkstätten im Land unmittelbar auf das Themen-
           Wer die Geschichte des NS-Unrechtsregimes kennt, weiß,         heft »Rechtsextremismus« folgt. Die Querverbindungen liegen
           warum die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes diese         auf der Hand. Den Lehrerinnen und Lehrern des Landes wird
           so gewichtigen Sätze zum Artikel 1 unserer Verfassung ge-      rasch ersichtlich sein, wo beide Hefte auch zur gegenseitigen
           macht haben. Sie kannten das Leid von Ausgrenzung und          Ergänzung einsetzbar sind. Und die Hefte zeigen, dass die
           Verfolgung, teilweise sogar aus eigener Erfahrung. Arti-       Aufklärungs- und Erinnerungsarbeit ein ganz zentraler Auf-
           kel 1 des Grundgesetzes hat an Bedeutung in keiner Weise       trag der Landeszentrale für politische Bildung ist, dem sie mit
           verloren. Vor allem aus der Geschichte Deutschlands mit        besonderem Engagement nachkommt. Für die Unterstützung
           seinen beiden Unrechtsregimen des 20. Jahrhunderts, dem        bei dieser Ausgabe von Politik & Unterricht bedanken wir uns
           NS-Terror und der SED-Diktatur, wissen wir, dass es gerade     sehr herzlich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des
           die staatliche Gewalt war, die die Würde zahlloser Menschen    Dokumentationszentrums Oberer Kuhberg in Ulm, des Stadt-
           unrechtmäßig »angetastet« hat. Und immer waren es die          archivs Karlsruhe, des Freundeskreises Ehemalige Synagoge
           totalitären Machthaber, die selbstherrlich definiert haben,     Sulzburg e. V., des Kulturamts Sulzburg, der Gedenkstätte Gra-
           welches Leben »würdig« und »lebenswert« sei.                   feneck, des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher
                                                                          Sinti und Roma in Heidelberg, des Staatsarchivs Ludwigsburg
           Allein deshalb ist es so wichtig, dass die Gedenkstätten die   sowie der KZ-Gedenkstätte Neckarelz e. V.
           Aufarbeitung der Geschehnisse leisten, die Erinnerung wach
           halten und das Gedenken ermöglichen. Baden-Württemberg
           verfügt über eine außerordentlich große Bandbreite an re-
           gional verteilten Gedenkstätten, die alle Verfolgungs- und
           Vernichtungskategorien des NS-Regimes thematisieren. Das
           hebt die südwestdeutsche Gedenkstättenlandschaft von an-
           deren Regionen Deutschlands ab und ermöglicht es auch
           den Lehrkräften, die Gedenkstätten vor Ort zu nutzen und
           mit vielerlei Bezügen zu unterschiedlichen Fächern in den
           Unterricht einzubinden. Im vorliegenden Heft haben wir
           deshalb exemplarisch Gedenkstätten ausgewählt, die die
           Themen »Verfolgung und Ausschaltung politischer und welt-
           anschaulicher Gegner« in der Phase des Machtausbaus des NS-
           Regimes, »Rassenpolitik« sowie »Vernichtung durch Arbeit«      Lothar Frick                    Dr. Reinhold Weber
           im KZ-Außenlagersystem des Südwestens behandeln.               Direktor der LpB                Chefredakteur




                                                                                              Beim Betreten der Ausstellung in der
                                                                                              Ulmer KZ-Gedenkstätte Oberer Kuhberg
                                                                                              werden die Besucher mit den Worten
                                                                                              empfangen: »Die Würde des Menschen
                                                                                              ist unantastbar.«
DZOK Ulm




           Politik & Unterricht • 3-2008                                                                                               1
Geleitwort des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport
Gedenkstätten zum nationalsozialistischen Unrechtsregime        und Schüler von heute die gesellschaftlichen Vorausset-
sind besondere außerschulische Lernorte. Denn hier wird das     zungen und Bedingungen des Systems mit den bis in die
Unbegreifliche, das kaum Nachvollziehbare am historischen,       Gegenwart reichenden Folgewirkungen. Sie erkennen, dass
teilweise auch authentischen Ort »greifbar«. Hier werden        die bitteren Erfahrungen den demokratischen Wiederbeginn
abstrakte Sachverhalte konkret und hier wird deutlich, dass     und den Aufbau unseres Gemeinwesens geprägt haben. Das
das, was im Geschichtsbuch behandelt wird, nicht fernab         unbedingte Bekenntnis zur Unantastbarkeit der Menschen-
im Osten Europas oder in Berlin stattgefunden hat, sondern      würde, die in Artikel 1 unseres Grundgesetzes festgeschrie-
in der Mitte der Gesellschaft und ganz unmittelbar vor der      bene Achtung vor dem menschlichen Leben, war und ist eine
eigenen Haustür.                                                grundlegende Antwort auf das Unrechtsregime der National-
                                                                sozialisten. Diese Erinnerung fordert von uns, sich immer
Weshalb ist Erinnern im Sinne von reflektierter Erfahrung        wieder dafür einzusetzen, dass die Menschenwürde nicht
so wichtig? Und: Welchen Beitrag kann und soll die Schule       nur für unantastbar erklärt, sondern auch nicht angetastet
zum Thema Erinnerung leisten? Hier ist die Lehrkraft gefor-     wird.
dert, durch Begegnungen bewusstes Erleben zu schaffen,
um gemeinsames Nachdenken und kritisches Reflektieren zu         Im vorliegenden Themenheft von Politik & Unterricht werden
ermöglichen. Den Jugendlichen soll Zeit und Raum gegeben        den Lehrerinnen und Lehrern des Landes Vorschläge zur
werden, um durch eigenes Tun intensive Lernerfahrungen zu       didaktisch-methodischen Nutzung von Gedenkstätten ge-
machen. Dieser Ansatz wird immer wichtiger, je weiter wir       geben. Die Landeszentrale für politische Bildung Baden-
uns zeitlich von den Verbrechen des NS-Regimes entfernen        Württemberg, der ein besonderer Auftrag für die Gedenkstät-
und je weniger es für Schülerinnen und Schüler möglich          tenarbeit im Land zukommt, unterstützt damit die didakti-
sein wird, von Zeitzeugen zu hören und diese befragen zu        sche Arbeit der Gedenkstätten. Wir begrüßen sehr, dass mit
können.                                                         dieser pädagogischen Arbeitshilfe ein weiterer Beitrag zum
                                                                bewussten Umgang mit der Geschichte, zum Eintreten für die
Hier liegt der Anknüpfungspunkt zu den Gedenkstätten.           freiheitlich demokratische Ordnung und gegen Rassismus,
Orte und Häuser erhalten ihre alten Gesichter; sie erzählen     politischen Extremismus und Gewalt geleistet wird.
Geschichten, indem sie die ganze Lebenswirklichkeit im
Nationalsozialismus veranschaulichen, in der es Täter, Mit-     Gernot Tauchmann
läufer und Zuschauer, aber auch Helfer und Retter gab. Der      Ministerium für Kultus, Jugend und Sport
Lebensort wird zum Lernort, der biographische Ansatz und        Baden-Württemberg
die Spurensuche führen zur Entwicklung von Empathie und
zur analysierenden Auseinandersetzung. Durch die exemp-
larische Beschäftigung mit sämtlichen Entwicklungsphasen
des nationalsozialistischen Terrors und dessen zahlenmäßig
bedeutendsten Opfergruppen erkennen die Schülerinnen




                                                              AUTORINNEN DIESES HEFTES

                                                              Dr. Anette Hettinger ist Akademische Oberrätin im Fach
                                                              Geschichte und ihrer Didaktik an der Pädagogischen Hoch-
                                                              schule Heidelberg. Im Jahr 2006 hat sie den Landeslehrpreis
                                                              Baden-Württemberg für ein fächerübergreifendes Projekt zur
                                                              Neuinszenierung der 1941 im Ghetto Theresienstadt aufge-
                                                              führten Kinderoper Brundibár bekommen.

                                                              Angelika Stephan hat an der PH Heidelberg studiert und ist
                                                              derzeit im Referendariat an der Realschule Osterburken.




2                                                                                                          Politik & Unterricht • 3-2008
Gedenkstätten
                       Lernorte zum nationalsozialistischen Terror




                       ●●●          EINLEITUNG                                        ren Gedenkstätten, die das Besondere der hiesigen Gedenk-
                                                                                      stättentopographie ausmacht. Die Gedenkstätten im Land
                                                                                      dokumentieren dennoch alle Verfolgungs- und Vernichtungs-
                                                                                      komplexe des NS-Terrors:
                                                                                      ◗ die ehemaligen frühen Konzentrationslager – oft ver-
                                                                                      harmlosend »Schutzhaftlager« genannt –, die an die erste
                       Baden-Württemberg zeichnet sich durch eine dichte und          Phase der nationalsozialistischen Machtdurchdringung und
                       regional ausgerichtete Gedenkstättenlandschaft aus. Hier-      »Gleichschaltung« der deutschen Gesellschaft unmittelbar
                       zulande gibt es keines der großen Konzentrationslager wie      nach der »Machtergreifung« im Januar 1933 erinnern;
                       Dachau oder Buchenwald. Hier gibt es auch keines der Ver-      ◗ ehemalige Synagogen, jüdische Einrichtungen und Orte
                       nichtungslager wie Auschwitz-Birkenau oder Treblinka, die      der Deportation, die auf das reiche kulturelle Leben jüdi-
                       weltweit synonym für das Morden der Nationalsozialisten        scher Mitbürger im Südwesten und auf dessen Auslöschung
                       stehen. Vielmehr ist es die Dezentralität der vielen kleine-   durch den NS-Terror hinweisen;


                                                                                                        Die Dichte der Gedenkstätten im
                                                                                                        Land erlaubt es, Auskünfte darüber zu
                                                                                                        geben, was in der Zeit des national-
                                                                                                        sozialistischen Terrorregimes im Land –
                                                                                                        buchstäblich vor der eigenen Haus-
                                                                                                        türe – geschehen ist. Die meisten der
                                                                                                        Gedenkstätten sind Orte der Erinnerung
                                                                                                        an die Opfer der nationalsozialisti-
                                                                                                        schen Verfolgungs- und Vernichtungs-
                                                                                                        politik. Andere Orte erinnern an den
                                                                                                        Widerstand gegen das NS-Regime sowie
                                                                                                        an die demokratischen Traditionen und
                                                                                                        Freiheitsbewegungen in Deutschland.
Lucia Winckler, 2008




                       Politik & Unterricht • 3-2008                                                                                              3
Einleitung




                                            ◗ Gedenkstätten, die im Zusammenhang mit »Euthanasie«         pläne des Landes Baden-Württemberg zwar die Beschäfti-
                                            und Medizin stehen;                                           gung mit außerschulischen Lernorten, nicht aber explizit
                                            ◗ Gedenkstätten, die an die rassische Verfolgung von Sinti    die Nutzung von Gedenkstätten empfehlen, so wird doch
                                            und Roma erinnern;                                            erfreulicherweise in großem Umfang und in allen Schularten
                                            ◗ Orte der ehemaligen kleinen Konzentrationslager der letz-   von dem Angebot der Gedenkstätten Gebrauch gemacht.
                                            ten Kriegsjahre, in denen Häftlinge aus allen von Deutsch-    Weil die Gedenkstätten gleichmäßig über das gesamte Land
                                            land besetzten Gebieten Europas Zwangsarbeit verrichten       verteilt sind, sind sie auch mit relativ geringem Aufwand in
                                            mussten. Sie waren überwiegend in den Außenlagerkomplex       die schulische Vermittlung der NS-Thematik einzubinden.
                                            des Stammlagers Natzweiler im Elsass eingebunden und Teil
                                            der NS-Ideologie »Vernichtung durch Arbeit«. Hierzu gehört    Zur Konzeption dieses Heftes
                                            auch die Erinnerung an die Todesmärsche bei der Auflösung      Das vorliegende Themenheft wendet sich vorwiegend an
                                            der Konzentrationslager angesichts der näherrückenden al-     Geschichtslehrerinnen und -lehrer aller Schularten. Ein Teil
                                            liierten Truppen;                                             der Materialien wird sich besonders für die Behandlung des
                                            ◗ Gedenkstätten, die Kriegsgefangene und sogenannte Dis-      Themas in der Sekundarstufe II eignen. Doch sind viele Ar-
                                            placed Persons thematisieren;                                 beitsmaterialien auch in der Sekundarstufe I einzusetzen.
                                            ◗ Gedenkstätten, die Aspekte des deutschen Widerstandes       Darüber lassen sich einzelne Teile des Heftes zweifelsohne
                                            behandeln;                                                    auch in anderen Fächern wie Gemeinschaftskunde/Politik,
                                            ◗ sowie Erinnerungsstätten, welche die Demokratiege-          Religion, Ethik oder in den Fächerverbünden verwenden.
                                            schichte Deutschlands (z. B. Rastatt) sowie Einzelpersonen
                                            der Demokratiegeschichte wie Friedrich Ebert, Theodor Heuss   Aus der Vielzahl der Gedenkstätten im Land wurden solche
                                            oder Matthias Erzberger zum Gegenstand haben.                 herausgesucht und exemplarisch behandelt, welche die zent-
                                            ◗ Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe von Gedenk-         ralen Verfolgungs- und Vernichtungskomplexe des national-
                                            stätten im Ausland mit direktem Bezug zu Baden-Württem-       sozialistischen Willkürregimes abdecken. Sie spiegeln die
                                            berg, mit denen enge Kontakte und Kooperationen gepflegt       vielfältigen Ausprägungen des NS-Terrors wider, welcher der
                                            werden (z. B. Natzweiler, Gurs u. a.).                        Ausgrenzung, Verfolgung und Vernichtung von politischen
                                                                                                          und weltanschaulichen Gegnern, von Andersdenkenden
                                            Die Gedenkstätten im Land erlauben es, Auskünfte darüber      sowie angeblich rassisch Minderwertigen galt. Sie erinnern
                                            zu geben, was in der Zeit des NS-Terrorregimes im Land –      an die Ausschaltung der politischen Gegner und an die Ein-
                                            buchstäblich vor der eigenen Haustür – geschehen ist. Die     schüchterung der Bevölkerung in der Phase der »Machter-
                                            meisten der Gedenkstätten sind dabei Orte der Erinnerung      greifung«. Sie verweisen auf das Leben ehemaliger jüdischer
                                            an die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgungs- und     Nachbarn und deren Gemeinden, auf die Verfolgung, Depor-
                                            Vernichtungspolitik. Sie eröffnen spezifische pädagogische     tation und Ermordung der jüdischen Mitbürger und somit auf
                                            Angebote und bieten damit als außerschulische Lernorte        ein verlorengegangenes, facettenreiches jüdisches Leben im
                                            einen besonderen Bezug zum schulischen Geschichtsunter-       deutschen Südwesten. Ebenso wird auch der Vernichtung
                                            richt, aber mit vielfältigen Anknüpfungsmöglichkeiten an      sogenannten »lebensunwerten Lebens« gedacht. Schließlich
                                            gegenwärtige Probleme und Konflikte auch zum Politik- und      erinnern die ausgewählten Gedenkstätten an die in den
                                            Gemeinschaftskundeunterricht. Wenngleich die Bildungs-        letzten Kriegsjahren entstandenen KZ-Außenlager und somit


                                                                                                                             Karteikarte aus einer 1934 durch-
                                                                                                                             geführten Reihenuntersuchung
                                                                                                                             »Rassenkundliche Landesaufnahme
                                                                                                                             in Württemberg« an der Universität
                                                                                                                             Tübingen.
Universitätsarchiv Tübingen (UAT 665/200)




                                            4                                                                                                      Politik & Unterricht • 3-2008
Einleitung




an Zwangsarbeit und »Vernichtung durch Arbeit«. Dass dabei       also vor allem Exemplarisches und weniger Allgemeines (wie
allein aus Platzgründen nicht alle Opfergruppen behandelt        z. B. Quellen zur »Machtergreifung« oder zur Entrechtung
werden können, liegt auf der Hand. Dabei wird es im Un-          der jüdischen Bevölkerung). Aus geschichtsdidaktischer
terricht eine Selbstverständlichkeit sein, auch auf andere       Perspektive weisen Gedenkstätten besonders gute Voraus-
Opfer des NS-Terrors wie Homosexuelle und zahlreiche welt-       setzungen für die Auseinandersetzung mit Geschichte auf.
anschaulich motivierte Gegner des Nationalsozialismus wie        Das vorliegende Heft orientiert sich deshalb auch an den
beispielsweise die Zeugen Jehovas hinzuweisen.                   allgemeinen Erfordernissen einer Zusammenarbeit zwischen
                                                                 Schulen und Gedenkstätten, die sich an nachfolgend vorge-
Das vorliegende Heft lässt sich in zweierlei Hinsicht im Un-     stellten inhaltlichen wie didaktisch-methodischen Prinzi-
terricht oder in der Projektarbeit einsetzen. Zum einen dient    pien ausrichten sollte.
es der konkreten Vorbereitung eines Gedenkstättenbesu-
ches. Dabei sind die hier ausgewählten Gedenkstätten zwar        In der unmittelbaren Nachbarschaft: die Verortung
intensiver behandelt. Dennoch bieten sich die präsentierten      des Geschehenen
Materialien auch größtenteils zur Übertragung auf andere         Untersuchungen zeigen, dass Schülerinnen und Schüler
Gedenkstätten desselben NS-Verfolgungs- und Vernich-             hohes Interesse am Lernen an außerschulischen Lernorten
tungskomplexes an. Zum andern ist das vorliegende Heft so        haben, also an historischen Stätten und in Museen. Ihnen
konzipiert, dass es auch von Lehrern im Unterricht einzuset-     schreiben sie hohe Motivationskraft, Vertrauenswürdigkeit,
zen ist, wenn kein Gedenkstättenbesuch geplant ist. Auch         Zugänglichkeit und nicht zuletzt Verständlichkeit zu. In der
für die generelle Behandlung des Themas »Nationalsozialis-       Tat fördert die Auseinandersetzung mit dem authentischen,
mus« im Schulunterricht bietet das Heft Arbeitsmaterialien,      konkreten Ort sowie mit den historischen Relikten vor Ort
die sich nicht in den gängigen Schulbüchern wiederfinden,         die historische Imagination. Denn hier spiegelt sich die
sondern die deren Angebot um konkrete Beispiele ergänzen.        allgemeine historische Entwicklung: Terror und Vernichtung
Anders als ein Schulbuch liefert die vorliegende Ausgabe         waren keine Angelegenheiten, die sich nur im fernen Berlin



