20111216 La réputation de votre entreprise en danger sur le net
Allam
1. Egypt Exploration Society
Sind Die Nichtliterarischen Schriftostraka Brouillons?
Author(s): S. Allam
Source: The Journal of Egyptian Archaeology, Vol. 54 (Aug., 1968), pp. 121-128
Published by: Egypt Exploration Society
Stable URL: http://www.jstor.org/stable/3855915
Accessed: 10/04/2009 17:21
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2. (I21)
SIND DIE NICHTLITERARISCHEN
SCHRIFTOSTRAKA BROUILLONS?'
Von S. ALLAM
IN der Ostrakologie hat sich nach und nach eine Meinung gebildet, nach der die
nichtliterarischenSchriftostrakain den meisten Fallen Entwiirfe zu Reinschriften auf
Papyrus gewesen seien. Im folgenden wollen wir nun anhandder unzahligen, in West-
Theben zutage gekommenen Ostrakaaus der Ramessidenzeit untersuchen, inwieweit
die herrschendeMeinung zutreffend ist.
Es wird dahingehend argumentiert, daB sich ein Ostrakon- Tonscherbe oder
Kalksteinsplitter- schon seiner Natur nach nicht zu einer Urkunde eigne, die man
lange aufheben und im Bedarfsfalleeinem Gericht vorlegen k6nne.2 Dem kann man
a priori entgegenhalten, daB im vorderasiatischenAltertum die Tontafel die typische
Urkundenform zu alien Zeiten gewesen ist.3 Bei der Tontafel empfand man kein
Hindernis, sie als Urkunde im Rechtsverkehrzu benuiitzen. Warum sollte es anders
bei den Ostrakaim Alten Agypten gewesen sein? Auch kann man Ostrakanach Belie-
ben lange aufbewahren.Freilich ist ein Ostrakonder billige bzw. kostenlose Beschreib-
stoff - im Gegensatz zu Papyrus und Leder -, ebenfalls der praktische- im
Gegensatz zu Holz - gewesen. Dies bedeutet keineswegs, daf3 es deshalb nur zum
Gebrauch als Kladde bestimmt war. Es ist verstandlich, daB man in unbemitteltelten
Bevolkerungsschichtenund untergebenen Behorden, vor allem bei der Beurkundung
von weniger wichtigen Rechtsvorgangen,zum billigen und einfachen Schreibmaterial
griff.4 Hierbei verdient die Tatsache beachtet zu werden, daB sich unter den Ostraka
aus der Ramessidenzeitzahlreiche Palimpseste finden; dies sind Ostraka,die man wie
beim Papyrus nach Abwaschen des fruheren Textes zur Niederschrift eines neuen
wieder verwendete.5 Demnach scheint ein Ostrakon mit geeigneter Oberflache als
Beschreibstoffpraktischgewesen zu sein. Da3 man dabei den fruherenText abwusch,
Eine besondere Freude bereitete mir die Diskussion, die ich mit Herrn Professor J. Cerny iiber dieses
Thema fuhren durfte, als er sich in Tuibingen wahrend des Sommer-Semesters 1967 als Gastprofessor
aufhielt. Dem hochverehrten Jubilar gilt auch dafiir mein verbindlichster Dank.
2 E. Seidi, Einfuiihrung die dgyptischeRechtsgeschichte
in bis zum Ende des Neuen Reiches (Gliickstadt, 1957),
22, 25, 29; s. ferner Seidi, Romische Rechtsgeschichte und romischesZivilprozefJ3recht
(Koln, 1962), i6; Seidi,
'Altagyptisches Recht', in Handbuchder Orientalistik, ErgaiinzungsbandIII, OrientalischesRecht (Leiden/Koln,
1964), 6.
3 M. San Nicolo, Beitrdge zur Rechtsgeschichte Bereiche der keilschriftlichenRechtsquellen(Oslo,
im I93I),
II4 ff.
4 Fur die haufige Verwendung von Ostraka (hauptsaichlich Tonscherben) zur griechisch-romischen Zeit s.
U. Wilcken, GriechischeOstraka aus Agypten und Nubien (Leipzig/Berlin, 1899), I, 7 f; G. Mattha, Demotic
Ostraka from the Collections at Oxford, Paris, Berlin, Vienna, and Cairo (Cairo, 1945), 6 f.
