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Leitthema: Wasser und Gesundheit

    Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch -        H. H. Dieter1 · H. Mückter2
    Gesundheitsschutz 2007 · 50:322–331              1 Umweltbundesamt, Berlin, BRD · 2 Ludwig-Maximilians-Universität München, BRD
    DOI 10.1007/s00103-007-0158-1
    Online publiziert: 2. März 2007
    © Springer Medizin Verlag 2007
                                                     Regulatorische, gesund-
                                                     heitliche und ästhetische
                                                     Bewertung sogenannter
                                                     Spurenstoffe im Trinkwasser
                                                     unter besonderer Berück-
                                                     sichtigung von Arzneimitteln



    Summarische Beschreibung von                     von weniger als 1 Nanogramm pro Liter              tikum Metronidazol oder alkylierende
    Höhe und Art der Belastung                       Trinkwasser. Anfang der 1990er-Jahre               Zytostatika, z. B. Cyclophosphamid,
                                                     verschafften Funde von Clofibrat-Me-               Ifosfamid. Für den Menschen ist hier
    Mehr als 2500 chemisch definierte Wirk-          taboliten im Berliner Trinkwasser dem              ein Karzinogenitätsrisiko bei chro-
    stoffe umfasst die RoteListe™ 2006, das re-      Thema auch in Deutschland hohe Publi-              nischer Exposition anzunehmen [8].
    präsentative, aber keineswegs vollständige       zität [5, 6].                                      Die Zufuhr selbst von Spuren über
    Fertigarzneimittelverzeichnis des Bundes             Inzwischen steht fest, dass viele Ober-        das Trinkwasser wäre auf jeden Fall
    der Pharmazeutischen Industrie (BPI)             flächengewässer, z. B. stromabwärts von            problematisch,
    [1]. In über 11.000 Darreichungsformen           Ballungszentren, aber auch Grundwas-            3. den Antiinfektiva. Ihre Anwesenheit
    werden in Deutschland rund 7000 che-             serleiter, mit Wirkstoffspuren und -ab-            im Wasserkreislauf ist grundsätzlich
    misch definierte Einzelstoffe vermarktet.        bauprodukten infolge der Anwendung                 beunruhigend. Zwar haben (patho-
    Hinzu kommen zahlreiche Tierarznei-              und bestimmungsgemäßen Entsorgung                  gene) Mikroorganismen bei Antibi-
    mittel (rund 30 % des Humansektors),             ärztlich verordneter Arzneimittel konta-           otikakonzentrationen, die keinen er-
    deren Verbrauch den der entsprechenden           miniert sein können. Entsorgungswege,              kennbaren Selektionsdruck ausüben,
    Humanpharmaka im Einzelfall deutlich             die nicht mit der bestimmungsgemäßen               vermutlich keinen Überlebensvor-
    übersteigen kann. . Tabelle 1 zeigt die          Verwendung eines Arzneimittels korres-             teil. Ein Einfluss auf die Weitergabe
    Mengen (Rangfolge) der in Deutschland            pondieren, kommen hinzu. Ein bis zwei              von Resistenzelementen (horizontaler
    zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversi-         Drittel der nicht genutzten Arzneimit-             Gentransfer) und die Begünstigung
    cherung (GKV) verordneten Arzneimit-             tel landet auf Hausmülldeponien, bis zu            bereits resistenter pathogener Keime
    telgruppen.                                      einem Fünftel in der Toilette [7].                 wird jedoch diskutiert,
        Über das Auftreten von Salizylsäure          Besonderes Interesse gilt derzeit:              4. anderen Arzneistoffen. Sie lassen
    und Chlorphenoxybutyrat (einem Meta-             1. den Stoffen mit potenziell hormon-              ebenfalls an unerwünschte bis schäd-
    boliten von Clofibrat) im Auslauf einer              artiger Wirkung. Hierzu zählen na-             liche Wirkungen denken, z. B. Beta-
    Kläranlage von Kansas City wurde bereits             türliche und synthetische Östrogene            blocker, die bei ständiger Anwesen-
    in den 1970er-Jahren berichtet [3]. Rath-            (z. B. Estradiol, Ethinylestradiol), aber      heit vielleicht die Rezeptorendichte
    ner und Sonneborn überprüften 1979,                  auch andere Stoffe natürlichen oder            auf Zielzellen modulieren, oder Car-
    ob biologisch wirksame Östrogene das                 synthetischen Ursprungs mit nur ge-            bamazepin, das funktionelle Stoff-
    Trinkwasser über die Umwelt (Abwasser)               ringer Affinität zu menschlichen Ös-           wechselprozesse stimulieren kann.
    erreichen könnten [4]. Die Antwort war               trogenrezeptoren,                              Das Auftreten von Überempfindlich-
    eindeutig „Nein“. Ihre wohl auch noch            2. den Stoffen mit mutagenem Potenzi-              keitsreaktionen ist auch unterhalb
    heute richtige Vorhersage ergab Werte                al. Beispiele sind das Chemotherapeu-          therapeutischer Konzentrationen be-

322 |   Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 3 · 2007
Tabelle 1
                                                                                                        baren Wirkungsstärke erzielt wurden, und
  Mengen und Rangfolge der meistverordneten Arzneimittelindikations-                                    in einem Kollektiv, dass die betrachtete
  gruppen mit Beispielstoffen, die im Wasserkreislauf nachgewiesen wurden.                              Wirkung bei 50 % der behandelten Indivi-
  (Mod. nach [2])                                                                                       duen beobachtet wurde. In gleicher Weise
                                                                                                        lassen sich Wendepunkte für die Konzen-
  Rang        Indikationsgruppe     Verordnungen 2005           Positiver Nachweis in einem
                                                                                                        trationsabhängigkeit der unerwünschten
                                    (rel. Veränderung           Oberflächengewässer
                                    zu 2004)
                                                                                                        Wirkungen darstellen.
                                                                                                            Bei jeder Arzneitherapie besteht das
  1           Analgetika,           70,7 Mio. (+3,5 %)          Diclofenac
                                                                                                        Risiko unerwünschter Arzneimittelwir-
              Antirheumatika
                                                                                                        kungen (UAW). Die Dunkelziffer ist er-
  2           Betablocker,          56,0 Mio. (+4,4 %)          Metoprolol, Diltiazem, Enalapril
                                                                                                        heblich. Man unterscheidet zwischen (A)
              Ca-Kanalblocker,
                                                                                                        typischen und (B) atypischen UAW. Typ A
              Angiotensin-
                                                                                                        entspricht dem erwarteten pharmakolo-
              Hemmstoffea
                                                                                                        gischen Wirkspektrum und tritt auch bei
  3           Antibiotika           42,5 Mio. (+10,8 %)         Erythromycin
                                                                                                        therapeutischer Dosierung auf. Typ B ist
  4           Psychopharmaka        35,4 Mio. (+2,9 %)          Fluoxetin                               dagegen durch den bekannten Wirkungs-
  5           Antihypertonika       33,18 Mio. (+11,4 %)        Nifedipinb                              mechanismus nicht erklärbar und oft oh-
  6           Magen-Darm-Mittel     32,6 Mio. (+5,6 %)          Ranitidin                               ne Bezug zur therapeutischen Dosierung
  7           Antidiabetika         26,6 Mio. (+6,7 %)          Glibenclamid                            (allergisch, überempfindlich, idiosyn-
  8           Antiasthmatika,       25,7 Mio. (+2,3 %)          Salbutamol                              kratisch). Mach et al. [11] berichten über
              Broncholytika                                                                             2689 UAW-Fälle (Verhältnis A:B=3:1), die
                                                                                                        zwischen 1995 und 2004 im Giftinforma-
  9           Antitussiva,          24,0 Mio. (+14,1 %)         Ambroxol
              Expektoranzien
                                                                                                        tionszentrum der Länder Rheinland-Pfalz
                                                                                                        und Hessen angefragt wurden, davon 25 %
  10          Diuretika             19,4 Mio. (4,0 %)           ?
                                                                                                        mit mittleren oder schweren Symptomen
  a Betablocker werden außer zur Blutdrucksenkung auch als Antiarrhythmika, bei Herzinsuffizienz,
                                                                                                        bis hin zu 19 Todesfällen.
  bei koronarer Herzkrankheit und am Auge eingesetzt, Ca-Kanalblocker bei koronarer Herzkrankheit,          Bereits bei der Arzneimittelzulassung
  Angiotensin-Hemmstoffe bei Herzinsuffizienz und Nierenschädigungen, sodass diese Stoffe mehrfach
                                                                                                        sind daher der erwartete Nutzen und
  aufgeführt sind. b Nifedipin wirkt antihypertensiv, gehört aber wie Diltiazem zu den Ca-Kanalblo-
  ckern.                                                                                                der zu befürchtende Schaden sorgfältig
                                                                                                        auszutarieren. Für potenziell trinkwas-
                                                                                                        sergängige Substanzen ist routinemäßig
   kannt, obwohl Wirkungen dieser Art                gegen Unsicherheit. Aus regulatorischer            die sorgfältige Erhebung experimenteller
   weit unterhalb therapeutischer Kon-               Sicht darf dies nicht zum Dauerzustand             Wirkungsdaten bei chronischer Exposi-
   zentrationen gegebenenfalls kaum be-              werden. Forderungen an die Arzneimit-              tion sowie deren Extrapolation auf den
   legbar wären.                                     telhersteller, zumindest über polare und           Menschen zu fordern.
                                                     persistente Metabolite mehr chronisch-                 Für die meisten Arzneimittel exi-
Die heute in den USA und Europa in Ober-             toxikologische Daten im Spurenbereich              stiert eine Schwellenkonzentration für
flächengewässern gemessenen Gehalte an               zu generieren, sind bisher nicht aufge-            die erwünschten, aber auch für die un-
Arzneimittelresten würden, wenn sie sich             nommen worden.                                     erwünschten Wirkungen. In günstigen
auf Trinkwasser bezögen, in der Regel nur                                                               Fällen liegt zwischen erwünschten und
mit winzigen, nur noch rechnerisch dar-              Wirkungsbezogene Kenngrößen                        unerwünschten Wirkungen ein Sicher-
stellbaren Bruchteilen der therapeutisch                                                                heitsabstand. Dieser Abstand beträgt für
empfohlenen Tagesdosen korrespondie-                 Die Wirkungen eines Arzneistoffs zeigen            die Mediankonzentrationen selten mehr
ren [9, 10]. Trotz dieser humantoxikolo-             in Abhängigkeit von der erreichten Kon-            als zwei 10er-Potenzen. Eine Verringerung
gisch beruhigenden Feststellung besteht              zentration oder eingesetzten Dosis meist           der Konzentration um mindestens zwei
langfristig kein Grund zu Entwarnung.                einen sigmoiden Verlauf (. Abb. 1). Das            10er-Potenzen unter die Schwelle der the-
Dies wird im Folgenden erläutert.                    gilt sowohl quantitativ für die Wirkung            rapeutischen Wirkung führt in der Regel
                                                     bei einem Individuum als auch qualitativ           in den No-effect-Bereich. Diese Faustregel
Unsicherheiten der toxikolo-                         für die Wirkung in einem Kollektiv. Der            kann aber eine empirische Bestätigung im
gischen Bewertung und Risiko-                        Wendepunkt, der die halbmaximale Wir-              Einzelfall nicht ersetzen. Werte zur akuten,
schätzung                                            kung anzeigt (sog. EC50=effective con-             subakuten oder (seltener) subchronischen
                                                     centration 50 % bzw. ED50=effective dose           Giftigkeit eines Wirkstoffs sind für die
Die Wirkungen von Arzneimitteln auf                  50 %) wird oft als Kenngröße herangezo-            umwelttoxikologische Praxis untauglich,
den Menschen sind nur im therapeu-                   gen, um Wirksamkeiten miteinander zu               da sie (1) in der Umwelt niemals erreicht
tischen Konzentrationsbereich gut un-                vergleichen. Er signalisiert bei einem In-         werden und sie (2) nur Punktwerte dar-
tersucht. Im Spurenbereich herrscht da-              dividuum, dass 50 % der maximal erreich-           stellen, die keine Rückschlüsse auf die

                                                                             Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 3 · 2007   | 323
Leitthema: Wasser und Gesundheit