  BERATEN – VERNETZEN – UNTERSTÜTZEN –                           Die LpB arbeitet im Auftrag von Landtag und Landesregie-
  FÖRDERN                                                        rung eng mit der Landesarbeitsgemeinschaft zusammen.
  Der Fachbereich Gedenkstättenarbeit                            Die Aktiven, die Vereinigungen und Kommunen werden be-
  der Landeszentrale für politische Bildung                      raten und unterstützt, Förderwege erschlossen und die tan-
                                                                 gierten Instanzen, Vereinigungen und Institutionen ver-
  In ihrer thematischen Breite und bürgerschaftlichen Ver-       netzt – im Land, im Bund und international. Im Mittelpunkt
  fasstheit ist die Gedenkstättenlandschaft Baden-Württem-       der fachlichen Beratung wie der finanziellen Förderung
  bergs singulär, so der Mannheimer Historiker Peter Stein-      stehen die Sicherung des geschichtswissenschaftlichen
  bach. Die Orte stehen für alle Verfolgungsbereiche der NS-     Stands und der zeitgemäßen pädagogischen Arbeitsfähig-
  Diktatur. Die meisten Gedenk- und Erinnerungsstätten in        keit. Nicht zuletzt dienen Hefte wie dieses oder auch aus
  Baden-Württemberg gehen auf örtliches bürgerschaftliches       der Reihe MATERIALIEN der LpB dazu.
  Engagement zurück. Die Kulturwissenschaftlerin Aleida
  Assmann wertet dies als »Demokratisierung durch Ehren-         Gedenkstättenpädagogik ist immer auch historisch-politi-
  amtlichkeit«. Gedenkstätten sind folglich vielgestaltig und    sche Bildung, Demokratie- und Menschenrechtserziehung.
  vielschichtig. Das bietet und erfordert jeweils unterschied-   Sie trägt damit wesentlich zu den in der Landesverfassung
  liche Zugänge. Vielfach ersetzen heute AV-Aufzeichnungen       von 1953 niedergelegten Bildungszielen bei. Gedenk- und
  die unmittelbare Begegnung mit den inzwischen verstor-         Erinnerungsstätten gelten oftmals als Orte der »negativen
  benen Zeugen. Die medienorientierte junge Generation           Erinnerung«. Ein Überlebender des Lagers Bisingen schlug
  kennt andererseits die wenigen, stets wiederholten doku-       daher 2006 vor, der Ausstellung »Schwierigkeiten des Er-
  mentarischen Filmausschnitte längst. Der reale historische     innerns« nun den Titel »Mut zur Erinnerung – Mut zur
  Schauplatz erhält daher durch seine Authentizität seine        Verantwortung« zu geben. Er würdigte damit die Zivilcou-
  besondere – und vor allem auch künftige – Bedeutung.           rage und die Verdienste aller Beteiligten um den offenen,
                                                                 ehrlichen und befreienden Umgang mit unserer schwie-
  Im Jahr 1994 schlossen sich die in der Gedenkstätten-          rigen Geschichte. Sie dabei zu unterstützen ist unsere
  arbeit tätigen Gruppen zur »Landesarbeitsgemeinschaft          vornehmlichste Aufgabe.
  der Gedenkstätten und Gedenkstätteninitiativen in Baden-
  Württemberg« zusammen. Jedes Jahr besuchen fast                Konrad Pflug leitet den Fachbereich Gedenkstättenarbeit
  200.000 Menschen die Gedenkstätten im Land. Ziel der           bei der LpB
  Auseinandersetzung ist nicht nur das Geschichtsverständ-
  nis, sondern auch der Transfer auf gegenwärtige gesell-        E-Mail: konrad.pflug@lpb.bwl oder renate.baur@lpb.bwl
  schaftliche Wirklichkeiten. Dieser Fokus wird heute in den     Tel.: 0711/164099-31
  Gedenkstätten europaweit gesetzt.                              www.gedenkstaetten-bw.de



Politik & Unterricht • 3-2008                                                                                                 5
Einleitung




                       oder in den von Hitler-Deutschland besetzten Gebieten ab-       und in Handwerksbetrieben, bei kommunalen oder kirchli-
                       spielten. Allgemein lässt sich zudem der Umgang mit histo-      chen Einrichtungen zur Arbeit gezwungen wurden, lebten
                       rischen Stätten üben, genauer: die Bindung von Geschichte       wortwörtlich nebenan.
                       an den Raum. Denn kein Bauwerk wurde absichts- und funk-
                       tionslos an einer Stelle errichtet. Die Frage »Warum gerade     Die meisten Gedenkstätten im Land erinnern an die Opfer
                       hier?« ist eine der Standardfragen historischer Erkundungen     des Nationalsozialismus, an deren Leiden, an die Schika-
                       vor Ort. Die Auseinandersetzung mit ihr schärft die Fähig-      nen, denen sie ausgesetzt waren, und an ihr Sterben. Doch
                       keit, räumliche Zusammenhänge wahrzunehmen.                     diese historischen Orte sind auch Orte der Täter und der
                                                                                       Zuschauer: Hier agierten gewöhnliche Männer und Frauen,
                       Ganz konkret: Die deutsche Gesellschaft                         die in abgestuftem Maß in den NS-Terror verwickelt waren.
                       und der Holocaust                                               Sie kamen aus der Mitte der Gesellschaft und lebten in
                       Vor Ort wird die Einbettung von Verfolgung und Vernichtung      ihrer Mitte. Oft findet man sie auch nach 1945 als »ganz
                       in das Alltagsleben der deutschen Gesellschaft im National-     normale« Bürgerinnen und Bürger wieder. Ihre Handlungs-
                       sozialismus deutlicher: Der Terror fand buchstäblich am hell-   spielräume und die Mechanismen des Mitmachens oder des
                       lichten Tag und vor aller Augen statt. Es waren die unmittel-   Sich-Verweigerns lassen sich an ihrem konkreten Beispiel
                       baren Nachbarn, die politisch verfolgt und in »Schutzhaft«      und in alltäglichen Situationen ausloten. Schülerinnen und
                       genommen wurden, deren Lebensumfeld zerstört wurde,             Schülern wird damit zu einer differenzierten Sicht auf die
                       denen die materielle Lebensbasis entzogen wurde und die         Durchsetzung einer Diktatur und auf die Lebensbedingungen
                       schließlich deportiert wurden. Es waren die eigenen Fami-       in ihr verholfen.
                       lienangehörigen oder die der Nachbarn, die in Grafeneck
                       ermordet wurden, nur weil sie den Nationalsozialisten als       Weil die wissenschaftlichen Recherchearbeiten vor Ort zu
                       »lebensunwert« galten. Auch die Zwangsarbeiterinnen und         einem großen Teil auf den Erinnerungen Betroffener beru-
                       Zwangsarbeiter, die in Industrieanlagen schufteten, nach        hen, bieten Gedenkstätten eine besondere Gelegenheit, den
                       Bombenangriffen Schutt räumten, die in der Landwirtschaft       Opfern des Terrors Namen und Gesicht zu geben – und somit


                                                                                                         Die thematisierten Gedenkstätten
                                                                                                         und Gedenkorte in diesem Heft:
                                                                                                         die frühen Konzentrationslager
                                                                                                         Kislau bei Bruchsal, Welzheim,
                                                                                                         Heuberg bei Stetten am kalten
                                                                                                         Markt, Oberer Kuhberg in Ulm;
                                                                                                         die ehemalige Synagoge Sulzburg,
                                                                                                         Grafeneck bei Münsingen auf der
                                                                                                         Schwäbischen Alb als Ort der
                                                                                                         »Euthanasie«-Morde, Mulfingen
                                                                                                         bei Schwäbisch Hall; schließlich
                                                                                                         das KZ Neckarelz.
Lucia Winckler, 2008




                       6                                                                                                      Politik & Unterricht • 3-2008
Einleitung




                                     Identität und Würde. Nicht zuletzt ist dies eine wesentliche      Repräsentationen der Geschichtskultur wie dem genannten
                                     Aufgabe und Bestimmung der Gedenkstätten. In den Ge-              Mahnmal oder den Gedenkstätten angehalten werden. Dies
                                     denkstätten wird aber auch den Tätern und den »Zuschau-           ist angesichts der Bedeutung des Themas Nationalsozialis-
                                     ern« Name und Gesicht gegeben. Dem persönlichen Handeln           mus und Holocaust in der Gesellschaft besonders wichtig. Die
                                     und Erleben dieser Menschen können sich Lernende leichter         Auseinandersetzung vor Ort ist hierfür besonders geeignet,
                                     annähern als abstrakt dargestellten Vorgängen, weil es kon-       denn über die inhaltliche Beschäftigung mit den Fakten und
                                     krete Schicksale »gewöhnlicher« Menschen sind. Im vor-            mit dem Geschehenen vor Ort und seinen Weiterwirkungen
                                     liegenden Heft finden sich deshalb zahlreiche Materialien,         hinaus sind Gedenkstätten auch Lernorte für Medien- und
                                     die einzelne Menschen vorstellen. Exemplarisch konkreti-          Methodenkompetenz. Es sind Orte, an denen konkret erfah-
                                     sieren sie allgemeine historische Aspekte und veranschau-         ren und geübt werden kann, wie Geschichte »gemacht« wird.
                                     lichen komplizierte Sachverhalte auf einer nachvollziehba-        Hier können grundlegende geschichtswissenschaftliche Ver-
                                     ren Ebene. Darüber hinaus thematisieren sie mit der Frage         fahrens- und Erkenntnisweisen eingeübt werden.
                                     »Was war denn eigentlich nach dem Untergang des Hitler-
                                     Regimes?« einen weiteren wichtigen Aspekt. Denn sie zeigen        Dies betrifft den historischen Ort als solchen, der nur in den
                                     konkret die Bezüge zwischen dem Vorher und dem Nachher            seltensten Fällen unverändert, meist aber zumindest teil-
                                     auf, weil für die Opfer des Terrors der Nationalsozialisten der   weise zerstört, überbaut und in seinen Funktionen verändert
                                     Schrecken mit dem Kriegsende im Mai 1945 nicht vorbei war.        vorhanden ist. Dennoch ist er eine historische Quelle: Seine
                                     Er hatte lebenslange Folgen.                                      Gestaltung verweist insgesamt und in seinen historischen
                                                                                                       Einzelbestandteilen auf die Lebensbedingungen vor Ort und
                                     Gedenkstätten: Spiegel der Geschichts- und                        auf seine Funktion für die Menschen, die sich hier aufhiel-
                                     Erinnerungskultur                                                 ten. Seine Einbindung in den Raum deutet auf soziale und
                                     Gedenkstätten spiegeln die sich ändernden Einstellungen           wirtschaftliche Bezüge; seine Umgestaltungen zeigen den
                                     und Haltungen wider, die die bundesdeutsche Gesellschaft          Umgang der Nachfahren mit der Geschichte.
                                     gegenüber Nationalsozialismus und Holocaust eingenom-
                                     men hat und noch einnimmt. So zeigt etwa die Geschichte           Auch die kritische Arbeit mit historischen Quellen als ein
                                     der politischen und finanziellen Förderung der einzelnen           Ziel historischen Lernens lässt sich an den in den Gedenk-
                                     Gedenkstätte auf, wie die deutsche Gesellschaft und die po-       stättenarchiven vorhandenen Quellenzeugnissen einüben.
                                     litischen Kräfte vor Ort in einer bestimmten Epoche mit ihrer     Gerade die Zeitzeugenberichte und Interviews, auf denen
                                     Vergangenheit umzugehen gewillt waren. Genauso verweist           viele der heute vorhandenen Informationen über das Ge-
                                     die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Geschehenen          schehen vor Ort beruhen, eignen sich besonders zu quellen-
                                     auf die individuelle und gruppenspezifische »Verarbeitung«         kritischen Fragestellungen: Die persönliche Wahrnehmung,
                                     der NS-Zeit. Das Mahnmal zur Erinnerung an die deportierten       Vergessen und Verdrängen, später Gehörtes, politische und
                                     badischen Juden in Neckarzimmern, das verschiedene, von           ethisch-moralische Überzeugungen der Erzählenden und die
                                     Jugendgruppen gestaltete Gedenksteine zu einem zentralen          Erwartungshaltung ihres Publikums, Zeitpunkt und äußerer
                                     Gesamtkunstwerk vereinigt, ist hierfür ein eindrucksvolles        Rahmen des Erzählens und Befragens – dies sind nur einige
                                     Beispiel. In unserer mediendominierten Gegenwart müssen           Aspekte, die es bei Zeitzeugenberichten zu beachten gilt.
                                     Schüler vermehrt zur reflektierten Auseinandersetzung mit          Ähnliches gilt für Bildquellen: Täterfotos und Opferbilder


                                                                                                                          Das Mahnmal in Neckarzimmern erin-
                                                                                                                          nert an die Deportation der badischen
                                                                                                                          Juden im Oktober 1940 in das südwest-
                                                                                                                          französische Lager Gurs. Im Rahmen
                                                                                                                          des Ökumenischen Jugendprojektes
                                                                                                                          arbeiten katholische und evangelische
                                                                                                                          Jugendgruppen aus ganz Baden seit
                                                                                                                          2002 an der Realisierung des Mahn-
                                                                                                                          mals. Es besteht aus einem 25 mal 25
                                                                                                                          Meter großen, als Betonband in den
                                                                                                                          Boden eingelassenen Davidstern, auf
Ökumenisches Jugendprojekt Mahnmal




                                                                                                                          dem die Projektgruppen individuell
                                                                                                                          gestaltete »Memorialsteine« anbringen
                                                                                                                          und der Platz für weitere Erinnerungs-
                                                                                                                          steine aus sämtlichen 137 Deporta-
                                                                                                                          tionsorten bietet.




                                     Politik & Unterricht • 3-2008                                                                                                 7
Einleitung




zeigen unterschiedliche Perspektiven. Die quellenkritische       Literatur ergänzen das Angebot und zeigen Möglichkeiten
Beschäftigung mit ihnen fördert die Methoden- und Me-            der Weiterarbeit auf. Die Aufgabenstellungen sind bewusst
dienkompetenz der Schülerinnen und Schüler. Überdeutlich         offen gehalten und zielen damit auf Arbeit in Projekten oder
und offensichtlich wird der »konstruierte« Charakter von         in projektartigen Formen, die Schülerinnen und Schülern die
Geschichte schließlich bei künstlerischen Darstellungen,         eigenständige Auseinandersetzung mit der Thematik erlauben
die höchst individuelle Interpretationen der Geschichte          und ihnen helfen soll, ihren eigenen Standpunkt zu einem
sind. Letztlich sind es auch die »Inszenierungen« von Ge-        zentralen Thema der deutschen Geschichte zu finden.
schichte, die an einer Gedenkstätte in Blick genommen
werden können. An den Ausstellungen vor Ort, die als solche      Die Auswahl der Gedenkstätten erfolgte vor allem unter
Inszenierungen zu verstehen sind und ein bestimmtes Bild         dem Gesichtspunkt einer regionalen Verteilung in Baden-
von »der« Geschichte vermitteln, lassen sich Fragen der          Württemberg. Die inhaltliche Gliederung weist drei Schwer-
Perspektivität von Ausstellungsmachern und ihrem Publikum        punkte auf: Baustein A beschäftigt sich mit den frühen na-
sowie der Deutung von Geschichte diskutieren.                    tionalsozialistischen Konzentrationslagern Kislau, Heuberg
                                                                 und Oberer Kuhberg in Ulm. Baustein B zeigt am Beispiel
Mit den hier vorgelegten Materialien wird versucht, den ge-      der jüdischen Gemeinde bzw. der Gedenkstätte im badi-
nannten Aspekten gerecht zu werden. Angesichts der Viel-         schen Sulzburg, der Sinti-Kinder von Mulfingen (Hohenlohe)
zahl der Gedenkstätten in Baden-Württemberg ist allerdings       und der Gedenkstätte Grafeneck auf der Schwäbischen Alb
exemplarisches Arbeiten notwendig: An einzelnen Orten soll       drei Varianten nationalsozialistischer Rassepolitik auf. Bau-
aufgezeigt werden, welche Themen in der unabdingbaren            stein C beschäftigt sich am Beispiel des ehemaligen Außen-
Vorbereitung eines Gedenkstättenbesuches erarbeitet werden       lagers von Natzweiler bzw. der KZ-Gedenkstätte Neckarelz
sollten und welche thematischen und methodischen Ziel-           (Neckar-Odenwald-Kreis) mit der letzten Phase der natio-
setzungen vor Ort verfolgt werden können. Die Vielfalt der       nalsozialistischen Vernichtungspolitik, in der das System
Themen zwingt zu einer starken Reduktion der Materialien.        der Konzentrationslager wieder in die unmittelbare Nach-
Ergänzende Hinweise auch auf spezifische Internetseiten und       barschaft der deutschen Bevölkerung rückte.