5Als gutes Beispiel kann 0. Cairo 255 I17dienen, das mindestens viermal benuiitztwurde; J. Cerny, Ostraca
hieratiques (Le Caire, 1935), 8 f.
3. 122 S. ALLAM
braucht nicht unbedingt fuiir den Charaktereiner Kladde zu sprechen; es konnte sein,
daB man den frtiherenText erst dann abwusch, wenn dieser aus irgendeinemGrunde
keine rechtliche Bedeutung mehr hatte.'
Es wird weiterhin argumentiert,da63 OstrakalapidareTexte zum Inhalt haben, da
die
sie dem Schreiber bei der spateren Reinschrift auf Papyrus als Gedachtnisstuiitzen
dienten; deshalb begntigte sich jener, wenn er ein Ostrakonals Beschreibstoffverwen-
dete, mit der Niederschrift von knappen Angaben.2 Diese Ansicht wird dadurch
widerlegt, daB3mancherauf Ostrakon geschriebeneText in keinerWeise knapperformu-
liert erscheint, als einer ahnlichen Inhalts auf Papyrus. Dies wird deutlich, wenn wir
z. B. den Text auf 0. Genf I2550, das Protokollfiber ein Gottesentscheidungsverfahren
anIf3lich eines Rechtsstreits uiberHausbesitz, mit dem auf P. DeM 26, einem Sammel-
bericht uiber verschiedeneVerfahrenin mehrerenStreitsachen,vergleichen.3Dies wird
ebenfalls augenfallig, wenn wir im besagten Papyrus (Teil A, recto) den Bericht fiber
eine Gerichtsverhandlung,in der ein Obmann der Arbeitstruppein Deir el-Medina als
Ankliger auftritt, dem Bericht fiber eine ahnliche Gerichtsverhandlungauf 0. Cairo
255564 gegenuiberstellen. Diese Beobachtung wird fernerhin bestatigt, wenn die
Mitteilung von einer Gerichtsentscheidungim P. Turin (Journalvom 17. Jahr Ram-
ses' IX.)5 und die von einer anderen Gerichtsentscheidungauf 0. Berlin 12654, recto
(unpubl.) in Betrachtgezogen werden. Auch sind die Texte auf 0. DeM 569, 0. DeM
580, 0. DeM 5826 und 0. Gardiner 103,7 die allem Anschein nach Klageschriften
darstellen,fur die damaligenVerhaltnisse ausfiihrlichformuliert. Denselben Eindruck
machen die Gerichtsprotokolleauf 0. Chicago 12073, 0. Nash i und 0. Nash 2.8
Doch miissen wir zugeben, daB die Texte auf Ostrakades 6fteren nicht leicht ver-
standlich sind. Denn mancher Text fuihrtuns gleich in einen Zusammenhang,der uns
fremd anmutet. So hatten wir den Text auf 0. Gardiner 104 nicht als eine Abstandsur-
kunde erkennen konnen, wenn wir kein Vergleichsmaterial herangezogen hatten.9
Auch hatten wir die Ostrakamit Fragen an den Orakelgottnicht als solche deuten kon-
nen, wenn uns die Institution und Phraseologie des Orakelszur Ramessidenzeitnicht
I Das zeigt andererseits, daB man mit den Ostraka als Schreibmaterial sparsam umging. Neben Palim-
psesten gibt es viele opisthographe Ostraka, bei denen auch die Ruckseite beschrieben ist. Ferner sind zahl-
reiche Falle vorhanden, in denen der Schreiber aus Sparsamkeit nicht nur einen, sondern mehrere Nachtrage
auf demselben Ostrakon notierte. Auch bentitzte man alte, schon beschriebene Ostraka, die noch freien Raum
boten, zu einer neuen Eintragung, ohne den alten Text abzuwaschen, z. B. 0. Gardiner 103 = J. Cerny und
A. Gardiner, Hieratic Ostraca (Oxford, I957), pI. 52, 2.
2 M. Malinine, 'Notes
juridiques', in BIFAO 46 (1947), 96; F. Daumas, La Civilisation de l'VEgypte
pharaoni-
que (Paris, I965), 9 I.
