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WALDORF ASTORIA BERLIN, HARDENBERGSTRASSE 28
10623 BERLIN, GERMANY, Tel. +49 (0)30 814000-0
E-Mail BERLIN.INFO@WALDORFASTORIA.COM
LUXUS IST EINE FRAGE
DER PERSPEKTIVE
Das Waldorf Astoria Berlin bietet luxuriöses Interieur, herausragenden Service
und Zimmer und Suiten mit atemberaubenden Blicken über die Hauptstadt.
Im Herzen der City West gelegen, ist das Hotel ideal für Shopping auf
dem eleganten Kurfürstendamm und für Erkundungstouren der Berliner
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Sternerestaurant Les Solistes by Pierre Gagnaire und erleben Sie traumhafte
Aussichten in den höchsten Suiten Berlins.
Weitere Informationen unter waldorfastoriaberlin.com
© 2014 Hilton Worldwide
waldorfastoriaberlin.com
»Eleganz,
Effizienz und
der ökonomische
Umgang mit
Ressourcen sind
mir wichtig.«
CHRISTOPH INGENHOVEN (S.28)
Das Magazin für Geist, Geld & Gesellschaft
N° 10 – 2014
DeutscheAsset&WealthManagementN° 10/2014DasMagazinfürGeist,Geld&Gesellschaft
4
W E RT E / N ° 10 – 2014
55
28
SIMONE BAGEL-TRAH
steht im Zentrum des
Kraftwerks West – als
Aufsichtsratsvorsitzende
der Henkel AG gibt sie
dem Konzern und der
WERTE-Region wichtige
Impulse.
INNOVATIVE
BAUSTOFFE
verändern die Welt.
Wie Architekten die
Zukunft des Wohnens
planen.
Fotos: Dorothea Schmid (Titel); Henkel; action press 5
INHALT
Innovation
WERTE N°10 – 2014
Geist GesellschaftGeld Werte Regional
52 – 69 /
EINE REISE
IN DAS
KRAFTWERK
WEST
Die Region zwischen Köln,
Düsseldorf,Wuppertal und
Essen gilt als Kerngebiet des
europäischen Wirtschafts-
raums. Auf 18 Seiten präsen-
tiert WERTE Menschen, In-
stitutionen und Unternehmen,
die die Region stark machen.
6 /
»VOR DRAMATISCHEN
VERÄNDERUNGEN«
Michele Faissola, Leiter Deut-
sche Asset & Wealth Manage-
ment, über Innovationen und
die Bank der Zukunft.
8 /
MENSCHEN &
INNOVATIONEN
Von Catherine von Fürsten-
berg-Dussmann über Catharina
van Delden und Christoph
Niemann bis zuTina Müller.
11 /
WACHT AUF,
VERKANNTE DIESER ERDE
Ein Essay des Zukunftsforschers
Matthias Horx über den Sieges-
zug der Kreativen Klasse.
12 /
REISE INS
SILICON VALLEY
Vom Start-up zum Weltkon-
zern – eine WERTE-Reportage
aus demTal der Kreativen.
36 /
ERLEBNIS KUNST
Prof. Christoph Stölzl im
Gespräch mit Max Hollein
über den Wert der Museen
für die Gesellschaft.
78 /
TRESOR – MENSCHEN,
MARKEN & MYTHEN
Große Geister, Ideen, Waren
und Werke, die es wert sind,
bewahrt zu werden.
22 /
YES, WE CAN!
Wohin steuern die USA? Ein
Bericht zur Lage der Nation.
25 /
PARTNER DER
NÄCHSTEN GENERATION
Junge Unternehmer und ihre
Bedeutung für die Gesellschaft.
26 /
»WIR GEHEN DA HIN,
WO NOCH KEINER IST«
Der Internet-Unternehmer
Oliver Samwer und seine
Strategien.
39 /
STRATEGIEN & MÄRKTE
Experten von Deutsche Asset
& Wealth Management über die
Zukunft Chinas und professio-
nelle Risikosteuerung.
51 /
TIEF IM WESTEN
Uwe Bork, Leiter Strategische
Kunden Westdeutschland,
über die Region Rhein-Ruhr.
75 /
DAS EINMALEINS
DER CASH-ANLAGE
Über Chancen und Risiken im
Umgang mit hoher Liquidität.
82 /
SPITZENREITER
WEALTH MANAGEMENT
Euromoney-Auszeichnung
als »Best Private Bank«.
»Eleganz,
Effizienz und
der ökonomische
Umgang mit
Ressourcen sind
mir wichtig.«
CHRISTOPH INGENHOVEN (S.28)
Das Magazin für Geist, Geld & Gesellschaft
N° 10 – 2014
28 /
ZUKUNFT DES BAUENS
Wie neue Baustoffe das Bild
unserer Städte verändern.
42 /
»DER GEWINN KOMMT
ZUM SCHLUSS«
Wie der König der Drogerie-
Discounter Götz Werner die
Gesellschaft verändern will.
44 /
GEMEINSAM NUTZEN
STATT ALLEIN BESITZEN
Wie die Share Economy die
Gesellschaft verändert und der
Wirtschaft neue Impulse gibt.
46 /
WELTMACHT FUSSBALL
Werte-Gespräch mit Borussia-
Dortmund-Manager Hans-
Joachim Watzke über das Ge-
schäft mit dem Fußball.
70 /
TRÄUMER
UND REALIST
Gewinne machen und Gutes
tun – das Erfolgsrezept des
Philosophen und Unterneh-
mers Brunello Cucinelli.
76 /
WIR ZEIGEN
VERANTWORTUNG
Mitarbeiter des Wealth
Management helfen in Boli-
vien; 25 Jahre Partnerschaft
Deutsche Bank und Berliner
Philharmoniker.
WERTE NO
10
Der Titel zeigt den
Stararchitekten Christoph
Ingenhoven.Wie der
Düsseldorfer die Zukunft
des Bauens sieht, lesen
Sie ab Seite 28.
= Experten von Deutsche Asset & Wealth Management geben Antworten.
4
W E RT E / N ° 10 – 2014
55
28
SIMONE BAGEL-TRAH
steht im Zentrum des
Kraftwerks West – als
Aufsichtsratsvorsitzende
der Henkel AG gibt sie
dem Konzern und der
WERTE-Region wichtige
Impulse.
INNOVATIVE
BAUSTOFFE
verändern die Welt.
Wie Architekten die
Zukunft des Wohnens
planen.
Fotos: Dorothea Schmid (Titel); Henkel; action press 5
INHALT
Innovation
WERTE N°10 – 2014
Geist GesellschaftGeld Werte Regional
52 – 69 /
EINE REISE
IN DAS
KRAFTWERK
WEST
Die Region zwischen Köln,
Düsseldorf,Wuppertal und
Essen gilt als Kerngebiet des
europäischen Wirtschafts-
raums. Auf 18 Seiten präsen-
tiert WERTE Menschen, In-
stitutionen und Unternehmen,
die die Region stark machen.
6 /
»VOR DRAMATISCHEN
VERÄNDERUNGEN«
Michele Faissola, Leiter Deut-
sche Asset & Wealth Manage-
ment, über Innovationen und
die Bank der Zukunft.
8 /
MENSCHEN &
INNOVATIONEN
Von Catherine von Fürsten-
berg-Dussmann über Catharina
van Delden und Christoph
Niemann bis zuTina Müller.
11 /
WACHT AUF,
VERKANNTE DIESER ERDE
Ein Essay des Zukunftsforschers
Matthias Horx über den Sieges-
zug der Kreativen Klasse.
12 /
REISE INS
SILICON VALLEY
Vom Start-up zum Weltkon-
zern – eine WERTE-Reportage
aus demTal der Kreativen.
36 /
ERLEBNIS KUNST
Prof. Christoph Stölzl im
Gespräch mit Max Hollein
über den Wert der Museen
für die Gesellschaft.
78 /
TRESOR – MENSCHEN,
MARKEN & MYTHEN
Große Geister, Ideen, Waren
und Werke, die es wert sind,
bewahrt zu werden.
22 /
YES, WE CAN!
Wohin steuern die USA? Ein
Bericht zur Lage der Nation.
25 /
PARTNER DER
NÄCHSTEN GENERATION
Junge Unternehmer und ihre
Bedeutung für die Gesellschaft.
26 /
»WIR GEHEN DA HIN,
WO NOCH KEINER IST«
Der Internet-Unternehmer
Oliver Samwer und seine
Strategien.
39 /
STRATEGIEN & MÄRKTE
Experten von Deutsche Asset
& Wealth Management über die
Zukunft Chinas und professio-
nelle Risikosteuerung.
51 /
TIEF IM WESTEN
Uwe Bork, Leiter Strategische
Kunden Westdeutschland,
über die Region Rhein-Ruhr.
75 /
DAS EINMALEINS
DER CASH-ANLAGE
Über Chancen und Risiken im
Umgang mit hoher Liquidität.
82 /
SPITZENREITER
WEALTH MANAGEMENT
Euromoney-Auszeichnung
als »Best Private Bank«.
»Eleganz,
Effizienz und
der ökonomische
Umgang mit
Ressourcen sind
mir wichtig.«
CHRISTOPH INGENHOVEN (S.28)
Das Magazin für Geist, Geld & Gesellschaft
N° 10 – 2014
28 /
ZUKUNFT DES BAUENS
Wie neue Baustoffe das Bild
unserer Städte verändern.
42 /
»DER GEWINN KOMMT
ZUM SCHLUSS«
Wie der König der Drogerie-
Discounter Götz Werner die
Gesellschaft verändern will.
44 /
GEMEINSAM NUTZEN
STATT ALLEIN BESITZEN
Wie die Share Economy die
Gesellschaft verändert und der
Wirtschaft neue Impulse gibt.
46 /
WELTMACHT FUSSBALL
Werte-Gespräch mit Borussia-
Dortmund-Manager Hans-
Joachim Watzke über das Ge-
schäft mit dem Fußball.
70 /
TRÄUMER
UND REALIST
Gewinne machen und Gutes
tun – das Erfolgsrezept des
Philosophen und Unterneh-
mers Brunello Cucinelli.
76 /
WIR ZEIGEN
VERANTWORTUNG
Mitarbeiter des Wealth
Management helfen in Boli-
vien; 25 Jahre Partnerschaft
Deutsche Bank und Berliner
Philharmoniker.
WERTE NO
10
Der Titel zeigt den
Stararchitekten Christoph
Ingenhoven.Wie der
Düsseldorfer die Zukunft
des Bauens sieht, lesen
Sie ab Seite 28.
= Experten von Deutsche Asset & Wealth Management geben Antworten.
»Uns stehen
dramatische
Veränderungen
bevor«
6
und Begeisterung ihren Aufgaben nachgehen, wenn sie
ihr Tun und ihre Arbeitsprozesse permanent hinterfra-
gen, und zwar um Mehrwert zu schaffen. Das Ergebnis
können neue Produkte sein, aber eben auch neue Prozesse
oder eine neue Herangehensweise an alte Probleme. In-
novation ist für uns vor allem dann ein Erfolg, wenn sie
Wert für unsere Kunden schafft. Was die Finanzbranche
angeht: Wir haben in den vergangenen 200 Jahren viele
dramatische Veränderungen gesehen. Und in den kom-
menden zehn Jahren stehen uns noch dramatische Ver-
änderungen bevor.
Woran denken Sie dabei?
Erstens: Die Bank als Gebäude aus Backsteinen und Ze-
ment ist nicht mehr wichtig. Viele Kunden erzählen mir
W E RT E / N ° 10 – 2014
Ein Gespräch mit Michele Faissola über Innovation, Kunden-
beratung nach Maß und die Bank der Zukunft.
— Herr Faissola, diese WERTE-Ausgabe steht unter dem
Begriff »Innovation«.Was verstehen Sie darunter?
Innovationen sind Entwicklungen und Entdeckungen, die
das Leben der Menschen zum Positiven verändern. Wir
können dabei an große Erfindungen wie das Rad, das Peni-
cillin oder auch so etwas auf den ersten Blick Schlichtes wie
den Reißverschluss denken.Aber das sind jetzt nur die sehr
greifbaren Verbesserungen. Innovationen können auch
neue Ideen, neue Gedanken sein, die die Welt verändern.
Welchen Stellenwert haben Innovationen in der Finanz-
branche?
Innovation wird in dieser Branche häufig nur als Synonym
für neue Produkte verwendet, aber das greift viel zu kurz.
Innovationen entstehen, wenn Menschen mit Neugierde
TEXT CHRISTIANE OPPERMANN
Foto: Deutsche Bank 7
schon heute, dass sie seit Jahren keine Bank betreten ha-
ben. Die Interaktion wird künftig also noch mehr auf elek-
tronischen Kommunikationswegen stattfinden. Das wird
Auswirkungen auf die Organisation haben. Zweitens: Das
Wissen der Kunden nimmt zu, die Art, wie sich Kunden
über Kapitalmärkte und Dienstleistungen informieren,
verändert sich. Auch das hat Folgen für die Aufstellung
der Bank. Wenn wir den Anspruch haben, dass das Kun-
deninteresse für uns an erster Stelle steht, müssen wir
diesen Weg nicht nur mitgehen, sondern müssen ihn mit-
gestalten. Wir müssen und wollen auch mehr sein als der
reine Vermittler von Geldanlageprodukten: Wir sind der
vertrauenswürdige Partner in allen finanziellen Angele-
genheiten. Drittens: Unser Geschäft wird noch globaler,
die Unterschiede zwischen Kunden in den USA, in Asien
oder in Deutschland werden schwinden.
Wenn eine globalisierte Kundschaft entsteht, die Erwar-
tungen und Überzeugungen teilt, wird Ihre Aufgabe da-
durch leichter?
Ja und nein. Die Globalisierung fängt heute schon im Kin-
desalter an. Die Kinder unserer Kunden wachsen selten
dort auf, wo sie geboren wurden. Sie lernen früh, sich in
unterschiedlichen Kulturen zu bewegen. Ihr Wertesys-
tem, ihr Verständnis von der Welt und die Akzeptanz von
Technologien werden sich durch die Erziehung in inter-
nationalen Schulen und Universitäten angleichen. Aber
gewisse kulturelle Eigenheiten werden immer bleiben.
Lernen Sie Kunden oft persönlich kennen?
Ich nutze jede Möglichkeit, um mit unseren Kunden ins
Gespräch zu kommen. Wir können unsere Aufgaben nur
dann gut machen, wenn wir genau wissen, was der Kunde
will. Um mit meinen Kollegen und Mitarbeitern unsere
Dienstleistung permanent zu verbessern, brauche ich un-
gefilterte Informationen direkt von unseren Kunden, und
darauf lege ich großen Wert.
Welche Bedeutung haben Innovationen für Ihre Kunden?
Wir haben vor zwei Jahren das Deutsche Asset & Wealth
Management mit dem Versprechen gegründet, einen
Premiumservice für unsere Kunden weltweit anzubie-
ten. Wir haben die Farbe Platin bewusst gewählt, weil sie
für einen hohen Anspruch steht, den wir jeden Tag von
Neuem für unsere Kunden erfüllen müssen. Das bedeutet
natürlich, dass wir kontinuierlich in unsere Technologie
und unsere Mitarbeiter investieren, um diesem Anspruch
gerecht zu werden. Dabei spielen Innovationen eine ent-
scheidende Rolle. Wir hinterfragen uns, unsere Prozesse,
unsere Arbeit permanent – immer vor dem Hintergrund:
Wie können wir besser werden? Welche Innovationen
helfen uns und vor allem den Kunden weiter? Wir wer-
den also dort innovativ sein, wo es dem Kunden nützt,
wo die Innovation Mehrwert schafft. Das bedeutet nicht
Produktinnovation um jeden Preis, das bedeutet kontinu-
ierliche Verbesserung und Innovation auf allen Ebenen
für das bestmögliche Ergebnis.
Geht es um mehr Sicherheit und weniger Risiko?
Heute ist es kaum noch möglich, Risiken komplett auszu-
schalten, so etwas wie den risikolosen Zins gibt es nicht
mehr. Wer sein Geld nicht verlieren will, muss ins Risiko
gehen – aber eben mit Augenmaß. Wir als Asset Manager
sind deshalb in erster Linie Risikomanager. Wir sind mit
dem Kunden auf einem gemeinsamen Weg: Wir managen
sein Geld, managen seine Sicherheit, managen sein Risi-
ko. Dabei hängt übrigens die Bereitschaft eines individu-
ellen Klienten, Risiken einzugehen, von vielen Faktoren
ab: Alter oder kulturelle Prägung spielen zum Beispiel
eine Rolle. Auch die Frage danach, ob es Vermögen der
ersten Generation ist oder ob es Geld ist, das schon lange
in der Familie ist, spielt eine Rolle. Jüngere Klienten sind
oft eher bereit, für höhere Renditen auch mal ein höheres
Risiko in Kauf zu nehmen – weil sie wissen, dass sie noch
genug Zeit haben, eventuelle Einbußen wieder auszuglei-
chen. Kunden in Lateinamerika oder Asien schauen mehr
auf die Rendite und nehmen einen Ausrutscher auch mal
gelassener hin. Bei altem Geld spielen Erhalt und Nach-
folgeregelungen eine stärkere Rolle.
Können Innovationsprozesse in der Wirtschaft durch Fi-
nanzierung innovativer Unternehmen gesteuert werden?
Wir sind ein Treuhänder, uns sind fast eine Billion Euro
anvertraut. Dieses Geld legen wir verantwortlich an. Was
entscheidend dabei ist: Wir als Asset Manager investieren
in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit. Deshalb
erhalten zukunftsträchtige und innovative Unternehmen
von uns natürlich Geld. Denn wir sind nicht nur bereit
für die Zukunft, wir wollen sie aktiv mitgestalten. Was
man in diesem Zusammenhang nicht vergessen darf: Als
Finanzintermediär haben wir auch eine gesellschaftliche
Aufgabe, nämlich das Geld dort zu investieren, wo es
Nutzen für die Gesellschaft hat – und wo Nutzen ist, ist
langfristig auch Rendite.
— Der 45-Jährige hat in Mailand studiert und arbeitet
seit 1995 für die Deutsche Bank in London.Ab 2003 hat er
als Chef der Abteilung Global Rates dazu beigetragen, die
Deutsche Bank als eine der führenden globalen Investment-
banken zu positionieren. Seit Juni 2012 ist er Leiter Deutsche
Asset & Wealth Management und Mitglied des Group
Executive Committee der Deutschen Bank. Michele Faissola
ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.
ZUR PERSON
MICHELE FAISSOLA
GESPRÄCH / MICHELE FAISSOLA
»Uns stehen
dramatische
Veränderungen
bevor«
6
und Begeisterung ihren Aufgaben nachgehen, wenn sie
ihr Tun und ihre Arbeitsprozesse permanent hinterfra-
gen, und zwar um Mehrwert zu schaffen. Das Ergebnis
können neue Produkte sein, aber eben auch neue Prozesse
oder eine neue Herangehensweise an alte Probleme. In-
novation ist für uns vor allem dann ein Erfolg, wenn sie
Wert für unsere Kunden schafft. Was die Finanzbranche
angeht: Wir haben in den vergangenen 200 Jahren viele
dramatische Veränderungen gesehen. Und in den kom-
menden zehn Jahren stehen uns noch dramatische Ver-
änderungen bevor.
Woran denken Sie dabei?
Erstens: Die Bank als Gebäude aus Backsteinen und Ze-
ment ist nicht mehr wichtig. Viele Kunden erzählen mir
W E RT E / N ° 10 – 2014
Ein Gespräch mit Michele Faissola über Innovation, Kunden-
beratung nach Maß und die Bank der Zukunft.
— Herr Faissola, diese WERTE-Ausgabe steht unter dem
Begriff »Innovation«.Was verstehen Sie darunter?
Innovationen sind Entwicklungen und Entdeckungen, die
das Leben der Menschen zum Positiven verändern. Wir
können dabei an große Erfindungen wie das Rad, das Peni-
cillin oder auch so etwas auf den ersten Blick Schlichtes wie
den Reißverschluss denken.Aber das sind jetzt nur die sehr
greifbaren Verbesserungen. Innovationen können auch
neue Ideen, neue Gedanken sein, die die Welt verändern.
Welchen Stellenwert haben Innovationen in der Finanz-
branche?
Innovation wird in dieser Branche häufig nur als Synonym
für neue Produkte verwendet, aber das greift viel zu kurz.
Innovationen entstehen, wenn Menschen mit Neugierde
TEXT CHRISTIANE OPPERMANN
Foto: Deutsche Bank 7
schon heute, dass sie seit Jahren keine Bank betreten ha-
ben. Die Interaktion wird künftig also noch mehr auf elek-
tronischen Kommunikationswegen stattfinden. Das wird
Auswirkungen auf die Organisation haben. Zweitens: Das
Wissen der Kunden nimmt zu, die Art, wie sich Kunden
über Kapitalmärkte und Dienstleistungen informieren,
verändert sich. Auch das hat Folgen für die Aufstellung
der Bank. Wenn wir den Anspruch haben, dass das Kun-
deninteresse für uns an erster Stelle steht, müssen wir
diesen Weg nicht nur mitgehen, sondern müssen ihn mit-
gestalten. Wir müssen und wollen auch mehr sein als der
reine Vermittler von Geldanlageprodukten: Wir sind der
vertrauenswürdige Partner in allen finanziellen Angele-
genheiten. Drittens: Unser Geschäft wird noch globaler,
die Unterschiede zwischen Kunden in den USA, in Asien
oder in Deutschland werden schwinden.
Wenn eine globalisierte Kundschaft entsteht, die Erwar-
tungen und Überzeugungen teilt, wird Ihre Aufgabe da-
durch leichter?
Ja und nein. Die Globalisierung fängt heute schon im Kin-
desalter an. Die Kinder unserer Kunden wachsen selten
dort auf, wo sie geboren wurden. Sie lernen früh, sich in
unterschiedlichen Kulturen zu bewegen. Ihr Wertesys-
tem, ihr Verständnis von der Welt und die Akzeptanz von
Technologien werden sich durch die Erziehung in inter-
nationalen Schulen und Universitäten angleichen. Aber
gewisse kulturelle Eigenheiten werden immer bleiben.
Lernen Sie Kunden oft persönlich kennen?
Ich nutze jede Möglichkeit, um mit unseren Kunden ins
Gespräch zu kommen. Wir können unsere Aufgaben nur
dann gut machen, wenn wir genau wissen, was der Kunde
will. Um mit meinen Kollegen und Mitarbeitern unsere
Dienstleistung permanent zu verbessern, brauche ich un-
gefilterte Informationen direkt von unseren Kunden, und
darauf lege ich großen Wert.
Welche Bedeutung haben Innovationen für Ihre Kunden?
Wir haben vor zwei Jahren das Deutsche Asset & Wealth
Management mit dem Versprechen gegründet, einen
Premiumservice für unsere Kunden weltweit anzubie-
ten. Wir haben die Farbe Platin bewusst gewählt, weil sie
für einen hohen Anspruch steht, den wir jeden Tag von
Neuem für unsere Kunden erfüllen müssen. Das bedeutet
natürlich, dass wir kontinuierlich in unsere Technologie
und unsere Mitarbeiter investieren, um diesem Anspruch
gerecht zu werden. Dabei spielen Innovationen eine ent-
scheidende Rolle. Wir hinterfragen uns, unsere Prozesse,
unsere Arbeit permanent – immer vor dem Hintergrund:
Wie können wir besser werden? Welche Innovationen
helfen uns und vor allem den Kunden weiter? Wir wer-
den also dort innovativ sein, wo es dem Kunden nützt,
wo die Innovation Mehrwert schafft. Das bedeutet nicht
Produktinnovation um jeden Preis, das bedeutet kontinu-
ierliche Verbesserung und Innovation auf allen Ebenen
für das bestmögliche Ergebnis.
Geht es um mehr Sicherheit und weniger Risiko?
Heute ist es kaum noch möglich, Risiken komplett auszu-
schalten, so etwas wie den risikolosen Zins gibt es nicht
mehr. Wer sein Geld nicht verlieren will, muss ins Risiko
gehen – aber eben mit Augenmaß. Wir als Asset Manager
sind deshalb in erster Linie Risikomanager. Wir sind mit
dem Kunden auf einem gemeinsamen Weg: Wir managen
sein Geld, managen seine Sicherheit, managen sein Risi-
ko. Dabei hängt übrigens die Bereitschaft eines individu-
ellen Klienten, Risiken einzugehen, von vielen Faktoren
ab: Alter oder kulturelle Prägung spielen zum Beispiel
eine Rolle. Auch die Frage danach, ob es Vermögen der
ersten Generation ist oder ob es Geld ist, das schon lange
in der Familie ist, spielt eine Rolle. Jüngere Klienten sind
oft eher bereit, für höhere Renditen auch mal ein höheres
Risiko in Kauf zu nehmen – weil sie wissen, dass sie noch
genug Zeit haben, eventuelle Einbußen wieder auszuglei-
chen. Kunden in Lateinamerika oder Asien schauen mehr
auf die Rendite und nehmen einen Ausrutscher auch mal
gelassener hin. Bei altem Geld spielen Erhalt und Nach-
folgeregelungen eine stärkere Rolle.
Können Innovationsprozesse in der Wirtschaft durch Fi-
nanzierung innovativer Unternehmen gesteuert werden?
Wir sind ein Treuhänder, uns sind fast eine Billion Euro
anvertraut. Dieses Geld legen wir verantwortlich an. Was
entscheidend dabei ist: Wir als Asset Manager investieren
in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit. Deshalb
erhalten zukunftsträchtige und innovative Unternehmen
von uns natürlich Geld. Denn wir sind nicht nur bereit
für die Zukunft, wir wollen sie aktiv mitgestalten. Was
man in diesem Zusammenhang nicht vergessen darf: Als
Finanzintermediär haben wir auch eine gesellschaftliche
Aufgabe, nämlich das Geld dort zu investieren, wo es
Nutzen für die Gesellschaft hat – und wo Nutzen ist, ist
langfristig auch Rendite.
— Der 45-Jährige hat in Mailand studiert und arbeitet
seit 1995 für die Deutsche Bank in London.Ab 2003 hat er
als Chef der Abteilung Global Rates dazu beigetragen, die
Deutsche Bank als eine der führenden globalen Investment-
banken zu positionieren. Seit Juni 2012 ist er Leiter Deutsche
Asset & Wealth Management und Mitglied des Group
Executive Committee der Deutschen Bank. Michele Faissola
ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.
ZUR PERSON
MICHELE FAISSOLA
GESPRÄCH / MICHELE FAISSOLA
IM TAL
DER
KREATIVEN12
W E RT E / N ° 10 – 2014
TEXT KARSTEN LEMM FOTOS ARMIN SMAILOVIC
DOLORES PARK mit Ausblick
auf San Francisco. Junge Kreative aus
der ganzen Welt suchen ihr Glück
hier an der Westküste der USA.
LÄNDERREPORT / USA
Silicon Valley – eine Reise ins Mekka der
Start-ups, auf der Suche nach den
Ideen von morgen. WERTE sprach mit
Experten und jungen Unternehmern
über das Wachstumswunder Amerika.
13
IM TAL
DER
KREATIVEN12
W E RT E / N ° 10 – 2014
TEXT KARSTEN LEMM FOTOS ARMIN SMAILOVIC
DOLORES PARK mit Ausblick
auf San Francisco. Junge Kreative aus
der ganzen Welt suchen ihr Glück
hier an der Westküste der USA.
LÄNDERREPORT / USA
Silicon Valley – eine Reise ins Mekka der
Start-ups, auf der Suche nach den
Ideen von morgen. WERTE sprach mit
Experten und jungen Unternehmern
über das Wachstumswunder Amerika.
13
DUNCAN LOGAN
hat in San Francisco
eine Wohngemein-
schaft für Start-ups
eingerichtet.
1414
KREATIVZONE.
Neben Computer und
schneller Datenleitung
brauchen die Gründer
viel Raum zur Entspan-
nung und Entfaltung.
1515
DUNCAN LOGAN
hat in San Francisco
eine Wohngemein-
schaft für Start-ups
eingerichtet.