    HISTORISCHER HINTERGRUND: DAS SYSTEM                         schreckung anderer – aus politischen, konfessionellen oder
    DER KONZENTRATIONSLAGER                                      auch persönlichen Gründen in »Schutzhaft« genommen und
                                                                 gerichtlich Verurteilte nach bereits verbüßter Haft in ein
    Die Konzentrationslager gehörten zu den wichtigsten          Lager gesteckt. Die »Schutzhaft« konnte unbegrenzt lange
    Machtinstrumenten der Nationalsozialisten, doch sind un-     dauern; ein Rechtsmittel gegen sie war nicht möglich.
    terschiedliche Entwicklungsstufen und Formen der Ausge-
    staltung zu berücksichtigen. Die frühen Lager dienten der    Eine Vereinheitlichung zum »System der Konzentrations-
    Ausschaltung und Einschüchterung der politischen und         lager« begann erst 1934 mit der Ausgestaltung des KZ
    weltanschaulichen Gegner der Nationalsozialisten sowie       Dachau zum Modell für alle weiteren Lager. Die ab 1936
    der Abschreckung potenzieller Widersacher, die (noch)        in Deutschland gegründeten zentralen Konzentrationslager
    in Freiheit lebten. Die frühen Konzentrationslager waren     wie Sachsenhausen oder Buchenwald wiesen einheitliche
    Sache der Länder: Eine zentral, auf Reichsebene gelenkte     strukturelle Merkmale auf und standen unter der Leitung
    Instanz, welche die Lager und ihre Ausgestaltung koordi-     der SS. Neben den politischen Gegnern der Nationalsozia-
    nierte, existierte noch nicht.                               listen wurden jetzt auch rassenideologisch Verfolgte (Sinti
                                                                 und Roma, sogenannte »Asoziale«, Homosexuelle u. a.)
    Frühe Konzentrationslager in Baden waren die Lager Kislau    eingesperrt, was nach nationalsozialistischem Sprachge-
    bei Bruchsal und Ankenbuck bei Villingen. Das größte         brauch der »Reinigung des Volkskörpers« dienen sollte. In
    Lager im Südwesten Deutschlands war das von März bis         Baden oder Württemberg entstand kein derartiges Lager;
    Dezember 1933 bestehende Lager Heuberg bei Stetten am        das Lager Welzheim erfüllte nachgeordnete Funktionen.
    kalten Markt auf der Schwäbischen Alb. Regimefeindliche
    Frauen kamen in das württembergische Frauengefängnis         Von diesen großen, zentralen Lagern sind die nach Beginn
    Gotteszell bei Schwäbisch Gmünd. Schon Ende 1933 musste      des Zweiten Weltkrieges gegründeten Lager zu unterschei-
    das völlig überfüllte Lager Heuberg geschlossen werden. Es   den, die – wie Natzweiler im Elsass – der SS als Terrormittel
    wurde durch ein Konzentrationslager in der Festung Oberer    gegen die Bevölkerung in den eroberten Gebieten dienten,
    Kuhberg in Ulm ersetzt.                                      und vor allem die Vernichtungslager auf erobertem polni-
                                                                 schem Gebiet, in denen die massenhafte Tötung insbe-
    Die wesentliche Grundlage der Einlieferung in ein Konzen-    sondere von Juden und von Sinti und Roma durchgeführt
    trationslager bildete die »Schutzhaft«. Der Begriff gibt     wurde. Der Arbeitseinsatz von unzähligen Zwangsarbeitern
    fälschlicherweise vor, der Verhaftete sei zu seinem eige-    in der Industrie erforderte dann kleinere Außenlager am
    nen Schutz in Haft genommen worden. Tatsächlich wurden       Einsatzort der Häftlinge (vgl. hierzu Baustein C).
    Gegner der Nationalsozialisten vorbeugend – und zur Ab-



8                                                                                                           Politik & Unterricht • 3-2008
Baustein A




●●●          BAUSTEIN A                                                                      zeigen einerseits den Zeitdruck, unter dem die Nationalso-
                                                                                             zialisten genügend Gefängnisse für die massenhafte Verhaf-
DIE FRÜHEN KONZENTRATIONSLAGER:                                                              tung politischer und weltanschaulicher Gegner zur Verfügung
MACHTAUSBAU DURCH TERROR                                                                     stellen mussten. Andererseits belegen sie auch die geringe
                                                                                             Wertschätzung der Häftlinge und ihrer Menschenwürde durch
                                                                                             den nicht mehr funktionierenden Rechtsstaat. Der Ort wird
In Baustein A wird vor allem die Funktion der frühen Kon-                                    so zur Quelle. Dabei sollte aber auch deutlich werden, dass
zentrationslager im Zuge des Machtausbaus und der For-                                       er nur »zum Sprechen gebracht« werden kann, wenn die
mierung der deutschen Gesellschaft im nationalsozialisti-                                    tatsächlichen Lebensverhältnisse durch weitere Zeugnisse
schen Sinn aufgezeigt. Ein Lernziel besteht darin, zwischen                                  wie A 8 vorgestellt werden, auch wenn die Unwirtlichkeit
den frühen Konzentrationslagern, den Vernichtungslagern                                      des Forts grundsätzlich erkennbar ist.
und den in Baustein C wieder aufgegriffenen Außenlagern
(»Vernichtung durch Arbeit«) differenzieren zu können. Die                                   Das Lagersystem beruhte auf dem Instrument der »Schutz-
Entwicklung eines einheitlichen und zentral gesteuerten KZ-                                  haft«, das bereits im 19. Jahrhundert bekannt war, von den
Systems wird hier am Beispiel der Häftlingskleidung und                                      Nationalsozialisten aber als Terrorinstrument ausgestaltet
indirekt an den vorgestellten Orten verdeutlicht: Die Fotos,                                 wurde. Ausgangspunkt hierfür war die Verordnung des Reichs-
die Häftlinge zeigen (A 9), sind Zeugnisse einer fortschrei-                                 präsidenten »zum Schutz von Volk und Staat« (sogenannte
tenden Vereinheitlichung der Haftbedingungen. Gleichzeitig                                   »Reichstagsbrandverordnung«) vom 28. Februar 1933, durch
verweisen sie auf die zunehmende, von den Lagerleitungen                                     welche die wesentlichen bürgerlichen Grundrechte beseitigt
(und später der SS) angestrebte Entpersönlichung der Lager-                                  (§ 1 abgedruckt in A 4) und die Strafbestimmungen für
insassen, denen durch Uniformierung und Haarschur jegliche                                   bestimmte Vergehen verschärft wurden.
äußeren individuellen Züge genommen werden sollten (vgl.
C 3 – C 5).                                                                                  Weiteres Thema dieses Bausteins sind die Mittel und Metho-
                                                                                             den, welche die Nationalsozialisten zum Ausbau ihrer Macht
Orte wie Kislau und insbesondere der Obere Kuhberg in Ulm,                                   benutzten. Die Darstellung des Konzentrationslagers in der
die ursprünglich nicht als Gefängnisbauten gedacht waren,                                    Öffentlichkeit, also die gewünschte Berichterstattung in der



  DAS EHEMALIGE KONZENTRATIONSLAGER                                                          die Räume der KZ-Kommandantur. Eine Dauerausstellung
  OBERER KUHBERG IN ULM                                                                      in der Gedenkstätte zeigt Bilder und Dokumente zu den
                                                                                             Häftlingen, den Haftbedingungen, den Haftgründen und
  Das um 1850 erbaute Fort Oberer Kuhberg diente dem                                         nicht zuletzt auch zu den Tätern.
  NS-Regime von November 1933 bis Juli 1935 als Konzen-
  trationslager. Kurz zuvor war das völlig überfüllte Lager                                  www.dzokulm.telebus.de
  Heuberg bei Stetten am kalten Markt geschlossen worden.
  Das KZ Oberer Kuhberg war kein Vernichtungslager. Wohl                                     Reinhold Weber
  aber waren hier über 600 politische und weltanschauliche
  Gegner aus Württemberg und Hohenzollern unter men-
  schenunwürdigen Bedingungen eingekerkert. Unter ihnen
  waren prominente Politiker wie der KPD-Landtagsabgeord-
  nete Alfred Haag (1904 – 1982) oder die Sozialdemokraten
  Albert Pflüger (1897 – 1965), Erich Roßmann (1884 – 1953)
  und der spätere SPD-Bundesvorsitzende Kurt Schumacher
  (1895 – 1952). Sie begannen hier ihren Leidensweg durch
  die NS-Lager.
                                                               DZOK Ulm/DZOK-FArchiv R1 96




  In Konzentrationslagern wie dem Oberen Kuhberg wurden
  Regimegegner und -kritiker ihrer Würde beraubt, um sie –
  zusammen mit ihren Angehörigen und Mitstreitern – ein-
  zuschüchtern und verstummen zu lassen.

  Heute ist das ehemalige Konzentrationslager Oberer Kuh-
  berg Gedenkstätte. Es ist das einzige KZ in Süddeutsch-                                    Das Kommandanturgebäude bzw. Reduit des Forts Oberer
  land, das in seiner baulichen Substanz erhalten ist und                                    Kuhberg.
  besichtigt werden kann. Dazu gehören die unterirdischen
  Verliese, in denen die Häftlinge untergebracht waren, das
  Freigelände mit der Haftzelle von Kurt Schumacher sowie



Politik & Unterricht • 3-2008                                                                                                                          9
Baustein A




Presse über Verhaftungen und (angebliche) Haftbedingun-                                  entstehenden Lager typisch ist, für die frühen Lager zumin-
gen, zieht sich durch die Geschichte der frühen Konzentra-                               dest nach außen nicht besteht. Das Regime präsentierte
tionslager, wie hier an A 1, A 2 und A 5, A 9 und A 11                                   und demonstrierte der Öffentlichkeit – also den Gegnern
deutlich wird. Offensichtliches Ziel war die Abschreckung                                wie den Anhängern – am und über das Konzentrationslager
potenzieller Gegner und die Ausrichtung der Gesellschaft im                              die erreichte Macht. A 6 ist darüber hinaus Zeugnis für den
nationalsozialistischen Sinn. Die Mittel waren die Berichter-                            Triumph, den die Nationalsozialisten über die Gegner aus
stattung als solche und vor allem der diffamierende Ton.                                 der Arbeiterschaft feierten: Der traditionelle Feiertag der
                                                                                         Arbeiterschaft wird instrumentalisiert. Der Terror, den das KZ
Auch A 6 gehört hierher: Der aus Anlass des 1. Mai zu Propa-                             zum Ausdruck bringt, wird mit den angeblich erreichten wirt-
gandazwecken geschmückte Eingang mit Hitlerbild, Haken-                                  schaftlichen Erfolgen gerechtfertigt und die überwiegend
kreuzfahnen, Reichsfahne (in Schwarz-Weiß-Rot) und dem                                   politisch linksstehenden Häftlinge werden damit verhöhnt.
Spruch »Gestern Hunger und Not, heute Arbeit und Brot«                                   Schikanöse Strafen, Willkür und Terror richteten sich jedoch
zeigt, dass die bewusste äußere wie innere Abschottung                                   gegen sämtliche Gegner des NS-Regimes. Sie wurden in allen
der Lagerwelt, wie sie für die seit Mitte der 1930er Jahre                               Konzentrationslager eingesetzt, um den Willen der Häftlinge



 DAS KONZENTRATIONSLAGER KISLAU                                                          3. April 1934 auf dem Karlsruher Friedhof beteiligten sich
                                                                                         trotz der Allgegenwart der Gestapo rund 3.000 Menschen.
 Das Konzentrationslager Kislau bei Bruchsal bestand von
 April 1933 bis April 1939. Während der gesamten Dauer                                   Die Karlsruher SPD vergibt zum Andenken an Ludwig Marum
 seines Bestehens blieb es dem badischen Innenministe-                                   jährlich einen Preis. Im Oktober 1985 wurde das Gym-
 rium unterstellt und wurde im Gegensatz zu den meisten                                  nasium im nahegelegenen Pfinztal nach Ludwig Marum
 anderen frühen Konzentrationslager nicht der zentralen                                  benannt. Vor der ehemaligen Wohnung des Abgeordneten
 »Inspektion der Konzentrationslager« unterstellt. Das Kon-                              in der Wendtstraße 3 in Karlsruhe wurden Stolpersteine in
 zentrationslager wurde im Schloss Kislau errichtet, das be-                             den Boden gesetzt. Im Schloss Kislau selbst erinnert ein
 reits seit 1819 als Strafanstalt gedient hatte. Parallel zum                            Gedenkstein im Schlosshof an das ehemalige Konzentrati-
 Konzentrationslager existierte in einem Trakt des Schlosses                             onslager und an Ludwig Marum. In der Erinnerungsstätte
 ein ebenfalls bereits im 19. Jahrhundert eingerichtetes                                 Ständehaus in Karlsruhe wird mit zwei Tafeln an das Schick-
 Arbeitshaus für Männer.                                                                 sal von Ludwig Marum und Adam Remmele erinnert.

 Im Konzentrationslager Kislau wurden bereits im April                                   www.karlsruhe.de/kultur/stadtgeschichte/staendehaus.de
 1933 Kommunisten, Sozialdemokraten und Zentrumspo-                                      www.lpb-bw.de/publikationen/menschenausdemland/
 litiker inhaftiert. Zahlreiche politisch Missliebige folgten.                           marum.pdf
 Die höchste Belegungsstärke des KZ wurde 1937/38 mit
 173 Häftlingen erreicht.                                                                Reinhold Weber

 Einer der prominentesten Inhaftierten und Opfer des
 NS-Terrors in Kislau war der jüdische SPD-Politiker und
 Reichstagsabgeordnete Ludwig Marum (1882 – 1934) aus
 Karlsruhe. Am 16. Mai 1933 wurden Marum, der frühere
 badische Staatspräsident Adam Remmele (1877 – 1951) und
 fünf weitere führende badische Sozialdemokraten in das
 neu errichtete Konzentrationslager Kislau verbracht. Dabei
 wurden sie unter entwürdigenden Umständen in einer vor-
 bereiteten Aktion auf offenen Lastkraftwagen durch die
 Stadt Karlsruhe gefahren – vorbei an pöbelnden SA-Horden
                                                                 Stadtarchiv Karlsruhe




 und tausenden Karlsruher Bürgern. Vereinzelt kam es zu
 Protesten und Rufen wie »Rotfront«, die vom Regime sofort
 geahndet wurden. Am selben Tag kam der »gleichgeschal-
 tete« badische Landtag zu seiner Eröffnungssitzung zusam-
 men. Der zeitliche Zusammenhang war keinesfalls zufällig.
                                                                                         Am 16. Mai 1933 werden – öffentlich inszeniert – sieben
 Am 29. März 1934 wurde Ludwig Marum auf Weisung des                                     sozialdemokratische Landtagsabgeordnete aus Karlsruhe in
 badischen Reichsstatthalters Robert Wagner von drei KZ-                                 das Konzentrationslager Kislau verschleppt. Von SS- und SA-
 Aufsehern erdrosselt. Die von den Behörden verbreitete                                  Männern umringt v. l. n. r.: Hermann Stenz, Adam Remmele,
 Version des Selbstmordes des Politikers fand in der Bevöl-                              Erwin Sammet, Ludwig Marum, Gustav Heller, Sally Grüne-
 kerung keinen Glauben. An der Einäscherung Marums am                                    baum und August Furrer.



10                                                                                                                                 Politik & Unterricht • 3-2008
Baustein A




                        zu brechen – hier verdeutlicht am Beispiel der »Schaufahrt«       entsprechenden Biographieordner, der im Dokumentations-
                        ins badische KZ Kislau (A 1 und A 2) und den Berichten in         zentrum Oberer Kuhberg vorhanden ist.
                        A 8, A 9, A 10 und A 12. Gerade A 9 zeigt die Absurdität
                        des Lageralltags in Ulm, da eine an sich sinnvolle Beschäf-       Mit Alois Dangelmaier (1889 – 1968) wird ein Repräsentant
                        tigung (die Reinigung der Kleider und der Kleiderappell)          der Gruppe der NS-Gegner aus dem kirchlichen Bereich vor-
                        durch die Anweisungen des Lagerkommandanten zur Ver-              gestellt. Die ausgewählten Materialien verweisen als Ein-
                        schlimmerung der Lebensumstände führt. Die entwürdigende          führung auf die Ausstellung im Dokumentationszentrum
                        Behandlung von Alfred Haag durch den Lagerkommandanten            Oberer Kuhberg in Ulm, machen aber noch einmal die Mittel
                        (A 10) verweist auf dessen nahezu absolute Stellung und in        deutlich, mit denen die NS-Verfolgungsbehörden arbeite-
                        besonderem Maß auf seine Menschenverachtung.                      ten: Drohungen, öffentliche Zurschaustellung und damit
                                                                                          Missachtung grundlegender bürgerlicher Rechte, die auch
                        Die Lebensgeschichte des ehemaligen württembergischen             Verdächtige genießen (vgl. A 11).
                        KPD-Landtagsabgeordneten Alfred Haag, dargestellt von
                        seiner Frau Lina, steht exemplarisch für die Verfolgung und       Mit Karl Buck (1894 – 1977) wird ein Repräsentant der Täter
                        das Schicksal politischer Gegner der Nationalsozialisten. Am      angesprochen, die größtenteils »ganz normale Männer« (so
                        biographischen Einzelfall werden hier das außergesetzliche        ein Buchtitel des Historikers Christopher Browning) waren,
                        Wirken und die Willkür von Gestapo und Lagerleiter deut-          die aber die NS-Ideologie verinnerlicht hatten und sie aus-
                        lich. Gleichzeitig eröffnet das Beispiel eine Perspektive auf     lebten. Sein schikanöses Verhalten gegenüber den Häft-
                        die Auswirkungen der Verfolgung im familiären Umfeld der          lingen kann auf der Grundlage der Texte zusammengestellt
                        Betroffenen. Die Angehörigen litten mit, blieben aber nach        werden. Da es noch keine grundlegende Studie zu Buck gibt,
                        wie vor in der »normalen« Gesellschaft präsent – ein Hinweis      kann mit den ausgewählten Materialien auf ein grundsätzli-
                        auf die vielfältigen Verwicklungen des KZ-Systems mit der         ches Thema der Nachkriegsgeschichte – auf den Umgang der
                        »Zuschauer«-Gesellschaft. Indem die weiteren Lebensläufe          westdeutschen Gesellschaft und Justiz mit den Tätern nach
                        von Alfred und Lina Haag recherchiert werden, werden die          1945 und ihre Integration – hier nur verwiesen werden.
                        Folgen von Verfolgung und Haft über die oftmals postulierte
                        »Stunde Null« des Mai 1945 hinaus deutlich gemacht. Der           Mit der Materialseite zu den unterschiedlichen Formen des
                        Bericht dient zudem als Hinführung zur Arbeit mit dem             Gedenkens soll die Auseinandersetzung mit gegenwärtigen


                                                                                        Im Haus des Landtags von Baden-Württemberg in Stuttgart
                                                                                        erinnert seit 2004 ein Gedenkbuch an ermordete oder auf-
                                                                                        grund der NS-Verfolgung zu Tode gekommene Mitglieder der
                                                                                        Landtage des Freistaates Baden und des Freien Volksstaates
                                                                                        Württemberg von 1919 bis 1933. Die Dokumentation liegt
                                                                                        im Hauptgeschoss des Landtagsgebäudes frei zugänglich aus.
                                                                                        Sie schildert exemplarisch, schlaglichtartig und in äußers-
                                                                                        ter Knappheit das Lebensschicksal von 18 badischen und
                                                                                        württembergischen Landtagsabgeordneten.

