1. Das ethische Problem der Folter
Der Begriff der Folter wird durch das gezielte Zufügen von physischem, aber auch
psychischem Leid an Menschen durch andere Menschen definiert. Die Folter dient
meist als Mittel für einen klaren Zweck, wie der Erpressung einer Aussage, eines
Geständnis, oder anderer Informationen.
Obwohl die Ausübung der Folter sowohl durch das Gewohnheitsrecht, als auch
durch verschiedene nationale und internationale Instrumente verboten ist, sorgte der
Fall des Jakob von Metzler im Jahr 2002, für eine ausführliche öffentliche Debatte
zum Einsatz von Folter in Ausnahmesituationen.
Der Jurastudent Magnus Gäfgen (siehe Abbildung) entführte den 11-jährigen
Bankierssohn Jakob von Metzler am 27. September zum Zwecke einer
Lösegelderpressung. Als die Festnahme des Täters bei der vermeintlichen
Lösegeldübergabe gelingt, ist allerdings noch nichts über den Aufenthaltsort des
Opfers bekannt. Aus Zeitdruck, und in der Hoffnung den Jungen noch lebend zu
finden, ordnet der damalige stellvertretende Polizeipräsident Wolfgang Daschner
an,durch Androhung des unmittelbaren Zwangs, also durch Androhung der Folter mit
Hilfe des Zufügens körperlicher Schmerzen, zu agieren. Daraufhin erklärte sich der
Entführer bereit, die Fahnder zum Aufenthaltsort des Opfers zu führen, wo allerdings
nur noch der Leichnam des Jungen gefunden werden konnte.
Unmittelbar nach der Klageerhebung gegen Daschner wegen Androhung der Folter
wird dieser vom hessischen Innenminister Volker Bouffier seines Amtes als
Polizeivizepräsident enthoben.
Sowohl mehrere Verfilmungen als auch das Urteil des Oberlandesgerichtes Frankfurt
vom 10. Oktober 2012 riefen die Tat auch dieses Jahr wieder in die Präsenz der
Öffentlichkeitzurück. Das Gericht hat in seiner zweiten Instanz entschieden, dass das
Land Hessen zu einer Entschädigung „wegen Folterdrohung im Polizeiverhör“ von
3.000Euro gegenüber Magnus Gäfgen verpflichtet ist.
Auch Wolfgang Daschner persönlich wurde zuvor vom Gericht verwarnt und auf
Bewährung zu einer Strafzahlung von rund 10.800Euro verurteilt.
2. Nach der Aufarbeitung dieses ethischen Dilemmasder Rettungsfolter in der
Öffentlichkeit entstanden neue Kontroversen:
Dürfen solche Maßnahmen zur Erpressung eines Geständnis genutzt werden?
Strikte Rechtseinhaltung oder das menschliche und von Instinkten
bestimmteHandeln? Ist die Folter ethisch vertretbar?
Die Ethik wird als Teilgebiet der Philosophie definiert und stellt die Lehre bzw. die
Theorie vom Handeln gemäß der Unterscheidung von Gut und Böse dar.
Gegenstand der Ethik ist die Moralfrage, die der Gesellschaft dient, solche
Moralkonflikte zu betrachten, sich ihnen zu stellen und sie zu entschärfen. Die Ethik
hat also auch die Funktion das gesellschaftliche Zusammenleben zu regeln.
In der Ethik werden bei der Analyse solcher ethischer Probleme vier grundlegende
Prinzipien zu Rate gezogen: der Utilitarismus, der Egoismus, die Deontologie und die
religiösen Prinzipien. Diese Prinzipien dienen der Erfassung aller Blickwinkel bei der
Betrachtung eines solchen Konfliktes.
Auch das Problem der Folter lässt sich auf diese vier Ansätze übertragen.
Der Begriff Utilitarismus ist vom französischen utilité abzuleiten und bedeutet
Nutzen. Der Utilitarismus, also auch Ethik der Nützlichkeit oder Abwägungsethik,ist
ein normatives Prinzip, das von folgender Maxime ausgeht: „Diejenige Handlung
bzw. Handlungsregel (Norm) ist im sittlichen bzw. moralischen Sinne gut bzw. richtig,
deren Folgen für das Wohlergehen aller von der Handlung Betroffenen optimal sind."
Ziel des Utilitarismus ist es demnach, ausgehend von einer bestimmten Situation,
das größtmögliche Wohl für die meistmöglichen Betroffenen umzusetzen. Betrachtet
werden nach Kosten-Nutzen-Abwägung die Konsequenzen auf alle Betroffenen.