1414
KREATIVZONE.
Neben Computer und
schneller Datenleitung
brauchen die Gründer
viel Raum zur Entspan-
nung und Entfaltung.
1515
16
W E RT E / N ° 10 – 2014
Heute ist ein guter Tag. Die Telefonkonferenz vorhin mit
der internationalen Hotelkette hätte gar nicht besser laufen
können. Die Manager waren begeistert von der neuen »Kit«-
Version, mit etwas Glück werden sie unterschreiben. Michael
Perry lehnt sich zurück und bestellt ein Bier. Das kommt nicht
oft vor. Freitagabende verbringt er meist vor dem Rechner im
Büro. Heute hat er sich Zeit genommen, um in dieser Bar auf
den Geburtstag eines Freundes anzustoßen. Gleich wird seine
Frau vorbeischauen, so können sie ein wenig freie Zeit mitein-
ander verbringen. Der pure Luxus.
Eigentlich hätte Perry, 28, sich längst zurücklehnen, das
kalifornische Leben genießen können. Aufgewachsen in Oak-
land, gegenüber der Hightech-Pilgerstätte San Francisco, er-
wies er sich nach der Schule als begabter Autoverkäufer. Statt
zur Uni zu gehen, fand Perry fleißig neue Fans für Audi.
Schnell bot sich ihm ein Leben, nach dem sich andere sehnen.
Trotzdem war Perry unglücklich. »Ich kam mir vor wie ein Ro-
boter. Ein Tag wie der andere, keine Herausforderungen, keine
Erfüllung.« Dann lieber leiden im Dienste der Zukunft.
Mit seinem Start-up Kit CRM will Perry die Beziehungen
zwischen Firmen und Kunden verbessern. Mehr als das – von
Grund auf neu erfinden, revolutionieren geradezu. »Die größ-
te Unbekannte in der Werbung ist Irrelevanz«, erklärt er. »Das
eliminieren wir.« Seine Software analysiert die »Gefällt mir«-
Klicks von Facebook-Nutzern, schaut sich an, wer besonders
aktiv mit welchen Marken Verbindung hält, und errechnet
daraus Werbestrategien für Unternehmen. Gerade hat er den
ersten Investor gefunden. »Wir heben ab«, strahlt Perry. »Die
Frage ist jetzt nur noch: Wie viel von der Welt können wir
erobern?«
Kleiner geht es nicht, darf es nicht gehen. Sonst müsste er
gar nicht erst anfangen. Zu viele andere ringsherum träumen
denselben Traum: San Francisco und das Silicon Valley erleben
einen neuen Boom, so überschäumend, so betörend wie seit
langem nicht mehr. Smartphones und Mobilsoftware, soziale
Medien und die Datenwolken aus der »Cloud« füttern die In-
novationsmaschine mit immer neuen Ideen, Start-ups und Er-
folgsgeschichten. Facebook, Pinterest, Snapchat, Twitter – ein
Jungstar nach dem anderen erobert in Rekordgeschwindigkeit
die Welt, lässt etablierte Konkurrenten alt aussehen, gibt In-
vestoren Hoffnung, mit ein paar hunderttausend Dollar, früh
und richtig investiert, das große Los zu ziehen.
Mehr als zwölf Milliarden Dollar pumpten Risikokapi-
talgeber im vorigen Jahr ins Silicon Valley und finanzierten
damit gut 1200 Deals, allein der Twitter-Börsengang hat über
tausend neue Millionäre geschaffen. Rekorde, Rekorde. Man
muss bis ans Ende des vorigen Jahrhunderts zurückgehen,
zum ersten Internet-Goldrausch, um höhere Zahlen zu finden.
»Doch im Augenblick ist dieser Boom noch weit schwächer«,
sagt Duncan Logan mit Blick auf die ungestümen Dotcom-
Jahre, in denen bis zu 33 Milliarden im Jahr ins Silicon Valley
flossen – und, ganz wichtig, dieser Aufschwung stehe auf so-
lidem Boden. »Im ersten Internet-Boom wetteten die Investo-
ren vor allem auf Ideen«, sagt Logan, »diesmal setzen sie auf
Dinge, die schon gezeigt haben, dass sie funktionieren.«
Logan ist Gründer von Rocketspace, einem sogenann-
ten Accelerator. Es gibt viele von ihnen, auch sie haben Kon-
junktur. Sie funktionieren wie eine große WG: Mehr als 150
Start-ups teilen sich bei Rocketspace Ressourcen, die sie sich
sonst nicht leisten könnten – von der 1A-Lage im Zentrum
über Farblaserdrucker und Espressomaschinen bis zur ultra-
schnellen Datenleitung, die jeden WG-Bewohner mit Gigabit-
Geschwindigkeit insWWW aufbrechen lässt.800 Dollar kostet
das Paket im Monat, pro Kopf und Schreibtisch.Wichtiger aber
als Kaffee,Müsliriegel und die Standleitung ins Datennetz sind
die persönlichen Verbindungen hier. Nur ein paar Schritte von
Michael Perry entfernt sitzen die Gründer von »First Job«, die
es Uni-Absolventen leichter machen wollen, direkt nach dem
Abschluss ihren Traumjob zu finden. Weiter hinten werkeln
junge Dänen an ihrem »Crowdcurity«-Konzept, das Websei-
ten sicherer machen soll, indem Firmen Hacker anheuern, Lü-
cken in ihrem System zu finden. Und so unterschiedlich die
Ideen der Jungunternehmer sein mögen, die sich unter diesem
Dach versammeln – sie alle machen Erfahrungen, die sie aus-
tauschen, geben sich Tipps fürs »Fundraising«, helfen sich auf
dem Weg zu dem einen Ziel, das sie alle eint: Erfolg haben in
einer Welt, die bisher noch nichts von ihnen weiß.
Tracey Grose sieht darin eine typische Stärke des Silicon
Valley – diese Bereitschaft, Wissen zu teilen und zu koope-
rieren, selbst wenn man in mancher Hinsicht im Wettbewerb
stehen mag. »Im Silicon Valley herrscht eine grundsätzliche
H
MICHAEL PERRY und seine Frau Alex feiern in einer
Bar den ersten Geschäftserfolg ihres Start-ups.
ESSAY / RUBRIK XXX
»Im ersten Internet-
Boom wurde auf Ideen
gewettet. Jetzt setzen
die Investoren auf Dinge,
die funktionieren.«
DUNCAN LOGAN, ROCKETSPACE-GRÜNDER
CHRISTIAN
HANSEN
will mit
»Crowdcurity«
und mit Hilfe
von Hackern
Webseiten von
Unternehmen
sicherer machen.
17
16
W E RT E / N ° 10 – 2014
Heute ist ein guter Tag. Die Telefonkonferenz vorhin mit
der internationalen Hotelkette hätte gar nicht besser laufen
können. Die Manager waren begeistert von der neuen »Kit«-
Version, mit etwas Glück werden sie unterschreiben. Michael
Perry lehnt sich zurück und bestellt ein Bier. Das kommt nicht
oft vor. Freitagabende verbringt er meist vor dem Rechner im
Büro. Heute hat er sich Zeit genommen, um in dieser Bar auf
den Geburtstag eines Freundes anzustoßen. Gleich wird seine
Frau vorbeischauen, so können sie ein wenig freie Zeit mitein-
ander verbringen. Der pure Luxus.
Eigentlich hätte Perry, 28, sich längst zurücklehnen, das
kalifornische Leben genießen können. Aufgewachsen in Oak-
land, gegenüber der Hightech-Pilgerstätte San Francisco, er-
wies er sich nach der Schule als begabter Autoverkäufer. Statt
zur Uni zu gehen, fand Perry fleißig neue Fans für Audi.
Schnell bot sich ihm ein Leben, nach dem sich andere sehnen.
Trotzdem war Perry unglücklich. »Ich kam mir vor wie ein Ro-
boter. Ein Tag wie der andere, keine Herausforderungen, keine
Erfüllung.« Dann lieber leiden im Dienste der Zukunft.
Mit seinem Start-up Kit CRM will Perry die Beziehungen
zwischen Firmen und Kunden verbessern. Mehr als das – von
Grund auf neu erfinden, revolutionieren geradezu. »Die größ-
te Unbekannte in der Werbung ist Irrelevanz«, erklärt er. »Das
eliminieren wir.« Seine Software analysiert die »Gefällt mir«-
Klicks von Facebook-Nutzern, schaut sich an, wer besonders
aktiv mit welchen Marken Verbindung hält, und errechnet
daraus Werbestrategien für Unternehmen. Gerade hat er den
ersten Investor gefunden. »Wir heben ab«, strahlt Perry. »Die
Frage ist jetzt nur noch: Wie viel von der Welt können wir
erobern?«
Kleiner geht es nicht, darf es nicht gehen. Sonst müsste er
gar nicht erst anfangen. Zu viele andere ringsherum träumen
denselben Traum: San Francisco und das Silicon Valley erleben
einen neuen Boom, so überschäumend, so betörend wie seit
langem nicht mehr. Smartphones und Mobilsoftware, soziale
Medien und die Datenwolken aus der »Cloud« füttern die In-
novationsmaschine mit immer neuen Ideen, Start-ups und Er-
folgsgeschichten. Facebook, Pinterest, Snapchat, Twitter – ein
Jungstar nach dem anderen erobert in Rekordgeschwindigkeit
die Welt, lässt etablierte Konkurrenten alt aussehen, gibt In-
vestoren Hoffnung, mit ein paar hunderttausend Dollar, früh
und richtig investiert, das große Los zu ziehen.
Mehr als zwölf Milliarden Dollar pumpten Risikokapi-
talgeber im vorigen Jahr ins Silicon Valley und finanzierten
damit gut 1200 Deals, allein der Twitter-Börsengang hat über
tausend neue Millionäre geschaffen. Rekorde, Rekorde. Man
muss bis ans Ende des vorigen Jahrhunderts zurückgehen,
zum ersten Internet-Goldrausch, um höhere Zahlen zu finden.
»Doch im Augenblick ist dieser Boom noch weit schwächer«,
sagt Duncan Logan mit Blick auf die ungestümen Dotcom-
Jahre, in denen bis zu 33 Milliarden im Jahr ins Silicon Valley
flossen – und, ganz wichtig, dieser Aufschwung stehe auf so-
lidem Boden. »Im ersten Internet-Boom wetteten die Investo-
ren vor allem auf Ideen«, sagt Logan, »diesmal setzen sie auf
Dinge, die schon gezeigt haben, dass sie funktionieren.«
Logan ist Gründer von Rocketspace, einem sogenann-
ten Accelerator. Es gibt viele von ihnen, auch sie haben Kon-
junktur. Sie funktionieren wie eine große WG: Mehr als 150
Start-ups teilen sich bei Rocketspace Ressourcen, die sie sich
sonst nicht leisten könnten – von der 1A-Lage im Zentrum
über Farblaserdrucker und Espressomaschinen bis zur ultra-
schnellen Datenleitung, die jeden WG-Bewohner mit Gigabit-
Geschwindigkeit insWWW aufbrechen lässt.800 Dollar kostet
das Paket im Monat, pro Kopf und Schreibtisch.Wichtiger aber
als Kaffee,Müsliriegel und die Standleitung ins Datennetz sind
die persönlichen Verbindungen hier. Nur ein paar Schritte von
Michael Perry entfernt sitzen die Gründer von »First Job«, die
es Uni-Absolventen leichter machen wollen, direkt nach dem
Abschluss ihren Traumjob zu finden. Weiter hinten werkeln
junge Dänen an ihrem »Crowdcurity«-Konzept, das Websei-
ten sicherer machen soll, indem Firmen Hacker anheuern, Lü-
cken in ihrem System zu finden. Und so unterschiedlich die
Ideen der Jungunternehmer sein mögen, die sich unter diesem
Dach versammeln – sie alle machen Erfahrungen, die sie aus-
tauschen, geben sich Tipps fürs »Fundraising«, helfen sich auf
dem Weg zu dem einen Ziel, das sie alle eint: Erfolg haben in
einer Welt, die bisher noch nichts von ihnen weiß.
Tracey Grose sieht darin eine typische Stärke des Silicon
Valley – diese Bereitschaft, Wissen zu teilen und zu koope-
rieren, selbst wenn man in mancher Hinsicht im Wettbewerb
stehen mag. »Im Silicon Valley herrscht eine grundsätzliche
H
MICHAEL PERRY und seine Frau Alex feiern in einer
Bar den ersten Geschäftserfolg ihres Start-ups.
ESSAY / RUBRIK XXX
»Im ersten Internet-
Boom wurde auf Ideen
gewettet. Jetzt setzen
die Investoren auf Dinge,
die funktionieren.«
DUNCAN LOGAN, ROCKETSPACE-GRÜNDER
CHRISTIAN
HANSEN
will mit
»Crowdcurity«
und mit Hilfe
von Hackern
Webseiten von
Unternehmen
sicherer machen.
17
W E RT E / N ° 10 – 2014
»Der Wille zur
Zusammenarbeit ist
hier größer als an
jedem anderen Ort
der USA.«
TRACEY GROSE, ÖKONOMIN
AUSBLICK.
Wenn die Ökono-
min Tracey Grose
aus dem Büro-
fenster schaut,
blickt sie auf eine
einzigartige Wirt-
schaft, die ständig
im Wandel ist.
18 19
LÄNDERREPORT / USA
Atmosphäre der Offenheit«, erklärt die Vizepräsidentin des
Bay Area Council Economic Institute. »Der Wille zur Zusam-
menarbeit ist weit größer als an anderen Orten.« Eine Reihe
von Faktoren komme zusammen: gemeinsame Begeisterung
für das Neue, relative Freiheit von historischen Normen im
jungen Kalifornien, ein dichtes Geflecht aus Firmen, die alle
von Innovationen leben. Vor allem aber eine beispiellose Viel-
falt aus Menschen, Ideen und Kulturen, die das Tal einzigartig
machen: »Diese Vielfalt bereitet den Boden für das Innovative,
das nie Dagewesene, den ständigen, schnellen Wandel.«
Andere möchten auch so sein. Immer wieder wird Grose,
die lange in Deutschland gelebt hat, von Vertretern anderer
Regionen gefragt: Wie schaffen wir es, auch so wie das Sili-
con Valley zu werden? Doch Grose ist skeptisch: »Das Silicon
Valley ist auf natürliche Art in seine Rolle hineingewachsen«,
erklärt die 44-Jährige. Die Innovationsmaschine
hatte jahrzehntelang Zeit, sich zu perfektionieren.
Da sind die Elite-Unis Stanford und Berkeley. Die
Geldgeber, die sich darauf spezialisiert haben, In-
novationen im Embryostadium zu erkennen, um
später Milliarden zu verdienen. Die Anwälte, Pro-
grammierer und Vorstandschefs, die bereit sind,
für den Bruchteil ihres Normaltarifs zu arbeiten,
wenn sie im Gegenzug Firmenanteile bekommen,
die – mit Glück – übermorgen Gold wert sein
könnten. All das lebt obendrein vor allem von ei-
nem kulturellen Element, das sich anderswo nicht
einfach aus der Luft zaubern lässt. »Ein ganz wich-
tiger Faktor«, sagt Grose, »ist die Bereitschaft, Ri-
siken einzugehen. Diese Bereitschaft gibt es nicht
in gleichem Maße im Rest der USA – und ganz
sicher nicht in Europa.«
Risiken gehen alle ein, die sich hier am Inno-
vationswettlauf beteiligen: Uni-Absolventen, die
lieber auf eigene Faust ihr Glück versuchen, statt
sichere Karrierepfade einzuschlagen. Professoren,
die ihren Einserkandidaten persönlich Anschubfi-
nanzierung geben, sei es als »Angel«-Investoren
mit dem Scheckbuch oder als Berater. Risikoka-
pitalgeber, die Millionen investieren, ohne mehr
gesehen zu haben als eine überzeugende Präsenta-
tion oder einen Prototyp. Und nicht zuletzt Arme-
en von hochqualifizierten Mitarbeitern, die bereit
sind, ihren sicheren Job zu verlassen, um sich in
das Start-up-Abenteuer zu stürzen.
»Der große Unterschied zwischen dem Silicon
Valley und dem Rest der Welt«, sagt Vineet Jain,
ist: »Scheitern wird hier nicht als ruinöser Makel
gesehen.« Jain, gebürtiger Inder, kam 1993 nach
Kalifornien. Im Dotcom-Boom gründete der ge-
lernte Programmierer mit Freunden eine Firma,
die Business-Software entwickelte, aber nie recht
flügge wurde. 2005 musste das Start-up verkauft
werden. Noch neun Jahre später merkt man ihm
an, dass die Erfahrung geschmerzt hat. Er spricht
vom Versagen, von Demut. Aber auch vom un-
bedingten Willen, nicht aufzugeben, es trotzdem
zu schaffen – wenn nicht im ersten Anlauf, dann
eben im zweiten.
Jain sitzt in seinem Büro in Mountain View,
nicht weit von Google und Facebook entfernt. Die
Wände sind frisch gestrichen, zusammengefaltete
Umzugskartons, gleich neben dem Mountain Bike
in der Ecke, führen vor Augen, dass seine Firma
Egnyte gerade erst eingezogen ist. Das alte Büro
wurde zu klein, 275 Mitarbeiter sind sie jetzt, Eg-
nyte wächst und wächst. Egnyte ist ein Erfolg.
»Hätte ich anderswo wieder Kapital finden kön-
nen, so wie hier?«, fragt Vineet Jain. »Vergessen
Sie's! Das Silicon Valley ist einzigartig darin,
Scheitern hinzunehmen. Es wird nicht belohnt,
aber es wird toleriert. Das gibt es nirgends sonst,
auch nicht anderswo in den USA.«
Gewiss, es hilft, im Trend zu liegen: Als Jain
und seine Mitgründer sich 2008 überlegten, eine
neue Art von Online-Speicher für Unternehmen
anzubieten, entwickelte sich »die Cloud« gerade
zum geflügelten Wort. Je stärker Datendienste
in den Mittelpunkt der Investoren rückten, umso
günstiger wurden die Finanzierungsaussichten
für Egnyte. »Venture-Kapitalgeber sind schlaue
Geldverwalter«, sagt Jain, »aber sie laufen auch
im Rudel und orientieren sich am Zeitgeist.« Was
der eine hat, darf der andere nicht verpassen. »Als
Cloud-Firma sind wir im Moment der Darling«,
sagt Jain.»Jeder will mit uns reden.« Bei der jüngs-
ten Finanzierungsrunde sammelte er 29,5 Millio-
nen Dollar ein – fünf Millionen mehr als geplant.
Nur wer schon berühmt ist, muss sich um die
Finanzen keine Sorgen machen. »Das Geldfinden
war das Einfachste von allem«, sagt Sebastian
Thrun und lacht unbeschwert. »Das hat sich im-
mer so ergeben.« Thrun ist in Technikkreisen ein
ERFOLG IM ZWEITEN ANLAUF. Vineet Jain, Mitgründer
und CEO des Cloud-Software-Anbieters Egnyte.
MADE IN
Silicon Valley
Google / 1998
Suchmaschine und
Mediengigant; Umsatz:
59,7 Mrd. Dollar.
Apple / 1976
Erfinder des iPod, iPad
und iPhone; Umsatz:
170,9 Mrd. Dollar.
Intel / 1968
80 Prozent Marktanteil
bei Mikroprozessoren;
Umsatz: 52,7 Mrd. Dollar.
ORACLE / 1977
Entwickelt Unterneh-
menssoftware; Umsatz:
37,1 Mrd. Dollar.
Fotos: picture alliance / Rossetti/Emme; Apple; Oracle Corporation; Intel GmbH
W E RT E / N ° 10 – 2014
»Der Wille zur
Zusammenarbeit ist
hier größer als an
jedem anderen Ort
der USA.«
TRACEY GROSE, ÖKONOMIN
AUSBLICK.
Wenn die Ökono-
min Tracey Grose
aus dem Büro-
fenster schaut,
blickt sie auf eine
einzigartige Wirt-
schaft, die ständig
im Wandel ist.
18 19
LÄNDERREPORT / USA
Atmosphäre der Offenheit«, erklärt die Vizepräsidentin des
Bay Area Council Economic Institute. »Der Wille zur Zusam-
menarbeit ist weit größer als an anderen Orten.« Eine Reihe
von Faktoren komme zusammen: gemeinsame Begeisterung
für das Neue, relative Freiheit von historischen Normen im
jungen Kalifornien, ein dichtes Geflecht aus Firmen, die alle
von Innovationen leben. Vor allem aber eine beispiellose Viel-
falt aus Menschen, Ideen und Kulturen, die das Tal einzigartig
machen: »Diese Vielfalt bereitet den Boden für das Innovative,
das nie Dagewesene, den ständigen, schnellen Wandel.«
Andere möchten auch so sein. Immer wieder wird Grose,
die lange in Deutschland gelebt hat, von Vertretern anderer
Regionen gefragt: Wie schaffen wir es, auch so wie das Sili-
con Valley zu werden? Doch Grose ist skeptisch: »Das Silicon
Valley ist auf natürliche Art in seine Rolle hineingewachsen«,
erklärt die 44-Jährige. Die Innovationsmaschine
hatte jahrzehntelang Zeit, sich zu perfektionieren.
Da sind die Elite-Unis Stanford und Berkeley. Die
Geldgeber, die sich darauf spezialisiert haben, In-
novationen im Embryostadium zu erkennen, um
später Milliarden zu verdienen. Die Anwälte, Pro-
grammierer und Vorstandschefs, die bereit sind,
für den Bruchteil ihres Normaltarifs zu arbeiten,
wenn sie im Gegenzug Firmenanteile bekommen,
die – mit Glück – übermorgen Gold wert sein
könnten. All das lebt obendrein vor allem von ei-
nem kulturellen Element, das sich anderswo nicht
einfach aus der Luft zaubern lässt. »Ein ganz wich-
tiger Faktor«, sagt Grose, »ist die Bereitschaft, Ri-
siken einzugehen. Diese Bereitschaft gibt es nicht
in gleichem Maße im Rest der USA – und ganz
sicher nicht in Europa.«
Risiken gehen alle ein, die sich hier am Inno-
vationswettlauf beteiligen: Uni-Absolventen, die
lieber auf eigene Faust ihr Glück versuchen, statt
sichere Karrierepfade einzuschlagen. Professoren,
die ihren Einserkandidaten persönlich Anschubfi-
nanzierung geben, sei es als »Angel«-Investoren
mit dem Scheckbuch oder als Berater. Risikoka-
pitalgeber, die Millionen investieren, ohne mehr
gesehen zu haben als eine überzeugende Präsenta-
tion oder einen Prototyp. Und nicht zuletzt Arme-
en von hochqualifizierten Mitarbeitern, die bereit
sind, ihren sicheren Job zu verlassen, um sich in
das Start-up-Abenteuer zu stürzen.
»Der große Unterschied zwischen dem Silicon
Valley und dem Rest der Welt«, sagt Vineet Jain,
ist: »Scheitern wird hier nicht als ruinöser Makel
gesehen.« Jain, gebürtiger Inder, kam 1993 nach
Kalifornien. Im Dotcom-Boom gründete der ge-
lernte Programmierer mit Freunden eine Firma,
die Business-Software entwickelte, aber nie recht
flügge wurde. 2005 musste das Start-up verkauft
werden. Noch neun Jahre später merkt man ihm
an, dass die Erfahrung geschmerzt hat. Er spricht
vom Versagen, von Demut. Aber auch vom un-
bedingten Willen, nicht aufzugeben, es trotzdem
zu schaffen – wenn nicht im ersten Anlauf, dann
eben im zweiten.
Jain sitzt in seinem Büro in Mountain View,
nicht weit von Google und Facebook entfernt. Die
Wände sind frisch gestrichen, zusammengefaltete
Umzugskartons, gleich neben dem Mountain Bike
in der Ecke, führen vor Augen, dass seine Firma
Egnyte gerade erst eingezogen ist. Das alte Büro
wurde zu klein, 275 Mitarbeiter sind sie jetzt, Eg-
nyte wächst und wächst. Egnyte ist ein Erfolg.
»Hätte ich anderswo wieder Kapital finden kön-
nen, so wie hier?«, fragt Vineet Jain. »Vergessen
Sie's! Das Silicon Valley ist einzigartig darin,
Scheitern hinzunehmen. Es wird nicht belohnt,
aber es wird toleriert. Das gibt es nirgends sonst,
auch nicht anderswo in den USA.«
Gewiss, es hilft, im Trend zu liegen: Als Jain
und seine Mitgründer sich 2008 überlegten, eine
neue Art von Online-Speicher für Unternehmen
anzubieten, entwickelte sich »die Cloud« gerade
zum geflügelten Wort. Je stärker Datendienste
in den Mittelpunkt der Investoren rückten, umso
günstiger wurden die Finanzierungsaussichten
für Egnyte. »Venture-Kapitalgeber sind schlaue
Geldverwalter«, sagt Jain, »aber sie laufen auch
im Rudel und orientieren sich am Zeitgeist.« Was
der eine hat, darf der andere nicht verpassen. »Als
Cloud-Firma sind wir im Moment der Darling«,
sagt Jain.»Jeder will mit uns reden.« Bei der jüngs-
ten Finanzierungsrunde sammelte er 29,5 Millio-
nen Dollar ein – fünf Millionen mehr als geplant.
Nur wer schon berühmt ist, muss sich um die
Finanzen keine Sorgen machen. »Das Geldfinden
war das Einfachste von allem«, sagt Sebastian
Thrun und lacht unbeschwert. »Das hat sich im-
mer so ergeben.« Thrun ist in Technikkreisen ein
ERFOLG IM ZWEITEN ANLAUF. Vineet Jain, Mitgründer
und CEO des Cloud-Software-Anbieters Egnyte.
MADE IN
Silicon Valley
Google / 1998
Suchmaschine und
Mediengigant; Umsatz:
59,7 Mrd. Dollar.
Apple / 1976
Erfinder des iPod, iPad
und iPhone; Umsatz:
170,9 Mrd. Dollar.
Intel / 1968
80 Prozent Marktanteil
bei Mikroprozessoren;
Umsatz: 52,7 Mrd. Dollar.
ORACLE / 1977
Entwickelt Unterneh-
menssoftware; Umsatz:
37,1 Mrd. Dollar.
Fotos: picture alliance / Rossetti/Emme; Apple; Oracle Corporation; Intel GmbH
FORMELN FÜR
DIE ZUKUNFT
Frisch eingezogen
und mit viel Raum
zum Wachsen –
das Egnyte-Büro im
SiliconValley.
HACKERTREFF
NOISEBRIDGE
Elektronik-Pionier
Stanley Lunetta
führt Gründern
einen seiner frühen
Synthesizer vor.
20 21
LÄNDERREPORT / USA
Star. Der gebürtige Solinger kam 2003 als Roboterforscher
nach Stanford und machte sich schnell als Vater des selbst-
fahrenden VW Stanley einen Namen. Er freundete sich mit
den Google-Gründern an, half beim Aufbau von Street View
und gründete das hausinterne Forschungslabor Google X, das
jüngst mit der futuristischen Internet-Brille Google Glass die
Welt verblüffte. Doch bei alldem gehört Thruns Aufmerksam-
keit längst der nächsten Revolution: Er hat sich vorgenommen,
mit seiner Firma Udacity dabei zu helfen, das Lernen für das
21. Jahrhundert neu zu erfinden.
»Vieles von dem, was in einem Unterrichtsraum passiert,
kann sehr leicht digitalisiert werden«, sagt Thrun. 2011 pro-
bierte er das zum ersten Mal selbst aus. Damals noch Stanford-
Professor, bot er einen seiner Kurse auch im Internet an, samt
Video-Übertragungen, Übungsaufgaben und Abschlusstest.
Am Ende schauten von 200 Studenten nur noch 30 persönlich
vorbei. »Die anderen sagten: ›Wir sehen dich lieber im Inter-
net.‹« Etliche mehr folgten ihm online, und die
412 besten Absolventen waren allesamt nicht in
Stanford eingeschrieben, sondern kamen aus den
Weiten des WWW. Thrun genügte dieses Experi-
ment, um etwas vollkommen Neues zu wagen: Er
gab seine Lebensstelle an der Elite-Universität auf,
um sich als Unternehmer zu versuchen.
