Das Prekariat des Schweizer Journalismus
Die letzten Jahre des Schweizer Journalismus waren stark geprägt von einem enormen Kostendruck und damit einhergehendem Abbau von redaktionellen Strukturen (AZ-Medien, Espace Media, NZZ-Gruppe, Tamedia). Im gleichen Zeitrahmen machen unter den Schlagworten „Newsroom“ bzw. „Newsdesk“ in vielen Schweizer Redaktionen organisationale Redaktionsumbrüche Schule. Linienorganisationen mit klaren inhaltlichen Zuständigkeiten weichen vermehrt – und vor allem bei neu sich institutionalisierenden Medien – funktionalen Organisationsprinzipien, bei denen ein einzelner Redaktor für mehrere Ressorts gleichzeitig arbeitet (Meier 2009; 2006). Der Bedeutungsabbau von Ressorts und der Trend zur ressortübergreifenden Zusammenarbeit bzw. zur Aufhebung von spezialisierten Ressorts ist ambivalent zu beurteilen, weil die Einführung von Newsdesk bzw. Newsroom durchaus „seismographisches Potenzial“ freisetzen, aber auch eine Schwächung der organisationalen Verortung von Fachwissen bedeuten kann (vgl. Deuze 2004: 140; Meier 2006; Blöbaum 2008: 125ff.).
Aufgrund von technologischen und ökonomischen Entwicklungen ist zudem in den letzten Jahren in zahlreichen Medienorganisationen bzw. Redaktionen eine Entwicklung in Richtung Medienkonvergenz zu beobachten (Garcia Avilés et al. 2007, Meier 2009); also die durch Digitalisierung ermöglichte, „crossmediale“ „multi-channel“ Produktion und Publikation von Medieninhalten unabhängig von einzelnen Plattformen oder Medientypen, wobei sich der Grad der Kooperation stark unterscheidet (Dailey et al. 2005). Die verstärkte Zusammenarbeit crossmedialer Teams sowie die Senkung von redaktionellen Produktionskosten sind zwei Ziele, die mit diesen Strategien verbunden werden (Quinn 2005). Für Quandt/Singer (2008) fallen erste Erfahrungen mit der Einführung von medienkovergenten Organisationsformen denn auch ambivalent aus. Probleme zeigen sich vor allem in der – kostenintensiven – Koordination verschiedener Medientypen mit ihren unterschiedlichen Produktions- und Publikationsrhythmen. Zudem stehen solchen Umstrukturierungen offenbar historisch gewachsene, medientypische Journalismuskulturen und damit verbundene Kompetenzprofile im Weg. Oft werden in diesem Zusammenhang Journalisten mit Multikanalanforderungen konfrontiert und damit einem höheren Produktionsdruck ausgesetzt; dies gerade in den zurzeit wieder an Bedeutung gewinnenden Online-Plattformen (Online-First) im medienkonvergenten Umfeld.
Der hier vorgeschlagene Beitrag geht der Frage nach, inwiefern sich diese obern beschriebenen Trends auch in einer neuen Stratifikation von Redaktionsorganisationen niederschlagen. Kommt es zu neuen stratifikatorischen und segmentären Differenzierungsprozesse innerhalb der Medienorganisationen? Es ist anzunehmen, dass der Trend der Medienkonvergenz dazu führt, dass neue Arbeitsrollen an Bedeutung gewinnen, die darauf spezialisiert sind, zu entscheiden und zu organisieren, zu welchem Zeitpunkt welche Inhalte bzw. Geschichten oder Teile davon auf welchen Kanälen bzw. Vektoren publiziert bzw. zurückgehalten werden. Dies wiederum hat zur Folge, herkömmliche Rollenträger etwa aus klassischen Ressorts an Bedeutung und Einfluss verlieren und die bisher eher siefmütterlich behandelten Onlineredaktionen besser mit Ressourcen ausgestattet werden. Dies wiederum kann Abschichtungseffekte bzw. eine Prekarisierung hinsichtlich Betätigungs- und Einkommenschancen zur Folge haben, die sich nicht zuletzt auch in einem gravierenden Verlust der Arbeitszufriedenheit bei herkömmlichen Rollenträgern ausdrücken kann.