                                                                                        Viele dieser Abgeordneten waren gleichzeitig Mitglieder
                                                                                        des Deutschen Reichstags, leisteten Widerstand gegen das
                                                                                        NS-Unrechtsregime und hatten infolgedessen unter Verfol-
                                                                                        gung und Unterdrückung bis hin zum Verlust ihres Lebens
                                                                                        zu leiden. Unter den 18 Abgeordneten sind auch der
                                                                                        württembergische Staatspräsident Eugen Bolz (1881 – 1945,
                                                                                        Zentrum), die Liberalen Fritz Elsas (1890 – 1945, DDP)
                                                                                        und der Schriftsteller und Journalist Johannes Fischer
                                                                                        (1890 – 1942, DDP), der kommunistische Widerstands-
                                                                                        kämpfer Georg Lechleiter (1885 – 1942), der Sozialdemokrat
                                                                                        Ludwig Marum (1882 – 1934), die Sozialdemokratin Laura
                                                                                        Schradin (1878 – 1937) und der spätere SPD-Bundesvor-
                                                                                        sitzende Kurt Schumacher (1895 – 1952), der mehrere KZ-
                                                                                        Inhaftierungen, unter anderem im Oberen Kuhberg in Ulm,
                                                                                        überlebte.
LMZ Baden-Württemberg




                        Politik & Unterricht • 3-2008                                                                                             11
Baustein B




Ausprägungen der Geschichtskultur angeregt und gefördert                                  ●●●      BAUSTEIN B
werden: Während der Gedenkstein für Ludwig Marum, der
eine für Grabmale übliche Form hat, den mahnenden Charak-                                 NS-RASSENIDEOLOGIE: AUSGRENZUNG,
ter des vergangenen Geschehens und damit dieses selbst in                                 GEWALT UND MORD
den Vordergrund stellt und die Täter über den Begriff »Nazi-
terror« entpersönlicht, geht die Gestaltung im Dokumentati-
onszentrum Oberer Kuhberg von der Gegenwart der Besucher                                  Die jüdische Gemeinde und ihre Synagoge in Sulzburg
aus. Sie werden zur Auseinandersetzung mit ihrem eigenen                                  Der Leerraum, den die Vernichtung der jüdischen Gemein-
Verständnis dieses Grundgesetz- und Menschenrechtsartikels                                den durch das NS-Regime hinterlassen hat, kann heutigen
aufgefordert. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit                                Jugendlichen (und auch Erwachsenen) nicht sofort auffal-
in der Ausstellung wird somit mit pädagogisch-politischer                                 len. Es gilt, ihn zu erarbeiten und zu erkennen, dass es
Absicht unter eine Losung gestellt (A 14).                                                ein Raum ist, in dem sich ein Geflecht sozialer Bezüge
                                                                                          herausgebildet hatte, das sich unter dem Begriff »Nachbar-
                                                                                          schaften« zusammenfassen lässt. Nachbarschaft zeigt sich
                                                                                          im alltäglichen Zusammenleben: im Schwatz über den Zaun,
                                                                                          in der gegenseitigen Hilfe, vielleicht in Freundschaften, die
                                                                                          sich ausbilden, vor allem aber in einer Grundhaltung beider



 GEDENKSTÄTTE EHEMALIGE SYNAGOGE                                                          bäude in städtischen Besitz und wurde als Kulturdenkmal
 SULZBURG                                                                                 und Gedenkstätte restauriert.

 Die Synagoge in Sulzburg war 1822 nach Karlsruhe und Ran-                                Die Geschichte der Sulzburger jüdischen Gemeinde geht bis
 degg der dritte Synagogenbau einer jüdischen Gemeinde                                    in das 16. Jahrhundert zurück. Im 18. und 19. Jahrhundert
 im Großherzogtum Baden. Heute ist sie die einzige nicht                                  war trotz der durchaus armseligen Bedingungen der jüdi-
 zerstörte Synagoge aus der Architekturschule Friedrich                                   schen Bevölkerung ihr Anteil am Leben und an der Kultur
 Weinbrenners im spätbarock-klassizistischen Mischstil in                                 der Stadt beträchtlich. Im Jahr 1864 zählte die jüdische
 Baden-Württemberg. Mitte der 1970er Jahre kam das Ge-                                    Gemeinde 416 Menschen und damit etwa ein Drittel der
                                                                                          Einwohnerschaft des Ortes. Zum Zeitpunkt der »Macht-
                                                                                          ergreifung« der Nationalsozialisten lebten 94 Menschen
                                                                                          jüdischen Glaubens in Sulzburg. Am 10. November 1938
                                                                                          wurde die Sulzburger Synagoge im Zuge des November-
                                                                                          pogroms schwer demoliert. Nach den Deportationen der
                                                                                          badischen Juden kamen mindestens 22 der 94 jüdischen
                                                                                          Menschen in Sulzburg ums Leben.

                                                                                          Heute organisiert der »Freundeskreis Ehemalige Synagoge
                                                                                          Sulzburg e. V.« die Erinnerungsarbeit als lebendiges Lernen
                                                                                          für die Demokratie und die Menschenrechte in der ehe-
                                                                                          maligen Synagoge. Von besonderer kulturgeschichtlicher
                                                                                          Bedeutung ist auch der jüdische Friedhof in Sulzburg.

                                                                                          www.sulzburg.de
                                                                  LMZ Baden-Württemberg




                                                                                          Reinhold Weber




 Die Ostseite der ehemaligen Synagoge in Sulzburg mit Rund-
 fenster und Nische für den Thoraschrein. Die Synagoge in
 Sulzburg war von 1727 bis 1886 Sitz des Rabbinats für
 das badische Oberland. Während der Reichspogromnacht
 (»Reichskristallnacht«) im November 1938 wurde die Syna-
 goge verwüstet, aber nicht völlig zerstört. Sie konnte deshalb
 erhalten werden.



12                                                                                                                                  Politik & Unterricht • 3-2008
Baustein B




                      Seiten, die darauf aus sind, miteinander auszukommen und        Die Fotos in B 4 zeigen Aspekte deutsch-jüdischen Selbst-
                      in gegenseitiger Anerkennung und Achtung zu leben. Dieses       verständnisses: Die Teilnahme am Ersten Weltkrieg als of-
                      Zusammenleben muss eine gewisse Distanz nicht ausschlie-        fensichtliche Selbstverständlichkeit (vgl. auch das Beispiel
                      ßen. Integration und Assimilation sind zusätzliche Begriffe,    des Leo Louis Kahn in B 7), der nationale Stolz, der sich
                      die das gegenseitige Aufeinanderzugehen kennzeichnen.           im Ablichten in Uniform ausdrückt und den auch die Ho-
                                                                                      noratioren der jüdischen Gemeinde im Zentrum der Gruppe
                      Dementsprechend erfolgte die Auswahl der Materialien für        zum Ausdruck bringen, und die typische bürgerliche Darstel-
                      Baustein B unter dem Aspekt der Nachbarschaft, die hier         lungsform einer Gemeinschaft zeigen das Selbstverständnis
                      als didaktische Leitlinie gewählt wurde. Nachbarschaft lässt    der deutsch-jüdischen Männer auf. Auch das Zusammensein
                      sich vor Ort an den räumlichen Gegebenheiten aufzeigen und      in Vereinen kann als typisch bürgerliche Organisationsform
                      konkretisieren: Besonders Karten wie B 1 zeigen die enge        angesehen werden. Das Foto vom Chorausflug ist damit
                      Verschränkung der Lebensbereiche auf. In Erinnerungen           Zeugnis der privaten Beziehungen wie der gleichartigen In-
                      zum konkreten Alltag werden die Bedingungen des Zusam-          teressen der beiden konfessionellen Gruppen.
                      menlebens veranschaulicht. Begriffe wie Assimilation und
                      Integration werden anschaulich und fassbar. Die Verhält-        Die Darstellung des (außer-)schulischen Lebens der Sulz-
                      nisse in Sulzburg lassen sich auf andere »Judendörfer« und      burger Kinder (B 5) dient als weitere Veranschaulichung
                      »Judengemeinden« im deutschen Südwesten übertragen.             des offenbar problemlosen Zusammenlebens. Sie zeigt aber
                      Die Materialien beschreiben daher die Nachbarschaft von         auch die existierenden Trennlinien auf, die auf den unter-
                      Juden und Christen und ihre Zerstörung im »Dritten Reich«.      schiedlichen religiösen Riten beruhen. Darüber hinaus lässt
                      Bewusst wurden Texte und Bilder ausgewählt, die vor 1933        sich an diesem Text quellenkritisch arbeiten und im Vergleich
                      entstanden oder sich auf diese Zeit beziehen. So lässt sich     zu B 6 die unterschiedlichen Intentionen von autobio-
                      der soziale und kulturelle Verlust besser verdeutlichen.        graphischer Erinnerung und wissenschaftlicher Darstellung
                                                                                      aufzeigen.
                      Mit der Karte B 1 und den Fotos von der Synagoge (B 2,
                      vgl. auch Foto Seite 12) wird der Ort vorgestellt. Damit wird   An B 6 lassen sich auch die Mittel erarbeiten, über welche
                      vor dem Gedenkstättenbesuch ein erster Eindruck vermit-         die Nationalsozialisten in der Phase des Machtausbaus die
                      telt. Es sollte herausgearbeitet werden, dass insbesondere      Grundlage für die Zerstörung der Nachbarschaften legten:
                      die Synagoge als öffentlicher Kultbau das Selbstverständ-       Gewalt, Drohung und Einschüchterung, öffentliche Stigma-
                      nis und Selbstbewusstsein der Juden als vollwertige Bürger      tisierung der jüdischen Opfer wie der christlichen Bevölke-
                      ausdrückte. Synagogen gehörten spätestens in der zweiten        rung, »Schutzhaft«, Unterstellungen. Nicht genannt werden
                      Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht mehr zur Minderheiten-        hier die scheinlegalen Mittel wie die »Nürnberger Gesetze«,
                      architektur. B 3 beschreibt die allgemeinen Verhältnisse:       die jedoch am lebensgeschichtlichen Beispiel herausgear-
                      Der Schriftsteller Jacob Picard verweist auf typische Formen    beitet werden sollen (B 7). Die allgemeine Entwicklung
                      des Zusammenlebens und -arbeitens: Er benennt die wirt-         der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung sollte vor einem
                      schaftlichen Grundlagen, die sozialen Beziehungen und die       Gedenkstättenbesuch bekannt sein. Am lebensgeschichtli-
                      konfessionellen Gegensätze – Aspekte, die allgemeine Gel-       chen Beispiel werden sie konkretisiert und damit eindrück-
                      tung beanspruchen dürfen.                                       licher.


                                                                                                         Am Morgen des 22. und des 23. Okto-
                                                                                                         ber 1940 werden die jüdischen Ein-
                                                                                                         wohner der damaligen Gaue Baden
                                                                                                         und Saarpfalz in das im unbesetzten
                                                                                                         Teil Frankreichs liegende Lager Gurs am
                                                                                                         Fuß der Pyrenäen deportiert. Das Foto
                                                                                                         zeigt die Deportation der Lörracher
                                                                                                         Juden – vor aller Augen und am hell-
                                                                                                         lichten Tag.
Stadtarchiv Lörrach




                      Politik & Unterricht • 3-2008                                                                                             13
Baustein B




Der Antrag auf die Verleihung des Ehrenkreuzes (B 7) macht                                                                   Bei den Mulfinger Sinti-Kindern handelt es sich um ein
den Versuch deutlich, sich in einer mehr und mehr feindlich                                                                  ausgesprochen emotionales Thema, denn die Kinder werden
gesinnten Umwelt zu behaupten. Das Schicksal der Fami-                                                                       als Opfer in ihrer ganzen Wehrlosigkeit vorgestellt. Auch
lie Kahn kann vor Ort anhand der in der Gedenkstätte in                                                                      deshalb muss bei der Behandlung des Themas der Blick auf
Sulzburg vorhandenen, aber auch in Buchform zusammen-                                                                        diejenigen gelenkt werden, die als Erwachsene am Gesche-
gestellten Materialien vertieft werden (vgl. die im Material-                                                                hen beteiligt waren – seien es die Schwestern im Heim, der
teil genannte Literatur). Es beleuchtet einzelne wichtige                                                                    Pfarrer, der die Notkommunion vornimmt, die Lehrerin oder
Aspekte nationalsozialistischer Verfolgungs- und Vernich-                                                                    vor allem die Personen in den Amtsstuben. Dieser Aspekt
tungspolitik. Wichtige Stationen nationalsozialistischer Ver-                                                                der graduell abgestuften »Zuschauerschaft« wird vor allem
folgung wie der Pogrom vom November 1938 sollten in ihren                                                                    durch die Materialien B 10 – B 11 angesprochen, wobei über
Auswirkungen (insbesondere die Schändung der Synagoge)                                                                       die direkt in den Verwaltungspapieren genannten Personen
vor Ort erarbeitet werden.                                                                                                   hinaus auch an den indirekt damit befassten Personenkreis
                                                                                                                             zu denken ist wie der »Schulrat aus Crailsheim« in B 9 oder
Die Mulfinger Sinti-Kinder                                                                                                    die den beiden betroffenen Dienststellenleitern nachgeord-
Die Materialien in diesem Teil des Bausteins B dienen der                                                                    neten Beamten, Angestellten und Schreibkräfte in B 10,
Hinführung zu einem Besuch im Dokumentations- und Kul-                                                                       die sich in dienstlichen Beratungen und im Alltagsgespräch
turzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg. Sie                                                                       untereinander mit den Deportationen befasst haben dürften.
können aber auch für eine Beschäftigung mit dem Thema                                                                        Kriterien der Beurteilung ihrer Handlungsspielräume und
an den angeführten Gedenkorten herangezogen werden. Das                                                                      ihres Wissens über die Vernichtungspolitik könnten dabei
Thema ist nur ein Teil der umfassenden Heidelberger Ausstel-                                                                 sein: das Alter der Einzelpersonen, ihr Dienstgrad, die Zu-
lung. Die hier abgedruckten Texte und Bilder beinhalten aber                                                                 ständigkeitsbereiche und vor allem ihr räumlicher Abstand
Beziehungen zu anderen Aspekten, denen in der Ausstellung                                                                    zum Geschehen vor Ort, das für sie möglicherweise nur als
nachgegangen werden soll. Angesprochen werden (in B 8                                                                        Verwaltungsvorgang in den entsprechenden Akten sicht-
und B 9) die »erbbiologische Sichtweise« bzw. Sinti und                                                                      bar wurde. Das Denkmal im Jugendamt Stuttgart (B 12)
Roma in der NS-Rassenideologie und die »Rassenhygienische                                                                    weist darauf eindrücklich hin. Die Einsicht, dass die Vernich-
Forschungsstelle in Berlin« (Dr. Robert Ritter/Eva Justin)                                                                   tungspolitik nicht nur eine Sache der Täter war, sondern in
sowie die Themen Deportationen, Sinti und Roma in den                                                                        die »normale« Gesellschaft hineinreichte und Mitwisser in
Konzentrationslagern, das »Zigeunerlager« Auschwitz und                                                                      großer Zahl hatte, wird sich hier anschließen.
Zwangsarbeit.