                                                                                                          zogen. Ein Beispiel für die praktische
                                                                                                          Anwendung des Benchmark-Konzeptes
                                                                                                          findet sich in [14], eine kritische Bewer-
                                                                                                          tung in [15].
                                                                                                             Um von dem auf experimenteller oder
                                                                                                          epidemiologischer Datenbasis abgelei-
                                                                                                          teten PoD zu einem pfadspezifischen,
                                                                                                          gesundheitlich duldbaren Höchstwert zu
                                                                                                          gelangen, werden noch weitere Größen
                                                                                                          (Vertrauensbereich, Unsicherheits- und
                                                                                                          Extrapolationsfaktoren, Art und Häufig-
                                                                                                          keit der Exposition, pfadspezifischer Ex-
                                                                                                          positionsanteil) benötigt. Erst dann lässt
                                                                                                          sich eine möglichst wirklichkeitsnahe
                                                                                                          Aussage darüber treffen, mit welcher
                                                                                                          Wahrscheinlichkeit (unwahrscheinlich
                                                                                                          – hinreichend wahrscheinlich – sehr
                                                                                                          wahrscheinlich) mit dem Eintritt eines
                                                                                                          Schadens bei entsprechender Exposition
    Abb. 1 8 Vergleich zweier Dosis- bzw. Konzentrations-Wirkungs-Kurven. Bezogen auf die für             zu rechnen ist [16].
    die halb-maximale Wirkung erforderliche Dosis bzw. Konzentration (ED50-Wert, Pfeile) ist Sub-
    stanz A in der betrachteten Population rund 100-mal potenter als Substanz B. Vergleicht man ih-       Kinetische Daten
    re Wirkungspotenziale dagegen im Bereich niedriger Dosen oder Konzentrationen links vom
    Punkt gleicher Wirkungsstärke (gestrichelte vertikale Linie), dann ist von A bei 1 ppb (10–9) prak-
    tisch bei keinem Individuum mehr eine Wirkung zu erwarten, während in rund 3 % der B-Expo-            Auch die Aufnahme von Pharmaka über
    nierten bei dieser Dosis/Konzentration mit der betrachteten Wirkung von B noch zu rechnen ist         das Trinkwasser unterliegt den Gesetzen
                                                                                                          der Pharmakokinetik, d. h. Freisetzung
                                                                                                          aus der stofflichen Matrix, Resorption
    Höhe des Schädlichkeits- und/oder Ku-                   Der PoD ist die höchste, im empfind-          (=Übertritt ins Blut), Verteilung, Meta-
    mulationspotenzials geringer Dauerbela-             lichsten Expositionsszenario oder Test-           bolisierung (=Verstoffwechselung) und
    stungen erlauben.                                   system/Tierversuch noch wirkungslose              Exkretion (=Ausscheidung) sind zu be-
       Beispielsweise können von einem                  (NOEL) oder noch unschädliche (NO-                rücksichtigen. Die Bioverfügbarkeit – al-
    Pharmakon B mit flacher Dosis-Wir-                  AEL) Dosis. Entsprechend bezeichnen               so der nach oraler Aufnahme im Körper
    kungs-Kurve weit unterhalb seiner relativ           LOEL und LOAEL die niedrigsten, noch              verfügbare Anteil – des Antibiotikums
    hohen 50 %-Effektdosis (ED50) mehr un-              wirksamen oder noch schädlichen Werte.            Erythromycin in therapeutischer Dosie-
    erwünschte Wirkungen ausgehen als von               Aus welchem dieser 4 Werte letztlich der          rung beträgt nur rund 35 %, die des Zy-
    einem Pharmakon A mit steiler Dosis-                PoD abgeleitet wird, hängt ab von der Ver-        tostatikums Cyclophosphamid dagegen
    Wirkungs-Kurve. Dies veranschaulicht                suchsanordnung und dem Schweregrad                rund 75 %. Diejenige von Sulfamethoxa-
    . Abb. 1. Im niedrigen, möglicherweise              der „Schädlichkeit“ der noch nicht beo-           zol, einem verschiedentlich im Trinkwas-
    jedoch umweltrelevanten Dosisbereich                bachteten, im Menschen jedoch grund-              ser aufgetretenen Antiinfektivum, erreicht
    unterhalb von 10–8 zeigt die Dosis-Wir-             sätzlich erwartbaren Wirkung [12, 13].            sogar 95 %. Meist wird allerdings nur ein
    kungs-Kurve von B ein höheres Wir-                      Dem NOAEL-Konzept steht das                   Bruchteil der ins Blut übergetretenen
    kungspotenzial an. Dennoch ist seine                Benchmark-Konzept gegenüber. Es be-               Stoffmenge im Körper wirksam. Die mit
    ED50 100-mal höher als diejenige von A.             sitzt einige Vorteile, denn (1) wird ein PoD      der Resorption einsetzende Elimination
                                                        nur abgeleitet, wenn sowohl wirksame als          ist häufig mehrphasig, sodass die Plas-
    Expositionsbezogene Kenngrößen                      auch wirkungsfreie Konzentrationen be-            makonzentration im therapeutischen
                                                        kannt sind, (2) werden bei der Ableitung          Bereich rascher abnimmt als in der soge-
    Höchstwerte für die gesundheitlich (noch)           des PoD alle bekannten Dosis-Wirkungs-            nannten terminalen Phase der Eliminati-
    duldbare Aufnahme potenziell toxischer              Daten aus möglichst unterschiedlichen             on; was genau bei sehr niedrigen Werten
    Stoffe werden aus empirischen Daten, die            Szenarien und Testsystemen berücksich-            geschieht, ist kaum untersucht und daher
    entweder epidemiologischen Expositions-             tigt, (3) die Lage des PoD ist weitgehend         umstritten.
    szenarien oder experimentellen Testsyste-           unempfindlich gegen experimentell moti-
    men/Tierversuchen entstammen, auf die               vierte oder epidemiologisch vorgegebene           Vorsorgliche Risikoprognose auf lü-
    mutmaßlich empfindlichste Zielgruppe                Dosis- bzw. Konzentrationsabstufungen,            ckenhafter Datenbasis
    der menschlichen Population extrapoliert.           (4) die Qualität der Daten (Streuung bzw.
    Diese Extrapolation beginnt bei einem               Unsicherheit) wird auf reproduzierbare            Grundsätzlich wäre für jeden trinkwas-
    PoD (point of departure, Startpunkt).               Weise in die Ableitung des PoD einbe-             sergängigen Stoff oberhalb eines (noch)

324 |   Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 3 · 2007
Zusammenfassung · Abstract

Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 2007 · 50:322–331
DOI 10.1007/s00103-007-0158-1
© Springer Medizin Verlag 2007

H. H. Dieter · H. Mückter

Regulatorische, gesundheitliche und ästhetische Bewertung sogenannter Spurenstoffe im Trinkwasser
unter besonderer Berücksichtigung von Arzneimitteln

Zusammenfassung
Über 2500 chemisch definierte Wirkstoffe          gleichzeitig-ähnlicher Wirkungen) in Ver-        Anreicherung persistenter, hochmobiler
sind in Deutschland als Arzneimittel zu-          bindung mit der Empfehlung des Umwelt-           und polarer Verbindungen im Trinkwas-
gelassen. Anders als pestizide landwirt-          bundesamtes (UBA) vom März 2003 „Be-             ser zu rechnen. Ihre Entfernung erst bei der
schaftliche Wirkstoffe werden sie nicht um-       wertung der Anwesenheit nicht oder teil-         Trinkwasseraufbereitung wäre weder ur-
weltoffen angewandt. Daher sind sie um-           bewertbarer Stoffe im Trinkwasser aus            sachengerecht noch verfahrenstechnisch
welttoxikologisch auch nicht ähnlich um-          gesundheitlicher Sicht“ zu bewerten. Der         angemessen. Die Folgeprodukte würden
fassend untersucht. Dennoch wird nach             in ihr enthaltene allgemeine Vorsorge-           weitere Bewertungsunsicherheiten auf-
bestimmungsgemäßer Ausscheidung eine              wert (Gesundheitlicher Orientierungswert         werfen. Mögliche Konflikte mit der thera-
Reihe dieser Stoffe zu Umweltkontami-             GOW1=0,10 μg/l) für schwach bis nicht            peutischen Qualität müssen durch die Ent-
nanten. Ihre umwelttoxikologische Risiko-         gentoxische Stoffe ist ein tragfähiger           wicklung umweltverträglicher(er) Ersatz-
bewertung weist deshalb aus Sicht des             Kompromiss zwischen gesundheitlicher             stoffe gelöst werden.
gesundheitsbezogenen Umweltschutzes               Vorsorge, wasserwirtschaftlicher Ver-
Lücken auf. Bis zum Vorliegen einer um-           nunft und ästhetischem Qualitätsanspruch         Schlüsselwörter
fassenden Risikobewertung wird vorge-             (Reinheit). Er wird sich langfristig nur dann    Arzneimittel · Organische Spurenstoffe ·
schlagen, Arzneimittel im Trinkwasser so          einhalten lassen, wenn die Entfernung von        Trinkwasser · Risikobewertung · Gesund-
wie andere nicht oder teilbewertbare              Arzneimitteln und deren Ab- oder Umbau-          heitsbezogener Umweltschutz
organische Spurenstoffe und deren                 produkten aus dem Abwasser nachhaltig
Mischungen analog TRGS 403 (Addition              verbessert wird. Andernfalls ist mit einer



Assessment of so called organic trace compounds in drinking water from the regulatory, health and
aesthetic-quality points of view, with special consideration given to pharmaceuticals

Abstract
More than 2500 chemically defined sub-            the Federal Environment Agency of March          ating into a sink for highly mobile, polar and
stances are approved as drugs in Germany.         2003 “Assessing the presence of substan-         persistent compounds. Their elimination at
Unlike agricultural pesticides, these bio-        ces in drinking water without (adequate)         a stage as late as technical drinking water
logically active structures are not used in       toxicological database from the health point     treatment would be neither close to the ini-
open environmental compartments and               of view”. The general precautionary value        tial cause nor justifiable in terms of technical
therefore their environmental toxicological       (Gesundheitlicher Orientierungswert GOW1         effectiveness. The risk assessment of their
database is not nearly as complete. Never-        = 0.10 μg/l), which is a recommendation          byproducts would give rise to further un-
theless, some of them become environmen-          for weakly to not genotoxic compounds,           certainties. Possible conflicts with the ther-
tal contaminants after their intended use.        represents a workable compromise be-             apeutic quality must be solved by develop-
Therefore, from the viewpoint of environ-         tween preventive health protection, water        ing substitute products which are environ-
mental health protection, there are gaps in       management considerations and aesthetic          mentally sound.
their health-related environmental risk as-       quality claims (purity). Compliance with this
sessment. Organic trace compounds that            value in the long term will only be possible     Keywords
lack an adequate toxicological database,          if the chemical and biological degradation       Pharmaceuticals · Organic trace compounds
and their mixtures, in drinking water can be      of pharmaceuticals and their metabolites         · Drinking water · Health-related environ-
safely regulated and provisionally assessed       in waste water and waste water treatment         mental risk assessment
by combining the “similar joint action” ad-       plants is effectively improved. Alternatively,
dition rule with the recommendation of            there is the risk of drinking water degener-




                                                                         Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 3 · 2007         | 325
Leitthema: Wasser und Gesundheit

    sicheren Vorsorgewertes (vgl. Kapitel            entsprechende Abbauprodukte endlich in         Staub/Boden) zusammenfassen und ist
    „Regulatorisch-toxikologische Aspekte“)          der Umwelt gefunden.                           deshalb mit 1,5 μg/Tag und Person deut-
    ein toxikologisch abgeleiteter Höchstwert           Dies gilt auch für Arzneispuren und         lich höher.
    bereitzuhalten. Bei Arzneimitteln fehlen         -metabolite im Wasserkreislauf. Positiver          Dagegen würde die Duldung von bis
    aber zum einen gesundheitsbezogene               Pol ihrer Bewertung im Trinkwasser ist         zu 1,5 μg Gesamtzufuhr eines Fremd-
    Daten für den umweltrelevanten Nied-             der hohe Nutzen der Ausgangsstoffe, ihr        stoffes pro Tag und Person allein über das
    rigdosisbereich (vgl. . Abb. 1), zum an-         negativer die schwer kommunizierbare           Trinkwasser dieses möglicherweise nicht
    deren sind für die meisten Stoffe Art und        Tatsache, dass ihr Nachweis am häuslichen      ausreichend vor stark gentoxischen und
    Anzahl möglicher Metabolite und Zerset-          Wasserhahn – sei ihre Konzentration auch       zugleich trinkwassergängigen Stoffen
    zungsprodukte aus Abbauvorgängen und             noch so gering – immer auch eine Spur          schützen. Beispiel hierfür (wenn auch
    oxidativen Aufbereitungsmaßnahmen                zur Toilette eines mehr oder weniger weit      keine Arzneimittel) sind die beiden Dini-
    nur unvollständig bekannt. Diese Mög-            entfernten Nachbars legt (vgl. Kapitel „Äs-    trotoluole, deren risikobasiert abgeleiteten
    lichkeit ließ sich jüngst durch das Bei-         thetische und gesellschaftliche Bewertung      und lebenslang akzeptablen Leitwerte mit
    spiel der Oxidation von Carbamazepin             von Arzneimittelresten im Trinkwasser“)        je 0,05 μg/l zwar das Fünffache des GOW2
    während der Ozonung von Trinkwasser              und außerdem Stoffe dieser Art im Trink-       betragen [24], aber einer akzeptablen Auf-
    [17] und den photolytischen Abbau von            wasser keinerlei Nutzen besitzen.              nahme von jeweils nur 0,1 μg pro Person
    Carbamazepin in einem nachgestellten                Maßnahmen, die das Trinkwasser und          und Tag entsprechen.
    küstennahen Oberflächengewässer zum              mit ihm seine Verbraucher vorsorglich vor
    weit toxischeren Acridin belegen [18].           unerwünschten Belastungen oder nicht           Bewertung von Mischungen
    Zwar signalisieren sicher längst nicht alle      (rechtzeitig) bewertbaren Risiken schüt-
    Datenlücken automatisch eine gesund-             zen, lassen sich aus dem seit Jahrzehnten      A priori ist eine außerhalb experimentel-
    heitliche Gefährdung, sie sollten jedoch,        in allen Trinkwasserverordnungen ver-          ler Situationen erwartete oder mögliche
    um regulatorische Sicherheit zu schaffen,        ankerten Minimierungsgebot (TrinkwV            Wirkung praktisch immer eine Summe
    in den als potenziell kritisch erkannten         2001, § 6 Abs. 3) ableiten. Es kommt der       oder gar Kombination von Wirkungen,
    Fällen vorsorglich geschlossen werden. Es        Forderung nach einer möglichst geringen        ihre Zurückführung auf einen (besonders
    wäre unverantwortlich, hiermit zu war-           Belastung (hohen Reinheit) des Trinkwas-       verdächtigen?) Einzelstoff eine regula-
    ten, bis Gesundheitsschäden womöglich            sers unterhalb toxikologisch abgeleiteter      torisch-toxikologische, allerdings kaum
    doch zu besorgen oder gar nachweisbar            Höchstwerte am nächsten.                       vermeidbare Vereinfachung. Die regulato-
    wären.                                              Aus gesundheitlicher Sicht existiert        risch entscheidende Frage ist, ob und wie
                                                     hierzu konkret eine Empfehlung des UBA         sich die Toxizität einer konkreten Stoffmi-
    Regulatorisch-toxikologische                     zur Bewertung der Anwesenheit nicht            schung von der Summe der Toxizitäten
    Aspekte                                          oder nur teilbewertbarer Stoffe im Trink-      ihrer einzelstofflichen Komponenten au-
                                                     wasser [20]. Ihr zufolge signalisiert die      ßerhalb der Mischung unterscheidet.
    Zum gesundheitlichen Schutz des Verbrau-         Unterschreitung eines Gesundheitlichen             Zum Vergleich der unbekannten Sum-
    chers vor Fremdstoffen in Lebensmitteln          Orientierungswertes von GOW1=0,10 μg/l         mentoxizität einer Mischung (ST) mit der
    gibt es Höchstwerte, die die Aufnahme in         (entsprechend 0,2 μg/Tag und Person)           bekannten Toxizitätssumme ihrer Ein-
    den Körper begrenzen sollen und deshalb          gesundheitliche Sicherheit gegenüber al-       zelkomponenten (TS) zwecks Bewertung
    in den Endprodukten anteilig eingehalten         len nicht weiter bewertbaren, jedoch nur       der Differenz zwischen beiden gibt es
    werden müssen. Sie heißen ADI-Wert               schwach bis nicht gentoxischen Stoffen.        mehrere Konzepte. Regulatorisch am in-
    (acceptable daily intake) für Rückstände         Für stark gentoxische, trinkwassergängige      teressantesten wäre ein Konzept, das mit
    (nützliche Fremdstoffe) und TDI-Wert für         Stoffe wurde empfohlen, lebenslang nur         dem Unwissen über das summentoxische
    Kontaminanten (nutzlose Fremdstoffe).            einen GOW2=0,010 μg/L, entsprechend            Potenzial einer Mischung so umgeht, dass
    Die toxikologische Risikoforschung und           0,02 μg/Tag und Person, zu tolerieren.         das Bewertungsergebnis mit Sicherheit
    -bewertung beschäftigt sich primär mit der          Das international bekannte Konzept          auf der sicheren Seite liegt – auch auf das
    gesundheitlichen Duldbarkeit von Rück-           des TTC/threshold of toxicological con-        Risiko hin, dass es aus wissenschaftlicher
    ständen und Nebenprodukten, die defi-            cern1 [21–23] ist mit der UBA-Empfehlung       Sicht zu konservativ erschiene.
    nitionsgemäß absichtlichen (mit einem            insofern vergleichbar, als es ebenfalls eine
    Benefit oder Mehrwert verbundenen)               Dosis nennt, unterhalb derer eine toxiko-      Wissenschaftliche Fallunter-
    Ausbringungen entstammen. Ihre Kon-              logische Relevanz (Wirkung oder Risiko)        scheidungen
    zentrationen sind funktional determiniert        selbst für stark gentoxische Karzinogene
    und deshalb notwendig und üblicherwei-           oder anderweitig hochtoxische Stoffe           Über die Möglichkeit von Wirkungskom-
    se höher als diejenigen nutzungsfremder          nicht mehr unterstellt wird. Die entspre-      binationen wird gerade im Zusammen-
    oder nutzungsferner Kontaminanten [19].          chende Tagesdosis soll alle Zufuhrpfade        hang mit der Bewertung von Arzneimit-
    Nur für die Analytiker freudig ist dann die      (Lebensmittel, Atemluft, Trinkwasser,          telspuren im Trinkwasser mitunter desto
    Feststellung, wie wenig man über neue                                                           freier (unvorsichtiger) spekuliert, je gerin-
    Kontaminanten weiß, hat man sie oder             1 Konzept der toxikologischen Warnschwelle.    ger die Konzentrationen sind, um die es