3 Die Kenntnis von diesen beiden, ebenso von im folgenden erwahnten, unpublizierten Texten verdanke
ich der Freundlichkeit Herrn Professor J. Cernys.
4 Cerny, OH, 44*; Ubersetzung durch Cerny, 'Quelques ostraca . . .', in Ann. Serv. 27 (I927), 200 f.
s G. Botti und E. Peet, II giornale della necropoli di Tebe (Torino, 1928), tav. 43, 17-18; Ubersetzung,
ibid. 38.
6 S. Sauneron, Catalogue des ostraca hieratiquesnon litteraires de Deir el-Medineh (Le Caire, I959), pls. 10,
I5, I7. Ubersetzung des letzten Textes in W. Helck, Materialien zur Wirtschaftsgeschichte Neuen Reiches,
des
III (Mainz, I963), 502.
7 supra Anm. i; flbersetzung in Helck, op. cit., 341.
8 Cerny und Gardiner, HO, pls. 77; 46, 2; 47, I.
9 S. Allam, 'Eine Abstandsurkunde aus der Zeit des Neuen Reiches', in JEA 53 (I967), 47ff.
4. NICHTLITERARISCHE SCHRIFTOSTRAKA I23
bekannt gewesen ware.' In den Texten auf Ostraka steht aber auch mancher Satz in
einem durchaus verstandlichen Zusammenhang isoliert da. Dies ist bei den Worten
des Verurteilten und Ersatzpflichtigen in 0. Ashmolean Museum 1933.810, recto
7-8 der Fall. Erst anhand von weiteren Belegen daftir ist es uns gelungen, diese Worte
als Eviktionsklauselzu erkennen, die man bei der Ubereignung einer Sache zugunsten
eines Geschaftspartnerszu bekraftigen hatte.2 Ahnlich liegt der Fall bei 0. DeM 73,
recto 4.3 Dort hatte ein Schuldner seinem Glaubiger einen Esel von guter Qualitat zu
erbringen. Bei der Ubergabe, die vor einem richterlichen Schreiber vollzogen wurde,
legte der leistende Schuldner den Eid ab, dessen Bedeutung sich nicht gleich aufhellt.
Nach Vergleich mit 0. Chicago 12073, verso, wo von einem ahnlichen Vorgang berich-
tet wird, k6nnen wir die Bedeutung der Eidesleistung durch den Ersatzpflichtigen
bei der Ubereignung des Ersatzes zugunsten des Ersatzberechtigten ausmachen: der
Ersatzpflichtige hatte zu beschworen, da63er mit der Leistung an den Beguinstigten
einverstanden sei bzw. dagegen keinen Einspruch erheben werde. Anhand dieser
wenigen Beispiele wird gezeigt, da63der altagyptische Schreiber bei der Verwendung
von Ostraka seinen Text manchmal nicht vollstandig niederschrieb. Dies wird ver-
standlich, wenn wir bedenken, da63die Oberflache eines Ostrakonsbeschrankt ist und
nicht so viel Raum zum Beschreiben bietet. Wohl deshalb hatte der Schreiber seinen
Text an mancher Stelle zu kuirzen,vor allem dort, wo der Zusammenhang ihm und
seiner Umwelt gelaufig und unmif3verstaindlich war. Hinzu kommt, daf3 die Ostraka
hauptsachlich in niederen Volkskreisen bei Beurkundung von wenigen wichtigen
Rechtsvorgangen als Beschreibstoff benutzt wurden. Gerade deshalb darf man auf
ihnen nicht immer einen fehlerfreien, vollstandigen Text erwarten.
