Joana Breidenbach spricht auf der Denk ich an Deutschland Konferenz über die positive Kraft des Internets. Einen zusammenfassenden Artikel zur Konferenz gibt es hier:
www.denkichandeutschland.net/648.htm
Den Vortrag als Slideshow hier:
http://www.denkichandeutschland.net/665.htm
Da haben wir nun dieses geile Medium Internet – und was machen wir damit?
Wir teilen Katzenbilder auf facebook. Wir schauen Pornos. Wir kaufen Schuhe.
Und während die Klassenbesten der Generation meiner Eltern Ärzte wurden und in meinem Jahrgang sich viel zu viele fürs Investmentbanking entschieden, stehen die klügsten Köpfe heute bei den Samwer Brüdern vor der Tür - und wollen Schuhe übers Internet verkaufen.
Ich glaube, wir können digitale Technologien doch für besseres nutzen.
Aber in der öffentlichen Diskussion über Digitalisierung höre ich hauptsächlich zweierlei.
Auf der einen Seite diskutieren wir besorgt darüber, wie unsere Wirtschaft wettbewerbsfähig bleiben kann.
Und auf der anderen Seite werden wir im Jahre 2 nach Snowden immer skeptischer gegenüber der Technologie als solcher. Das Besondere dabei ist, dass das nicht nur die Menschen betrifft, die immer schon Angst vor neuen Medien hatten. Das gilt auch für die von uns, die digitale Technologien viel, selbstverständlich und bis vor kurzem mit großer Begeisterung nutzten.
Eine wichtige Frage droht in diesem Gemengelage unter den Tisch zu fallen: die Frage, wie wir digitale Technologien für unser Gemeinwohl, für ein Update unserer Zivilgesellschaft nutzen können.
Weltweit wird momentan die Infrastruktur für eine digitale Zivilgesellschaft aufgebaut und Deutschland ist nicht dabei.
Wir haben vor sieben Jahren unsere Plattform betterplace.org gegründet.
Um kleinen lokalen sozialen Initiativen eine kostenlose Infrastruktur zu geben - eine Bühne auf der sie ihre Arbeit transparent der ganzen Welt präsentieren können. Wo der Spender nicht nach Qualität der Hochglanzbroschüre entscheidet wohin seine Spende fließt. Sondern nach Qualität der guten Arbeit.
Mittlerweile haben wir 40 Mitarbeiter. Jeden Monat stellen sich über 600 neue soziale Projekte auf der Plattform vor. Und alleine in den letzten 12 Monaten haben wir 6 Mio Euro Spendengelder zu 100% an soziale Initiativen weitergeleitet.
Und wir haben das betterpace lab gegründet, weil wir überzeugt davon sind, dass digitale Technologien mehr können als nur Katzenbildchen und Schuhe. Und auch mehr, als nur Online Fundraising.
Das betterplace lab erforscht und verbreitet wie Organisationen und Menschen weltweit digitale Medien –Internet und Mobilfunk – für die Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse einsetzen.
Wir sind also already impressed von der Technology. Wir identifizieren Trends an der Schnittstelle digital/sozial, z.B. „Bauern Empowern“, „Big Data 4 Good“, oder „Trade statt Aid “, (also auch Trends, die den sozialen Sektor verlassen und auf andere Teile der Gesellschaft übergreifen).
Das machen wir online auf unser Trendreport Plattform
Und jährlich als Buch.
Wir haben aber mittlerweile nicht nur 34 Trends identifiziert, sondern in unserer Datenbank fast 600 „Cases“, Fallbeispiele für sozial-digitale Innovationen, die diese Trends konkretisieren.
Da finden Sie zum Beispiel „Sproxil“ einen in Westafrika gestarteten SMS-Service, der die Einnahme gefälschter Medikamente verhindert.
Oder das während des Erdbebens in Fukushima entstandene Citizen Sciene Projekt Safecast, bei dem mittlerweile 20 Millionen Daten zur radioaktiven Verstrahlung von Bürgern erhoben und kartographiert wurden.
Aber es reicht nicht nur vom Schreibtisch in Kreuzberg aus zu recherchieren.
Deshalb waren wir im Frühjahr mit einem kleinen Team in 14 Ländern der Welt. Mit Rucksack und Notizblock, unterstützt von Partnern wie Lufthansa, Mozilla, der Gates Foundation oder Zeit Online.