Mehr als 20 Millionen Dollar gaben ihm Inves-
toren bisher dafür, und nicht alles lief wie geplant.
Kurse, die anfangs Zehntausende anlockten, waren
am Ende weitgehend verwaist. Traditionelle Uni-
versitäten, die zunächst Kooperationsbereitschaft
signalisierten, zierten sich plötzlich. Thrun lern-
te, lenkte um, tat alles, um nicht die Schlagzeilen
zu bestätigen, die Udacity bereits zum kolossalen
Flop erklärten. »Man wird immer neu gezwungen,
alles zu hinterfragen – und zwar jeden Tag.« So
wandelte sich,Schritt für Schritt,der Schwerpunkt
von Ausbildung zu Fortbildung, wie sie große Un-
ternehmen wünschen.Rund zwei Dutzend Firmen
zahlen nun dafür, dass Udacity Online-Kurse an-
bietet, die ihre Bedürfnisse widerspiegeln: Web-
Entwicklung mit Google,Grafikchip-Programmie-
rung für Nvidia, Software-Design à la Facebook.
Zwei kleine Fernsehstudios hat Udacity einge-
richtet, und die Zentrale in einem unscheinbaren
Bürokomplex in Mountain View bietet alles, was
moderne Silicon-Valley-Arbeiter erwarten: kos-
tenlose Verpflegung, Sitzecken, offene Arbeits-
räume, Kicker-Tische, einen Wandhalter für
Mountainbikes. »Andy!«, ruft Thrun einem Kol-
legen zu, »Tischfußball?« Spaß muss sein. Nur
wer Mitarbeitern ein gutes Umfeld bietet, hat eine
Chance, beim Wettkampf um die Besten mitzu-
halten. Ein üppiges Gehalt versteht sich von allein.
Schon das mittlere Einkommen liegt hier mit gut
70000 Dollar im Jahr über dem US-Durchschnitt.
»Man konkurriert hier als Arbeitgeber sehr
stark«, sagt Katharina Rock, Senior Vice President
Mobile Applications bei SAP. Die deutsche Soft-
wareschmiede müht sich, dem Image der lokalen
Größen die Reize der weiten Welt entgegenzuset-
zen. »Geeks wollen an internationalen Produkten
arbeiten«, sagt Rock. Sie hat ein Faltblatt dabei,
in dem SAP als einer der Top-Arbeitgeber aus-
gewiesen wird. Das Unternehmen hat sein Labor
im Silicon Valley deutlich ausgebaut und mit dazu
beigetragen,dass allein 2013 etwa 50000 neue Jobs
entstanden sind.
Am anderen Ende der Stadt sitzt Michael Perry
am Laptop und arbeitet ebenfalls daran,dieWelt zu
verändern. Nie wieder sollen Firmen dank seiner
Vermarktungssoftware auch nur einen Cent an
ineffektive Werbung verschwenden. Schon wenn
er nur einige tausend Kleinunternehmer findet,
die bereit sind, »Kit« auszuprobieren, »haben wir
ein Millionengeschäft«.Aber auch die Großen zei-
gen ja nun Interesse, endlich – Perry hat jahrelang
auf diesen Moment hingearbeitet, musste mehr
als einmal den Schwiegervater bitten, die Strom-
rechnung zu zahlen. Doch er kann nicht anders,
das Unternehmertum liegt ihm im Blut. »Wenn
ich geregelt von neun bis fünf arbeiten sollte, wäre
das eine Qual für mich.« Dabei schaut er aus dem
Fenster, auf das Hochhaus gegenüber. Da sitzen
sie an ihren Schreibtischen, die Arbeitsbienen in
ihren Büros, die ein Gefühl von Sicherheit haben
mögen, aber kein Leben, das er lebenswert findet.
»Ich garantiere Ihnen, die meisten hassen ihren
Job«, sagt Perry. »Ich aber bin frei! Ich wache jeden
Morgen auf und denke: Wieder ein Tag, an dem
ich ein Stück besser werden kann.«
LERNERFOLG
IM INTERNET.
Der Deutsche
Sebastian Thrun
und Mitarbeite-
rin Sarah Spikes
im TV-Studio
seines Start-ups
Udacity.
eBay / 1995
Internet-Auktionshaus
Nr. 1 weltweit; Umsatz:
16,1 Mrd. Dollar.
Hewlett-Packard /
1939
Erster Technologie-
konzern im Silicon
Valley. Umsatz weltweit:
112,3 Mrd. Dollar.
CISCO / 1984
Stellt die Infrastruktur
des Internets. Umsatz:
48,6 Mrd. Dollar.
Facebook / 2004
Weltgrößtes soziales
Netzwerk; Mitglieder:
1,28 Mrd. Menschen.
Fotos: Ebay Inc.; Hewlett-Packard Development Company, L.P.; Cisco Systems Inc.; Facebook
FORMELN FÜR
DIE ZUKUNFT
Frisch eingezogen
und mit viel Raum
zum Wachsen –
das Egnyte-Büro im
SiliconValley.
HACKERTREFF
NOISEBRIDGE
Elektronik-Pionier
Stanley Lunetta
führt Gründern
einen seiner frühen
Synthesizer vor.
20 21
LÄNDERREPORT / USA
Star. Der gebürtige Solinger kam 2003 als Roboterforscher
nach Stanford und machte sich schnell als Vater des selbst-
fahrenden VW Stanley einen Namen. Er freundete sich mit
den Google-Gründern an, half beim Aufbau von Street View
und gründete das hausinterne Forschungslabor Google X, das
jüngst mit der futuristischen Internet-Brille Google Glass die
Welt verblüffte. Doch bei alldem gehört Thruns Aufmerksam-
keit längst der nächsten Revolution: Er hat sich vorgenommen,
mit seiner Firma Udacity dabei zu helfen, das Lernen für das
21. Jahrhundert neu zu erfinden.
»Vieles von dem, was in einem Unterrichtsraum passiert,
kann sehr leicht digitalisiert werden«, sagt Thrun. 2011 pro-
bierte er das zum ersten Mal selbst aus. Damals noch Stanford-
Professor, bot er einen seiner Kurse auch im Internet an, samt
Video-Übertragungen, Übungsaufgaben und Abschlusstest.
Am Ende schauten von 200 Studenten nur noch 30 persönlich
vorbei. »Die anderen sagten: ›Wir sehen dich lieber im Inter-
net.‹« Etliche mehr folgten ihm online, und die
412 besten Absolventen waren allesamt nicht in
Stanford eingeschrieben, sondern kamen aus den
Weiten des WWW. Thrun genügte dieses Experi-
ment, um etwas vollkommen Neues zu wagen: Er
gab seine Lebensstelle an der Elite-Universität auf,
um sich als Unternehmer zu versuchen.
Mehr als 20 Millionen Dollar gaben ihm Inves-
toren bisher dafür, und nicht alles lief wie geplant.
Kurse, die anfangs Zehntausende anlockten, waren
am Ende weitgehend verwaist. Traditionelle Uni-
versitäten, die zunächst Kooperationsbereitschaft
signalisierten, zierten sich plötzlich. Thrun lern-
te, lenkte um, tat alles, um nicht die Schlagzeilen
zu bestätigen, die Udacity bereits zum kolossalen
Flop erklärten. »Man wird immer neu gezwungen,
alles zu hinterfragen – und zwar jeden Tag.« So
wandelte sich,Schritt für Schritt,der Schwerpunkt
von Ausbildung zu Fortbildung, wie sie große Un-
ternehmen wünschen.Rund zwei Dutzend Firmen
zahlen nun dafür, dass Udacity Online-Kurse an-
bietet, die ihre Bedürfnisse widerspiegeln: Web-
Entwicklung mit Google,Grafikchip-Programmie-
rung für Nvidia, Software-Design à la Facebook.
Zwei kleine Fernsehstudios hat Udacity einge-
richtet, und die Zentrale in einem unscheinbaren
Bürokomplex in Mountain View bietet alles, was
moderne Silicon-Valley-Arbeiter erwarten: kos-
tenlose Verpflegung, Sitzecken, offene Arbeits-
räume, Kicker-Tische, einen Wandhalter für
Mountainbikes. »Andy!«, ruft Thrun einem Kol-
legen zu, »Tischfußball?« Spaß muss sein. Nur
wer Mitarbeitern ein gutes Umfeld bietet, hat eine
Chance, beim Wettkampf um die Besten mitzu-
halten. Ein üppiges Gehalt versteht sich von allein.
Schon das mittlere Einkommen liegt hier mit gut
70000 Dollar im Jahr über dem US-Durchschnitt.
»Man konkurriert hier als Arbeitgeber sehr
stark«, sagt Katharina Rock, Senior Vice President
Mobile Applications bei SAP. Die deutsche Soft-
wareschmiede müht sich, dem Image der lokalen
Größen die Reize der weiten Welt entgegenzuset-
zen. »Geeks wollen an internationalen Produkten
arbeiten«, sagt Rock. Sie hat ein Faltblatt dabei,
in dem SAP als einer der Top-Arbeitgeber aus-
gewiesen wird. Das Unternehmen hat sein Labor
im Silicon Valley deutlich ausgebaut und mit dazu
beigetragen,dass allein 2013 etwa 50000 neue Jobs
entstanden sind.
Am anderen Ende der Stadt sitzt Michael Perry
am Laptop und arbeitet ebenfalls daran,dieWelt zu
verändern. Nie wieder sollen Firmen dank seiner
Vermarktungssoftware auch nur einen Cent an
ineffektive Werbung verschwenden. Schon wenn
er nur einige tausend Kleinunternehmer findet,
die bereit sind, »Kit« auszuprobieren, »haben wir
ein Millionengeschäft«.Aber auch die Großen zei-
gen ja nun Interesse, endlich – Perry hat jahrelang
auf diesen Moment hingearbeitet, musste mehr
als einmal den Schwiegervater bitten, die Strom-
rechnung zu zahlen. Doch er kann nicht anders,
das Unternehmertum liegt ihm im Blut. »Wenn
ich geregelt von neun bis fünf arbeiten sollte, wäre
das eine Qual für mich.« Dabei schaut er aus dem
Fenster, auf das Hochhaus gegenüber. Da sitzen
sie an ihren Schreibtischen, die Arbeitsbienen in
ihren Büros, die ein Gefühl von Sicherheit haben
mögen, aber kein Leben, das er lebenswert findet.
»Ich garantiere Ihnen, die meisten hassen ihren
Job«, sagt Perry. »Ich aber bin frei! Ich wache jeden
Morgen auf und denke: Wieder ein Tag, an dem
ich ein Stück besser werden kann.«
LERNERFOLG
IM INTERNET.
Der Deutsche
Sebastian Thrun
und Mitarbeite-
rin Sarah Spikes
im TV-Studio
seines Start-ups
Udacity.
eBay / 1995
Internet-Auktionshaus
Nr. 1 weltweit; Umsatz:
16,1 Mrd. Dollar.
Hewlett-Packard /
1939
Erster Technologie-
konzern im Silicon
Valley. Umsatz weltweit:
112,3 Mrd. Dollar.
CISCO / 1984
Stellt die Infrastruktur
des Internets. Umsatz:
48,6 Mrd. Dollar.
Facebook / 2004
Weltgrößtes soziales
Netzwerk; Mitglieder:
1,28 Mrd. Menschen.
Fotos: Ebay Inc.; Hewlett-Packard Development Company, L.P.; Cisco Systems Inc.; Facebook
GUTES KLIMA
entsteht durch die
Fassade des Parkroyal-
Hotels in Singapur.
Blumen und Bäume,
Wasserfälle und Bäche
auf Balkonen und Terras-
sen sorgen für frische
Luft im Gebäude.
2828
W E RT E / N ° 10 – 2014
ZUKUNFT
DES
BAUENS
TEXT IVO GOETZ
2929
REPORT / ARCHITEKTUR
GUTES KLIMA
entsteht durch die
Fassade des Parkroyal-
Hotels in Singapur.
Blumen und Bäume,
Wasserfälle und Bäche
auf Balkonen und Terras-
sen sorgen für frische
Luft im Gebäude.
2828
W E RT E / N ° 10 – 2014
ZUKUNFT
DES
BAUENS
TEXT IVO GOETZ
2929
REPORT / ARCHITEKTUR
DAS MINI-HAUS »m-ch«
soll Studenten auf 2,6 x 2,6
Meter Fläche alles bieten,
was man zum Leben braucht
– Bett, Bad, Küche, Essplatz.
FLIESSENDE
FORMEN aus Holz
machen moderne
Computerprogram-
me möglich, wie hier
im Hochhaus »1 Main
Street« in Cambridge,
Massachusetts.
PUBLIC FARM
in NewYork nutzt
freie Dachflächen
für den Anbau von
Obst und Gemüse
mitten in der Stadt.
30
s hat schon immer lange gedauert, bis die Zukunft
des Bauens umgesetzt wurde. 1861 erfand der
Franzose Joseph Monier beispielsweise den Stahl-
beton, um Blumenkübel stabiler zu machen. Bis
zur Errichtung eines der ersten Stahlbetonbauten
in Deutschland, der Königlichen Anatomie in München, ver-
gingen dann aber noch einmal mehr als 40 Jahre. »Die ganze
Architekturgeschichte ist eine einzige Ansammlung von Erfin-
dungen und Innovationen dieser Art«, sagt der renommierte
Architekt Frank Barkow. »Wo wären wir heute, wenn nicht
jemand einfach mal versucht hätte, Bewehrung in Beton ein-
zulegen, ein Stahlskelett besonders filigran auszubilden oder
einen Raum mit einer dünnen Schale zu überspannen?«
Genau an so einem Punkt der Bau-Evolution sehen sich
Architekten und Planer heute wieder. Doch anders als bisher,
geht es jetzt noch mehr um eine vernünftige Einbindung der
Architektur in ein komplexes System. Stadtentwicklungs- und
Mobilitätskonzepte sind zu berücksichtigen,neue soziologische
Erkenntnisse von Anfang an zu bedenken sowie Klima- und
Umwelteinflüsse einzukalkulieren – und bei aller Innovations-
freude sollte nie vergessen werden, dass sich die Menschen in
dieser neuen Welt auch noch wohl fühlen müssen.
Der Klimawandel zwingt zum Umdenken
— Dass es höchste Zeit ist, in der Architektur nachhaltig zu
planen, ist spätestens seit Anfang April 2014 allen Beteiligten
bewusst. Denn da erschien die neueste Studie des Weltkli-
Innovative Baustoffe und
neue Technologien machen
die Zukunft des Bauens
vielfältig und flexibel.
Sie nutzen Energie
effizienter, schonen Klima
und Umwelt und helfen
den Menschen, gesünder
zu leben.
Sie vernetzen die Welt
und lösen damit Probleme
der Zivilisation.
E
Wände aus
Infraleichtbeton
werden wie
herkömmlicher
Beton gegossen,
dann zusam-
mengesteckt.
MINIMALES WOHNEN AM SEE.
2by4-architects verbinden Haus und
Natur. Bad und Bett klappen
bei Bedarf aus der Wand.
LEICHT UND STABIL
ist der von Barkow-
Leibinger verwendete
Infraleichtbeton ILB, der
eine zusätzliche Isolie-
rung überflüssig macht.
31
marats der Vereinten Nationen (IPCC). Die Er-
kenntnisse, die sich daraus für das Leben gewin-
nen lassen, sind alarmierend: Das Fortschreiten
des Klimawandels könne nur verlangsamt wer-
den, wenn beim Planen und Bauen von Städten
und Häusern radikale Veränderungen in Gang
gesetzt würden. Die Häuser auf der Welt seien das Umwelt-
problem Nummer eins. Bis zu 40 Prozent der Treibhausgas-
emissionen würden in den Industrieländern durch Gebäude
und Gebäudetechnik verursacht. Erst dann kämen Emissionen,
die durch Verkehr in die Atmosphäre gelangen.
»Häuser mit dicken Dämmplatten zu bekleben,die aus Erd-
ölprodukten hergestellt wurden, reicht da einfach nicht mehr
aus«, sagt Professor Klaus Sedlbauer vom Fraunhofer-Institut
für Bauphysik IBP. »Man muss von Anfang an nachhaltig bau-
en statt Häuser nachträglich zu verpacken«, sagt auch der Ar-
chitekt Christoph Mäckler, der an der Technischen Universität
Dortmund Städtebau lehrt. Für Altbauten gibt es hingegen in-
novative Lehm- und Naturfaserplatten, Dämmstoffe aus Holz-
schaum oder ein aus der Raumfahrt abgeleitetes unbrennbares
Aerogel, das als dünne, luftgefüllte Platte auf Altbaufassaden
geklebt werden kann.
Herausforderung Großstadt
— In naher Zukunft leben immer mehr Menschen in Mega-
städten. 2050 werden es fast drei Viertel der Weltbevölkerung
sein. Die Gebäude der Zukunft werden daher optimal an den
begrenzten Raum in der verdichteten Stadt angepasst sein
müssen, zugleich sollten sie flexibel in der Nutzung bleiben –
auch über mehrere Generationen hinweg.
Da es immer mehr Single- und Senioren-
haushalte gibt, entsteht auch in Deutschland
eine zunehmende Nachfrage nach Konzepten
für minimales Wohnen. Gleichzeitig steht
immer weniger Platz für großvolumiges, her-
kömmliches Bauen zur Verfügung. Nicht nur
in den japanischen Ballungsräumen, wo sich Minihäuser seit
Jahren in jede kleine Baulücke quetschen, sondern auch bei uns
gibt es mittlerweile ernst zu nehmende Konzepte.
Der Italiener Renzo Piano ist einer der berühmtestenArchi-
tekten der Welt. Er hat das New York Times Building, Kreuz-
fahrtschiffe und Kirchen entworfen. Und er ist der gefeierte
Architekt von »The Shard« in London, dem mit 310 Metern
zweithöchsten Gebäude Westeuropas. Doch auch Renzo Piano
sieht die Zukunft des Bauens mittlerweile in kleinen,einfachen
und mobilen Konzepten. »Man braucht jeden Tag ein bisschen
Zeit für sich allein«, sagt er. »Die Welt ist voll von Informatio-
nen und Lärm, davon muss man abschalten, die Stille suchen,
in sich hineinhören, meditieren.«
Seine Lösung ist ein Minihaus, das maximal 50000 Euro
kostet, nur 3,2 Meter hoch ist und 1,2 Tonnen wiegt. Es lässt
sich überall aufstellen, nur Regenrinne und Rollläden müssen
noch angeschraubt werden. Auf einer Ebene befinden sich hier
Wohnzimmer, Küche und Bad, mit Platz für ein Ausziehbett
und einen Tisch. Genügend Raum für ein bedürfnisloses Le-
ben, wie es einst Diogenes im Fass geführt hatte – weshalb
Renzo Piano sein Minihaus auch nach dem Philosophen be-
nannt hat. »Diogenes versorgt einen mit dem, was man wirk-
lich benötigt, und mit nichts sonst«, sagt er und meint unter
anderem Photovoltaik-Zellen und Solarpaneele für die Gewin-
nung von Strom.
der Treibhausgas-
emissionen werden durch
Gebäude verursacht.
40%
Fotos: Patrick Bingham-Hall; Elizabeth Efelicella; dECOi Architects; Prof. Richard Horden; 2by4-architects; Barkow Leibinger
DAS MINI-HAUS »m-ch«
soll Studenten auf 2,6 x 2,6
Meter Fläche alles bieten,
was man zum Leben braucht
– Bett, Bad, Küche, Essplatz.
FLIESSENDE
FORMEN aus Holz
machen moderne
Computerprogram-
me möglich, wie hier
im Hochhaus »1 Main
Street« in Cambridge,
Massachusetts.
PUBLIC FARM
in NewYork nutzt
freie Dachflächen
für den Anbau von
Obst und Gemüse
mitten in der Stadt.
30
s hat schon immer lange gedauert, bis die Zukunft
des Bauens umgesetzt wurde. 1861 erfand der
Franzose Joseph Monier beispielsweise den Stahl-
beton, um Blumenkübel stabiler zu machen. Bis
zur Errichtung eines der ersten Stahlbetonbauten
in Deutschland, der Königlichen Anatomie in München, ver-
gingen dann aber noch einmal mehr als 40 Jahre. »Die ganze
Architekturgeschichte ist eine einzige Ansammlung von Erfin-
dungen und Innovationen dieser Art«, sagt der renommierte
Architekt Frank Barkow. »Wo wären wir heute, wenn nicht
jemand einfach mal versucht hätte, Bewehrung in Beton ein-
zulegen, ein Stahlskelett besonders filigran auszubilden oder
einen Raum mit einer dünnen Schale zu überspannen?«
Genau an so einem Punkt der Bau-Evolution sehen sich
Architekten und Planer heute wieder. Doch anders als bisher,
geht es jetzt noch mehr um eine vernünftige Einbindung der
Architektur in ein komplexes System. Stadtentwicklungs- und
Mobilitätskonzepte sind zu berücksichtigen,neue soziologische
Erkenntnisse von Anfang an zu bedenken sowie Klima- und
Umwelteinflüsse einzukalkulieren – und bei aller Innovations-
freude sollte nie vergessen werden, dass sich die Menschen in
dieser neuen Welt auch noch wohl fühlen müssen.
Der Klimawandel zwingt zum Umdenken
— Dass es höchste Zeit ist, in der Architektur nachhaltig zu
planen, ist spätestens seit Anfang April 2014 allen Beteiligten
bewusst. Denn da erschien die neueste Studie des Weltkli-
Innovative Baustoffe und
neue Technologien machen
die Zukunft des Bauens
vielfältig und flexibel.
Sie nutzen Energie
effizienter, schonen Klima
und Umwelt und helfen
den Menschen, gesünder
zu leben.
Sie vernetzen die Welt
und lösen damit Probleme
der Zivilisation.
E
Wände aus
Infraleichtbeton
werden wie
herkömmlicher
Beton gegossen,
dann zusam-
mengesteckt.
MINIMALES WOHNEN AM SEE.
2by4-architects verbinden Haus und
Natur. Bad und Bett klappen
bei Bedarf aus der Wand.
LEICHT UND STABIL
ist der von Barkow-
Leibinger verwendete
Infraleichtbeton ILB, der
eine zusätzliche Isolie-
rung überflüssig macht.
31
marats der Vereinten Nationen (IPCC). Die Er-
kenntnisse, die sich daraus für das Leben gewin-
nen lassen, sind alarmierend: Das Fortschreiten
des Klimawandels könne nur verlangsamt wer-
den, wenn beim Planen und Bauen von Städten
und Häusern radikale Veränderungen in Gang
gesetzt würden. Die Häuser auf der Welt seien das Umwelt-
problem Nummer eins. Bis zu 40 Prozent der Treibhausgas-
emissionen würden in den Industrieländern durch Gebäude
und Gebäudetechnik verursacht. Erst dann kämen Emissionen,
die durch Verkehr in die Atmosphäre gelangen.
»Häuser mit dicken Dämmplatten zu bekleben,die aus Erd-
ölprodukten hergestellt wurden, reicht da einfach nicht mehr
aus«, sagt Professor Klaus Sedlbauer vom Fraunhofer-Institut
für Bauphysik IBP. »Man muss von Anfang an nachhaltig bau-
en statt Häuser nachträglich zu verpacken«, sagt auch der Ar-
chitekt Christoph Mäckler, der an der Technischen Universität
Dortmund Städtebau lehrt. Für Altbauten gibt es hingegen in-
novative Lehm- und Naturfaserplatten, Dämmstoffe aus Holz-
schaum oder ein aus der Raumfahrt abgeleitetes unbrennbares
Aerogel, das als dünne, luftgefüllte Platte auf Altbaufassaden
geklebt werden kann.
Herausforderung Großstadt
— In naher Zukunft leben immer mehr Menschen in Mega-
städten. 2050 werden es fast drei Viertel der Weltbevölkerung
sein. Die Gebäude der Zukunft werden daher optimal an den
begrenzten Raum in der verdichteten Stadt angepasst sein
müssen, zugleich sollten sie flexibel in der Nutzung bleiben –
auch über mehrere Generationen hinweg.
Da es immer mehr Single- und Senioren-
haushalte gibt, entsteht auch in Deutschland
eine zunehmende Nachfrage nach Konzepten
für minimales Wohnen. Gleichzeitig steht
immer weniger Platz für großvolumiges, her-
kömmliches Bauen zur Verfügung. Nicht nur
in den japanischen Ballungsräumen, wo sich Minihäuser seit
Jahren in jede kleine Baulücke quetschen, sondern auch bei uns
gibt es mittlerweile ernst zu nehmende Konzepte.
Der Italiener Renzo Piano ist einer der berühmtestenArchi-
tekten der Welt. Er hat das New York Times Building, Kreuz-
fahrtschiffe und Kirchen entworfen. Und er ist der gefeierte
Architekt von »The Shard« in London, dem mit 310 Metern
zweithöchsten Gebäude Westeuropas. Doch auch Renzo Piano
sieht die Zukunft des Bauens mittlerweile in kleinen,einfachen
und mobilen Konzepten. »Man braucht jeden Tag ein bisschen
Zeit für sich allein«, sagt er. »Die Welt ist voll von Informatio-
nen und Lärm, davon muss man abschalten, die Stille suchen,
in sich hineinhören, meditieren.«
Seine Lösung ist ein Minihaus, das maximal 50000 Euro
kostet, nur 3,2 Meter hoch ist und 1,2 Tonnen wiegt. Es lässt
sich überall aufstellen, nur Regenrinne und Rollläden müssen
noch angeschraubt werden. Auf einer Ebene befinden sich hier
Wohnzimmer, Küche und Bad, mit Platz für ein Ausziehbett
und einen Tisch. Genügend Raum für ein bedürfnisloses Le-
ben, wie es einst Diogenes im Fass geführt hatte – weshalb
Renzo Piano sein Minihaus auch nach dem Philosophen be-
nannt hat. »Diogenes versorgt einen mit dem, was man wirk-
lich benötigt, und mit nichts sonst«, sagt er und meint unter
anderem Photovoltaik-Zellen und Solarpaneele für die Gewin-
nung von Strom.
der Treibhausgas-
emissionen werden durch
Gebäude verursacht.
40%
Fotos: Patrick Bingham-Hall; Elizabeth Efelicella; dECOi Architects; Prof. Richard Horden; 2by4-architects; Barkow Leibinger
HÜLLE FÜR DIE NATUR.
Beim »Eden Project« in
Cornwall, England, erstreckt
sich ein Membrandach über
50 Hektar Regenwald.
THE WALBROOK in
London mit Fassaden-
elementen aus glasfaser-
verstärktem Kunststoff.
32
Alle Herausforderungen haben gemein, dass Architekten und
Ingenieure in kurzer Zeit Wohnraum bereitstellen müssen.
Platzmangel, hohe Grundstückspreise und steigende Energie-
kosten erfordern ein ständiges Neuerfinden innovativer Bau-
techniken. Die Materialien der Zukunft müssen zudem recy-
celbar,energiesparend und schon bei der Herstellung möglichst
klimaneutral sein.
Hanf, Jute und Glas machen Beton leicht
— Auf der Internationalen Bauausstellung in Hamburg prä-
sentierte das Berliner Architekturbüro Barkow-Leibinger
einen besonders leichten Infraleichtbeton (ILB). Darin ist
recyceltes Glas enthalten, das Bauteile leicht, aber auch stabil
macht. »Grundsätzlich ist es nachhaltiger und ästhetisch weni-
ger fragwürdig, wenn die tragende Struktur ihre Wärmedäm-
mung schon mitbringt und diese nicht nachträglich aufgeklebt
wird«, erklärt Frank Barkow die Idee. »Diese monolithische
Bauweise hat den Vorteil, dass alle bauphysikalischen Eigen-
schaften der Fassade in einer Schicht vereint sind, das heißt, es
bedarf keiner zusätzlicher Materialien mehr. Zudem fallen die
Instandhaltungsmaßnahmen, die bei herkömmlichen Fassaden
üblich sind, hier viel einfacher aus.«
Mit Glasfasern, die wir bisher hauptsächlich aus dem Auto-
mobil- und Schiffbau kennen, experimentierte auch der engli-
sche Stararchitekt Sir Norman Foster, der für sein Projekt »The
Walbrook« in London eine Fassade aus geschwungenen, leich-
ten Glasfaserelementen gestaltete. Professor Manfred Curbach
von der TU Dresden möchte den Stahl im Beton durch Koh-
lenstofffasern ersetzen. Denn Carbon rostet nicht, ist extrem
belastbar und langlebig. Mit Carbonbeton kann man filigraner
bauen, da man Verstärkungen nicht so dick einpacken muss
wie bisher den Bewehrungsstahl.