Die herrschende Meinung erhartet sich scheinbar durch die Beobachtung, da3 man
Berichte uiber den Hergang von Bauarbeiten in der thebanischen Nekropole auf
Ostraka niederschrieb; die Tatsache, daB3 solche Journale auch auf Papyrus gefunden
wurden, spreche daftir, daB der Schreiber seinen Bericht zuerst (fltichtig) auf Ostraka
verfaBte, ihn spater jedoch (sorgfaltig) zu Papyrus brachte.4 Diese Behauptung la63t
sich nicht ohne weiteres halten; es konnte sein, daf die Journale auf Papyrus fur einen
anderen Zweck - vielleicht im Verkehr mit vorgesetzten Beh6rden - verfaBt
wurden. Betrachten wir die auf uns gekommenen Protokolle (zwei auf Ostraka und
eins auf Papyrus) ein und derselben Verhandlung, die eine mit richterlicher Gewalt
ausgestattete Kommission in einer Streitsache in Deir el-Medineh geftihrt hat! Es
handelt sich dabei um 0. B.M. 5624, 0. Florenz 264 (unpubl.) und P. Berlin 10496.5
Alle diese Texte berichten zwar von derselben Sache und derselben Augenscheins-
einnahme. Jeder Text weist aber bedeutende Abweichungen von dem anderen auf, so
da3 wir nicht behaupten konnen, dal3 der eine dem andern als Konzept zugrunde
Cerny, 'Questions adressees aux oracles', in BIFAO 35 (1935), 54 f.; Cerny, 'Nouvelle serie de questions
. . .', in BIFAO 41 (1942), 2i.
2 Allam, 'Zwei SchluBklauseln zur ftbertragung eines Rechts im Alten Agypten', in Bi. Or. 24 (I967), 15 f.
3 Cerny, Catalogue des ostraca hie'ratiquesnon litteraires de Deir el-Medineh, I (Le Caire, 1935), pl. 50;
hierzu Allam, loc. cit., i6 f.
4 B. van de Walle, in Chron. d'Eg. 22 (I947), 28I; Sauneron, op. cit., p. x, n. 4; p. xvii f.
5 A. Erman, Zwei Aktenstuiicke aus der thebanischenGraberstadt (= SPAW, phil.-hist. Classe, 1910, xix).
5. 124 S. ALLAM
gelegt worden ware. Es ist daher anzunehmen, daB jeder dieser Texte fur einen
bestimmten Zweck verfaBt wurde. Dabei durfen wir nicht tibersehen, daB bei der
Erledigung der Streitsache drei Schreiber zugegen waren; vielleicht hatte jeder von
ihnen ein Protokoll dariiber auszufertigen.
Unser Anliegen laI3tsich durch manche Sammelberichteauf Ostraka,wo ein Bericht
verschiedene Eintragungen mit verschiedenen Datierungen enthalt, beleuchten.
Solche Sammelberichtesprechen dafuiir, man die Ostrakadamals fur langere Zeit
da3
wohl in einem Archiv aufzubewahrenund in sie weitere Texte nachzutragenpflegte.
Einer dieser Sammelberichteist uns auf 0. Berlin 12654 (unpubl.) erhalten.Es handelt
sich dabeium mehrereEintragungen,die in verschiedenenZeitabstandenvom Schreiber
des staatlichenBauamts der thebanischen Nekropole vorgenommenwurden. Die erste
betrifft die Registrierungder Nekropolenarbeiterdurch ein Beamtenkollegiumam 9.
Tag des 3. Sommermonats im 2. Regierungsjahr(Ramses' VI.). Die zweite handelt
vom Eintreffen eines gewissen Schreibers sowie von dessen Anweisung an die Ob-
manner der Arbeitstruppe; hinzu tritt eine Entscheidung des Lokalgerichts in einer
Streitsache zwischen diesem Schreiber und einem Maler. Ferner erfahren wir von
einer durch diesen Schreiber dem Bauamt uiberbrachtenAnordnung des Wesirs.
Darauf folgt die Nachricht, daB derselbe Schreiber am 29. Tag desselben Monats
wieder einmal zur Registrierungder Arbeiter eintraf. Der SammelberichtschlieBt mit
der Mitteilung, daB die Angehorigen des Bauamts dem Wesir am 2. Tag des 4. Uber-
schwemmungsmonats- etwa vier Monate spater als die letzte Registrierung- zwei
silberne Gegenstandeuibergeben haben. Vor allem dieser Zeitabstandvon vierMonaten
laBt annehmen, daB der Schreiber den Sammelberichtnicht am letzten Tag in einem
Vorgang, sich auf sein Gedachtnis stiitzend, niederschrieb, sondern vielmehr in
Zeitabstanden. Wahrend dieser Zeitabstande muB sich das Schriftstuck in seinem
Gewahrsambzw. Archiv befunden haben.