Und haben geschaut, was dort vor Ort los ist, an der Schnittstelle digital-sozial.
Drei Erkenntnisse möchte ich hier mit Ihnen teilen:
Wir fanden unsere Grundannahme bestätigt:
Digital-soziale Innovationen haben ein riesiges Potential Lebensverhältnisse zu verbessern und das Gemeinwohl zu steigern
Hier sind drei von Hunderten von Innovationen, die uns beeindruckt haben:
Jalin Merapi
Ein Bürgernetzwerk auf Java, welches den Ausbruch des Vulkans Merapi beobachtet und über twitter Evakuationen und Hilfsleistungen organisiert. Zum Beispiel reichte ein einziger Tweet nach dem Ausbruch des Vulkans 2010 um innerhalb einer halben Stunde Mahlzeiten für 6.000 Flüchtlinge zu beschaffen.
In Indien entwickelt die Organisation JanaaGraha eine Reihe von Internetgetriebenen Projekten, z.B. die Plattform I Change my City.
Hier bringen sich indische Bürger zum ersten Mal gezielt in die Planung ihrer Großstädte ein.
Aus den USA stammt Crisis Text Line. Die NGO berät Jugendliche in Lebenskrisen. Bis vor einem Jahr benutzten sie dafür eine konventionelle Telefonhotline. Jetzt haben sie auf SMS umgestellt und damit hat sich die Wirkung der NGO potentiell massiv verändert: durch Big Data Auswertungen können sie vollkommen neue Hinweise für Prävention und erfolgreiche Interventionen in ihre Strategie einarbeiten.
Mit diesen neuen Chancen geht natürlich auch ein großes Risiko einher: plötzlich gibt es eine Datenbank mit Millionen von Informationen zu krisengeplagten Jugendlichen, die entsprechend geschützt werden muss. Deshalb ist eine der spannenden Fragen, die uns gerade im betterplace lab beschäftigt: wie gehen wir im Rahmen von Zivilgesellschaftlichen Initiativen mit Big Data um? Wie sieht ein ethischer Umgang mit Daten im sozialen Sektor aus?
2. Erkenntnis ist vielleicht auf den ersten Blick überraschend: aber die wenigsten Innovationen stammen von NGOs oder Stiftungen – also von den klassischen Akteuren des sozialen Sektors
Stattdessen sind es neue Akteure, die digitale Medien für die Zivilgesellschaft adaptieren oder neu entwickeln.
Das können informelle Netzwerke sein, wie hier in Indonesien die Breastfeeding Dads, eine kleine Gruppe von Vätern, die über Twitter Hunderttausend Bürger gegen die mächtigen Milchpulvermultis mobilisieren.
Viele Innovatoren kommen auch aus dem Umfeld von Hubs oder Uni-Inkubatoren
So „SokoText“, ein neues Social Business aus Kenia, mit dem Marktfrauen mehr Gewinn erwirtschaften können, weil sie ihre Einkäufe per SMS poolen und bessere Einkaufskonditionen erhalten.
(Viele unserer Beispiele haben, wie dieses, zivilgesellschaftliche Wurzeln, verfolgen aber einen unternehmerischen – sozialunternehmerischen – Ansatz. Die bis dato geltenden Einteilungen in „for profit“ und „not for profit“ werden damit vielfach obsolet)
In China derweil, wo ich einen Monat geforscht habe, sind große IT-Unternehmen wie Sina Weibo, Tencent oder Alibaba die maßgeblichen Financiers und Betreiber von Spendenplattformen.
Sie versuchen in Absprache mit der Regierung eine Philanthropie 2.0. aufzubauen. Engagementkultur in einem Land, in dem dies bislang unbekannt ist.
Unsere 3. Beobachtung:
In Ländern wie Indien, Brasilien, Kenia und selbst Ruanda, sind wir mehr digitalen Innovationen für die Zivilgesellschaft begegnet, als in den sieben Jahren, in denen wir in Deutschland das Feld beobachten.
Woran liegt das?
Wir haben uns während der Feldforschung immer wieder bemüht, die Erfolgsfaktoren für eine dynamische digital-soziale Szene zu identifizieren.
