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Diese
Motherfucker
haben meine
Generation
beraubt.
01/2014 CASH FLOW16
Menschen
W
ie ein Intel-
lektueller aus
den 1970er
Jahren wirkt
er mit seinem
s c h w a r z e n
Rollkragen-
pullover, dem Seitenscheitel und
der Hornbrille, der 30-jährige US-
Internetaktivist und Kryptografie-
Experte Jacob Appelbaum. Im
Mainstream ist er kaum bekannt, in
Hacker-Kreisen wie dem Chaos
Computer Club ist er ein Star. Und
das nicht nur, weil er den Anonymi-
sierungs-Dienst TOR (The Onion
Router) mitentwickelt, der im Inter-
net als eine Art Tarnkappe vor Iden-
tifizierung schützt, sondern auch,
weil er einer der schärfsten Kritiker
der NSA-Überwachung ist.
„Die Überwachung kostet viele
Milliarden Dollar pro Jahr. Das Geld
hätte man auch für Bildung, Ge-
sundheit etc. ausgeben können. Die-
se Motherfucker haben meine Gene-
ration beraubt”, sagte Appelbaum
auf einer hastig einberufenen Pres-
sekonferenz am Hacker-Kongress
30C3 Ende 2013 in Hamburg.Wobei,
Pressekonferenz. In dem kleinen sti-
ckigen Raum haben sich weniger
Journalisten als Fans um ihn ge-
schart, um seinen Ausführungen
über die „Motherfucker“ zu lau-
schen. Seine Hörer sitzen um ihn am
Boden, unter ihnen Laura Poitras.
Bei der Dokumentarfilmerin handelt
es sich um jene Frau, an die sich
NSA-Whistleblower Edward Snow-
Autor:
Jakob Steinschaden
Rund um Whistleblower Edward
Snowden,WikiLeaks und den pro-
minenten Hacker Jacob Appelbaum
formiert sich eine kleine Gruppe
Cyber-Marxisten. Sie rufen die
Hightech-Arbeiter zum Klassen-
kampf gegen einen totalitären
Überwachungsstaat auf.
den zuerst wandte und die ihn mit
dem Enthüllungsjournalisten Glenn
Greenwald in Kontakt brachte.
Auch Appelbaum sowie Wiki­
Leaks-Aktivist Julian Assange und
dessen Anwältin Sarah Harrison ge-
hören zu dem Kreis von Snowdens
Vertrauten. Sie verhalfen ihm zur
Einreise nach Russland und haben
teilweise Zugang zu den brisanten
Dokumenten. Appelbaum arbeitet
mit dem „Spiegel“ zusammen,um In-
formationen über Überwachungsme-
thoden der NSA zu veröffentlichen.
gegen die Informations-Apart-
heid. Appelbaum ist es auch, der mit
Assange an einer Gesellschaftstheo-
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Wie ein Jedi-Ritter und sein junger
Padawan wirken der weißhaarige
Assange und der junge Hacker, als
sie am 30C3, dem 30. Chaos Com-
munication Congress, zum Klassen-
kampf der Hightech-Arbeiter auf-
rufen. „Die Arbeiterklasse der
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entschieden, politische Klassen
nicht durch Rasse, Geschlecht oder
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Arbeiter und Besitzer zu teilen. Das
hat echteVeränderung in der indus-
triellen Revolution bewirkt, und
heute gehen wir im Informations-
zeitalter durch eine ähnliche Ent-
wicklung“, so Appelbaum. „Wir
Hightech-Arbeiter sind eine politi-
sche Klasse, und es wird Zeit, dass
wir das erkennen und genauso wie
die Arbeiterklasse des 20. Jahrhun-
derts große soziale Veränderungen
bewirken können“, sagte Assange
viaVideoschaltung von seinem Qua-
sigefängnis in der ecuadorianischen
Botschaft in London aus, wo er seit
Juni 2012 festsitzt.
Marx ist wieder in und wird von
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gerne gelesen. „Systemadministrato-
ren der Welt, vereinigt euch!“, wan-
delten Appelbaum und Assange den
berühmten Aufruf aus dem Kommu-
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Marx und Friedrich Engels um die
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leicht einmal „Marxismus 2.0“ nen-
nen wird. Die Theorie: Die Produk­
tionsverhältnisse in einer immer
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die Kontrolle über sämtliche auf
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Prinzip jeder, der mit Computer und
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fassend Daten gesammelt werden,
und die Systemadministratoren
sehen Assange und Appelbaum als
Schlüsselfiguren an. Sie sind es, die
umfassende Zugriffsrechte auf die
Netze von Unternehmen und Behör-
den haben – und damit die Möglich-
keit, geheime Informationen für die
Chaos
Communication
Congress
Wer, wo, was?