In methodischer Hinsicht wird zur Klärung dieser Fragen auf zwei Untersuchungen zurückgegriffen. Zum Einen werden Ergebnisse aus einer umfassenden quantitativen Längsschnittuntersuchung (schriftliche Befragung von Journalisten; Primäranalyse) herangezogen (Individual- und (daraus gebildete) Aggregatdaten aus den Jahren 1998 (N=2020)
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2010-11-19 Das neue Prekariat des Journalismus
1. Zürcher Fachhochschule
IAM
Institut für Angewandte Medienwissenschaft
Das Prekariat des Schweizer Journalismus
Mediensymposium 2010
18.-20. November 2010
Vinzenz Wyss@zhaw.ch
2. Zürcher Fachhochschule 2
Fragen
Wo lassen sich im Schweizer Journalismus «prekäre» Zustände
feststellen?
-verringerte soziale Sicherheit
-erschwerte Arbeitsbedingungen
-geringer Professionalisierungsgrad
-schwache Praktiken der Qualitätssteuerung
3. Zürcher Fachhochschule
Anschlussfragen
• Verstärken der Trend zur Konvergenz sowie der Bedeutungsgewinn
von Online die Prekarisierung bestimmter Journalistengruppen?
• Wie wirken sich «prekäre» Arbeitsverhältnisse bestimmter Gruppen
auf die Leistungsfähigkeit des gesamten Journalismus aus?
3
4. Zürcher Fachhochschule
Rückgriff auf das Sample
aus zwei Untersuchungen
Privat-
rundfunk
SRG
Print /
Online
Quantitative
Studie
Methode Onlinebefragung Fragebogen
Im Feld Winter
2006/7
Herbst
2007
Sommer
2008
Grund-
gesamtheit 1’ 100 1’ 800 7’ 300
Sample 449 610 1’ 403
Rücklauf 39% 33% 19%
Qualitative
Studie
Methode Interviews
Beobachtung
-
Interviews
Beobachtung
Im Feld Sommer
2010
-
Sommer
2010
Sample 48 Redakteure in 12 Redaktionen
4
5. Zürcher Fachhochschule 5
WOLLEN / SOLLEN
Deutungsmuster
Normen:
Journalismuskonzepte
Orientierungen
Selektionskriterien
Inszenierungsregeln
KÖNNEN
Allokative &
Autoritative Ressourcen:
Personal, Wissen
Zeit
Arbeitsbedingungen
(Sicherungs-)Prozesse
kommunizieren /
rechtfertigen
Macht ausüben
Regeln der
Signifikation/Legitimation
Ressourcen der
Herrschaftsordnung
Strukturationsprozess
rekursiverProzess
14. Zürcher Fachhochschule
Abgrenzungen
Abgrenzung: „Wir“ und „die dort“
•„Die (Online) machen einfach ohne Absprachen ihre Geschichten und
dann sehen wir (Tages-Anzeiger) ungefähr so, was die am Machen sind.“
•„Jede Information, die wir (20 Minuten) ihnen (20 Minuten Online) geben,
ist für uns verloren. Wir haben das Interesse, eine News so lange wie
möglich für uns zu behalten und dafür umso besser abzurecherchieren,
damit wir am nächsten Tag den Knaller haben.“
•„Wenn die (Onliner) besser werden wollen, legen wir denen sicher nicht
Steine in den Weg.“
14
15. Zürcher Fachhochschule
Abgrenzungen – Abschichtungen?
Abschichtung: „Der Abstieg“
•„Wir alten Kläuse denken Print. Man macht zwar zuerst etwas fürs
Online, aber eigentlich macht man ja trotzdem Print. Vielen ist es nicht
wohl.“
•„In der Abbauübung wird klassischen Printredaktoren gesagt, sie könnten
bleiben, seien danach aber Onlinereaktoren. Das ist vom Status her ein
Abstieg, weil Online noch nicht positiv besetzt ist.“
•Einerseits sagt man, Online sei so wichtig und andererseits hat man dort
minderqualifizierte und schlechter bezahlte Leute.“ (Aargauer Zeitung)
15
16. Zürcher Fachhochschule
«Online ist …«
… „Häppchen“
… „knackige Titel“
... „unsorgfältig“
… „marginal“
… „nicht ernst genommen“
… „unerfahren“
… „fehlerresistent“
… „respektlos“
… „beschämend“
16
«Zeitungstitel funktionieren im Online
nicht. Zu wenig pointiert, zu wenig
boulevardesk, sie machen nicht
neugierig, sind langweilig.