Betrachten wir ferner den Text auf 0. Michaelides 6,1 so fallt auf, daB3 aus drei
er
Eintragungen verschiedenen Inhalts besteht: die erste handelt von der Leihe eines
Arbeitsgerats zwischen einem Arbeiter und dem staatlichen Bauamt, die zweite von
der Auszahlung eines Arbeitslohns (?) an einen Handwerkerwohl durch das genannte
Bauamt, die dritte von der Verteilung von Nahrungsmitteln (als Besoldung) wohl an
Nekropolenarbeiterdurch ein Beamtenkollegium.Allen diesen Eintragungen ist ge-
meinsam, daB sie vom Bauamt und in dessen Interesse vorgenommen wurden. Dabei
ist zu beachten, daB die dritte Eintragungknapp drei Jahrespater als die erste erfolgte.
Wahrend dieser drei Jahre muB das Ostrakonim Archiv des Bauamts der Nekropole
gelegen haben, so daB der Schreiber es, da es ihm noch freien Raum zum Beschreiben
bot, fur eine weitere Notierung aufgreifen und wieder verwenden konnte.
In diesem Zusammenhangsind einige Ostrakamit Sammelberichten uibergericht-
liche Verhandlungenvon besonderer Bedeutung, da diese Verhandlungen,die in ver-
schiedenen Zeitabstandenstattfanden,ein und dieselbe Streitparteibetreffen. Denn es
-
scheint, daB die eine Gerichtsverhandlung sei es in derselben Sache, sei es in einer
neuen - nach der anderen protokolliertwurde und daB die betreffenden Ostrakain
I H. Goedicke und E. Wente, Ostraka Michaelides (Wiesbaden, 1962), pis. 56, 57.
6. NICHTLITERARISCHE SCHRIFTOSTRAKA 125
den zeitlichen Zwischenraumenim Gerichtsarchivals Urkunden aufbewahrtwurden.
So berichtet 0. IFAO 388' aus der Zeit Ramses' V. von zwei Gerichtsverhandlungen,
deren eine auf einer Seite des Ostrakons protokolliert ist. Das Ostrakon ist zwar
bruchsttickhafterhalten; das Erhalteneindiziert aber, daB es sich bei beiden Verhand-
lungen um dieselbe Streitsache(Lieferung eines Rindes), oder wenigstens um dieselbe
Streitpartei(einen Polizisten) handelt. Beachtenswertist dabei, daB die eine Gerichts-
verhandlung in der Sommerzeit, die andere aber in der Winterzeit stattfand. Un-
wahrscheinlich ist es nun, daf3der Protokollschreiberdas Ostrakon zu beschreiben
begann, als die zweite Verhandlungstattfand; noch weniger, daB er zufallig den Ent-
wurf zu dem Protokoll uiiber frtihere Streitsache bzw. -partei aufgriff, um darauf
die
die zweite Verhandlung zu protokollieren. Vielmehr muB er das Protokoll uiiber die
erste Verhandlung zuerst gefiihrt haben, ehe an die zweite zu denken war. Als es
zur zweiten Verhandlung kam, holte er das betreffende Ostrakonaus seinem Archiv
heraus und protokollierte sie auf der Ruiickseite. dem Zeitraum zwischen beiden
In
VerhandlungenmuB3 das Ostrakonwohl als Gerichtsurkundeim Archiv aufbewahrt
er
haben.
Ahnlich liegt der Fall bei 0. Cairo 25555 aus der Zeit Ramses' III.2 Der Text auf
diesem Ostrakon unterrichtet von zwei Streitverfahren in derselben Sache; dabei
bilden die Rechte an einem Weg jeweils den Streitgegenstand. In einem (weltlichen)
Verfahrenwurde der Klager mit seinem Begehren von einer vierk6pfigenRichterbank
an einem gewissen Tage - Jahr 13, Monat 3 der Sommerzeit, Tag 24 - abgewiesen.
Damit gab er sich nicht zufrieden, denn etwa 10 Monate spater - Jahr 14, Monat i
der Sommerzeit, Tag I9 - brachte er die Sache erneut zur Entscheidung, diesmal vor
das Gottesgericht; in einem Gottesurteilverfahrenwurde jedoch die friihere Ent-
scheidung des (weltlichen) Gerichts aufrechterhalten, indem die besagten Rechte
durch den Orakelgott, Konig Amenophis, dem Prozef3gegnerzugesprochen wurden.
