Holacracy - Das Betriebssystem eines Computers als mentales Modell
Sd für manager
1. -1-
1 Einleitung
„If we believe that organizational life can usefully be seen as loops of causal relations
involving accumulations, delays and non-linearities then we intervene in those systems
at our peril. We do not have the cognitive capacity to implement mental simulation and
yet we purport to do it all the time. Decision makers are already model builders – just
very bad ones.“
[Dr. David C. Lane]
1.1 Forschungsfrage
Das Umfeld unternehmerischer Entscheidungen hat in den letzten Jahren eine
dramatische Zunahme an Komplexität erfahren. Eine klare Ursache für die Zunahme
der Komplexität unserer sozialen Systeme ist die zunehmende Vernetztheit. Der
sprunghafte Anstieg der Mobilität von Informationen macht eine Verbreitung von Ideen
schneller und billiger als jemals zuvor. Jeder Anstieg in der Vernetzung unserer
Systeme in der Vergangenheit – von der Schifffahrt über die Eisenbahn, Telegraphen,
das Internet bis zur Mobiltelefonie – hat die Welt in Raum, Zeit und Aufwand der
Interaktionen von Menschen, Unternehmen und Ideen schrumpfen lassen. Vernetzung
zwischen Ideen schafft die nächste Produktinnovation, Vernetzung zwischen
Unternehmungen die nächste Fusion. Vernetzung zwischen Käufern, Verkäufern und
Supply Chains verkürzt die Produktlebenszyklen.
Stark verflochtene soziale Systeme beginnen nicht-linear zu werden, kleine Ursachen
können disproportional große Auswirkungen haben. Gerade die Nichtlinearität in den
Verbindungen der Systemelemente und die damit einhergehende dynamische
Komplexität des Gesamtsystems bereiten erhebliche Probleme bei der Prognose des
Systemverhaltens nach Eingriffen. Zahlreiche Studien belegen, dass wir schon bei
Interventionen in die einfachsten Systeme an unsere kognitiven Grenzen stoßen. Das
menschliche Gehirn verfügt nicht über die notwendige Kapazität, die erforderlich wäre
das Systemverhalten nach Eingriffen mental zu simulieren. Gerade darin, nämlich die
gestaltende Intervention in soziale Systeme besteht jedoch die Aufgabe von
Entscheidungsträgern in Organisationen.
Die Systemdynamik nach J. W. Forrester gibt uns Werkzeuge an die Hand, die es uns
ermöglichen, die Komplexität sozialer Systeme sichtbar und handhabbar zu machen.
Als Methode der quantitativen Simulation stellt sie Akkumulationsprozesse und
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Informationsfeedback in den Mittelpunkt der Betrachtung sozialer Systeme. Obwohl es
diese Möglichkeiten schon seit mehr als 40 Jahren gibt, konnten die Ziele, die sich das
Feld in seinen Kindertagen gesetzt hat bisher bei weitem nicht erreicht werden. In
seinem Klassiker „Industrial Dynamics“ beschreibt der Vater von System Dynamics Jay
W. Forrester eine Situation, in der „proper men with the managerial viewpoint“ ein
„understanding of the company’s problems and of system dynamics behavior“
entwickeln. Diese Männer sind „in demand to fill management positions in the
company“ (Forrester 1961, Chp. 21). System Dynamics wurde also mit der Zielgruppe
„Manager“ entwickelt. In einer Studie aus dem Jahr 2003 von Bain & Company
(www.bain.com), die alljährliche mehrere hundert Top-Manager bezüglich der
H H
verwendeten Werkzeuge befragt findet System Dynamics keinerlei Erwähnung.
Eine Reihe von „success stories“ in der Literatur belegen das enorme Potential der
Methode für langfristigere Unternehmensentscheidungen. Trotzdem hat die
Systemdynamik bisher keinen Einzug in die Fülle an Managementmethoden und
Managementwerkzeugen halten können und ist nicht über den Zustand einer
Randerscheinung hinweg gekommen. System Dynamics in der heutigen Form der
Anwendung ist sehr stark wissenschafts- und expertenlastig. Die vorherrschende Form
der Anwendung beschränkt sich zumeist auf den Einsatz als Methode in
wissenschaftliche Untersuchungen oder auf hochspezialisiertes
Unternehmensconsulting.
Die geschilderten Überlegungen als Basis führen zur zentralen Fragestellung dieser
Arbeit:
Was sollen Manager als Nicht-Experten im Modellieren über System Dynamics
wissen, um die Methode zum Vorteil für ihre Organisation einsetzen zu können?
1.2 Behandlung der Frage in der Literatur
Die Wurzeln von System Dynamics – damals noch Industrial Dynamics – liegen in der
Erforschung des dynamischen Verhaltens sozialer Systeme und reichen bis in die
frühen 50er Jahre des 20. Jahrhunderts zurück. System Dynamics in heutiger Form
findet Anwendung in zahlreichen Gebieten der Naturwissenschaften der technischen
Wissenschaften und der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Entsprechend der
Zielgruppe dieser Arbeit beschränkt sich die Literaturanalyse auf Veröffentlichungen,
die in Zusammenhang mit Management stehen.
3. -3-
Ein in den letzten Jahren wachsender Teil der Literatur steht in engerem Kontakt mit
der Forschungsfrage. Diese wichtige Entwicklung könnte man mit den Schlagworten
„Modellieren mit dem Management“ zusammenfassen. Kernpunkt dieser Entwicklung
ist eine neue Definition des Zweckes von Modellen. Weg vom fertigen
Simulationsmodell als Black-Box rückt der Prozess des Modellierens mit den
Modellkonsumenten in den Mittelpunkt der Überlegungen. Der neue Modellzweck ist
weniger Prognose als viel mehr Modellieren für Lernzwecke.
Ein Teil der angesprochenen Literatur behandelt dabei mehr die technischen Aspekte
des Modellierens in Gruppen, z. B. Ford und Sterman 1998b, Richardson und
Andersen 1995, Andersen et. al. 1997b, Vennix et. al. 1996b, Vennix 1999 oder
Richmond 1997. Andere Veröffentlichungen beziehen sich auf die Frage wie das
Modellieren in Gruppen, und Modelle als Management Flight Simulators Lernen bei
den beteiligten Managern fördern können, z. B. Morecroft 1992 und 1992b, Senge und
Sterman 1994, Bakken et. al. 1992, Isaacs und Senge 1994 oder Morecroft 1984.
Auffallend ist, dass die Thematik in der Literatur typischerweise vom Standpunkt des
Experten-Modellierers aus betrachtet wird. Die Frage was Manager über System
Dynamics wissen sollen stellt sich dabei nur am Rande weil praktisch immer
Situationen beschrieben werden, in welchen ein Experte ein Modell für einen Kunden
erstellt. Aus dieser Perspektive betrachtet sind Manager in erster Linie einerseits
Informationsquellen im Prozess des Modellbaus, andererseits Lernende, welche die
Lektionen aus dem Modell aufnehmen sollen.
Das durch Peter Senge (Senge 1990, Senge und Kleiner 1994b) Anfang der 90er
Jahre populär gewordene Systems Thinking richtet sich hingegen direkt an Manager.
Hier wird jedoch Wissen über quantitative Simulation komplett ausgeklammert. Senge
beschränkt sich ausschließlich auf die Vermittlung von Wissen über qualitative
Modelliertechniken.
Die wenigen Lehrbücher im Feld (Coyle 1977, Coyle 1996, Sterman 2000) sind sehr
simulationszentriert und in erster Linie für angehende Experten im Modellieren
geschrieben.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die konkrete Forschungsfrage in dieser
Form in der Literatur bisher nicht gestellt wurde. Quantitative Simulation für Nicht-
Experten ist ein Thema, zu dem sich die Veröffentlichungen im Feld nicht äußern.
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1.3 Ziele der Arbeit und Ablauf der Untersuchung
Die Arbeit an meiner Dissertation gestaltet sich als ein Prozess, in dem gewonnene
Erkenntnisse die weitere Vorgehensweise bestimmen. Der Prozess wird dabei von drei
wesentlichen Zielsetzungen geleitet:
1. Zielgruppe
Die Arbeit hat eine klare Zielgruppe: Manager als interessierte Neulinge in System
Dynamics. Die Arbeit soll für diesen Personenkreis lesbar sein, das heißt ich werde
versuchen, wo immer möglich, eine übertriebene Verwendung von Fachtermini zu
vermeiden.
2. Klare Aussagen
Die Arbeit soll klare Aussagen darüber treffen,
• Welches Wissen über System Dynamics für Manager relevant ist.
• Warum es relevant ist.
• Wofür es verwendet werden soll, bzw. wie es eingesetzt werden kann.
3. Praktische Ergebnisse
Die Ergebnisse der Arbeit sollen praktische Bedeutung haben. Das heißt, sie sollen
einerseits praktisch umsetzbar sein und andererseits eine vorherrschende Situation
verbessern. Im Endeffekt müssen die Aussagen dieser Arbeit dazu führen, dass im
Management „bessere“ Entscheidungen getroffen werden.
Im nächsten Kapitel werde ich die Ergebnisse einer explorativen Expertenbefragung
vorstellen, die im Rahmen des ersten europäischen System Dynamics Work Shops in
Mannheim im März 2003 durchgeführt wurde.
Das dritte Kapitel legt einen theoretischen Bezugsrahmen als Basis weiterer
Überlegungen in der Arbeit. Gleichzeitig wird hier beantwortet, warum System
Dynamics Wissen bei Managern vorteilhaft ist.
Das vierte Kapitel erhebt den Status Quo in der Anwendung von System Dynamics und
bereitet den Weg für weitere Untersuchungen in den folgenden Kapiteln.
Kapitel fünf definiert das breite Spektrum an System Dynamics Wissen.
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Kapitel sechs untersucht die Möglichkeiten und Grenzen qualitativer
Modelliertechniken.
Das siebente Kapitel stellt die grundsätzlichen Ergebnisse der Arbeit vor und bietet
Anknüpfungspunkte für zukünftige Forschung.
Das achte und letzte Kapitel wird sich damit befassen, die Ergebnisse aus den
vorhergehenden Abschnitten in konkrete und umsetzbare Empfehlungen umzusetzen.
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2 Experteninterviews
2.1 Ziel der Befragung
Ein erstes Herantasten an die Hauptforschungsfrage „Was sollen Manager über
System Dynamics wissen?“ erfolgte über eine teils schriftliche, teils mündliche
Befragung von namhaften Experten auf dem Gebiet. Die sehr offen formulierte
Hauptforschungsfrage machte es zunächst erforderlich einige Arbeitshypothesen zu
generieren, anhand derer die eigentliche Frage beantwortet werden konnte. Der
Charakter der Befragung war daher ein explorativer, in dem Sinn, dass eine „fremde
Wirklichkeit“ in all ihren verschiedenen Facetten und Ausprägungen erforscht werden
sollte. Die Ziele der Befragung waren:
• Hilfe bei der Generierung von Arbeitshypothesen bzw. Konkretisierung der
Hauptforschungsfrage.
• Aufdeckung eventueller Probleme oder Aspekte, die bis zu diesem Zeitpunkt nicht
bedacht worden sind.
• Erfassung der subjektiven Einschätzungen und Deutungsmuster der
Problemstellung durch die Experten.
Zwei Kriterien waren für die Auswahl geeigneter Experten ausschlaggebend. Einerseits
die Expertenleistung in Form von bereichsspezifischen Publikationen. Andererseits
eine mehrjährige Erfahrung in einer wissenschaftlichen oder privatwirtschaftlichen
Tätigkeit im Feld der System Dynamics. Die Expertenbefragung erfolgte schriftlich
mittels E-mail.
Da die meisten Aktivitäten in System Dynamics in amerikanischen Universitäten und
Beratungsunternehmen angesiedelt sind, ergab sich mit der ersten europäischen
System Dynamics Konferenz in Mannheim im März 2003 eine günstige Gelegenheit
einige europäische Experten auf dem Gebiet persönlich zu treffen. Ausgewählten
Teilnehmern wurde angeboten, neben der schriftlichen Beantwortung des
Fragebogens ein persönliches Gespräch in Mannheim zu führen.
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2.2 Aufbau des Fragebogens und Ablauf
Bei der Gestaltung des Fragebogens musste ein Kompromiss aus drei verschiedenen
Anforderungen an das Unterfangen sowie die erwarteten Ergebnisse gefunden
werden. Zum einen macht es das Wesen einer schriftlichen Befragung notwendig, dass
die ausgewählten Fragen relativ detailliert formuliert werden. Da bei schriftlichen
Befragungen keinerlei direkte Rückmeldungen des Interviewers möglich sind, müssen
die Fragen so formuliert sein, dass sie so wenig Raum für Fehlinterpretationen seitens
des Experten zulassen wie möglich.
Andererseits verfolgte der Fragebogen das Ziel einen möglichst großen Ausschnitt der
Expertenmeinungen bezüglich der Forschungsfrage einzufangen. Der explorative
Charakter des Fragebogens erforderte also allgemein formulierte Fragen, die die
Kreativität des Experten anregen und die Antworten nicht im vorhinein in eine
bestimmte Bahn lenken sollten.