Man muss sie immer adaptieren,
umformulieren, zuspitzen.»
«Man kann durch die Klicks direkt
verifizieren, welche Geschichte gut
läuft. Man weiss, dass Titel, die aus
dem Print importiert werden, immer
schlecht laufen.»
Printredakteure ein Onliner
17. Zürcher Fachhochschule 17
Ressource Internet
als Treiber der Ko-Orientierung
Erleichterte Zugänglichkeit zu Onlinemedien (auch Ausland)
Effiziente Themenfindung („Monitoring“)Potenzial nimmt durch Zahl/Menge zu
Exklusivität V+ +
Reproduktion
Ergänzung
V- +
V- -
Komplexitätsreduktion
Konzentration
Neuer Aspekt / Perspektive
„nachziehen“
Quantitätssteigerung
Stopp
Neue Themensuche
18. Zürcher Fachhochschule 18
Ressource Internet als Treiber der Ko-Orientierung
Erleichterte Zugänglichkeit zu Onlinemedien (auch Ausland)
Effiziente Themenfindung („Monitoring“)Potenzial nimmt durch Zahl/Menge zu
Exklusivität V+ +
Reproduktion
Ergänzung
V- +
V- -
Komplexitätsreduktion
Neuer Aspekt / Perspektive
„nachziehen“
Quantitätssteigerung
„Weil es so einfach ist, schaue ich schon sehr stark, was andere
machen.“
„Ich sehe etwas in einer Lokalzeitung, das in Zürich noch
niemand gelesen hat. Dann übernehme ich die Idee und drehe
daraus eine Zürcher Geschichte.“
19. Zürcher Fachhochschule 19
Andere Medien
Ressource Internet als Treiber der Koorientierung
Erleichterte Zugänglichkeit zu Onlinemedien (auch Ausland)
Effiziente Themenfindung („Monitoring“)Potenzial nimmt durch Zahl/Menge zu
Exklusivität V+ +
Reproduktion
Ergänzung
V- +
V- -
Komplexitätsreduktion
Neuer Aspekt / Perspektive
„nachziehen“
Quantitätssteigerung
„Es kommt vor, dass wir eine Geschichte nicht
machen, weil sie schon anderswo steht oder weil man
nichts Neues generieren kann.
20. Zürcher Fachhochschule 20
Andere Medien
Ressource Internet als Treiber der Ko-Orientierung
Erleichterte Zugänglichkeit zu Onlinemedien (auch Ausland)
Effiziente Themenfindung („Monitoring“)Potenzial nimmt durch Zahl/Menge zu
Exklusivität V+ +
Reproduktion
Ergänzung
V- +
V- -
Komplexitätsreduktion
Neuer Aspekt / Perspektive
„nachziehen“
Quantitätssteigerung
„Wenn die Zeitung ein tolles Interview hat, dann
übernehmen wir die die Rolle eines
Informationsvermittlers, der – unjournalistisch – einfach
eine Zusammenfassung des Interviews bringt.“
„Man heult mit den anderen Wölfen.“
21. Zürcher Fachhochschule 21
Andere Medien
Ressource Internet als Treiber der Koorientierung
Erleichterte Zugänglichkeit zu Onlinemedien (auch Ausland)
Effiziente Themenfindung („Monitoring“)Potenzial nimmt durch Zahl/Menge zu
Exklusivität V+ +
Reproduktion
Ergänzung
V- +
V- -
Komplexitätsreduktion
Neuer Aspekt / Perspektive
„nachziehen“
Quantitätssteigerung
„Manchmal versuche ich einen ganz anderen Aspekt als die anderen in
die Geschichte zu bringen.“
22. Zürcher Fachhochschule
IAM
Institut für Angewandte Medienwissenschaft
Das Prekariat des Schweizer Journalismus
Mediensymposium 2010
18.-20. November 2010
Vinzenz Wyss@zhaw.ch
Notes de l'éditeur
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Dazu gezählt wurden die bezahlten Tages‑, Wochen- und Sonntagszeitungen, Mitarbeitende von SRG-Radio- und -TV-Stationen sowie Journalisten von Presseagenturen.
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