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Unbestellte Bildungsfelder. Wo bleiben die neuen Formate der
Erwachsenen- und Weiterbildung?
Preprint - cc-by-nd 3.0. Zitierfähige Fassung siehe:
Jörissen, Benjamin (2013): „Unbestellte Bildungsfelder – Wo bleiben die neuen Formate
der Erwachsenen- und Weiterbildung?“. In: forum erwachsenenbildung 2/2013, S. 16–21.
Das Internet ist kein "Mitmachnetz"
Traditioneller Weise denken wir über Medien nach, indem wir diese als eine besondere Sorte
von Gegenständen betrachten, die Menschen im Alltag begegnen. Diese Perspektive ist nicht
nur die unserer alltäglichen Erfahrung, sondern weitestgehend auch der Pädagogik als
Profession und Wissenschaft. So hat man, weil Dinge Wirkungen hervorrufen, "die Medien"
nach ihrer Wirkung befragt (wenn auch mit ausgesprochen mäßigem Erfolg). Man hat dann
eingesehen, dass eine handlungsorientierte Sicht erstens sachgemäßer und zweitens
pädagogisch fruchtbarer ist als die bange Frage nach Negativ- und die oft naive nach
Positiveffekten. Dieses Handlungsmodell, aus den 1970er Jahren stammend, stellt ein
potenziell mündiges Subjekt einer von diesem produktiv zu verarbeitenden Umwelt
gegenüber, und als Teil dieser Umwelt bildeten "Medien" einen augenscheinlich besonderen
Gegenstandsbereich, der jedoch nicht minder produktiver Verarbeitung – also der Nutzung
und Aneignung – offensteht. Wenn im deutschsprachigen Diskurs, durchaus auch auf
wissenschaftlicher Ebene, bisweilen vom "Mitmachnetz Web 2.0" die Rede ist, so schwingt
eine dieser Perspektive entstammende, etwas anheimelnde Hoffnung auf Umgrenztheit,
Fassbarkeit und Handhabbarkeit, vielleicht auch auf so etwas wie souveräne Nutzungshoheit,
deutlich mit.
Man sollte von solchen verniedlichenden Metaphern Abstand nehmen. Nicht etwa deswegen,
weil das Internet viel gefährlicher sei als allgemein wahrgenommen – die international
sprichwörtliche "german internetangst" hat in dieser Hinsicht schon die meisten
Gefahrenpotenziale recht effizient aufgespürt und ausgeleuchtet. Vielmehr Bedarf es eines
angemessenen Verständnisses der Bedeutung des stattfinden globalen medialen Wandels im
1
Hinblick auf die mit ihm einerhergenden kulturellen, sozialen, ökonomischen und
individuellen Transformationen. Dies gilt nicht nur, aber insbesondere auch hinsichtlich der
Frage professionell-pädagogischer Praxis und ihrer Strategien.
Dass der Begriff "Medien" im pädagogischen Diskurs all die Jahre hindurch und bis heute
keine konsistente theoretische Grundlage gefunden hat, hat der Vorstellung ihrer primären
Gegenstands- oder Dinghaftigkeit keinen Abbruch getan. Dass man (auf begrifflicher Ebene)
nicht so genau wusste, womit man es eigentlich zu tun hatte, war deshalb kein Problem, weil
die Vergegenständlichungen von Medien in Form der zumeist ausschließlich gemeinten
technischen Apparaturen fraglos gegeben, und ebenso fraglos Anlass pädagogischer Sorge
(Kulturverfall durch Fernsehen, Videos, Computerspiele etc.) und eben auch Hoffnung
(emanzipatorisches Radio/Fernsehen, pädagogischer Film, serious games etc.) waren. Die
Medien(-dinge) ließen dies zu, denn ihre Erscheinungsformen waren – im Gegensatz zu dem,
was wir seit einigen Jahren erleben – relativ konstant und der Zahl nach überschaubar. Wenn
auch zunehmend klar wurde, dass Medien gar keine "Gegenstände" sind (denn uns
"gegenüber stehen" eben nur Geräte, nicht "das Fernsehen", nicht "das Radio", nicht "das
Internet"), hielt und hält sich die Idee, dass ein kompetenter Umgang mit oder eine
kompetente Nutzung von "Medien" erreichbar und auch als pädagogisches Ziel hinreichend
wäre. Nicht selten wurde in der Praxis diese instrumentalistische Perspektive konsequent
verschärft, indem sie weitestgehend, vom e-learning bis zum Computerführerschein, auf
technische Aspekte im Umgang mit Mediendingen und -geräten reduziert wurde.
Ich möchte die Frage, ob dieser Blick auf Medien jemals adäquat war, hier nicht diskutieren –
immerhin war er offenkundig weithin akzeptabel und auch pädagogisch durchaus fruchtbar
(was z.B. die Entwicklung und Institutionalisierung der Medienpädagogik betrifft).
Spätestens im Hinblick auf das, was wir (immer noch und immer wieder) "neue Medien"
nennen, kommen reduktionistische Vorstellungen über Medien an ihre Grenzen. Für die
Frage, was die Erwachsenenbildung mit Neuen Medien anfangen kann oder soll – und wenn,
aus welchen Gründen, ist es einerseits wesentlich, ein angemessenes Verständnis des
Phänomens digital vernetzter Medialität zu entwickeln, und andererseits nötig, dieses
Verständnis bildungstheoretisch zu reflektieren.