Für den Utilitaristen steht an oberster Stelle also das Wohl der Allgemeinheit. Dies
kann sich auch auf die Problematik der Folter übertragen: Die Folter ermöglicht dem
Ermittler, ein entscheidendes Geständnis zu erpressen. Mit dem Ablegen dieses
Geständnisses, kann der vermeintliche Täter festgenommen werden und für den
Rest der Bevölkerung, der Gesellschaft, also dem überwiegenden Teil der
Betroffenen unschädlich gemacht werden. Der Schuldige muss nun die
Konsequenzen seines Handelns tragen und eine Strafe büßen. Bei besonders
schweren Delikten, werden Gefängnisstrafen auferlegt, in anderen Kulturen sogar
Todesstrafen. Zudem wird er über sein Fehlverhalten belehrt und kann sein Handeln
hinterfragen. Oberstes Interesse einer jeden Justiz muss genau dieses Prinzip sein.
Das Nutzen der Folter kann also für den Schutz der Allgemeinheit unumgänglich
sein.
Allerdings darf die Folter nicht zur Gewohnheit werden. Im Falle einer willkürlichen
Anwendung der Folter durch staatliche Instanzen kann es passieren, dass sich die
Gesellschaft zurückentwickelt. DemokratischeGrundstrukturen müssen dann
nichtmehr gegeben sein. Stattdessen gleicht ein solches System vielmehr den
3. Strukturen eines totalitären Regimes.Sobald die Folter nichthinterfragter Teil des
Ermittlungsapparates ist, können Verbrechen nichtmehr endgültig aufgeklärt und
angemessen bestraft werden. Das Ausüben folternder Handlungen bedeutet auch
immer eine gewisse Macht für den Folterer übereine andere Person oder
Personengruppe. Wenn diese daraus resultierende Macht missbraucht wird, kann sie
auch auf Unschuldige angewandt werden. Zudem können juristische Bevorteilungen
für Einzelne oder Gruppen geschaffen werden.
Bedingung für ein friedliches, moralisch korrektes Zusammenleben ist die Institution
des Rechtsstaates, nach der alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Mit dem
Verletzen dieser Bedingung ist das größtmögliche Wohl für die höchstmögliche
Anzahl an Betroffenen nicht mehr garantiert. Die Folter zur Erpressung eines
Geständnisses kann für die Allgemeinheit somit auch kontraproduktiv sein.
Ein anderes ethisches Prinzip ist der Egoismus (lat. ego = Ich). Die Ethik des
Einzelnen definiert sich durch ein Handeln mit dem Ziel, das größtmögliche Wohl für
sich selbst zu erreichen. Der Egoist wägt ab, was für ihn selbst am besten ist und
verletzt seine eigenen Interessen und Bedürfnisse nicht.
Übertragen auf die Thematik der Folter, eröffnet auch dieses ethische Prinzip
verschiedene Blickwinkel.
Die Erpressung eines Geständnisses durch vorangehende Folter, bringt mehrere
Vorteile egoistischer Natur. Durch die Verhaftung des vermeintlichen Täters und
dessen Bestrafung entsteht - aus der Perspektive des Opfers und dessen
Angehörigen - ein gewisses Gefühl der Vergeltung und der Verarbeitung des
Erlebten. Dies führt zur persönlichen, individuellen Befriedigung und Erfüllung. Auf
Seiten des Opfers kann das Einsetzen der Folter also zum Wohl des Einzelnen
führen.
Auch der Ermittler selbst kann mit der Verhaftung persönliche Befriedigung
erreichen.
Im Gegensatz dazu steht natürlich die Perspektive der Täter. Die physischen aber
auch seelischen Verletzungen, die der Täter durch die Folter erhält sind nicht zu
vergelten. Das Zufügen dieses Leides verletzt diesen nicht nur, sondern erniedrigt
ihn auch. Dies geschieht außerdem Unabhängig von Schuld oder Unschuld, da gar
nicht wirklich ermittelt wird. Da die Folter auch dann ausgeübt wird, wenn die Schuld
nicht bewiesen ist, ist es also auch möglich, dass der Einzelne, der Verdächtige
grundlos gefoltert wird. Aus der Perspektive des Verdächtigen, ist ein Folterverbot
also vertretbar.
Auch die Deontologie (auch: Pflichtethik) bietet einen weiteren ethischen Ansatz.
Dabei werden moralische Werte als absolut gesetzt, nach denen der Deontologie
handelt. Sein Handeln wird als schlecht angesehen, wenn er nicht zu seinen
Pflichten steht. Diese Pflichten stimmen innerhalb bestimmter Kulturkreise meist
überein.