Am Fraunhofer-Institut für Bauforschung in Stuttgart un-
tersucht man hingegen bereits die Möglichkeit, Beton mit Na-
turfasern wie Hanf, Flachs und Jute zu verstärken.Vorteile wä-
ren die natürliche Verfügbarkeit und die einfache Möglichkeit
des Recyclings. Naturfasern können nicht nur Beton verstär-
ken, sondern auch Kunststoffe, aus denen dann Bauelemente
hergestellt werden.Das ist günstig und umweltverträglich.Am
Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen
(ITKE) wurde ein Biokunststoff entwickelt, der zu unbrennba-
ren Fassadenteilen geformt werden kann.
Das BIQ in Hamburg ist ein Gebäude, das in einer zweiten
Haut aus Bioalgen steckt. Die Algen wachsen in transparenten
Fassadenelementen heran, werden regelmäßig abgesaugt und
in einer Biogasanlage in Energie umgewandelt, die dann zur
Wassererwärmung des Hauses beiträgt – das BIQ ist sozusa-
gen sein eigener Bioreaktor.
Noch einen Schritt weiter geht der Italiener Stefano Boeri.
Er baut zurzeit in Mailand zwei Wohntürme, die vollständig
bewaldet und bewachsen sind. Die Bepflanzung bindet CO2
aus
der Luft und erzeugt ein angenehmes Mikroklima um die Tür-
me herum, Geräusche werden gedämpft, Staubpartikel aus der
Luft gefiltert.
Fassaden richten sich nach der Sonne
— Möchte man zwischen sich und der Umwelt nur eine dünne
Schicht haben, die gerade mal vor Wind und Wetter schützt,
bietet sich eine Membrankonstruktion an. Das aktuell größte
AUS ALGEN in der Fas-
sade des BIQ in Hamburg
wird Biogas. Später wird
damit das Haus geheizt.
LUFTKISSEN machen die Allianz Arena in Mün-
chen einmalig. Die 1056 Kissen können autonom
in Rot, Blau oder Weiß beleuchtet werden.
R129 orientiert sich an
der Form von Tautropfen.
Das Haus von Stararchi-
tekt Werner Sobek vereint
Kunststoff und Carbon
in einer Klimahülle.
33
Membrandach wurde von den deut-
schen Architekten Knippers und Hel-
big für die EXPO 2010 in Shanghai
konstruiert. In Hamburg packten die
Architekten von Behnisch & Partner
die Europazentrale des Konsumgü-
terherstellers Unilever in der Hafen-
City in eine transparente Kunststoffhülle und schufen damit
ein Musterbeispiel für nachhaltiges Bauen.
Eine Membrankonstruktion schützt auch das Soft House
von Kennedy & Violich in Hamburg. Auf einer beweglichen
Textilmembran sind Photovoltaikmodule zur Stromerzeugung
angebracht, die sich automatisch zur Sonne ausrichten.
Maximale Transparenz und Rundumsicht zeichnet Werner
Sobeks Entwurf R129 aus.Der StuttgarterArchitekt entwickel-
te eine durchsichtige, blasenförmige Klimahülle aus Kunststoff
und Carbon. Auf Knopfdruck kann man die elektrochrome
Beschichtung der Hülle von transparent bis zur vollständigen
Undurchsichtigkeit verändern. Wände aus luftgefüllten Kis-
senmembranen geben hingegen der Allianz Arena von Herzog
& de Meuron in München ihr besonderes Aussehen.
Glas gilt schon lange als der Hightechbereich in der Bau-
industrie. Stabilität, Transparenz, Verdunklung, maximale
Licht- und Wärmeausbeute bei nur geringen Energieverlusten
vereinen sich hier. Fenster können elektrisch blind geschaltet
oder eingefärbt werden und ersetzen so großflächig feste Fas-
sadenelemente und Mauern. Dass auch Hochhäuser aus Glas
anspruchsvollsten energetischen Anforderungen der Zeit ge-
nügen können, beweist der Düsseldorfer Architekt Christoph
Ingenhoven mit dem Glashaus »1 Bligh« in Sydney: Die Fassa-
de des Foyers verfügt über verstellbare Glaslamellen und Glas-
Faltelemente, die Frischluft hindurchströmen lassen. Das zen-
trale Atrium erstreckt sich über die gesamte Gebäudehöhe von
139 Metern. Durch den Kamineffekt entsteht ein natürlicher
Luftstrom nach oben, der im Dachbereich ausgeleitet wird.
Die Folge ist ein kontinuierlicher Luftwechsel. Großflächige
Verglasung und Ökologie sind also kein Widerspruch mehr.
»Im Inneren haben wir eine campusähnliche, offene Struktur
geschaffen«, sagt Ingenhoven. »Jeder kennt jeden, informelle,
zufällige Treffen sind jederzeit möglich.«
Holz – alter Stoff in neuer Form
— Ein Kritikpunkt an moderner Architektur ist immer gewe-
sen, dass Behaglichkeit und Wärme, nach der sich Menschen
sehnen, auf der Strecke bleiben. Dem wirkt der Baustoff Holz
entgegen, dem in Zukunft wieder eine wachsende Bedeutung
zukommt.
Ein günstig erstelltes mehrgeschossiges Haus aus Holz ist
das »case study #1« in Hamburg: Module mit quadratischer
Grundfläche wurden hier horizontal und vertikal zusammen-
gesetzt und gestapelt. Sie gruppieren sich um einen Schacht
für die Haustechnik. Das ganze Gebäude ist so konzipiert, dass
die Räume von 45 Quadratmeter großen Mikro-Lofts bis hin
zu 140 Quadratmeter großen Makro-Lofts variieren können
und sich so stets den Lebensbedingungen und Wünschen ihrer
Bewohner anpassen lassen.
Mehrgeschossige Holzhäuser durften früher aus Brand-
schutzgründen nicht gebaut werden, heute gelten sie dank
innovativer Bauteile als sicher. Der »Woodcube« in Hamburg-
Wilhelmsburg ist so ein fünfgeschossiges Mehrfamilienhaus
mit 900 Quadratmeter Wohnfläche. Bis auf den zentralen Auf-
zugs- und Treppenhauskern aus Beton besteht die gesamte
8500Tonnen CO2
lassen
sich beim Bau eines Holz-
hauses sparen.
Fotos: Perry Hooper/ Grimshaw; mauritius images / View Pictures LTD; Werner Sobek Group GmbH;
Allianz Arena München Stadion GmbH; mauritius images / Novarc;
HÜLLE FÜR DIE NATUR.
Beim »Eden Project« in
Cornwall, England, erstreckt
sich ein Membrandach über
50 Hektar Regenwald.
THE WALBROOK in
London mit Fassaden-
elementen aus glasfaser-
verstärktem Kunststoff.
32
Alle Herausforderungen haben gemein, dass Architekten und
Ingenieure in kurzer Zeit Wohnraum bereitstellen müssen.
Platzmangel, hohe Grundstückspreise und steigende Energie-
kosten erfordern ein ständiges Neuerfinden innovativer Bau-
techniken. Die Materialien der Zukunft müssen zudem recy-
celbar,energiesparend und schon bei der Herstellung möglichst
klimaneutral sein.
Hanf, Jute und Glas machen Beton leicht
— Auf der Internationalen Bauausstellung in Hamburg prä-
sentierte das Berliner Architekturbüro Barkow-Leibinger
einen besonders leichten Infraleichtbeton (ILB). Darin ist
recyceltes Glas enthalten, das Bauteile leicht, aber auch stabil
macht. »Grundsätzlich ist es nachhaltiger und ästhetisch weni-
ger fragwürdig, wenn die tragende Struktur ihre Wärmedäm-
mung schon mitbringt und diese nicht nachträglich aufgeklebt
wird«, erklärt Frank Barkow die Idee. »Diese monolithische
Bauweise hat den Vorteil, dass alle bauphysikalischen Eigen-
schaften der Fassade in einer Schicht vereint sind, das heißt, es
bedarf keiner zusätzlicher Materialien mehr. Zudem fallen die
Instandhaltungsmaßnahmen, die bei herkömmlichen Fassaden
üblich sind, hier viel einfacher aus.«
Mit Glasfasern, die wir bisher hauptsächlich aus dem Auto-
mobil- und Schiffbau kennen, experimentierte auch der engli-
sche Stararchitekt Sir Norman Foster, der für sein Projekt »The
Walbrook« in London eine Fassade aus geschwungenen, leich-
ten Glasfaserelementen gestaltete. Professor Manfred Curbach
von der TU Dresden möchte den Stahl im Beton durch Koh-
lenstofffasern ersetzen. Denn Carbon rostet nicht, ist extrem
belastbar und langlebig. Mit Carbonbeton kann man filigraner
bauen, da man Verstärkungen nicht so dick einpacken muss
wie bisher den Bewehrungsstahl.
Am Fraunhofer-Institut für Bauforschung in Stuttgart un-
tersucht man hingegen bereits die Möglichkeit, Beton mit Na-
turfasern wie Hanf, Flachs und Jute zu verstärken.Vorteile wä-
ren die natürliche Verfügbarkeit und die einfache Möglichkeit
des Recyclings. Naturfasern können nicht nur Beton verstär-
ken, sondern auch Kunststoffe, aus denen dann Bauelemente
hergestellt werden.Das ist günstig und umweltverträglich.Am
Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen
(ITKE) wurde ein Biokunststoff entwickelt, der zu unbrennba-
ren Fassadenteilen geformt werden kann.
Das BIQ in Hamburg ist ein Gebäude, das in einer zweiten
Haut aus Bioalgen steckt. Die Algen wachsen in transparenten
Fassadenelementen heran, werden regelmäßig abgesaugt und
in einer Biogasanlage in Energie umgewandelt, die dann zur
Wassererwärmung des Hauses beiträgt – das BIQ ist sozusa-
gen sein eigener Bioreaktor.
Noch einen Schritt weiter geht der Italiener Stefano Boeri.
Er baut zurzeit in Mailand zwei Wohntürme, die vollständig
bewaldet und bewachsen sind. Die Bepflanzung bindet CO2
aus
der Luft und erzeugt ein angenehmes Mikroklima um die Tür-
me herum, Geräusche werden gedämpft, Staubpartikel aus der
Luft gefiltert.
Fassaden richten sich nach der Sonne
— Möchte man zwischen sich und der Umwelt nur eine dünne
Schicht haben, die gerade mal vor Wind und Wetter schützt,
bietet sich eine Membrankonstruktion an. Das aktuell größte
AUS ALGEN in der Fas-
sade des BIQ in Hamburg
wird Biogas. Später wird
damit das Haus geheizt.
LUFTKISSEN machen die Allianz Arena in Mün-
chen einmalig. Die 1056 Kissen können autonom
in Rot, Blau oder Weiß beleuchtet werden.
R129 orientiert sich an
der Form von Tautropfen.
Das Haus von Stararchi-
tekt Werner Sobek vereint
Kunststoff und Carbon
in einer Klimahülle.
33
Membrandach wurde von den deut-
schen Architekten Knippers und Hel-
big für die EXPO 2010 in Shanghai
konstruiert. In Hamburg packten die
Architekten von Behnisch & Partner
die Europazentrale des Konsumgü-
terherstellers Unilever in der Hafen-
City in eine transparente Kunststoffhülle und schufen damit
ein Musterbeispiel für nachhaltiges Bauen.
Eine Membrankonstruktion schützt auch das Soft House
von Kennedy & Violich in Hamburg. Auf einer beweglichen
Textilmembran sind Photovoltaikmodule zur Stromerzeugung
angebracht, die sich automatisch zur Sonne ausrichten.
Maximale Transparenz und Rundumsicht zeichnet Werner
Sobeks Entwurf R129 aus.Der StuttgarterArchitekt entwickel-
te eine durchsichtige, blasenförmige Klimahülle aus Kunststoff
und Carbon. Auf Knopfdruck kann man die elektrochrome
Beschichtung der Hülle von transparent bis zur vollständigen
Undurchsichtigkeit verändern. Wände aus luftgefüllten Kis-
senmembranen geben hingegen der Allianz Arena von Herzog
& de Meuron in München ihr besonderes Aussehen.
Glas gilt schon lange als der Hightechbereich in der Bau-
industrie. Stabilität, Transparenz, Verdunklung, maximale
Licht- und Wärmeausbeute bei nur geringen Energieverlusten
vereinen sich hier. Fenster können elektrisch blind geschaltet
oder eingefärbt werden und ersetzen so großflächig feste Fas-
sadenelemente und Mauern. Dass auch Hochhäuser aus Glas
anspruchsvollsten energetischen Anforderungen der Zeit ge-
nügen können, beweist der Düsseldorfer Architekt Christoph
Ingenhoven mit dem Glashaus »1 Bligh« in Sydney: Die Fassa-
de des Foyers verfügt über verstellbare Glaslamellen und Glas-
Faltelemente, die Frischluft hindurchströmen lassen. Das zen-
trale Atrium erstreckt sich über die gesamte Gebäudehöhe von
139 Metern. Durch den Kamineffekt entsteht ein natürlicher
Luftstrom nach oben, der im Dachbereich ausgeleitet wird.
Die Folge ist ein kontinuierlicher Luftwechsel. Großflächige
Verglasung und Ökologie sind also kein Widerspruch mehr.
»Im Inneren haben wir eine campusähnliche, offene Struktur
geschaffen«, sagt Ingenhoven. »Jeder kennt jeden, informelle,
zufällige Treffen sind jederzeit möglich.«
Holz – alter Stoff in neuer Form
— Ein Kritikpunkt an moderner Architektur ist immer gewe-
sen, dass Behaglichkeit und Wärme, nach der sich Menschen
sehnen, auf der Strecke bleiben. Dem wirkt der Baustoff Holz
entgegen, dem in Zukunft wieder eine wachsende Bedeutung
zukommt.
Ein günstig erstelltes mehrgeschossiges Haus aus Holz ist
das »case study #1« in Hamburg: Module mit quadratischer
Grundfläche wurden hier horizontal und vertikal zusammen-
gesetzt und gestapelt. Sie gruppieren sich um einen Schacht
für die Haustechnik. Das ganze Gebäude ist so konzipiert, dass
die Räume von 45 Quadratmeter großen Mikro-Lofts bis hin
zu 140 Quadratmeter großen Makro-Lofts variieren können
und sich so stets den Lebensbedingungen und Wünschen ihrer
Bewohner anpassen lassen.
Mehrgeschossige Holzhäuser durften früher aus Brand-
schutzgründen nicht gebaut werden, heute gelten sie dank
innovativer Bauteile als sicher. Der »Woodcube« in Hamburg-
Wilhelmsburg ist so ein fünfgeschossiges Mehrfamilienhaus
mit 900 Quadratmeter Wohnfläche. Bis auf den zentralen Auf-
zugs- und Treppenhauskern aus Beton besteht die gesamte
8500Tonnen CO2
lassen
sich beim Bau eines Holz-
hauses sparen.
Fotos: Perry Hooper/ Grimshaw; mauritius images / View Pictures LTD; Werner Sobek Group GmbH;
Allianz Arena München Stadion GmbH; mauritius images / Novarc;
DER WOODCUBE in
Hamburg- Wilhelmsburg
wurde komplett frei von
Schadstoffen gebaut und
ist vollständig recycelbar.
EIN ATRIUM von 139 Meter Höhe sorgt im
gläsernen Hochhaus »1 Bligh« in Sydney von
Stararchitekt Christoph Ingenhoven für natür-
liches Raumklima in allen Etagen.
34
Tragkonstruktion aus Massivholz. »Die großen Querschnitte
der Wände isolieren ausgezeichnet, speichern Wärme und ha-
ben ein sehr langsames Abbrennverhalten, sie bieten also ei-
nen ausgezeichneten Feuerwiderstand«, erklärt Prof. Karsten
Tichelmann von der TU Darmstadt. Beim Bau wurde zudem
komplett auf Leim, Holzschutzmittel und andere Bauchemie
verzichtet. Das erleichtert einen späteren Rückbau und ermög-
licht eine Nachnutzung der Baustoffe. Berechnungen zufolge
spart der »Woodcube« bereits in der Bauphase gegenüber ei-
nem herkömmlichen Massivhaus 8500 Tonnen CO2
ein. Die
schonende Bauweise erfreut außerdem Bewohner wie Jona-
than Holler: »Ich bin Allergiker und Asthmatiker. Mir gefällt
das Raumklima hier, ich muss nicht mehr niesen und habe kei-
nerlei allergischen Reaktionen mehr.«
Häuser aus dem 3D-Drucker
— Nicht nur die Baustoffe verändern sich, auch die Baustellen
sehen in Zukunft anders aus. In Amsterdam kann man der-
zeit beispielsweise dabei zusehen, wie ein ganzes Grachtenhaus
ausgedruckt wird. Das Architekturbüro DUS lässt die Einzel-
teile des Gebäudes an Ort und Stelle zusammenstecken. Platz
für Kabel und Rohre findet sich in den Wänden. Ein Vorteil
eines Hauses aus dem 3D-Drucker soll sein, dass die Bewohner
es bei einem Umzug mitnehmen können. Noch aber handelt es
sich hierbei um ein Experiment. Das gilt auch für das Druck-
material: Die Teile des »3D Print Canal House« bestehen aus
recyceltem Plastikschrott.
Der österreichische Architekt Peter Ebner hat mit Studen-
ten der University of California, der Huddersfield University
in England und der Technischen Universität München bereits
ein fertiges Mini-Haus ausgedruckt. Es bietet eine Fläche von
4,6 Quadratmetern und wurde speziell für junge Leute ent-
worfen, die allein leben und selten zu Hause sind. Grundstoff
ist ein auf Sand basierender Stoff, der mit einem speziellen
Kleber zusammengehalten wird. Das Haus soll so viel Kom-
fort wie möglich bieten – eben Bett, Küche und Bad sowie
Stühle, die sich aus dem Boden hochklappen lassen.
Vernetzt und hoch hinaus
— Das Haus der Zukunft, das sich im Idealfall selbst mit
Energie versorgt, wird Teil eines intelligenten Stadtnetzes,
eines sogenannten Smart Grid, sein. In diesen Netzen wer-
den überschüssige Ressourcen dahin gelenkt, wo sie gerade
gebraucht werden, zum Beispiel in die Batterien von Elek-
troautos. Hinzu kommen neue, intelligente Nahverkehrs-
konzepte, die sich auf die Bedürfnisse der Bürger einstellen
können – so sollen zum Beispiel Staus schon vor dem Entste-
hen vermieden werden. Welche Vorteile so eine Smart City
haben kann, soll man bald in Hamburg erleben können. In
einer Kooperation mit dem US-Konzern Cisco Systems, der
mit seinen Routern und Switches weltweit die Infrastruktur
für das Internet stellt, will die Hansestadt die Straßenbe-
leuchtung nach Bedarf steuern. Ein »Smart Traffic System«
soll Verkehrsströme lenken und optimieren. »Es muss aber
sichergestellt sein, dass die dabei anfallenden Datenmengen
vor fremdem Zugriff geschützt sind«, warnt Professor Radu
Popescu-Zeletin vom Fraunhofer-Institut für Offene Kom-
munikationssysteme in Berlin. »Denn ohne das Sammeln
und Interpretieren der riesigen Datenmengen, die in der
vernetzten Stadt anfallen, kann die Smart City nicht optimal
funktionieren. Sichere Lösungen sind aber dringend erfor-
derlich, wenn wir in einer von Computern gesteuerten Stadt
nicht das Private verlieren wollen.«
Eine geradezu überirdische Vorstellung von der Zukunft
des Bauens verfolgt der Amerikaner Elon Musk. Der Gründer
von Tesla Motors plant auf dem Mars eine Kolonie für bis zu
80000 Einwohner. Die Reise zum derzeit 92 Millionen Kilo-
meter entfernten Planeten sei technisch machbar, sagt der
Milliardär. Ein Vergnügen dürfte das Leben dort freilich nicht
werden. Meteoriteneinschläge und hohe Strahlungswerte
lassen für Kritiker nur einen Schluss zu: Auf dem Mars sollte
man in geschützten Lavahöhlen wohnen. Das Leben in Höh-
len aber ist ein Wohnkonzept der Vergangenheit.
Fotos: ingenhoven architects + architectus / H.G. Esch, Hennef; Cordelia Ewerth
©bugattiautomobiless.a.s.
fuel consumption: combined 23.1 l/100 km · co2 emission: in town 867 g/km, out of town 348 g/km, combined 539 g/km
LES LEGENDES DE BUGATTI BLACK BESS
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— Als der chinesische Präsident Xi
Jinping im März Europa besuchte, hat
er mit dem Hinweis auf Napoleon
in Paris gesagt, dass der Löwe China
bereits aufgewacht sei. Bekanntlich war
Napoleon der Meinung: »China ist ein
schlafender Löwe.Wenn er aufwacht,
wird die ganze Welt zittern.« Muss die
Welt tatsächlich vor China zittern? Das
ist wahrscheinlich nicht notwendig in
der heutigen Zeit, auch wenn China
in den vergangenen 30 Jahren ein
beeindruckendes Wachstum vorweisen
kann. Zuletzt zeigte die chinesische
Wirtschaft aber eine deutliche Ab-
schwächung, so dass man fragen muss,
ob das chinesische Modell seinen Zenit
überschritten hat. Hinweise auf eine
sich abschwächende Wirtschaft kommen
vor allem aus diesen Bereichen:
1. Die Kapitalproduktivität sinkt relativ stark
seit 2010. Auch wenn die Investitionen stark
gestiegen sind, wächst die Wirtschaft nicht
mehr entsprechend.
2. Die Wettbewerbsfähigkeit Chinas auf der
Welt sinkt, so dass einige westliche Unter-
nehmen ihre Produktionsstandorte von
China nach Südostasien verlagern. Sogar
chinesischeTextilunternehmen produzieren
inzwischen inVietnam oder Bangladesch,
weil die Löhne in China in den letzten
Jahren so stark gestiegen sind.
3. Die im vergangenen Winter fast landes-
weit aufgetretene Smogsituation weist auf
gravierende Umweltprobleme im Land hin.
4. Die Bevölkerung beginnt als Folge
der Ein-Kind-Politik zu schrumpfen, das
Wachstumspotenzial sinkt folglich.
— Bei den derzeitigen Rahmenbedingungen
in China lässt sich feststellen, dass die Gren-
zen des Wachstums erreicht sind. Das ist
der chinesischen Regierung natürlich nicht
verborgen geblieben. Als Reaktion darauf
hat die Regierung unter der Führung des
neuen Präsidenten Xi Jinping im November
umfangreiche Reformmaßnahmen eingelei-
tet, um den Wachstumskurs beibehalten zu
können.
Die Reformen erstrecken sich auf fast alle
Bereiche – Wirtschaft, Sozialsysteme, Staats-
verwaltung, Kultur, Justiz und Militär. Dies ist
die dritte umfangreiche Reform, seit Deng
Xiaoping dieTür Chinas Ende der 1970er
Jahre nach außen geöffnet hatte: Die erste
Reformphase begann Anfang der 1980er
Jahre, als dieVolkskommunen aufgelöst
wurden und die Bauern ihre eigenen
Äcker bestellen konnten. Die zweite war
Anfang der 1990er Jahre unter der Füh-
rung von Staatspräsident Jiang Zemin und
Premierminister Zhu Rongji; die meisten
Staatsunternehmen wurden in den Markt
entlassen, das Staatsfinanzsystem neu
geordnet.
— Es handelt sich ohne jeden Zweifel
um ein sehr ambitioniertes Reformpro-
gramm. Ob alle Reformschritte erfolg-
reich durchgeführt werden können, bleibt
vorläufig offen. Dennoch ist interessant
zu fragen, warum die chinesische Regie-
rung so ein umfangreiches Programm
vorgestellt hat. Das hat wohl sehr viel
mit der neuen Regierung zu tun. Der
neue Staatspräsident Xi Jinping ist ein
sehr ambitionierter Mensch. Er will den
»chinesischenTraum« in seiner Amts-
zeit, die noch etwa neun Jahre dauern
wird, verwirklicht sehen.Was dieser
Traum beinhaltet, ist bis heute nicht ganz
konkretisiert worden, seit er Anfang 2013
der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Er
wird ungefähr so verstanden, dass China
sowohl wirtschaftlich als auch politisch
ein starkes Land sein soll.
— Wie können die Reformen helfen, die
Ziele zu erreichen? Das soll hier anhand
der Reform der Staatsunternehmen
sowie der Sozialreform erläutert werden.
Die Staatsunternehmen dominieren die
Wirtschaft nicht mehr so wie noch in
den 1980er Jahren. Allerdings sind sie fast
ausnahmslos die größten Unternehmen
in ihren Branchen. Beim Reformprozess
DR. ASOKA WÖHRMANN
Co-Chief Investment Officer
Deutsche Asset & Wealth Management
Tel.: +49 (0)69 9101-8500
Der schlafende
Löwe erwacht wieder
40
W E RT E / N ° 10 – 2014
Innovationen und Reformen können China neues Wachstum
bescheren. Eine Analyse von Asoka Wöhrmann
41
STRATEGIEN & MÄRKTE / DR. ASOKA WÖHRMANN
müssen sie zwei Fragen beantworten:
1. Sind sie strategisch wichtig für China?
2. Operieren sie auf einem Markt mit
dem Charakter eines natürlichen Mono-
pols? Ziel ist: Alle Unternehmen sollen
in den Markt entlassen werden, die für
China nicht strategisch wichtig sind und
deren Produktmarkt kompetitiv ist.
Es wird allerdings keine großangelegte
Privatisierung der Staatsunternehmen
geben. China geht einen anderen Weg
als etwa Osteuropa vor 20 Jahren. Chi-
nas Weg lautet »Let the private grow«.
Falls die privaten Unternehmen wirklich
effizienter sind, so werden sie schneller
wachsen undTalente aus den Staatsun-
ternehmen anlocken, so dass am Ende
die Staatsunternehmen keine Rolle mehr
spielen. Dabei vermeidet man soziale
Spannungen bei den mächtigen Beschäf-
tigten der Staatsunternehmen. Sicherlich
wird es aber nicht abgelehnt, wenn ein
privates Unternehmen ein Staatsunter-
nehmen übernimmt oder sich beteiligt.
— Bei der Sozialreform müssen zwei
Fragen beantwortet werden:
1. Wie kann das Wachstumspotenzial
auf hohem Niveau gehalten werden?
2. Wie kann das soziale Sicherungs-
system nachhaltig gestaltet werden?
Aufgrund der Ein-Kind-Politik steht
China vor gewaltigen Problemen – der
Überalterung der Gesellschaft. Da das
Renteneintrittsalter für Frauen bei 55 und
für Männer bei 60 Jahren liegt, wird es nicht
schwierig, es auf 60 bzw. 65 anzuheben, zu-
mal die Lebenserwartung auf ein ähnliches
Niveau wie in westlichen Industrieländern
gestiegen ist.