 DAS DOKUMENTATIONS- UND KULTURZENTRUM                                                                                       nung und des Dialogs. Eine der zentralen Aufgaben be-
 DEUTSCHER SINTI UND ROMA IN HEIDELBERG                                                                                      steht darin, die über 600-jährige Geschichte der Sinti und
                                                                                                                             Roma in Deutschland zu dokumentieren. Ein besonderer
 Seit Beginn der 1990er Jahre besteht in der Heidelberger                                                                    Schwerpunkt liegt dabei auf dem Völkermordverbrechen
 Innenstadt das Dokumentations- und Kulturzentrum Deut-                                                                      der Nationalsozialisten, das lange Zeit aus dem öffentli-
 scher Sinti und Roma. Es ist eine europaweit einzigartige                                                                   chen Bewusstsein verdrängt wurde. Eine weitere wichtige
 Einrichtung. Das Zentrum ist Museum zur Zeitgeschichte                                                                      Aufgabe des Zentrums besteht darin, die kulturellen Bei-
 und Ort der Erinnerung, aber auch ein Ort der Begeg-                                                                        träge, die die Minderheit der Sinti und Roma etwa auf den
                                                                                                                             Gebieten Literatur, bildende Kunst und Musik erbracht hat,
                                                                                                                             darzustellen.
                                                                Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma




                                                                                                                             Im Heidelberger Zentrum ist eine ständige Ausstellung
                                                                                                                             zu sehen, die den NS-Völkermord an dieser Minderheit
                                                                                                                             dokumentiert. Auf fast 700 qm Fläche wird die Geschichte
                                                                                                                             der Verfolgung der Sinti und Roma in der Zeit des Na-
                                                                                                                             tionalsozialismus nachgezeichnet: von der stufenweisen
                                                                                                                             Ausgrenzung und Entrechtung im Deutschen Reich bis hin
                                                                                                                             zur systematischen Vernichtung im von Deutschland be-
                                                                                                                             setzten Europa.

                                                                                                                             www.sintiundroma.de

                                                                                                                             Reinhold Weber

 Das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti
 und Roma in der Heidelberger Altstadt.