Das bunte Netzwerktreffen
der alternativen Hacker-Eli-
te wird seit 1984 veranstal-
tet. Es findet immer kurz
vor dem Jahreswechsel in
Hamburg statt und holt Si-
cherheitsexperten, Netzpo-
litiker, Wissenschaftler und
Künstler auf die Bühne.
Um was geht’s?
Diskutiert wird über High-
tech, Überwachung, Inter-
net. Sie basteln an Drohnen,
engagieren sich für die Pira-
tenpartei und haben sich
noch von keinem großen
Konzern kaufen lassen.
und sonst?
Wie viele Hektoliter Club-
Mate über die Tresen wan-
derten, ist leider nicht
überliefert.
internet:
http://events.ccc.de/
Kreative, Hacker,
Hightech-Arbeiter. Aus
dem Internet heraus
formiert sich eine
politische Strömung –
die Cyber-Marxisten.
Foto:Flickr
Allgemeinheit zu veröffentlichen,
wie es Chelsea Manning und Edward
Snowden getan haben.
DiePro-Privacy-Allianz.Wie weit
es Appelbaum und Assange mit ihrer
Cyber-Revolution schaffen werden,
ist kaum abzusehen. Appelbaum hat
sich Anfang 2014 aus Angst vor
staatlichen Behörden ins freiwillige
Exil in Berlin begeben, wo sich auch
Poitras und WikiLeaks-Anwältin
Sarah Harrison eingefunden haben,
und fürchtet ernsthaft um sein Le-
ben. Snowden sitzt in Russland fest,
und der Enthüllungsjournalist
Greenwald, der die Gruppe bereits
Pro-Privacy-Allianz nennt, traut
sich nicht mehr aus Brasilien heraus
– seine Anwälte warnten ihn, dass
US-amerikanische bzw. britische
Behörden seiner habhaft werden
könnten. Immerhin haben Green-
wald und Poitras für ihr neues On-
line-Magazin „The Intercept“ einen
potenten Geldgeber gefunden, der
die Pro-Privacy-Allianz auch bei an-
deren Projekten unterstützen könn-
te: eBay-Gründer Pierre Omidyar.
Während Greenwald am laufenden
Band neue NSA-Enthüllungen lie-
fert, versuchen Snowden, Assange
und Appelbaum, ihre Sichtweisen
Jacob
Appelbaum
Jacob Appelbaum (geboren
1983) ist an der Entwicklung
des Anonymisierungs-Dienstes
TOR beteiligt, Mitgründer des
Hacker-Treffpunkts Noise­
bridge und ein Vertrauter von
WikiLeaks-Gründer Julian As-
sange und Whistleblower Ed-
ward Snowden. Er hat an der
Veröffentlichung des „Collate-
ral Murder“-Videos von Wiki-
Leaks mitgearbeitet, das die
Tötung von mehreren Men-
schen (u.a. Reuters-Journalis-
ten) durch US-Kampfhub-
schrauber in Bagdad 2007
zeigt. Appelbaum ist Mitglied
der Wiener Künstlergruppe
monochrom. Er füttert den
Spiegel mit Informationen aus
Snowdens Dokumentenschatz.
auf großen Konferenzen wie der
SXSW in Austin oder der TED in
Vancouver zu verbreiten.
Besonders publikumsnah ist Ap-
pelbaum, der sich für Fragen seiner
Hörer oft stundenlang Zeit nimmt.
Am 30C3 bedankt er sich am Gang
bescheiden lächelnd für ein Lob,
schüttelt Hände, wird mit danken-
den Worten für seine Inspiration
überhäuft. Auch komplexe Fragen,
etwa zu den Theorien des Medien-
theoretikers Manuel Castells, kann
er aus dem Stand beantworten. Cas-
tells kennt er gut, immerhin hat der
Spanier den Wandel zur Netzwerk-
gesellschaft im Informationszeital-
ter beschrieben und sich mit neo-
marxistischen Ansätzen in der
Stadtsoziologie befasst. Das viele
Theoretisieren zu später Stunde ist
anstrengend, die Luft verbraucht,
Appelbaum schwitzt. Als er sich
endlich seines Rollkragenpullovers
entledigt, kommt sein T-Shirt zum
Vorschein, das er die ganze Zeit dar-
unter getragen hat. Dieses T-Shirt
zeigt, dass alles gar nicht so kompli-
ziert ist zwischen Marx, Castells und
Klassenkampf. Auf schwarzem
Grund in fetten weißen Lettern
steht: „Fuck the NSA.“
Krankenkassenbrille, Sweat-
shirt und Eigenhaarschnitt –
Aktivist Jacob Appelbaum ruft
zum Widerstand gegen den
Überwachungsstaat auf.