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tatsächlich geht. Deshalb sei hier auf die           messenen mit der (noch) unschädlichen             von einer Konzentration RE allein des
Bewertung möglicher Wirkungskombina-                 Höchstkonzentration desselben Stoffs au-          riskantesten Vertreters der Stoffgruppe
tionen etwas genauer als üblich eingegan-            ßerhalb der Mischung.                             ausginge, sei dieser nun in der Mischung
gen. Es wird sich zeigen, dass bereits der               Die Summe aller HIS der Mischung              enthalten oder nicht. Wenn RPM höher
erste (A.1) der 3 oder 4 unterscheidbaren            heißt HIM und ist ihr pragmatisches re-           ist als das im konkreten Fall akzeptierte
Bewertungsansätze es in der Regel erlaubt,           gulatorisch-toxikologisches Äquivalent.           Zusatzrisiko ZR, ergibt sich in Analogie
gesundheitliche Sicherheit festzustellen             Ein HIM „größer eins“ verweist auf ein            zu A.1.1 ein Risikoindex RIM von „größer
oder durch geeignete Maßnahmen her-                  Wirkungspotenzial der Mischung von                1“, der Maßnahmen zur Minderung des
zustellen.                                           „größer Null“ und sollte Minderungs-              stofflichen RE auslösen sollte.
   Folgende Ansätze zur Bewertung der                maßnahmen auslösen.                                   Beispiele für Mischungen aus Stoffen
Wirkungskombination2 sind voneinander                    Etwaige Zweifel an der Richtigkeit            ohne Wirkungsschwelle, deren RPM nach
zu unterscheiden3:                                   eines HIM können nur auf Zweifeln an              dieser Methode bereits quantifiziert und
                                                     der Richtigkeit der einzelnen HIS beruhen         in Form eines RIM bewertet wurde, sind
Additivität (ST=TS)                                  und sollten bereits bei deren Ermittlung          Mischungen von PCDDs und PCDFs, von
1. Additivität gleichzeitig-ähnlicher Wir-           widerlegt oder regulatorisch berücksich-          polyzyklischen Aromaten und von mono-
kungen (similar joint action). In diesem             tigt worden sein.                                 cyklischen Nitroaromaten. Unter den ein-
Fall ist die Wirkungsstärke jedes Stoffes                Beispiele für Mischungen mit Wir-             gangs genannten Voraussetzungen wäre
nur eine Funktion seiner Konzentration               kungsschwelle, deren HIM nach dieser              Ansatz A.1.2 auch auf Arzneimittelreste
in der Mischung und seinem von außer-                Methode bereits quantifiziert und bewer-          ohne Wirkungsschwelle im Trinkwasser
halb der Mischung bekannten stoffspezi-              tet wurde, sind Mischungen von haloge-            anwendbar.
fischen Wirkungspotenzial. Das Maß für               nierten Kohlenwasserstoffen (nierento-
das Wirkungspotenzial der Mischung ist               xische Wirkung), von organischen Löse-            2. Additivität nach Art und/oder Ort von-
dann die Summe der konzentrationsan-                 mitteln (Wirkung auf das Nervensystem)            einander unabhängiger Wirkungen (in-
teiligen einzelstofflichen Wirkpotenziale            und von insektiziden Organophosphaten             dependent joint action). Auch in diesem
(Verfahren der gewichteten Addition ana-             (Hemmung der Acetylcholinesterase-                Fall ist die Wirkungsstärke jedes Stoffes
log TRGS 403).                                       Aktivität). Unter den Voraussetzungen             mit Wirkungsschwelle nur abhängig von
    Wenn die Voraussetzungen Gleichzei-              der TRGS 403 ist Methode A.1.1 auch auf           seiner Konzentration in der Mischung
tigkeit und Gleichartigkeit für die Mög-             Arzneimittelreste mit Wirkungsschwelle            und seinem von außerhalb der Mischung
lichkeit der Wirkungsadditivität gegeben             im Trinkwasser anwendbar.                         bekannten stoffspezifischen Wirkungs-
sind, ist eine Mischung gemäß TRGS 403                   A.1.2 Bei Stoffen ohne Wirkungs-              potenzial. Wirkungsart und -ort sind je-
regulatorisch sicher zu bewerten, ins-               schwelle, zumeist gentoxischen Karzi-             doch von Stoff zu Stoff nachweislich ver-
besondere auch dann, wenn in der Mi-                 nogenen, quantifiziert man die stoffspe-          schieden, die Stoffe konkurrieren nicht
schung alle Konzentrationen unterhalb                zifischen Wirkpotenziale in Form ihres            miteinander, die HIS-Werte können und
von Werten liegen, von denen außerhalb               Risikopotenzialindex, englisch Risk Index         dürfen demnach nicht zu einem HIM zu-
der Mischung mit Sicherheit weder eine               RIS. Um einen RIS zu quantifizieren, wird         sammengezogen werden.
Gefährdung (mit Wirkungsschwelle)4                   das Risikopotenzial jedes gentoxischen                Stattdessen entscheidet jetzt der
noch ein nicht akzeptables Risiko (ohne              und den Voraussetzungen A.1 genü-                 höchste für eine Einzelkomponente er-
Wirkungsschwelle)4 ausginge.                         genden Stoffs der Mischung als Bruchteil          rechnete HIS auch über das toxische Po-
    A.1.1 Bei Stoffen mit Wirkungsschwel-            (TEF5) des auf eins gesetzten Risikopoten-        tenzial der Mischung. Ein solcher HIS
le quantifiziert man das stoffspezifische            zials des riskantesten Vertreters derselben       ist auf jeden Fall niedriger, als wenn er
Wirkpotenzial in Form eines Gefähr-                  Stoffgruppe (dieser muss in der Mischung          (fälschlicherweise) nach A.1.1 errechnet
dungspotenzialindex, englisch Hazard                 nicht vorhanden sein) dargestellt. Die            worden wäre. Ansatz A.2 ist deshalb für
Index HIS. Man erhält ihn durch Vergleich            Multiplikation (Wichtung) der aktuellen           den Fall, dass A.1.1 doch zuträfe, weniger
(Division) der aktuell in der Mischung ge-           Konzentration des betrachteten Stoffs mit         protektiv als A.1.1. In allen Zweifelsfäl-
                                                     seinem TEF liefert die Maßzahl für seinen         len ist bei Stoffen mit Wirkungsschwelle
2 …eigentlich der „Bewertung unterschiedlicher       RIS in der Mischung.                              deshalb vorsorglich nicht Verfahren A.2,
Ausprägungen der gegenseitigen Beeinflus-                Die Summe aller RIS der Mischung ist          sondern A.1.1 anzuwenden. Es liefert dann
sung gleichzeitiger Wirkungen“.                      ihr (stoffliches) Risiko-Äquivalent RE und        zwar wissenschaftlich strittige, jedoch im-
3 Konkrete Stoffbeispiele finden sich in einschlä-

gigen Lehrbüchern der Pharmakologie und/             zugleich ihr pragmatisches, regulatorisch-        mer regulatorisch sichere Bewertungen.
oder Humantoxikologie.                               toxikologisches Äquivalent. Von der Mi-               Demgegenüber sollte das Risiko-
4 Die damit unterstellte Unterscheidbarkeit von      schung geht, wenn die TEF-Werte richtig           potenzial von Mischungen aus Stoffen
Stoffen „mit Wirkungsschwelle“ von solchen           ermittelt und die Stoffe richtig als Stoff-       ohne Wirkungsschwelle, auf die das
„ohne Wirkungsschwelle“ war und ist aus regu-        gruppe klassifiziert wurden, rechnerisch          Kriterium A.2 independent joint action
latorisch-toxikologischer Sicht zwar ein plau-
sibles pragmatisches Konzept, biochemisch-           dasselbe Risikopotenzial RPM aus wie es           zutrifft, immer mit Hilfe der stoffgrup-
mechanistisch jedoch nicht zwingend und                                                                penspezifischen TEF nach Verfahren
experimentell kaum belegbar [25, 26].                5 Toxizitäts-Äquivalenzfaktoren.                  A.1.2 quantifiziert und bewertet werden.

                                                                            Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 3 · 2007   | 327
Leitthema: Wasser und Gesundheit

    Nur so sind Risikounterschätzungen zu
    vermeiden.

    B. Antagonismus (ST <TS)
    Gegenseitige Wirkungsunterdrückung,
    -neutralisierung oder -schwächung tritt
    auf bei allosterisch (per Fernwirkung
    abseits vom katalytischen Zentrum) aus-
    gelöster Kompetition zweier oder mehre-
    rer unterschiedlich wirkender Stoffe um
    denselben Wirkungsrezeptor, oder durch
    gegenseitige Unterdrückung/Schwä-
    chung/Neutralisierung unterschiedlicher
    Wirkungen durch sich gegenseitig neu-
    tralisierende oder reparierende Wirkme-
    chanismen.

    C. Synergismus/Potenzierung
    (ST >TS)
    Hier soll die Wirkung der Summe zweier
    oder mehrerer gleichzeitig anwesender
    Stoffe mit unterschiedlichen Wirkungen
    stärker sein als die Summe ihrer Einzel-
    wirkungen außerhalb der Mischung, weil
    sich ihre Affinitäten für den wirkungsver-
    mittelnden Rezeptor oder die Wirkungen
    selbst gegenseitig allosterisch begünstigen      Abb. 2 8 Isobolographische Darstellung der Wirkungsstärke einer Mischung der Stoffe A und B,
    bzw. sich reaktionskinetisch oder -mecha-        die in variablen Anteilen von bis zu 75 % ihrer jeweiligen LC50 zusammengefügt wurden. Die Li-
    nistisch verstärken.                             nie „additiv“ zeigt, dass die Wirkungsstärke der Mischung an jedem Punkt exakt der Summe der
                                                     jeweiligen Einzelwirkungen entspricht (graue Pfeile). Bei einem „synergistischen“ Effekt (schwar-
                                                     ze Pfeile) wäre die Wirkung jedes Einzelstoffs oder ihrer Summe bereits erreicht, wenn 1/10 der
    Regulatorische Unterscheidung in                 LC50 des Stoffs A und ca. 1/3 der LC50 des Stoffs B (Summenanteil ca. 40 %) in der Mischung ein-
    der Praxis                                       gestellt würden. Hingegen wird eine relative Verringerung der Giftigkeit (Erhöhung der LC50-An-
                                                     teile in der Mischung für gleiche Giftigkeit) beobachtet, wenn sich beide Stoffe „antagonistisch“
    Nach aller experimenteller Erfahrung ist         verhalten.
    bei niedrigen Expositionen, wenn über-
    haupt, mit den Möglichkeiten A.1.1, A.1.2
    oder auch A.2 am ehesten zu rechnen.             Kombinationsdaten zu erhalten, ist der             unterschiedenen Möglichkeiten A–C sind
    Fall B gilt als selten, und Fall C ist vermut-   Fragestellung in den meisten Fällen nicht          leicht zu erkennen. In jüngster Zeit sind
    lich (oder glücklicherweise) sehr selten.        angemessen. In der Praxis werden daher             auch mehrdimensionale, nicht-lineare
        Zur Untersuchung von (komplexen)             häufig Hybridansätze bevorzugt, die aber           isobolographische Ansätze zur experi-
    Mischungen sind Top-down- (zerlegend             nur mit komplexen Programmen zu be-                mentellen Voraussage der Effekte von
    – von der vollständigen Mischung zu              wältigen sind.                                     Stoffgemischen entwickelt worden [27].
    den Einzelkomponenten) und Bottom-
    up- (aufbauend – von den Einzelstoffen           Isobolographie. Zu den ältesten Bottom-            Maximum-Likelihood-Methode/Monte-
    zum Gemisch) Lösungen vorgeschlagen              up-Ansätzen der experimentellen Unter-             Carlo-Simulation. Andere Ansätze zur
    worden. Vorteil des Top-down-Verfah-             scheidung von Additivität, Antagonismus            Quantifizierung von Wirkungsaddition
    rens ist die Vollständigkeit, da ja keine        und Synergismus gehört die Isobologra-             etc. im Niedrigdosisbereich sind die Ma-
    Komponente ausgelassen wurde. Der                phie. Sie eignet sich zur Untersuchung             ximum-Likelihood-Methode [28] und
    Nachteil liegt im geringen Informations-         von Mischungen mit bis zu 6 Komponen-              die Monte-Carlo-Simulation [29]. Dazu
    gehalt zur Additivität der Einzelstoffe, da      ten. Eine typische Darstellung für binäre          braucht man jeweils die Verteilungsfunk-
    ja üblicherweise keine Konzentrations-           Mischungen zeigt . Abb. 2.                         tion des betrachteten Parameters. Sie ist
    Wirkungs-Beziehungen bekannt sind.                  Messpunktfolgen gleicher Wirkungs-              im Niedrigdosisbereich mit zunehmender
    Der Bottom-up-Ansatz vom Einzelstoff             stärke (Isobolen) wurden in dieser Abbil-          Unsicherheit behaftet. Zahlreiche Ansät-
    zur Mischung bietet genau diese Infor-           dung auf die jeweilige LC50 der Kompo-             ze für dichotome und kontinuierliche
    mation, aber der Zeitaufwand, um allein          nenten A und B bezogen. Die 3 im Kapitel           Merkmale wurden vorgeschlagen, an ver-
    für einen Konzentrationspunkt genügend           „Wissenschaftliche Fallunterscheidungen“           schiedene Rechenmodelle (Logit, Box-