Auch bei diesem Text haben wir es mit zwei selbstandigen Protokollierungenzu tun.
Zuerst hatte der Schreiberdas Protokolliiber die erste Verhandlungniedergeschrieben;
spater jedoch, als der Klager um ein Gottesurteil nachsuchte, wurde auf das Schrift-
stiick, in dem die fruihereVerhandlung protokolliert ist, zurtickgegriffen,um darauf
das Protokoll iiber die zweite anzubringen. In der Zwischenzeit muB der Schrei-
ber das Ostrakon wohl als amtliche Urkunde im Gerichtsarchiv aufbewahrt haben.
Beachtenswertist ferner die Tatsache, daB bei beiden Verhandlungenderselbe Schrei-
ber unter den anwesendenPersonen genannt wird. Dieser hat wohl beide Eintragungen
auf dem Ostrakonvorgenommen; dabei beniitzte er es als Realfolium.
Noch klarer lal3t 0. Berlin 106553 in das Problem Einblick gewinnen. Dem Text
auf diesem Ostrakonzufolge hat ein Arbeitereinen Wasserholerwegen einer geschul-
deten Leistung verklagt. Die gerichtliche Verhandlung endete damit, daB sich der
Cerny und Gardiner, HO, pl. 69, 2.
2 Cerny, OH, 43*; fUbersetzung durch Cernl, 'Une expression designant la reponse negative d'un oracle',
in BIFAO 30 (I931), 493 ff.
3 Hieratische Papyrus aus den KdniglichenMuseen zu Berlin, iil (Leipzig, I9I I), Taf. 37; Teilubersetzung in
I. Lurje, O&erki prava (Leningrad, I960), I98.
drevneegipetskogo
7. I26 S. ALLAM
Beklagte unter Eid verpflichten mul3te, seinen Glaubiger bis zum Monatsende zu
befriedigen. Da er in Verzug geriet, kam es wohl wahrenddes darauffolgendenMonats
zu einer neuen Verhandlungin derselben Sache; dabei mul3teder Beklagteden gleichen
Eid wie vorher leisten. Etwa einen Monat spater wurde unser Arbeiter aber mit einem
anderen Wasserholer in einen Streit verwickelt, der vor Gericht ausgetragenwurde.
Es ist anzunehmen, da13der Gerichtsschreiberdie beiden ersten Verhandlungen in
derselben Sache zuerst protokollierte.Als nun eine neue Streitsache, in der eine der
friiheren Parteien beteiligt war, vor das Gericht gebracht wurde, wurde das betref-
fende Ostrakonzur Protokollierungaufgegriffen.Daraus ergibt sich, da3 der Gerichts-
schreiberdas Ostrakonnicht nur als Gerichtsurkundein seinem Archiv aufzubewahren
hatte, sondern es auch bei der Protokollierungder beiden ersten Verhandlungen als
Realfolium und bei der Protokollierung der neuen Streitsache als Personalfolium
betrachtete.Dabei ist zu beachten, da3 der Gesamttext auf dem Ostrakonvon ein und
derselben Hand geschrieben ist. Wahrscheinlich hat ihn derselbe, jeweils bei den
einzelnen Verhandlungengenannte Schreiber verfaf3t.
Die vorgetrageneAnsicht wird schlieBlichdurch 0. Ashmolean Museum I933.8IO'
aus der Zeit Ramses' III. besiegelt. Dem Text recto dieses Ostrakonszufolge wurde
ein Rechtsstreit zwischen einem gewissen Wasserholer und einer ungenannten
Partei2uiiber Leistung eines Ersatzes des dem Wasserholervermieteten, inzwischen
die
bei ihm eingegangenen Esels ausgetragen. Dabei verpflichtetete der Wasserholer
sich
eidlich, seinem Vertragspartner einen Ersatz binnen einer Frist zu leisten. Damit wurde
einer
die gerichtlicheVerhandlungoffenbargeschlossen. Der Text geht aberweiter: entgegen
der bisher objektivenStilisierung des Textes durch den Schreiberberichtet die begun-
stigte Partei in subjektiverWeise, daB ihr der Wasserholer den Ersatz neun Monate
nach der gerichtlichen Verhandlung leistete. Der Ubergang von der objektiven zur
subjektiven Stilisierung laBt annehmen, daB der Gerichtsschreiberbei der Protokol-
lierung der Ersatzleistung, die neun Monate spater stattfand und weswegen er auf
dasselbe Ostrakonzuriickgriff,die Worte der beguinstigten Partei in direkterRede dem
fruiiherenProtokolluiiberdenselben Rechtsstreitfolgen lie3. Damit wurde der Streit aus
der Welt geschafft.Wir erfahrenaber durch einen weiteren Nachtrag, daB der Wasser-
holer den von ihm als Ersatz geleisteten Esel fur eine gewisse Zeit genommen bzw.