14                                                                                                                                                                     Politik & Unterricht • 3-2008
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  • 1. E4542 3 – 2008 Gedenkstätten Lernorte zum nationalsozialistischen Terror
  • 2. Zeitschrift für die Praxis der politischen Bildung HEFT 3 – 2008, 3. QUARTAL, 34. JAHRGANG Inhalt »Politik & Unterricht« wird von der Landeszentrale Editorial 1 für politische Bildung Baden-Württemberg (LpB) herausgegeben. Geleitwort des Ministeriums HERAUSGEBER für Kultus, Jugend und Sport 2 Lothar Frick, Direktor Autorinnen dieses Heftes 2 CHEFREDAKTEUR Dr. Reinhold Weber reinhold.weber@lpb.bwl.de Unterrichtsvorschläge 3–19 REDAKTIONSASSISTENZ Sylvia Rösch, sylvia.roesch@lpb.bwl.de Einleitung 3 Katharina Rapp, M. A., Offenburg Baustein A: Die frühen Konzentrationslager: ANSCHRIFT DER REDAKTION Machtausbau durch Terror 9 Stafflenbergstraße 38, 70184 Stuttgart Telefon: 0711/164099-45; Fax: 0711/164099-77 Baustein B: NS-Rassenideologie: Ausgrenzung, REDAKTION Gewalt und Mord 12 Simone Bub-Kalb, Studiendirektorin, Baustein C: Das Außenlagersystem des KZ Natzweiler: Staatl. Seminar für Didaktik und Lehrerbildung Vernichtung durch Arbeit 17 (Gymnasien), Stuttgart Judith Ernst-Schmidt, Oberstudienrätin, Literaturhinweise 19 Werner-Siemens-Schule (Gewerbliche Schule für Elektrotechnik), Stuttgart Ulrich Manz, Rektor der Schillerschule (Grund- und Hauptschule mit Werkrealschule), Esslingen Texte und Materialien 21–55 Dipl.-Päd. Holger Meeh, Akademischer Rat, Pädagogische Hochschule Heidelberg Baustein A: Die frühen Konzentrationslager: Horst Neumann, Ministerialrat, Machtausbau durch Terror 22 Umweltministerium Baden-Württemberg, Stuttgart Angelika Schober-Penz, Studienrätin, Baustein B: NS-Rassenideologie: Ausgrenzung, Erich-Bracher-Schule (Kaufmännische Schule), Gewalt und Mord 32 Kornwestheim Baustein C: Das Außenlagersystem des KZ Natzweiler: GESTALTUNG TITEL Vernichtung durch Arbeit 46 Bertron.Schwarz.Frey, Gruppe für Gestaltung, Ulm www.bertron-schwarz.de GESTALTUNG INNENTEIL Medienstudio Christoph Lang, Rottenburg a. N., Lehrerteil: Dr. Anette Hettinger www.8421medien.de Bausteine VERLAG A und B: Dr. Anette Hettinger Neckar-Verlag GmbH, Klosterring 1, 78050 Villingen-Schwenningen Baustein C: Dr. Anette Hettinger und Angelika Stephan Anzeigen: Neckar-Verlag GmbH, Uwe Stockburger Telefon: 07721/8987-71; Fax: -50 anzeigen@neckar-verlag.de Das komplette Heft finden Sie zum Downloaden als PDF-Datei unter Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 2 vom 1.5.2005. www.politikundunterricht.de/3_08/gedenkstaetten.htm DRUCK PFITZER Druck und Medien e. K., Benzstraße 39, 71272 Renningen Politik & Unterricht wird auf umweltfreundlichem Papier aus FSC-zertifizierten Frischfasern Politik & Unterricht erscheint vierteljährlich. und Recyclingfasern gedruckt. FSC (Forest Stewardship Council) ist ein weltweites Label Preis dieser Nummer: 3,00 EUR zur Ausweisung von Produkten, die aus nachhaltiger und verantwortungsvoller Waldbewirt- Jahresbezugspreis: 12,00 EUR schaftung stammen. Das Papier wird in Unternehmen hergestellt, die alle nach ISO 9001 Unregelmäßige Sonderhefte werden zusätzlich und ISO 14001 sowie EMAS zertifiziert sind. mit je 3,00 EUR in Rechnung gestellt. Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers und der Redaktion wieder. Für unaufgefordert eingesendete Manuskripte übernimmt die Redaktion keine Haftung. THEMA IM FOLGEHEFT Nachdruck oder Vervielfältigung auf elektronischen Datenträgern sowie Einspeisung in Datennetze nur mit Genehmigung der Redaktion. Nachhaltigkeit – am Beispiel Energie Titelfoto: Archiv Gedenkstätte Grafeneck Auflage dieses Heftes: 20.000 Exemplare Redaktionsschluss: 15. Juni 2008 ISSN 0344-3531
  • 3. Editorial »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten Es ist ein Zufall und doch symptomatisch, dass dieses Heft zu und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.« den NS-Gedenkstätten im Land unmittelbar auf das Themen- Wer die Geschichte des NS-Unrechtsregimes kennt, weiß, heft »Rechtsextremismus« folgt. Die Querverbindungen liegen warum die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes diese auf der Hand. Den Lehrerinnen und Lehrern des Landes wird so gewichtigen Sätze zum Artikel 1 unserer Verfassung ge- rasch ersichtlich sein, wo beide Hefte auch zur gegenseitigen macht haben. Sie kannten das Leid von Ausgrenzung und Ergänzung einsetzbar sind. Und die Hefte zeigen, dass die Verfolgung, teilweise sogar aus eigener Erfahrung. Arti- Aufklärungs- und Erinnerungsarbeit ein ganz zentraler Auf- kel 1 des Grundgesetzes hat an Bedeutung in keiner Weise trag der Landeszentrale für politische Bildung ist, dem sie mit verloren. Vor allem aus der Geschichte Deutschlands mit besonderem Engagement nachkommt. Für die Unterstützung seinen beiden Unrechtsregimen des 20. Jahrhunderts, dem bei dieser Ausgabe von Politik & Unterricht bedanken wir uns NS-Terror und der SED-Diktatur, wissen wir, dass es gerade sehr herzlich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des die staatliche Gewalt war, die die Würde zahlloser Menschen Dokumentationszentrums Oberer Kuhberg in Ulm, des Stadt- unrechtmäßig »angetastet« hat. Und immer waren es die archivs Karlsruhe, des Freundeskreises Ehemalige Synagoge totalitären Machthaber, die selbstherrlich definiert haben, Sulzburg e. V., des Kulturamts Sulzburg, der Gedenkstätte Gra- welches Leben »würdig« und »lebenswert« sei. feneck, des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg, des Staatsarchivs Ludwigsburg Allein deshalb ist es so wichtig, dass die Gedenkstätten die sowie der KZ-Gedenkstätte Neckarelz e. V. Aufarbeitung der Geschehnisse leisten, die Erinnerung wach halten und das Gedenken ermöglichen. Baden-Württemberg verfügt über eine außerordentlich große Bandbreite an re- gional verteilten Gedenkstätten, die alle Verfolgungs- und Vernichtungskategorien des NS-Regimes thematisieren. Das hebt die südwestdeutsche Gedenkstättenlandschaft von an- deren Regionen Deutschlands ab und ermöglicht es auch den Lehrkräften, die Gedenkstätten vor Ort zu nutzen und mit vielerlei Bezügen zu unterschiedlichen Fächern in den Unterricht einzubinden. Im vorliegenden Heft haben wir deshalb exemplarisch Gedenkstätten ausgewählt, die die Themen »Verfolgung und Ausschaltung politischer und welt- anschaulicher Gegner« in der Phase des Machtausbaus des NS- Regimes, »Rassenpolitik« sowie »Vernichtung durch Arbeit« Lothar Frick Dr. Reinhold Weber im KZ-Außenlagersystem des Südwestens behandeln. Direktor der LpB Chefredakteur Beim Betreten der Ausstellung in der Ulmer KZ-Gedenkstätte Oberer Kuhberg werden die Besucher mit den Worten empfangen: »Die Würde des Menschen ist unantastbar.« DZOK Ulm Politik & Unterricht • 3-2008 1
  • 4. Geleitwort des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Gedenkstätten zum nationalsozialistischen Unrechtsregime und Schüler von heute die gesellschaftlichen Vorausset- sind besondere außerschulische Lernorte. Denn hier wird das zungen und Bedingungen des Systems mit den bis in die Unbegreifliche, das kaum Nachvollziehbare am historischen, Gegenwart reichenden Folgewirkungen. Sie erkennen, dass teilweise auch authentischen Ort »greifbar«. Hier werden die bitteren Erfahrungen den demokratischen Wiederbeginn abstrakte Sachverhalte konkret und hier wird deutlich, dass und den Aufbau unseres Gemeinwesens geprägt haben. Das das, was im Geschichtsbuch behandelt wird, nicht fernab unbedingte Bekenntnis zur Unantastbarkeit der Menschen- im Osten Europas oder in Berlin stattgefunden hat, sondern würde, die in Artikel 1 unseres Grundgesetzes festgeschrie- in der Mitte der Gesellschaft und ganz unmittelbar vor der bene Achtung vor dem menschlichen Leben, war und ist eine eigenen Haustür. grundlegende Antwort auf das Unrechtsregime der National- sozialisten. Diese Erinnerung fordert von uns, sich immer Weshalb ist Erinnern im Sinne von reflektierter Erfahrung wieder dafür einzusetzen, dass die Menschenwürde nicht so wichtig? Und: Welchen Beitrag kann und soll die Schule nur für unantastbar erklärt, sondern auch nicht angetastet zum Thema Erinnerung leisten? Hier ist die Lehrkraft gefor- wird. dert, durch Begegnungen bewusstes Erleben zu schaffen, um gemeinsames Nachdenken und kritisches Reflektieren zu Im vorliegenden Themenheft von Politik & Unterricht werden ermöglichen. Den Jugendlichen soll Zeit und Raum gegeben den Lehrerinnen und Lehrern des Landes Vorschläge zur werden, um durch eigenes Tun intensive Lernerfahrungen zu didaktisch-methodischen Nutzung von Gedenkstätten ge- machen. Dieser Ansatz wird immer wichtiger, je weiter wir geben. Die Landeszentrale für politische Bildung Baden- uns zeitlich von den Verbrechen des NS-Regimes entfernen Württemberg, der ein besonderer Auftrag für die Gedenkstät- und je weniger es für Schülerinnen und Schüler möglich tenarbeit im Land zukommt, unterstützt damit die didakti- sein wird, von Zeitzeugen zu hören und diese befragen zu sche Arbeit der Gedenkstätten. Wir begrüßen sehr, dass mit können. dieser pädagogischen Arbeitshilfe ein weiterer Beitrag zum bewussten Umgang mit der Geschichte, zum Eintreten für die Hier liegt der Anknüpfungspunkt zu den Gedenkstätten. freiheitlich demokratische Ordnung und gegen Rassismus, Orte und Häuser erhalten ihre alten Gesichter; sie erzählen politischen Extremismus und Gewalt geleistet wird. Geschichten, indem sie die ganze Lebenswirklichkeit im Nationalsozialismus veranschaulichen, in der es Täter, Mit- Gernot Tauchmann läufer und Zuschauer, aber auch Helfer und Retter gab. Der Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Lebensort wird zum Lernort, der biographische Ansatz und Baden-Württemberg die Spurensuche führen zur Entwicklung von Empathie und zur analysierenden Auseinandersetzung. Durch die exemp- larische Beschäftigung mit sämtlichen Entwicklungsphasen des nationalsozialistischen Terrors und dessen zahlenmäßig bedeutendsten Opfergruppen erkennen die Schülerinnen AUTORINNEN DIESES HEFTES Dr. Anette Hettinger ist Akademische Oberrätin im Fach Geschichte und ihrer Didaktik an der Pädagogischen Hoch- schule Heidelberg. Im Jahr 2006 hat sie den Landeslehrpreis Baden-Württemberg für ein fächerübergreifendes Projekt zur Neuinszenierung der 1941 im Ghetto Theresienstadt aufge- führten Kinderoper Brundibár bekommen. Angelika Stephan hat an der PH Heidelberg studiert und ist derzeit im Referendariat an der Realschule Osterburken. 2 Politik & Unterricht • 3-2008
  • 5. Gedenkstätten Lernorte zum nationalsozialistischen Terror ●●● EINLEITUNG ren Gedenkstätten, die das Besondere der hiesigen Gedenk- stättentopographie ausmacht. Die Gedenkstätten im Land dokumentieren dennoch alle Verfolgungs- und Vernichtungs- komplexe des NS-Terrors: ◗ die ehemaligen frühen Konzentrationslager – oft ver- harmlosend »Schutzhaftlager« genannt –, die an die erste Baden-Württemberg zeichnet sich durch eine dichte und Phase der nationalsozialistischen Machtdurchdringung und regional ausgerichtete Gedenkstättenlandschaft aus. Hier- »Gleichschaltung« der deutschen Gesellschaft unmittelbar zulande gibt es keines der großen Konzentrationslager wie nach der »Machtergreifung« im Januar 1933 erinnern; Dachau oder Buchenwald. Hier gibt es auch keines der Ver- ◗ ehemalige Synagogen, jüdische Einrichtungen und Orte nichtungslager wie Auschwitz-Birkenau oder Treblinka, die der Deportation, die auf das reiche kulturelle Leben jüdi- weltweit synonym für das Morden der Nationalsozialisten scher Mitbürger im Südwesten und auf dessen Auslöschung stehen. Vielmehr ist es die Dezentralität der vielen kleine- durch den NS-Terror hinweisen; Die Dichte der Gedenkstätten im Land erlaubt es, Auskünfte darüber zu geben, was in der Zeit des national- sozialistischen Terrorregimes im Land – buchstäblich vor der eigenen Haus- türe – geschehen ist. Die meisten der Gedenkstätten sind Orte der Erinnerung an die Opfer der nationalsozialisti- schen Verfolgungs- und Vernichtungs- politik. Andere Orte erinnern an den Widerstand gegen das NS-Regime sowie an die demokratischen Traditionen und Freiheitsbewegungen in Deutschland. Lucia Winckler, 2008 Politik & Unterricht • 3-2008 3
  • 6. Einleitung ◗ Gedenkstätten, die im Zusammenhang mit »Euthanasie« pläne des Landes Baden-Württemberg zwar die Beschäfti- und Medizin stehen; gung mit außerschulischen Lernorten, nicht aber explizit ◗ Gedenkstätten, die an die rassische Verfolgung von Sinti die Nutzung von Gedenkstätten empfehlen, so wird doch und Roma erinnern; erfreulicherweise in großem Umfang und in allen Schularten ◗ Orte der ehemaligen kleinen Konzentrationslager der letz- von dem Angebot der Gedenkstätten Gebrauch gemacht. ten Kriegsjahre, in denen Häftlinge aus allen von Deutsch- Weil die Gedenkstätten gleichmäßig über das gesamte Land land besetzten Gebieten Europas Zwangsarbeit verrichten verteilt sind, sind sie auch mit relativ geringem Aufwand in mussten. Sie waren überwiegend in den Außenlagerkomplex die schulische Vermittlung der NS-Thematik einzubinden. des Stammlagers Natzweiler im Elsass eingebunden und Teil der NS-Ideologie »Vernichtung durch Arbeit«. Hierzu gehört Zur Konzeption dieses Heftes auch die Erinnerung an die Todesmärsche bei der Auflösung Das vorliegende Themenheft wendet sich vorwiegend an der Konzentrationslager angesichts der näherrückenden al- Geschichtslehrerinnen und -lehrer aller Schularten. Ein Teil liierten Truppen; der Materialien wird sich besonders für die Behandlung des ◗ Gedenkstätten, die Kriegsgefangene und sogenannte Dis- Themas in der Sekundarstufe II eignen. Doch sind viele Ar- placed Persons thematisieren; beitsmaterialien auch in der Sekundarstufe I einzusetzen. ◗ Gedenkstätten, die Aspekte des deutschen Widerstandes Darüber lassen sich einzelne Teile des Heftes zweifelsohne behandeln; auch in anderen Fächern wie Gemeinschaftskunde/Politik, ◗ sowie Erinnerungsstätten, welche die Demokratiege- Religion, Ethik oder in den Fächerverbünden verwenden. schichte Deutschlands (z. B. Rastatt) sowie Einzelpersonen der Demokratiegeschichte wie Friedrich Ebert, Theodor Heuss Aus der Vielzahl der Gedenkstätten im Land wurden solche oder Matthias Erzberger zum Gegenstand haben. herausgesucht und exemplarisch behandelt, welche die zent- ◗ Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe von Gedenk- ralen Verfolgungs- und Vernichtungskomplexe des national- stätten im Ausland mit direktem Bezug zu Baden-Württem- sozialistischen Willkürregimes abdecken. Sie spiegeln die berg, mit denen enge Kontakte und Kooperationen gepflegt vielfältigen Ausprägungen des NS-Terrors wider, welcher der werden (z. B. Natzweiler, Gurs u. a.). Ausgrenzung, Verfolgung und Vernichtung von politischen und weltanschaulichen Gegnern, von Andersdenkenden Die Gedenkstätten im Land erlauben es, Auskünfte darüber sowie angeblich rassisch Minderwertigen galt. Sie erinnern zu geben, was in der Zeit des NS-Terrorregimes im Land – an die Ausschaltung der politischen Gegner und an die Ein- buchstäblich vor der eigenen Haustür – geschehen ist. Die schüchterung der Bevölkerung in der Phase der »Machter- meisten der Gedenkstätten sind dabei Orte der Erinnerung greifung«. Sie verweisen auf das Leben ehemaliger jüdischer an die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Nachbarn und deren Gemeinden, auf die Verfolgung, Depor- Vernichtungspolitik. Sie eröffnen spezifische pädagogische tation und Ermordung der jüdischen Mitbürger und somit auf Angebote und bieten damit als außerschulische Lernorte ein verlorengegangenes, facettenreiches jüdisches Leben im einen besonderen Bezug zum schulischen Geschichtsunter- deutschen Südwesten. Ebenso wird auch der Vernichtung richt, aber mit vielfältigen Anknüpfungsmöglichkeiten an sogenannten »lebensunwerten Lebens« gedacht. Schließlich gegenwärtige Probleme und Konflikte auch zum Politik- und erinnern die ausgewählten Gedenkstätten an die in den Gemeinschaftskundeunterricht. Wenngleich die Bildungs- letzten Kriegsjahren entstandenen KZ-Außenlager und somit Karteikarte aus einer 1934 durch- geführten Reihenuntersuchung »Rassenkundliche Landesaufnahme in Württemberg« an der Universität Tübingen. Universitätsarchiv Tübingen (UAT 665/200) 4 Politik & Unterricht • 3-2008
  • 7. Einleitung an Zwangsarbeit und »Vernichtung durch Arbeit«. Dass dabei also vor allem Exemplarisches und weniger Allgemeines (wie allein aus Platzgründen nicht alle Opfergruppen behandelt z. B. Quellen zur »Machtergreifung« oder zur Entrechtung werden können, liegt auf der Hand. Dabei wird es im Un- der jüdischen Bevölkerung). Aus geschichtsdidaktischer terricht eine Selbstverständlichkeit sein, auch auf andere Perspektive weisen Gedenkstätten besonders gute Voraus- Opfer des NS-Terrors wie Homosexuelle und zahlreiche welt- setzungen für die Auseinandersetzung mit Geschichte auf. anschaulich motivierte Gegner des Nationalsozialismus wie Das vorliegende Heft orientiert sich deshalb auch an den beispielsweise die Zeugen Jehovas hinzuweisen. allgemeinen Erfordernissen einer Zusammenarbeit zwischen Schulen und Gedenkstätten, die sich an nachfolgend vorge- Das vorliegende Heft lässt sich in zweierlei Hinsicht im Un- stellten inhaltlichen wie didaktisch-methodischen Prinzi- terricht oder in der Projektarbeit einsetzen. Zum einen dient pien ausrichten sollte. es der konkreten Vorbereitung eines Gedenkstättenbesu- ches. Dabei sind die hier ausgewählten Gedenkstätten zwar In der unmittelbaren Nachbarschaft: die Verortung intensiver behandelt. Dennoch bieten sich die präsentierten des Geschehenen Materialien auch größtenteils zur Übertragung auf andere Untersuchungen zeigen, dass Schülerinnen und Schüler Gedenkstätten desselben NS-Verfolgungs- und Vernich- hohes Interesse am Lernen an außerschulischen Lernorten tungskomplexes an. Zum andern ist das vorliegende Heft so haben, also an historischen Stätten und in Museen. Ihnen konzipiert, dass es auch von Lehrern im Unterricht einzuset- schreiben sie hohe Motivationskraft, Vertrauenswürdigkeit, zen ist, wenn kein Gedenkstättenbesuch geplant ist. Auch Zugänglichkeit und nicht zuletzt Verständlichkeit zu. In der für die generelle Behandlung des Themas »Nationalsozialis- Tat fördert die Auseinandersetzung mit dem authentischen, mus« im Schulunterricht bietet das Heft Arbeitsmaterialien, konkreten Ort sowie mit den historischen Relikten vor Ort die sich nicht in den gängigen Schulbüchern wiederfinden, die historische Imagination. Denn hier spiegelt sich die sondern die deren Angebot um konkrete Beispiele ergänzen. allgemeine historische Entwicklung: Terror und Vernichtung Anders als ein Schulbuch liefert die vorliegende Ausgabe waren keine Angelegenheiten, die sich nur im fernen Berlin BERATEN – VERNETZEN – UNTERSTÜTZEN – Die LpB arbeitet im Auftrag von Landtag und Landesregie- FÖRDERN rung eng mit der Landesarbeitsgemeinschaft zusammen. Der Fachbereich Gedenkstättenarbeit Die Aktiven, die Vereinigungen und Kommunen werden be- der Landeszentrale für politische Bildung raten und unterstützt, Förderwege erschlossen und die tan- gierten Instanzen, Vereinigungen und Institutionen ver- In ihrer thematischen Breite und bürgerschaftlichen Ver- netzt – im Land, im Bund und international. Im Mittelpunkt fasstheit ist die Gedenkstättenlandschaft Baden-Württem- der fachlichen Beratung wie der finanziellen Förderung bergs singulär, so der Mannheimer Historiker Peter Stein- stehen die Sicherung des geschichtswissenschaftlichen bach. Die Orte stehen für alle Verfolgungsbereiche der NS- Stands und der zeitgemäßen pädagogischen Arbeitsfähig- Diktatur. Die meisten Gedenk- und Erinnerungsstätten in keit. Nicht zuletzt dienen Hefte wie dieses oder auch aus Baden-Württemberg gehen auf örtliches bürgerschaftliches der Reihe MATERIALIEN der LpB dazu. Engagement zurück. Die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann wertet dies als »Demokratisierung durch Ehren- Gedenkstättenpädagogik ist immer auch historisch-politi- amtlichkeit«. Gedenkstätten sind folglich vielgestaltig und sche Bildung, Demokratie- und Menschenrechtserziehung. vielschichtig. Das bietet und erfordert jeweils unterschied- Sie trägt damit wesentlich zu den in der Landesverfassung liche Zugänge. Vielfach ersetzen heute AV-Aufzeichnungen von 1953 niedergelegten Bildungszielen bei. Gedenk- und die unmittelbare Begegnung mit den inzwischen verstor- Erinnerungsstätten gelten oftmals als Orte der »negativen benen Zeugen. Die medienorientierte junge Generation Erinnerung«. Ein Überlebender des Lagers Bisingen schlug kennt andererseits die wenigen, stets wiederholten doku- daher 2006 vor, der Ausstellung »Schwierigkeiten des Er- mentarischen Filmausschnitte längst. Der reale historische innerns« nun den Titel »Mut zur Erinnerung – Mut zur Schauplatz erhält daher durch seine Authentizität seine Verantwortung« zu geben. Er würdigte damit die Zivilcou- besondere – und vor allem auch künftige – Bedeutung. rage und die Verdienste aller Beteiligten um den offenen, ehrlichen und befreienden Umgang mit unserer schwie- Im Jahr 1994 schlossen sich die in der Gedenkstätten- rigen Geschichte. Sie dabei zu unterstützen ist unsere arbeit tätigen Gruppen zur »Landesarbeitsgemeinschaft vornehmlichste Aufgabe. der Gedenkstätten und Gedenkstätteninitiativen in Baden- Württemberg« zusammen. Jedes Jahr besuchen fast Konrad Pflug leitet den Fachbereich Gedenkstättenarbeit 200.000 Menschen die Gedenkstätten im Land. Ziel der bei der LpB Auseinandersetzung ist nicht nur das Geschichtsverständ- nis, sondern auch der Transfer auf gegenwärtige gesell- E-Mail: konrad.pflug@lpb.bwl oder renate.baur@lpb.bwl schaftliche Wirklichkeiten. Dieser Fokus wird heute in den Tel.: 0711/164099-31 Gedenkstätten europaweit gesetzt. www.gedenkstaetten-bw.de Politik & Unterricht • 3-2008 5