Das Internet ist eine mobil verfügbare Infrastruktur, die getrennte Lebensbereiche
zusammenführt und umstrukturiert
Wie in wenigen Zeilen erklären, wozu ein Buch nicht ausreicht? (Empfohlen sei bei dieser
Gelegenheit das nicht ganz ironiefreie, aber sehr informative Buch "Internet - Segen oder
2
Fluch?" von Kathrin Passig und Sascha Lobo.) Beginnen wir mit einem
Gedankenexperiment. Man nehme eine beliebige Reihe bekannter Medienphänomene,
Internet inklusive, und stelle sich vor, das jeweilige Medienphänomen wäre plötzlich zerstört,
inaktiv oder sonstwie nicht zugänglich. Die Effekte eines tage- oder wochenlangen Ausfalls
von Printpresse (Druckerstreik), Post (Postarbeiterstreik), Radio und Fernsehen (globale
Funkstörung) oder Telefon wären erheblich, aber nicht katastrophal. Eher katastrophal
hingegen wäre schon ein kurzer Ausfall des (als ausfallsicher geltenden) Internets, weil damit
ein Großteil der kommunikativen, logistischen und ökonomischen Prozesse, die überwiegend
auf internetbasiertem Informationsaustausch basieren, blockiert wären. Die von Gunter
Dueck (ehemaliger Chief Technology Officer der IBM, nun Autor, Redner und Technologie-
Evangelist) in den populären Netzdiskurs hineingetragene Metapher vom
"Gesellschaftsbetriebssystem" zielt (wenn auch nicht als ernsthafte soziologische Analyse
brauchbar) zu Recht auf Korrektur des allgemein unterschätzten Status digital vernetzter
Medialität: Die (von vielen als Zumutung empfundene) Persistenz und Ubiquität des Internets
speist sich nicht nur oder nicht primär, wie es bei anderen Medien der Fall ist, aus seinem
Freizeit-, Informations- und Unterhaltungswert. Vielmehr basiert seine rhizomartige
Ausbreitung auf seiner tieferen, global-ökonomischen und infrastrukturellen Bedeutung. Die
damit einhergehende Verlässlichkeit im Hinblick auf seine Funktionalität, vor allem aber auf
seine Weiterentwicklung und weitere Verbreitung (sowohl technisch als auch
medienkulturell) macht das Internet zu einem vielfältigen ökonomischen Entwicklungsraum,
dessen Gewicht sich am Wachstum großer Technologie- und Softwareunternehmen wie
Google oder Apple leicht ablesen lässt.
In der universalen, weithin (mobil) verfügbaren Infrastruktur des Netzes durchdringen sich
ökonomische Räume, Kommunikationsräume, Kulturräume und alltäglichen Lebensräume.
Diese Durchdringung von Bereichen, die zuvor eher getrennt waren, erfahren wir heutzutage
in der erstaunlichen Zusammenführung von Kommunikation, Spiel, Arbeit,
Alltagsorganisation und kreativen Ausdrucksmöglichkeiten auf den winzigen vernetzten
Hochleistungscomputern, die wir mit einigem Understatement "Smartphone" bzw.
"Smartpad" nennen.1 Nachrichten lesen, im Büro die englische Korrespondenz mithilfe einer
Übersetzungs-App erstellen, nach Feierabend noch zwei oder drei (oder auch zehn)
3
1 Die mobilen "Smart Devices" haben das Problem der technischen Medienkompetenz und der
Unzugänglichkeit (und oft Unzulänglichkeit) der alten PCs gelöst und zu einer massenweisen Verbreitung der
Nutzung digitaler Technologien beigetragen – allein im Jahr 2012 wurden insgesamt über 800 Millionen dieser
Geräte weltweit abgesetzt; Tendenz steigend.
berufliche Emails schreiben, etwas auf Wikipedia recherchieren, etwas auf Wikipedia
ergänzen, ein Spiel spielen, Fotos aufnehmen (vielleicht bearbeiten und mit Bekannten
teilen), Musik hören, Musik machen (von der Retro-Drummachine über experimentelle
Klangsoftwares bis zur klassischen Synthesizer-Workstation), auf Facebook von jemandem
benachrichtigt werden, in einem Bestand von 20 Millionen Büchern eine Volltextsuche
durchführen, ein Rezept im persönlichen Online-Archiv nachschlagen, eine Einkaufsliste
erstellen, einen Konsumartikel suchen, Testergebnisse recherchieren, Preise vergleichen,
kaufen, Kontostand einsehen, ein Video ansehen, Termine verwalten, per Social Messaging
App kontaktiert werden, von netzbasierten ToDo-Listen erinnert werden, ein PDF aus dem
persönlichen Cloud-Ordner lesen, annotieren und an einen Mitarbeiter versenden, ein Buch
lesen und annotieren (die Randbemerkungen auf allen Geräten synchronisiert verfügbar, für
alle Zeit gespeichert und durchsuchbar haben), den Buchautoren auf Twitter folgen, ein
Bahnticket aktivieren, sich per Navigation zum Konferenzort führen lassen, sich vorher über
das Wetter und den Temperaturverlauf des Tages informieren, einen Audioschnitt vom
Vortrag anfertigen, etc. – dies alles geschieht in meinem Alltag, zumeist eher unmerklich
eingebettet. Und haben Sie bemerkt, dass in der Aufzählung die Suche per Suchmaschine
fehlt? Die personalisierte, an unsere Interessen und unseren Standort individuell angepasste
Suche mittels eines hochkomplexen Algorithmus in einem Bestand von einer knappen
Milliarde Websites ist für uns so selbstverständlich geworden, dass es der Erwähnung kaum
mehr wert ist.