Eine Alternative, das Angebot von Beschäf-
tigten relativ konstant zu halten, ist die
Aufgabe der Ein-Kind-Politik. Es dauert zwar
einige Zeit, bis die Kinder aufgewachsen
sind.Wird das Renteneintrittsalter aber nur
allmählich angehoben, muss es nicht dazu
kommen, dass das Angebot von Arbeit in
der Übergangszeit kleiner wird. Die Ein-
Kind-Politik wird seit Anfang 2014 durch die
Politik der Zwei-Kinder-Familie ersetzt. Es
muss dabei jedoch nicht befürchtet werden,
dass der Lebensstandard der Familien
sinkt, weil die Ein-Kind-Politik nicht nur das
Bevölkerungswachstum in den letzten 20
Jahren auf null reduziert, sondern auch den
privaten Haushalten erlaubt hat,Vermögen
aufzubauen. Auch wenn die Reformen
erfolgreich sein sollten und die Effizienz der
Wirtschaft gesteigert werden kann, muss
das nicht bedeuten, dass das Wachstum für
längere Zeit hoch gehalten werden kann,
denn momentan wird es überwiegend
durch Investitionen getragen.
— Folgende Aspekte sind entscheidend für
nachhaltiges Wachstum:
1. Der Urbanisierungsprozess, der in den
letzten 15 Jahren jährlich ca. 18 Millionen
Menschen vom Land in die Städte ge-
führt hat, geht wahrscheinlich für weitere
20 Jahre weiter, da der Urbanisierungs-
grad in China erst bei 53 Prozent
liegt. Damit verbunden sind enorme
Investitionen in Infrastruktur, Bildung,
Wohnungsbau und Soziales. Das sorgt
für hohes Potenzialwachstum.
2. Die chinesische Wirtschaft befindet
sich in einer Phase des Übergangs, wobei
der Haupttreiber des Wachstums von
Investitionen auf Konsum übergeht.
Dabei sind Maßnahmen zu nennen wie
der Aufbau eines umfangreichen sozialen
Sicherungssystems, Umverteilung von
Kapital zu Arbeit, das heißt: Lohner-
höhungen sowie die Politik der Zwei-
Kinder-Familie.
3. Häufig wird in der Diskussion
nicht erwähnt, dass China vor einem
Innovationsschub steht. Dieses Jahr
verlassen etwa sieben Millionen Absol-
venten die Hochschulen. Das ändert sich
auch in den kommenden Jahren nur ge-
ringfügig. Ferner sind in den letzten fünf
Jahren rund eine Million Fachkräfte aus
dem Ausland nach China zurückgekehrt,
was der Wirtschaft hilft. Das ist bereits
bei Patentanmeldungen zu sehen – sie
steigen seit 2008 jährlich um ca. 30 Pro-
zent. Innovationen und neue Produkte
werden also zur treibenden Kraft.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass
die Aussichten für China sehr gut sind,
sofern die Reformmaßnahmen annähernd
erfolgreich durchgeführt werden können.
Investitionen werden effizienter aufgrund
der Reform der Staatsunternehmen, so
dass sich die Profitabilität der Unterneh-
men stark verbessern sollte. Die Umwelt
wird schonender und nachhaltiger behan-
delt. Das Wachstumspotenzial wird länger
auf hohem Niveau bleiben, so dass der
Aufstieg zur größten Weltwirtschafts-
macht früher als 2020 kommt – so wie
es die chinesische Regierung prognos-
tiziert hat.
CHINA NIMMT FAHRT AUF.
Die Abkehr von der Ein-Kind-
Politik, Stärkung des Konsums
und Reformen können für
neues Wachstum sorgen. Das
Bild entstand auf der Luxus-
messe »Hainan Rendez-Vous«.
Fotos: Deutsche Bank; Gladieu/Figarophoto/laif
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  • 2. 4 W E RT E / N ° 10 – 2014 55 28 SIMONE BAGEL-TRAH steht im Zentrum des Kraftwerks West – als Aufsichtsratsvorsitzende der Henkel AG gibt sie dem Konzern und der WERTE-Region wichtige Impulse. INNOVATIVE BAUSTOFFE verändern die Welt. Wie Architekten die Zukunft des Wohnens planen. Fotos: Dorothea Schmid (Titel); Henkel; action press 5 INHALT Innovation WERTE N°10 – 2014 Geist GesellschaftGeld Werte Regional 52 – 69 / EINE REISE IN DAS KRAFTWERK WEST Die Region zwischen Köln, Düsseldorf,Wuppertal und Essen gilt als Kerngebiet des europäischen Wirtschafts- raums. Auf 18 Seiten präsen- tiert WERTE Menschen, In- stitutionen und Unternehmen, die die Region stark machen. 6 / »VOR DRAMATISCHEN VERÄNDERUNGEN« Michele Faissola, Leiter Deut- sche Asset & Wealth Manage- ment, über Innovationen und die Bank der Zukunft. 8 / MENSCHEN & INNOVATIONEN Von Catherine von Fürsten- berg-Dussmann über Catharina van Delden und Christoph Niemann bis zuTina Müller. 11 / WACHT AUF, VERKANNTE DIESER ERDE Ein Essay des Zukunftsforschers Matthias Horx über den Sieges- zug der Kreativen Klasse. 12 / REISE INS SILICON VALLEY Vom Start-up zum Weltkon- zern – eine WERTE-Reportage aus demTal der Kreativen. 36 / ERLEBNIS KUNST Prof. Christoph Stölzl im Gespräch mit Max Hollein über den Wert der Museen für die Gesellschaft. 78 / TRESOR – MENSCHEN, MARKEN & MYTHEN Große Geister, Ideen, Waren und Werke, die es wert sind, bewahrt zu werden. 22 / YES, WE CAN! Wohin steuern die USA? Ein Bericht zur Lage der Nation. 25 / PARTNER DER NÄCHSTEN GENERATION Junge Unternehmer und ihre Bedeutung für die Gesellschaft. 26 / »WIR GEHEN DA HIN, WO NOCH KEINER IST« Der Internet-Unternehmer Oliver Samwer und seine Strategien. 39 / STRATEGIEN & MÄRKTE Experten von Deutsche Asset & Wealth Management über die Zukunft Chinas und professio- nelle Risikosteuerung. 51 / TIEF IM WESTEN Uwe Bork, Leiter Strategische Kunden Westdeutschland, über die Region Rhein-Ruhr. 75 / DAS EINMALEINS DER CASH-ANLAGE Über Chancen und Risiken im Umgang mit hoher Liquidität. 82 / SPITZENREITER WEALTH MANAGEMENT Euromoney-Auszeichnung als »Best Private Bank«. »Eleganz, Effizienz und der ökonomische Umgang mit Ressourcen sind mir wichtig.« CHRISTOPH INGENHOVEN (S.28) Das Magazin für Geist, Geld & Gesellschaft N° 10 – 2014 28 / ZUKUNFT DES BAUENS Wie neue Baustoffe das Bild unserer Städte verändern. 42 / »DER GEWINN KOMMT ZUM SCHLUSS« Wie der König der Drogerie- Discounter Götz Werner die Gesellschaft verändern will. 44 / GEMEINSAM NUTZEN STATT ALLEIN BESITZEN Wie die Share Economy die Gesellschaft verändert und der Wirtschaft neue Impulse gibt. 46 / WELTMACHT FUSSBALL Werte-Gespräch mit Borussia- Dortmund-Manager Hans- Joachim Watzke über das Ge- schäft mit dem Fußball. 70 / TRÄUMER UND REALIST Gewinne machen und Gutes tun – das Erfolgsrezept des Philosophen und Unterneh- mers Brunello Cucinelli. 76 / WIR ZEIGEN VERANTWORTUNG Mitarbeiter des Wealth Management helfen in Boli- vien; 25 Jahre Partnerschaft Deutsche Bank und Berliner Philharmoniker. WERTE NO 10 Der Titel zeigt den Stararchitekten Christoph Ingenhoven.Wie der Düsseldorfer die Zukunft des Bauens sieht, lesen Sie ab Seite 28. = Experten von Deutsche Asset & Wealth Management geben Antworten.
  • 3. 4 W E RT E / N ° 10 – 2014 55 28 SIMONE BAGEL-TRAH steht im Zentrum des Kraftwerks West – als Aufsichtsratsvorsitzende der Henkel AG gibt sie dem Konzern und der WERTE-Region wichtige Impulse. INNOVATIVE BAUSTOFFE verändern die Welt. Wie Architekten die Zukunft des Wohnens planen. Fotos: Dorothea Schmid (Titel); Henkel; action press 5 INHALT Innovation WERTE N°10 – 2014 Geist GesellschaftGeld Werte Regional 52 – 69 / EINE REISE IN DAS KRAFTWERK WEST Die Region zwischen Köln, Düsseldorf,Wuppertal und Essen gilt als Kerngebiet des europäischen Wirtschafts- raums. Auf 18 Seiten präsen- tiert WERTE Menschen, In- stitutionen und Unternehmen, die die Region stark machen. 6 / »VOR DRAMATISCHEN VERÄNDERUNGEN« Michele Faissola, Leiter Deut- sche Asset & Wealth Manage- ment, über Innovationen und die Bank der Zukunft. 8 / MENSCHEN & INNOVATIONEN Von Catherine von Fürsten- berg-Dussmann über Catharina van Delden und Christoph Niemann bis zuTina Müller. 11 / WACHT AUF, VERKANNTE DIESER ERDE Ein Essay des Zukunftsforschers Matthias Horx über den Sieges- zug der Kreativen Klasse. 12 / REISE INS SILICON VALLEY Vom Start-up zum Weltkon- zern – eine WERTE-Reportage aus demTal der Kreativen. 36 / ERLEBNIS KUNST Prof. Christoph Stölzl im Gespräch mit Max Hollein über den Wert der Museen für die Gesellschaft. 78 / TRESOR – MENSCHEN, MARKEN & MYTHEN Große Geister, Ideen, Waren und Werke, die es wert sind, bewahrt zu werden. 22 / YES, WE CAN! Wohin steuern die USA? Ein Bericht zur Lage der Nation. 25 / PARTNER DER NÄCHSTEN GENERATION Junge Unternehmer und ihre Bedeutung für die Gesellschaft. 26 / »WIR GEHEN DA HIN, WO NOCH KEINER IST« Der Internet-Unternehmer Oliver Samwer und seine Strategien. 39 / STRATEGIEN & MÄRKTE Experten von Deutsche Asset & Wealth Management über die Zukunft Chinas und professio- nelle Risikosteuerung. 51 / TIEF IM WESTEN Uwe Bork, Leiter Strategische Kunden Westdeutschland, über die Region Rhein-Ruhr. 75 / DAS EINMALEINS DER CASH-ANLAGE Über Chancen und Risiken im Umgang mit hoher Liquidität. 82 / SPITZENREITER WEALTH MANAGEMENT Euromoney-Auszeichnung als »Best Private Bank«. »Eleganz, Effizienz und der ökonomische Umgang mit Ressourcen sind mir wichtig.« CHRISTOPH INGENHOVEN (S.28) Das Magazin für Geist, Geld & Gesellschaft N° 10 – 2014 28 / ZUKUNFT DES BAUENS Wie neue Baustoffe das Bild unserer Städte verändern. 42 / »DER GEWINN KOMMT ZUM SCHLUSS« Wie der König der Drogerie- Discounter Götz Werner die Gesellschaft verändern will. 44 / GEMEINSAM NUTZEN STATT ALLEIN BESITZEN Wie die Share Economy die Gesellschaft verändert und der Wirtschaft neue Impulse gibt. 46 / WELTMACHT FUSSBALL Werte-Gespräch mit Borussia- Dortmund-Manager Hans- Joachim Watzke über das Ge- schäft mit dem Fußball. 70 / TRÄUMER UND REALIST Gewinne machen und Gutes tun – das Erfolgsrezept des Philosophen und Unterneh- mers Brunello Cucinelli. 76 / WIR ZEIGEN VERANTWORTUNG Mitarbeiter des Wealth Management helfen in Boli- vien; 25 Jahre Partnerschaft Deutsche Bank und Berliner Philharmoniker. WERTE NO 10 Der Titel zeigt den Stararchitekten Christoph Ingenhoven.Wie der Düsseldorfer die Zukunft des Bauens sieht, lesen Sie ab Seite 28. = Experten von Deutsche Asset & Wealth Management geben Antworten.
  • 4. »Uns stehen dramatische Veränderungen bevor« 6 und Begeisterung ihren Aufgaben nachgehen, wenn sie ihr Tun und ihre Arbeitsprozesse permanent hinterfra- gen, und zwar um Mehrwert zu schaffen. Das Ergebnis können neue Produkte sein, aber eben auch neue Prozesse oder eine neue Herangehensweise an alte Probleme. In- novation ist für uns vor allem dann ein Erfolg, wenn sie Wert für unsere Kunden schafft. Was die Finanzbranche angeht: Wir haben in den vergangenen 200 Jahren viele dramatische Veränderungen gesehen. Und in den kom- menden zehn Jahren stehen uns noch dramatische Ver- änderungen bevor. Woran denken Sie dabei? Erstens: Die Bank als Gebäude aus Backsteinen und Ze- ment ist nicht mehr wichtig. Viele Kunden erzählen mir W E RT E / N ° 10 – 2014 Ein Gespräch mit Michele Faissola über Innovation, Kunden- beratung nach Maß und die Bank der Zukunft. — Herr Faissola, diese WERTE-Ausgabe steht unter dem Begriff »Innovation«.Was verstehen Sie darunter? Innovationen sind Entwicklungen und Entdeckungen, die das Leben der Menschen zum Positiven verändern. Wir können dabei an große Erfindungen wie das Rad, das Peni- cillin oder auch so etwas auf den ersten Blick Schlichtes wie den Reißverschluss denken.Aber das sind jetzt nur die sehr greifbaren Verbesserungen. Innovationen können auch neue Ideen, neue Gedanken sein, die die Welt verändern. Welchen Stellenwert haben Innovationen in der Finanz- branche? Innovation wird in dieser Branche häufig nur als Synonym für neue Produkte verwendet, aber das greift viel zu kurz. Innovationen entstehen, wenn Menschen mit Neugierde TEXT CHRISTIANE OPPERMANN Foto: Deutsche Bank 7 schon heute, dass sie seit Jahren keine Bank betreten ha- ben. Die Interaktion wird künftig also noch mehr auf elek- tronischen Kommunikationswegen stattfinden. Das wird Auswirkungen auf die Organisation haben. Zweitens: Das Wissen der Kunden nimmt zu, die Art, wie sich Kunden über Kapitalmärkte und Dienstleistungen informieren, verändert sich. Auch das hat Folgen für die Aufstellung der Bank. Wenn wir den Anspruch haben, dass das Kun- deninteresse für uns an erster Stelle steht, müssen wir diesen Weg nicht nur mitgehen, sondern müssen ihn mit- gestalten. Wir müssen und wollen auch mehr sein als der reine Vermittler von Geldanlageprodukten: Wir sind der vertrauenswürdige Partner in allen finanziellen Angele- genheiten. Drittens: Unser Geschäft wird noch globaler, die Unterschiede zwischen Kunden in den USA, in Asien oder in Deutschland werden schwinden. Wenn eine globalisierte Kundschaft entsteht, die Erwar- tungen und Überzeugungen teilt, wird Ihre Aufgabe da- durch leichter? Ja und nein. Die Globalisierung fängt heute schon im Kin- desalter an. Die Kinder unserer Kunden wachsen selten dort auf, wo sie geboren wurden. Sie lernen früh, sich in unterschiedlichen Kulturen zu bewegen. Ihr Wertesys- tem, ihr Verständnis von der Welt und die Akzeptanz von Technologien werden sich durch die Erziehung in inter- nationalen Schulen und Universitäten angleichen. Aber gewisse kulturelle Eigenheiten werden immer bleiben. Lernen Sie Kunden oft persönlich kennen? Ich nutze jede Möglichkeit, um mit unseren Kunden ins Gespräch zu kommen. Wir können unsere Aufgaben nur dann gut machen, wenn wir genau wissen, was der Kunde will. Um mit meinen Kollegen und Mitarbeitern unsere Dienstleistung permanent zu verbessern, brauche ich un- gefilterte Informationen direkt von unseren Kunden, und darauf lege ich großen Wert. Welche Bedeutung haben Innovationen für Ihre Kunden? Wir haben vor zwei Jahren das Deutsche Asset & Wealth Management mit dem Versprechen gegründet, einen Premiumservice für unsere Kunden weltweit anzubie- ten. Wir haben die Farbe Platin bewusst gewählt, weil sie für einen hohen Anspruch steht, den wir jeden Tag von Neuem für unsere Kunden erfüllen müssen. Das bedeutet natürlich, dass wir kontinuierlich in unsere Technologie und unsere Mitarbeiter investieren, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Dabei spielen Innovationen eine ent- scheidende Rolle. Wir hinterfragen uns, unsere Prozesse, unsere Arbeit permanent – immer vor dem Hintergrund: Wie können wir besser werden? Welche Innovationen helfen uns und vor allem den Kunden weiter? Wir wer- den also dort innovativ sein, wo es dem Kunden nützt, wo die Innovation Mehrwert schafft. Das bedeutet nicht Produktinnovation um jeden Preis, das bedeutet kontinu- ierliche Verbesserung und Innovation auf allen Ebenen für das bestmögliche Ergebnis. Geht es um mehr Sicherheit und weniger Risiko? Heute ist es kaum noch möglich, Risiken komplett auszu- schalten, so etwas wie den risikolosen Zins gibt es nicht mehr. Wer sein Geld nicht verlieren will, muss ins Risiko gehen – aber eben mit Augenmaß. Wir als Asset Manager sind deshalb in erster Linie Risikomanager. Wir sind mit dem Kunden auf einem gemeinsamen Weg: Wir managen sein Geld, managen seine Sicherheit, managen sein Risi- ko. Dabei hängt übrigens die Bereitschaft eines individu- ellen Klienten, Risiken einzugehen, von vielen Faktoren ab: Alter oder kulturelle Prägung spielen zum Beispiel eine Rolle. Auch die Frage danach, ob es Vermögen der ersten Generation ist oder ob es Geld ist, das schon lange in der Familie ist, spielt eine Rolle. Jüngere Klienten sind oft eher bereit, für höhere Renditen auch mal ein höheres Risiko in Kauf zu nehmen – weil sie wissen, dass sie noch genug Zeit haben, eventuelle Einbußen wieder auszuglei- chen. Kunden in Lateinamerika oder Asien schauen mehr auf die Rendite und nehmen einen Ausrutscher auch mal gelassener hin. Bei altem Geld spielen Erhalt und Nach- folgeregelungen eine stärkere Rolle. Können Innovationsprozesse in der Wirtschaft durch Fi- nanzierung innovativer Unternehmen gesteuert werden? Wir sind ein Treuhänder, uns sind fast eine Billion Euro anvertraut. Dieses Geld legen wir verantwortlich an. Was entscheidend dabei ist: Wir als Asset Manager investieren in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit. Deshalb erhalten zukunftsträchtige und innovative Unternehmen von uns natürlich Geld. Denn wir sind nicht nur bereit für die Zukunft, wir wollen sie aktiv mitgestalten. Was man in diesem Zusammenhang nicht vergessen darf: Als Finanzintermediär haben wir auch eine gesellschaftliche Aufgabe, nämlich das Geld dort zu investieren, wo es Nutzen für die Gesellschaft hat – und wo Nutzen ist, ist langfristig auch Rendite. — Der 45-Jährige hat in Mailand studiert und arbeitet seit 1995 für die Deutsche Bank in London.Ab 2003 hat er als Chef der Abteilung Global Rates dazu beigetragen, die Deutsche Bank als eine der führenden globalen Investment- banken zu positionieren. Seit Juni 2012 ist er Leiter Deutsche Asset & Wealth Management und Mitglied des Group Executive Committee der Deutschen Bank. Michele Faissola ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. ZUR PERSON MICHELE FAISSOLA GESPRÄCH / MICHELE FAISSOLA
  • 5. »Uns stehen dramatische Veränderungen bevor« 6 und Begeisterung ihren Aufgaben nachgehen, wenn sie ihr Tun und ihre Arbeitsprozesse permanent hinterfra- gen, und zwar um Mehrwert zu schaffen. Das Ergebnis können neue Produkte sein, aber eben auch neue Prozesse oder eine neue Herangehensweise an alte Probleme. In- novation ist für uns vor allem dann ein Erfolg, wenn sie Wert für unsere Kunden schafft. Was die Finanzbranche angeht: Wir haben in den vergangenen 200 Jahren viele dramatische Veränderungen gesehen. Und in den kom- menden zehn Jahren stehen uns noch dramatische Ver- änderungen bevor. Woran denken Sie dabei? Erstens: Die Bank als Gebäude aus Backsteinen und Ze- ment ist nicht mehr wichtig. Viele Kunden erzählen mir W E RT E / N ° 10 – 2014 Ein Gespräch mit Michele Faissola über Innovation, Kunden- beratung nach Maß und die Bank der Zukunft. — Herr Faissola, diese WERTE-Ausgabe steht unter dem Begriff »Innovation«.Was verstehen Sie darunter? Innovationen sind Entwicklungen und Entdeckungen, die das Leben der Menschen zum Positiven verändern. Wir können dabei an große Erfindungen wie das Rad, das Peni- cillin oder auch so etwas auf den ersten Blick Schlichtes wie den Reißverschluss denken.Aber das sind jetzt nur die sehr greifbaren Verbesserungen. Innovationen können auch neue Ideen, neue Gedanken sein, die die Welt verändern. Welchen Stellenwert haben Innovationen in der Finanz- branche? Innovation wird in dieser Branche häufig nur als Synonym für neue Produkte verwendet, aber das greift viel zu kurz. Innovationen entstehen, wenn Menschen mit Neugierde TEXT CHRISTIANE OPPERMANN Foto: Deutsche Bank 7 schon heute, dass sie seit Jahren keine Bank betreten ha- ben. Die Interaktion wird künftig also noch mehr auf elek- tronischen Kommunikationswegen stattfinden. Das wird Auswirkungen auf die Organisation haben. Zweitens: Das Wissen der Kunden nimmt zu, die Art, wie sich Kunden über Kapitalmärkte und Dienstleistungen informieren, verändert sich. Auch das hat Folgen für die Aufstellung der Bank. Wenn wir den Anspruch haben, dass das Kun- deninteresse für uns an erster Stelle steht, müssen wir diesen Weg nicht nur mitgehen, sondern müssen ihn mit- gestalten. Wir müssen und wollen auch mehr sein als der reine Vermittler von Geldanlageprodukten: Wir sind der vertrauenswürdige Partner in allen finanziellen Angele- genheiten. Drittens: Unser Geschäft wird noch globaler, die Unterschiede zwischen Kunden in den USA, in Asien oder in Deutschland werden schwinden. Wenn eine globalisierte Kundschaft entsteht, die Erwar- tungen und Überzeugungen teilt, wird Ihre Aufgabe da- durch leichter? Ja und nein. Die Globalisierung fängt heute schon im Kin- desalter an. Die Kinder unserer Kunden wachsen selten dort auf, wo sie geboren wurden. Sie lernen früh, sich in unterschiedlichen Kulturen zu bewegen. Ihr Wertesys- tem, ihr Verständnis von der Welt und die Akzeptanz von Technologien werden sich durch die Erziehung in inter- nationalen Schulen und Universitäten angleichen. Aber gewisse kulturelle Eigenheiten werden immer bleiben. Lernen Sie Kunden oft persönlich kennen? Ich nutze jede Möglichkeit, um mit unseren Kunden ins Gespräch zu kommen. Wir können unsere Aufgaben nur dann gut machen, wenn wir genau wissen, was der Kunde will. Um mit meinen Kollegen und Mitarbeitern unsere Dienstleistung permanent zu verbessern, brauche ich un- gefilterte Informationen direkt von unseren Kunden, und darauf lege ich großen Wert. Welche Bedeutung haben Innovationen für Ihre Kunden? Wir haben vor zwei Jahren das Deutsche Asset & Wealth Management mit dem Versprechen gegründet, einen Premiumservice für unsere Kunden weltweit anzubie- ten. Wir haben die Farbe Platin bewusst gewählt, weil sie für einen hohen Anspruch steht, den wir jeden Tag von Neuem für unsere Kunden erfüllen müssen. Das bedeutet natürlich, dass wir kontinuierlich in unsere Technologie und unsere Mitarbeiter investieren, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Dabei spielen Innovationen eine ent- scheidende Rolle. Wir hinterfragen uns, unsere Prozesse, unsere Arbeit permanent – immer vor dem Hintergrund: Wie können wir besser werden? Welche Innovationen helfen uns und vor allem den Kunden weiter? Wir wer- den also dort innovativ sein, wo es dem Kunden nützt, wo die Innovation Mehrwert schafft. Das bedeutet nicht Produktinnovation um jeden Preis, das bedeutet kontinu- ierliche Verbesserung und Innovation auf allen Ebenen für das bestmögliche Ergebnis. Geht es um mehr Sicherheit und weniger Risiko? Heute ist es kaum noch möglich, Risiken komplett auszu- schalten, so etwas wie den risikolosen Zins gibt es nicht mehr. Wer sein Geld nicht verlieren will, muss ins Risiko gehen – aber eben mit Augenmaß. Wir als Asset Manager sind deshalb in erster Linie Risikomanager. Wir sind mit dem Kunden auf einem gemeinsamen Weg: Wir managen sein Geld, managen seine Sicherheit, managen sein Risi- ko. Dabei hängt übrigens die Bereitschaft eines individu- ellen Klienten, Risiken einzugehen, von vielen Faktoren ab: Alter oder kulturelle Prägung spielen zum Beispiel eine Rolle. Auch die Frage danach, ob es Vermögen der ersten Generation ist oder ob es Geld ist, das schon lange in der Familie ist, spielt eine Rolle. Jüngere Klienten sind oft eher bereit, für höhere Renditen auch mal ein höheres Risiko in Kauf zu nehmen – weil sie wissen, dass sie noch genug Zeit haben, eventuelle Einbußen wieder auszuglei- chen. Kunden in Lateinamerika oder Asien schauen mehr auf die Rendite und nehmen einen Ausrutscher auch mal gelassener hin. Bei altem Geld spielen Erhalt und Nach- folgeregelungen eine stärkere Rolle. Können Innovationsprozesse in der Wirtschaft durch Fi- nanzierung innovativer Unternehmen gesteuert werden? Wir sind ein Treuhänder, uns sind fast eine Billion Euro anvertraut. Dieses Geld legen wir verantwortlich an. Was entscheidend dabei ist: Wir als Asset Manager investieren in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit. Deshalb erhalten zukunftsträchtige und innovative Unternehmen von uns natürlich Geld. Denn wir sind nicht nur bereit für die Zukunft, wir wollen sie aktiv mitgestalten. Was man in diesem Zusammenhang nicht vergessen darf: Als Finanzintermediär haben wir auch eine gesellschaftliche Aufgabe, nämlich das Geld dort zu investieren, wo es Nutzen für die Gesellschaft hat – und wo Nutzen ist, ist langfristig auch Rendite. — Der 45-Jährige hat in Mailand studiert und arbeitet seit 1995 für die Deutsche Bank in London.Ab 2003 hat er als Chef der Abteilung Global Rates dazu beigetragen, die Deutsche Bank als eine der führenden globalen Investment- banken zu positionieren. Seit Juni 2012 ist er Leiter Deutsche Asset & Wealth Management und Mitglied des Group Executive Committee der Deutschen Bank. Michele Faissola ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. ZUR PERSON MICHELE FAISSOLA GESPRÄCH / MICHELE FAISSOLA
  • 6. IM TAL DER KREATIVEN12 W E RT E / N ° 10 – 2014 TEXT KARSTEN LEMM FOTOS ARMIN SMAILOVIC DOLORES PARK mit Ausblick auf San Francisco. Junge Kreative aus der ganzen Welt suchen ihr Glück hier an der Westküste der USA. LÄNDERREPORT / USA Silicon Valley – eine Reise ins Mekka der Start-ups, auf der Suche nach den Ideen von morgen. WERTE sprach mit Experten und jungen Unternehmern über das Wachstumswunder Amerika. 13