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Cox-Probit, Weibull) angepasst, um mit        teil dieser Höchstwerte die fragliche(n)       wesentlich anspruchsvoller als rein ge-
statistischen Kriterien zu einer optimalen    Mischungskomponente(n) erreichen               sundheitlich begründbar [33]. Es ist im
Anpassung zu gelangen mit dem Ziel, in        dürfen, bevor aus Gründen der gesund-          Minimierungsgebot der Trinkwasserver-
einer post-hoc-Analyse die wichtigste         heitlichen Vorsorge, also nicht nur aus        ordnung verankert.
Einflussgröße zu identifizieren und die       Gründen der allgemeinen, umwelthygie-              Ein wichtiges Kriterium zur Bewertung
Abhängigkeiten der einzelnen Faktoren         nisch begründbaren Belastungsminimie-          bestimmter Stoffe unterhalb gesundheits-
zu gewichten.                                 rung, gehandelt werden muss. Der hierfür       schädlicher Konzentrationen ist das ihnen
                                              notwendige Sicherheitsfaktor wäre nicht        möglicherweise zukommende Potenzial,
Pharmakokinetische Modelle. Bei vie-          wissenschaftlich zu stützen, sondern Teil      beim Verbraucher Ekel zu erregen. Ver-
len Stoffen entscheidet nicht die aufge-      des Risikomanagements.                         gleichsmaßstab zur Feststellung Ekel er-
nommene Dosis über die toxische Po-                                                          regender Eigenschaften ist die allgemei-
tenz im Körper, sondern Verteilung und        Bewertung von Mischungen: Fazit                ne Verkehrsauffassung. Für Trinkwasser
Metabolisierung. Der Vergleich solcher                                                       wurde sie am spezifischsten in der DIN
in vitro gewonnener Daten aus Human-          Falls Mischungen überhaupt als solche          2000 niedergelegt [34]. Deren Verbind-
und Tiergeweben und ihre Einspeisung          bewertet werden müssen, ist es gute re-        lichkeit als technische Norm wird von
in pharmakokinetische Modelle liefert         gulatorisch-toxikologische Praxis, vor-        der TrinkwV 2001 und ihrer offiziellen
oft entscheidende Hinweise auf ein spe-       sorglich je nach Wirkungsmechanismus           Begründung ausdrücklich bestätigt. Sie
zifisches toxisches Potenzial (oder auf       Additivität (ST=TS) nach A.1.1 oder A.1.2      führt u. a. aus, dass Trinkwasser appetit-
dessen Abwesenheit), die sich aus einer       zu unterstellen und dafür zu sorgen, dass      lich zu sein hat und zum Genuss anregen
Dosisbetrachtung allein nicht ergäben         HIS oder RIS pro gemäß A.1 definierter         soll. Appetitlich ist ein Trinkwasser dann,
[30, 31]. Die Annäherung an die Bestim-       Stoffgruppe langfristig „kleiner als eins“     wenn es nach Herkunft und Art der Ge-
mung der Toxizität einer Mischung ge-         bleiben.                                       winnung vom Rohwasser bis zur Entnah-
lingt dadurch, dass eine Leitverbindung           Das Bewertungsergebnis ist regulato-       mestelle dem Verbraucher keinen Anlass
bestimmt wird, deren organspezifische         risch zwar unkritisch und auch angemes-        bietet, Ekel oder Abscheu zu empfinden.
Pharmakokinetik sich unter dem Einfluss       sen, erscheint aus wissenschaftlicher Sicht        Der Nachweis von Arzneimittelspuren
anderer einzelner Mischungskomponen-          jedoch meist überkonservativ. Allerdings       in manchen Roh- und einigen Trink-
ten in nachteiliger oder neutraler Weise      ist es der Wissenschaft nicht möglich, der     wässern macht hier folgenden latenten
verändert (oder nicht verändert) und die-     regulatorisch-toxikologischen Seite zuver-     Zielkonflikt sichtbar: Humanarzneimit-
se Veränderung mit Blick auf ihr vielleicht   lässig vorherzusagen, auf welche Einzelsi-     tel besitzen im Trinkwasser zwar (noch)
davon unterscheidbares Verhalten in der       tuationen die Vermutung überkonservativ        keine direkt nachweisbare gesundheit-
Gesamtmischung bewertet wird.                 nicht zutrifft. So müssen eben beide Sei-      liche Bedeutung, legen aber eine mög-
    Welcher dieser experimentellen Ansät-     ten mit der Möglichkeit leben, dass ins-       licherweise Ekel erregende Spur zu ihrer
ze gegebenenfalls ausgewählt wird, hängt      besondere Bewertungen nach Verfahren           Nutzungsgeschichte. Die Bewertung die-
ab                                            A.1.1 oder A.1.2 konservativer ausfallen       ser Tatsache überträgt sich unvermeidlich
F von der (bekannten) Anzahl gleich-          als zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht     auf das bezogene (kontaminierte) Wasser.
    zeitig anwesender Verbindungen und        wissenschaftlich begründbar.                   Deshalb ist zu fragen, ob die Qualität von
    davon,                                                                                   Trinkwasser, das nachweislich Spuren
F ob es nötig ist (oder gewünscht wird),      Ästhetische und gesellschaft-                  von Arzneimitteln enthält, die in mensch-
    Art und Ausmaß der Wechselwirkung         liche Bewertung von Arzneimittel-              lichen Ausscheidungen enthalten waren,
    zwischen 2 und mehr Verbindungen          resten im Trinkwasser                          noch den ästhetischen Anforderungen
    genau zu quantifizieren, oder ob                                                         der DIN 2000 und dem Minimierungs-
F es ausreicht, nur die Summentoxizi-         Trinkwasser einwandfreier Qualität ist         gebot [§ 6(3) der TrinkwV 2001] genügt.
    tät (ST) einer Mischung mit der Toxi-     zwar ein gesellschaftlich kontrolliertes,          Das Minimierungsgebot verknüpft
    zitätssumme (TS) ihrer Komponen-          doch zugleich sehr persönliches Lebens-        die Vermeidung auch solcher Stoffe, die
    ten empirisch zu vergleichen und ent-     und Hygiene(hilfs)mittel. Zudem ist es         in der nachgewiesenen Konzentration
    sprechend zu bewerten.                    als Roh- und dann als Abwasser Teil der        keinerlei gesundheitliche Bedeutung be-
                                              aquatischen Umwelt. In technischer und         sitzen, mit der Anwendung der allgemein
Voraussetzungen A.1 nicht erfüllt. Falls      natürlicher, in persönlicher und gesell-       (gesellschaftlich) anerkannten Regeln der
die Voraussetzungen A.1 nicht erfüllt sind,   schaftlicher Hinsicht ist es – neben Wasser    Technik (aaRdT) und dem vertretbaren
ist an ein zusätzliches, von der Mischung     als Landschaftselement – eine der beiden       Aufwand. Welcher Kontaminationsgrad
ausgehendes Gefährdungspotenzial nur          eindeutig positiv erlebten sprachlichen        dabei als Ekel erregend abgelehnt werden
dann zu denken, wenn einzelne Kom-            Konnotationen von „Wasser“ [32]. Indi-         kann, muss insofern auch gesellschaftlich
ponenten ihren außerhalb der Mischung         viduelle und gesellschaftliche Ansprüche       einvernehmlich ausgehandelt und dann
gesundheitlich duldbaren Höchstkon-           an seine gesundheitliche und ästhetische       per Grenzwert politisch festgelegt werden.
zentrationen zu nahe kommen. Es wä-           Qualität sind entsprechend hoch. Dabei         Das Ekelargument kann dabei, solange die
re dann zu definieren, welchen Bruch-         ist das ästhetische Kriterium Reinheit         gesundheitliche Vorsorge gewährleistet

                                                                  Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 3 · 2007   | 329
Leitthema: Wasser und Gesundheit

    ist, keinen absoluten Vorbeugeanspruch           Aufnahme toxikologisch ableitbar und          belastungen des Rohwassers mit Arznei-
    für sich geltend machen, sondern sollte          gesundheitlich (noch) duldbar wären.          mittelresten abgepuffert werden, damit
    sich bereichsspezifischen Kompromissen           Aus dieser Tatsache darf aber nicht der       sie nicht in die entsprechenden Trink-
    zwischen Vermeidbarkeit und Unver-               Schluss gezogen werden, es gebe keinen        wässer durchschlagen. Als Warnwert für
    meidbarkeit beugen. Die Kriterien für            regulatorischen Handlungsbedarf. Dies         organische Spurenstoffe einschließlich
    Vermeidbarkeit und Unvermeidbarkeit,             wäre ebenso falsch wie die Abschaffung        Arzneimittel in Oberflächengewässern,
    anhand derer diese Kompromisse auszu-            des Vorsorgeprinzips aus Kostengrün-          die der Trinkwassergewinnung dienen,
    handeln sind, stammen aus den Bereichen          den. Umgekehrt ist es richtig: Weil noch      käme langfristig deshalb z. B. ein Zehntel
    der Analytik, der Wasserwirtschaft und           Zeit zum vorsorglichen Handeln gegeben        (10 ng/l) des GOW1 des Umweltbundes-
    der sozialen Steuerbarkeit des individu-         ist, sollten die heutigen Handlungsmög-       amtes in Frage.6
    ellen Hygiene- und Umweltverhaltens.             lichkeiten genutzt werden. Nur so ist zu          Der heute aus Sicht der Trinkwasserhy-
    Ein Anspruch auf eine wissenschaftliche          verhindern, dass sich hochmobile, gut         giene und des vorsorgenden Gesundheits-
    (analytisch falsifizierbare) Reinheit des        wasserlösliche und persistente polare         schutzes noch unbefriedigende Zustand
    Kompartiments Trinkwasser führt was-             Stoffe im Trinkwasser allmählich anrei-       (lückenhafte Datenbasis; teilweise feh-
    serwirtschaftlich und ökologisch in die          chern. Sie könnten nur durch aufwändige       lende Methoden zur Wirkungs- bzw. zur
    Irre. Nur durch effiziente gesellschaftliche     Aufbereitungsverfahren entfernt werden,       Gefährdungsabschätzung) sollte Anlass
    Kommunikation wird sich dieser Irrweg            deren mögliche Folgeprodukte u. U. noch       sein, die längst vorhandenen Instrumen-
    vermeiden lassen.                                schlechter bewertbar wären.                   te zur Minimierung der Emission (z. B.
        Einiges spricht dafür, dass wie für              Aus Gründen der gesundheitlichen          Erhöhung der Reinigungseffizienz von
    landwirtschaftliche Pestizide auch für           Vorsorge ist die Anwesenheit von Arznei-      Kläranlagen) konsequent zu optimieren.
    Arzneimittelspuren eine Obergrenze               mittelresten und Metaboliten im Trink-        Das gilt natürlich genauso für den per-
    von 0,10 μg/L im Trinkwasser technisch           wasser deshalb unerwünscht und lang-          sönlichen Umgang mit Arzneimitteln
    einhaltbar, fachlich vertretbar und gesell-      fristig auf die vom Umweltbundesamt           und Körperpflegeprodukten sowie für
    schaftlich (ästhetisch) konsentierbar wäre.      empfohlenen Vorsorgewerte (vgl. Kapitel       ihre Entsorgung. Eine Punktwertung des
    In humantoxikologischer Hinsicht ist sie         „Regulatorisch-toxikologische Aspekte“)       Umweltverhaltens von Arzneimitteln, in
    für nicht bis schwach gentoxische Stoffe         zu begrenzen. Diese Werte sind trinkwas-      Schweden auf freiwilliger Basis bereits
    bereits akzeptiert (vgl. Kapitel „Regulato-      serhygienisch in jeder Hinsicht (gesund-      möglich [37], könnte hier weiterhelfen.
    risch-toxikologische Aspekte“).                  heitlich, ästhetisch, wasserwirtschaftlich)   Auch die verschreibenden Ärzte sind
        Aus dieser Perspektive brauchen und          akzeptabel. Es wäre sogar daran zu den-       zu sensibilisieren, z. B. wenn geklärt ist,
    sollten öffentliche Aufmerksamkeit und           ken, sie in eine kommende novellierte         welche der beispielsweise zehn und mehr
    ästhetisch motivierte Vorsorge nicht im-         Trinkwasserverordnung zu übernehmen.          Betablocker, die zur Behandlung eines
    mer nur auf den letzten oder allerletzten        Die Beantwortung der damit zusammen-          Bluthochdrucks zugelassen sind, später
    Bruchteil einer (noch) nicht vollkommen          hängenden abwasser- und abfallrecht-          im Wasserkreislauf Probleme bereiten.
    vermeidbar gewesenen unästhetischen              lichen Fragen wie                             Selbstverständlich muss aber die optima-
    Kontaminante im Trinkwasser gerichtet            F befriedigende Regelung der Kosten-          le therapeutische Qualität als vorrangiges
    werden. Stattdessen verdienen in dicht               frage bei der Rücknahme unver-            Kriterium für alle Patienten garantiert
    besiedelten und/oder niederschlagsarmen              brauchter Arzneimittel durch die          bleiben.
    Gebieten das Multibarrierenprinzip und               Apotheken,                                    Eine wichtige Voraussetzung dauer-
    die Optimierung regionaler Wiedernut-            F Verbesserung der Eliminationsleis-          haft umweltgerechter Kommunikation ist
    zungskonzepte gesteigerte Beachtung [35].            tung bestimmter kommunaler Klär-          sprachliche Einfachheit und Eindeutig-
    Die Überwindung der hier noch häufig                 anlagen,                                  keit. Diese werden durch die Einführung
    anzutreffenden Lässig- und Nachlässig-           F punktgenaue Sammlung und Reini-             immer neuer Kennzahlen und Definiti-
    keit wird desto besser gelingen, je stärker          gung bestimmter hoch belasteter Ab-       onen bekanntlich nicht gestützt. Ein guter
    deren unästhetische Folgen für die Gewäs-            wässer aus Krankenhäusern,                Sprachgebrauch wäre es beispielsweise,
    ser und insgesamt für komplexe, ästhe-           F Einbindung des Verursacherprinzips,         von Rückständen nur dort zu sprechen,
    tisch hochwertige Erscheinungen unserer                                                        wo ihr Auftreten funktional unvermeid-
    aquatischen Umwelt ins gesellschaftliche         bedürfte allerdings der intensiven Mit-       bar und insofern gesellschaftlich selbst
    Bewusstsein dringen [36].                        wirkung der Länder. Auf jeden Fall sind,      in toxikologisch ableitbarer Höhe (noch)
                                                     um beide Vorsorgewerte des UBA in             akzeptiert ist. Kontaminanten dagegen
    Schlussfolgerungen                               Trinkwässern, deren Rohwasser (auch)          werden abgelehnt oder auf allenfalls sehr
                                                     aus Abwasser beeinflussten Oberflä-
    Die bisher nachgewiesenen und analy-             chengewässern stammt, sicher einhalten
                                                                                                   6 Der GOW (10 ng/l) steht als Ausgangspunkt
    tisch bezifferten Spuren von Altarznei-          zu können, ursächlich wirksame Emissi-                 2
                                                                                                   für einen noch niedrigeren Warnwert in natür-
    mittelresten und Metaboliten liegen um           onsminderungsmaßnahmen notwendig.             lichen Gewässern nicht zur Verfügung, denn der
    mehrere Zehnerpotenzen unterhalb von             Ergänzende Immissionswerte müssen ge-         Austritt gentoxischer Stoffe in die Umwelt ist
    Konzentrationen, die für langfristige            währleisten, dass Spitzen- und Summen-        ohnehin immer an der Quelle zu vermeiden.