Solche Pflichten können durch Gesetze definiert werden. In unserer Verfassung
nehmen diese auch zum Thema Folter Stellung.
Aus §32 StGB herzuleitend ist die sogenannte Nothilfe, auf die sich auch Wolfgang
Daschner in seinem Prozess bezieht. Dieser Paragraph besagt folgendes: „Notwehr
ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen
Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden“. Mit Hilfe der Notwehr soll also
der Ermittler sich aber auch andere schützen. Dabei kann er auch ein gewisses Maß
an „Verteidigung“ anwenden. Zudem ist es auch die implizite Pflicht eines jeden
Ermittlers, seinen Fall aufzuklären. Er sollte dabei im Sinne der Justiz handeln und
4. sein Bestmögliches zur Aufklärung beizutragen. Folterähnliche Handlungen könnten
also als legitim erklärt werden.
Deutlich klarer positioniert sich die Gesetzeslage allerdings gegen die Folter. Im
Artikel 104 des Grundgesetzes heißt es deutlich:„Festgehaltene Personen dürfen
weder seelisch noch körperlich misshandelt werden“. Explizit wird also formuliert,
dass Folter niemals Bestandteil einer Ermittlung werden darf. Etwas allgemeiner ist
im Artikel 1 des Grundgesetzes, dem zentralen Artikel unserer Verfassung,
festgehalten, dass die „Würde des Menschen unantastbar ist“. Diese Norm beruft
sich auf einen von Immanuel Kant als absolut gesetzten Wert. Laut diesem, darf
auch ein Mensch niemals Mittel zum Zweck werden. Die Folter, die dieses
Ausnutzen beinhaltet, die auch die Würde des Menschen durch sowohl seelische, als
auch körperliche Misshandlung verletzt ist also ebenfalls durch dieses Gesetz
ausdrücklich verboten.
Schließlich bietet auch das Prinzip der religiösen Ethik(lat. religare = verbinden),
basierend auf der strikten Befolgung des Willen Gottes, zwei verschiedene
Grundgedanken. Das Christentum bezieht sich historisch auf zwei verschiedene
Schriften, auf das Alte und Neue Testament. Grundlegend im Alten Testament ist
dabei der Leitsatz „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, welcher nahelegt Gleiches mit
Gleichem zu behandeln. Diese Maxime legitimiert also durch Rache motiviertes und
auf Vergeltung ausgelegtes Handeln. Die Folter ist dafür ein eindeutiges Beispiel, da
sie durch das Foltern selbst, aber auch durch das durch Folter erpresste Geständnis
in gewisser Art und Weise dem Gefolterten das antut, das dieser vorher vermeintlich
dem Opfer angetan hat.
Das Neue Testament positioniert sich allerdings entgegengesetzt dazu. Die Maxime
die heute das christliche Zusammenleben prägt,„Liebe deinen Nächsten, wie dich
selbst“, sagt aus, dass der Einzelne niemandem das zufügen darf, was er auch nicht
sich selbst zufügt. Die Folter geht jedoch von einem Dominierenden und einem
Dominierten aus. Das Kräfteverhältnis und das zugefügte Leid sind also nicht
ausgeglichen. Zudem existieren im Christentum mehrere Gebote, die zwar nicht
eindeutig das Foltern, aber verwandtes Handeln verbieten: Gebot 8: „Du sollst nicht
töten“, Gebot 8: „Du sollst nicht lügen.
Das ethische Dilemma der Folter wird in den Medien häufiger thematisiert. So sagte
der deutsche Journalist, Publizist und HistorikerMichael Wolffsohn in einem
FernsehinterviewFolgendes: „Ich würde sagen: Ja, es ist legitim, weil der Terror im
Grunde genommen mit den normativen Grundlagen, also mit der
Bewertungsgrundlage unserer zivilisierten Ordnung überhaupt nichts mehr zu tun
hat. Und wenn wir da mit Gentleman-Methoden versuchen, den Terror zu kontern,
werden wir scheitern."