  • 7. IM TAL DER KREATIVEN12 W E RT E / N ° 10 – 2014 TEXT KARSTEN LEMM FOTOS ARMIN SMAILOVIC DOLORES PARK mit Ausblick auf San Francisco. Junge Kreative aus der ganzen Welt suchen ihr Glück hier an der Westküste der USA. LÄNDERREPORT / USA Silicon Valley – eine Reise ins Mekka der Start-ups, auf der Suche nach den Ideen von morgen. WERTE sprach mit Experten und jungen Unternehmern über das Wachstumswunder Amerika. 13
  • 8. DUNCAN LOGAN hat in San Francisco eine Wohngemein- schaft für Start-ups eingerichtet. 1414 KREATIVZONE. Neben Computer und schneller Datenleitung brauchen die Gründer viel Raum zur Entspan- nung und Entfaltung. 1515
  • 9. DUNCAN LOGAN hat in San Francisco eine Wohngemein- schaft für Start-ups eingerichtet. 1414 KREATIVZONE. Neben Computer und schneller Datenleitung brauchen die Gründer viel Raum zur Entspan- nung und Entfaltung. 1515
  • 10. 16 W E RT E / N ° 10 – 2014 Heute ist ein guter Tag. Die Telefonkonferenz vorhin mit der internationalen Hotelkette hätte gar nicht besser laufen können. Die Manager waren begeistert von der neuen »Kit«- Version, mit etwas Glück werden sie unterschreiben. Michael Perry lehnt sich zurück und bestellt ein Bier. Das kommt nicht oft vor. Freitagabende verbringt er meist vor dem Rechner im Büro. Heute hat er sich Zeit genommen, um in dieser Bar auf den Geburtstag eines Freundes anzustoßen. Gleich wird seine Frau vorbeischauen, so können sie ein wenig freie Zeit mitein- ander verbringen. Der pure Luxus. Eigentlich hätte Perry, 28, sich längst zurücklehnen, das kalifornische Leben genießen können. Aufgewachsen in Oak- land, gegenüber der Hightech-Pilgerstätte San Francisco, er- wies er sich nach der Schule als begabter Autoverkäufer. Statt zur Uni zu gehen, fand Perry fleißig neue Fans für Audi. Schnell bot sich ihm ein Leben, nach dem sich andere sehnen. Trotzdem war Perry unglücklich. »Ich kam mir vor wie ein Ro- boter. Ein Tag wie der andere, keine Herausforderungen, keine Erfüllung.« Dann lieber leiden im Dienste der Zukunft. Mit seinem Start-up Kit CRM will Perry die Beziehungen zwischen Firmen und Kunden verbessern. Mehr als das – von Grund auf neu erfinden, revolutionieren geradezu. »Die größ- te Unbekannte in der Werbung ist Irrelevanz«, erklärt er. »Das eliminieren wir.« Seine Software analysiert die »Gefällt mir«- Klicks von Facebook-Nutzern, schaut sich an, wer besonders aktiv mit welchen Marken Verbindung hält, und errechnet daraus Werbestrategien für Unternehmen. Gerade hat er den ersten Investor gefunden. »Wir heben ab«, strahlt Perry. »Die Frage ist jetzt nur noch: Wie viel von der Welt können wir erobern?« Kleiner geht es nicht, darf es nicht gehen. Sonst müsste er gar nicht erst anfangen. Zu viele andere ringsherum träumen denselben Traum: San Francisco und das Silicon Valley erleben einen neuen Boom, so überschäumend, so betörend wie seit langem nicht mehr. Smartphones und Mobilsoftware, soziale Medien und die Datenwolken aus der »Cloud« füttern die In- novationsmaschine mit immer neuen Ideen, Start-ups und Er- folgsgeschichten. Facebook, Pinterest, Snapchat, Twitter – ein Jungstar nach dem anderen erobert in Rekordgeschwindigkeit die Welt, lässt etablierte Konkurrenten alt aussehen, gibt In- vestoren Hoffnung, mit ein paar hunderttausend Dollar, früh und richtig investiert, das große Los zu ziehen. Mehr als zwölf Milliarden Dollar pumpten Risikokapi- talgeber im vorigen Jahr ins Silicon Valley und finanzierten damit gut 1200 Deals, allein der Twitter-Börsengang hat über tausend neue Millionäre geschaffen. Rekorde, Rekorde. Man muss bis ans Ende des vorigen Jahrhunderts zurückgehen, zum ersten Internet-Goldrausch, um höhere Zahlen zu finden. »Doch im Augenblick ist dieser Boom noch weit schwächer«, sagt Duncan Logan mit Blick auf die ungestümen Dotcom- Jahre, in denen bis zu 33 Milliarden im Jahr ins Silicon Valley flossen – und, ganz wichtig, dieser Aufschwung stehe auf so- lidem Boden. »Im ersten Internet-Boom wetteten die Investo- ren vor allem auf Ideen«, sagt Logan, »diesmal setzen sie auf Dinge, die schon gezeigt haben, dass sie funktionieren.« Logan ist Gründer von Rocketspace, einem sogenann- ten Accelerator. Es gibt viele von ihnen, auch sie haben Kon- junktur. Sie funktionieren wie eine große WG: Mehr als 150 Start-ups teilen sich bei Rocketspace Ressourcen, die sie sich sonst nicht leisten könnten – von der 1A-Lage im Zentrum über Farblaserdrucker und Espressomaschinen bis zur ultra- schnellen Datenleitung, die jeden WG-Bewohner mit Gigabit- Geschwindigkeit insWWW aufbrechen lässt.800 Dollar kostet das Paket im Monat, pro Kopf und Schreibtisch.Wichtiger aber als Kaffee,Müsliriegel und die Standleitung ins Datennetz sind die persönlichen Verbindungen hier. Nur ein paar Schritte von Michael Perry entfernt sitzen die Gründer von »First Job«, die es Uni-Absolventen leichter machen wollen, direkt nach dem Abschluss ihren Traumjob zu finden. Weiter hinten werkeln junge Dänen an ihrem »Crowdcurity«-Konzept, das Websei- ten sicherer machen soll, indem Firmen Hacker anheuern, Lü- cken in ihrem System zu finden. Und so unterschiedlich die Ideen der Jungunternehmer sein mögen, die sich unter diesem Dach versammeln – sie alle machen Erfahrungen, die sie aus- tauschen, geben sich Tipps fürs »Fundraising«, helfen sich auf dem Weg zu dem einen Ziel, das sie alle eint: Erfolg haben in einer Welt, die bisher noch nichts von ihnen weiß. Tracey Grose sieht darin eine typische Stärke des Silicon Valley – diese Bereitschaft, Wissen zu teilen und zu koope- rieren, selbst wenn man in mancher Hinsicht im Wettbewerb stehen mag. »Im Silicon Valley herrscht eine grundsätzliche H MICHAEL PERRY und seine Frau Alex feiern in einer Bar den ersten Geschäftserfolg ihres Start-ups. ESSAY / RUBRIK XXX »Im ersten Internet- Boom wurde auf Ideen gewettet. Jetzt setzen die Investoren auf Dinge, die funktionieren.« DUNCAN LOGAN, ROCKETSPACE-GRÜNDER CHRISTIAN HANSEN will mit »Crowdcurity« und mit Hilfe von Hackern Webseiten von Unternehmen sicherer machen. 17
  • 11. 16 W E RT E / N ° 10 – 2014 Heute ist ein guter Tag. Die Telefonkonferenz vorhin mit der internationalen Hotelkette hätte gar nicht besser laufen können. Die Manager waren begeistert von der neuen »Kit«- Version, mit etwas Glück werden sie unterschreiben. Michael Perry lehnt sich zurück und bestellt ein Bier. Das kommt nicht oft vor. Freitagabende verbringt er meist vor dem Rechner im Büro. Heute hat er sich Zeit genommen, um in dieser Bar auf den Geburtstag eines Freundes anzustoßen. Gleich wird seine Frau vorbeischauen, so können sie ein wenig freie Zeit mitein- ander verbringen. Der pure Luxus. Eigentlich hätte Perry, 28, sich längst zurücklehnen, das kalifornische Leben genießen können. Aufgewachsen in Oak- land, gegenüber der Hightech-Pilgerstätte San Francisco, er- wies er sich nach der Schule als begabter Autoverkäufer. Statt zur Uni zu gehen, fand Perry fleißig neue Fans für Audi. Schnell bot sich ihm ein Leben, nach dem sich andere sehnen. Trotzdem war Perry unglücklich. »Ich kam mir vor wie ein Ro- boter. Ein Tag wie der andere, keine Herausforderungen, keine Erfüllung.« Dann lieber leiden im Dienste der Zukunft. Mit seinem Start-up Kit CRM will Perry die Beziehungen zwischen Firmen und Kunden verbessern. Mehr als das – von Grund auf neu erfinden, revolutionieren geradezu. »Die größ- te Unbekannte in der Werbung ist Irrelevanz«, erklärt er. »Das eliminieren wir.« Seine Software analysiert die »Gefällt mir«- Klicks von Facebook-Nutzern, schaut sich an, wer besonders aktiv mit welchen Marken Verbindung hält, und errechnet daraus Werbestrategien für Unternehmen. Gerade hat er den ersten Investor gefunden. »Wir heben ab«, strahlt Perry. »Die Frage ist jetzt nur noch: Wie viel von der Welt können wir erobern?« Kleiner geht es nicht, darf es nicht gehen. Sonst müsste er gar nicht erst anfangen. Zu viele andere ringsherum träumen denselben Traum: San Francisco und das Silicon Valley erleben einen neuen Boom, so überschäumend, so betörend wie seit langem nicht mehr. Smartphones und Mobilsoftware, soziale Medien und die Datenwolken aus der »Cloud« füttern die In- novationsmaschine mit immer neuen Ideen, Start-ups und Er- folgsgeschichten. Facebook, Pinterest, Snapchat, Twitter – ein Jungstar nach dem anderen erobert in Rekordgeschwindigkeit die Welt, lässt etablierte Konkurrenten alt aussehen, gibt In- vestoren Hoffnung, mit ein paar hunderttausend Dollar, früh und richtig investiert, das große Los zu ziehen. Mehr als zwölf Milliarden Dollar pumpten Risikokapi- talgeber im vorigen Jahr ins Silicon Valley und finanzierten damit gut 1200 Deals, allein der Twitter-Börsengang hat über tausend neue Millionäre geschaffen. Rekorde, Rekorde. Man muss bis ans Ende des vorigen Jahrhunderts zurückgehen, zum ersten Internet-Goldrausch, um höhere Zahlen zu finden. »Doch im Augenblick ist dieser Boom noch weit schwächer«, sagt Duncan Logan mit Blick auf die ungestümen Dotcom- Jahre, in denen bis zu 33 Milliarden im Jahr ins Silicon Valley flossen – und, ganz wichtig, dieser Aufschwung stehe auf so- lidem Boden. »Im ersten Internet-Boom wetteten die Investo- ren vor allem auf Ideen«, sagt Logan, »diesmal setzen sie auf Dinge, die schon gezeigt haben, dass sie funktionieren.« Logan ist Gründer von Rocketspace, einem sogenann- ten Accelerator. Es gibt viele von ihnen, auch sie haben Kon- junktur. Sie funktionieren wie eine große WG: Mehr als 150 Start-ups teilen sich bei Rocketspace Ressourcen, die sie sich sonst nicht leisten könnten – von der 1A-Lage im Zentrum über Farblaserdrucker und Espressomaschinen bis zur ultra- schnellen Datenleitung, die jeden WG-Bewohner mit Gigabit- Geschwindigkeit insWWW aufbrechen lässt.800 Dollar kostet das Paket im Monat, pro Kopf und Schreibtisch.Wichtiger aber als Kaffee,Müsliriegel und die Standleitung ins Datennetz sind die persönlichen Verbindungen hier. Nur ein paar Schritte von Michael Perry entfernt sitzen die Gründer von »First Job«, die es Uni-Absolventen leichter machen wollen, direkt nach dem Abschluss ihren Traumjob zu finden. Weiter hinten werkeln junge Dänen an ihrem »Crowdcurity«-Konzept, das Websei- ten sicherer machen soll, indem Firmen Hacker anheuern, Lü- cken in ihrem System zu finden. Und so unterschiedlich die Ideen der Jungunternehmer sein mögen, die sich unter diesem Dach versammeln – sie alle machen Erfahrungen, die sie aus- tauschen, geben sich Tipps fürs »Fundraising«, helfen sich auf dem Weg zu dem einen Ziel, das sie alle eint: Erfolg haben in einer Welt, die bisher noch nichts von ihnen weiß. Tracey Grose sieht darin eine typische Stärke des Silicon Valley – diese Bereitschaft, Wissen zu teilen und zu koope- rieren, selbst wenn man in mancher Hinsicht im Wettbewerb stehen mag. »Im Silicon Valley herrscht eine grundsätzliche H MICHAEL PERRY und seine Frau Alex feiern in einer Bar den ersten Geschäftserfolg ihres Start-ups. ESSAY / RUBRIK XXX »Im ersten Internet- Boom wurde auf Ideen gewettet. Jetzt setzen die Investoren auf Dinge, die funktionieren.« DUNCAN LOGAN, ROCKETSPACE-GRÜNDER CHRISTIAN HANSEN will mit »Crowdcurity« und mit Hilfe von Hackern Webseiten von Unternehmen sicherer machen. 17
  • 12. W E RT E / N ° 10 – 2014 »Der Wille zur Zusammenarbeit ist hier größer als an jedem anderen Ort der USA.« TRACEY GROSE, ÖKONOMIN AUSBLICK. Wenn die Ökono- min Tracey Grose aus dem Büro- fenster schaut, blickt sie auf eine einzigartige Wirt- schaft, die ständig im Wandel ist. 18 19 LÄNDERREPORT / USA Atmosphäre der Offenheit«, erklärt die Vizepräsidentin des Bay Area Council Economic Institute. »Der Wille zur Zusam- menarbeit ist weit größer als an anderen Orten.« Eine Reihe von Faktoren komme zusammen: gemeinsame Begeisterung für das Neue, relative Freiheit von historischen Normen im jungen Kalifornien, ein dichtes Geflecht aus Firmen, die alle von Innovationen leben. Vor allem aber eine beispiellose Viel- falt aus Menschen, Ideen und Kulturen, die das Tal einzigartig machen: »Diese Vielfalt bereitet den Boden für das Innovative, das nie Dagewesene, den ständigen, schnellen Wandel.« Andere möchten auch so sein. Immer wieder wird Grose, die lange in Deutschland gelebt hat, von Vertretern anderer Regionen gefragt: Wie schaffen wir es, auch so wie das Sili- con Valley zu werden? Doch Grose ist skeptisch: »Das Silicon Valley ist auf natürliche Art in seine Rolle hineingewachsen«, erklärt die 44-Jährige. Die Innovationsmaschine hatte jahrzehntelang Zeit, sich zu perfektionieren. Da sind die Elite-Unis Stanford und Berkeley. Die Geldgeber, die sich darauf spezialisiert haben, In- novationen im Embryostadium zu erkennen, um später Milliarden zu verdienen. Die Anwälte, Pro- grammierer und Vorstandschefs, die bereit sind, für den Bruchteil ihres Normaltarifs zu arbeiten, wenn sie im Gegenzug Firmenanteile bekommen, die – mit Glück – übermorgen Gold wert sein könnten. All das lebt obendrein vor allem von ei- nem kulturellen Element, das sich anderswo nicht einfach aus der Luft zaubern lässt. »Ein ganz wich- tiger Faktor«, sagt Grose, »ist die Bereitschaft, Ri- siken einzugehen. Diese Bereitschaft gibt es nicht in gleichem Maße im Rest der USA – und ganz sicher nicht in Europa.« Risiken gehen alle ein, die sich hier am Inno- vationswettlauf beteiligen: Uni-Absolventen, die lieber auf eigene Faust ihr Glück versuchen, statt sichere Karrierepfade einzuschlagen. Professoren, die ihren Einserkandidaten persönlich Anschubfi- nanzierung geben, sei es als »Angel«-Investoren mit dem Scheckbuch oder als Berater. Risikoka- pitalgeber, die Millionen investieren, ohne mehr gesehen zu haben als eine überzeugende Präsenta- tion oder einen Prototyp. Und nicht zuletzt Arme- en von hochqualifizierten Mitarbeitern, die bereit sind, ihren sicheren Job zu verlassen, um sich in das Start-up-Abenteuer zu stürzen. »Der große Unterschied zwischen dem Silicon Valley und dem Rest der Welt«, sagt Vineet Jain, ist: »Scheitern wird hier nicht als ruinöser Makel gesehen.« Jain, gebürtiger Inder, kam 1993 nach Kalifornien. Im Dotcom-Boom gründete der ge- lernte Programmierer mit Freunden eine Firma, die Business-Software entwickelte, aber nie recht flügge wurde. 2005 musste das Start-up verkauft werden. Noch neun Jahre später merkt man ihm an, dass die Erfahrung geschmerzt hat. Er spricht vom Versagen, von Demut. Aber auch vom un- bedingten Willen, nicht aufzugeben, es trotzdem zu schaffen – wenn nicht im ersten Anlauf, dann eben im zweiten. Jain sitzt in seinem Büro in Mountain View, nicht weit von Google und Facebook entfernt. Die Wände sind frisch gestrichen, zusammengefaltete Umzugskartons, gleich neben dem Mountain Bike in der Ecke, führen vor Augen, dass seine Firma Egnyte gerade erst eingezogen ist. Das alte Büro wurde zu klein, 275 Mitarbeiter sind sie jetzt, Eg- nyte wächst und wächst. Egnyte ist ein Erfolg. »Hätte ich anderswo wieder Kapital finden kön- nen, so wie hier?«, fragt Vineet Jain. »Vergessen Sie's! Das Silicon Valley ist einzigartig darin, Scheitern hinzunehmen. Es wird nicht belohnt, aber es wird toleriert. Das gibt es nirgends sonst, auch nicht anderswo in den USA.« Gewiss, es hilft, im Trend zu liegen: Als Jain und seine Mitgründer sich 2008 überlegten, eine neue Art von Online-Speicher für Unternehmen anzubieten, entwickelte sich »die Cloud« gerade zum geflügelten Wort. Je stärker Datendienste in den Mittelpunkt der Investoren rückten, umso günstiger wurden die Finanzierungsaussichten für Egnyte. »Venture-Kapitalgeber sind schlaue Geldverwalter«, sagt Jain, »aber sie laufen auch im Rudel und orientieren sich am Zeitgeist.« Was der eine hat, darf der andere nicht verpassen. »Als Cloud-Firma sind wir im Moment der Darling«, sagt Jain.»Jeder will mit uns reden.« Bei der jüngs- ten Finanzierungsrunde sammelte er 29,5 Millio- nen Dollar ein – fünf Millionen mehr als geplant. Nur wer schon berühmt ist, muss sich um die Finanzen keine Sorgen machen. »Das Geldfinden war das Einfachste von allem«, sagt Sebastian Thrun und lacht unbeschwert. »Das hat sich im- mer so ergeben.« Thrun ist in Technikkreisen ein ERFOLG IM ZWEITEN ANLAUF. Vineet Jain, Mitgründer und CEO des Cloud-Software-Anbieters Egnyte. MADE IN Silicon Valley Google / 1998 Suchmaschine und Mediengigant; Umsatz: 59,7 Mrd. Dollar. Apple / 1976 Erfinder des iPod, iPad und iPhone; Umsatz: 170,9 Mrd. Dollar. Intel / 1968 80 Prozent Marktanteil bei Mikroprozessoren; Umsatz: 52,7 Mrd. Dollar. ORACLE / 1977 Entwickelt Unterneh- menssoftware; Umsatz: 37,1 Mrd. Dollar. Fotos: picture alliance / Rossetti/Emme; Apple; Oracle Corporation; Intel GmbH
  • 13. W E RT E / N ° 10 – 2014 »Der Wille zur Zusammenarbeit ist hier größer als an jedem anderen Ort der USA.« TRACEY GROSE, ÖKONOMIN AUSBLICK. Wenn die Ökono- min Tracey Grose aus dem Büro- fenster schaut, blickt sie auf eine einzigartige Wirt- schaft, die ständig im Wandel ist. 18 19 LÄNDERREPORT / USA Atmosphäre der Offenheit«, erklärt die Vizepräsidentin des Bay Area Council Economic Institute. »Der Wille zur Zusam- menarbeit ist weit größer als an anderen Orten.« Eine Reihe von Faktoren komme zusammen: gemeinsame Begeisterung für das Neue, relative Freiheit von historischen Normen im jungen Kalifornien, ein dichtes Geflecht aus Firmen, die alle von Innovationen leben. Vor allem aber eine beispiellose Viel- falt aus Menschen, Ideen und Kulturen, die das Tal einzigartig machen: »Diese Vielfalt bereitet den Boden für das Innovative, das nie Dagewesene, den ständigen, schnellen Wandel.« Andere möchten auch so sein. Immer wieder wird Grose, die lange in Deutschland gelebt hat, von Vertretern anderer Regionen gefragt: Wie schaffen wir es, auch so wie das Sili- con Valley zu werden? Doch Grose ist skeptisch: »Das Silicon Valley ist auf natürliche Art in seine Rolle hineingewachsen«, erklärt die 44-Jährige. Die Innovationsmaschine hatte jahrzehntelang Zeit, sich zu perfektionieren. Da sind die Elite-Unis Stanford und Berkeley. Die Geldgeber, die sich darauf spezialisiert haben, In- novationen im Embryostadium zu erkennen, um später Milliarden zu verdienen. Die Anwälte, Pro- grammierer und Vorstandschefs, die bereit sind, für den Bruchteil ihres Normaltarifs zu arbeiten, wenn sie im Gegenzug Firmenanteile bekommen, die – mit Glück – übermorgen Gold wert sein könnten. All das lebt obendrein vor allem von ei- nem kulturellen Element, das sich anderswo nicht einfach aus der Luft zaubern lässt. »Ein ganz wich- tiger Faktor«, sagt Grose, »ist die Bereitschaft, Ri- siken einzugehen. Diese Bereitschaft gibt es nicht in gleichem Maße im Rest der USA – und ganz sicher nicht in Europa.« Risiken gehen alle ein, die sich hier am Inno- vationswettlauf beteiligen: Uni-Absolventen, die lieber auf eigene Faust ihr Glück versuchen, statt sichere Karrierepfade einzuschlagen. Professoren, die ihren Einserkandidaten persönlich Anschubfi- nanzierung geben, sei es als »Angel«-Investoren mit dem Scheckbuch oder als Berater. Risikoka- pitalgeber, die Millionen investieren, ohne mehr gesehen zu haben als eine überzeugende Präsenta- tion oder einen Prototyp. Und nicht zuletzt Arme- en von hochqualifizierten Mitarbeitern, die bereit sind, ihren sicheren Job zu verlassen, um sich in das Start-up-Abenteuer zu stürzen. »Der große Unterschied zwischen dem Silicon Valley und dem Rest der Welt«, sagt Vineet Jain, ist: »Scheitern wird hier nicht als ruinöser Makel gesehen.« Jain, gebürtiger Inder, kam 1993 nach Kalifornien. Im Dotcom-Boom gründete der ge- lernte Programmierer mit Freunden eine Firma, die Business-Software entwickelte, aber nie recht flügge wurde. 2005 musste das Start-up verkauft werden. Noch neun Jahre später merkt man ihm an, dass die Erfahrung geschmerzt hat. Er spricht vom Versagen, von Demut. Aber auch vom un- bedingten Willen, nicht aufzugeben, es trotzdem zu schaffen – wenn nicht im ersten Anlauf, dann eben im zweiten. Jain sitzt in seinem Büro in Mountain View, nicht weit von Google und Facebook entfernt. Die Wände sind frisch gestrichen, zusammengefaltete Umzugskartons, gleich neben dem Mountain Bike in der Ecke, führen vor Augen, dass seine Firma Egnyte gerade erst eingezogen ist. Das alte Büro wurde zu klein, 275 Mitarbeiter sind sie jetzt, Eg- nyte wächst und wächst. Egnyte ist ein Erfolg. »Hätte ich anderswo wieder Kapital finden kön- nen, so wie hier?«, fragt Vineet Jain. »Vergessen Sie's! Das Silicon Valley ist einzigartig darin, Scheitern hinzunehmen. Es wird nicht belohnt, aber es wird toleriert. Das gibt es nirgends sonst, auch nicht anderswo in den USA.« Gewiss, es hilft, im Trend zu liegen: Als Jain und seine Mitgründer sich 2008 überlegten, eine neue Art von Online-Speicher für Unternehmen anzubieten, entwickelte sich »die Cloud« gerade zum geflügelten Wort. Je stärker Datendienste in den Mittelpunkt der Investoren rückten, umso günstiger wurden die Finanzierungsaussichten für Egnyte. »Venture-Kapitalgeber sind schlaue Geldverwalter«, sagt Jain, »aber sie laufen auch im Rudel und orientieren sich am Zeitgeist.« Was der eine hat, darf der andere nicht verpassen. »Als Cloud-Firma sind wir im Moment der Darling«, sagt Jain.»Jeder will mit uns reden.« Bei der jüngs- ten Finanzierungsrunde sammelte er 29,5 Millio- nen Dollar ein – fünf Millionen mehr als geplant. Nur wer schon berühmt ist, muss sich um die Finanzen keine Sorgen machen. »Das Geldfinden war das Einfachste von allem«, sagt Sebastian Thrun und lacht unbeschwert. »Das hat sich im- mer so ergeben.« Thrun ist in Technikkreisen ein ERFOLG IM ZWEITEN ANLAUF. Vineet Jain, Mitgründer und CEO des Cloud-Software-Anbieters Egnyte. MADE IN Silicon Valley Google / 1998 Suchmaschine und Mediengigant; Umsatz: 59,7 Mrd. Dollar. Apple / 1976 Erfinder des iPod, iPad und iPhone; Umsatz: 170,9 Mrd. Dollar. Intel / 1968 80 Prozent Marktanteil bei Mikroprozessoren; Umsatz: 52,7 Mrd. Dollar. ORACLE / 1977 Entwickelt Unterneh- menssoftware; Umsatz: 37,1 Mrd. Dollar. Fotos: picture alliance / Rossetti/Emme; Apple; Oracle Corporation; Intel GmbH