Die dritte Anforderung ergab sich aus der Überlegung, ein möglichst breites Spektrum
an Meinungen zu möglichst vielen Themen abzufragen. Die Fragen mussten so
gewählt werden, dass ein möglichst großer Bereich an System Dynamics Wissen
thematisiert wurde.
Der Kompromiss, der sich aus den formulierten Anforderungen ergab war ein
Fragebogen, der sich an dem in System Dynamics allgemein anerkannten Prozess des
Modellbaus (wie z. B. in Sterman 2000 formuliert) orientierte. Dem Aufbau des
Fragebogens konnte damit eine klare, für einen Experten leicht verständliche und
logische Struktur gegeben werden. Die Fragen waren allgemein formuliert, enthielten
jedoch Schlüsselwörter, die die Interpretation in eine bestimmte Richtung lenken
sollten. Mit der Orientierung am Modellbauprozess konnte die Anzahl der Fragen so
gewählt werden, dass ein großes Spektrum an Wissen abgedeckt werden konnte
(siehe Anhang 1).
Der in Anhang 1 dargestellte Fragebogen wurde einige Wochen vor dem ersten
System Dynamics Work Shop in Mannheim am 20. März 2003 an einige teilnehmende
Experten versendet. Den Experten wurde die Möglichkeit geboten, den Fragebogen
schriftlich auszufüllen oder in Form eines 20 – 30 minütigen Interviews mit mir in
Mannheim zu beantworten. Zusätzlich wurde der Fragebogen ohne die Option eines
persönlichen Interviews an einige amerikanische Experten versendet.
Von den etwa 30 angesprochenen Personen antworteten folgende schriftlich:
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Yaman Barlas, Jack Homer, David Lane, Edoardo Mollona, John Morecroft, Erling
Moxnes, John Sterman, Kim Warren, Markus Schwaninger, Graham Winch.
Mit zwei Personen, nämlich Jac Vennix und Peter Milling konnte ein persönliches
Interview durchgeführt werden.
2.3 Ergebnisse
Grundsätzlich ist zu dem vorhandenen Datenmaterial zu bemerken, dass die
Antworten eher allgemein gehalten sind. Das heißt es werden kaum konkrete
Wissensthemen aufgelistet, die Manager wissen sollen, sondern in den meisten Fällen
allgemeine Konzepte angegeben, die das Weltbild hinter System Dynamics wieder
spiegeln.
Im Folgenden werde ich auf die ersten sechs Fragen näher eingehen. Frage für Frage
wird untersucht, ob es einen Grundtenor in den Meinungen gibt, wenn ja welchen, bzw.
wie stark die Meinungen zu einer bestimmten Frage streuen. Besonders interessante
Antworten und abweichende Meinungen werden eine besondere Erwähnung erfahren.
1. Problem Identification
Die meisten Antworten auf diese Frage beziehen sich auf das Konzept der
dynamischen Komplexität in sozialen Systemen. Das heißt Manager sollen wissen was
dynamische Komplexität ist, und welche Probleme damit einher gehen. Eine typische
Antwort stammt von Yaman Barlas: „A clear definition of a dynamic feedback problem.
It’s distinction from a static decision problem“. Obwohl allgemeine Antworten in der
Form wie sie Barlas gibt vorherrschen, konkretisiert ein Experte, der nicht genannt
werden will: „So an appreciation of behaviour over time charts and the relationship
between structure and behaviour is essential for problem identification.
2. Qualitative Modeling
Hier streuen die Antworten stark und reichen von Empfehlungen über Wissen
bezüglich der klassische Modelliertechnik, dem Causal Loop Diagram bis hin zu der
Extremposition von Kim Warren, der die Ansicht vertritt, dass überhaupt kein Wissen
über qualitatives Modellieren für Manager angebracht ist. Warren begründet seine
Antwort: „None – since managers need to know what to do, when and how much, to
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bring about what scale of performance improvement, and insurmountable theoretical
problems prevent qualitative mapping achieving this purpose...“. Die Bedenken, die
Warren in Bezug auf qualitative Modelliertechniken hegt sind ein weitres gemeinsames
Merkmal der meisten Antworten. Die meisten Experten sind der Meinung, dass Causal
Loop Diagrams eine sinnvolle Technik für Manager darstellt, warnen jedoch zumeist
vor deren Beschränkungen. Ein Experte mit dem Code-Namen Bernard Dixon:
„Managers should be encouraged to draw CLDs (or even word-and-arrow diagrams
with few or no feedback loops) as an aid to understanding, but should NOT expect to
draw firm conclusions about policy interventions.“.
3. Developing a fully specified quantitative model
Diese Frage behandelt den kontroversen Punkt, ob Manager Modelle in
Gleichungsform bauen sollen oder nicht. Die Meinungen im Feld zu dieser Problematik
sind sehr unterschiedlich. Dementsprechend vielfältig sind auch die Reaktionen auf
diese Frage. Ein Experte, der anonym bleiben möchte meint: „I believe that inexpert
attempts to model quantitatively with easy-to-use software [...] is potentially very
dangerous.“. Im Gegensatz dazu Kim Warren: „They should have experienced the
building and behaviour of simple models ...“. Die Antworten einiger Experten lassen
sich dahingehend interpretieren, dass Manager Wissen besitzen sollten, das es ihnen
ermöglicht, gute „Partner“ in einem Modellierprojekt mit einem Experten zu sein. Peter
Milling schlägt darüber hinaus vor, dass Manager einen gesunden Modellskeptizismus
an den Tag legen sollten: „Keine blinde Modellgläubigkeit. Mit Modellen kann irres
Schindluder betrieben werden.“.
4. Purpose of Models
Die Antworten auf diese Frage sind relativ einheitlich und gehen alle in die Richtung,
dass Manager wissen müssen, ob ein Modell das Problem, für welches es gebaut
wurde anspricht und Lösungsvorschläge generiert. In diesem Zusammenhang wurden
öfters die Schlagworte Modellskeptizismus und Modellvalidierung genannt. Manager
sollten also wissen, ob das Modell eine brauchbare Abbildung des realen
problemverursachenden Systems darstellt. Kim Warren beschreibt drei Modellzwecke
mit unterschiedlichen Anforderungen an diese Überprüfung durch Manager. Erstens,
Modelle, die klären sollen, warum bestimmte Probleme auftreten, wo die Hebelpunkte
liegen könnten und welche Indikatoren man betrachten sollte. Für diese Modelle reicht
es aus, wenn Manager in der Lage sind zu beurteilen, ob die Struktur des Modells eine
ungefähre Abbildung der Realität darstellt. Das Modellverhalten sollte eine
einigermaßen bekannte Karikatur des Problemverhaltens in der Realität darstellen.
Zweitens Modelle, die quantitative Hilfe bei Entscheidungen geben sollen. Hier ist es
erforderlich, dass Manager in der Lage sind zu beurteilen, ob das Modellverhalten mit
Daten aus der Realität übereinstimmt. Drittens, detaillierte Prognose und
Entscheidungsmodelle. Zu den Anforderungen an die Überprüfung der zweiten
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Modellart kommt hinzu, dass sich Manager vergewissern sollten, ob das Modell einer
rigorosen Gültigkeitsprüfung unterzogen wurde, und welche Grenzen diese
Testmethoden der Vertrauenswürdigkeit in das Modell setzen.
5. Implementation of Model outcomes
Die Meinungen bezüglich der Implementierung der Modellergebnisse können so
zusammengefasst werden, dass System Dynamics Wissen bei Managern das
Vertrauen in Modellergebnisse fördert. Dadurch wird die Umsetzung der Ergebnisse in
einer Organisation günstig beeinflusst. Manager sollen die Modellergebnisse kritisch
betrachten und als Basisempfehlungen sehen, die vor der Umsetzung noch auf
mögliche, im Modell nicht berücksichtige Einflüsse geprüft werden sollen. Ein Experte,
der nicht genannt werden will drückt den Sachverhalt folgendermaßen aus:
„Implementation requires understanding by policy makers,...“. System Dynamics
Wissen wird als Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung gesehen.
6. The role of SD in an organization
Bei den Meinungen der Experten bezüglich der Rolle von System Dynamics in einer
Organisation lassen sich drei Hauptargumentationslinien ausmachen. Erstens herrscht
Einigkeit darüber, dass System Dynamics Wissen bei Managern den Prozess des
Modellbaus in einer Kunden – Experten Rolle positiv beeinflusst. Hier bewerten die
Experten die Situation aus der Perspektive eines Beraters. Sowohl die Akzeptanz von
System Dynamics Projekten als auch die Effektivität der Zusammenarbeit können
gesteigert werden. Edoardo Mollona gibt eine typische Antwort: „[System Dynamics
knowledge] create[s] commitment, facilitates the process of information collection and
mental models elicitation.“.
Zweitens ermöglicht System Dynamics Wissen das Erkennen von dynamischen
Problemen, sowie fördert das Verständnis und die Einsicht für deren Wichtigkeit in
Managementfragen. Bernard Dixon: „It is helpful if the managers all learn to appreciate
why the issue being modeled is dynamically complex and how a model can help them
to avoid terrible mistakes that a „business as usual“ approach could produce.“.
Die dritte Argumentationslinie bezieht sich auf den Themenkreis „Manager als
Modellbauer“. Hier gehen die Meinungen weit auseinander und reichen von „only a
step on the road towards having all decision makers be their own SD model builders.“
von Dr. David C. Lane bis „But it should not be expected that more than a handful of
managers will ever have a very direct hand in building models themselves.“ von Jack
Homer.
In diesem Zusammenhang äußert sich Peter Milling über die relativ geringe
Verbreitung von System Dynamics im Management: „Es ist eben kein Verfahren wie
Tabellenkalkulation oder Balanced Scorecard, das relativ schnell eingeführt relativ
schnell Ergebnisse präsentiert. Nein, es ist ein mühseliger Prozess diese Gedanken in
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einem Unternehmen zu verbreiten, es ist ein langwieriger Prozess, es ist ein Prozess,
der von den entsprechenden Promotoren Standhaftigkeit und Engagement über lange
Zeiträume verlangt, und eben nicht unmittelbar und kurzfristig zu Ergebnissen führt.“.
2.4 Umformulierung der Forschungsfrage
Mit dem vorliegenden Datenmaterial aus der Expertenbefragung können keinerlei
detaillierte Aussagen darüber getroffen werden was Manager über System Dynamics
wissen sollen. Die Streuung der Antworten und Meinungen ist sehr groß. Die Experten
sind sich jedoch über gewissen allgemeine Themenbereiche, die für Manager
Relevanz haben sollten einig:
• Langfristige Feedbackperspektive
• Stock und Flow Akkumulation
• Dynamische Komplexität als Konsequenz aus den ersten beiden Punkten
• Probleme, die mit dynamischer Komplexität und Entscheidungen einher gehen
• Kritische Beurteilung von Modellergebnissen und Klarheit über den Zweck von
Modellen
• System Dynamics Grundwissen für eine gute Zusammenarbeit von Kunde und
Experte
Trotz des Mangels an konkreten Ergebnissen konnten aus den Experteninterviews
dennoch einige wichtige Erkenntnisse für den weiteren Verlauf der Untersuchung
gewonnen werden.
Bis zu diesem Zeitpunkt wurde ohne zu hinterfragen angenommen, dass relevantes
System Dynamics Wissen für Manager in Bezug auf Prozesse und Methoden eine
Teilmenge des Expertenwissens darstellen müsse. Auch die Interviewfragen wurden
mit dieser Annahme im Hintergrund formuliert.
Die grundsätzliche Frage, die sich stellt ist:
„Gibt es andere Anwendungen von System Dynamics im Management als die durch
Expertenanwendung charakterisierten Formen?“.
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Der Schlüssel in der Beantwortung der Frage „Was sollen Manager wissen?“, liegt in
der Beantwortung der Fragen:
1) „Warum sollen Manager etwas über System Dynamics wissen?“ und
2) „Wozu soll dieses Wissen verwendet werden, wozu soll es befähigen?“.
Die weiteren Überlegungen in dieser Arbeit orientieren sich also am Zweck von
Anwendungsformen von System Dynamics im Management. Im nächsten Kapitel soll
mit der Darlegung eines theoretischen Bezugsrahmens die Basis für diese Arbeit
geschaffen werden. Gleichzeitig wird damit die erste Frage „Warum sollen Manager
etwas über System Dynamics wissen“ beantwortet. Anschließend wird aufgrund einer
Literaturanalyse untersucht, was die vorherrschenden Formen der Anwendung sind.
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3 Theoretischer Bezugsrahmen
In diesem Kapitel möchte ich mit der Darlegung eines Theoretischen Rahmens die
Basis für weitere Überlegungen in Bezug auf die Beantwortung der
Hauptforschungsfragen legen. Der theoretische Bezugsrahmen wird durch vier
Prämissen gebildet, welche den Ausgangspunkt für alle weiteren Argumentationen
darstellen.