330 |   Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 3 · 2007
niedrigem Niveau toleriert, denn sie besit-               13. IOPCS/WHO (1994) Assessing human health risks         29. Copeland TL, Paustenbach DJ, Harris MA, Otani
                                                              of chemicals: derivation of guidance values for           J (1993) Comparing the results of a Monte Carlo
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sprechender Termini aus den Bereichen                         tion, Geneva                                              treatment site. Regul Toxicol Pharmacol 18:
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                                                          15. Murrell AM, Portier CJ, Morris RW (1998) Characte-        Risk Anal 24:1697–1717
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Korrespondierender Autor                                  16. Konietzka R, Dieter HH (1998) Ermittlung gefah-           toxicology. Food Chem Toxicol 34:1067–1073
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Postfach 330022                                               identification and kinetic study of major oxidation       ser: Toxikologische contra hygienisch-ästhetische
14191 Berlin, BRD                                             products. Environment Sci Technol 39:8014–8022            Kriterien? Bundesgesundheitsbl Gesundheits-
E-Mail: hermann-h.dieter@uba.de                           18. Chiron S, Minero C, Vione D (2006) Photodegrada-          forsch Gesundheitsschutz 31:16–24
                                                              tion processes of the antiepileptic drug carbama-     34. DIN (2000) Leitsätze für Anforderungen an Trink-
                                                              zepine, relevant to estuarine waters. Environment         wasser, Planung, Bau, Betrieb und Instandhaltung
                                                              Sci Technol 40:5977–5983                                  der Anlagen. In: Zentrale Trinkwasserversorgung.
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    kommen von Clofibrinsäure im aquatischen Sy-              Food Additives. Food Chem Toxicol 37:207–232
    stem – Führt die therapeutische Anwendung zu          23. Kroes R, Galli C, Munro I et al. (2000) Threshold
    einer Belastung von Oberflächen-, Grund- und              of toxicological concern for chemical substances
    Trinkwasser? Vom Wasser 83:57–68                          present in the diet: a practical tool for assessing
 7. Bound JP, Voulvoulis N (2005) Household disposal          the need for toxicity testing. Food Chem Toxicol
    of pharmaceuticals as a pathway for aquatic con-          38:255–312
    tamination in the United Kingdom. Environment         24. Wollin KM, Dieter HH (2005) Neue Trinkwasser-
    Health Perspect 113:1705–1711                             Leitwerte für monocyclische Nitroverbindungen.
 8. Anderson D, Bishop JB, Garner RC et al. (1995) Cyc-       Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesund-
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 9. Webb S, Ternes T, Gibert M, Olejniczak K (2003) In-       wertung von Kanzerogenen und die Wirkungs-
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10. Schwab BW, Hayes EP, Fiori JM et al. (2005) Human     26. Neumann HG (2006) Die Risikobewertung von
    pharmaceuticals in US surface waters: a human             Kanzerogenen und die Wirkungsschwelle. Bundes-
    health risk assessment. Regul Toxicol Pharmacol           gesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheits-
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11. Mach MAv, Kaes J, Solak E et al. (2006) Uner-             911–920 (Pt. 663)
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12. Dieter HH (1995) Risikoquantifizierung: Abschät-      28. EPA (2001) Process for conducting probabilistic
    zungen, Unsicherheiten, Gefahrenbezug. Bundes-            risk assessment. In: Risk assessment guidance for
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                                                                                    Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 3 · 2007                       | 331