Diese Landkarte mit fördernden und hemmenden Indikatoren ist unser erster, sehr rudimentärer Versuch. (Grafik ist in der Broschüre zum LATW, die als Teil des Trendreports ausliegt)
Drei Faktoren meinen wir schon jetzt identifizieren zu können:
eine proaktive Regierungspolitik:
In Indien hilft der Staat sehr bewußt erfolgreichen Pilotprojekten zu skalieren.
Die Obama Administration hat ebenfalls eine explizite Civic Tech – Bewegung ins Leben gerufen. In deren Rahmen bemühen sich Institutionen wie Code for America die Kluft zwischen Kommunen und Verwaltungen auf der einen Seite und der Tech-Community auf der anderen zu schließen.
Aber auch in Ruanda treffen sich Minister selbstverständlich mit Bürgern in regelmäßigen Google Hangouts.
2. wichtiges Erfolgskriterium ist natürlich auch der Zugang zu Investoren und Förderern.
Einem Report der Knight Foundation zufolge wurden in den USA zwischen Januar 2011 und Mai 2013 mehr als $430 Millionen investiert, um soziales Engagement zu fördern und den öffentlichen Sektor effektiver zu machen. Das Geld stammt hauptsächlich von Stiftungen, privaten Philanthropen und Unternehmen.
Was wird da gefördert?
Die geförderten Themen umfassendigitale Tools für Bügerfeedback, Offene Daten Portale, Community Organising Plattformen, Nachbarschaftsforen und Crowdfunding-Plattformen.
Wer aber finanziert hierzulande die technologische Infrastruktur der Zivilgesellschaft?
Zurückblickend auf die letzten 7 Jahre meines Engagements in dieser Szene: Stiftungen undUnternehmen sind es nicht.
Eine Ausnahme dabei sind wenige Stiftungen und CSR-Abteilungen technologie-affiner Unternehmen.
SAP
Vodafone
Um öffentliche Gelder haben wir uns ebenfalls bislang umsonst bemüht.
Und wenn öffentliche Gelder für Online Dienste ausgegeben werden, dann ist meine Erfahrung, dass viel Geld in ahnungslose Projekte fließt, die keine Wirkung haben.
Es gibt hierzulande ein paar Einzelpersonen, die sich an Crowdinvesting-Aktionen z.B. für Bildungsprojekte beteiligen. Auch meine betterplace Mitaktionäre fallen in diese Rubrik, als sie das Startkapital für unsere Plattform bereitstellten. Wir haben an eigenem Leib erlebt, wie essentiell es ist Investoren zu finden, die den Anschub ermöglichen. In dieser Zeit konnten wir unser Geschäftsmodel massieren und adaptieren. Seit 3 Jahren kann sich die Plattform aus eigener Kraft refinanzieren.
Momentan auf der Suche nach Wachstumskapital und sprechen wieder eher mit amerikanischen Finaciers als mit deutschen.
Also: Von einer Investitionswelle in zivilgesellschaftliche Tech-Innovationen sind wir weit entfernt. Es erscheint, als ob die Tatsache, dass die Zivilgesellschaft von Morgen auch eine technologische Infrastruktur benötigt, im öffentlichen Bewußtsein noch nicht angekommen ist.
Womit wir bei meinem letzten Erfolgsfaktor wären: der Haltung.
In vielen Ländern konnten wir eine unglaubliche Begeisterung für digitale Kommunikation erleben, die mit einer hohen Adaptionsgeschwindigkeit für neue Dienste, Produkte und Kampagnen einhergeht.
Das kann man von Deutschland nicht sagen. Das Mißtrauen gegen Digitalisierung kann ich vor dem Hintergrund von Datenklau, Überwachung und den vielen offenen Rechtsfragen gut nachvollziehen. Aber die Alternative zu unkritischem Hype ist ja nicht Feindlichkeit, sondern reflektierte Nutzung.
Wir brauchen eine Kultur der mutigen Experimente (Hunderte Beispiele aus Trendreport für Scheitern). Wir müssen Showcases für gelungene digital-soziale Innovationen verbreiten. Wir brauchen ein Bewußtsein für “das gute Internet”.
Das ist die große Chance unsere Zeit. Und das bedeutet für alle die gelangweilt von meiner Rede auf ihr Smartphone schauen: Teilen Sie bitte keine Katzenfotos. Kaufen Sie keine Schuhe. Sondern helfen Sie mit, die Geschichten über das gute Internet weiterzutragen.