  • 14. FORMELN FÜR DIE ZUKUNFT Frisch eingezogen und mit viel Raum zum Wachsen – das Egnyte-Büro im SiliconValley. HACKERTREFF NOISEBRIDGE Elektronik-Pionier Stanley Lunetta führt Gründern einen seiner frühen Synthesizer vor. 20 21 LÄNDERREPORT / USA Star. Der gebürtige Solinger kam 2003 als Roboterforscher nach Stanford und machte sich schnell als Vater des selbst- fahrenden VW Stanley einen Namen. Er freundete sich mit den Google-Gründern an, half beim Aufbau von Street View und gründete das hausinterne Forschungslabor Google X, das jüngst mit der futuristischen Internet-Brille Google Glass die Welt verblüffte. Doch bei alldem gehört Thruns Aufmerksam- keit längst der nächsten Revolution: Er hat sich vorgenommen, mit seiner Firma Udacity dabei zu helfen, das Lernen für das 21. Jahrhundert neu zu erfinden. »Vieles von dem, was in einem Unterrichtsraum passiert, kann sehr leicht digitalisiert werden«, sagt Thrun. 2011 pro- bierte er das zum ersten Mal selbst aus. Damals noch Stanford- Professor, bot er einen seiner Kurse auch im Internet an, samt Video-Übertragungen, Übungsaufgaben und Abschlusstest. Am Ende schauten von 200 Studenten nur noch 30 persönlich vorbei. »Die anderen sagten: ›Wir sehen dich lieber im Inter- net.‹« Etliche mehr folgten ihm online, und die 412 besten Absolventen waren allesamt nicht in Stanford eingeschrieben, sondern kamen aus den Weiten des WWW. Thrun genügte dieses Experi- ment, um etwas vollkommen Neues zu wagen: Er gab seine Lebensstelle an der Elite-Universität auf, um sich als Unternehmer zu versuchen. Mehr als 20 Millionen Dollar gaben ihm Inves- toren bisher dafür, und nicht alles lief wie geplant. Kurse, die anfangs Zehntausende anlockten, waren am Ende weitgehend verwaist. Traditionelle Uni- versitäten, die zunächst Kooperationsbereitschaft signalisierten, zierten sich plötzlich. Thrun lern- te, lenkte um, tat alles, um nicht die Schlagzeilen zu bestätigen, die Udacity bereits zum kolossalen Flop erklärten. »Man wird immer neu gezwungen, alles zu hinterfragen – und zwar jeden Tag.« So wandelte sich,Schritt für Schritt,der Schwerpunkt von Ausbildung zu Fortbildung, wie sie große Un- ternehmen wünschen.Rund zwei Dutzend Firmen zahlen nun dafür, dass Udacity Online-Kurse an- bietet, die ihre Bedürfnisse widerspiegeln: Web- Entwicklung mit Google,Grafikchip-Programmie- rung für Nvidia, Software-Design à la Facebook. Zwei kleine Fernsehstudios hat Udacity einge- richtet, und die Zentrale in einem unscheinbaren Bürokomplex in Mountain View bietet alles, was moderne Silicon-Valley-Arbeiter erwarten: kos- tenlose Verpflegung, Sitzecken, offene Arbeits- räume, Kicker-Tische, einen Wandhalter für Mountainbikes. »Andy!«, ruft Thrun einem Kol- legen zu, »Tischfußball?« Spaß muss sein. Nur wer Mitarbeitern ein gutes Umfeld bietet, hat eine Chance, beim Wettkampf um die Besten mitzu- halten. Ein üppiges Gehalt versteht sich von allein. Schon das mittlere Einkommen liegt hier mit gut 70000 Dollar im Jahr über dem US-Durchschnitt. »Man konkurriert hier als Arbeitgeber sehr stark«, sagt Katharina Rock, Senior Vice President Mobile Applications bei SAP. Die deutsche Soft- wareschmiede müht sich, dem Image der lokalen Größen die Reize der weiten Welt entgegenzuset- zen. »Geeks wollen an internationalen Produkten arbeiten«, sagt Rock. Sie hat ein Faltblatt dabei, in dem SAP als einer der Top-Arbeitgeber aus- gewiesen wird. Das Unternehmen hat sein Labor im Silicon Valley deutlich ausgebaut und mit dazu beigetragen,dass allein 2013 etwa 50000 neue Jobs entstanden sind. Am anderen Ende der Stadt sitzt Michael Perry am Laptop und arbeitet ebenfalls daran,dieWelt zu verändern. Nie wieder sollen Firmen dank seiner Vermarktungssoftware auch nur einen Cent an ineffektive Werbung verschwenden. Schon wenn er nur einige tausend Kleinunternehmer findet, die bereit sind, »Kit« auszuprobieren, »haben wir ein Millionengeschäft«.Aber auch die Großen zei- gen ja nun Interesse, endlich – Perry hat jahrelang auf diesen Moment hingearbeitet, musste mehr als einmal den Schwiegervater bitten, die Strom- rechnung zu zahlen. Doch er kann nicht anders, das Unternehmertum liegt ihm im Blut. »Wenn ich geregelt von neun bis fünf arbeiten sollte, wäre das eine Qual für mich.« Dabei schaut er aus dem Fenster, auf das Hochhaus gegenüber. Da sitzen sie an ihren Schreibtischen, die Arbeitsbienen in ihren Büros, die ein Gefühl von Sicherheit haben mögen, aber kein Leben, das er lebenswert findet. »Ich garantiere Ihnen, die meisten hassen ihren Job«, sagt Perry. »Ich aber bin frei! Ich wache jeden Morgen auf und denke: Wieder ein Tag, an dem ich ein Stück besser werden kann.« LERNERFOLG IM INTERNET. Der Deutsche Sebastian Thrun und Mitarbeite- rin Sarah Spikes im TV-Studio seines Start-ups Udacity. eBay / 1995 Internet-Auktionshaus Nr. 1 weltweit; Umsatz: 16,1 Mrd. Dollar. Hewlett-Packard / 1939 Erster Technologie- konzern im Silicon Valley. Umsatz weltweit: 112,3 Mrd. Dollar. CISCO / 1984 Stellt die Infrastruktur des Internets. Umsatz: 48,6 Mrd. Dollar. Facebook / 2004 Weltgrößtes soziales Netzwerk; Mitglieder: 1,28 Mrd. Menschen. Fotos: Ebay Inc.; Hewlett-Packard Development Company, L.P.; Cisco Systems Inc.; Facebook
  • 15. FORMELN FÜR DIE ZUKUNFT Frisch eingezogen und mit viel Raum zum Wachsen – das Egnyte-Büro im SiliconValley. HACKERTREFF NOISEBRIDGE Elektronik-Pionier Stanley Lunetta führt Gründern einen seiner frühen Synthesizer vor. 20 21 LÄNDERREPORT / USA Star. Der gebürtige Solinger kam 2003 als Roboterforscher nach Stanford und machte sich schnell als Vater des selbst- fahrenden VW Stanley einen Namen. Er freundete sich mit den Google-Gründern an, half beim Aufbau von Street View und gründete das hausinterne Forschungslabor Google X, das jüngst mit der futuristischen Internet-Brille Google Glass die Welt verblüffte. Doch bei alldem gehört Thruns Aufmerksam- keit längst der nächsten Revolution: Er hat sich vorgenommen, mit seiner Firma Udacity dabei zu helfen, das Lernen für das 21. Jahrhundert neu zu erfinden. »Vieles von dem, was in einem Unterrichtsraum passiert, kann sehr leicht digitalisiert werden«, sagt Thrun. 2011 pro- bierte er das zum ersten Mal selbst aus. Damals noch Stanford- Professor, bot er einen seiner Kurse auch im Internet an, samt Video-Übertragungen, Übungsaufgaben und Abschlusstest. Am Ende schauten von 200 Studenten nur noch 30 persönlich vorbei. »Die anderen sagten: ›Wir sehen dich lieber im Inter- net.‹« Etliche mehr folgten ihm online, und die 412 besten Absolventen waren allesamt nicht in Stanford eingeschrieben, sondern kamen aus den Weiten des WWW. Thrun genügte dieses Experi- ment, um etwas vollkommen Neues zu wagen: Er gab seine Lebensstelle an der Elite-Universität auf, um sich als Unternehmer zu versuchen. Mehr als 20 Millionen Dollar gaben ihm Inves- toren bisher dafür, und nicht alles lief wie geplant. Kurse, die anfangs Zehntausende anlockten, waren am Ende weitgehend verwaist. Traditionelle Uni- versitäten, die zunächst Kooperationsbereitschaft signalisierten, zierten sich plötzlich. Thrun lern- te, lenkte um, tat alles, um nicht die Schlagzeilen zu bestätigen, die Udacity bereits zum kolossalen Flop erklärten. »Man wird immer neu gezwungen, alles zu hinterfragen – und zwar jeden Tag.« So wandelte sich,Schritt für Schritt,der Schwerpunkt von Ausbildung zu Fortbildung, wie sie große Un- ternehmen wünschen.Rund zwei Dutzend Firmen zahlen nun dafür, dass Udacity Online-Kurse an- bietet, die ihre Bedürfnisse widerspiegeln: Web- Entwicklung mit Google,Grafikchip-Programmie- rung für Nvidia, Software-Design à la Facebook. Zwei kleine Fernsehstudios hat Udacity einge- richtet, und die Zentrale in einem unscheinbaren Bürokomplex in Mountain View bietet alles, was moderne Silicon-Valley-Arbeiter erwarten: kos- tenlose Verpflegung, Sitzecken, offene Arbeits- räume, Kicker-Tische, einen Wandhalter für Mountainbikes. »Andy!«, ruft Thrun einem Kol- legen zu, »Tischfußball?« Spaß muss sein. Nur wer Mitarbeitern ein gutes Umfeld bietet, hat eine Chance, beim Wettkampf um die Besten mitzu- halten. Ein üppiges Gehalt versteht sich von allein. Schon das mittlere Einkommen liegt hier mit gut 70000 Dollar im Jahr über dem US-Durchschnitt. »Man konkurriert hier als Arbeitgeber sehr stark«, sagt Katharina Rock, Senior Vice President Mobile Applications bei SAP. Die deutsche Soft- wareschmiede müht sich, dem Image der lokalen Größen die Reize der weiten Welt entgegenzuset- zen. »Geeks wollen an internationalen Produkten arbeiten«, sagt Rock. Sie hat ein Faltblatt dabei, in dem SAP als einer der Top-Arbeitgeber aus- gewiesen wird. Das Unternehmen hat sein Labor im Silicon Valley deutlich ausgebaut und mit dazu beigetragen,dass allein 2013 etwa 50000 neue Jobs entstanden sind. Am anderen Ende der Stadt sitzt Michael Perry am Laptop und arbeitet ebenfalls daran,dieWelt zu verändern. Nie wieder sollen Firmen dank seiner Vermarktungssoftware auch nur einen Cent an ineffektive Werbung verschwenden. Schon wenn er nur einige tausend Kleinunternehmer findet, die bereit sind, »Kit« auszuprobieren, »haben wir ein Millionengeschäft«.Aber auch die Großen zei- gen ja nun Interesse, endlich – Perry hat jahrelang auf diesen Moment hingearbeitet, musste mehr als einmal den Schwiegervater bitten, die Strom- rechnung zu zahlen. Doch er kann nicht anders, das Unternehmertum liegt ihm im Blut. »Wenn ich geregelt von neun bis fünf arbeiten sollte, wäre das eine Qual für mich.« Dabei schaut er aus dem Fenster, auf das Hochhaus gegenüber. Da sitzen sie an ihren Schreibtischen, die Arbeitsbienen in ihren Büros, die ein Gefühl von Sicherheit haben mögen, aber kein Leben, das er lebenswert findet. »Ich garantiere Ihnen, die meisten hassen ihren Job«, sagt Perry. »Ich aber bin frei! Ich wache jeden Morgen auf und denke: Wieder ein Tag, an dem ich ein Stück besser werden kann.« LERNERFOLG IM INTERNET. Der Deutsche Sebastian Thrun und Mitarbeite- rin Sarah Spikes im TV-Studio seines Start-ups Udacity. eBay / 1995 Internet-Auktionshaus Nr. 1 weltweit; Umsatz: 16,1 Mrd. Dollar. Hewlett-Packard / 1939 Erster Technologie- konzern im Silicon Valley. Umsatz weltweit: 112,3 Mrd. Dollar. CISCO / 1984 Stellt die Infrastruktur des Internets. Umsatz: 48,6 Mrd. Dollar. Facebook / 2004 Weltgrößtes soziales Netzwerk; Mitglieder: 1,28 Mrd. Menschen. Fotos: Ebay Inc.; Hewlett-Packard Development Company, L.P.; Cisco Systems Inc.; Facebook
  • 16. GUTES KLIMA entsteht durch die Fassade des Parkroyal- Hotels in Singapur. Blumen und Bäume, Wasserfälle und Bäche auf Balkonen und Terras- sen sorgen für frische Luft im Gebäude. 2828 W E RT E / N ° 10 – 2014 ZUKUNFT DES BAUENS TEXT IVO GOETZ 2929 REPORT / ARCHITEKTUR
  • 17. GUTES KLIMA entsteht durch die Fassade des Parkroyal- Hotels in Singapur. Blumen und Bäume, Wasserfälle und Bäche auf Balkonen und Terras- sen sorgen für frische Luft im Gebäude. 2828 W E RT E / N ° 10 – 2014 ZUKUNFT DES BAUENS TEXT IVO GOETZ 2929 REPORT / ARCHITEKTUR
  • 18. DAS MINI-HAUS »m-ch« soll Studenten auf 2,6 x 2,6 Meter Fläche alles bieten, was man zum Leben braucht – Bett, Bad, Küche, Essplatz. FLIESSENDE FORMEN aus Holz machen moderne Computerprogram- me möglich, wie hier im Hochhaus »1 Main Street« in Cambridge, Massachusetts. PUBLIC FARM in NewYork nutzt freie Dachflächen für den Anbau von Obst und Gemüse mitten in der Stadt. 30 s hat schon immer lange gedauert, bis die Zukunft des Bauens umgesetzt wurde. 1861 erfand der Franzose Joseph Monier beispielsweise den Stahl- beton, um Blumenkübel stabiler zu machen. Bis zur Errichtung eines der ersten Stahlbetonbauten in Deutschland, der Königlichen Anatomie in München, ver- gingen dann aber noch einmal mehr als 40 Jahre. »Die ganze Architekturgeschichte ist eine einzige Ansammlung von Erfin- dungen und Innovationen dieser Art«, sagt der renommierte Architekt Frank Barkow. »Wo wären wir heute, wenn nicht jemand einfach mal versucht hätte, Bewehrung in Beton ein- zulegen, ein Stahlskelett besonders filigran auszubilden oder einen Raum mit einer dünnen Schale zu überspannen?« Genau an so einem Punkt der Bau-Evolution sehen sich Architekten und Planer heute wieder. Doch anders als bisher, geht es jetzt noch mehr um eine vernünftige Einbindung der Architektur in ein komplexes System. Stadtentwicklungs- und Mobilitätskonzepte sind zu berücksichtigen,neue soziologische Erkenntnisse von Anfang an zu bedenken sowie Klima- und Umwelteinflüsse einzukalkulieren – und bei aller Innovations- freude sollte nie vergessen werden, dass sich die Menschen in dieser neuen Welt auch noch wohl fühlen müssen. Der Klimawandel zwingt zum Umdenken — Dass es höchste Zeit ist, in der Architektur nachhaltig zu planen, ist spätestens seit Anfang April 2014 allen Beteiligten bewusst. Denn da erschien die neueste Studie des Weltkli- Innovative Baustoffe und neue Technologien machen die Zukunft des Bauens vielfältig und flexibel. Sie nutzen Energie effizienter, schonen Klima und Umwelt und helfen den Menschen, gesünder zu leben. Sie vernetzen die Welt und lösen damit Probleme der Zivilisation. E Wände aus Infraleichtbeton werden wie herkömmlicher Beton gegossen, dann zusam- mengesteckt. MINIMALES WOHNEN AM SEE. 2by4-architects verbinden Haus und Natur. Bad und Bett klappen bei Bedarf aus der Wand. LEICHT UND STABIL ist der von Barkow- Leibinger verwendete Infraleichtbeton ILB, der eine zusätzliche Isolie- rung überflüssig macht. 31 marats der Vereinten Nationen (IPCC). Die Er- kenntnisse, die sich daraus für das Leben gewin- nen lassen, sind alarmierend: Das Fortschreiten des Klimawandels könne nur verlangsamt wer- den, wenn beim Planen und Bauen von Städten und Häusern radikale Veränderungen in Gang gesetzt würden. Die Häuser auf der Welt seien das Umwelt- problem Nummer eins. Bis zu 40 Prozent der Treibhausgas- emissionen würden in den Industrieländern durch Gebäude und Gebäudetechnik verursacht. Erst dann kämen Emissionen, die durch Verkehr in die Atmosphäre gelangen. »Häuser mit dicken Dämmplatten zu bekleben,die aus Erd- ölprodukten hergestellt wurden, reicht da einfach nicht mehr aus«, sagt Professor Klaus Sedlbauer vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP. »Man muss von Anfang an nachhaltig bau- en statt Häuser nachträglich zu verpacken«, sagt auch der Ar- chitekt Christoph Mäckler, der an der Technischen Universität Dortmund Städtebau lehrt. Für Altbauten gibt es hingegen in- novative Lehm- und Naturfaserplatten, Dämmstoffe aus Holz- schaum oder ein aus der Raumfahrt abgeleitetes unbrennbares Aerogel, das als dünne, luftgefüllte Platte auf Altbaufassaden geklebt werden kann. Herausforderung Großstadt — In naher Zukunft leben immer mehr Menschen in Mega- städten. 2050 werden es fast drei Viertel der Weltbevölkerung sein. Die Gebäude der Zukunft werden daher optimal an den begrenzten Raum in der verdichteten Stadt angepasst sein müssen, zugleich sollten sie flexibel in der Nutzung bleiben – auch über mehrere Generationen hinweg. Da es immer mehr Single- und Senioren- haushalte gibt, entsteht auch in Deutschland eine zunehmende Nachfrage nach Konzepten für minimales Wohnen. Gleichzeitig steht immer weniger Platz für großvolumiges, her- kömmliches Bauen zur Verfügung. Nicht nur in den japanischen Ballungsräumen, wo sich Minihäuser seit Jahren in jede kleine Baulücke quetschen, sondern auch bei uns gibt es mittlerweile ernst zu nehmende Konzepte. Der Italiener Renzo Piano ist einer der berühmtestenArchi- tekten der Welt. Er hat das New York Times Building, Kreuz- fahrtschiffe und Kirchen entworfen. Und er ist der gefeierte Architekt von »The Shard« in London, dem mit 310 Metern zweithöchsten Gebäude Westeuropas. Doch auch Renzo Piano sieht die Zukunft des Bauens mittlerweile in kleinen,einfachen und mobilen Konzepten. »Man braucht jeden Tag ein bisschen Zeit für sich allein«, sagt er. »Die Welt ist voll von Informatio- nen und Lärm, davon muss man abschalten, die Stille suchen, in sich hineinhören, meditieren.« Seine Lösung ist ein Minihaus, das maximal 50000 Euro kostet, nur 3,2 Meter hoch ist und 1,2 Tonnen wiegt. Es lässt sich überall aufstellen, nur Regenrinne und Rollläden müssen noch angeschraubt werden. Auf einer Ebene befinden sich hier Wohnzimmer, Küche und Bad, mit Platz für ein Ausziehbett und einen Tisch. Genügend Raum für ein bedürfnisloses Le- ben, wie es einst Diogenes im Fass geführt hatte – weshalb Renzo Piano sein Minihaus auch nach dem Philosophen be- nannt hat. »Diogenes versorgt einen mit dem, was man wirk- lich benötigt, und mit nichts sonst«, sagt er und meint unter anderem Photovoltaik-Zellen und Solarpaneele für die Gewin- nung von Strom. der Treibhausgas- emissionen werden durch Gebäude verursacht. 40% Fotos: Patrick Bingham-Hall; Elizabeth Efelicella; dECOi Architects; Prof. Richard Horden; 2by4-architects; Barkow Leibinger
  • 19. DAS MINI-HAUS »m-ch« soll Studenten auf 2,6 x 2,6 Meter Fläche alles bieten, was man zum Leben braucht – Bett, Bad, Küche, Essplatz. FLIESSENDE FORMEN aus Holz machen moderne Computerprogram- me möglich, wie hier im Hochhaus »1 Main Street« in Cambridge, Massachusetts. PUBLIC FARM in NewYork nutzt freie Dachflächen für den Anbau von Obst und Gemüse mitten in der Stadt. 30 s hat schon immer lange gedauert, bis die Zukunft des Bauens umgesetzt wurde. 1861 erfand der Franzose Joseph Monier beispielsweise den Stahl- beton, um Blumenkübel stabiler zu machen. Bis zur Errichtung eines der ersten Stahlbetonbauten in Deutschland, der Königlichen Anatomie in München, ver- gingen dann aber noch einmal mehr als 40 Jahre. »Die ganze Architekturgeschichte ist eine einzige Ansammlung von Erfin- dungen und Innovationen dieser Art«, sagt der renommierte Architekt Frank Barkow. »Wo wären wir heute, wenn nicht jemand einfach mal versucht hätte, Bewehrung in Beton ein- zulegen, ein Stahlskelett besonders filigran auszubilden oder einen Raum mit einer dünnen Schale zu überspannen?« Genau an so einem Punkt der Bau-Evolution sehen sich Architekten und Planer heute wieder. Doch anders als bisher, geht es jetzt noch mehr um eine vernünftige Einbindung der Architektur in ein komplexes System. Stadtentwicklungs- und Mobilitätskonzepte sind zu berücksichtigen,neue soziologische Erkenntnisse von Anfang an zu bedenken sowie Klima- und Umwelteinflüsse einzukalkulieren – und bei aller Innovations- freude sollte nie vergessen werden, dass sich die Menschen in dieser neuen Welt auch noch wohl fühlen müssen. Der Klimawandel zwingt zum Umdenken — Dass es höchste Zeit ist, in der Architektur nachhaltig zu planen, ist spätestens seit Anfang April 2014 allen Beteiligten bewusst. Denn da erschien die neueste Studie des Weltkli- Innovative Baustoffe und neue Technologien machen die Zukunft des Bauens vielfältig und flexibel. Sie nutzen Energie effizienter, schonen Klima und Umwelt und helfen den Menschen, gesünder zu leben. Sie vernetzen die Welt und lösen damit Probleme der Zivilisation. E Wände aus Infraleichtbeton werden wie herkömmlicher Beton gegossen, dann zusam- mengesteckt. MINIMALES WOHNEN AM SEE. 2by4-architects verbinden Haus und Natur. Bad und Bett klappen bei Bedarf aus der Wand. LEICHT UND STABIL ist der von Barkow- Leibinger verwendete Infraleichtbeton ILB, der eine zusätzliche Isolie- rung überflüssig macht. 31 marats der Vereinten Nationen (IPCC). Die Er- kenntnisse, die sich daraus für das Leben gewin- nen lassen, sind alarmierend: Das Fortschreiten des Klimawandels könne nur verlangsamt wer- den, wenn beim Planen und Bauen von Städten und Häusern radikale Veränderungen in Gang gesetzt würden. Die Häuser auf der Welt seien das Umwelt- problem Nummer eins. Bis zu 40 Prozent der Treibhausgas- emissionen würden in den Industrieländern durch Gebäude und Gebäudetechnik verursacht. Erst dann kämen Emissionen, die durch Verkehr in die Atmosphäre gelangen. »Häuser mit dicken Dämmplatten zu bekleben,die aus Erd- ölprodukten hergestellt wurden, reicht da einfach nicht mehr aus«, sagt Professor Klaus Sedlbauer vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP. »Man muss von Anfang an nachhaltig bau- en statt Häuser nachträglich zu verpacken«, sagt auch der Ar- chitekt Christoph Mäckler, der an der Technischen Universität Dortmund Städtebau lehrt. Für Altbauten gibt es hingegen in- novative Lehm- und Naturfaserplatten, Dämmstoffe aus Holz- schaum oder ein aus der Raumfahrt abgeleitetes unbrennbares Aerogel, das als dünne, luftgefüllte Platte auf Altbaufassaden geklebt werden kann. Herausforderung Großstadt — In naher Zukunft leben immer mehr Menschen in Mega- städten. 2050 werden es fast drei Viertel der Weltbevölkerung sein. Die Gebäude der Zukunft werden daher optimal an den begrenzten Raum in der verdichteten Stadt angepasst sein müssen, zugleich sollten sie flexibel in der Nutzung bleiben – auch über mehrere Generationen hinweg. Da es immer mehr Single- und Senioren- haushalte gibt, entsteht auch in Deutschland eine zunehmende Nachfrage nach Konzepten für minimales Wohnen. Gleichzeitig steht immer weniger Platz für großvolumiges, her- kömmliches Bauen zur Verfügung. Nicht nur in den japanischen Ballungsräumen, wo sich Minihäuser seit Jahren in jede kleine Baulücke quetschen, sondern auch bei uns gibt es mittlerweile ernst zu nehmende Konzepte. Der Italiener Renzo Piano ist einer der berühmtestenArchi- tekten der Welt. Er hat das New York Times Building, Kreuz- fahrtschiffe und Kirchen entworfen. Und er ist der gefeierte Architekt von »The Shard« in London, dem mit 310 Metern zweithöchsten Gebäude Westeuropas. Doch auch Renzo Piano sieht die Zukunft des Bauens mittlerweile in kleinen,einfachen und mobilen Konzepten. »Man braucht jeden Tag ein bisschen Zeit für sich allein«, sagt er. »Die Welt ist voll von Informatio- nen und Lärm, davon muss man abschalten, die Stille suchen, in sich hineinhören, meditieren.« Seine Lösung ist ein Minihaus, das maximal 50000 Euro kostet, nur 3,2 Meter hoch ist und 1,2 Tonnen wiegt. Es lässt sich überall aufstellen, nur Regenrinne und Rollläden müssen noch angeschraubt werden. Auf einer Ebene befinden sich hier Wohnzimmer, Küche und Bad, mit Platz für ein Ausziehbett und einen Tisch. Genügend Raum für ein bedürfnisloses Le- ben, wie es einst Diogenes im Fass geführt hatte – weshalb Renzo Piano sein Minihaus auch nach dem Philosophen be- nannt hat. »Diogenes versorgt einen mit dem, was man wirk- lich benötigt, und mit nichts sonst«, sagt er und meint unter anderem Photovoltaik-Zellen und Solarpaneele für die Gewin- nung von Strom. der Treibhausgas- emissionen werden durch Gebäude verursacht. 40% Fotos: Patrick Bingham-Hall; Elizabeth Efelicella; dECOi Architects; Prof. Richard Horden; 2by4-architects; Barkow Leibinger