All dies basiert auf Netztechnologien und -anwendungen, die sich im wesentlichen in den
letzten fünf bis zehn Jahren entwickelt haben. Die Aufzählung gibt ein Beispiel für die
Verflechtung von mobil vernetzter Digitalität und Alltag, das in privater Hinsicht bereits für
viele Menschen typisch sein dürfte (in seinen berufsbezogenen Aspekten wahrscheinlich eher
weniger). Betrachtet man die Bandbreite der aufgelisteten Tätigkeiten, so wird deutlich,
inwiefern Neue Medien die Selbst- und Weltverhältnisse verändern – was sowohl als
Potenzial wie auch als Gegenstand kritischer Reflexion betrachtet werden muss: Das Netz
restrukturiert die kulturellen Archive und die Verfasstheit von Wissen, nicht nur hinsichtlich
ihrer Zugänglichkeit, sondern auch in ihren Orientierungsfunktionen und in ihren
Produktionsformen und Verbreitungsökonomien; es ermöglicht damit andere und neue
Formen des Lernens; es restrukturiert individuelle Artikulationsmöglichkeiten in
biographischer, kulturell-ästhetischer, politischer und alltäglicher Hinsicht; es restrukturiert
Sozialität, indem es als technologischer Katalysator der öffentlichen Sichtbarkeit und
4
sozialer Netzwerkbildungen fungiert; es restrukturiert die uns umgebenden Ökonomien. Es
restrukturiert nicht zuletzt Subjektivität: Arten und Gebrauchsweisen von Gedächtnis, des
Aufbaus von Orientierungswissen im Kontext instantan abrufbarer sozialer Netzwerke (SMS
und Instant Messaging) und vorstrukturierter Verweiszusammenhänge (Wikipedia,
Verlinkungen, Suchmöglichkeiten, Visualisierungen, Kartierungen), des Selbstverständnisses
und der Inszenierung von Identität, der Unterscheidung zwischen privaten und öffentlichen
Sphären sowie zwischen Arbeit und Freizeit.
Gefordert sind partizipative und erfahrungsorientierte Angebotsformate
Der digital vernetzte Alltag geht in vielerlei Hinsicht mit neuen Optionen einher. Zwar dürfte
die mediale Durchdringung des Alltags vielen Menschen inzwischen bewusst sein, doch
scheint ein tiefergehendes Wissen um Potenziale – jenseits beruflich benötigter EDV-
Kenntnisse, die wenig bis nichts mit den hier beschriebenen neuen medialen Welten zu tun
haben – auch seitens der Pädagogen eher gering verbreitet zu sein. Aiga von Hippel zeigt in
einem aktuellen Beitrag zur – übrigens ziemlich sparsam geführten – Diskussion um Neue
Medien in der Erwachsenenbildung auf, dass die pädagogischen Angebote überwiegend
immer noch der überkommenen Aufteilung in kritisch-reflexive Medienkunde versus
instrumentell-qualifikatorische Mediengestaltung folgen. Zu Recht bezeichnet sie als
"innovative Angebote" solche, die Mediengestaltung und Medienkritik verknüpfen.2
Gefordert sind partizipativ orientierte Angebotsformate, die eine Kultivierung des eigenen
Verhältnisses zu Medien ermöglichen.
Wer über Medien forscht – genauer: nicht nur "über", aus unbeteiligter Vogelperspektive,
sondern auch in und mit Medien – weiß, dass die komplexen Architekturen des Internet und
ihre Zusammenhänge sich nicht allein theoretisch erschließen. Vieles muss teilnehmend
beobachtet oder erkundet werden – dies gilt gleichermaßen für Forschende wie für Lehrende
und Lernende. Der Weg geht, wenn auch auf unterschiedlichen Niveaus und mit
unterschiedlichen Methoden und Zielsetzungen, über die Erfahrung zur Reflexion. Nötig sind
daher Zugänge, die Wege zu explorativem und tentativem Handeln eröffnen (und dabei über
die zwei bis drei dominanten und wohlbekannten Webphänomene – Google, Facebook,
Wikipedia – deutlich hinauszugehen). Es geht längst nicht mehr nur um die kritische oder
kreative "Nutzung" einzelner Medienangebote, sondern um Potenziale umfassender Bildung
in medialen Kontexten; letztlich um reflektierte Zugänge zum Leben in digital mediatisierten
5
2 Vgl. Aiga von Hippel: Erwachsenenbildung und Medien. in: R. Tippelt/A. v. Hippel: Handbuch
Erwachsenenbildung/Weiterbildung. Wiesbaden: VS-Verlag 2011, S. 687-706.
und vernetzten Welten.3 Hier liegt inzwischen doch auch aus der Alltagsperspektive vieler
Menschen – der Erziehenden, der Berufstätigen, der non-formal und informell
Lernorientierten, aber auch der Hilfe- und Beratungsbedürftigen – eine spürbare Relevanz
und Notwendigkeit der produktiven Auseinandersetzung; entsprechend ist auf dieser Ebene
der Bildungsauftrag primär zu verorten (wie auch immer nachgeordnete Ziele aufgeschlüsselt
werden).
Medienbildung als transversale Bildungsaufgabe in der Erwachsenenbildung
Wenn, nach der immer noch aktuellen Forderung Wolfgang Klafkis, Bildung wesentlich in
der Auseinandersetzung mit Schlüsselproblemen der eigenen Zeit besteht, so stellen Neue
Medien einen integralen Teil allgemeiner Bildung dar. Dies geht, wie auch hier noch einmal
betont sei, weit über den Schematismus von Medienkunde und Medienkritik hinaus: Der
radikale Wandel von Strukturen öffentlichen Interesses (nämlich des Pressewesens), der
Wandel der Privatheit in Richtung "post privacy" und ähnlichen neuen Formen, der Wandel
der Kreativität von der schöpferischen Ressource zum Imperativ der vernetzten
Aufmerksamkeitsökonomie, der Wandel der Wissensgesellschaft hin zu dezentralen
Produktions- und Verbreitungsformen, der Wandel individueller Artikulationsmöglichkeiten
und politischer Partizipationsformen – all dies sind Beispiele für kulturelle, soziale und
politische Transformationen in globalem Maßstab, die weniger "im Internet" als aufgrund der
Durchdringung der privaten und öffentlichen Arenen mit neuen Medien stattfinden.