Foto:wikimedia.org
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  • 2. W ie ein Intel- lektueller aus den 1970er Jahren wirkt er mit seinem s c h w a r z e n Rollkragen- pullover, dem Seitenscheitel und der Hornbrille, der 30-jährige US- Internetaktivist und Kryptografie- Experte Jacob Appelbaum. Im Mainstream ist er kaum bekannt, in Hacker-Kreisen wie dem Chaos Computer Club ist er ein Star. Und das nicht nur, weil er den Anonymi- sierungs-Dienst TOR (The Onion Router) mitentwickelt, der im Inter- net als eine Art Tarnkappe vor Iden- tifizierung schützt, sondern auch, weil er einer der schärfsten Kritiker der NSA-Überwachung ist. „Die Überwachung kostet viele Milliarden Dollar pro Jahr. Das Geld hätte man auch für Bildung, Ge- sundheit etc. ausgeben können. Die- se Motherfucker haben meine Gene- ration beraubt”, sagte Appelbaum auf einer hastig einberufenen Pres- sekonferenz am Hacker-Kongress 30C3 Ende 2013 in Hamburg.Wobei, Pressekonferenz. In dem kleinen sti- ckigen Raum haben sich weniger Journalisten als Fans um ihn ge- schart, um seinen Ausführungen über die „Motherfucker“ zu lau- schen. Seine Hörer sitzen um ihn am Boden, unter ihnen Laura Poitras. Bei der Dokumentarfilmerin handelt es sich um jene Frau, an die sich NSA-Whistleblower Edward Snow- Autor: Jakob Steinschaden Rund um Whistleblower Edward Snowden,WikiLeaks und den pro- minenten Hacker Jacob Appelbaum formiert sich eine kleine Gruppe Cyber-Marxisten. Sie rufen die Hightech-Arbeiter zum Klassen- kampf gegen einen totalitären Überwachungsstaat auf. den zuerst wandte und die ihn mit dem Enthüllungsjournalisten Glenn Greenwald in Kontakt brachte. Auch Appelbaum sowie Wiki­ Leaks-Aktivist Julian Assange und dessen Anwältin Sarah Harrison ge- hören zu dem Kreis von Snowdens Vertrauten. Sie verhalfen ihm zur Einreise nach Russland und haben teilweise Zugang zu den brisanten Dokumenten. Appelbaum arbeitet mit dem „Spiegel“ zusammen,um In- formationen über Überwachungsme- thoden der NSA zu veröffentlichen. gegen die Informations-Apart- heid. Appelbaum ist es auch, der mit Assange an einer Gesellschaftstheo- rie für die Post-Snowden-Ära feilt. Wie ein Jedi-Ritter und sein junger Padawan wirken der weißhaarige Assange und der junge Hacker, als sie am 30C3, dem 30. Chaos Com- munication Congress, zum Klassen- kampf der Hightech-Arbeiter auf- rufen. „Die Arbeiterklasse der industrialisiertenWelt hat sich dazu entschieden, politische Klassen nicht durch Rasse, Geschlecht oder Religion zu definieren, sondern nach Arbeiter und Besitzer zu teilen. Das hat echteVeränderung in der indus- triellen Revolution bewirkt, und heute gehen wir im Informations- zeitalter durch eine ähnliche Ent- wicklung“, so Appelbaum. „Wir Hightech-Arbeiter sind eine politi- sche Klasse, und es wird Zeit, dass wir das erkennen und genauso wie die Arbeiterklasse des 20. Jahrhun- derts große soziale Veränderungen bewirken können“, sagte Assange viaVideoschaltung von seinem Qua- sigefängnis in der ecuadorianischen Botschaft in London aus, wo er seit Juni 2012 festsitzt. Marx ist wieder in und wird von jungen Intellektuellen in den USA gerne gelesen. „Systemadministrato- ren der Welt, vereinigt euch!“, wan- delten Appelbaum und Assange den berühmten Aufruf aus dem Kommu- nistischen Manifest ab, das Karl Marx und Friedrich Engels um die Jahreswende 1847/48 verfassten, und formulierten das, was man viel- leicht einmal „Marxismus 2.0“ nen- nen wird. Die Theorie: Die Produk­ tionsverhältnisse in einer immer stärker digitalisiertenWelt bilden ei- nen Überbau aka Staats­apparat, der die Kontrolle über sämtliche auf Servern gespeicherten Informatio- nen hat, und eine Basis, die in einer „Informations-Apartheid“ lebt und auf die gesellschaftlichen Produk­ tionsmittel – das sind im Prinzip sämtliche computergesteuerten Ma- schinen – kaum Einfluss mehr hat. Ein Hightech-Arbeiter ist dabei im Prinzip jeder, der mit Computer und Internet arbeitet und über