  • 8. Einleitung oder in den von Hitler-Deutschland besetzten Gebieten ab- und in Handwerksbetrieben, bei kommunalen oder kirchli- spielten. Allgemein lässt sich zudem der Umgang mit histo- chen Einrichtungen zur Arbeit gezwungen wurden, lebten rischen Stätten üben, genauer: die Bindung von Geschichte wortwörtlich nebenan. an den Raum. Denn kein Bauwerk wurde absichts- und funk- tionslos an einer Stelle errichtet. Die Frage »Warum gerade Die meisten Gedenkstätten im Land erinnern an die Opfer hier?« ist eine der Standardfragen historischer Erkundungen des Nationalsozialismus, an deren Leiden, an die Schika- vor Ort. Die Auseinandersetzung mit ihr schärft die Fähig- nen, denen sie ausgesetzt waren, und an ihr Sterben. Doch keit, räumliche Zusammenhänge wahrzunehmen. diese historischen Orte sind auch Orte der Täter und der Zuschauer: Hier agierten gewöhnliche Männer und Frauen, Ganz konkret: Die deutsche Gesellschaft die in abgestuftem Maß in den NS-Terror verwickelt waren. und der Holocaust Sie kamen aus der Mitte der Gesellschaft und lebten in Vor Ort wird die Einbettung von Verfolgung und Vernichtung ihrer Mitte. Oft findet man sie auch nach 1945 als »ganz in das Alltagsleben der deutschen Gesellschaft im National- normale« Bürgerinnen und Bürger wieder. Ihre Handlungs- sozialismus deutlicher: Der Terror fand buchstäblich am hell- spielräume und die Mechanismen des Mitmachens oder des lichten Tag und vor aller Augen statt. Es waren die unmittel- Sich-Verweigerns lassen sich an ihrem konkreten Beispiel baren Nachbarn, die politisch verfolgt und in »Schutzhaft« und in alltäglichen Situationen ausloten. Schülerinnen und genommen wurden, deren Lebensumfeld zerstört wurde, Schülern wird damit zu einer differenzierten Sicht auf die denen die materielle Lebensbasis entzogen wurde und die Durchsetzung einer Diktatur und auf die Lebensbedingungen schließlich deportiert wurden. Es waren die eigenen Fami- in ihr verholfen. lienangehörigen oder die der Nachbarn, die in Grafeneck ermordet wurden, nur weil sie den Nationalsozialisten als Weil die wissenschaftlichen Recherchearbeiten vor Ort zu »lebensunwert« galten. Auch die Zwangsarbeiterinnen und einem großen Teil auf den Erinnerungen Betroffener beru- Zwangsarbeiter, die in Industrieanlagen schufteten, nach hen, bieten Gedenkstätten eine besondere Gelegenheit, den Bombenangriffen Schutt räumten, die in der Landwirtschaft Opfern des Terrors Namen und Gesicht zu geben – und somit Die thematisierten Gedenkstätten und Gedenkorte in diesem Heft: die frühen Konzentrationslager Kislau bei Bruchsal, Welzheim, Heuberg bei Stetten am kalten Markt, Oberer Kuhberg in Ulm; die ehemalige Synagoge Sulzburg, Grafeneck bei Münsingen auf der Schwäbischen Alb als Ort der »Euthanasie«-Morde, Mulfingen bei Schwäbisch Hall; schließlich das KZ Neckarelz. Lucia Winckler, 2008 6 Politik & Unterricht • 3-2008
  • 9. Einleitung Identität und Würde. Nicht zuletzt ist dies eine wesentliche Repräsentationen der Geschichtskultur wie dem genannten Aufgabe und Bestimmung der Gedenkstätten. In den Ge- Mahnmal oder den Gedenkstätten angehalten werden. Dies denkstätten wird aber auch den Tätern und den »Zuschau- ist angesichts der Bedeutung des Themas Nationalsozialis- ern« Name und Gesicht gegeben. Dem persönlichen Handeln mus und Holocaust in der Gesellschaft besonders wichtig. Die und Erleben dieser Menschen können sich Lernende leichter Auseinandersetzung vor Ort ist hierfür besonders geeignet, annähern als abstrakt dargestellten Vorgängen, weil es kon- denn über die inhaltliche Beschäftigung mit den Fakten und krete Schicksale »gewöhnlicher« Menschen sind. Im vor- mit dem Geschehenen vor Ort und seinen Weiterwirkungen liegenden Heft finden sich deshalb zahlreiche Materialien, hinaus sind Gedenkstätten auch Lernorte für Medien- und die einzelne Menschen vorstellen. Exemplarisch konkreti- Methodenkompetenz. Es sind Orte, an denen konkret erfah- sieren sie allgemeine historische Aspekte und veranschau- ren und geübt werden kann, wie Geschichte »gemacht« wird. lichen komplizierte Sachverhalte auf einer nachvollziehba- Hier können grundlegende geschichtswissenschaftliche Ver- ren Ebene. Darüber hinaus thematisieren sie mit der Frage fahrens- und Erkenntnisweisen eingeübt werden. »Was war denn eigentlich nach dem Untergang des Hitler- Regimes?« einen weiteren wichtigen Aspekt. Denn sie zeigen Dies betrifft den historischen Ort als solchen, der nur in den konkret die Bezüge zwischen dem Vorher und dem Nachher seltensten Fällen unverändert, meist aber zumindest teil- auf, weil für die Opfer des Terrors der Nationalsozialisten der weise zerstört, überbaut und in seinen Funktionen verändert Schrecken mit dem Kriegsende im Mai 1945 nicht vorbei war. vorhanden ist. Dennoch ist er eine historische Quelle: Seine Er hatte lebenslange Folgen. Gestaltung verweist insgesamt und in seinen historischen Einzelbestandteilen auf die Lebensbedingungen vor Ort und Gedenkstätten: Spiegel der Geschichts- und auf seine Funktion für die Menschen, die sich hier aufhiel- Erinnerungskultur ten. Seine Einbindung in den Raum deutet auf soziale und Gedenkstätten spiegeln die sich ändernden Einstellungen wirtschaftliche Bezüge; seine Umgestaltungen zeigen den und Haltungen wider, die die bundesdeutsche Gesellschaft Umgang der Nachfahren mit der Geschichte. gegenüber Nationalsozialismus und Holocaust eingenom- men hat und noch einnimmt. So zeigt etwa die Geschichte Auch die kritische Arbeit mit historischen Quellen als ein der politischen und finanziellen Förderung der einzelnen Ziel historischen Lernens lässt sich an den in den Gedenk- Gedenkstätte auf, wie die deutsche Gesellschaft und die po- stättenarchiven vorhandenen Quellenzeugnissen einüben. litischen Kräfte vor Ort in einer bestimmten Epoche mit ihrer Gerade die Zeitzeugenberichte und Interviews, auf denen Vergangenheit umzugehen gewillt waren. Genauso verweist viele der heute vorhandenen Informationen über das Ge- die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Geschehenen schehen vor Ort beruhen, eignen sich besonders zu quellen- auf die individuelle und gruppenspezifische »Verarbeitung« kritischen Fragestellungen: Die persönliche Wahrnehmung, der NS-Zeit. Das Mahnmal zur Erinnerung an die deportierten Vergessen und Verdrängen, später Gehörtes, politische und badischen Juden in Neckarzimmern, das verschiedene, von ethisch-moralische Überzeugungen der Erzählenden und die Jugendgruppen gestaltete Gedenksteine zu einem zentralen Erwartungshaltung ihres Publikums, Zeitpunkt und äußerer Gesamtkunstwerk vereinigt, ist hierfür ein eindrucksvolles Rahmen des Erzählens und Befragens – dies sind nur einige Beispiel. In unserer mediendominierten Gegenwart müssen Aspekte, die es bei Zeitzeugenberichten zu beachten gilt. Schüler vermehrt zur reflektierten Auseinandersetzung mit Ähnliches gilt für Bildquellen: Täterfotos und Opferbilder Das Mahnmal in Neckarzimmern erin- nert an die Deportation der badischen Juden im Oktober 1940 in das südwest- französische Lager Gurs. Im Rahmen des Ökumenischen Jugendprojektes arbeiten katholische und evangelische Jugendgruppen aus ganz Baden seit 2002 an der Realisierung des Mahn- mals. Es besteht aus einem 25 mal 25 Meter großen, als Betonband in den Boden eingelassenen Davidstern, auf Ökumenisches Jugendprojekt Mahnmal dem die Projektgruppen individuell gestaltete »Memorialsteine« anbringen und der Platz für weitere Erinnerungs- steine aus sämtlichen 137 Deporta- tionsorten bietet. Politik & Unterricht • 3-2008 7
  • 10. Einleitung zeigen unterschiedliche Perspektiven. Die quellenkritische Literatur ergänzen das Angebot und zeigen Möglichkeiten Beschäftigung mit ihnen fördert die Methoden- und Me- der Weiterarbeit auf. Die Aufgabenstellungen sind bewusst dienkompetenz der Schülerinnen und Schüler. Überdeutlich offen gehalten und zielen damit auf Arbeit in Projekten oder und offensichtlich wird der »konstruierte« Charakter von in projektartigen Formen, die Schülerinnen und Schülern die Geschichte schließlich bei künstlerischen Darstellungen, eigenständige Auseinandersetzung mit der Thematik erlauben die höchst individuelle Interpretationen der Geschichte und ihnen helfen soll, ihren eigenen Standpunkt zu einem sind. Letztlich sind es auch die »Inszenierungen« von Ge- zentralen Thema der deutschen Geschichte zu finden. schichte, die an einer Gedenkstätte in Blick genommen werden können. An den Ausstellungen vor Ort, die als solche Die Auswahl der Gedenkstätten erfolgte vor allem unter Inszenierungen zu verstehen sind und ein bestimmtes Bild dem Gesichtspunkt einer regionalen Verteilung in Baden- von »der« Geschichte vermitteln, lassen sich Fragen der Württemberg. Die inhaltliche Gliederung weist drei Schwer- Perspektivität von Ausstellungsmachern und ihrem Publikum punkte auf: Baustein A beschäftigt sich mit den frühen na- sowie der Deutung von Geschichte diskutieren. tionalsozialistischen Konzentrationslagern Kislau, Heuberg und Oberer Kuhberg in Ulm. Baustein B zeigt am Beispiel Mit den hier vorgelegten Materialien wird versucht, den ge- der jüdischen Gemeinde bzw. der Gedenkstätte im badi- nannten Aspekten gerecht zu werden. Angesichts der Viel- schen Sulzburg, der Sinti-Kinder von Mulfingen (Hohenlohe) zahl der Gedenkstätten in Baden-Württemberg ist allerdings und der Gedenkstätte Grafeneck auf der Schwäbischen Alb exemplarisches Arbeiten notwendig: An einzelnen Orten soll drei Varianten nationalsozialistischer Rassepolitik auf. Bau- aufgezeigt werden, welche Themen in der unabdingbaren stein C beschäftigt sich am Beispiel des ehemaligen Außen- Vorbereitung eines Gedenkstättenbesuches erarbeitet werden lagers von Natzweiler bzw. der KZ-Gedenkstätte Neckarelz sollten und welche thematischen und methodischen Ziel- (Neckar-Odenwald-Kreis) mit der letzten Phase der natio- setzungen vor Ort verfolgt werden können. Die Vielfalt der nalsozialistischen Vernichtungspolitik, in der das System Themen zwingt zu einer starken Reduktion der Materialien. der Konzentrationslager wieder in die unmittelbare Nach- Ergänzende Hinweise auch auf spezifische Internetseiten und barschaft der deutschen Bevölkerung rückte. HISTORISCHER HINTERGRUND: DAS SYSTEM schreckung anderer – aus politischen, konfessionellen oder DER KONZENTRATIONSLAGER auch persönlichen Gründen in »Schutzhaft« genommen und gerichtlich Verurteilte nach bereits verbüßter Haft in ein Die Konzentrationslager gehörten zu den wichtigsten Lager gesteckt. Die »Schutzhaft« konnte unbegrenzt lange Machtinstrumenten der Nationalsozialisten, doch sind un- dauern; ein Rechtsmittel gegen sie war nicht möglich. terschiedliche Entwicklungsstufen und Formen der Ausge- staltung zu berücksichtigen. Die frühen Lager dienten der Eine Vereinheitlichung zum »System der Konzentrations- Ausschaltung und Einschüchterung der politischen und lager« begann erst 1934 mit der Ausgestaltung des KZ weltanschaulichen Gegner der Nationalsozialisten sowie Dachau zum Modell für alle weiteren Lager. Die ab 1936 der Abschreckung potenzieller Widersacher, die (noch) in Deutschland gegründeten zentralen Konzentrationslager in Freiheit lebten. Die frühen Konzentrationslager waren wie Sachsenhausen oder Buchenwald wiesen einheitliche Sache der Länder: Eine zentral, auf Reichsebene gelenkte strukturelle Merkmale auf und standen unter der Leitung Instanz, welche die Lager und ihre Ausgestaltung koordi- der SS. Neben den politischen Gegnern der Nationalsozia- nierte, existierte noch nicht. listen wurden jetzt auch rassenideologisch Verfolgte (Sinti und Roma, sogenannte »Asoziale«, Homosexuelle u. a.) Frühe Konzentrationslager in Baden waren die Lager Kislau eingesperrt, was nach nationalsozialistischem Sprachge- bei Bruchsal und Ankenbuck bei Villingen. Das größte brauch der »Reinigung des Volkskörpers« dienen sollte. In Lager im Südwesten Deutschlands war das von März bis Baden oder Württemberg entstand kein derartiges Lager; Dezember 1933 bestehende Lager Heuberg bei Stetten am das Lager Welzheim erfüllte nachgeordnete Funktionen. kalten Markt auf der Schwäbischen Alb. Regimefeindliche Frauen kamen in das württembergische Frauengefängnis Von diesen großen, zentralen Lagern sind die nach Beginn Gotteszell bei Schwäbisch Gmünd. Schon Ende 1933 musste des Zweiten Weltkrieges gegründeten Lager zu unterschei- das völlig überfüllte Lager Heuberg geschlossen werden. Es den, die – wie Natzweiler im Elsass – der SS als Terrormittel wurde durch ein Konzentrationslager in der Festung Oberer gegen die Bevölkerung in den eroberten Gebieten dienten, Kuhberg in Ulm ersetzt. und vor allem die Vernichtungslager auf erobertem polni- schem Gebiet, in denen die massenhafte Tötung insbe- Die wesentliche Grundlage der Einlieferung in ein Konzen- sondere von Juden und von Sinti und Roma durchgeführt trationslager bildete die »Schutzhaft«. Der Begriff gibt wurde. Der Arbeitseinsatz von unzähligen Zwangsarbeitern fälschlicherweise vor, der Verhaftete sei zu seinem eige- in der Industrie erforderte dann kleinere Außenlager am nen Schutz in Haft genommen worden. Tatsächlich wurden Einsatzort der Häftlinge (vgl. hierzu Baustein C). Gegner der Nationalsozialisten vorbeugend – und zur Ab- 8 Politik & Unterricht • 3-2008
  • 11. Baustein A ●●● BAUSTEIN A zeigen einerseits den Zeitdruck, unter dem die Nationalso- zialisten genügend Gefängnisse für die massenhafte Verhaf- DIE FRÜHEN KONZENTRATIONSLAGER: tung politischer und weltanschaulicher Gegner zur Verfügung MACHTAUSBAU DURCH TERROR stellen mussten. Andererseits belegen sie auch die geringe Wertschätzung der Häftlinge und ihrer Menschenwürde durch den nicht mehr funktionierenden Rechtsstaat. Der Ort wird In Baustein A wird vor allem die Funktion der frühen Kon- so zur Quelle. Dabei sollte aber auch deutlich werden, dass zentrationslager im Zuge des Machtausbaus und der For- er nur »zum Sprechen gebracht« werden kann, wenn die mierung der deutschen Gesellschaft im nationalsozialisti- tatsächlichen Lebensverhältnisse durch weitere Zeugnisse schen Sinn aufgezeigt. Ein Lernziel besteht darin, zwischen wie A 8 vorgestellt werden, auch wenn die Unwirtlichkeit den frühen Konzentrationslagern, den Vernichtungslagern des Forts grundsätzlich erkennbar ist. und den in Baustein C wieder aufgegriffenen Außenlagern (»Vernichtung durch Arbeit«) differenzieren zu können. Die Das Lagersystem beruhte auf dem Instrument der »Schutz- Entwicklung eines einheitlichen und zentral gesteuerten KZ- haft«, das bereits im 19. Jahrhundert bekannt war, von den Systems wird hier am Beispiel der Häftlingskleidung und Nationalsozialisten aber als Terrorinstrument ausgestaltet indirekt an den vorgestellten Orten verdeutlicht: Die Fotos, wurde. Ausgangspunkt hierfür war die Verordnung des Reichs- die Häftlinge zeigen (A 9), sind Zeugnisse einer fortschrei- präsidenten »zum Schutz von Volk und Staat« (sogenannte tenden Vereinheitlichung der Haftbedingungen. Gleichzeitig »Reichstagsbrandverordnung«) vom 28. Februar 1933, durch verweisen sie auf die zunehmende, von den Lagerleitungen welche die wesentlichen bürgerlichen Grundrechte beseitigt (und später der SS) angestrebte Entpersönlichung der Lager- (§ 1 abgedruckt in A 4) und die Strafbestimmungen für insassen, denen durch Uniformierung und Haarschur jegliche bestimmte Vergehen verschärft wurden. äußeren individuellen Züge genommen werden sollten (vgl. C 3 – C 5). Weiteres Thema dieses Bausteins sind die Mittel und Metho- den, welche die Nationalsozialisten zum Ausbau ihrer Macht Orte wie Kislau und insbesondere der Obere Kuhberg in Ulm, benutzten. Die Darstellung des Konzentrationslagers in der die ursprünglich nicht als Gefängnisbauten gedacht waren, Öffentlichkeit, also die gewünschte Berichterstattung in der DAS EHEMALIGE KONZENTRATIONSLAGER die Räume der KZ-Kommandantur. Eine Dauerausstellung OBERER KUHBERG IN ULM in der Gedenkstätte zeigt Bilder und Dokumente zu den Häftlingen, den Haftbedingungen, den Haftgründen und Das um 1850 erbaute Fort Oberer Kuhberg diente dem nicht zuletzt auch zu den Tätern. NS-Regime von November 1933 bis Juli 1935 als Konzen- trationslager. Kurz zuvor war das völlig überfüllte Lager www.dzokulm.telebus.de Heuberg bei Stetten am kalten Markt geschlossen worden. Das KZ Oberer Kuhberg war kein Vernichtungslager. Wohl Reinhold Weber aber waren hier über 600 politische und weltanschauliche Gegner aus Württemberg und Hohenzollern unter men- schenunwürdigen Bedingungen eingekerkert. Unter ihnen waren prominente Politiker wie der KPD-Landtagsabgeord- nete Alfred Haag (1904 – 1982) oder die Sozialdemokraten Albert Pflüger (1897 – 1965), Erich Roßmann (1884 – 1953) und der spätere SPD-Bundesvorsitzende Kurt Schumacher (1895 – 1952). Sie begannen hier ihren Leidensweg durch die NS-Lager. DZOK Ulm/DZOK-FArchiv R1 96 In Konzentrationslagern wie dem Oberen Kuhberg wurden Regimegegner und -kritiker ihrer Würde beraubt, um sie – zusammen mit ihren Angehörigen und Mitstreitern – ein- zuschüchtern und verstummen zu lassen. Heute ist das ehemalige Konzentrationslager Oberer Kuh- berg Gedenkstätte. Es ist das einzige KZ in Süddeutsch- Das Kommandanturgebäude bzw. Reduit des Forts Oberer land, das in seiner baulichen Substanz erhalten ist und Kuhberg. besichtigt werden kann. Dazu gehören die unterirdischen Verliese, in denen die Häftlinge untergebracht waren, das Freigelände mit der Haftzelle von Kurt Schumacher sowie Politik & Unterricht • 3-2008 9