• Soziale Systeme sind komplex.
• Eingriffe in soziale Systeme durch den Menschen sind problematisch.
• Die wachsende Komplexität erfordert den Einsatz neuer Werkzeuge.
• System Dynamics ist ein Werkzeug für die Handhabbarmachung von Komplexität.
Die vier Prämissen geben gleichzeitig Antwort darauf "Warum Manager etwas über
System Dynamics wissen sollen". Manager sind Personen, die in komplexe soziale
Systeme zielgerichtet steuernd eingreifen müssen. Die zweite Prämisse wird darlegen,
dass Menschen Probleme damit haben die Auswirkungen ihrer Eingriffe auf das
globale Verhalten des komplexen Systems zu prognostizieren. System Dynamics ist
eine Möglichkeit die wachsende Komplexität sozialer Systeme beherrschbarer zu
machen. Insofern können die Methoden und Techniken eine wertvolle Ergänzung im
Repertoir der Management-Werkzeuge darstellen.
3.1 Soziale Systeme und Komplexität
3.1.1 Eine Definition von komplexen Systemen
Komplexe Systeme können am besten beschrieben werden, indem man sie mit
einfachen oder nicht-komplexen Systemen vergleicht.
Einfache Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass die Eigenschaften des Ganzen in
den Eigenschaften der Komponenten des Systems verwurzelt sind. Solche Systeme
sind additiv und entsprechend der Anzahl der Komponenten des Systems skalierbar.
Ein Beispiel für ein einfaches System wäre ein Eimer voll Sand. Die Masse eines Eimer
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voll Sand ist die Summe der Massen der einzelnen Sandkörner. Es handelt sich um
einen einfachen, linearen, additiven und vorhersagbaren Prozess.
Die wesentliche Eigenschaft, die komplexe von einfachen Systemen unterscheidet ist
emergentes Verhalten. Die emergente Eigenschaft komplexer Systeme entsteht
aufgrund der Interaktionen der Elemente eines Systems. Die emergente Eigenschaft
eines komplexen Systems lässt sich nicht auf die Eigenschaften seiner Komponenten
zurückführen. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Die Interaktion der
Komponenten erzeugt dynamische Komplexität. Davon zu unterscheiden ist die
kombinatorische Komplexität. Diese entsteht in erster Linie durch das Vorhandensein
einer sehr großen Anzahl von Komponenten und der Suche nach Kombinationen unter
ihnen, welche bestimmte gewünschte Eigenschaften aufweisen. Das Problem den
optimalen Flugplan einer Airline zu finden ist sehr komplex, aber die Komplexität
besteht in der Berücksichtigung von extrem vielen möglichen Lösungen und der Suche
nach der besten. Dynamische Komplexität hingegen kann bereits in Systemen mit sehr
geringer kombinatorischer Komplexität auftreten.
Einige wichtige Eigenschaften komplexer Systeme, und Ursachen für dynamische
Komplexität sind:
• Nichtlinearität – Der Effekt ist selten proportional zu seiner Ursache.
Nichtlinearitäten in der Interaktion der Systemkomponenten ergibt sich häufig aus
den physischen Gegebenheiten des Systems. Z.B. bewirkt ein zu geringer
Lagerbestand, dass die Produktion angekurbelt wird, andererseits kann die
Produktion niemals negativ werden, egal wie hoch der Lagerbestand ist.
• Abhängigkeit und Vernetztheit – eine einzelne Komponente des Systems
beeinflusst andere Komponenten und wird von diesen beeinflusst. Oft bestimmt der
Grad der Abhängigkeit zwischen den Systemkomponenten wie schnell sich ein
Ereignis an einer Stelle des Systems zu anderen Teilen des Systems ausbreitet.
• Feedback – Feedback beschreibt die Tendenz eines Systems seinen eigenen
Output als Input für Änderungen im System zu verwenden. Positives Feedback
verstärkt den Systemoutput, negatives Feedback beschränkt das Wachstum des
Outputs.
• Emergenz – Das Verhalten der einzelnen Komponenten des Systems und ihr
Zusammenwirken erzeugt das globale Verhalten. Das Verhalten des gesamten
Systems ist mehr als die Summe der Verhalten der Einzelkomponenten.
• Selbstorganisation – Wenn ein komplexes System offen gegenüber der Umwelt ist,
kann es immer unorganisierter werden, d. h. sich immer weiter von einem
Gleichgewicht entfernen. An einem gewissen Punkt reorganisiert sich das System
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selbst in eine neue Struktur. Die neue Struktur ergibt sich spontan aus dem
emergenten Verhalten des Systems.
• Adaption – Die Fähigkeiten und Entscheidungsregeln der Agenten eines
komplexen Systems können sich ändern. Evolution führt zur Selektion und
Wachstum bestimmter Agenten, während andere aussterben. Adaptives Verhalten
ergibt sich auch, wenn Agenten aus Erfahrung lernen ihre Ziele zu erreichen und
Hindernisse zu umgehen.
• Butterfly Effects – Manche komplexe Systeme können extrem sensibel auf
veränderte Anfangsbedingungen reagieren. Winzige Änderungen im
Anfangszustand können sich über die Zeit zu enormen Änderungen im
Systemverhalten aufschaukeln.
3.1.2 Komplexe soziale Systeme
Erste Prämisse:
Soziale Systeme sind komplexe Systeme im Sinne der obigen Definition. Soziale
Systeme sind komplexe Systeme, welche die Komponente Mensch beinhalten.
Für meine Zwecke besonders wichtig ist das soziale System Organisation in Form
einer Unternehmung. Die Komponenten dieses Systems sind physische Güter wie
Rohmaterial, Produkte oder Produktionsanlagen, menschliche Akteure, die
Entscheidungen treffen oder Probleme lösen um die eigenen sowie die Ziele der
Organisation zu erreichen und Information über den Systemzustand, welche als Input
für die Entscheidungen der Akteure dient. Das Zusammenwirken dieser Komponenten
erzeugt dynamische Komplexität.
Obwohl sich soziale Systeme in Bezug auf die allgemeinen Eigenschaften von
komplexen Systemen von physikalischen, chemischen oder biologischen Systemen
nicht unterscheiden, gibt es dennoch einen wesentlichen Unterschied. Soziale
Systeme sind bei weitem komplexer. Als Maß für die Komplexität möchte ich die
Anzahl der Komponenten sowie den Grad ihrer Vernetztheit verwenden. Ein Maß, das
sich aus diesen beiden Punkten ergibt, aber besonders für soziale Systeme hohe
Relevanz besitzt ist der Grad der Folgelastigkeit von Entscheidungen. Wenn man
unterstellt, dass soziale Systeme, wie z.B. Unternehmen Ziele verfolgen, deren
Erreichung am globalen Verhalten des Systems gemessen werden, so könnte man
dieses Komplexitätsmaß operationalisieren, indem man das Verhältnis der Anzahl der
möglichen richtigen Entscheidungen zu der Anzahl der möglichen falschen
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Entscheidungen in Bezug auf das Systemziel angibt. Die vergleichsweise hohe
Komplexität sozialer Systeme hat zwei wichtige Gründe:
• Die Akteure in sozialen Systemen haben ein Funktionsmodell der systeminternen
und umweltbedingten Prozesse. Das heißt, sie nehmen bewusst wahr, dass sie
sich in einem System bewegen, welches durch die Umwelt und das System selbst
beeinflusst wird. Sie entwickeln darüber hinaus ein Geschichtsbewusstsein, indem
sie Informationen aus der Vergangenheit für die Lösung gegenwärtiger Probleme
nützen und zukünftige Folgen ihrer Entscheidungen abwägen. Ein soziales System
hat damit die Möglichkeit sich selbst als Problem zu erkennen und seine internen
Prozesse einer Selbststeuerung zu unterwerfen.
• Das bewusste Handeln der Akteure führt dazu, dass diese ständig die
Systemstruktur ändern, indem neue Komponenten hinzukommen, andere
verschwinden und sich die Verbindungen zwischen den Komponenten ständig
ändern.
Globalisierung und zunehmende Technisierung der Gesellschaft sowie die
explosionsartige Verbreitung von effektiven Kommunikationstechnologien führen zu
immer mehr alternativen Möglichkeiten und zu einer immer dichteren Vernetzung der
Komponenten sozialer Systeme. Die Folgen der rasch ansteigenden Komplexität für
den Umgang von Menschen mit sozialen Systemen wird Thema des nächsten
Unterpunktes sein.
3.2 Eingriffe in soziale Systeme
Zweite Prämisse:
Menschen haben erhebliche Schwierigkeiten das globale Verhalten von sozialen
Systemen, insbesondere nach Eingriffen vorherzusehen.
Die dynamische Komplexität sozialer Systeme hat einige Konsequenzen für den
Umgang von Menschen mit diesen Systemen. Vor allem steuernde Eingriffe mit dem
Ziel ein gewünschtes globales Verhalten zu erreichen sind problematisch.
3.2.1 Counterintuitive Behavior
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Im Feld der System Dynamics spricht man häufig von einem "counterintuitive behavior"
sozialer Systeme. Ganz allgemein ist damit eine Situation gemeint, in der ein System
ein unerwartetes Verhalten als Reaktion auf einen Eingriff aufweist. Die Eingriffe in das
System erfolgen aufgrund eines mentalen Modells über die Struktur und die
Zusammenhänge des Systems. Das Konzept des "Mentalen Modells" geht auf
Forrester (Forrester 1961) zurück. Die Idee, dass Menschen interne Modelle von
Informationsfeedback Systemen erzeugen, speichern und manipulieren war für die
Theorie der System Dynamics zentral. Die Natur und die Eigenschaften dieser
mentalen Modelle sind die Voraussetzungen für die Überzeugung, dass
systemdynamisches Modellieren und systemdynamische Simulation den Umgang von
Menschen, die mit Komplexität sozialer Systeme konfrontiert sind verbessern kann. Es
existieren einige Definitionen, die jedoch teils widersprüchlich sind, teils weiter und
enger gefasst sind. Senge (Senge 1990, pp. 8) z.B. definiert:
"Mental models are deeply ingrained assumptions, generalizations, or even pictures or
images that influence how we understand the world and how we take action. Very
often, we are not consciously aware of our mental models or the effect they have on
our behavior."
Sterman (Sterman 1994, pp. 294) meint:
"In system dynamics, the term mental model stresses the implicit causal maps of a
system we hold, our beliefs about the network of causes and effects that describe how
a system operates, the boundary of the model (the exogenous variables) and the time
horizon we consider relevant – our framing or articulation of a problem."
Doyle und Ford (Doyle und Ford 1998) schlagen eine verbindliche Definition vor:
"...a mental model of a dynamic system is a relatively enduring and accessible, but
limited, internal conceptual representation of an external system whose structure
maintains the preceived structure of that system"
Obwohl man sich über die Definition des Konzepts "mental model" nicht ganz einig ist,
so herrscht jedoch wenig Uneinigkeit darüber, dass mentale Modelle unzureichende
Abbildungen der Realität darstellen. Z.B. Forrester (Forrester 1971, pp. 213):
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"The mental model is fuzzy. It is incomplete. It is imprecisely stated. Furthermore,
within one individual, a mental model changes with time and even during the flow of a
single conversation".
Der Eingriff in soziale Systeme aufgrund von unzureichenden mentalen Modellen führt
zu "counter intuitive behavior" des Systems. Dies hat mehrere Gründe die im
allgemeinen Verhalten von komplexen Systemen, sowie den mentalen Modellen der
Menschen, die sich in diesen Systemen bewegen zu suchen sind (Forreste 1994):
1. Ursache und Wirkung sind zeitverzögert
In komplexen Systemen, die von zahlreichen Feedbackschleifen und
Verzögerungen geprägt sind, kann sich ein Eingriff erst viel später auswirken.
Menschen haben gelernt, die Ursache für Probleme mit welchen sie konfrontiert
sind in der unmittelbaren zeitlichen Umgebung zu suchen.
2. Interventionspunkte
Aufgrund der großen Anzahl von balancierenden Feedbackschleifen in sozialen
Systemen verpuffen die meisten Eingriffe wirkungslos. Andererseits werden die
wenigen Interventionspunkte mit hoher Hebelwirkung auf das Verhalten des
Systems häufig falsch eingesetzt relativ zu dem, was man erreichen will.
3. Systemendogene Verhaltensursachen
Das Verhalten eines sozialen Systems ist eine Konsequenz seiner Struktur und
entsteht somit systemendogen. Der Mensch neigt jedoch dazu externe, von den
Akteuren nicht beeinflussbare Faktoren für das Missverhalten des Systems
verantwortlich zu machen.
4. Tendenz zu abfallenden Leistungen
Die Akteure in sozialen Systemen verfolgen Ziele. Kommt es über einen
längeren Zeitraum nicht zu einem befriedigenden Verhalten des Systems,
besteht sehr häufig die Tendenz dazu die Zielvorstellungen abzusenken.
Einmal abgesenkte Zielvorstellungen werden nur sehr schwer wieder korrigiert.