den um- fassend Daten gesammelt werden, und die Systemadministratoren sehen Assange und Appelbaum als Schlüsselfiguren an. Sie sind es, die umfassende Zugriffsrechte auf die Netze von Unternehmen und Behör- den haben – und damit die Möglich- keit, geheime Informationen für die Chaos Communication Congress Wer, wo, was? Das bunte Netzwerktreffen der alternativen Hacker-Eli- te wird seit 1984 veranstal- tet. Es findet immer kurz vor dem Jahreswechsel in Hamburg statt und holt Si- cherheitsexperten, Netzpo- litiker, Wissenschaftler und Künstler auf die Bühne. Um was geht’s? Diskutiert wird über High- tech, Überwachung, Inter- net. Sie basteln an Drohnen, engagieren sich für die Pira- tenpartei und haben sich noch von keinem großen Konzern kaufen lassen. und sonst? Wie viele Hektoliter Club- Mate über die Tresen wan- derten, ist leider nicht überliefert. internet: http://events.ccc.de/ Kreative, Hacker, Hightech-Arbeiter. Aus dem Internet heraus formiert sich eine politische Strömung – die Cyber-Marxisten. Foto:Flickr
  • 3. Allgemeinheit zu veröffentlichen, wie es Chelsea Manning und Edward Snowden getan haben. DiePro-Privacy-Allianz.Wie weit es Appelbaum und Assange mit ihrer Cyber-Revolution schaffen werden, ist kaum abzusehen. Appelbaum hat sich Anfang 2014 aus Angst vor staatlichen Behörden ins freiwillige Exil in Berlin begeben, wo sich auch Poitras und WikiLeaks-Anwältin Sarah Harrison eingefunden haben, und fürchtet ernsthaft um sein Le- ben. Snowden sitzt in Russland fest, und der Enthüllungsjournalist Greenwald, der die Gruppe bereits Pro-Privacy-Allianz nennt, traut sich nicht mehr aus Brasilien heraus – seine Anwälte warnten ihn, dass US-amerikanische bzw. britische Behörden seiner habhaft werden könnten. Immerhin haben Green- wald und Poitras für ihr neues On- line-Magazin „The Intercept“ einen potenten Geldgeber gefunden, der die Pro-Privacy-Allianz auch bei an- deren Projekten unterstützen könn- te: eBay-Gründer Pierre Omidyar. Während Greenwald am laufenden Band neue NSA-Enthüllungen lie- fert, versuchen Snowden, Assange und Appelbaum, ihre Sichtweisen Jacob Appelbaum Jacob Appelbaum (geboren 1983) ist an der Entwicklung des Anonymisierungs-Dienstes TOR beteiligt, Mitgründer des Hacker-Treffpunkts Noise­ bridge und ein Vertrauter von WikiLeaks-Gründer Julian As- sange und Whistleblower Ed- ward Snowden. Er hat an der Veröffentlichung des „Collate- ral Murder“-Videos von Wiki- Leaks mitgearbeitet, das die Tötung von mehreren Men- schen (u.a. Reuters-Journalis- ten) durch US-Kampfhub- schrauber in Bagdad 2007 zeigt. Appelbaum ist Mitglied der Wiener Künstlergruppe monochrom. Er füttert den Spiegel mit Informationen aus Snowdens Dokumentenschatz. auf großen Konferenzen wie der SXSW in Austin oder der TED in Vancouver zu verbreiten. Besonders publikumsnah ist Ap- pelbaum, der sich für Fragen seiner Hörer oft stundenlang Zeit nimmt. Am 30C3 bedankt er sich am Gang bescheiden lächelnd für ein Lob, schüttelt Hände, wird mit danken- den Worten für seine Inspiration überhäuft. Auch komplexe Fragen, etwa zu den Theorien des Medien- theoretikers Manuel Castells, kann er aus dem Stand beantworten. Cas- tells kennt er gut, immerhin hat der Spanier den Wandel zur Netzwerk- gesellschaft im Informationszeital- ter beschrieben und sich mit neo- marxistischen Ansätzen in der Stadtsoziologie befasst. Das viele Theoretisieren zu später Stunde ist anstrengend, die Luft verbraucht, Appelbaum schwitzt. Als er sich endlich seines Rollkragenpullovers entledigt, kommt sein T-Shirt zum Vorschein, das er die ganze Zeit dar- unter getragen hat. Dieses T-Shirt zeigt, dass alles gar nicht so kompli- ziert ist zwischen Marx, Castells und Klassenkampf. Auf schwarzem Grund in fetten weißen Lettern steht: „Fuck the NSA.“ Krankenkassenbrille, Sweat- shirt und Eigenhaarschnitt – Aktivist Jacob Appelbaum ruft zum Widerstand gegen den Überwachungsstaat auf. Foto:wikimedia.org 01/2014 CASH FLOW18 Menschen