Medienbildung – oder sollte man angesichts der oft ungenauen Verwendung dieses Begriffs
sagen: Bildung im Horizont von Medialität – bedeutet daher allgemeine, soziale, kulturelle
und politische Bildung.
"Medienbildung" meint also aus dieser Perspektive weniger: Bildung über Medien, sondern
Bildung in, mit und durch Medien.4 Die Durchdringung von Kultur und Medialität, Sozialität
und Medialität, Individualität und Medialität kommt darin zum Ausdruck. Aus demselben
Grund wird einsichtig, dass die Forderung von Hippels und anderer AutorInnen nach
innovativen Formaten in der Erwachsenenbildung diesem Durchdringungsverhältnis sowohl
thematisch als auch didaktisch entsprechend umgesetzt werden muss. Es geht um mehr als
Medienkompetenz, die ja eine Kompetenz über Medien ist und die insofern
6
3 Dies stellt, wie auch in formalen Lernbereichen wie Schule und Universität, erheblich fortgeschrittenere
Anforderungen an Ausbildung und Weiterbildung PädagogInnen, als sie in den heutigen Ausbildungsgängen in
aller Regel realisiert werden.
4 Vgl. Benjamin Jörissen/Winfried Marotzki: Medienbildung - Eine Einführung. Stuttgart: UTB 2009.
gezwungenermaßen Medialität auf Medien als Gegenstände (der Aneignung, des Lernens
etc.) reduziert. Die neuen Formate sollten vielmehr das Thema der Medialität und die
mediatisierungsbedingten Transformationen als transversales, also quer zu den Sparten – in
der allgemeinen, kulturellen, politischen, sozialen Bildung – systematisch kultivieren.
Erst in solcher Perspektive ergibt auch eine mediale Innovation auf Lehr- und
Organisationsebene Sinn. Es geht keineswegs darum, den neuesten Trends hinterherzujagen
(aber eines solchen Innovationsdranges ist unser Bildungssystem generell auch eher
unverdächtig). Es geht auch nicht um Medien- und Technikinnovation als Selbstzweck (wie
es in manchen Forderungen und Ausstattungsinitiativen im Bildungssystem bisweilen den
Anschein hat). Auch eine rein pragmatische Anwendungsperspektive mag zwar hilfreich sein
(wer Texte als pdf verteilt, muss weniger kopieren) – all dies hat jedoch wenig mit dem zu
tun, was es hieße, auf medienstruktureller Ebene die Klientel dort abzuholen, wo sie inmitten
einer Zeit des monumentalen Medienwandels mit unzähligen, und überwiegend sogar noch
unentdeckten Fragen stehen. Gefordert sind medienkulturelle Lernprozesse auf
organisatorischer und praktisch-pädagogischer Ebene, professionelle Phantasie und
Erkundungswille, insbesondere ein medienkulturelles Umdenken der Lehrenden, mit
entsprechenden Konsequenzen für die Aus- und Weiterbildung von
ErwachsenenpädagogInnen.
Was bedeutet dies für die Praxis?
Wie also könnten konkrete Maßnahmen aussehen? Nachfolgend seien einige Beispiele
genannt, die von einem Grundgedanken ausgehen: nämlich dem, die Trennung zwischen
einer "medialen" und einer "nichtmedialen" Sphäre, die im Alltag schon längst nicht mehr gilt
(zumindest aber in generationaler Perspektive), sowohl inhaltlich als auch praktisch nicht
länger künstlich aufrecht zu erhalten.
Auf der Ebene der Programminhalte bedeutet dies, mediale Themen vor dem Hintergrund
gesellschaftlich-kultureller Perspektiven und gesellschaftlich-kulturelle Themen vor dem
Hintergrund medialer Perspektiven zu denken. Klassische, qualifikationsrelevante EDV-
Kurse verlieren nicht an Bedeutung, haben damit aber nichts zu tun. Ein Betriebssystem oder
eine Software bedienen zu lernen ist grundsätzlich nichts anderes als, beispielsweise,
doppelte Buchführung oder die Reparatur von Rasenmähern zu erlernen. Innovative
Angebote befassen sich hingegen beispielsweise mit dem Aufbau personalisierter, vernetzter
Informations- und Lernumgebungen (personal und social learning environments). Dies
berührt Strategien des Aufbaus themenzentrierter sozialer Netzwerke und "Communities of
7
Practice" (online und offline), der eigenen Präsentations- und Kommunikationsformen
(Identitätsmanagement), der Informationressourcen und Informationssuchoptionen im Netz,
der Vermeidung von "Echokammer"-Effekten (Diversitätsmanagement), der verlustsicheren
Verwaltung all dieser Aspekte, des sinnhaltigen Mitteilens und Teilens von Ressourcen, der
Kollaborationstools, möglicherweise auch der Zertifizierbarkeit; es berührt aber auch
reflexive Fragen nach Sinn und Grund solcher de facto-Effizienzsteigerungen des Lernens
(selbstgesteuertes Lernen zwischen persönlicher Entfaltung und neoliberaler
Anpassungsstrategie). Während dies schon ein eigenes Kursformat ist, stellen Teilaspekte der
oben genannten Aufzählung wichtige Elemente aller möglichen Themenformate dar. Im
Töpfer- oder Lyrikkurs schafft der Austausch im Netz – also die soziale Vernetzung mit
ähnlich interessierten Menschen – sowohl eine Dezentrierung (Begegnung mit anderen
Techniken und Ästhetiken) wie auch Nachhaltigkeit über den Kurs hinaus; mit zunehmender
gesellschaftlicher oder gesellschaftspolitischer Relevanz der Themen wird dies zunehmend
evident. Kreative und/oder wissensförmige Artikulationen werden so zu teilöffentlichen
Artikulationen.