Dieses Verhalten der Akteure kann zu einer schweren Systemkrise führen, die,
einmal aufgetreten kaum mehr bewältigt werden kann.
5. Trade-off zwischen kurz- und langfristigen Zielen
Die Verfolgung kurzfristiger Ziele verspricht unmittelbare Belohnung. Die
langfristigen negativen Auswirkungen auf das System werden dabei häufig
ignoriert. In einer immer schnelllebigeren Zeit besteht ein starker Anreiz dafür
kurzfristige Ziele in den Mittelpunkt zu stellen. Vor allem die Kombination von
abfallenden Zielvorstellungen mit der Verfolgung kurzfristiger Ziele kann zu
verheerenden Konsequenzen für das System auf längere Frist führen. Die
19. - 19 -
Tendenz westlicher Industrienationen systemische Strukturprobleme mit nicht
nur neuen Schulden sondern auch mit immer höherer Neuverschuldung zu
bekämpfen ist eines von unzähligen Beispielen.
Einige dieser typischen Verhaltensweisen von komplexen Systemen und die Probleme,
welche Menschen im Umgang mit ihnen haben konnten in Experimenten
nachgewiesen werden.
3.2.2 Unterscheidung von Bestands- und Flussgrößen
Das komplexe dynamische Verhalten von sozialen Systemen entsteht durch das
Zusammenwirken von Stock+Flow-Akkumulation, Verzögerungen und Feedback.
Diese drei Komponenten bilden die Bausteine, welche die Struktur des Systems
bestimmen. "Counterintuitive Behavior" entsteht, wenn aufgrund eines falschen
mentalen Modells über die Struktur eingegriffen wird. Für die Bildung eines korrekten
mentalen Modells ist es somit erforderlich das Konzept der Stock+Flow-Akkumulation
zu verstehen. Gerade bei dieser fundamentalen Anforderung zeigen sich jedoch
erhebliche Schwächen.
In einer Studie haben Sweeney und Sterman (Sweeney und Sterman 2000)
nachgewiesen, dass selbst technisch hochbegabte Studenten des M.I.T. erhebliche
Probleme mit der Unterscheidung von Beständen und Flüssen haben. Die
Versuchspersonen mussten in jeweils drei Aufgaben den Verlauf des Bestandes aus
dem Verlauf des Nettoflusses in den Bestand ableiten. Der Nettofluss in Abhängigkeit
von der Zeit war in grafisch funktionaler Form gegeben. Der Verlauf des Bestandes
musste in ein Zeit-Mengen Diagramm eingezeichnet werden.
Die Versuchspersonen hatten insbesondere Probleme mit der Beziehung zwischen der
Form des Nettozuflusses (positiv steigend, fallend oder negativ steigend, fallend) und
dem entsprechenden zeitlichen Verlauf des Bestandes. Viele verstanden den
Zusammenhang nicht, dass die Fläche, die von dem Nettofluss über ein Zeitintervall
eingeschlossen wird die Veränderung des Bestandes in diesem Zeitintervall darstellt.
Einige Versuchspersonen waren der Meinung, dass der Verlauf des Bestandes eine
ähnliche Form aufweisen müsse wie der Verlauf des Nettoflusses.
Diese Ergebnisse konnten von Ossimitz (Ossimitz 2001) bestätigt werden. Ossimitz
findet zusätzlich Hinweise darauf, dass es ein Basiskonzept in Bezug auf Stock-Flow-
Thinking gibt, welches eine Grundvoraussetzung für das Verständnis von
Akkumulationsprozessen bildet. Ist der Nettozufluss positiv, dann muss der Bestand
steigen und vice versa. Versuchspersonen, die bereits mit diesem Grundkonzept
20. - 20 -
Probleme hatten, schnitten besonders schlecht ab. Dass Menschen mit einem derartig
einfachem Konzept sehr wohl Probleme haben zeigt Moxnes (Moxnes 2000). In einem
Experiment war der Bestand an Weideflächen durch einen Zu- und einen Abfluss
bestimmt. Der Zufluss, die Wachstumsrate der Grünflächen war vom Bestand selbst
abhängig. Der Abfluss konnte mit der Herde, welche auf den Weiden graste reguliert
werden. Ziel war es, die Größe der Herde zu maximieren. Das Experiment startete in
einem Zustand mit übergraster Weideflächen, sodass es zunächst erforderlich war, die
Herde durch Schlachtungen zu minimieren, um ein Erholen der Grünflächen zu
gestatten. Selbst professionelle Züchter hatten Probleme damit den Zusammenhang
zwischen der Differenz zwischen Zu- und Abfluss (nachwachsende Grünflächen und
grasende Tiere) zu erkennen. Die meisten Versuchspersonen senkten die Anzahl der
Tiere viel zu langsam, was sich in einem ständigen Übergrasen und damit
abnehmender Grünflächen äußerte.
3.2.3 Komplexes Problemlösen
"Komplexes Problemlösen" ist die Bezeichnung eines relativ neuen Forschungsgebiets
der Psychologie, das sich mit der Beschreibung und Erklärung von Phänomenen
befasst, wie sie beim Umgang von Menschen mit komplexen Systemen auftreten. Bei
diesen komplexen Systemen handelt es sich typischerweise um computersimulierte
Szenarien, in welche der Akteur zielgerichtet handelnd eingreifen soll. Komplexes
Problemlösen entstand Mitte der 70er Jahre aus der Erkenntnis heraus, dass
empirische Ergebnisse und theoretische Überlegungen, die in einfachen
Problemlösungssituationen im Labor entstanden sind nicht auf komplexere Probleme
des realen Lebens übertragbar sind. Die Simulationsszenarien bestehen in der Regel
aus mehreren Variablen, zwischen welchen wechselseitige Beziehungen existieren.
Von "Problemlösen" spricht man, weil der Übergang von einem Ausgangszustand in
einen Zielzustand, welche die Versuchsperson erreichen soll nicht in einem Schritt
erfolgen kann, sondern das Überwinden von Barrieren zwischen Ist- und Sollwerten
erfordert.
Es gibt einige typische Merkmale der Situation, welcher sich ein Akteur in einem
Computerszenario ausgesetzt sieht (Dörner, Kreuzig, Reither und Stäudel 1983):
1. Die Komplexität der Situation
Diese bezieht sich primär auf die Menge der zu verarbeitenden Information, die
die zur Verfügung stehende Kapazität bei weitem überschreitet und damit
optimale Problemlösung verhindert. Dadurch entsteht die Notwendigkeit starker
Informationsreduzierung.
21. - 21 -
2. Die Intransparenz der Situation
Darunter wird eine Situation verstanden, in der nicht alle Informationen, die ein
Akteur für seine Entscheidung benötigt unmittelbar verfügbar sind. Es besteht
die Notwendigkeit der aktiven Informationsbeschaffung.
3. Die Abhängigkeiten zwischen den Variablen
Nicht nur die bloße Menge an Informationen ist zu bewältigen, sondern auch die
Beziehungen der Variablen untereinander. Das System und die verfolgten Ziele
machen es erforderlich, dass bei den Akteuren Vorstellungen über die
wechselseitigen Abhängigkeiten der Variablen gebildet werden.
4. Die Eigendynamik der Situation
Das System entwickelt ohne Zutun der Akteure eine Eigendynamik. Akteure
handeln unter Zeitdruck.
5. Die Polytelie der Situation
In komplexen Situationen ist es häufig erforderlich nicht nur ein Ziel zu
verfolgen sondern in der Regel mehrere, häufig sogar widersprüchliche Ziele.
Dies erzeugt die Notwendigkeit einer mehrdimensionalen
Informationsbewertung und Regeln für die Gewichtung konfliktärer Ziele.
Ein Hauptanliegen der Forschung in diesem Bereich ist es, eine generelle Theorie für
die Erklärung des Verhaltens von Menschen beim Lösen von komplexen Problemen zu
finden. Die bisherige Forschung hat einige Faktoren, die menschliches Verhalten in
komplexen Problemlösungssituationen beeinflussen identifiziert (Frensch und Funke
1995).
Interne Faktoren
Erfahrung. Komplexes Problemlösen variiert mit der Erfahrung, die ein
Individuum in dem entsprechenden Aufgabengebiet hat. Erfahrung beeinflusst
die Wahrscheinlichkeit erfolgreichen Problemlösens. Außerdem beeinflusst
Erfahrung die Problemlösungsstrategie. Es konnte nachgewiesen werden, dass
Experten ihre Hypothesen über die kausalen Zusammenhänge komplexer
Systeme häufiger änderten als Neulinge. Durch die höhere Anzahl der in
Betracht gezogenen Hypothesen über die Kausalstrukturen des Systems steigt
die Wahrscheinlichkeit die richtige Struktur des Systems herauszufinden. Auf
der anderen Seite unterliegen Experten in einem geringeren Ausmaß einem
"confirmation bias". Das heißt, dass Experten widersprüchliche Informationen
stärker gewichten und damit eine Strategie des Testens von Hypothesen
stärker ausgeprägt ist als bei Neulingen (Krems 1995).
22. - 22 -
Kognitive Variablen. Es gibt einige Hinweise darauf, dass kognitive Variablen
wie Hintergrundwissen, Strategien der Informationssammlung und
Informationsbewertung, sowie kognitive Stile komplexes Problemlösen
beeinflussen. Zu dem Einfluss von Intelligenz auf die Leistung beim Lösen
komplexer Probleme gibt es kontroverse Ergebnisse. In diesem
Zusammenhang wurde häufig der klassische Intelligenztest, welcher
Problemlösungsverhalten in statischen Situationen misst kritisiert. Ein
Zusammenhang zwischen komplexem Problemlösen und Intelligenz tritt häufig
dann auf, wenn das Szenario abstrakt ist, das heißt semantisch nicht in ein
"reale Welt Szenario" eingebettet ist. Die Situation ähnelt dann eher einem
klassischen Intelligenztest (Beckmann und Guthke 1995).
Nichtkognitive Variablen. Die Leistungen beim Lösen komplexer Probleme
scheinen durch nichtkognitive Variablen wie Selbstvertrauen, Motivation und
Arbeitsfreude begünstigt zu werden. Generell wird Komplexes Problemlösen
von persönlichen und sozialen Faktoren beeinflusst.
Externe Faktoren
Die externen Faktoren beschreiben die Charakteristika der Aufgabe, welche die
Versuchsperson lösen soll. Dazu zählen unter anderem die semantische
Einbettung der Aufgabe. Also wie sehr die Aufgabenstellung einer Situation aus
dem realen Leben ähnelt. Die Transparenz der Aufgabe beschreibt, in
welchem Ausmaß kausale Zusammenhänge und Zustände des Systems der
Versuchsperson bekannt gegeben werden. Die Komplexität bestimmt die
Anzahl der Elemente und den Grad der Vernetztheit dieser Elemente. Zur
Komplexität können auch Feedack und Verzögerungen gezählt werden.
Menschliches Problemlösen in komplexen Situationen wurde in einer Vielzahl von
Experimenten untersucht. Dabei reicht das Spektrum an verwendeten Szenarien von
relativ einfachen und transparenten Systemen mit wenigen Variablen bis zu Systemen
mit extrem vielen Variablen mit hoher Vernetztheit, hoher Intransparenz und allgemein
formulierten Zielen. Das Design der Experimente ist naturgemäß stark davon
beeinflusst, welche der oben genannten Einflussfaktoren isoliert werden sollen. Funke
(Funke 1992) untersucht z.B. anhand eines Systems mit drei endogenen
Zustandsvariablen und drei exogenen Steuerungsvariablen inwieweit die
Eigendynamik des Systems die Leistung der Versuchspersonen bei der Bewältigung
der Aufgabe beeinflusst. Komplexes Problemlösen in sehr realitätsnahen Situationen
wurde von Dietrich Dörner schon seit Mitte der 70er Jahre untersucht. Charakteristisch
für die Studien von Dörner sind Situationen mit hoher Realitätsnähe, vielen vernetzten
Variablen und unklaren Zielvorgaben. Ich möchte an dieser Stelle die Arbeiten von
Dörner und die Ergebnisse seiner Studien näher betrachten.
Die Szenarien
23. - 23 -
Dörner untersucht das Planungs- und Entscheidungsverhalten von Menschen in
komplexen Systemen anhand von computersimulierten Szenarien, die stark an reale
Systeme angelehnt sind. Mit diesen Experimenten sollen Merkmale der kognitiven
Prozesse der Versuchspersonen wie Denken, Entscheiden, Planen und
Hypothesenbildung untersucht werden. In der Studie "Lohhausen" (in Dörner 1989)
nimmt die Versuchsperson die Rolle eines Bürgermeisters einer deutschen Kleinstadt
mit 3700 Einwohnern ein. Die wirtschaftliche Situation von Lohnhausen ist durch die
örtliche Uhrenfabrik bestimmt. Es gibt Einzelhandelsgeschäfte, Arztpraxen, Banken
und Gasthäuser. Die Aufgabe der Versuchsperson besteht darin, die Geschicke dieser
Kleinstadt über einen simulierten Zeitraum von 10 Jahren zu lenken. Die
Versuchsperson ist mit weitreichenden Eingriffsmöglichkeiten ausgestattet. Das zu
verfolgende Ziel ist sehr allgemein als "Kümmern um das Wohlergehen der
Bevölkerung" definiert.