  • 20. HÜLLE FÜR DIE NATUR. Beim »Eden Project« in Cornwall, England, erstreckt sich ein Membrandach über 50 Hektar Regenwald. THE WALBROOK in London mit Fassaden- elementen aus glasfaser- verstärktem Kunststoff. 32 Alle Herausforderungen haben gemein, dass Architekten und Ingenieure in kurzer Zeit Wohnraum bereitstellen müssen. Platzmangel, hohe Grundstückspreise und steigende Energie- kosten erfordern ein ständiges Neuerfinden innovativer Bau- techniken. Die Materialien der Zukunft müssen zudem recy- celbar,energiesparend und schon bei der Herstellung möglichst klimaneutral sein. Hanf, Jute und Glas machen Beton leicht — Auf der Internationalen Bauausstellung in Hamburg prä- sentierte das Berliner Architekturbüro Barkow-Leibinger einen besonders leichten Infraleichtbeton (ILB). Darin ist recyceltes Glas enthalten, das Bauteile leicht, aber auch stabil macht. »Grundsätzlich ist es nachhaltiger und ästhetisch weni- ger fragwürdig, wenn die tragende Struktur ihre Wärmedäm- mung schon mitbringt und diese nicht nachträglich aufgeklebt wird«, erklärt Frank Barkow die Idee. »Diese monolithische Bauweise hat den Vorteil, dass alle bauphysikalischen Eigen- schaften der Fassade in einer Schicht vereint sind, das heißt, es bedarf keiner zusätzlicher Materialien mehr. Zudem fallen die Instandhaltungsmaßnahmen, die bei herkömmlichen Fassaden üblich sind, hier viel einfacher aus.« Mit Glasfasern, die wir bisher hauptsächlich aus dem Auto- mobil- und Schiffbau kennen, experimentierte auch der engli- sche Stararchitekt Sir Norman Foster, der für sein Projekt »The Walbrook« in London eine Fassade aus geschwungenen, leich- ten Glasfaserelementen gestaltete. Professor Manfred Curbach von der TU Dresden möchte den Stahl im Beton durch Koh- lenstofffasern ersetzen. Denn Carbon rostet nicht, ist extrem belastbar und langlebig. Mit Carbonbeton kann man filigraner bauen, da man Verstärkungen nicht so dick einpacken muss wie bisher den Bewehrungsstahl. Am Fraunhofer-Institut für Bauforschung in Stuttgart un- tersucht man hingegen bereits die Möglichkeit, Beton mit Na- turfasern wie Hanf, Flachs und Jute zu verstärken.Vorteile wä- ren die natürliche Verfügbarkeit und die einfache Möglichkeit des Recyclings. Naturfasern können nicht nur Beton verstär- ken, sondern auch Kunststoffe, aus denen dann Bauelemente hergestellt werden.Das ist günstig und umweltverträglich.Am Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen (ITKE) wurde ein Biokunststoff entwickelt, der zu unbrennba- ren Fassadenteilen geformt werden kann. Das BIQ in Hamburg ist ein Gebäude, das in einer zweiten Haut aus Bioalgen steckt. Die Algen wachsen in transparenten Fassadenelementen heran, werden regelmäßig abgesaugt und in einer Biogasanlage in Energie umgewandelt, die dann zur Wassererwärmung des Hauses beiträgt – das BIQ ist sozusa- gen sein eigener Bioreaktor. Noch einen Schritt weiter geht der Italiener Stefano Boeri. Er baut zurzeit in Mailand zwei Wohntürme, die vollständig bewaldet und bewachsen sind. Die Bepflanzung bindet CO2 aus der Luft und erzeugt ein angenehmes Mikroklima um die Tür- me herum, Geräusche werden gedämpft, Staubpartikel aus der Luft gefiltert. Fassaden richten sich nach der Sonne — Möchte man zwischen sich und der Umwelt nur eine dünne Schicht haben, die gerade mal vor Wind und Wetter schützt, bietet sich eine Membrankonstruktion an. Das aktuell größte AUS ALGEN in der Fas- sade des BIQ in Hamburg wird Biogas. Später wird damit das Haus geheizt. LUFTKISSEN machen die Allianz Arena in Mün- chen einmalig. Die 1056 Kissen können autonom in Rot, Blau oder Weiß beleuchtet werden. R129 orientiert sich an der Form von Tautropfen. Das Haus von Stararchi- tekt Werner Sobek vereint Kunststoff und Carbon in einer Klimahülle. 33 Membrandach wurde von den deut- schen Architekten Knippers und Hel- big für die EXPO 2010 in Shanghai konstruiert. In Hamburg packten die Architekten von Behnisch & Partner die Europazentrale des Konsumgü- terherstellers Unilever in der Hafen- City in eine transparente Kunststoffhülle und schufen damit ein Musterbeispiel für nachhaltiges Bauen. Eine Membrankonstruktion schützt auch das Soft House von Kennedy & Violich in Hamburg. Auf einer beweglichen Textilmembran sind Photovoltaikmodule zur Stromerzeugung angebracht, die sich automatisch zur Sonne ausrichten. Maximale Transparenz und Rundumsicht zeichnet Werner Sobeks Entwurf R129 aus.Der StuttgarterArchitekt entwickel- te eine durchsichtige, blasenförmige Klimahülle aus Kunststoff und Carbon. Auf Knopfdruck kann man die elektrochrome Beschichtung der Hülle von transparent bis zur vollständigen Undurchsichtigkeit verändern. Wände aus luftgefüllten Kis- senmembranen geben hingegen der Allianz Arena von Herzog & de Meuron in München ihr besonderes Aussehen. Glas gilt schon lange als der Hightechbereich in der Bau- industrie. Stabilität, Transparenz, Verdunklung, maximale Licht- und Wärmeausbeute bei nur geringen Energieverlusten vereinen sich hier. Fenster können elektrisch blind geschaltet oder eingefärbt werden und ersetzen so großflächig feste Fas- sadenelemente und Mauern. Dass auch Hochhäuser aus Glas anspruchsvollsten energetischen Anforderungen der Zeit ge- nügen können, beweist der Düsseldorfer Architekt Christoph Ingenhoven mit dem Glashaus »1 Bligh« in Sydney: Die Fassa- de des Foyers verfügt über verstellbare Glaslamellen und Glas- Faltelemente, die Frischluft hindurchströmen lassen. Das zen- trale Atrium erstreckt sich über die gesamte Gebäudehöhe von 139 Metern. Durch den Kamineffekt entsteht ein natürlicher Luftstrom nach oben, der im Dachbereich ausgeleitet wird. Die Folge ist ein kontinuierlicher Luftwechsel. Großflächige Verglasung und Ökologie sind also kein Widerspruch mehr. »Im Inneren haben wir eine campusähnliche, offene Struktur geschaffen«, sagt Ingenhoven. »Jeder kennt jeden, informelle, zufällige Treffen sind jederzeit möglich.« Holz – alter Stoff in neuer Form — Ein Kritikpunkt an moderner Architektur ist immer gewe- sen, dass Behaglichkeit und Wärme, nach der sich Menschen sehnen, auf der Strecke bleiben. Dem wirkt der Baustoff Holz entgegen, dem in Zukunft wieder eine wachsende Bedeutung zukommt. Ein günstig erstelltes mehrgeschossiges Haus aus Holz ist das »case study #1« in Hamburg: Module mit quadratischer Grundfläche wurden hier horizontal und vertikal zusammen- gesetzt und gestapelt. Sie gruppieren sich um einen Schacht für die Haustechnik. Das ganze Gebäude ist so konzipiert, dass die Räume von 45 Quadratmeter großen Mikro-Lofts bis hin zu 140 Quadratmeter großen Makro-Lofts variieren können und sich so stets den Lebensbedingungen und Wünschen ihrer Bewohner anpassen lassen. Mehrgeschossige Holzhäuser durften früher aus Brand- schutzgründen nicht gebaut werden, heute gelten sie dank innovativer Bauteile als sicher. Der »Woodcube« in Hamburg- Wilhelmsburg ist so ein fünfgeschossiges Mehrfamilienhaus mit 900 Quadratmeter Wohnfläche. Bis auf den zentralen Auf- zugs- und Treppenhauskern aus Beton besteht die gesamte 8500Tonnen CO2 lassen sich beim Bau eines Holz- hauses sparen. Fotos: Perry Hooper/ Grimshaw; mauritius images / View Pictures LTD; Werner Sobek Group GmbH; Allianz Arena München Stadion GmbH; mauritius images / Novarc;
  • 21. HÜLLE FÜR DIE NATUR. Beim »Eden Project« in Cornwall, England, erstreckt sich ein Membrandach über 50 Hektar Regenwald. THE WALBROOK in London mit Fassaden- elementen aus glasfaser- verstärktem Kunststoff. 32 Alle Herausforderungen haben gemein, dass Architekten und Ingenieure in kurzer Zeit Wohnraum bereitstellen müssen. Platzmangel, hohe Grundstückspreise und steigende Energie- kosten erfordern ein ständiges Neuerfinden innovativer Bau- techniken. Die Materialien der Zukunft müssen zudem recy- celbar,energiesparend und schon bei der Herstellung möglichst klimaneutral sein. Hanf, Jute und Glas machen Beton leicht — Auf der Internationalen Bauausstellung in Hamburg prä- sentierte das Berliner Architekturbüro Barkow-Leibinger einen besonders leichten Infraleichtbeton (ILB). Darin ist recyceltes Glas enthalten, das Bauteile leicht, aber auch stabil macht. »Grundsätzlich ist es nachhaltiger und ästhetisch weni- ger fragwürdig, wenn die tragende Struktur ihre Wärmedäm- mung schon mitbringt und diese nicht nachträglich aufgeklebt wird«, erklärt Frank Barkow die Idee. »Diese monolithische Bauweise hat den Vorteil, dass alle bauphysikalischen Eigen- schaften der Fassade in einer Schicht vereint sind, das heißt, es bedarf keiner zusätzlicher Materialien mehr. Zudem fallen die Instandhaltungsmaßnahmen, die bei herkömmlichen Fassaden üblich sind, hier viel einfacher aus.« Mit Glasfasern, die wir bisher hauptsächlich aus dem Auto- mobil- und Schiffbau kennen, experimentierte auch der engli- sche Stararchitekt Sir Norman Foster, der für sein Projekt »The Walbrook« in London eine Fassade aus geschwungenen, leich- ten Glasfaserelementen gestaltete. Professor Manfred Curbach von der TU Dresden möchte den Stahl im Beton durch Koh- lenstofffasern ersetzen. Denn Carbon rostet nicht, ist extrem belastbar und langlebig. Mit Carbonbeton kann man filigraner bauen, da man Verstärkungen nicht so dick einpacken muss wie bisher den Bewehrungsstahl. Am Fraunhofer-Institut für Bauforschung in Stuttgart un- tersucht man hingegen bereits die Möglichkeit, Beton mit Na- turfasern wie Hanf, Flachs und Jute zu verstärken.Vorteile wä- ren die natürliche Verfügbarkeit und die einfache Möglichkeit des Recyclings. Naturfasern können nicht nur Beton verstär- ken, sondern auch Kunststoffe, aus denen dann Bauelemente hergestellt werden.Das ist günstig und umweltverträglich.Am Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen (ITKE) wurde ein Biokunststoff entwickelt, der zu unbrennba- ren Fassadenteilen geformt werden kann. Das BIQ in Hamburg ist ein Gebäude, das in einer zweiten Haut aus Bioalgen steckt. Die Algen wachsen in transparenten Fassadenelementen heran, werden regelmäßig abgesaugt und in einer Biogasanlage in Energie umgewandelt, die dann zur Wassererwärmung des Hauses beiträgt – das BIQ ist sozusa- gen sein eigener Bioreaktor. Noch einen Schritt weiter geht der Italiener Stefano Boeri. Er baut zurzeit in Mailand zwei Wohntürme, die vollständig bewaldet und bewachsen sind. Die Bepflanzung bindet CO2 aus der Luft und erzeugt ein angenehmes Mikroklima um die Tür- me herum, Geräusche werden gedämpft, Staubpartikel aus der Luft gefiltert. Fassaden richten sich nach der Sonne — Möchte man zwischen sich und der Umwelt nur eine dünne Schicht haben, die gerade mal vor Wind und Wetter schützt, bietet sich eine Membrankonstruktion an. Das aktuell größte AUS ALGEN in der Fas- sade des BIQ in Hamburg wird Biogas. Später wird damit das Haus geheizt. LUFTKISSEN machen die Allianz Arena in Mün- chen einmalig. Die 1056 Kissen können autonom in Rot, Blau oder Weiß beleuchtet werden. R129 orientiert sich an der Form von Tautropfen. Das Haus von Stararchi- tekt Werner Sobek vereint Kunststoff und Carbon in einer Klimahülle. 33 Membrandach wurde von den deut- schen Architekten Knippers und Hel- big für die EXPO 2010 in Shanghai konstruiert. In Hamburg packten die Architekten von Behnisch & Partner die Europazentrale des Konsumgü- terherstellers Unilever in der Hafen- City in eine transparente Kunststoffhülle und schufen damit ein Musterbeispiel für nachhaltiges Bauen. Eine Membrankonstruktion schützt auch das Soft House von Kennedy & Violich in Hamburg. Auf einer beweglichen Textilmembran sind Photovoltaikmodule zur Stromerzeugung angebracht, die sich automatisch zur Sonne ausrichten. Maximale Transparenz und Rundumsicht zeichnet Werner Sobeks Entwurf R129 aus.Der StuttgarterArchitekt entwickel- te eine durchsichtige, blasenförmige Klimahülle aus Kunststoff und Carbon. Auf Knopfdruck kann man die elektrochrome Beschichtung der Hülle von transparent bis zur vollständigen Undurchsichtigkeit verändern. Wände aus luftgefüllten Kis- senmembranen geben hingegen der Allianz Arena von Herzog & de Meuron in München ihr besonderes Aussehen. Glas gilt schon lange als der Hightechbereich in der Bau- industrie. Stabilität, Transparenz, Verdunklung, maximale Licht- und Wärmeausbeute bei nur geringen Energieverlusten vereinen sich hier. Fenster können elektrisch blind geschaltet oder eingefärbt werden und ersetzen so großflächig feste Fas- sadenelemente und Mauern. Dass auch Hochhäuser aus Glas anspruchsvollsten energetischen Anforderungen der Zeit ge- nügen können, beweist der Düsseldorfer Architekt Christoph Ingenhoven mit dem Glashaus »1 Bligh« in Sydney: Die Fassa- de des Foyers verfügt über verstellbare Glaslamellen und Glas- Faltelemente, die Frischluft hindurchströmen lassen. Das zen- trale Atrium erstreckt sich über die gesamte Gebäudehöhe von 139 Metern. Durch den Kamineffekt entsteht ein natürlicher Luftstrom nach oben, der im Dachbereich ausgeleitet wird. Die Folge ist ein kontinuierlicher Luftwechsel. Großflächige Verglasung und Ökologie sind also kein Widerspruch mehr. »Im Inneren haben wir eine campusähnliche, offene Struktur geschaffen«, sagt Ingenhoven. »Jeder kennt jeden, informelle, zufällige Treffen sind jederzeit möglich.« Holz – alter Stoff in neuer Form — Ein Kritikpunkt an moderner Architektur ist immer gewe- sen, dass Behaglichkeit und Wärme, nach der sich Menschen sehnen, auf der Strecke bleiben. Dem wirkt der Baustoff Holz entgegen, dem in Zukunft wieder eine wachsende Bedeutung zukommt. Ein günstig erstelltes mehrgeschossiges Haus aus Holz ist das »case study #1« in Hamburg: Module mit quadratischer Grundfläche wurden hier horizontal und vertikal zusammen- gesetzt und gestapelt. Sie gruppieren sich um einen Schacht für die Haustechnik. Das ganze Gebäude ist so konzipiert, dass die Räume von 45 Quadratmeter großen Mikro-Lofts bis hin zu 140 Quadratmeter großen Makro-Lofts variieren können und sich so stets den Lebensbedingungen und Wünschen ihrer Bewohner anpassen lassen. Mehrgeschossige Holzhäuser durften früher aus Brand- schutzgründen nicht gebaut werden, heute gelten sie dank innovativer Bauteile als sicher. Der »Woodcube« in Hamburg- Wilhelmsburg ist so ein fünfgeschossiges Mehrfamilienhaus mit 900 Quadratmeter Wohnfläche. Bis auf den zentralen Auf- zugs- und Treppenhauskern aus Beton besteht die gesamte 8500Tonnen CO2 lassen sich beim Bau eines Holz- hauses sparen. Fotos: Perry Hooper/ Grimshaw; mauritius images / View Pictures LTD; Werner Sobek Group GmbH; Allianz Arena München Stadion GmbH; mauritius images / Novarc;
  • 22. DER WOODCUBE in Hamburg- Wilhelmsburg wurde komplett frei von Schadstoffen gebaut und ist vollständig recycelbar. EIN ATRIUM von 139 Meter Höhe sorgt im gläsernen Hochhaus »1 Bligh« in Sydney von Stararchitekt Christoph Ingenhoven für natür- liches Raumklima in allen Etagen. 34 Tragkonstruktion aus Massivholz. »Die großen Querschnitte der Wände isolieren ausgezeichnet, speichern Wärme und ha- ben ein sehr langsames Abbrennverhalten, sie bieten also ei- nen ausgezeichneten Feuerwiderstand«, erklärt Prof. Karsten Tichelmann von der TU Darmstadt. Beim Bau wurde zudem komplett auf Leim, Holzschutzmittel und andere Bauchemie verzichtet. Das erleichtert einen späteren Rückbau und ermög- licht eine Nachnutzung der Baustoffe. Berechnungen zufolge spart der »Woodcube« bereits in der Bauphase gegenüber ei- nem herkömmlichen Massivhaus 8500 Tonnen CO2 ein. Die schonende Bauweise erfreut außerdem Bewohner wie Jona- than Holler: »Ich bin Allergiker und Asthmatiker. Mir gefällt das Raumklima hier, ich muss nicht mehr niesen und habe kei- nerlei allergischen Reaktionen mehr.« Häuser aus dem 3D-Drucker — Nicht nur die Baustoffe verändern sich, auch die Baustellen sehen in Zukunft anders aus. In Amsterdam kann man der- zeit beispielsweise dabei zusehen, wie ein ganzes Grachtenhaus ausgedruckt wird. Das Architekturbüro DUS lässt die Einzel- teile des Gebäudes an Ort und Stelle zusammenstecken. Platz für Kabel und Rohre findet sich in den Wänden. Ein Vorteil eines Hauses aus dem 3D-Drucker soll sein, dass die Bewohner es bei einem Umzug mitnehmen können. Noch aber handelt es sich hierbei um ein Experiment. Das gilt auch für das Druck- material: Die Teile des »3D Print Canal House« bestehen aus recyceltem Plastikschrott. Der österreichische Architekt Peter Ebner hat mit Studen- ten der University of California, der Huddersfield University in England und der Technischen Universität München bereits ein fertiges Mini-Haus ausgedruckt. Es bietet eine Fläche von 4,6 Quadratmetern und wurde speziell für junge Leute ent- worfen, die allein leben und selten zu Hause sind. Grundstoff ist ein auf Sand basierender Stoff, der mit einem speziellen Kleber zusammengehalten wird. Das Haus soll so viel Kom- fort wie möglich bieten – eben Bett, Küche und Bad sowie Stühle, die sich aus dem Boden hochklappen lassen. Vernetzt und hoch hinaus — Das Haus der Zukunft, das sich im Idealfall selbst mit Energie versorgt, wird Teil eines intelligenten Stadtnetzes, eines sogenannten Smart Grid, sein. In diesen Netzen wer- den überschüssige Ressourcen dahin gelenkt, wo sie gerade gebraucht werden, zum Beispiel in die Batterien von Elek- troautos. Hinzu kommen neue, intelligente Nahverkehrs- konzepte, die sich auf die Bedürfnisse der Bürger einstellen können – so sollen zum Beispiel Staus schon vor dem Entste- hen vermieden werden. Welche Vorteile so eine Smart City haben kann, soll man bald in Hamburg erleben können. In einer Kooperation mit dem US-Konzern Cisco Systems, der mit seinen Routern und Switches weltweit die Infrastruktur für das Internet stellt, will die Hansestadt die Straßenbe- leuchtung nach Bedarf steuern. Ein »Smart Traffic System« soll Verkehrsströme lenken und optimieren. »Es muss aber sichergestellt sein, dass die dabei anfallenden Datenmengen vor fremdem Zugriff geschützt sind«, warnt Professor Radu Popescu-Zeletin vom Fraunhofer-Institut für Offene Kom- munikationssysteme in Berlin. »Denn ohne das Sammeln und Interpretieren der riesigen Datenmengen, die in der vernetzten Stadt anfallen, kann die Smart City nicht optimal funktionieren. Sichere Lösungen sind aber dringend erfor- derlich, wenn wir in einer von Computern gesteuerten Stadt nicht das Private verlieren wollen.« Eine geradezu überirdische Vorstellung von der Zukunft des Bauens verfolgt der Amerikaner Elon Musk. Der Gründer von Tesla Motors plant auf dem Mars eine Kolonie für bis zu 80000 Einwohner. Die Reise zum derzeit 92 Millionen Kilo- meter entfernten Planeten sei technisch machbar, sagt der Milliardär. Ein Vergnügen dürfte das Leben dort freilich nicht werden. Meteoriteneinschläge und hohe Strahlungswerte lassen für Kritiker nur einen Schluss zu: Auf dem Mars sollte man in geschützten Lavahöhlen wohnen. Das Leben in Höh- len aber ist ein Wohnkonzept der Vergangenheit. Fotos: ingenhoven architects + architectus / H.G. Esch, Hennef; Cordelia Ewerth ©bugattiautomobiless.a.s. fuel consumption: combined 23.1 l/100 km · co2 emission: in town 867 g/km, out of town 348 g/km, combined 539 g/km LES LEGENDES DE BUGATTI BLACK BESS www.bugatti.com www.facebook.com/bugatti
  • 23. — Als der chinesische Präsident Xi Jinping im März Europa besuchte, hat er mit dem Hinweis auf Napoleon in Paris gesagt, dass der Löwe China bereits aufgewacht sei. Bekanntlich war Napoleon der Meinung: »China ist ein schlafender Löwe.Wenn er aufwacht, wird die ganze Welt zittern.« Muss die Welt tatsächlich vor China zittern? Das ist wahrscheinlich nicht notwendig in der heutigen Zeit, auch wenn China in den vergangenen 30 Jahren ein beeindruckendes Wachstum vorweisen kann. Zuletzt zeigte die chinesische Wirtschaft aber eine deutliche Ab- schwächung, so dass man fragen muss, ob das chinesische Modell seinen Zenit überschritten hat. Hinweise auf eine sich abschwächende Wirtschaft kommen vor allem aus diesen Bereichen: 1. Die Kapitalproduktivität sinkt relativ stark seit 2010. Auch wenn die Investitionen stark gestiegen sind, wächst die Wirtschaft nicht mehr entsprechend. 2. Die Wettbewerbsfähigkeit Chinas auf der Welt sinkt, so dass einige westliche Unter- nehmen ihre Produktionsstandorte von China nach Südostasien verlagern. Sogar chinesischeTextilunternehmen produzieren inzwischen inVietnam oder Bangladesch, weil die Löhne in China in den letzten Jahren so stark gestiegen sind. 3. Die im vergangenen Winter fast landes- weit aufgetretene Smogsituation weist auf gravierende Umweltprobleme im Land hin. 4. Die Bevölkerung beginnt als Folge der Ein-Kind-Politik zu schrumpfen, das Wachstumspotenzial sinkt folglich. — Bei den derzeitigen Rahmenbedingungen in China lässt sich feststellen, dass die Gren- zen des Wachstums erreicht sind. Das ist der chinesischen Regierung natürlich nicht verborgen geblieben. Als Reaktion darauf hat die Regierung unter der Führung des neuen Präsidenten Xi Jinping im November umfangreiche Reformmaßnahmen eingelei- tet, um den Wachstumskurs beibehalten zu können. Die Reformen erstrecken sich auf fast alle Bereiche – Wirtschaft, Sozialsysteme, Staats- verwaltung, Kultur, Justiz und Militär. Dies ist die dritte umfangreiche Reform, seit Deng Xiaoping dieTür Chinas Ende der 1970er Jahre nach außen geöffnet hatte: Die erste Reformphase begann Anfang der 1980er Jahre, als dieVolkskommunen aufgelöst wurden und die Bauern ihre eigenen Äcker bestellen konnten. Die zweite war Anfang der 1990er Jahre unter der Füh- rung von Staatspräsident Jiang Zemin und Premierminister Zhu Rongji; die meisten Staatsunternehmen wurden in den Markt entlassen, das Staatsfinanzsystem neu geordnet. — Es handelt sich ohne jeden Zweifel um ein sehr ambitioniertes Reformpro- gramm. Ob alle Reformschritte erfolg- reich durchgeführt werden können, bleibt vorläufig offen. Dennoch ist interessant zu fragen, warum die chinesische Regie- rung so ein umfangreiches Programm vorgestellt hat. Das hat wohl sehr viel mit der neuen Regierung zu tun. Der neue Staatspräsident Xi Jinping ist ein sehr ambitionierter Mensch. Er will den »chinesischenTraum« in seiner Amts- zeit, die noch etwa neun Jahre dauern wird, verwirklicht sehen.Was dieser Traum beinhaltet, ist bis heute nicht ganz konkretisiert worden, seit er Anfang 2013 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Er wird ungefähr so verstanden, dass China sowohl wirtschaftlich als auch politisch ein starkes Land sein soll. — Wie können die Reformen helfen, die Ziele zu erreichen? Das soll hier anhand der Reform der Staatsunternehmen sowie der Sozialreform erläutert werden. Die Staatsunternehmen dominieren die Wirtschaft nicht mehr so wie noch in den 1980er Jahren. Allerdings sind sie fast ausnahmslos die größten Unternehmen in ihren Branchen. Beim Reformprozess DR. ASOKA WÖHRMANN Co-Chief Investment Officer Deutsche Asset & Wealth Management Tel.: +49 (0)69 9101-8500 Der schlafende Löwe erwacht wieder 40 W E RT E / N ° 10 – 2014 Innovationen und Reformen können China neues Wachstum bescheren. Eine Analyse von Asoka Wöhrmann 41 STRATEGIEN & MÄRKTE / DR. ASOKA WÖHRMANN müssen sie zwei Fragen beantworten: 1. Sind sie strategisch wichtig für China? 2. Operieren sie auf einem Markt mit dem Charakter eines natürlichen Mono- pols? Ziel ist: Alle Unternehmen sollen in den Markt entlassen werden, die für China nicht strategisch wichtig sind und deren Produktmarkt kompetitiv ist. Es wird allerdings keine großangelegte Privatisierung der Staatsunternehmen geben. China geht einen anderen Weg als etwa Osteuropa vor 20 Jahren. Chi- nas Weg lautet »Let the private grow«. Falls die privaten Unternehmen wirklich effizienter sind, so werden sie schneller wachsen undTalente aus den Staatsun- ternehmen anlocken, so dass am Ende die Staatsunternehmen keine Rolle mehr spielen. Dabei vermeidet man soziale Spannungen bei den mächtigen Beschäf- tigten der Staatsunternehmen. Sicherlich wird es aber nicht abgelehnt, wenn ein privates Unternehmen ein Staatsunter- nehmen übernimmt oder sich beteiligt. — Bei der Sozialreform müssen zwei Fragen beantwortet werden: 1. Wie kann das Wachstumspotenzial auf hohem Niveau gehalten werden? 2. Wie kann das soziale Sicherungs- system nachhaltig gestaltet werden? Aufgrund der Ein-Kind-Politik steht China vor gewaltigen Problemen – der Überalterung der Gesellschaft. Da das Renteneintrittsalter für Frauen bei 55 und für Männer bei 60 Jahren liegt, wird es nicht schwierig, es auf 60 bzw. 65 anzuheben, zu- mal die Lebenserwartung auf ein ähnliches Niveau wie in westlichen Industrieländern gestiegen ist. Eine Alternative, das Angebot von Beschäf- tigten relativ konstant zu halten, ist die Aufgabe der Ein-Kind-Politik. Es dauert zwar einige Zeit, bis die Kinder aufgewachsen sind.Wird das Renteneintrittsalter aber nur allmählich angehoben, muss es nicht dazu kommen, dass das Angebot von Arbeit in der Übergangszeit kleiner wird. Die Ein- Kind-Politik wird seit Anfang 2014 durch die Politik der Zwei-Kinder-Familie ersetzt. Es muss dabei jedoch nicht befürchtet werden, dass der Lebensstandard der Familien sinkt, weil die Ein-Kind-Politik nicht nur das Bevölkerungswachstum in den letzten 20 Jahren auf null reduziert, sondern auch den privaten Haushalten erlaubt hat,Vermögen aufzubauen. Auch wenn die Reformen erfolgreich sein sollten und die Effizienz der Wirtschaft gesteigert werden kann, muss das nicht bedeuten, dass das Wachstum für längere Zeit hoch gehalten werden kann, denn momentan wird es überwiegend durch Investitionen getragen. — Folgende Aspekte sind entscheidend für nachhaltiges Wachstum: 1. Der Urbanisierungsprozess, der in den letzten 15 Jahren jährlich ca. 18 Millionen Menschen vom Land in die Städte ge- führt hat, geht wahrscheinlich für weitere 20 Jahre weiter, da der Urbanisierungs- grad in China erst bei 53 Prozent liegt. Damit verbunden sind enorme Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Wohnungsbau und Soziales. Das sorgt für hohes Potenzialwachstum. 2. Die chinesische Wirtschaft befindet sich in einer Phase des Übergangs, wobei der Haupttreiber des Wachstums von Investitionen auf Konsum übergeht. Dabei sind Maßnahmen zu nennen wie der Aufbau eines umfangreichen sozialen Sicherungssystems, Umverteilung von Kapital zu Arbeit, das heißt: Lohner- höhungen sowie die Politik der Zwei- Kinder-Familie. 3. Häufig wird in der Diskussion nicht erwähnt, dass China vor einem Innovationsschub steht. Dieses Jahr verlassen etwa sieben Millionen Absol- venten die Hochschulen. Das ändert sich auch in den kommenden Jahren nur ge- ringfügig. Ferner sind in den letzten fünf Jahren rund eine Million Fachkräfte aus dem Ausland nach China zurückgekehrt, was der Wirtschaft hilft. Das ist bereits bei Patentanmeldungen zu sehen – sie steigen seit 2008 jährlich um ca. 30 Pro- zent. Innovationen und neue Produkte werden also zur treibenden Kraft. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Aussichten für China sehr gut sind, sofern die Reformmaßnahmen annähernd erfolgreich durchgeführt werden können. Investitionen werden effizienter aufgrund der Reform der Staatsunternehmen, so dass sich die Profitabilität der Unterneh- men stark verbessern sollte. Die Umwelt wird schonender und nachhaltiger behan- delt. Das Wachstumspotenzial wird länger auf hohem Niveau bleiben, so dass der Aufstieg zur größten Weltwirtschafts- macht früher als 2020 kommt – so wie es die chinesische Regierung prognos- tiziert hat. CHINA NIMMT FAHRT AUF. Die Abkehr von der Ein-Kind- Politik, Stärkung des Konsums und Reformen können für neues Wachstum sorgen. Das Bild entstand auf der Luxus- messe »Hainan Rendez-Vous«. Fotos: Deutsche Bank; Gladieu/Figarophoto/laif