Auf der Ebene der Didaktik bietet sich aus denselben Gründen an, mobiles Lernen zu
integrieren, Fähigkeiten der Eigenrecherche anzuregen und zu begleiten, kollaborative Tools
zu verwenden, Prozess- und Ergebnispräsentationen im Netz anzufertigen sowie den Aufbau
von Netzwerken auch innerhalb der eigenen Organisation zu fördern (ich empfehle hierzu
gern, weil dieses Angebot allgemein kaum bekannt ist, die von mir wissenschaftlich
kuratierte gemeinnützige Netzwerkplattform opennetworx.org, die solches für
Bildungsanbieter und NGOs sowohl kostenlos als auch werbefrei möglich macht; es gibt
jedoch auch reichhaltige andere Optionen, die zumeist im Netz frei oder als freie Software
verfügbar sind).
Auf der Ebene der Organisationen wäre über Vernetzungen und gemeinsame Strategien, wie
etwa gemeinsame Ressourcen, nachzudenken. Modelle der Open Online Courses und der
Open Educational Resources sowie des Freigebens von Inhalten per Creative Commons
Lizenz für nichtkommerzielle Zwecke wären sowohl innerhalb bestimmter
Anbieterorganisationen (z.B. VHS), aber auch über die jeweiligen Organisationsgrenzen
hinaus wegweisend.
Es besteht Diskussions- und Handlungsbedarf!
Dies alles kann, wie gesagt, nicht am Reißbrett geplant und umgesetzt werden. Die
erforderlichen Einsichten und Lernprozesse betreffen alle Ebenen – die Organisationsebene,
8
die Ebene professionell-pädagogischen Handels, aber auch die Ebene des Diskurses, der
Forschung (denn wer weiß schon genau, wo Innovationsblockaden liegen und welche
Strategien des Stukturwandels hilfreich sind), und damit auch der gezielten
Forschungsförderung in diesem Bereich. Es bedarf vor allem eines gemeinsamen Diskurses
über die Ebenen hinweg. Dieser Diskurs ist, wie eine Online-Recherche schnell aufzeigt,
ähnlich wie in anderen pädagogischen Bereiche in der Erwachsenenbildung zwar schon
langjährig vorhanden, jedoch kaum auf angemessen breiter Basis geführt. Es wäre zu
wünschen, dass Publikationen wie die hier vorliegende dies zu ändern vermögen.
9

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Unbestellte Bildungsfelder. Wo bleiben die neuen Formate der Erwachsenen- und Weiterbildung? (Preprint)

  • 1. Benjamin Jörissen - benjamin@joerissen.name, http://joerissen.name Unbestellte Bildungsfelder. Wo bleiben die neuen Formate der Erwachsenen- und Weiterbildung? Preprint - cc-by-nd 3.0. Zitierfähige Fassung siehe: Jörissen, Benjamin (2013): „Unbestellte Bildungsfelder – Wo bleiben die neuen Formate der Erwachsenen- und Weiterbildung?“. In: forum erwachsenenbildung 2/2013, S. 16–21. Das Internet ist kein "Mitmachnetz" Traditioneller Weise denken wir über Medien nach, indem wir diese als eine besondere Sorte von Gegenständen betrachten, die Menschen im Alltag begegnen. Diese Perspektive ist nicht nur die unserer alltäglichen Erfahrung, sondern weitestgehend auch der Pädagogik als Profession und Wissenschaft. So hat man, weil Dinge Wirkungen hervorrufen, "die Medien" nach ihrer Wirkung befragt (wenn auch mit ausgesprochen mäßigem Erfolg). Man hat dann eingesehen, dass eine handlungsorientierte Sicht erstens sachgemäßer und zweitens pädagogisch fruchtbarer ist als die bange Frage nach Negativ- und die oft naive nach Positiveffekten. Dieses Handlungsmodell, aus den 1970er Jahren stammend, stellt ein potenziell mündiges Subjekt einer von diesem produktiv zu verarbeitenden Umwelt gegenüber, und als Teil dieser Umwelt bildeten "Medien" einen augenscheinlich besonderen Gegenstandsbereich, der jedoch nicht minder produktiver Verarbeitung – also der Nutzung und Aneignung – offensteht. Wenn im deutschsprachigen Diskurs, durchaus auch auf wissenschaftlicher Ebene, bisweilen vom "Mitmachnetz Web 2.0" die Rede ist, so schwingt eine dieser Perspektive entstammende, etwas anheimelnde Hoffnung auf Umgrenztheit, Fassbarkeit und Handhabbarkeit, vielleicht auch auf so etwas wie souveräne Nutzungshoheit, deutlich mit. Man sollte von solchen verniedlichenden Metaphern Abstand nehmen. Nicht etwa deswegen, weil das Internet viel gefährlicher sei als allgemein wahrgenommen – die international sprichwörtliche "german internetangst" hat in dieser Hinsicht schon die meisten Gefahrenpotenziale recht effizient aufgespürt und ausgeleuchtet. Vielmehr Bedarf es eines angemessenen Verständnisses der Bedeutung des stattfinden globalen medialen Wandels im 1