gemietet hat. Zur Beurkundungdieses neuen Mietverhaltnissesverwendete der Schrei-
ber demnach dasselbe Schriftstiick, das er iiber das fruihereRechtsverhaltniszwischen
den beiden Parteien errichtet hatte. Daraus ersehen wir, da63das einmal uibereine
Rechtssache beschriebene Ostrakon auch zur nachtraglichen Notierung verwendet
wurde; in der Zwischenzeit muB das Ostrakon als Urkunde in einem Archiv unter
Aufsicht der Urkundsperson aufbewahrtgewesen sein.3 Es sei ferner angemerkt,da6
Cerny und Gardiner, HO, pI. 71, I. Cbersetzung des recto in Heick, op. cit., 498 f.
2
Da3 der Klager ungenannt ist, darf uns nicht befremden, da die Parteien in Verbindung mit der Streit-
sache dem Gericht und den Ortsbewohnern damals bekannt waren.
3
Es sei hier bemerkt, daBf 0. Petrie 9 (mit 0. DeM, Inv. 424 zusammengefugt) (-= Cerny und Gardiner,
HO, pI. 42, 3) fast den gleichen Text uiber denselben Rechtsstreit wie 0. Ashmolean, recto enthalt. Die
einzige bedeutende Abweichung ist bei der Angabe der Leistungsfrist festzustellen; statt der Winterzeit dort
wird hier die Uberschwemmungszeit angegeben. Wohl deshalb war der Text auf 0. Petrie fehlerhaft und man
8. NICHTLITERARISCHE SCHRIFTOSTRAKA 127
all die vorhin besprochenen Eintragungen von ein und derselben Hand geschrieben
sind, im Gegensatzzum Text verso. Dieser besteht aus zwei datiertenProtokollierungen,
deren eine von einer neuen, von der ersten verschiedenen Hand vorgenommenwurde.n
Der ersten Protokollierung zufolge mul3te der besagte Wasserholer etwa i Monate
spater nach der letzten Eintragung wohl vor der mit richterlicher Gewalt ausgestat-
teten Urkundsperson beschworen, MiBhandlungengegeniiber einem Maler zu unter-
lassen; mit der zweiten Protokollierung,die etwa i6 Monate danacherfolgte, wurde ein
Mietverhaltnis,iber einen Esel fur die Dauer vo Mo natenzwischen unseremWasser-
holer und einem Schreiber beurkundet.Die Verbindungzwischen dem Text recto und
den beiden Protokollierungenverso - jeder der drei Texte ist von einer verschiedenen
Hand geschrieben und hat eine andere Rechtssache zum Inhalt - ist nur durch die
Nennung des Wasserholersherzustellen; dieser war an alien Rechtsvorgangenbeteiligt.
Daraus geht deutlich hervor, da6 die einmal auf Ostrakonerrichtete Gerichtsurkunde
in einem amtlichen Archiv aufbewahrt und nach Bedarf fur weitere Eintragungen
beztiglich desselben Rechtsstreitsoder einer der friiherenParteien- im ersteren Falle
-
als Real-, im letzteren als Personalfolium durch verschiedene Urkundspersonen
verwendet werden konnte.
Die Ansicht, daL es zur Ramessidenzeit auf dem west-thebanischen Ufer Archive
gegeben hat,2 in denen u. a. Ostraka als Urkunden aufbewahrt waren,3 erhalt eine
weitere Stuitzedurch zwei Tatsachen: einmal haben im Bereich der Keilschrift solche
Archive, wo in der Hauptsache Tontafein als Urkunden deponiert waren, existiert;4
zum anderensind aus spaterenEpochen demotische, griechischeund koptische Ostraka
in Archiven auf thebanischem Boden gefunden worden.5 War damit in untergebenen
schrieb ihn von neuem auf 0. Ashmolean, das dann zur weiteren Protokollierung verwendet wurde. Oder
man fertigte vom Protokoll iiber denselben Rechtsstreit zwei Abschriften aus, wobei dem Schreiber ein Fehler
unterlaufen ist.