In der Studie "Tanaland" (in Dörner 1989) mussten die Versuchspersonen
Entwicklungshilfe für zwei halbnomadische Stämme in einem Gebiet der
ostafrikanischen Steppe organisieren. Ein Stamm in diesem Gebiet lebt von Acker- und
Gartenbau, der andere von Viehzucht und Jagd. Die Versuchspersonen hatten
wiederum nur das vage definiertes Ziel für das Wohlergehen der beiden Stämme und
des gesamten Gebietes zu sorgen. Die Versuchspersonen konnten hierfür z.B.
Jagdmaßnahmen anordnen, die Düngung der Plantagen verbessern, Brunnen bauen
und das Bewässerungssystem verbessern, Geburtenkontrollen einführen oder
Traktoren kaufen. Mittels sechs Eingriffen zu welchen jeweils ein Paket von
Maßnahmen möglich war wurde ein Zeitraum von 10 Jahren simuliert.
Die Schwierigkeiten der Aufgabe
Dörner nennt einige Probleme mit welchen die Versuchspersonen in diesen Szenarien
konfrontiert sind (Dörner 1989). Aus diesen allgemeinen Merkmalen der
Handlungssituationen ergeben sich Anforderungen an den Handelnden.
Komplexität
Komplexität ergibt sich, wenn viele Variablen, Systemzustände oder Merkmale
vorhanden sind, und diese untereinander vernetzt sind. Eine hohe Komplexität stellt
hohe Anforderungen an das Sammeln von Informationen als Grundlage von
Entscheidungen. Die Vernetztheit bewirkt, dass sich Eingriffe selten nur lokal
auswirken, sondern Neben- und Fernwirkungen haben.
Dynamik
24. - 24 -
Die Eigendynamik der Situation verursacht Zeitdruck beim Treffen von
Entscheidungen. Für eigendynamische Systeme ist die Kenntnis des aktuellen
Zustandes nicht genug, es müssen Erwartungen über die Entwicklungstendenzen des
Systemverhaltens gebildet werden.
Intransparenz
Viele Merkmale der Situation sind dem Entscheider gar nicht oder nicht unmittelbar
zugänglich. Selbst wenn der Entscheider vollständige Kenntnis von der Systemstruktur
hat, bleibt ihm die aktuelle Situation teilweise verborgen.
Hypothesen
Um Eingriffe und deren Auswirkungen planen zu können braucht man eine Vorstellung
von der Struktur des zugrundeliegenden Systems. Die Akteure halten ein Modell der
Realität, welches Annahmen über wechselseitige Beziehungen der Elemente im
System beinhaltet. Dieses Modell kann explizit im Sinne von bewusst oder implizit sein.
Handlungen aufgrund von impliziten Realitätsmodellen könnte man auch als intuitive
Handlungen bezeichnen.
Einige empirische Ergebnisse
Folgend sollen einige empirische Ergebnisse vorgestellt werden, die Menschen beim
Handeln in komplexen Situationen, wie sie oben beschrieben wurden haben.
Probleme mit Zielen
In komplexen Problemsituationen mit global definierten Zielen ist häufig ein Defizit bei
der Bildung von Teilzielen des Globalziels festzustellen. Globalziele sind nicht klar
definiert und geben keine unmittelbare Handlungsstrategie vor. Ein Fehlen der Bildung
von Teilzielen führt meistens dazu, dass Versuchspersonen Missstände aufgreifen und
beseitigen, die augenfällig sind, oder ihren Kompetenzen und Vorwissen entsprechen.
Diese Ziele können die falschen in Bezug auf das Erreichen des Globalziels sein. Eine
Konzentration auf die unmittelbaren Missstände schafft mit der Zeit Unsicherheit bei
der Versuchsperson. Die Folge ist eine Sicherheit schaffende, starke Konzentration
auf irrelevante, aber leicht lösbare Probleme.
Eine andere Art von Problemen mit der Zielformulierung ergibt sich, wenn sich
Versuchspersonen nicht im Klaren darüber sind, dass sie konfliktäre Ziele verfolgen. In
komplexen Systemen ist es normal, dass verschiedene Ziele nicht gleichzeitig erreicht
werden können. Frustration bei den Versuchspersonen führt oft dazu, dass
systemexogene Umstände für die Nichterreichung der Ziele verantwortlich gemacht
werden.
25. - 25 -
Informationssammlung und Hypothesenbildung
Für die Bildung von Hypothesen über die Zusammenhänge in dem zugrundeliegenden
System kann man verschiedene Handlungstendenzen beobachten. Unsicherheit spielt
hier wieder eine zentrale Rolle. Bei manchen Versuchspersonen kommt es, speziell bei
Aufgaben, die unter Zeitdruck zu lösen sind zu einer Verweigerung von
Informationsaufnahme und blindem Aktionismus. Andere Versuchspersonen wiederum
neigen zu einer exzessiven Informationssammlung um die innere Unsicherheit über die
gemutmaßten Zusammenhänge zu bekämpfen. Häufig treffen sie Entscheidungen nur
zögerlich. Oftmals kommt es dazu, dass Individuen reduzierte Hypothesen über die
Systemzusammenhänge bilden. Dabei werden in der Regel wichtige Rückkoppelungen
vernachlässigt, und das gesamte System auf wenige zentrale Variablen reduziert.
Diese reduzierten Hypothesen habe eine Reihe von Vorteilen. Sie sind leicht zu
handhaben und zu erfassen. Sie geben klare Handlungsanleitungen und sind überdies,
wenn Teile der Gesamthypothese isoliert betrachtet werden auch korrekt. Es ist nicht
einfach eine reduzierte Hypothese zu widerlegen und das gibt Sicherheit. Pläne für
Eingriffe in das System aufgrund reduzierter Hypothesen sind jedoch häufig falsch weil
nur Aktionen berücksichtigt werden, die die zentrale Variable beeinflussen und die
Effekte dieser Eingriffe auch nicht rückgekoppelt sind.
Prognosen des Systemverhaltens
Menschen haben erhebliche Probleme damit Zeitabläufe zu erfassen, vor allem dann,
wenn diese nicht linear sind. Lineare Extrapolation ist eine geeignete Strategie für
kurzfristige Prognosen, scheitert jedoch häufig, wenn die Prognosezeiträume länger
werden. Prognosen sind vor allem dann schwierig, wenn das Verhalten des Systems
nicht monoton ist, sondern plötzlichen und unerwarteten Änderungen unterliegt.
Planen und Entscheiden
Das Planen von Aktionen in komplexen Systemen ist besonders durch die
Schwierigkeit gekennzeichnet, dass praktisch jeder Eingriffe Nebenwirkungen
ausweist, die noch dazu in Zeit und Raum entfernt liegen können. Ein typisch
menschliches Verhalten beim Planen von Aktionen in komplexen Systemen ist die
Nichtbeachtung dieser Nebeneffekte. Eine Planung, die Nebeneffekte berücksichtigt
kann leicht in ein Verhalten ausarten, welches oben als exzessive
Informationssammlung charakterisiert wurde. Mehr Information über Nebeneffekte
verkompliziert das Problem indem es die Komplexität der Situation in das Bewusstsein
bringt, und führt zur Notwendigkeit noch mehr Informationen einzuholen. Dieses
Verhalten kann plötzlich in einen wilden Aktionismus umschlagen, wenn das
Individuum schlussendlich resigniert .
Typischerweise zerlegen "gute" Versuchspersonen ein Hauptziel in mehrere
Zwischenziele. Diese Zwischenziele werden mit einem Bündel von Entscheidungen zu
26. - 26 -
erreichen versucht. "Gute" Versuchspersonen ziehen die Vernetztheit von Zielen und
Entscheidungen in ihr Planungskalkül mit ein. Bei "erfolglosen" Versuchspersonen
bleiben Ziele und Entscheidungen relativ unabhängig von einander.
Typisch für erfolglose Versuchspersonen ist ein Verhalten bei welchem schnell von
einem Problemlösungsthema zum nächsten gesprungen wird wenn Schwierigkeiten
auftreten.
Es wurden einige Ursachen für diese ausgeprägten Defizite beim Problemlösen in
komplexen Situationen genannt (Dörner 1995):
Beschränkte Kapazität des menschlichen Gehirns
Die beschränkten kognitiven Fähigkeiten des Gehirns zwingen die Menschen dazu mit
der Ressource "bewusstes Denken" sparsam umzugehen. Dies verursacht eine Reihe
von Fehlertendenzen wie die Bildung reduzierte Hypothesen oder die lineare
Extrapolation von Zeitverläufen.
Kompetenz
Kompetenz äußert sich nach außen in der Fähigkeit effektiv handeln zu können. Innere
Zweifel an der eigenen Kompetenz werden durch aktionistische Entscheidungen
verdrängt.
Das aktuelle Motiv
Menschen versehen aktuelle und akute Probleme mit einem sehr starken Gewicht. Das
kann dazu führen, dass relativ unbedeutende akute Probleme bekämpft werden und
dabei eine viel schwerwiegendere langfristige Entwicklung aus den Augen verloren
wird.
Vergessen
Einfaches vergessen ist dafür verantwortlich, dass Menschen keine klare Vorstellung
von zeitlichen Entwicklungen haben. Besonders bei langsamen Entwicklungen ist
dieses Defizit erkennbar. Es entsteht die Tendenz zur linearen Extrapolation von
zeitlichen Verläufen.
Wie man sieht liegen die erklärenden Variablen für die Probleme der Menschen im
Umgang mit komplexen Systemen hier überwiegend im Bereich der Persönlichkeit des
Problemlösers selbst. Es existieren im Gegensatz dazu einige Studien, die die
unabhängigen Variablen in externen Faktoren suchen. Hier wurde insbesondere der
27. - 27 -
Einfluss wichtiger Eigenschaften von Informationsfeedback Systemen untersucht,
nämlich Feedback und Verzögerungen.
Die verwendeten Computerszenarien sind ähnlich wie jene wie sie z.B. Dörner
verwendet. Die simulierte Umwelt beinhaltet mehrere Akteure, Feedback,
Nichtlinearitäten und Verzögerungen. Die Interaktion der individuellen Entscheidungen
mit der Struktur des Systems verursacht komplexes dynamisches Verhalten.
Verzögerungen können in verschiedenen Positionen einer Feedback-Schleife
auftreten. Die Konsequenzen von Feedback und Verzögerungen sind immer, dass das
System mit Feedbackinformation alleine nicht optimal gesteuert werden kann. Das
heißt, dass optimale Kontrolle nicht einfach durch Korrektur des momentan
beobachteten Systemzustandes erreicht werden kann. Der beobachtete
Systemzustand hinkt dem tatsächlichen hinterher. Da der Akteur immer mit unaktuellen
Informationen konfrontiert ist, muss er ein mentales Modell des Systems haben,
welches ihm erlaubt die Informationen abzuleiten, welche er für seine Entscheidung
benötigt. In einer Situation, in welcher die Entscheidungen einige Zeit benötigen um
Wirkung zu entfalten muss der Akteur vorhersagen, welchen Zustand das System zum
Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Entscheidung haben wird. Auf der anderen Seite
muss der Akteur den aktuellen Zustand des Systems ableiten, wenn er mit
Verzögerungen konfrontiert ist, welche bei der Übertragung oder dem Bericht des
aktuellen Zustandes auftreten. Die Informationen über den aktuellen Zustand des
Systems sind dann immer veraltet und betreffen einen vergangenen aktuellen Zustand.
Wenn der Akteur nicht in der Lage ist ein korrektes mentales Modell des Systems aus
den vorhandenen Informationen abzuleiten, wird er immer damit beschäftigt sein
vergangene Fehler zu korrigieren. Das System wird oszillieren.
In einem Computerszenario von Brehmer und Allard (Bremer und Allard 1991) nahmen
die Versuchspersonen die Position eines Feuerwehrhauptmannes ein, der für die
Löschung von Waldbränden zuständig war. Der Feuerwehrhauptmann kontrolliert
einige Einsatzgruppen, die im Bedarfsfall zu dem Ort des Brandes kommandiert
werden konnten um diesen zu bekämpfen. Um eine Stresskomponente hinzuzufügen
läuft das Szenario in Echtzeit ab. Das Ziel des Akteurs war es einerseits das
Feuerwehrhauptquartier vor dem Niederbrennen zu schützen, andererseits so viel
Fläche Wald als möglich zu retten. In dieser und einigen Folgestudien (Brehmer 1995)
konnten erhebliche Probleme beim Umgang mit dieser Aufgabe festgestellt werden.