  • 2. Hinblick auf die mit ihm einerhergenden kulturellen, sozialen, ökonomischen und individuellen Transformationen. Dies gilt nicht nur, aber insbesondere auch hinsichtlich der Frage professionell-pädagogischer Praxis und ihrer Strategien. Dass der Begriff "Medien" im pädagogischen Diskurs all die Jahre hindurch und bis heute keine konsistente theoretische Grundlage gefunden hat, hat der Vorstellung ihrer primären Gegenstands- oder Dinghaftigkeit keinen Abbruch getan. Dass man (auf begrifflicher Ebene) nicht so genau wusste, womit man es eigentlich zu tun hatte, war deshalb kein Problem, weil die Vergegenständlichungen von Medien in Form der zumeist ausschließlich gemeinten technischen Apparaturen fraglos gegeben, und ebenso fraglos Anlass pädagogischer Sorge (Kulturverfall durch Fernsehen, Videos, Computerspiele etc.) und eben auch Hoffnung (emanzipatorisches Radio/Fernsehen, pädagogischer Film, serious games etc.) waren. Die Medien(-dinge) ließen dies zu, denn ihre Erscheinungsformen waren – im Gegensatz zu dem, was wir seit einigen Jahren erleben – relativ konstant und der Zahl nach überschaubar. Wenn auch zunehmend klar wurde, dass Medien gar keine "Gegenstände" sind (denn uns "gegenüber stehen" eben nur Geräte, nicht "das Fernsehen", nicht "das Radio", nicht "das Internet"), hielt und hält sich die Idee, dass ein kompetenter Umgang mit oder eine kompetente Nutzung von "Medien" erreichbar und auch als pädagogisches Ziel hinreichend wäre. Nicht selten wurde in der Praxis diese instrumentalistische Perspektive konsequent verschärft, indem sie weitestgehend, vom e-learning bis zum Computerführerschein, auf technische Aspekte im Umgang mit Mediendingen und -geräten reduziert wurde. Ich möchte die Frage, ob dieser Blick auf Medien jemals adäquat war, hier nicht diskutieren – immerhin war er offenkundig weithin akzeptabel und auch pädagogisch durchaus fruchtbar (was z.B. die Entwicklung und Institutionalisierung der Medienpädagogik betrifft). Spätestens im Hinblick auf das, was wir (immer noch und immer wieder) "neue Medien" nennen, kommen reduktionistische Vorstellungen über Medien an ihre Grenzen. Für die Frage, was die Erwachsenenbildung mit Neuen Medien anfangen kann oder soll – und wenn, aus welchen Gründen, ist es einerseits wesentlich, ein angemessenes Verständnis des Phänomens digital vernetzter Medialität zu entwickeln, und andererseits nötig, dieses Verständnis bildungstheoretisch zu reflektieren. Das Internet ist eine mobil verfügbare Infrastruktur, die getrennte Lebensbereiche zusammenführt und umstrukturiert Wie in wenigen Zeilen erklären, wozu ein Buch nicht ausreicht? (Empfohlen sei bei dieser Gelegenheit das nicht ganz ironiefreie, aber sehr informative Buch "Internet - Segen oder 2
  • 3. Fluch?" von Kathrin Passig und Sascha Lobo.) Beginnen wir mit einem Gedankenexperiment. Man nehme eine beliebige Reihe bekannter Medienphänomene, Internet inklusive, und stelle sich vor, das jeweilige Medienphänomen wäre plötzlich zerstört, inaktiv oder sonstwie nicht zugänglich. Die Effekte eines tage- oder wochenlangen Ausfalls von Printpresse (Druckerstreik), Post (Postarbeiterstreik), Radio und Fernsehen (globale Funkstörung) oder Telefon wären erheblich, aber nicht katastrophal. Eher katastrophal hingegen wäre schon ein kurzer Ausfall des (als ausfallsicher geltenden) Internets, weil damit ein Großteil der kommunikativen, logistischen und ökonomischen Prozesse, die überwiegend auf internetbasiertem Informationsaustausch basieren, blockiert wären. Die von Gunter Dueck (ehemaliger Chief Technology Officer der IBM, nun Autor, Redner und Technologie- Evangelist) in den populären Netzdiskurs hineingetragene Metapher vom "Gesellschaftsbetriebssystem" zielt (wenn auch nicht als ernsthafte soziologische Analyse brauchbar) zu Recht auf Korrektur des allgemein unterschätzten Status digital vernetzter Medialität: Die (von vielen als Zumutung empfundene) Persistenz und Ubiquität des Internets speist sich nicht nur oder nicht primär, wie es bei anderen Medien der Fall ist, aus seinem Freizeit-, Informations- und Unterhaltungswert. Vielmehr basiert seine rhizomartige Ausbreitung auf seiner tieferen, global-ökonomischen und infrastrukturellen Bedeutung. Die damit einhergehende Verlässlichkeit im Hinblick auf seine Funktionalität, vor allem aber auf seine Weiterentwicklung und weitere Verbreitung (sowohl technisch als auch medienkulturell) macht das Internet zu einem vielfältigen ökonomischen Entwicklungsraum, dessen Gewicht sich am Wachstum großer Technologie- und Softwareunternehmen wie Google oder Apple leicht ablesen lässt. In der universalen, weithin (mobil) verfügbaren Infrastruktur des Netzes durchdringen sich ökonomische Räume, Kommunikationsräume, Kulturräume und alltäglichen Lebensräume. Diese Durchdringung von Bereichen, die zuvor eher getrennt waren, erfahren wir heutzutage in der erstaunlichen Zusammenführung von Kommunikation, Spiel, Arbeit, Alltagsorganisation und kreativen Ausdrucksmöglichkeiten auf den winzigen vernetzten Hochleistungscomputern, die wir mit einigem Understatement "Smartphone" bzw. "Smartpad" nennen.1 Nachrichten lesen, im Büro die englische Korrespondenz mithilfe einer Übersetzungs-App erstellen, nach Feierabend noch zwei oder drei (oder auch zehn) 3 1 Die mobilen "Smart Devices" haben das Problem der technischen Medienkompetenz und der Unzugänglichkeit (und oft Unzulänglichkeit) der alten PCs gelöst und zu einer massenweisen Verbreitung der Nutzung digitaler Technologien beigetragen – allein im Jahr 2012 wurden insgesamt über 800 Millionen dieser Geräte weltweit abgesetzt; Tendenz steigend.