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  • 1. Leitthema: Wasser und Gesundheit Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - H. H. Dieter1 · H. Mückter2 Gesundheitsschutz 2007 · 50:322–331 1 Umweltbundesamt, Berlin, BRD · 2 Ludwig-Maximilians-Universität München, BRD DOI 10.1007/s00103-007-0158-1 Online publiziert: 2. März 2007 © Springer Medizin Verlag 2007 Regulatorische, gesund- heitliche und ästhetische Bewertung sogenannter Spurenstoffe im Trinkwasser unter besonderer Berück- sichtigung von Arzneimitteln Summarische Beschreibung von von weniger als 1 Nanogramm pro Liter tikum Metronidazol oder alkylierende Höhe und Art der Belastung Trinkwasser. Anfang der 1990er-Jahre Zytostatika, z. B. Cyclophosphamid, verschafften Funde von Clofibrat-Me- Ifosfamid. Für den Menschen ist hier Mehr als 2500 chemisch definierte Wirk- taboliten im Berliner Trinkwasser dem ein Karzinogenitätsrisiko bei chro- stoffe umfasst die RoteListe™ 2006, das re- Thema auch in Deutschland hohe Publi- nischer Exposition anzunehmen [8]. präsentative, aber keineswegs vollständige zität [5, 6]. Die Zufuhr selbst von Spuren über Fertigarzneimittelverzeichnis des Bundes Inzwischen steht fest, dass viele Ober- das Trinkwasser wäre auf jeden Fall der Pharmazeutischen Industrie (BPI) flächengewässer, z. B. stromabwärts von problematisch, [1]. In über 11.000 Darreichungsformen Ballungszentren, aber auch Grundwas- 3. den Antiinfektiva. Ihre Anwesenheit werden in Deutschland rund 7000 che- serleiter, mit Wirkstoffspuren und -ab- im Wasserkreislauf ist grundsätzlich misch definierte Einzelstoffe vermarktet. bauprodukten infolge der Anwendung beunruhigend. Zwar haben (patho- Hinzu kommen zahlreiche Tierarznei- und bestimmungsgemäßen Entsorgung gene) Mikroorganismen bei Antibi- mittel (rund 30 % des Humansektors), ärztlich verordneter Arzneimittel konta- otikakonzentrationen, die keinen er- deren Verbrauch den der entsprechenden miniert sein können. Entsorgungswege, kennbaren Selektionsdruck ausüben, Humanpharmaka im Einzelfall deutlich die nicht mit der bestimmungsgemäßen vermutlich keinen Überlebensvor- übersteigen kann. . Tabelle 1 zeigt die Verwendung eines Arzneimittels korres- teil. Ein Einfluss auf die Weitergabe Mengen (Rangfolge) der in Deutschland pondieren, kommen hinzu. Ein bis zwei von Resistenzelementen (horizontaler zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversi- Drittel der nicht genutzten Arzneimit- Gentransfer) und die Begünstigung cherung (GKV) verordneten Arzneimit- tel landet auf Hausmülldeponien, bis zu bereits resistenter pathogener Keime telgruppen. einem Fünftel in der Toilette [7]. wird jedoch diskutiert, Über das Auftreten von Salizylsäure Besonderes Interesse gilt derzeit: 4. anderen Arzneistoffen. Sie lassen und Chlorphenoxybutyrat (einem Meta- 1. den Stoffen mit potenziell hormon- ebenfalls an unerwünschte bis schäd- boliten von Clofibrat) im Auslauf einer artiger Wirkung. Hierzu zählen na- liche Wirkungen denken, z. B. Beta- Kläranlage von Kansas City wurde bereits türliche und synthetische Östrogene blocker, die bei ständiger Anwesen- in den 1970er-Jahren berichtet [3]. Rath- (z. B. Estradiol, Ethinylestradiol), aber heit vielleicht die Rezeptorendichte ner und Sonneborn überprüften 1979, auch andere Stoffe natürlichen oder auf Zielzellen modulieren, oder Car- ob biologisch wirksame Östrogene das synthetischen Ursprungs mit nur ge- bamazepin, das funktionelle Stoff- Trinkwasser über die Umwelt (Abwasser) ringer Affinität zu menschlichen Ös- wechselprozesse stimulieren kann. erreichen könnten [4]. Die Antwort war trogenrezeptoren, Das Auftreten von Überempfindlich- eindeutig „Nein“. Ihre wohl auch noch 2. den Stoffen mit mutagenem Potenzi- keitsreaktionen ist auch unterhalb heute richtige Vorhersage ergab Werte al. Beispiele sind das Chemotherapeu- therapeutischer Konzentrationen be- 322 | Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 3 · 2007
  • 2. Tabelle 1 baren Wirkungsstärke erzielt wurden, und Mengen und Rangfolge der meistverordneten Arzneimittelindikations- in einem Kollektiv, dass die betrachtete gruppen mit Beispielstoffen, die im Wasserkreislauf nachgewiesen wurden. Wirkung bei 50 % der behandelten Indivi- (Mod. nach [2]) duen beobachtet wurde. In gleicher Weise lassen sich Wendepunkte für die Konzen- Rang Indikationsgruppe Verordnungen 2005 Positiver Nachweis in einem trationsabhängigkeit der unerwünschten (rel. Veränderung Oberflächengewässer zu 2004) Wirkungen darstellen. Bei jeder Arzneitherapie besteht das 1 Analgetika, 70,7 Mio. (+3,5 %) Diclofenac Risiko unerwünschter Arzneimittelwir- Antirheumatika kungen (UAW). Die Dunkelziffer ist er- 2 Betablocker, 56,0 Mio. (+4,4 %) Metoprolol, Diltiazem, Enalapril heblich. Man unterscheidet zwischen (A) Ca-Kanalblocker, typischen und (B) atypischen UAW. Typ A Angiotensin- entspricht dem erwarteten pharmakolo- Hemmstoffea gischen Wirkspektrum und tritt auch bei 3 Antibiotika 42,5 Mio. (+10,8 %) Erythromycin therapeutischer Dosierung auf. Typ B ist 4 Psychopharmaka 35,4 Mio. (+2,9 %) Fluoxetin dagegen durch den bekannten Wirkungs- 5 Antihypertonika 33,18 Mio. (+11,4 %) Nifedipinb mechanismus nicht erklärbar und oft oh- 6 Magen-Darm-Mittel 32,6 Mio. (+5,6 %) Ranitidin ne Bezug zur therapeutischen Dosierung 7 Antidiabetika 26,6 Mio. (+6,7 %) Glibenclamid (allergisch, überempfindlich, idiosyn- 8 Antiasthmatika, 25,7 Mio. (+2,3 %) Salbutamol kratisch). Mach et al. [11] berichten über Broncholytika 2689 UAW-Fälle (Verhältnis A:B=3:1), die zwischen 1995 und 2004 im Giftinforma- 9 Antitussiva, 24,0 Mio. (+14,1 %) Ambroxol Expektoranzien tionszentrum der Länder Rheinland-Pfalz und Hessen angefragt wurden, davon 25 % 10 Diuretika 19,4 Mio. (4,0 %) ? mit mittleren oder schweren Symptomen a Betablocker werden außer zur Blutdrucksenkung auch als Antiarrhythmika, bei Herzinsuffizienz, bis hin zu 19 Todesfällen. bei koronarer Herzkrankheit und am Auge eingesetzt, Ca-Kanalblocker bei koronarer Herzkrankheit, Bereits bei der Arzneimittelzulassung Angiotensin-Hemmstoffe bei Herzinsuffizienz und Nierenschädigungen, sodass diese Stoffe mehrfach sind daher der erwartete Nutzen und aufgeführt sind. b Nifedipin wirkt antihypertensiv, gehört aber wie Diltiazem zu den Ca-Kanalblo- ckern. der zu befürchtende Schaden sorgfältig auszutarieren. Für potenziell trinkwas- sergängige Substanzen ist routinemäßig kannt, obwohl Wirkungen dieser Art gegen Unsicherheit. Aus regulatorischer die sorgfältige Erhebung experimenteller weit unterhalb therapeutischer Kon- Sicht darf dies nicht zum Dauerzustand Wirkungsdaten bei chronischer Exposi- zentrationen gegebenenfalls kaum be- werden. Forderungen an die Arzneimit- tion sowie deren Extrapolation auf den legbar wären. telhersteller, zumindest über polare und Menschen zu fordern. persistente Metabolite mehr chronisch- Für die meisten Arzneimittel exi- Die heute in den USA und Europa in Ober- toxikologische Daten im Spurenbereich stiert eine Schwellenkonzentration für flächengewässern gemessenen Gehalte an zu generieren, sind bisher nicht aufge- die erwünschten, aber auch für die un- Arzneimittelresten würden, wenn sie sich nommen worden. erwünschten Wirkungen. In günstigen auf Trinkwasser bezögen, in der Regel nur Fällen liegt zwischen erwünschten und mit winzigen, nur noch rechnerisch dar- Wirkungsbezogene Kenngrößen unerwünschten Wirkungen ein Sicher- stellbaren Bruchteilen der therapeutisch heitsabstand. Dieser Abstand beträgt für empfohlenen Tagesdosen korrespondie- Die Wirkungen eines Arzneistoffs zeigen die Mediankonzentrationen selten mehr ren [9, 10]. Trotz dieser humantoxikolo- in Abhängigkeit von der erreichten Kon- als zwei 10er-Potenzen. Eine Verringerung gisch beruhigenden Feststellung besteht zentration oder eingesetzten Dosis meist der Konzentration um mindestens zwei langfristig kein Grund zu Entwarnung. einen sigmoiden Verlauf (. Abb. 1). Das 10er-Potenzen unter die Schwelle der the- Dies wird im Folgenden erläutert. gilt sowohl quantitativ für die Wirkung rapeutischen Wirkung führt in der Regel bei einem Individuum als auch qualitativ in den No-effect-Bereich. Diese Faustregel Unsicherheiten der toxikolo- für die Wirkung in einem Kollektiv. Der kann aber eine empirische Bestätigung im gischen Bewertung und Risiko- Wendepunkt, der die halbmaximale Wir- Einzelfall nicht ersetzen. Werte zur akuten, schätzung kung anzeigt (sog. EC50=effective con- subakuten oder (seltener) subchronischen centration 50 % bzw. ED50=effective dose Giftigkeit eines Wirkstoffs sind für die Die Wirkungen von Arzneimitteln auf 50 %) wird oft als Kenngröße herangezo- umwelttoxikologische Praxis untauglich, den Menschen sind nur im therapeu- gen, um Wirksamkeiten miteinander zu da sie (1) in der Umwelt niemals erreicht tischen Konzentrationsbereich gut un- vergleichen. Er signalisiert bei einem In- werden und sie (2) nur Punktwerte dar- tersucht. Im Spurenbereich herrscht da- dividuum, dass 50 % der maximal erreich- stellen, die keine Rückschlüsse auf die Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 3 · 2007 | 323
  • 3. Leitthema: Wasser und Gesundheit zogen. Ein Beispiel für die praktische Anwendung des Benchmark-Konzeptes findet sich in [14], eine kritische Bewer- tung in [15]. Um von dem auf experimenteller oder epidemiologischer Datenbasis abgelei- teten PoD zu einem pfadspezifischen, gesundheitlich duldbaren Höchstwert zu gelangen, werden noch weitere Größen (Vertrauensbereich, Unsicherheits- und Extrapolationsfaktoren, Art und Häufig- keit der Exposition, pfadspezifischer Ex- positionsanteil) benötigt. Erst dann lässt sich eine möglichst wirklichkeitsnahe Aussage darüber treffen, mit welcher Wahrscheinlichkeit (unwahrscheinlich – hinreichend wahrscheinlich – sehr wahrscheinlich) mit dem Eintritt eines Schadens bei entsprechender Exposition Abb. 1 8 Vergleich zweier Dosis- bzw. Konzentrations-Wirkungs-Kurven. Bezogen auf die für zu rechnen ist [16]. die halb-maximale Wirkung erforderliche Dosis bzw. Konzentration (ED50-Wert, Pfeile) ist Sub- stanz A in der betrachteten Population rund 100-mal potenter als Substanz B. Vergleicht man ih- Kinetische Daten re Wirkungspotenziale dagegen im Bereich niedriger Dosen oder Konzentrationen links vom Punkt gleicher Wirkungsstärke (gestrichelte vertikale Linie), dann ist von A bei 1 ppb (10–9) prak- tisch bei keinem Individuum mehr eine Wirkung zu erwarten, während in rund 3 % der B-Expo- Auch die Aufnahme von Pharmaka über nierten bei dieser Dosis/Konzentration mit der betrachteten Wirkung von B noch zu rechnen ist das Trinkwasser unterliegt den Gesetzen der Pharmakokinetik, d. h. Freisetzung aus der stofflichen Matrix, Resorption Höhe des Schädlichkeits- und/oder Ku- Der PoD ist die höchste, im empfind- (=Übertritt ins Blut), Verteilung, Meta- mulationspotenzials geringer Dauerbela- lichsten Expositionsszenario oder Test- bolisierung (=Verstoffwechselung) und stungen erlauben. system/Tierversuch noch wirkungslose Exkretion (=Ausscheidung) sind zu be- Beispielsweise können von einem (NOEL) oder noch unschädliche (NO- rücksichtigen. Die Bioverfügbarkeit – al- Pharmakon B mit flacher Dosis-Wir- AEL) Dosis. Entsprechend bezeichnen so der nach oraler Aufnahme im Körper kungs-Kurve weit unterhalb seiner relativ LOEL und LOAEL die niedrigsten, noch verfügbare Anteil – des Antibiotikums hohen 50 %-Effektdosis (ED50) mehr un- wirksamen oder noch schädlichen Werte. Erythromycin in therapeutischer Dosie- erwünschte Wirkungen ausgehen als von Aus welchem dieser 4 Werte letztlich der rung beträgt nur rund 35 %, die des Zy- einem Pharmakon A mit steiler Dosis- PoD abgeleitet wird, hängt ab von der Ver- tostatikums Cyclophosphamid dagegen Wirkungs-Kurve. Dies veranschaulicht suchsanordnung und dem Schweregrad rund 75 %. Diejenige von Sulfamethoxa- . Abb. 1. Im niedrigen, möglicherweise der „Schädlichkeit“ der noch nicht beo- zol, einem verschiedentlich im Trinkwas- jedoch umweltrelevanten Dosisbereich bachteten, im Menschen jedoch grund- ser aufgetretenen Antiinfektivum, erreicht unterhalb von 10–8 zeigt die Dosis-Wir- sätzlich erwartbaren Wirkung [12, 13]. sogar 95 %. Meist wird allerdings nur ein kungs-Kurve von B ein höheres Wir- Dem NOAEL-Konzept steht das Bruchteil der ins Blut übergetretenen kungspotenzial an. Dennoch ist seine Benchmark-Konzept gegenüber. Es be- Stoffmenge im Körper wirksam. Die mit ED50 100-mal höher als diejenige von A. sitzt einige Vorteile, denn (1) wird ein PoD der Resorption einsetzende Elimination nur abgeleitet, wenn sowohl wirksame als ist häufig mehrphasig, sodass die Plas- Expositionsbezogene Kenngrößen auch wirkungsfreie Konzentrationen be- makonzentration im therapeutischen kannt sind, (2) werden bei der Ableitung Bereich rascher abnimmt als in der soge- Höchstwerte für die gesundheitlich (noch) des PoD alle bekannten Dosis-Wirkungs- nannten terminalen Phase der Eliminati- duldbare Aufnahme potenziell toxischer Daten aus möglichst unterschiedlichen on; was genau bei sehr niedrigen Werten Stoffe werden aus empirischen Daten, die Szenarien und Testsystemen berücksich- geschieht, ist kaum untersucht und daher entweder epidemiologischen Expositions- tigt, (3) die Lage des PoD ist weitgehend umstritten. szenarien oder experimentellen Testsyste- unempfindlich gegen experimentell moti- men/Tierversuchen entstammen, auf die vierte oder epidemiologisch vorgegebene Vorsorgliche Risikoprognose auf lü- mutmaßlich empfindlichste Zielgruppe Dosis- bzw. Konzentrationsabstufungen, ckenhafter Datenbasis der menschlichen Population extrapoliert. (4) die Qualität der Daten (Streuung bzw. Diese Extrapolation beginnt bei einem Unsicherheit) wird auf reproduzierbare Grundsätzlich wäre für jeden trinkwas- PoD (point of departure, Startpunkt). Weise in die Ableitung des PoD einbe- sergängigen Stoff oberhalb eines (noch) 324 | Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 3 · 2007
  • 4. Zusammenfassung · Abstract Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 2007 · 50:322–331 DOI 10.1007/s00103-007-0158-1 © Springer Medizin Verlag 2007 H. H. Dieter · H. Mückter Regulatorische, gesundheitliche und ästhetische Bewertung sogenannter Spurenstoffe im Trinkwasser unter besonderer Berücksichtigung von Arzneimitteln Zusammenfassung Über 2500 chemisch definierte Wirkstoffe gleichzeitig-ähnlicher Wirkungen) in Ver- Anreicherung persistenter, hochmobiler sind in Deutschland als Arzneimittel zu- bindung mit der Empfehlung des Umwelt- und polarer Verbindungen im Trinkwas- gelassen. Anders als pestizide landwirt- bundesamtes (UBA) vom März 2003 „Be- ser zu rechnen. Ihre Entfernung erst bei der schaftliche Wirkstoffe werden sie nicht um- wertung der Anwesenheit nicht oder teil- Trinkwasseraufbereitung wäre weder ur- weltoffen angewandt. Daher sind sie um- bewertbarer Stoffe im Trinkwasser aus sachengerecht noch verfahrenstechnisch welttoxikologisch auch nicht ähnlich um- gesundheitlicher Sicht“ zu bewerten. Der angemessen. Die Folgeprodukte würden fassend untersucht. Dennoch wird nach in ihr enthaltene allgemeine Vorsorge- weitere Bewertungsunsicherheiten auf- bestimmungsgemäßer Ausscheidung eine wert (Gesundheitlicher Orientierungswert werfen. Mögliche Konflikte mit der thera- Reihe dieser Stoffe zu Umweltkontami- GOW1=0,10 μg/l) für schwach bis nicht peutischen Qualität müssen durch die Ent- nanten. Ihre umwelttoxikologische Risiko- gentoxische Stoffe ist ein tragfähiger wicklung umweltverträglicher(er) Ersatz- bewertung weist deshalb aus Sicht des Kompromiss zwischen gesundheitlicher stoffe gelöst werden. gesundheitsbezogenen Umweltschutzes Vorsorge, wasserwirtschaftlicher Ver- Lücken auf. Bis zum Vorliegen einer um- nunft und ästhetischem Qualitätsanspruch Schlüsselwörter fassenden Risikobewertung wird vorge- (Reinheit). Er wird sich langfristig nur dann Arzneimittel · Organische Spurenstoffe · schlagen, Arzneimittel im Trinkwasser so einhalten lassen, wenn die Entfernung von Trinkwasser · Risikobewertung · Gesund- wie andere nicht oder teilbewertbare Arzneimitteln und deren Ab- oder Umbau- heitsbezogener Umweltschutz organische Spurenstoffe und deren produkten aus dem Abwasser nachhaltig Mischungen analog TRGS 403 (Addition verbessert wird. Andernfalls ist mit einer Assessment of so called organic trace compounds in drinking water from the regulatory, health and aesthetic-quality points of view, with special consideration given to pharmaceuticals Abstract More than 2500 chemically defined sub- the Federal Environment Agency of March ating into a sink for highly mobile, polar and stances are approved as drugs in Germany. 2003 “Assessing the presence of substan- persistent compounds. Their elimination at Unlike agricultural pesticides, these bio- ces in drinking water without (adequate) a stage as late as technical drinking water logically active structures are not used in toxicological database from the health point treatment would be neither close to the ini- open environmental compartments and of view”. The general precautionary value tial cause nor justifiable in terms of technical therefore their environmental toxicological (Gesundheitlicher Orientierungswert GOW1 effectiveness. The risk assessment of their database is not nearly as complete. Never- = 0.10 μg/l), which is a recommendation byproducts would give rise to further un- theless, some of them become environmen- for weakly to not genotoxic compounds, certainties. Possible conflicts with the ther- tal contaminants after their intended use. represents a workable compromise be- apeutic quality must be solved by develop- Therefore, from the viewpoint of environ- tween preventive health protection, water ing substitute products which are environ- mental health protection, there are gaps in management considerations and aesthetic mentally sound. their health-related environmental risk as- quality claims (purity). Compliance with this sessment. Organic trace compounds that value in the long term will only be possible Keywords lack an adequate toxicological database, if the chemical and biological degradation Pharmaceuticals · Organic trace compounds and their mixtures, in drinking water can be of pharmaceuticals and their metabolites · Drinking water · Health-related environ- safely regulated and provisionally assessed in waste water and waste water treatment mental risk assessment by combining the “similar joint action” ad- plants is effectively improved. Alternatively, dition rule with the recommendation of there is the risk of drinking water degener- Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 3 · 2007 | 325