Die Aufgabe wurde für die Versuchspersonen durch zwei Arten von Verzögerungen
erschwert. Der Einsatz einer Löschmannschaft am Einsatzort erfolgte verzögert, das
heißt die Entscheidung einen Brand zu löschen wirkte erst nach Verstreichen einer
Zeitkonstante. Ebenso gab es eine Verzögerung bei der Meldung über das Ausbrechen
und das erfolgreiche Löschen eines Brandes. Die Versuchspersonen waren über das
mögliche Auftreten von Verzögerungen informiert. Die Bedienungsschnittstelle für das
Szenario lieferte alle relevanten Informationen um die Existenz und die Dauer von
Wirkungsverzögerungen und Verzögerung bei der Berichterstattung abzuleiten. Die
28. - 28 -
Wirkungsverzögerung wurde in grafisch analoger Form mittels Symbolen dargestellt.
Die Verzögerung bei der Berichterstattung konnte aus der Differenz der aktuellen Zeit
und dem Zeitpunkt der Abgabe des Berichts, welche verfügbar war, abgeleitet werden.
Die Versuchspersonen kompensierten die relativ leicht erkennbaren
Wirkungsverzögerungen. Jedoch konnte keine einzige Versuchsperson eine
Verzögerung in der Berichterstattung ausmachen. Die Akteure irrten sich bei der
Einschätzung der Art und der Ursache der Verzögerung. In 58 % der Versuche brannte
die Basis nieder. Im Durchschnitt verbrannten 70 – 80 % der Waldfläche.
Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt auch Sterman (Sterman 1989). In einem
Experiment untersuchte Sterman das Verhalten von Versuchspersonen in einem
Szenario, welches als "Beer Game" bekannt ist. Dabei wird die Produktions- und
Lieferkette von Bier simuliert. Die Versuchspersonen nehmen die Positionen des
Produzenten, Verteilers des Groß- oder des Einzelhändlers ein. Die Aufgabe für die
einzelne Versuchsperson besteht darin, die Lagerhaltungskosten zu minimieren. Die
Nachfrage am Ende der Kette (Einzelhändler) ist konstant, und steigt ab einem
gewissen Zeitpunkt stufenförmig an, um anschießend auf diesem Niveau zu verharren.
Die Nachfrage ist also nicht schwankend. Sterman fand Lagerhaltungskosten, die jene
bei optimalen Entscheidungen um das zehnfache überschritten. Weiters entstanden
drei Verhaltensmuster, die die typische Abweichung von der Optimallösung
charakterisieren. Erstens schwankten die Lagerbestände in den einzelnen Stufen der
Liefer- und Produktionskette sehr stark (Oszillation). Zweitens stiegen diese
Schwankungen der Lagerbestände von Einzelhändler zu Produzent stark an
(Amplifikation). Und drittens gab es eine Phasenverzögerung bei der Spitze der
Bestelleingänge von Einzelhändler bis zum Produzenten. Dieses typische Verhalten
weist darauf hin, dass die Versuchspersonen ähnliche Heuristiken für die Bestimmung
ihrer Bestellungen verwenden. Eine Erklärung für das stark suboptimale Abschneiden
besteht darin, dass die Versuchspersonen zu einem großen Teil die Bestellungen in
der Pipeline ignorieren. Die Versuchspersonen konzentrieren sich auf den aktuellen
Zustand des Systems – die Höhe des aktuellen Lagerbestandes – und richten danach
ihr Verhalten aus. Ein optimales Verhalten muss die Bestellungen, die bereits
aufgegeben wurden, aber noch nicht eingetroffen sind in das Entscheidungskalkül mit
einbeziehen. Ein Ignorieren dieses Umstandes muss zwangsläufig zu Über- oder
Unterbestellungen führen. Das System beginnt zu schwanken. Sterman fasst dieses
Verhalten unter der "Misperception of Feedback"-Hypothese zusammen. Menschen
verwenden mentale Modelle für ihre Entscheidungen, welche dynamisch fehlerhaft
sind, verwenden ereignisorientierte Kausalketten als Erklärung von Phänomenen,
ignorieren Feedback und Verzögerungen, haben Probleme mit der Unterscheidung von
Beständen und Flüssen und können die Auswirkungen von nichtlinearen Beziehungen
nicht einschätzen. Diese Probleme führen sehr häufig zu einem Missverhalten des
Systems.
Diese "Misperception of Feedback"-Hypothese ist eine Erklärung für die
Schwierigkeiten von Menschen im Umgang mit Informationsfeedback Systemen, die
29. - 29 -
Verzögerungen aufweisen. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass Menschen, selbst
wenn sie über alle Verzögerungen in einem System informiert sind, diese in ihren
Entscheidungen trotzdem nicht berücksichtigen. Brehmer (Brehmer 1995) wiederholt
das Feuerbekämpfungsszenario unter veränderten Bedingungen. Diesmal sind die
Versuchspersonen nicht nur über die mögliche Existenz von Verzögerungen aufgeklärt,
sondern auch über die Art der Verzögerungen. Also insbesondere die Existenz von
Verzögerungen in der Berichterstattung. Trotz dieser zusätzlichen Information
schneiden die Versuchspersonen nicht besser ab. Das Ergebnis deutet darauf hin,
dass die Akteure Probleme dabei haben ein mentales Modell zu entwickeln, auf
dessen Basis Entscheidungen über Kompensation von Verzögerungen in der
Berichterstattung gefällt werden könnten. Erklärungen für dieses Phänomen könnten
unter Umständen in den kognitiven Merkmalen der Akteure liegen.
3.2.4 Lernen in komplexen Systemen
Die dynamische Komplexität vieler sozialer Systeme wirkt sich negativ auf die
Fähigkeiten des Menschen aus in diesen Systemen zu lernen. Lernen ist ein
Feedback-Prozess (Abbildung 3.1). Entscheidungen werden aufgrund bestehender
Strategien oder Normen gefällt. Diese Normen und Strategien werden gebildet um
bestimmte Ziele zu erreichen und sind ein Ergebnis unserer mentalen Modelle von der
Realität. Eingriffe in die Realität verursachen Informationsfeedback. Dieses ist
notwendig um die Auswirkungen unserer Eingriffe in das System beurteilen zu können.
Informationsfeedback führt einerseits in Kombination mit der Strategie zu einer
Anpassung der Entscheidung, andererseits werden die mentalen Modelle den neuen
Gegebenheiten angepasst.
Zentrales Element in dieser Betrachtung von Lernen ist also Feedback. Gerade dieses
Feedback auf unsere Eingriffe in die reale Welt ist jedoch in komplexen Systemen
häufig verzerrt. Eingriffe wirken sich häufig erst mit Verzögerung aus. Nichtlinearitäten
verursachen unterschiedlich starke Auswirkungen von Eingriffen, je nachdem in
welcher Phase sich das System befindet.
30. - 30 -
Reale Welt
Informations-
Entscheidungen Feedback
Strategien, Struktur
und Mentales Modell
Entscheidungsregeln der Realität
Abbildung 3.1 Lernen als Feedbackprozess
Zusätzlich wird Lernen durch menschliche Einflüsse und Faktoren erschwert wie z.B.
die Neigung einem bestehenden mentalen Modell widersprüchliche Informationen zu
ignorieren oder die beschränkte Kapazität des menschlichen Gehirns bei der
Informationsverarbeitung.
Sterman (Sterman 1993) weist nach, dass Lernen in komplexen Systemen nur spärlich
vorhanden ist. Insbesondere ein Verstehen der Struktur der Realität, welche das
dynamische Verhalten sozialer Systeme verursacht ist schwach ausgeprägt. Das reale
System wird als so kompliziert angesehen, dass Feedback auf getroffene
Entscheidungen einfach ignoriert wird. Das entspräche einer Situation, in der die
Verbindung von Informationsfeedback und mentalem Modell der Realität durchbrochen
ist. Entscheidungen werden dann nach einem bestehenden mentalen Modell gebildet,
welches nicht mehr angepasst wird.
3.3 Komplexitätsmanagement
Dritte Prämisse:
Die zunehmende Komplexität in Unternehmen und im Umfeld der Unternehmen macht
einen Umdenkprozess im Management erforderlich. Für einen erfolgreichen Umgang
31. - 31 -
mit dynamischer Komplexität ist ein Wandel der Perspektive sowie der Einsatz neuer
Techniken und Methoden erforderlich.
3.3.1 Wachsende Komplexität
Einen wesentlichen Treiber für die zunehmende Komplexität im unternehmerischen
Umfeld stellt der Trend einer immer stärkeren Globalisierung der
Wertschöpfungsketten dar. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf eine
Erhebung von Deloitte & Touche LLP. (www.deloitte.com, Deloitte & Touche 2003)
H H
über die Herausforderungen der wachsenden Komplexität in den
Wertschöpfungsketten internationaler Unternehmen. Die Ergebnisse der Befragung
von mehr als 600 nordamerikanischen und europäischen Unternehmen aus
verschiedenen Bereichen wie Automobil, Flugzeugbau, Konsumgüter, chemische
Industrie, Telekommunikation und High-Tech zeichnen ein klares Bild der Problematik
wachsender Komplexität und die damit verbundenen Herausforderungen.
Die meisten der 600 Produzenten sehen die gesamte Welt als ihren Markt und als
Bühne für Verkauf, Einkauf, Produktion und Entwicklung ihrer Produkte. Mehr als 80 %
betreiben Marketing- und Verkaufsabteilungen außerhalb des Mutterlandes, und die
Mehrheit produziert in Niedriglohnländern wie China, Mexiko und Osteuropa.
Erstaunlicherweise geben darüber hinaus fast die Hälfte der Unternehmen an, Teile
der Produktentwicklung in andere Länder ausgelagert zu haben. Diese Ergebnisse sind
sowohl für große als auch für kleinere Unternehmen zutreffend.
Drei wesentliche Ursachen sind für den Globalisierungsdruck, welchem sich
Unternehmen ausgesetzt sehen, verantwortlich. Erstens, Kostendruck auf der
Nachfrageseite. Die hohe Käufermacht im Wiederverkaufsbereich sowie die allgemeine
Konkurrenzsituation unter den Produzenten führt zu einem starken Druck Kosten zu
reduzieren um konkurrenzfähig zu bleiben. Zahlreiche Möglichkeiten für
Kostenreduzierungen ergeben sich entlang der Wertschöpfungskette, insbesondere die
Auslagerung von Produktion und Produktentwicklung in Niedriglohnländer.
Zweitens sehen sich die Unternehmen verstärktem Druck ausgesetzt, Umsätze zu
steigern und neue Märkte zu erschließen. Um einen Markt wie China oder Indien zu
beliefern müssen Einkauf, Produktion und Verkauf in diese Länder ausgelagert
werden.
Ein dritter Grund ist in der Notwendigkeit zu suchen, neue und bessere Produkte
immer schneller und effizienter zu entwickeln. Der Anteil am Umsatz, der durch neue
Produkte erzielt wird ist ständig steigend. Gleichzeitig steigen die Aufwendungen für
Forschung und Entwicklung aufgrund des Kostendruckes nur leicht an. Der
Widerspruch kann nur durch die schnellere Einführung neuer Produkte oder die
32. - 32 -
Erhöhung der Trefferquote neuer Produkte gelöst werden. Die
Produktentwicklungsdauern wurden in den letzten drei Jahren um durchschnittlich 12
% auf 16 Monate reduziert. Der Wert soll im Jahr 2006 bei 13 Monaten liegen. Die
hohen Entwicklungskosten zwingen Unternehmen dazu neue Märkte zu erschließen
und ihre internationale Präsenz auszuweiten.
Das Management dieser über den Globus verteilten Aktivitäten erfordert ein hohes
Maß an Koordination, vor allem dann, wenn Fabriksmanager, Arbeiter, Ingenieure und
Zulieferer von Halbfertigfabrikaten auf verschiedene Unternehmen verteilt sind. Die
Konsequenzen einer geografisch stark verteilten Wertschöpfungskette ist Komplexität.
Die wachsende Komplexität hat sehr reale Auswirkungen auf die finanzielle Situation
von Unternehmen. 38 % der Teilnehmer geben an, schmale operative Profitmargen
von weniger als 5 % zu haben oder überhaupt Geld zu verlieren. Ein gutes Drittel zeigt
sich unzufrieden mit der Erreichung der Rentabilitätsziele. Komplexität kann die
operative Leistungsfähigkeit von Unternehmen beeinträchtigen. Das wiederum führt zu
finanziellen Einbußen.
Trotz dieser allgemein ernüchternden Ergebnisse konnten sich etwa 7 % der
Teilnehmer in Bezug auf finanzielle und kundenorientierte Kennzahlen weit vor dem
Rest des Feldes platzieren. Diese kleine Gruppe weist einige Gemeinsamkeiten auf,
welche sie vom Rest des Feldes klar unterscheidet. Den wesentlichen Unterschied
macht vor allem die Fähigkeit aus, Kunden-, Produkt- und Supply-Chain Prozesse über
den Lebenszyklus der Produkte hinweg zu synchronisieren, insbesondere die
integrative und grenzüberschreitende Behandlung der Aktivitäten in diesen Prozessen.