  • 4. berufliche Emails schreiben, etwas auf Wikipedia recherchieren, etwas auf Wikipedia ergänzen, ein Spiel spielen, Fotos aufnehmen (vielleicht bearbeiten und mit Bekannten teilen), Musik hören, Musik machen (von der Retro-Drummachine über experimentelle Klangsoftwares bis zur klassischen Synthesizer-Workstation), auf Facebook von jemandem benachrichtigt werden, in einem Bestand von 20 Millionen Büchern eine Volltextsuche durchführen, ein Rezept im persönlichen Online-Archiv nachschlagen, eine Einkaufsliste erstellen, einen Konsumartikel suchen, Testergebnisse recherchieren, Preise vergleichen, kaufen, Kontostand einsehen, ein Video ansehen, Termine verwalten, per Social Messaging App kontaktiert werden, von netzbasierten ToDo-Listen erinnert werden, ein PDF aus dem persönlichen Cloud-Ordner lesen, annotieren und an einen Mitarbeiter versenden, ein Buch lesen und annotieren (die Randbemerkungen auf allen Geräten synchronisiert verfügbar, für alle Zeit gespeichert und durchsuchbar haben), den Buchautoren auf Twitter folgen, ein Bahnticket aktivieren, sich per Navigation zum Konferenzort führen lassen, sich vorher über das Wetter und den Temperaturverlauf des Tages informieren, einen Audioschnitt vom Vortrag anfertigen, etc. – dies alles geschieht in meinem Alltag, zumeist eher unmerklich eingebettet. Und haben Sie bemerkt, dass in der Aufzählung die Suche per Suchmaschine fehlt? Die personalisierte, an unsere Interessen und unseren Standort individuell angepasste Suche mittels eines hochkomplexen Algorithmus in einem Bestand von einer knappen Milliarde Websites ist für uns so selbstverständlich geworden, dass es der Erwähnung kaum mehr wert ist. All dies basiert auf Netztechnologien und -anwendungen, die sich im wesentlichen in den letzten fünf bis zehn Jahren entwickelt haben. Die Aufzählung gibt ein Beispiel für die Verflechtung von mobil vernetzter Digitalität und Alltag, das in privater Hinsicht bereits für viele Menschen typisch sein dürfte (in seinen berufsbezogenen Aspekten wahrscheinlich eher weniger). Betrachtet man die Bandbreite der aufgelisteten Tätigkeiten, so wird deutlich, inwiefern Neue Medien die Selbst- und Weltverhältnisse verändern – was sowohl als Potenzial wie auch als Gegenstand kritischer Reflexion betrachtet werden muss: Das Netz restrukturiert die kulturellen Archive und die Verfasstheit von Wissen, nicht nur hinsichtlich ihrer Zugänglichkeit, sondern auch in ihren Orientierungsfunktionen und in ihren Produktionsformen und Verbreitungsökonomien; es ermöglicht damit andere und neue Formen des Lernens; es restrukturiert individuelle Artikulationsmöglichkeiten in biographischer, kulturell-ästhetischer, politischer und alltäglicher Hinsicht; es restrukturiert Sozialität, indem es als technologischer Katalysator der öffentlichen Sichtbarkeit und 4
  • 5. sozialer Netzwerkbildungen fungiert; es restrukturiert die uns umgebenden Ökonomien. Es restrukturiert nicht zuletzt Subjektivität: Arten und Gebrauchsweisen von Gedächtnis, des Aufbaus von Orientierungswissen im Kontext instantan abrufbarer sozialer Netzwerke (SMS und Instant Messaging) und vorstrukturierter Verweiszusammenhänge (Wikipedia, Verlinkungen, Suchmöglichkeiten, Visualisierungen, Kartierungen), des Selbstverständnisses und der Inszenierung von Identität, der Unterscheidung zwischen privaten und öffentlichen Sphären sowie zwischen Arbeit und Freizeit. Gefordert sind partizipative und erfahrungsorientierte Angebotsformate Der digital vernetzte Alltag geht in vielerlei Hinsicht mit neuen Optionen einher. Zwar dürfte die mediale Durchdringung des Alltags vielen Menschen inzwischen bewusst sein, doch scheint ein tiefergehendes Wissen um Potenziale – jenseits beruflich benötigter EDV- Kenntnisse, die wenig bis nichts mit den hier beschriebenen neuen medialen Welten zu tun haben – auch seitens der Pädagogen eher gering verbreitet zu sein. Aiga von Hippel zeigt in einem aktuellen Beitrag zur – übrigens ziemlich sparsam geführten – Diskussion um Neue Medien in der Erwachsenenbildung auf, dass die pädagogischen Angebote überwiegend immer noch der überkommenen Aufteilung in kritisch-reflexive Medienkunde versus instrumentell-qualifikatorische Mediengestaltung folgen. Zu Recht bezeichnet sie als "innovative Angebote" solche, die Mediengestaltung und Medienkritik verknüpfen.2 Gefordert sind partizipativ orientierte Angebotsformate, die eine Kultivierung des eigenen Verhältnisses zu Medien ermöglichen. Wer über Medien forscht – genauer: nicht nur "über", aus unbeteiligter Vogelperspektive, sondern auch in und mit Medien – weiß, dass die komplexen Architekturen des Internet und ihre Zusammenhänge sich nicht allein theoretisch erschließen. Vieles muss teilnehmend beobachtet oder erkundet werden – dies gilt gleichermaßen für Forschende wie für Lehrende und Lernende. Der Weg geht, wenn auch auf unterschiedlichen Niveaus und mit unterschiedlichen Methoden und Zielsetzungen, über die Erfahrung zur Reflexion. Nötig sind daher Zugänge, die Wege zu explorativem und tentativem Handeln eröffnen (und dabei über die zwei bis drei dominanten und wohlbekannten Webphänomene – Google, Facebook, Wikipedia – deutlich hinauszugehen). Es geht längst nicht mehr nur um die kritische oder kreative "Nutzung" einzelner Medienangebote, sondern um Potenziale umfassender Bildung in medialen Kontexten; letztlich um reflektierte Zugänge zum Leben in digital mediatisierten 5 2 Vgl. Aiga von Hippel: Erwachsenenbildung und Medien. in: R. Tippelt/A. v. Hippel: Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung. Wiesbaden: VS-Verlag 2011, S. 687-706.