I Aus der
Verschiedenartigkeit der Hande auf ein und demselben griechischen Ostrakon aus Agypten hat
Wilcken, op. cit., I0 f. geschlossen, daB die griechischen Ostraka Originale und nicht etwa Brouillons oder
Kopien sind.
2 Solche Archive gab es gewiB in Deir el-Medineh und im Tal der
Konigsgraber, wo unzahlige Ostraka
zutage gefordert worden sind; in Deir el-Medineh lebten zur Ramessidenzeit die Nekropolenarbeiter, die ihre
Arbeit u. a. im Tal der Konigsgraber zu verrichten hatten. Vermutlich gab es auch ein Archiv beim Grab des
Senenmut aus der 18. Dynastie; dort sind nichtliterarische Schriftostraka gefunden worden, die uber den
Hergang der Bauarbeiten an diesem Grab berichten (W. Hayes, Ostraka and Name Stones from the Tomb of
Sen-mit (No. 71) at Thebes (New York, 1942)).
3 Das wird dadurch
das
anschaulich, daB3 staatliche Bauamt der thebanischen Nekropole u. a. Steinstiucke
verwahrt hlat, deren Gewicht dem der einzelnen, den Arbeitern uiberlassenen Arbeitsgeraiiteaus Metall ent-
sprach; auf diesen Steinen finden wir Notizen, die darauf Bezug nehmen (Sauneron, 'Ostraca et papyrus
trouves a Deir el-Medineh en 1950/51', in BSFE9 (1952), I9 f.). Wir konnen unsjedoch schwerlich vorstellen,
nach welchen Gesichtspunkten die Ostraka in einem Archiv geordnet waren, um es ubersichtlich zu halten.
Vermutlich hat man von Zeit zu Zeit das inzwischen von Ostraka iiberfiillte Archiv von alteren Bestanden, die
keine rechtliche Bedeutung mehr hatten, freigemacht, wenn das Archiv seiner Bestimmung entsprechend
weiterexistieren sollte.
4 San
Nicolo, op. cit., I45 f.; G. Driver, Semitic Writingfrom Pictograph to Alphabet (London, 1954), 73 if.;
A. Falkenstein, Archaische Texte aus Uruk (Leipzig, 1936), 47; Falkenstein, Die neusumerischenGerichts-
urkunden,I (Miinchen, I956), 2, 7 f.
I G. Maspero in Wilcken,
op. cit., 25 f. Fur aiihnliche
Archive im Faijum s. L. Amundsen, Greek Ostraca in
the University of Michigan Collection (Ann Arbor, I935), p. ix.
M
9. I28 S. ALLAM
Behorden der Ramessidenzeit das Ostrakon als brauchbarer Beschreibstoff fur die
Ausfertigung von Originalurkunden geeignet, so mu3 es als solcher ebenso in unbe-
mittelten Bevolkerungsschichten gegolten haben. Sind doch unzahlige Beurkundungen
auf Ost-rakaaus dem west-thebanischen Raum und vor allem aus der Arbeitersiedlung
von Deir el-Medineh zutage gekommen.
Nachtrag
Zur Veranschaulichung kann das koptische 0. Wien 69i (= W. Till, Die koptischen Ostraka
der
derPapyrussammlung Osterreichischen Nationalbibliothek (Wien, 1960), 47) in Betrachtgezogen
werden.Der Text auf diesem Ostrakon stellt den Briefeines Privatmannes einenhohergestellten
an
Adressaten, einen Priester,dar. Die einleitendenWorte dort lauten wie folgt: 'Verzeih mir, daB
ich keinen Papyrus(XapTmy) gefunden(d. h. zur Hand)habe!' Darauffolgt der eigentlicheInhalt
des Briefes. Mit dieser Einleitungentschuldigtsich der Schreibervorweg, offenbardaf ir, daBer
seinen Brief nicht auf Papyrus,wie es sich in einem solchen Falle ziemt, niederschreiben konnte.