Anstatt unabhängig zu operieren, arbeiten Manager aller drei Bereich bei Design,
Produktion, Marketing und Verkauf sowie Kundenservice zusammen. Diese
Unternehmen haben den Sprung von einer reduktionistischen Perspektive des
Produkt-Lebenszyklus zu einer holistischen Perspektive eines Profit-Zyklus, einer Serie
von koordinierten Aktivitäten rund um ein neues Produkt geschafft.
3.3.2 Paradigmenwandel und neue Techniken
Das Geschäftsumfeld vieler Unternehmen unterliegt beispiellos schnellen und
radikalen Veränderungen. Die neue Wirtschaft, getrieben von Globalisierung und
exponentiellem Wachstum von Telekommunikationstechnologien zwingt Firmen dazu,
nicht nur ihre Strategien anzupassen, sondern eine vollkommen neue Perspektive
einzunehmen. Um den Herausforderungen der ständig wachsenden Komplexität
begegnen zu können ist ein Umdenkprozess bei den Entscheidungsträgern notwendig.
An Stelle einmaliger Prognosen mit anschließender Steuerung tritt ein kontinuierlicher
Prozess des Verstehens und Anpassens von Strategien.
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Der traditionelle wissenschaftliche Ansatz für natürliche Phänomene ist
reduktionistisch. Ein System wird auseinander genommen und seine Komponenten in
Isolation untersucht, das gesamte System aufgrund seiner Einzelteile verstanden.
Dieser Ansatz hat unser Verständnis der Welt über die letzten 300 Jahre geprägt. Der
reduktionistische Ansatz ist auch die klassische Herangehensweise um Probleme im
unternehmerischen Bereich zu lösen. Firmen werden typischerweise als
Ansammlungen von Teilen wie Abteilungen, Funktionen oder Hierarchien verstanden
und geführt. Natürlich gibt es Umstände, in welchen es als vollkommen angebracht
erscheint Teile zu studieren, aber mit zunehmender Komplexität gewinnt die globale
Systemsicht an Bedeutung.
Für ein erfolgreiches Komplexitätsmanagement sind zwei Dinge erforderlich. Erstens,
ein Einstellungswandel bei den Entscheidungsträgern und zweitens, neue Techniken
und Methoden für die Komplexitätsbewältigung. Der Paradigmenwandel muss sich auf
mehreren Ebenen vollziehen:
Linear – Nichtlinear
Die historisch bedingte Notwendigkeit Systeme zu linearisiren um sie analytischen
Lösungsverfahren zugänglich zu machen ist mit dem Aufkommen leistungsfähiger und
preiswerter Computer und den damit verbundenen numerischen Lösungsverfahren
verschwunden. Linearität stellt nicht die Regel, sondern die Ausnahme dar.
Reduktionistisch – Holistisch
Die Analyse isolierter Einzelkomponenten eines Systems mit dem Ziel das gesamte
System zu verstehen ist in den meisten Systemen zum Scheitern verurteilt. Eine
lebende Kreatur in seine Einzelteile zu zerlegen und diese zu untersuchen wird relativ
wenig Erkenntnisse über z.B. das natürliche Verhalten der Kreatur in seiner Umwelt
eröffnen. Ähnlich entwickeln Organisationen Wertesysteme, Normen und eigene
Kulturen, die auch dann weiter Bestand haben, wenn sich die Komponenten, wie z.B.
Mitarbeiter der Organisation ändern.
statisch gleichgewichtig – dynamisch transient
Zu postulieren, dass sich Systeme stets im Gleichgewicht befinden, und bei Störungen
unmittelbar in einen Gleichgewichtszustand zurückkehren mag die Analyse erleichtern,
sagt jedoch überhaupt nichts über die Anpassungsprozesse zu diesen
Gleichgewichten aus. Selbst wenn man akzeptiert, dass Systeme einem Gleichgewicht
zustreben sind doch die Anpassungsprozesse und ihre Konsequenzen für die
Menschen interessant und relevant.
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Mechanisch – Organisch evolutionär
Ein Weltbild, dem der Glaube an maschinenähnliche System, die einfachen Gesetzen
gehorchen zugrunde liegt führt zu der Überzeugung, dass Systeme vorhersagbar und
optimierbar sind. Im Gegensatz dazu akzeptiert eine evolutionäre Perspektive, dass die
Komplexität der Systeme viel zu hoch ist, um sie in ihrer Gesamtheit erfassen zu
können und begnügt sich damit robuste und anpassungsfähige Strategien zu
entwickeln, die einem emergenten und dynamisch komplexen Verhalten der Systeme
gerecht werden können. Dem mechanistischen Weltbild ist ebenso die weite
Verbreitung von statistischen Black-Box Modellen zuzurechnen, die anstatt kausaler
Erklärungen für Phänomene Zusammenhänge in Form von Korrelationen suchen.
Viele der zeitgenössischen Methoden und Instrumente im Management sind stark in
der vorherrschenden Weltsicht verwurzelt. Eines von ihnen, das besonders weite
Verbreitung gefunden hat und an dem sich Teile der Problematik sehr gut
demonstrieren lassen sei hier exemplarisch vorgestellt.
Im Jahre 1980 veröffentlichte Michael E. Porter Competitive Strategy (Porter 1980).
Porter erklärt, dass fünf Kräfte die Konkurrenzsituation innerhalb einer Industrie oder
Branche bestimmen. Eine Unternehmung kann, um in dieser Konkurrenzsituation
bestehen zu können entweder die Kostenführerschaft ansterben, oder ihre Produkte
mit einer Prämie verkaufen, die durch andere Komponenten des Produktes
gerechtfertigt werden kann, also ein differenziertes Produkt anbieten. Eine dritte
Möglichkeit eröffnet sich mit der Konzentration auf ein bestimmtes Marktsegment,
wobei wieder die zwei generischen Strategien Kostenführerschaft und Differenzierung
anzuwenden sind. Porter ist der Ansicht, dass eine Unternehmung auf jeden Fall eine
der beiden Strategien auswählen muss um überleben zu können. Im Jahre 1985
veröffentlichte Porter Competitive Advantage (Porter 1985). In diesem Buch beschreibt
er wie eine Unternehmung Kostenführerschaft oder Differenzierung der Produkte
erreichen kann. Als Analyseinstrument für diesen Zweck stellt er die Wertkette einer
Unternehmung vor (Abbildung 3.2).
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Abbildung 3.2 Die Wertkette nach Porter 1985
Die Analyse der Wertkette beschreibt Aktivitäten in der Unternehmung sowie seiner
Umwelt und setzt diese in Beziehung zur Wettbewerbsfähigkeit. Es wird versucht den
einzelnen Aktivitäten Werte zuzuordnen, welche diese den Produkten beisteuern. Das
Ziel besteht darin, die Aktivitäten so auszuwählen und zu organisieren, dass ein
Produkt entsteht, dessen Wert für den Konsumenten größer ist, als die Kosten der
Aktivitäten. Porter argumentiert, dass die Fähigkeit bestimmte Aktivitäten
durchzuführen die Quelle für einen Wettbewerbsvorteil der Unternehmung ist.
Primäre Aktivitäten betreffen direkt die Erzeugung und Lieferung des Produktes.
Unterstützende Aktivitäten ermöglichen und verbessern die primären Aktivitäten. Ein
Wettbewerbsvorteil kann erreicht werden, wenn die Wertkette so konfiguriert wird, dass
sich entweder ein Kostenvorteil oder ein differenziertes Produkt ergibt.
Kostenvorteile ergeben sich indem die Kostentreiber der Aktivitäten besser gesteuert
werden. Porter nennt einige Kostentreiber: Economies of Scale, Lernen,
Kapazitätsauslastung, vertikale Integration oder Verbindungen unter den Aktivitäten. Im
wesentlichen handelt es sich dabei um ein Abwägen ob Einsatz und Kosten an einer
Stelle erhöht werden sollen sodass an einer anderen Stelle Kosten eingespart werden
können. Beispiele sind etwa Investitionen in den Produktionsprozess um Stückkosten
zu senken oder Investitionen in Qualitätsmanagement um After-Sale-Service-Kosten
zu senken.
Gelegenheiten für die Produktdifferenzierung ergeben sich überall in der Wertkette.
Z.B. kann der alleinige Zugang zu bestimmten Inputfaktoren für das Produkt oder der
Zugang zu bestimmten Vertriebswegen einen Differenzierungsvorteil bewirken.
Die Wertekettenanalyse ist ein Rahmen, der Unternehmen dabei hilft ihre Produktions-
und Administrationsprozesse in Bezug auf die Erzeugung von Werten und die damit
verbundenen Wettbewerbsvorteile zu untersuchen. Der Rahmen ist hervorragend dafür
geeignet den herrschenden Zustand zu erfassen und abzubilden. Z. B. können Kosten
segmentiert und analysiert, Einsicht über wertschaffenden Prozesse in der
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Unternehmung gefördert oder Stärken gegenüber Mitbewerbern abgeleitet werden.
Dies ist jedoch nur die Voraussetzung für das eigentliche Ziel einer Wertkettenanalyse,
die Prozesse und Aktivitäten so zu verändern, dass die Spanne steigt. Die
Wertkettenanalyse dient somit als Instrument für Eingriffe in das komplexe System mit
dem Ziel das globale Verhalten des Systems positiv zu beeinflussen. Hier müssen
jedoch aufgrund der Beschaffenheit des Analyserahmens Schwierigkeiten auftreten.
Das Instrument ist reduktionistisch
Das Ziel, die Spanne zu erhöhen wird erreicht, indem die Unternehmung in Aktivitäten
zerlegt wird, und diese in Isolation untersucht. Die Existenz komplizierter Vernetzungen
unter den Aktivitäten wird vernachlässigt. Das globale Verhalten des Systems wird
nicht durch das Zusammenwirken der Aktivitäten erklärt, sondern nur durch das Wort
Spanne angedeutet.
Das Instrument ist gleichgewichtig und statisch
Der Analyserahmen ist absolut statisch. Die Untersuchung produziert in der Regel ein
genaues Abbild der herrschenden Situation und beschreibt den Zustand, der erreicht
werden soll. Darüber hinaus wird impliziert, dass der herrschende und der zukünftige
Zustand ein Gleichgewicht darstellt, das keinen Veränderungen unterworfen ist.
Typische Empfehlungen, die aus der Wertkettenanalyse abgeleitet werden sind etwa:
"Unsere variablen Stückkosten betragen 25 €, wenn wir 500.000 € in
Effizienzsteigerungen des Produktionsprozesses investieren können sie auf 19 €
gesenkt werden". Obwohl diese Informationen durchaus nützlich sind, sagen sie
absolut nichts über die notwendigen Maßnahmen im Zeitablauf, bzw. die Reaktion des
Systems auf diese Maßnahmen aus. Über welchen Zeitraum sollen sich die
Kostensenkungen vollziehen? Soll die Kostensenkung schrittweise erfolgen oder
kontinuierlich? Wie lange wird es dauern, bis die Investitionen in effizientere
Produktionstechnologien greifen und die Kosten zu sinken beginnen? Sind 19 €
variable Stückkosten die maximale Grenze oder werden die Kosten weiter sinken?
Das Instrument ist mechanistisch
Die Wertkettenanalyse regt typischerweise zur isolierten Optimierung einzelner
Funktionsbereiche wie Kostensenkungsprogrammen in Produktion oder Servicebereich
an mit dem Ziel die Spanne zu erhöhen. Derartige Aktivitäten setzen ein inhärent
lineares Weltbild voraus, in dem sich isolierte Einzelverbesserungen zu einer
Gesamtverbesserung addieren, was häufig nur in linearen Systemen möglich ist.
Multifunktionelle Probleme erfordern konzertierte Aktionen in allen Funktionsbereichen
wie Produktentwicklung, Produktion, Marketing, Vertrieb, Verkauf, Personalwesen,
Finanzen und allgemeines Management. Die Reduktion der Produktqualität mit dem
Ziel Kosten im Kunden-Service zu senken kann bei stark steigenden Verkaufszahlen
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aufgrund der höheren Qualität dazu führen, dass Lieferzeiten ansteigen und
zusätzliche Kapazität in der Service-Abteilung notwendig wird, was die ursprünglichen
Kostenvorteile zunichte macht. Eines der wenigen dynamischen Konzepte im
strategischen Management ist die Erfahrungskurve. Sie geht auf die Boston Consulting
Group (Boston Consulting Group 1970) zurück, die erkannte, dass sich in vielen
Industriebetrieben die Stückkosten der Produktion, bei jeder Verdoppelung des
kumulativen Outputs um charakteristische 10-20 % verringern. Die Erfahrungskurve ist
ein typisches Black-Box-Modell, welches anstatt Erklärungen zu liefern einen bloßen
empirischen Zusammenhang beschreibt. Die Prozesse, die hinter dem Phänomen der
sinkenden Stückkosten liegen bleiben dabei unerwähnt. Die Annahmen, die hinter den
meisten Lernkurvenmodellen stehen sind, dass sich die wachsende Erfahrung im
Produktionsprozess bei den Arbeitern in höherer Produktivität, besserer Qualität oder
niedrigeren Kosten niederschlägt. Die meisten Modelle messen die kumulative
Erfahrung anhand des kumulativen Outputs. Diese Variable kann jedoch niemals
sinken, mit dem Effekt, dass sich die Stückkostenentwicklung niemals umkehren kann.