  • 5. Leitthema: Wasser und Gesundheit sicheren Vorsorgewertes (vgl. Kapitel entsprechende Abbauprodukte endlich in Staub/Boden) zusammenfassen und ist „Regulatorisch-toxikologische Aspekte“) der Umwelt gefunden. deshalb mit 1,5 μg/Tag und Person deut- ein toxikologisch abgeleiteter Höchstwert Dies gilt auch für Arzneispuren und lich höher. bereitzuhalten. Bei Arzneimitteln fehlen -metabolite im Wasserkreislauf. Positiver Dagegen würde die Duldung von bis aber zum einen gesundheitsbezogene Pol ihrer Bewertung im Trinkwasser ist zu 1,5 μg Gesamtzufuhr eines Fremd- Daten für den umweltrelevanten Nied- der hohe Nutzen der Ausgangsstoffe, ihr stoffes pro Tag und Person allein über das rigdosisbereich (vgl. . Abb. 1), zum an- negativer die schwer kommunizierbare Trinkwasser dieses möglicherweise nicht deren sind für die meisten Stoffe Art und Tatsache, dass ihr Nachweis am häuslichen ausreichend vor stark gentoxischen und Anzahl möglicher Metabolite und Zerset- Wasserhahn – sei ihre Konzentration auch zugleich trinkwassergängigen Stoffen zungsprodukte aus Abbauvorgängen und noch so gering – immer auch eine Spur schützen. Beispiel hierfür (wenn auch oxidativen Aufbereitungsmaßnahmen zur Toilette eines mehr oder weniger weit keine Arzneimittel) sind die beiden Dini- nur unvollständig bekannt. Diese Mög- entfernten Nachbars legt (vgl. Kapitel „Äs- trotoluole, deren risikobasiert abgeleiteten lichkeit ließ sich jüngst durch das Bei- thetische und gesellschaftliche Bewertung und lebenslang akzeptablen Leitwerte mit spiel der Oxidation von Carbamazepin von Arzneimittelresten im Trinkwasser“) je 0,05 μg/l zwar das Fünffache des GOW2 während der Ozonung von Trinkwasser und außerdem Stoffe dieser Art im Trink- betragen [24], aber einer akzeptablen Auf- [17] und den photolytischen Abbau von wasser keinerlei Nutzen besitzen. nahme von jeweils nur 0,1 μg pro Person Carbamazepin in einem nachgestellten Maßnahmen, die das Trinkwasser und und Tag entsprechen. küstennahen Oberflächengewässer zum mit ihm seine Verbraucher vorsorglich vor weit toxischeren Acridin belegen [18]. unerwünschten Belastungen oder nicht Bewertung von Mischungen Zwar signalisieren sicher längst nicht alle (rechtzeitig) bewertbaren Risiken schüt- Datenlücken automatisch eine gesund- zen, lassen sich aus dem seit Jahrzehnten A priori ist eine außerhalb experimentel- heitliche Gefährdung, sie sollten jedoch, in allen Trinkwasserverordnungen ver- ler Situationen erwartete oder mögliche um regulatorische Sicherheit zu schaffen, ankerten Minimierungsgebot (TrinkwV Wirkung praktisch immer eine Summe in den als potenziell kritisch erkannten 2001, § 6 Abs. 3) ableiten. Es kommt der oder gar Kombination von Wirkungen, Fällen vorsorglich geschlossen werden. Es Forderung nach einer möglichst geringen ihre Zurückführung auf einen (besonders wäre unverantwortlich, hiermit zu war- Belastung (hohen Reinheit) des Trinkwas- verdächtigen?) Einzelstoff eine regula- ten, bis Gesundheitsschäden womöglich sers unterhalb toxikologisch abgeleiteter torisch-toxikologische, allerdings kaum doch zu besorgen oder gar nachweisbar Höchstwerte am nächsten. vermeidbare Vereinfachung. Die regulato- wären. Aus gesundheitlicher Sicht existiert risch entscheidende Frage ist, ob und wie hierzu konkret eine Empfehlung des UBA sich die Toxizität einer konkreten Stoffmi- Regulatorisch-toxikologische zur Bewertung der Anwesenheit nicht schung von der Summe der Toxizitäten Aspekte oder nur teilbewertbarer Stoffe im Trink- ihrer einzelstofflichen Komponenten au- wasser [20]. Ihr zufolge signalisiert die ßerhalb der Mischung unterscheidet. Zum gesundheitlichen Schutz des Verbrau- Unterschreitung eines Gesundheitlichen Zum Vergleich der unbekannten Sum- chers vor Fremdstoffen in Lebensmitteln Orientierungswertes von GOW1=0,10 μg/l mentoxizität einer Mischung (ST) mit der gibt es Höchstwerte, die die Aufnahme in (entsprechend 0,2 μg/Tag und Person) bekannten Toxizitätssumme ihrer Ein- den Körper begrenzen sollen und deshalb gesundheitliche Sicherheit gegenüber al- zelkomponenten (TS) zwecks Bewertung in den Endprodukten anteilig eingehalten len nicht weiter bewertbaren, jedoch nur der Differenz zwischen beiden gibt es werden müssen. Sie heißen ADI-Wert schwach bis nicht gentoxischen Stoffen. mehrere Konzepte. Regulatorisch am in- (acceptable daily intake) für Rückstände Für stark gentoxische, trinkwassergängige teressantesten wäre ein Konzept, das mit (nützliche Fremdstoffe) und TDI-Wert für Stoffe wurde empfohlen, lebenslang nur dem Unwissen über das summentoxische Kontaminanten (nutzlose Fremdstoffe). einen GOW2=0,010 μg/L, entsprechend Potenzial einer Mischung so umgeht, dass Die toxikologische Risikoforschung und 0,02 μg/Tag und Person, zu tolerieren. das Bewertungsergebnis mit Sicherheit -bewertung beschäftigt sich primär mit der Das international bekannte Konzept auf der sicheren Seite liegt – auch auf das gesundheitlichen Duldbarkeit von Rück- des TTC/threshold of toxicological con- Risiko hin, dass es aus wissenschaftlicher ständen und Nebenprodukten, die defi- cern1 [21–23] ist mit der UBA-Empfehlung Sicht zu konservativ erschiene. nitionsgemäß absichtlichen (mit einem insofern vergleichbar, als es ebenfalls eine Benefit oder Mehrwert verbundenen) Dosis nennt, unterhalb derer eine toxiko- Wissenschaftliche Fallunter- Ausbringungen entstammen. Ihre Kon- logische Relevanz (Wirkung oder Risiko) scheidungen zentrationen sind funktional determiniert selbst für stark gentoxische Karzinogene und deshalb notwendig und üblicherwei- oder anderweitig hochtoxische Stoffe Über die Möglichkeit von Wirkungskom- se höher als diejenigen nutzungsfremder nicht mehr unterstellt wird. Die entspre- binationen wird gerade im Zusammen- oder nutzungsferner Kontaminanten [19]. chende Tagesdosis soll alle Zufuhrpfade hang mit der Bewertung von Arzneimit- Nur für die Analytiker freudig ist dann die (Lebensmittel, Atemluft, Trinkwasser, telspuren im Trinkwasser mitunter desto Feststellung, wie wenig man über neue freier (unvorsichtiger) spekuliert, je gerin- Kontaminanten weiß, hat man sie oder 1 Konzept der toxikologischen Warnschwelle. ger die Konzentrationen sind, um die es 326 | Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 3 · 2007
  • 6. tatsächlich geht. Deshalb sei hier auf die messenen mit der (noch) unschädlichen von einer Konzentration RE allein des Bewertung möglicher Wirkungskombina- Höchstkonzentration desselben Stoffs au- riskantesten Vertreters der Stoffgruppe tionen etwas genauer als üblich eingegan- ßerhalb der Mischung. ausginge, sei dieser nun in der Mischung gen. Es wird sich zeigen, dass bereits der Die Summe aller HIS der Mischung enthalten oder nicht. Wenn RPM höher erste (A.1) der 3 oder 4 unterscheidbaren heißt HIM und ist ihr pragmatisches re- ist als das im konkreten Fall akzeptierte Bewertungsansätze es in der Regel erlaubt, gulatorisch-toxikologisches Äquivalent. Zusatzrisiko ZR, ergibt sich in Analogie gesundheitliche Sicherheit festzustellen Ein HIM „größer eins“ verweist auf ein zu A.1.1 ein Risikoindex RIM von „größer oder durch geeignete Maßnahmen her- Wirkungspotenzial der Mischung von 1“, der Maßnahmen zur Minderung des zustellen. „größer Null“ und sollte Minderungs- stofflichen RE auslösen sollte. Folgende Ansätze zur Bewertung der maßnahmen auslösen. Beispiele für Mischungen aus Stoffen Wirkungskombination2 sind voneinander Etwaige Zweifel an der Richtigkeit ohne Wirkungsschwelle, deren RPM nach zu unterscheiden3: eines HIM können nur auf Zweifeln an dieser Methode bereits quantifiziert und der Richtigkeit der einzelnen HIS beruhen in Form eines RIM bewertet wurde, sind Additivität (ST=TS) und sollten bereits bei deren Ermittlung Mischungen von PCDDs und PCDFs, von 1. Additivität gleichzeitig-ähnlicher Wir- widerlegt oder regulatorisch berücksich- polyzyklischen Aromaten und von mono- kungen (similar joint action). In diesem tigt worden sein. cyklischen Nitroaromaten. Unter den ein- Fall ist die Wirkungsstärke jedes Stoffes Beispiele für Mischungen mit Wir- gangs genannten Voraussetzungen wäre nur eine Funktion seiner Konzentration kungsschwelle, deren HIM nach dieser Ansatz A.1.2 auch auf Arzneimittelreste in der Mischung und seinem von außer- Methode bereits quantifiziert und bewer- ohne Wirkungsschwelle im Trinkwasser halb der Mischung bekannten stoffspezi- tet wurde, sind Mischungen von haloge- anwendbar. fischen Wirkungspotenzial. Das Maß für nierten Kohlenwasserstoffen (nierento- das Wirkungspotenzial der Mischung ist xische Wirkung), von organischen Löse- 2. Additivität nach Art und/oder Ort von- dann die Summe der konzentrationsan- mitteln (Wirkung auf das Nervensystem) einander unabhängiger Wirkungen (in- teiligen einzelstofflichen Wirkpotenziale und von insektiziden Organophosphaten dependent joint action). Auch in diesem (Verfahren der gewichteten Addition ana- (Hemmung der Acetylcholinesterase- Fall ist die Wirkungsstärke jedes Stoffes log TRGS 403). Aktivität). Unter den Voraussetzungen mit Wirkungsschwelle nur abhängig von Wenn die Voraussetzungen Gleichzei- der TRGS 403 ist Methode A.1.1 auch auf seiner Konzentration in der Mischung tigkeit und Gleichartigkeit für die Mög- Arzneimittelreste mit Wirkungsschwelle und seinem von außerhalb der Mischung lichkeit der Wirkungsadditivität gegeben im Trinkwasser anwendbar. bekannten stoffspezifischen Wirkungs- sind, ist eine Mischung gemäß TRGS 403 A.1.2 Bei Stoffen ohne Wirkungs- potenzial. Wirkungsart und -ort sind je- regulatorisch sicher zu bewerten, ins- schwelle, zumeist gentoxischen Karzi- doch von Stoff zu Stoff nachweislich ver- besondere auch dann, wenn in der Mi- nogenen, quantifiziert man die stoffspe- schieden, die Stoffe konkurrieren nicht schung alle Konzentrationen unterhalb zifischen Wirkpotenziale in Form ihres miteinander, die HIS-Werte können und von Werten liegen, von denen außerhalb Risikopotenzialindex, englisch Risk Index dürfen demnach nicht zu einem HIM zu- der Mischung mit Sicherheit weder eine RIS. Um einen RIS zu quantifizieren, wird sammengezogen werden. Gefährdung (mit Wirkungsschwelle)4 das Risikopotenzial jedes gentoxischen Stattdessen entscheidet jetzt der noch ein nicht akzeptables Risiko (ohne und den Voraussetzungen A.1 genü- höchste für eine Einzelkomponente er- Wirkungsschwelle)4 ausginge. genden Stoffs der Mischung als Bruchteil rechnete HIS auch über das toxische Po- A.1.1 Bei Stoffen mit Wirkungsschwel- (TEF5) des auf eins gesetzten Risikopoten- tenzial der Mischung. Ein solcher HIS le quantifiziert man das stoffspezifische zials des riskantesten Vertreters derselben ist auf jeden Fall niedriger, als wenn er Wirkpotenzial in Form eines Gefähr- Stoffgruppe (dieser muss in der Mischung (fälschlicherweise) nach A.1.1 errechnet dungspotenzialindex, englisch Hazard nicht vorhanden sein) dargestellt. Die worden wäre. Ansatz A.2 ist deshalb für Index HIS. Man erhält ihn durch Vergleich Multiplikation (Wichtung) der aktuellen den Fall, dass A.1.1 doch zuträfe, weniger (Division) der aktuell in der Mischung ge- Konzentration des betrachteten Stoffs mit protektiv als A.1.1. In allen Zweifelsfäl- seinem TEF liefert die Maßzahl für seinen len ist bei Stoffen mit Wirkungsschwelle 2 …eigentlich der „Bewertung unterschiedlicher RIS in der Mischung. deshalb vorsorglich nicht Verfahren A.2, Ausprägungen der gegenseitigen Beeinflus- Die Summe aller RIS der Mischung ist sondern A.1.1 anzuwenden. Es liefert dann sung gleichzeitiger Wirkungen“. ihr (stoffliches) Risiko-Äquivalent RE und zwar wissenschaftlich strittige, jedoch im- 3 Konkrete Stoffbeispiele finden sich in einschlä- gigen Lehrbüchern der Pharmakologie und/ zugleich ihr pragmatisches, regulatorisch- mer regulatorisch sichere Bewertungen. oder Humantoxikologie. toxikologisches Äquivalent. Von der Mi- Demgegenüber sollte das Risiko- 4 Die damit unterstellte Unterscheidbarkeit von schung geht, wenn die TEF-Werte richtig potenzial von Mischungen aus Stoffen Stoffen „mit Wirkungsschwelle“ von solchen ermittelt und die Stoffe richtig als Stoff- ohne Wirkungsschwelle, auf die das „ohne Wirkungsschwelle“ war und ist aus regu- gruppe klassifiziert wurden, rechnerisch Kriterium A.2 independent joint action latorisch-toxikologischer Sicht zwar ein plau- sibles pragmatisches Konzept, biochemisch- dasselbe Risikopotenzial RPM aus wie es zutrifft, immer mit Hilfe der stoffgrup- mechanistisch jedoch nicht zwingend und penspezifischen TEF nach Verfahren experimentell kaum belegbar [25, 26]. 5 Toxizitäts-Äquivalenzfaktoren. A.1.2 quantifiziert und bewertet werden. Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 3 · 2007 | 327