Ausgehend von der Problematik des Einsatzes der Folter im Kampf gegen den
Terror, soll die Folter laut dem Träger des Bundesverdienstkreuzes dazu dienen,
wichtige Geständnisse zu erhalten, die ranghohe gewaltbereite Terroristen und
gefährdete Terrorverbindungen lahmzulegen. Laut Michael Wolffsohn sind solche
physisch sowie psychisch gewaltvolle Methoden im Kampf der Sicherung der
Allgemeinheit berechtigt. Die sich von der Folter abgrenzenden Methoden, die hier
negativ als „Gentleman-Methoden“ dargestellt werden, werden als nutzlos
charakterisiert. Er begründet diese Haltung damit, dass manche Taten, hier der
Terror, mit den „normativen Grundlagen“ also den Werten und Normen, auf denen
unser modernes Zusammenleben basiert „nichts mehr zu tun hat“. Die Folter sollte
also dann erlaubt sein, wenn die Taten die menschlichen Richtlinien unserer „zivilen
5. Ordnung“, unserer Gesellschaft überschreiten. Als absolute Priorität setzt er zudem
generell den Kampf gegen den Terror. Er sieht den Kampf gegen den Terror als eine
Kollektive Handlung und betont dies mit der Formulierung „wir“. Zu erkennen sind
folglich utilitaristische Gedanken, wobei der 75-jährige bewusst das Wohlergehen der
Allgemeinheit höher, als das Wohl des Einzelnen setzt. Er sieht es zudem als Pflicht
für die komplette Gesellschaft an, die Werte und Normen des Zusammenlebens zu
wahren und sie Menschen zu entmachten, die sie gefährden. Zudem sind
egoistische Denkstrukturen in der Aussage zu erkennen. Um nicht zu scheitern, darf
alles Erdenkliche unternommen werden.
Die Folter wird im Auge unserer Gesellschaft eher kritisch beäugt. Das Folterverbot
ist natürlich objektiv auch begründet zu respektieren. Das Zufügen psychischer oder
physischer Gewalt stellt ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar. Zum Schutze
der körperlichen und geistigen Unversehrtheit ist die Unantastbarkeit der
menschlichen Würde als absoluter Wert gesetzt. Ein genereller Verstoß gegen
dieses Verbot führt verhindert die freie persönliche Entfaltung der meisten Individuen.
Mit der Legalisierung der Folter würden Angst, Terror, Gewalt und Unmenschlichkeit
unser Zusammenleben dominieren. Terror mit Terror zu bekämpfen erscheint als
nicht gewinnbringend – gar unsinnig, so auch Kofi Annan, damaliger Generalsekretär
der UNO: „Folter, ein Instrument des Terrors, kann niemals im Kampf gegen den
Terror eingesetzt werden“.
Folglich wäre die Demokratie, deren Wahrung in der Verfassung und im Denken der
westlichen Staaten oberste Priorität besitzt, nicht mehr garantiert. Die Demokratie hat
als zwingende Grundlage das Errichten eines Rechtstaates, in dem alle Instanzen
auf ihr moralisch korrektes Verhalten geprüft werden müssen. Durch Folter können
falsche Geständnisse erpresst werden, falsche Tatsachen geschaffen werden, die
das Machtverhältnis innerhalb eines Staates verschieben.
Subjektiv kann das Nutzen der Folter allerdings eher begründet werden Geleitet von
Gefühlen, Intuitionen und Trieben kann das Erreichen des geringstmöglichen Wohles
für den vermeintlichen Täter durchaus von einzelnen Personen gewollt sein.
Außerdem ist die Folter dann für eine größere Anzahl der Bevölkerung legitim, wenn
sie am Ende, als letztmögliche Maßnahme in polizeilichen Ermittlungen steht – wenn
zuvor alle anderen erdenklichen Mittel angewandt wurden – und dabei ein Nutzen
entsteht, der die Rechtsverletzung, die Verletzung der Menschlichkeit wieder
aufwiegt. So im Beispiel der Rettungsfolter im Fall des Jakob von Metzler. Dass das
Folterverbot nicht unantastbar ist, zeigt hier die verhältnismäßig sanfte Strafe für den
stellvertretenden Polizeipräsidenten Daschner.
Das Anwenden der Folter ist daher folglich, wenn überhaupt, ausschließlich in
Einzelsituationen zu vertreten.
Quellen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Daschner-Prozess
http://www.n-tv.de/panorama/Eine-Tragoedie-die-nicht-vergeht-article7307916.html
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/tv-film-der-fall-jakob-von-metzler-der-junge-muss-am-
leben-bleiben-11900861.html
http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/ethik.html
http://m.faz.net/aktuell/politik/inland/folterandrohung-gaefgen-erhaelt-3000-euro-schadenersatz-
11921017.html
http://www.philopedia.de/index.php/teilbereiche/ethische-theorien/utilitarismus
http://www.amnesty.de/themenbericht/fuer-eine-welt-ohne-folter