Eine unplausible Annahme wenn man bedenkt, dass die erfahrensten Arbeiter jederzeit
das Unternehmen verlassen können oder eine rasche Veränderung in der
Produktionstechnologie die angesammelte Erfahrung wertlos machen kann. Das
Grundproblem ist darin zu suchen, dass der statistische Zusammenhang die kausalen
Ursachen vernachlässigt. Lernen ist ein Prozess, der im Humankapital des
Unternehmens verankert ist und nicht im kumulativen Output.
Für die quantitative Analyse von Problemen im Umfeld des Management von
Organisationen stehen heute eine Reihe von Techniken aus verschiedenen Bereichen
wie Spieltheorie, Ökonometrie, statistische Entscheidungstheorie oder Operations
Research zur Verfügung. Diese Werkzeuge sind rigoros und ausgeklügelt und haben
ihre Stärken in der Anwendung auf eine große Anzahl von Problemen bewiesen. Es ist
an der Zeit diesem Repertoir Werkzeuge hinzuzufügen, die bewusst auf die
Problematiken komplexer Systeme eingehen, also dynamische Komplexität sichtbar
und handhabbar machen. Diese Werkzeuge ziehen darüber hinaus qualitatives und
verborgenes Wissen, welches in den Menschen gespeichert ist, und für das Verhalten
von Systemen mindestens genauso wichtig ist, wie quantitative Daten in die Analyse
mit ein. Außerdem tragen sie dem Umstand Rechnung, dass im Zuge von Analysen
komplexer Systeme immer wieder neue Informationen zu Tage treten, die sich für die
Untersuchung als relevant erweisen, und ermöglichen ein exploratives und iteratives
Vorgehen. Die neuen Werkzeuge stellen nicht den Anspruch optimale quantitative
Lösungen zu finden sonder zeigen vielmehr verschieden Lösungsansätze mit
unterschiedlichen qualitativen Eigenschaften auf.
3.4 System Dynamics
38. - 38 -
Vierte Prämisse:
System Dynamics bietet Techniken und Methoden an, um die dynamische Komplexität
sozialer Systeme abzubilden und handhabbar zu machen. Der Einsatz von System
Dynamics im Management kann einen wertvollen Beitrag für eine bessere Steuerung
von Unternehmen im Lichte wachsender Komplexität liefern.
3.4.1 Simulationsmodelle komplexer Systeme und Management
Intuitiv ist das Konzept komplexer Systeme auf den strategischen
Entscheidungsprozess in Unternehmen anwendbar. Wenn die Wirtschaft ein
komplexes System ist (Anderson et al. 1987) so kann ein besseres Verständnis der
Probleme, die damit einher gehen dazu beitragen, dass bessere Modelle als
Entscheidungsgrundlage verwendet werden und damit im Endeffekt Unternehmen
besser gesteuert werden können. Von einem modelliertechnischen Standpunkt aus
gesehen handelt es sich um Systeme, die in der Natur dynamisch sind, und für die
Modelle auf Grundlage von Gleichgewicht oder Stasis unangemessen erscheinen. Ein
Resultat dieser Überlegung ist, dass sowohl Prognosemodelle, als auch Modelle, die
optimale Lösungen suchen zugunsten von Modellen, die es ermöglichen das System
zu verstehen in den Hintergrund treten. System Dynamics bietet sowohl qualitative
Instrumente für ein besseres Systemverständnis, als auch rigorose quantitative
Simulationstechniken an, die insbesondere für die strategische Entscheidungsfindung
in Unternehmen geeignet erscheinen.
Bei der Anwendung solcher Techniken ist es erforderlich die Rolle von
Systemmodellen in der Entscheidungsfindung, welche zu großen Teilen einen
politischen und sozialen Prozess darstellt zu verstehen. Um ein so komplexes
Problem, wie etwa die Auswirkungen einer großen Investition auf ein soziales System
zu verstehen, muss der Entscheidungsträger dem Problem in der Regel
Beschränkungen auferlegen, d. h. die Komplexität des Problems so weit verringern,
dass es einer Lösung zugänglich wird. Solche Einschränkungen könnten die Wahl der
Systemgrenzen, die Wahl der Darstellungsmöglichkeiten des Problems oder die
Strukturierung des Problems innerhalb des gewählten Rahmens sein. Die
Strukturierung von Problemen ist ein sozialer Prozess, der auf Diskussion,
Verhandlungen und den Werten und Weltbildern der beteiligten Personen basiert. Die
Wahl verschiedener Systemgrenzen oder Darstellungsformen resultiert aber in
verschiedenen Modellen. Dies reflektiert eine generelle Charakteristik sozialer
Systeme. Solche sind komplex, aber zum Unterschied von naturwissenschaftlichen
Phänomenen existiert keine kohärente Theorie um sie zu beschreiben. Stattdessen
39. - 39 -
koexistieren eine Reihe verschiedener und unabhängiger Theorien. Modelle von
sozialen Systemen müssen eine bestimmte Sicht eines Problems repräsentieren.
Verschiedene Modelle geben verschiedene Perspektiven eines Problems und spiegeln
Entscheidungen wieder, die vor dem Modellbau getroffen wurden. Es gibt kein Modell,
das alle Aspekte eines strategischen Problems berücksichtigen könnte.
Demzufolge vertrete ich in meiner Arbeit die Ansicht, dass Modelle, insbesondere
Simulationsmodelle komplexer Systeme Techniken, die z.B. Prognosen oder
Optimallösungen liefern nicht ersetzen, aber sehr wohl ergänzen können. Die
Besonderheit bei diesen Modellen besteht darin, dass diese verborgene Annahmen
explizit und damit einem Diskurs zugänglich machen, als auch verschiedene Optionen
für Entscheidungen aufzeigen können. Instrumente, wie System Dynamics, die
dynamische Komplexität bewusst behandeln müssen dem
Entscheidungsinstrumentarium im Management hinzugefügt werden um eine neue
Perspektive für Probleme zu ermöglichen.
3.4.2 Die Geschichte von System Dynamics
Die Geschichte von System Dynamics lässt sich bis in das Jahr 1956 zurückverfolgen,
als Jay W. Forrester an die Massachusettes Institute of Technology (MIT) Sloan School
of Management kam. Die Sloan School wurde 1952 von Alfred Sloan mit dem Ziel
gegründet, Management zu einer Wissenschaft zu entwickeln. Forrester sah die
Chance seine in den 40er und 50er Jahren gewonnene Erfahrungen im Engeneering,
der digitalen Computertechnologie und im Management in einem neuen Gebiet zu
verbinden (Forrester 1989).
Initialzündung für System Dynamics war ein Beratungsprojekt bei einem Zulieferbetrieb
von General Electrics. In diesem Betrieb kam es zu unerklärlichen Schwankungen von
Produktion und Beschäftigung. Forrester untersuchte dieses Phänomen von einem
systemischen Blickwinkel aus. Grundannahmen waren, dass ein Betrieb ein System
ist, in welchem Ströme von Information, Material, Mitarbeiter und Kapital fließen, die in
mathematischer Form abgebildet und berechnet werden können. Forrester entwickelte
daraufhin, noch mit Papier und Bleistift, das erste System Dynamics Modell. System
Dynamics wurde von Forrester damals noch als Industrial Dynamics bezeichnet. Im
Jahre 1958 veröffentlichte Forrester im "Harvard Business Review" seinen ersten
Artikel betreffend System Dynamics, "Industrial Dynamics – A Major Breakthrough for
Decision Makers". In der Zwischenzeit entwickelte der Programmierer Richard Bennett
die Simulationsumgebung "SIMPLE" (Simulation of Industrial Management Problems
with Lots of Equations), um die Erstellung und Berechnung von Simulations-Modellen
zu erleichtern.
40. - 40 -
In den Folgejahren erweiterte Forrester den Ansatz einen Betrieb als System zu
betrachten, zu einer modellbasierten Theorie der Unternehmung. Diese Theorie
veröffentlicht er in seinem "Gründungswerk der System Dynamics", "Industrial
Dynamics" (1968). Industrial Dynamics ruht auf vier Säulen, nämlich der Theorie über
Feedback-Systeme, dem Wissen über Entscheidungsprozesse, der experimentellen
Modellierung komplexer Systeme und dem damals im kommen befindlichen
Digitalcomputer als ermöglichendes Werkzeug von Simulation. Im Jahre 1986
veröffentlichte Forrester das erste Lehrbuch über System Dynamics, "Principles of
Systems".
Im Jahre 1969 erschien das Buch "Urban Dynamics", welches in Zusammenarbeit mit
dem ehemaligen Bürgermeister von Boston, John F. Collins, entstand. In diesem Buch
beschäftigt sich Forrester mit dem Problem der Stadtentwicklung. Die Aussagen und
Empfehlungen, die Forrester aufgrund des entwickelten System Dynamics Modell trifft
wurden in der Folge heftig kritisiert. Im Jahre 1970 erstellte Forrester ein Modell für den
Club of Rome (WORLD I) und konnte diesen für die Finanzierung eines
Forschungsprojektes überzeugen. Im Zuge der Zusammenarbeit wurden Industrial
Dynamics in System Dynamics umgetauft.
Ein Student von Forrester, Dennis Meadows, verbesserte das WORLD I Modell zum
WORLD III Modell (Meadows et al. 1974). Das auf dem WORLD III basierende Buch
des Club of Rome, "Die Grenzen des Wachstums" wurde zu einem millionenfachen
Bestseller.
In den 70er Jahren begann Forrester mit der Arbeit an seinem National Model. Dieses
Modell soll die makro- und mikroökonomische Entwicklung der USA auf der Grundlage
von empirischen Daten abbilden. In den 80er Jahren engagierte sich Forrester für den
Einsatz von System Dynamics in Erziehung und Ausbildung. Im Jahre 1989 emeritierte
Forrester als Germeshausen Professor Emeritus und Senior Lecturer von der Sloan
School. Er arbeitet seitdem am National Model Projekt und ist Direktor des 1990
gegründeten Projektes System Dynamics in Education (SDEP) am MIT.
3.4.3 Der System Dynamics Ansatz
Systemdynamisches Modellieren ist eine Methode um die Struktur und das Verhalten
von sozialen, technischen, ökonomischen und ökologischen Systemen zu studieren
und die Art der Interaktion der Komponenten in diesen Systemen zu verstehen. Wie
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der Name schon sagt, spielt die Zeit eine wesentliche Rolle im Studium von Systemen.
Eine der Stärken von System Dynamics ist die Möglichkeit das Zusammenspiel der
Komponenten eines Systems und das daraus resultierende Verhalten des gesamten
Systems im Zeitablauf zu untersuchen.
Die Philosophie von System Dynamics basiert auf drei Grundpfeilern:
1. Stock und Flow Akkumulation
2. Feedback
3. Verzögerungen
Mit diesen drei Konzepten lässt sich die Struktur eines Systems beschreiben und
abbilden. Eine wichtige Annahme ist, dass das Verhalten des Systems von seiner
Struktur bestimmt wird, und nicht etwa durch Faktoren, die außerhalb des Systems
liegen.
Der Bau eines Modells beginnt in der Regel mit der Identifikation eines sogenannten
"Reference Mode Behavior". Es handelt sich dabei um das zeitabhängige Verhalten
einiger wichtiger Systemvariablen, welches das Modell zu erklären versucht.
Im nächsten Schritt entwickelt der Modellierer eine Theorie über die Struktur des
Systems, welche für das "Reference Mode Behavior" verantwortlich sein könnte.
Häufig kommt es dabei zu einer Zusammenarbeit zwischen dem Modellierer und
System-Experten, also Personen, die mit dem jeweiligen System in engem Kontakt
stehen, oder besonderes Fachwissen aufweisen. Ein positiver Effekt dieser Phase der
Modellierung ist, dass teilnehmende System-Experten ihre Vorstellungen über die
Struktur des Systems offen legen müssen. Divergierende Vorstellungen können bereits
in dieser Eingangsphase angeglichen werden, sodass ein gemeinsames "mentales
Modell" des Systems entsteht. Die Struktur des Systems wird zunächst mit "Causal
Loop Diagrams" abgebildet. Das sind einfache Wort und Pfeil Diagramme, die die
wesentlichen kausalen Einflüsse der Variablen abbilden.
Wie eingangs erwähnt besteht die Struktur von Systemen aus Stocks und Flows, die
wichtige Abläufe beschreiben. Die Abläufe in einer Industrieunternehmung sind
beispielsweise zentriert um den Fluss von Aufträgen, den Fluss von Arbeit, den Fluss
von Kapital in Form von Maschinen oder den Fluss von Geld. Wichtige Flüsse in einer
Gesundheitseinrichtung könnten z.B. Flüsse von Patienten, Doktoren, medizinischen
Geräten oder Krankenschwestern sein.