  • 7. Leitthema: Wasser und Gesundheit Nur so sind Risikounterschätzungen zu vermeiden. B. Antagonismus (ST <TS) Gegenseitige Wirkungsunterdrückung, -neutralisierung oder -schwächung tritt auf bei allosterisch (per Fernwirkung abseits vom katalytischen Zentrum) aus- gelöster Kompetition zweier oder mehre- rer unterschiedlich wirkender Stoffe um denselben Wirkungsrezeptor, oder durch gegenseitige Unterdrückung/Schwä- chung/Neutralisierung unterschiedlicher Wirkungen durch sich gegenseitig neu- tralisierende oder reparierende Wirkme- chanismen. C. Synergismus/Potenzierung (ST >TS) Hier soll die Wirkung der Summe zweier oder mehrerer gleichzeitig anwesender Stoffe mit unterschiedlichen Wirkungen stärker sein als die Summe ihrer Einzel- wirkungen außerhalb der Mischung, weil sich ihre Affinitäten für den wirkungsver- mittelnden Rezeptor oder die Wirkungen selbst gegenseitig allosterisch begünstigen Abb. 2 8 Isobolographische Darstellung der Wirkungsstärke einer Mischung der Stoffe A und B, bzw. sich reaktionskinetisch oder -mecha- die in variablen Anteilen von bis zu 75 % ihrer jeweiligen LC50 zusammengefügt wurden. Die Li- nistisch verstärken. nie „additiv“ zeigt, dass die Wirkungsstärke der Mischung an jedem Punkt exakt der Summe der jeweiligen Einzelwirkungen entspricht (graue Pfeile). Bei einem „synergistischen“ Effekt (schwar- ze Pfeile) wäre die Wirkung jedes Einzelstoffs oder ihrer Summe bereits erreicht, wenn 1/10 der Regulatorische Unterscheidung in LC50 des Stoffs A und ca. 1/3 der LC50 des Stoffs B (Summenanteil ca. 40 %) in der Mischung ein- der Praxis gestellt würden. Hingegen wird eine relative Verringerung der Giftigkeit (Erhöhung der LC50-An- teile in der Mischung für gleiche Giftigkeit) beobachtet, wenn sich beide Stoffe „antagonistisch“ Nach aller experimenteller Erfahrung ist verhalten. bei niedrigen Expositionen, wenn über- haupt, mit den Möglichkeiten A.1.1, A.1.2 oder auch A.2 am ehesten zu rechnen. Kombinationsdaten zu erhalten, ist der unterschiedenen Möglichkeiten A–C sind Fall B gilt als selten, und Fall C ist vermut- Fragestellung in den meisten Fällen nicht leicht zu erkennen. In jüngster Zeit sind lich (oder glücklicherweise) sehr selten. angemessen. In der Praxis werden daher auch mehrdimensionale, nicht-lineare Zur Untersuchung von (komplexen) häufig Hybridansätze bevorzugt, die aber isobolographische Ansätze zur experi- Mischungen sind Top-down- (zerlegend nur mit komplexen Programmen zu be- mentellen Voraussage der Effekte von – von der vollständigen Mischung zu wältigen sind. Stoffgemischen entwickelt worden [27]. den Einzelkomponenten) und Bottom- up- (aufbauend – von den Einzelstoffen Isobolographie. Zu den ältesten Bottom- Maximum-Likelihood-Methode/Monte- zum Gemisch) Lösungen vorgeschlagen up-Ansätzen der experimentellen Unter- Carlo-Simulation. Andere Ansätze zur worden. Vorteil des Top-down-Verfah- scheidung von Additivität, Antagonismus Quantifizierung von Wirkungsaddition rens ist die Vollständigkeit, da ja keine und Synergismus gehört die Isobologra- etc. im Niedrigdosisbereich sind die Ma- Komponente ausgelassen wurde. Der phie. Sie eignet sich zur Untersuchung ximum-Likelihood-Methode [28] und Nachteil liegt im geringen Informations- von Mischungen mit bis zu 6 Komponen- die Monte-Carlo-Simulation [29]. Dazu gehalt zur Additivität der Einzelstoffe, da ten. Eine typische Darstellung für binäre braucht man jeweils die Verteilungsfunk- ja üblicherweise keine Konzentrations- Mischungen zeigt . Abb. 2. tion des betrachteten Parameters. Sie ist Wirkungs-Beziehungen bekannt sind. Messpunktfolgen gleicher Wirkungs- im Niedrigdosisbereich mit zunehmender Der Bottom-up-Ansatz vom Einzelstoff stärke (Isobolen) wurden in dieser Abbil- Unsicherheit behaftet. Zahlreiche Ansät- zur Mischung bietet genau diese Infor- dung auf die jeweilige LC50 der Kompo- ze für dichotome und kontinuierliche mation, aber der Zeitaufwand, um allein nenten A und B bezogen. Die 3 im Kapitel Merkmale wurden vorgeschlagen, an ver- für einen Konzentrationspunkt genügend „Wissenschaftliche Fallunterscheidungen“ schiedene Rechenmodelle (Logit, Box- 328 | Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 3 · 2007
  • 8. Cox-Probit, Weibull) angepasst, um mit teil dieser Höchstwerte die fragliche(n) wesentlich anspruchsvoller als rein ge- statistischen Kriterien zu einer optimalen Mischungskomponente(n) erreichen sundheitlich begründbar [33]. Es ist im Anpassung zu gelangen mit dem Ziel, in dürfen, bevor aus Gründen der gesund- Minimierungsgebot der Trinkwasserver- einer post-hoc-Analyse die wichtigste heitlichen Vorsorge, also nicht nur aus ordnung verankert. Einflussgröße zu identifizieren und die Gründen der allgemeinen, umwelthygie- Ein wichtiges Kriterium zur Bewertung Abhängigkeiten der einzelnen Faktoren nisch begründbaren Belastungsminimie- bestimmter Stoffe unterhalb gesundheits- zu gewichten. rung, gehandelt werden muss. Der hierfür schädlicher Konzentrationen ist das ihnen notwendige Sicherheitsfaktor wäre nicht möglicherweise zukommende Potenzial, Pharmakokinetische Modelle. Bei vie- wissenschaftlich zu stützen, sondern Teil beim Verbraucher Ekel zu erregen. Ver- len Stoffen entscheidet nicht die aufge- des Risikomanagements. gleichsmaßstab zur Feststellung Ekel er- nommene Dosis über die toxische Po- regender Eigenschaften ist die allgemei- tenz im Körper, sondern Verteilung und Bewertung von Mischungen: Fazit ne Verkehrsauffassung. Für Trinkwasser Metabolisierung. Der Vergleich solcher wurde sie am spezifischsten in der DIN in vitro gewonnener Daten aus Human- Falls Mischungen überhaupt als solche 2000 niedergelegt [34]. Deren Verbind- und Tiergeweben und ihre Einspeisung bewertet werden müssen, ist es gute re- lichkeit als technische Norm wird von in pharmakokinetische Modelle liefert gulatorisch-toxikologische Praxis, vor- der TrinkwV 2001 und ihrer offiziellen oft entscheidende Hinweise auf ein spe- sorglich je nach Wirkungsmechanismus Begründung ausdrücklich bestätigt. Sie zifisches toxisches Potenzial (oder auf Additivität (ST=TS) nach A.1.1 oder A.1.2 führt u. a. aus, dass Trinkwasser appetit- dessen Abwesenheit), die sich aus einer zu unterstellen und dafür zu sorgen, dass lich zu sein hat und zum Genuss anregen Dosisbetrachtung allein nicht ergäben HIS oder RIS pro gemäß A.1 definierter soll. Appetitlich ist ein Trinkwasser dann, [30, 31]. Die Annäherung an die Bestim- Stoffgruppe langfristig „kleiner als eins“ wenn es nach Herkunft und Art der Ge- mung der Toxizität einer Mischung ge- bleiben. winnung vom Rohwasser bis zur Entnah- lingt dadurch, dass eine Leitverbindung Das Bewertungsergebnis ist regulato- mestelle dem Verbraucher keinen Anlass bestimmt wird, deren organspezifische risch zwar unkritisch und auch angemes- bietet, Ekel oder Abscheu zu empfinden. Pharmakokinetik sich unter dem Einfluss sen, erscheint aus wissenschaftlicher Sicht Der Nachweis von Arzneimittelspuren anderer einzelner Mischungskomponen- jedoch meist überkonservativ. Allerdings in manchen Roh- und einigen Trink- ten in nachteiliger oder neutraler Weise ist es der Wissenschaft nicht möglich, der wässern macht hier folgenden latenten verändert (oder nicht verändert) und die- regulatorisch-toxikologischen Seite zuver- Zielkonflikt sichtbar: Humanarzneimit- se Veränderung mit Blick auf ihr vielleicht lässig vorherzusagen, auf welche Einzelsi- tel besitzen im Trinkwasser zwar (noch) davon unterscheidbares Verhalten in der tuationen die Vermutung überkonservativ keine direkt nachweisbare gesundheit- Gesamtmischung bewertet wird. nicht zutrifft. So müssen eben beide Sei- liche Bedeutung, legen aber eine mög- Welcher dieser experimentellen Ansät- ten mit der Möglichkeit leben, dass ins- licherweise Ekel erregende Spur zu ihrer ze gegebenenfalls ausgewählt wird, hängt besondere Bewertungen nach Verfahren Nutzungsgeschichte. Die Bewertung die- ab A.1.1 oder A.1.2 konservativer ausfallen ser Tatsache überträgt sich unvermeidlich F von der (bekannten) Anzahl gleich- als zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht auf das bezogene (kontaminierte) Wasser. zeitig anwesender Verbindungen und wissenschaftlich begründbar. Deshalb ist zu fragen, ob die Qualität von davon, Trinkwasser, das nachweislich Spuren F ob es nötig ist (oder gewünscht wird), Ästhetische und gesellschaft- von Arzneimitteln enthält, die in mensch- Art und Ausmaß der Wechselwirkung liche Bewertung von Arzneimittel- lichen Ausscheidungen enthalten waren, zwischen 2 und mehr Verbindungen resten im Trinkwasser noch den ästhetischen Anforderungen genau zu quantifizieren, oder ob der DIN 2000 und dem Minimierungs- F es ausreicht, nur die Summentoxizi- Trinkwasser einwandfreier Qualität ist gebot [§ 6(3) der TrinkwV 2001] genügt. tät (ST) einer Mischung mit der Toxi- zwar ein gesellschaftlich kontrolliertes, Das Minimierungsgebot verknüpft zitätssumme (TS) ihrer Komponen- doch zugleich sehr persönliches Lebens- die Vermeidung auch solcher Stoffe, die ten empirisch zu vergleichen und ent- und Hygiene(hilfs)mittel. Zudem ist es in der nachgewiesenen Konzentration sprechend zu bewerten. als Roh- und dann als Abwasser Teil der keinerlei gesundheitliche Bedeutung be- aquatischen Umwelt. In technischer und sitzen, mit der Anwendung der allgemein Voraussetzungen A.1 nicht erfüllt. Falls natürlicher, in persönlicher und gesell- (gesellschaftlich) anerkannten Regeln der die Voraussetzungen A.1 nicht erfüllt sind, schaftlicher Hinsicht ist es – neben Wasser Technik (aaRdT) und dem vertretbaren ist an ein zusätzliches, von der Mischung als Landschaftselement – eine der beiden Aufwand. Welcher Kontaminationsgrad ausgehendes Gefährdungspotenzial nur eindeutig positiv erlebten sprachlichen dabei als Ekel erregend abgelehnt werden dann zu denken, wenn einzelne Kom- Konnotationen von „Wasser“ [32]. Indi- kann, muss insofern auch gesellschaftlich ponenten ihren außerhalb der Mischung viduelle und gesellschaftliche Ansprüche einvernehmlich ausgehandelt und dann gesundheitlich duldbaren Höchstkon- an seine gesundheitliche und ästhetische per Grenzwert politisch festgelegt werden. zentrationen zu nahe kommen. Es wä- Qualität sind entsprechend hoch. Dabei Das Ekelargument kann dabei, solange die re dann zu definieren, welchen Bruch- ist das ästhetische Kriterium Reinheit gesundheitliche Vorsorge gewährleistet Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 3 · 2007 | 329
  • 9. Leitthema: Wasser und Gesundheit ist, keinen absoluten Vorbeugeanspruch Aufnahme toxikologisch ableitbar und belastungen des Rohwassers mit Arznei- für sich geltend machen, sondern sollte gesundheitlich (noch) duldbar wären. mittelresten abgepuffert werden, damit sich bereichsspezifischen Kompromissen Aus dieser Tatsache darf aber nicht der sie nicht in die entsprechenden Trink- zwischen Vermeidbarkeit und Unver- Schluss gezogen werden, es gebe keinen wässer durchschlagen. Als Warnwert für meidbarkeit beugen. Die Kriterien für regulatorischen Handlungsbedarf. Dies organische Spurenstoffe einschließlich Vermeidbarkeit und Unvermeidbarkeit, wäre ebenso falsch wie die Abschaffung Arzneimittel in Oberflächengewässern, anhand derer diese Kompromisse auszu- des Vorsorgeprinzips aus Kostengrün- die der Trinkwassergewinnung dienen, handeln sind, stammen aus den Bereichen den. Umgekehrt ist es richtig: Weil noch käme langfristig deshalb z. B. ein Zehntel der Analytik, der Wasserwirtschaft und Zeit zum vorsorglichen Handeln gegeben (10 ng/l) des GOW1 des Umweltbundes- der sozialen Steuerbarkeit des individu- ist, sollten die heutigen Handlungsmög- amtes in Frage.6 ellen Hygiene- und Umweltverhaltens. lichkeiten genutzt werden. Nur so ist zu Der heute aus Sicht der Trinkwasserhy- Ein Anspruch auf eine wissenschaftliche verhindern, dass sich hochmobile, gut giene und des vorsorgenden Gesundheits- (analytisch falsifizierbare) Reinheit des wasserlösliche und persistente polare schutzes noch unbefriedigende Zustand Kompartiments Trinkwasser führt was- Stoffe im Trinkwasser allmählich anrei- (lückenhafte Datenbasis; teilweise feh- serwirtschaftlich und ökologisch in die chern. Sie könnten nur durch aufwändige lende Methoden zur Wirkungs- bzw. zur Irre. Nur durch effiziente gesellschaftliche Aufbereitungsverfahren entfernt werden, Gefährdungsabschätzung) sollte Anlass Kommunikation wird sich dieser Irrweg deren mögliche Folgeprodukte u. U. noch sein, die längst vorhandenen Instrumen- vermeiden lassen. schlechter bewertbar wären. te zur Minimierung der Emission (z. B. Einiges spricht dafür, dass wie für Aus Gründen der gesundheitlichen Erhöhung der Reinigungseffizienz von landwirtschaftliche Pestizide auch für Vorsorge ist die Anwesenheit von Arznei- Kläranlagen) konsequent zu optimieren. Arzneimittelspuren eine Obergrenze mittelresten und Metaboliten im Trink- Das gilt natürlich genauso für den per- von 0,10 μg/L im Trinkwasser technisch wasser deshalb unerwünscht und lang- sönlichen Umgang mit Arzneimitteln einhaltbar, fachlich vertretbar und gesell- fristig auf die vom Umweltbundesamt und Körperpflegeprodukten sowie für schaftlich (ästhetisch) konsentierbar wäre. empfohlenen Vorsorgewerte (vgl. Kapitel ihre Entsorgung. Eine Punktwertung des In humantoxikologischer Hinsicht ist sie „Regulatorisch-toxikologische Aspekte“) Umweltverhaltens von Arzneimitteln, in für nicht bis schwach gentoxische Stoffe zu begrenzen. Diese Werte sind trinkwas- Schweden auf freiwilliger Basis bereits bereits akzeptiert (vgl. Kapitel „Regulato- serhygienisch in jeder Hinsicht (gesund- möglich [37], könnte hier weiterhelfen. risch-toxikologische Aspekte“). heitlich, ästhetisch, wasserwirtschaftlich) Auch die verschreibenden Ärzte sind Aus dieser Perspektive brauchen und akzeptabel. Es wäre sogar daran zu den- zu sensibilisieren, z. B. wenn geklärt ist, sollten öffentliche Aufmerksamkeit und ken, sie in eine kommende novellierte welche der beispielsweise zehn und mehr ästhetisch motivierte Vorsorge nicht im- Trinkwasserverordnung zu übernehmen. Betablocker, die zur Behandlung eines mer nur auf den letzten oder allerletzten Die Beantwortung der damit zusammen- Bluthochdrucks zugelassen sind, später Bruchteil einer (noch) nicht vollkommen hängenden abwasser- und abfallrecht- im Wasserkreislauf Probleme bereiten. vermeidbar gewesenen unästhetischen lichen Fragen wie Selbstverständlich muss aber die optima- Kontaminante im Trinkwasser gerichtet F befriedigende Regelung der Kosten- le therapeutische Qualität als vorrangiges werden. Stattdessen verdienen in dicht frage bei der Rücknahme unver- Kriterium für alle Patienten garantiert besiedelten und/oder niederschlagsarmen brauchter Arzneimittel durch die bleiben. Gebieten das Multibarrierenprinzip und Apotheken, Eine wichtige Voraussetzung dauer- die Optimierung regionaler Wiedernut- F Verbesserung der Eliminationsleis- haft umweltgerechter Kommunikation ist zungskonzepte gesteigerte Beachtung [35]. tung bestimmter kommunaler Klär- sprachliche Einfachheit und Eindeutig- Die Überwindung der hier noch häufig anlagen, keit. Diese werden durch die Einführung anzutreffenden Lässig- und Nachlässig- F punktgenaue Sammlung und Reini- immer neuer Kennzahlen und Definiti- keit wird desto besser gelingen, je stärker gung bestimmter hoch belasteter Ab- onen bekanntlich nicht gestützt. Ein guter deren unästhetische Folgen für die Gewäs- wässer aus Krankenhäusern, Sprachgebrauch wäre es beispielsweise, ser und insgesamt für komplexe, ästhe- F Einbindung des Verursacherprinzips, von Rückständen nur dort zu sprechen, tisch hochwertige Erscheinungen unserer wo ihr Auftreten funktional unvermeid- aquatischen Umwelt ins gesellschaftliche bedürfte allerdings der intensiven Mit- bar und insofern gesellschaftlich selbst Bewusstsein dringen [36]. wirkung der Länder. Auf jeden Fall sind, in toxikologisch ableitbarer Höhe (noch) um beide Vorsorgewerte des UBA in akzeptiert ist. Kontaminanten dagegen Schlussfolgerungen Trinkwässern, deren Rohwasser (auch) werden abgelehnt oder auf allenfalls sehr aus Abwasser beeinflussten Oberflä- Die bisher nachgewiesenen und analy- chengewässern stammt, sicher einhalten 6 Der GOW (10 ng/l) steht als Ausgangspunkt tisch bezifferten Spuren von Altarznei- zu können, ursächlich wirksame Emissi- 2 für einen noch niedrigeren Warnwert in natür- mittelresten und Metaboliten liegen um onsminderungsmaßnahmen notwendig. lichen Gewässern nicht zur Verfügung, denn der mehrere Zehnerpotenzen unterhalb von Ergänzende Immissionswerte müssen ge- Austritt gentoxischer Stoffe in die Umwelt ist Konzentrationen, die für langfristige währleisten, dass Spitzen- und Summen- ohnehin immer an der Quelle zu vermeiden. 330 | Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 3 · 2007
  • 10. niedrigem Niveau toleriert, denn sie besit- 13. IOPCS/WHO (1994) Assessing human health risks 29. Copeland TL, Paustenbach DJ, Harris MA, Otani of chemicals: derivation of guidance values for J (1993) Comparing the results of a Monte Carlo zen am Ort ihres Auftretens keinerlei Nut- health-based exposure limits. In: Environmental analysis with EPA‘s reasonable maximum exposed zen [19]. Über eine Harmonisierung ent- Health Criteria. Vol. 170. World Health Organiza- individual (RMEI): a case study of a former wood sprechender Termini aus den Bereichen tion, Geneva treatment site. Regul Toxicol Pharmacol 18: 14. Allen BC, Strong PL, Price CJ et al. (1996) Bench- 275–312 Trinkwasserüberwachung, Nahrungsmit- mark dose analysis of developmental toxicity in 30. Clark LH, Setzer RW, Barton HA (2004) Framework telüberwachung, des Boden- und Grund- rats exposed to boric acid. 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