  • 12. Baustein A Presse über Verhaftungen und (angebliche) Haftbedingun- entstehenden Lager typisch ist, für die frühen Lager zumin- gen, zieht sich durch die Geschichte der frühen Konzentra- dest nach außen nicht besteht. Das Regime präsentierte tionslager, wie hier an A 1, A 2 und A 5, A 9 und A 11 und demonstrierte der Öffentlichkeit – also den Gegnern deutlich wird. Offensichtliches Ziel war die Abschreckung wie den Anhängern – am und über das Konzentrationslager potenzieller Gegner und die Ausrichtung der Gesellschaft im die erreichte Macht. A 6 ist darüber hinaus Zeugnis für den nationalsozialistischen Sinn. Die Mittel waren die Berichter- Triumph, den die Nationalsozialisten über die Gegner aus stattung als solche und vor allem der diffamierende Ton. der Arbeiterschaft feierten: Der traditionelle Feiertag der Arbeiterschaft wird instrumentalisiert. Der Terror, den das KZ Auch A 6 gehört hierher: Der aus Anlass des 1. Mai zu Propa- zum Ausdruck bringt, wird mit den angeblich erreichten wirt- gandazwecken geschmückte Eingang mit Hitlerbild, Haken- schaftlichen Erfolgen gerechtfertigt und die überwiegend kreuzfahnen, Reichsfahne (in Schwarz-Weiß-Rot) und dem politisch linksstehenden Häftlinge werden damit verhöhnt. Spruch »Gestern Hunger und Not, heute Arbeit und Brot« Schikanöse Strafen, Willkür und Terror richteten sich jedoch zeigt, dass die bewusste äußere wie innere Abschottung gegen sämtliche Gegner des NS-Regimes. Sie wurden in allen der Lagerwelt, wie sie für die seit Mitte der 1930er Jahre Konzentrationslager eingesetzt, um den Willen der Häftlinge DAS KONZENTRATIONSLAGER KISLAU 3. April 1934 auf dem Karlsruher Friedhof beteiligten sich trotz der Allgegenwart der Gestapo rund 3.000 Menschen. Das Konzentrationslager Kislau bei Bruchsal bestand von April 1933 bis April 1939. Während der gesamten Dauer Die Karlsruher SPD vergibt zum Andenken an Ludwig Marum seines Bestehens blieb es dem badischen Innenministe- jährlich einen Preis. Im Oktober 1985 wurde das Gym- rium unterstellt und wurde im Gegensatz zu den meisten nasium im nahegelegenen Pfinztal nach Ludwig Marum anderen frühen Konzentrationslager nicht der zentralen benannt. Vor der ehemaligen Wohnung des Abgeordneten »Inspektion der Konzentrationslager« unterstellt. Das Kon- in der Wendtstraße 3 in Karlsruhe wurden Stolpersteine in zentrationslager wurde im Schloss Kislau errichtet, das be- den Boden gesetzt. Im Schloss Kislau selbst erinnert ein reits seit 1819 als Strafanstalt gedient hatte. Parallel zum Gedenkstein im Schlosshof an das ehemalige Konzentrati- Konzentrationslager existierte in einem Trakt des Schlosses onslager und an Ludwig Marum. In der Erinnerungsstätte ein ebenfalls bereits im 19. Jahrhundert eingerichtetes Ständehaus in Karlsruhe wird mit zwei Tafeln an das Schick- Arbeitshaus für Männer. sal von Ludwig Marum und Adam Remmele erinnert. Im Konzentrationslager Kislau wurden bereits im April www.karlsruhe.de/kultur/stadtgeschichte/staendehaus.de 1933 Kommunisten, Sozialdemokraten und Zentrumspo- www.lpb-bw.de/publikationen/menschenausdemland/ litiker inhaftiert. Zahlreiche politisch Missliebige folgten. marum.pdf Die höchste Belegungsstärke des KZ wurde 1937/38 mit 173 Häftlingen erreicht. Reinhold Weber Einer der prominentesten Inhaftierten und Opfer des NS-Terrors in Kislau war der jüdische SPD-Politiker und Reichstagsabgeordnete Ludwig Marum (1882 – 1934) aus Karlsruhe. Am 16. Mai 1933 wurden Marum, der frühere badische Staatspräsident Adam Remmele (1877 – 1951) und fünf weitere führende badische Sozialdemokraten in das neu errichtete Konzentrationslager Kislau verbracht. Dabei wurden sie unter entwürdigenden Umständen in einer vor- bereiteten Aktion auf offenen Lastkraftwagen durch die Stadt Karlsruhe gefahren – vorbei an pöbelnden SA-Horden Stadtarchiv Karlsruhe und tausenden Karlsruher Bürgern. Vereinzelt kam es zu Protesten und Rufen wie »Rotfront«, die vom Regime sofort geahndet wurden. Am selben Tag kam der »gleichgeschal- tete« badische Landtag zu seiner Eröffnungssitzung zusam- men. Der zeitliche Zusammenhang war keinesfalls zufällig. Am 16. Mai 1933 werden – öffentlich inszeniert – sieben Am 29. März 1934 wurde Ludwig Marum auf Weisung des sozialdemokratische Landtagsabgeordnete aus Karlsruhe in badischen Reichsstatthalters Robert Wagner von drei KZ- das Konzentrationslager Kislau verschleppt. Von SS- und SA- Aufsehern erdrosselt. Die von den Behörden verbreitete Männern umringt v. l. n. r.: Hermann Stenz, Adam Remmele, Version des Selbstmordes des Politikers fand in der Bevöl- Erwin Sammet, Ludwig Marum, Gustav Heller, Sally Grüne- kerung keinen Glauben. An der Einäscherung Marums am baum und August Furrer. 10 Politik & Unterricht • 3-2008
  • 13. Baustein A zu brechen – hier verdeutlicht am Beispiel der »Schaufahrt« entsprechenden Biographieordner, der im Dokumentations- ins badische KZ Kislau (A 1 und A 2) und den Berichten in zentrum Oberer Kuhberg vorhanden ist. A 8, A 9, A 10 und A 12. Gerade A 9 zeigt die Absurdität des Lageralltags in Ulm, da eine an sich sinnvolle Beschäf- Mit Alois Dangelmaier (1889 – 1968) wird ein Repräsentant tigung (die Reinigung der Kleider und der Kleiderappell) der Gruppe der NS-Gegner aus dem kirchlichen Bereich vor- durch die Anweisungen des Lagerkommandanten zur Ver- gestellt. Die ausgewählten Materialien verweisen als Ein- schlimmerung der Lebensumstände führt. Die entwürdigende führung auf die Ausstellung im Dokumentationszentrum Behandlung von Alfred Haag durch den Lagerkommandanten Oberer Kuhberg in Ulm, machen aber noch einmal die Mittel (A 10) verweist auf dessen nahezu absolute Stellung und in deutlich, mit denen die NS-Verfolgungsbehörden arbeite- besonderem Maß auf seine Menschenverachtung. ten: Drohungen, öffentliche Zurschaustellung und damit Missachtung grundlegender bürgerlicher Rechte, die auch Die Lebensgeschichte des ehemaligen württembergischen Verdächtige genießen (vgl. A 11). KPD-Landtagsabgeordneten Alfred Haag, dargestellt von seiner Frau Lina, steht exemplarisch für die Verfolgung und Mit Karl Buck (1894 – 1977) wird ein Repräsentant der Täter das Schicksal politischer Gegner der Nationalsozialisten. Am angesprochen, die größtenteils »ganz normale Männer« (so biographischen Einzelfall werden hier das außergesetzliche ein Buchtitel des Historikers Christopher Browning) waren, Wirken und die Willkür von Gestapo und Lagerleiter deut- die aber die NS-Ideologie verinnerlicht hatten und sie aus- lich. Gleichzeitig eröffnet das Beispiel eine Perspektive auf lebten. Sein schikanöses Verhalten gegenüber den Häft- die Auswirkungen der Verfolgung im familiären Umfeld der lingen kann auf der Grundlage der Texte zusammengestellt Betroffenen. Die Angehörigen litten mit, blieben aber nach werden. Da es noch keine grundlegende Studie zu Buck gibt, wie vor in der »normalen« Gesellschaft präsent – ein Hinweis kann mit den ausgewählten Materialien auf ein grundsätzli- auf die vielfältigen Verwicklungen des KZ-Systems mit der ches Thema der Nachkriegsgeschichte – auf den Umgang der »Zuschauer«-Gesellschaft. Indem die weiteren Lebensläufe westdeutschen Gesellschaft und Justiz mit den Tätern nach von Alfred und Lina Haag recherchiert werden, werden die 1945 und ihre Integration – hier nur verwiesen werden. Folgen von Verfolgung und Haft über die oftmals postulierte »Stunde Null« des Mai 1945 hinaus deutlich gemacht. Der Mit der Materialseite zu den unterschiedlichen Formen des Bericht dient zudem als Hinführung zur Arbeit mit dem Gedenkens soll die Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Im Haus des Landtags von Baden-Württemberg in Stuttgart erinnert seit 2004 ein Gedenkbuch an ermordete oder auf- grund der NS-Verfolgung zu Tode gekommene Mitglieder der Landtage des Freistaates Baden und des Freien Volksstaates Württemberg von 1919 bis 1933. Die Dokumentation liegt im Hauptgeschoss des Landtagsgebäudes frei zugänglich aus. Sie schildert exemplarisch, schlaglichtartig und in äußers- ter Knappheit das Lebensschicksal von 18 badischen und württembergischen Landtagsabgeordneten. Viele dieser Abgeordneten waren gleichzeitig Mitglieder des Deutschen Reichstags, leisteten Widerstand gegen das NS-Unrechtsregime und hatten infolgedessen unter Verfol- gung und Unterdrückung bis hin zum Verlust ihres Lebens zu leiden. Unter den 18 Abgeordneten sind auch der württembergische Staatspräsident Eugen Bolz (1881 – 1945, Zentrum), die Liberalen Fritz Elsas (1890 – 1945, DDP) und der Schriftsteller und Journalist Johannes Fischer (1890 – 1942, DDP), der kommunistische Widerstands- kämpfer Georg Lechleiter (1885 – 1942), der Sozialdemokrat Ludwig Marum (1882 – 1934), die Sozialdemokratin Laura Schradin (1878 – 1937) und der spätere SPD-Bundesvor- sitzende Kurt Schumacher (1895 – 1952), der mehrere KZ- Inhaftierungen, unter anderem im Oberen Kuhberg in Ulm, überlebte. LMZ Baden-Württemberg Politik & Unterricht • 3-2008 11
  • 14. Baustein B Ausprägungen der Geschichtskultur angeregt und gefördert ●●● BAUSTEIN B werden: Während der Gedenkstein für Ludwig Marum, der eine für Grabmale übliche Form hat, den mahnenden Charak- NS-RASSENIDEOLOGIE: AUSGRENZUNG, ter des vergangenen Geschehens und damit dieses selbst in GEWALT UND MORD den Vordergrund stellt und die Täter über den Begriff »Nazi- terror« entpersönlicht, geht die Gestaltung im Dokumentati- onszentrum Oberer Kuhberg von der Gegenwart der Besucher Die jüdische Gemeinde und ihre Synagoge in Sulzburg aus. Sie werden zur Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Der Leerraum, den die Vernichtung der jüdischen Gemein- Verständnis dieses Grundgesetz- und Menschenrechtsartikels den durch das NS-Regime hinterlassen hat, kann heutigen aufgefordert. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit Jugendlichen (und auch Erwachsenen) nicht sofort auffal- in der Ausstellung wird somit mit pädagogisch-politischer len. Es gilt, ihn zu erarbeiten und zu erkennen, dass es Absicht unter eine Losung gestellt (A 14). ein Raum ist, in dem sich ein Geflecht sozialer Bezüge herausgebildet hatte, das sich unter dem Begriff »Nachbar- schaften« zusammenfassen lässt. Nachbarschaft zeigt sich im alltäglichen Zusammenleben: im Schwatz über den Zaun, in der gegenseitigen Hilfe, vielleicht in Freundschaften, die sich ausbilden, vor allem aber in einer Grundhaltung beider GEDENKSTÄTTE EHEMALIGE SYNAGOGE bäude in städtischen Besitz und wurde als Kulturdenkmal SULZBURG und Gedenkstätte restauriert. Die Synagoge in Sulzburg war 1822 nach Karlsruhe und Ran- Die Geschichte der Sulzburger jüdischen Gemeinde geht bis degg der dritte Synagogenbau einer jüdischen Gemeinde in das 16. Jahrhundert zurück. Im 18. und 19. Jahrhundert im Großherzogtum Baden. Heute ist sie die einzige nicht war trotz der durchaus armseligen Bedingungen der jüdi- zerstörte Synagoge aus der Architekturschule Friedrich schen Bevölkerung ihr Anteil am Leben und an der Kultur Weinbrenners im spätbarock-klassizistischen Mischstil in der Stadt beträchtlich. Im Jahr 1864 zählte die jüdische Baden-Württemberg. Mitte der 1970er Jahre kam das Ge- Gemeinde 416 Menschen und damit etwa ein Drittel der Einwohnerschaft des Ortes. Zum Zeitpunkt der »Macht- ergreifung« der Nationalsozialisten lebten 94 Menschen jüdischen Glaubens in Sulzburg. Am 10. November 1938 wurde die Sulzburger Synagoge im Zuge des November- pogroms schwer demoliert. Nach den Deportationen der badischen Juden kamen mindestens 22 der 94 jüdischen Menschen in Sulzburg ums Leben. Heute organisiert der »Freundeskreis Ehemalige Synagoge Sulzburg e. V.« die Erinnerungsarbeit als lebendiges Lernen für die Demokratie und die Menschenrechte in der ehe- maligen Synagoge. Von besonderer kulturgeschichtlicher Bedeutung ist auch der jüdische Friedhof in Sulzburg. www.sulzburg.de LMZ Baden-Württemberg Reinhold Weber Die Ostseite der ehemaligen Synagoge in Sulzburg mit Rund- fenster und Nische für den Thoraschrein. Die Synagoge in Sulzburg war von 1727 bis 1886 Sitz des Rabbinats für das badische Oberland. Während der Reichspogromnacht (»Reichskristallnacht«) im November 1938 wurde die Syna- goge verwüstet, aber nicht völlig zerstört. Sie konnte deshalb erhalten werden. 12 Politik & Unterricht • 3-2008
  • 15. Baustein B Seiten, die darauf aus sind, miteinander auszukommen und Die Fotos in B 4 zeigen Aspekte deutsch-jüdischen Selbst- in gegenseitiger Anerkennung und Achtung zu leben. Dieses verständnisses: Die Teilnahme am Ersten Weltkrieg als of- Zusammenleben muss eine gewisse Distanz nicht ausschlie- fensichtliche Selbstverständlichkeit (vgl. auch das Beispiel ßen. Integration und Assimilation sind zusätzliche Begriffe, des Leo Louis Kahn in B 7), der nationale Stolz, der sich die das gegenseitige Aufeinanderzugehen kennzeichnen. im Ablichten in Uniform ausdrückt und den auch die Ho- noratioren der jüdischen Gemeinde im Zentrum der Gruppe Dementsprechend erfolgte die Auswahl der Materialien für zum Ausdruck bringen, und die typische bürgerliche Darstel- Baustein B unter dem Aspekt der Nachbarschaft, die hier lungsform einer Gemeinschaft zeigen das Selbstverständnis als didaktische Leitlinie gewählt wurde. Nachbarschaft lässt der deutsch-jüdischen Männer auf. Auch das Zusammensein sich vor Ort an den räumlichen Gegebenheiten aufzeigen und in Vereinen kann als typisch bürgerliche Organisationsform konkretisieren: Besonders Karten wie B 1 zeigen die enge angesehen werden. Das Foto vom Chorausflug ist damit Verschränkung der Lebensbereiche auf. In Erinnerungen Zeugnis der privaten Beziehungen wie der gleichartigen In- zum konkreten Alltag werden die Bedingungen des Zusam- teressen der beiden konfessionellen Gruppen. menlebens veranschaulicht. Begriffe wie Assimilation und Integration werden anschaulich und fassbar. Die Verhält- Die Darstellung des (außer-)schulischen Lebens der Sulz- nisse in Sulzburg lassen sich auf andere »Judendörfer« und burger Kinder (B 5) dient als weitere Veranschaulichung »Judengemeinden« im deutschen Südwesten übertragen. des offenbar problemlosen Zusammenlebens. Sie zeigt aber Die Materialien beschreiben daher die Nachbarschaft von auch die existierenden Trennlinien auf, die auf den unter- Juden und Christen und ihre Zerstörung im »Dritten Reich«. schiedlichen religiösen Riten beruhen. Darüber hinaus lässt Bewusst wurden Texte und Bilder ausgewählt, die vor 1933 sich an diesem Text quellenkritisch arbeiten und im Vergleich entstanden oder sich auf diese Zeit beziehen. So lässt sich zu B 6 die unterschiedlichen Intentionen von autobio- der soziale und kulturelle Verlust besser verdeutlichen. graphischer Erinnerung und wissenschaftlicher Darstellung aufzeigen. Mit der Karte B 1 und den Fotos von der Synagoge (B 2, vgl. auch Foto Seite 12) wird der Ort vorgestellt. Damit wird An B 6 lassen sich auch die Mittel erarbeiten, über welche vor dem Gedenkstättenbesuch ein erster Eindruck vermit- die Nationalsozialisten in der Phase des Machtausbaus die telt. Es sollte herausgearbeitet werden, dass insbesondere Grundlage für die Zerstörung der Nachbarschaften legten: die Synagoge als öffentlicher Kultbau das Selbstverständ- Gewalt, Drohung und Einschüchterung, öffentliche Stigma- nis und Selbstbewusstsein der Juden als vollwertige Bürger tisierung der jüdischen Opfer wie der christlichen Bevölke- ausdrückte. Synagogen gehörten spätestens in der zweiten rung, »Schutzhaft«, Unterstellungen. Nicht genannt werden Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht mehr zur Minderheiten- hier die scheinlegalen Mittel wie die »Nürnberger Gesetze«, architektur. B 3 beschreibt die allgemeinen Verhältnisse: die jedoch am lebensgeschichtlichen Beispiel herausgear- Der Schriftsteller Jacob Picard verweist auf typische Formen beitet werden sollen (B 7). Die allgemeine Entwicklung des Zusammenlebens und -arbeitens: Er benennt die wirt- der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung sollte vor einem schaftlichen Grundlagen, die sozialen Beziehungen und die Gedenkstättenbesuch bekannt sein. Am lebensgeschichtli- konfessionellen Gegensätze – Aspekte, die allgemeine Gel- chen Beispiel werden sie konkretisiert und damit eindrück- tung beanspruchen dürfen. licher. Am Morgen des 22. und des 23. Okto- ber 1940 werden die jüdischen Ein- wohner der damaligen Gaue Baden und Saarpfalz in das im unbesetzten Teil Frankreichs liegende Lager Gurs am Fuß der Pyrenäen deportiert. Das Foto zeigt die Deportation der Lörracher Juden – vor aller Augen und am hell- lichten Tag. Stadtarchiv Lörrach Politik & Unterricht • 3-2008 13
  • 16. Baustein B Der Antrag auf die Verleihung des Ehrenkreuzes (B 7) macht Bei den Mulfinger Sinti-Kindern handelt es sich um ein den Versuch deutlich, sich in einer mehr und mehr feindlich ausgesprochen emotionales Thema, denn die Kinder werden gesinnten Umwelt zu behaupten. Das Schicksal der Fami- als Opfer in ihrer ganzen Wehrlosigkeit vorgestellt. Auch lie Kahn kann vor Ort anhand der in der Gedenkstätte in deshalb muss bei der Behandlung des Themas der Blick auf Sulzburg vorhandenen, aber auch in Buchform zusammen- diejenigen gelenkt werden, die als Erwachsene am Gesche- gestellten Materialien vertieft werden (vgl. die im Material- hen beteiligt waren – seien es die Schwestern im Heim, der teil genannte Literatur). Es beleuchtet einzelne wichtige Pfarrer, der die Notkommunion vornimmt, die Lehrerin oder Aspekte nationalsozialistischer Verfolgungs- und Vernich- vor allem die Personen in den Amtsstuben. Dieser Aspekt tungspolitik. Wichtige Stationen nationalsozialistischer Ver- der graduell abgestuften »Zuschauerschaft« wird vor allem folgung wie der Pogrom vom November 1938 sollten in ihren durch die Materialien B 10 – B 11 angesprochen, wobei über Auswirkungen (insbesondere die Schändung der Synagoge) die direkt in den Verwaltungspapieren genannten Personen vor Ort erarbeitet werden. hinaus auch an den indirekt damit befassten Personenkreis zu denken ist wie der »Schulrat aus Crailsheim« in B 9 oder Die Mulfinger Sinti-Kinder die den beiden betroffenen Dienststellenleitern nachgeord- Die Materialien in diesem Teil des Bausteins B dienen der neten Beamten, Angestellten und Schreibkräfte in B 10, Hinführung zu einem Besuch im Dokumentations- und Kul- die sich in dienstlichen Beratungen und im Alltagsgespräch turzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg. Sie untereinander mit den Deportationen befasst haben dürften. können aber auch für eine Beschäftigung mit dem Thema Kriterien der Beurteilung ihrer Handlungsspielräume und an den angeführten Gedenkorten herangezogen werden. Das ihres Wissens über die Vernichtungspolitik könnten dabei Thema ist nur ein Teil der umfassenden Heidelberger Ausstel- sein: das Alter der Einzelpersonen, ihr Dienstgrad, die Zu- lung. Die hier abgedruckten Texte und Bilder beinhalten aber ständigkeitsbereiche und vor allem ihr räumlicher Abstand Beziehungen zu anderen Aspekten, denen in der Ausstellung zum Geschehen vor Ort, das für sie möglicherweise nur als nachgegangen werden soll. Angesprochen werden (in B 8 Verwaltungsvorgang in den entsprechenden Akten sicht- und B 9) die »erbbiologische Sichtweise« bzw. Sinti und bar wurde. Das Denkmal im Jugendamt Stuttgart (B 12) Roma in der NS-Rassenideologie und die »Rassenhygienische weist darauf eindrücklich hin. Die Einsicht, dass die Vernich- Forschungsstelle in Berlin« (Dr. Robert Ritter/Eva Justin) tungspolitik nicht nur eine Sache der Täter war, sondern in sowie die Themen Deportationen, Sinti und Roma in den die »normale« Gesellschaft hineinreichte und Mitwisser in Konzentrationslagern, das »Zigeunerlager« Auschwitz und großer Zahl hatte, wird sich hier anschließen. Zwangsarbeit. DAS DOKUMENTATIONS- UND KULTURZENTRUM nung und des Dialogs. Eine der zentralen Aufgaben be- DEUTSCHER SINTI UND ROMA IN HEIDELBERG steht darin, die über 600-jährige Geschichte der Sinti und Roma in Deutschland zu dokumentieren. Ein besonderer Seit Beginn der 1990er Jahre besteht in der Heidelberger Schwerpunkt liegt dabei auf dem Völkermordverbrechen Innenstadt das Dokumentations- und Kulturzentrum Deut- der Nationalsozialisten, das lange Zeit aus dem öffentli- scher Sinti und Roma. Es ist eine europaweit einzigartige chen Bewusstsein verdrängt wurde. Eine weitere wichtige Einrichtung. Das Zentrum ist Museum zur Zeitgeschichte Aufgabe des Zentrums besteht darin, die kulturellen Bei- und Ort der Erinnerung, aber auch ein Ort der Begeg- träge, die die Minderheit der Sinti und Roma etwa auf den Gebieten Literatur, bildende Kunst und Musik erbracht hat, darzustellen. Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma Im Heidelberger Zentrum ist eine ständige Ausstellung zu sehen, die den NS-Völkermord an dieser Minderheit dokumentiert. Auf fast 700 qm Fläche wird die Geschichte der Verfolgung der Sinti und Roma in der Zeit des Na- tionalsozialismus nachgezeichnet: von der stufenweisen Ausgrenzung und Entrechtung im Deutschen Reich bis hin zur systematischen Vernichtung im von Deutschland be- setzten Europa. www.sintiundroma.de Reinhold Weber Das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in der Heidelberger Altstadt. 14 Politik & Unterricht • 3-2008