  • 6. und vernetzten Welten.3 Hier liegt inzwischen doch auch aus der Alltagsperspektive vieler Menschen – der Erziehenden, der Berufstätigen, der non-formal und informell Lernorientierten, aber auch der Hilfe- und Beratungsbedürftigen – eine spürbare Relevanz und Notwendigkeit der produktiven Auseinandersetzung; entsprechend ist auf dieser Ebene der Bildungsauftrag primär zu verorten (wie auch immer nachgeordnete Ziele aufgeschlüsselt werden). Medienbildung als transversale Bildungsaufgabe in der Erwachsenenbildung Wenn, nach der immer noch aktuellen Forderung Wolfgang Klafkis, Bildung wesentlich in der Auseinandersetzung mit Schlüsselproblemen der eigenen Zeit besteht, so stellen Neue Medien einen integralen Teil allgemeiner Bildung dar. Dies geht, wie auch hier noch einmal betont sei, weit über den Schematismus von Medienkunde und Medienkritik hinaus: Der radikale Wandel von Strukturen öffentlichen Interesses (nämlich des Pressewesens), der Wandel der Privatheit in Richtung "post privacy" und ähnlichen neuen Formen, der Wandel der Kreativität von der schöpferischen Ressource zum Imperativ der vernetzten Aufmerksamkeitsökonomie, der Wandel der Wissensgesellschaft hin zu dezentralen Produktions- und Verbreitungsformen, der Wandel individueller Artikulationsmöglichkeiten und politischer Partizipationsformen – all dies sind Beispiele für kulturelle, soziale und politische Transformationen in globalem Maßstab, die weniger "im Internet" als aufgrund der Durchdringung der privaten und öffentlichen Arenen mit neuen Medien stattfinden. Medienbildung – oder sollte man angesichts der oft ungenauen Verwendung dieses Begriffs sagen: Bildung im Horizont von Medialität – bedeutet daher allgemeine, soziale, kulturelle und politische Bildung. "Medienbildung" meint also aus dieser Perspektive weniger: Bildung über Medien, sondern Bildung in, mit und durch Medien.4 Die Durchdringung von Kultur und Medialität, Sozialität und Medialität, Individualität und Medialität kommt darin zum Ausdruck. Aus demselben Grund wird einsichtig, dass die Forderung von Hippels und anderer AutorInnen nach innovativen Formaten in der Erwachsenenbildung diesem Durchdringungsverhältnis sowohl thematisch als auch didaktisch entsprechend umgesetzt werden muss. Es geht um mehr als Medienkompetenz, die ja eine Kompetenz über Medien ist und die insofern 6 3 Dies stellt, wie auch in formalen Lernbereichen wie Schule und Universität, erheblich fortgeschrittenere Anforderungen an Ausbildung und Weiterbildung PädagogInnen, als sie in den heutigen Ausbildungsgängen in aller Regel realisiert werden. 4 Vgl. Benjamin Jörissen/Winfried Marotzki: Medienbildung - Eine Einführung. Stuttgart: UTB 2009.
  • 7. gezwungenermaßen Medialität auf Medien als Gegenstände (der Aneignung, des Lernens etc.) reduziert. Die neuen Formate sollten vielmehr das Thema der Medialität und die mediatisierungsbedingten Transformationen als transversales, also quer zu den Sparten – in der allgemeinen, kulturellen, politischen, sozialen Bildung – systematisch kultivieren. Erst in solcher Perspektive ergibt auch eine mediale Innovation auf Lehr- und Organisationsebene Sinn. Es geht keineswegs darum, den neuesten Trends hinterherzujagen (aber eines solchen Innovationsdranges ist unser Bildungssystem generell auch eher unverdächtig). Es geht auch nicht um Medien- und Technikinnovation als Selbstzweck (wie es in manchen Forderungen und Ausstattungsinitiativen im Bildungssystem bisweilen den Anschein hat). Auch eine rein pragmatische Anwendungsperspektive mag zwar hilfreich sein (wer Texte als pdf verteilt, muss weniger kopieren) – all dies hat jedoch wenig mit dem zu tun, was es hieße, auf medienstruktureller Ebene die Klientel dort abzuholen, wo sie inmitten einer Zeit des monumentalen Medienwandels mit unzähligen, und überwiegend sogar noch unentdeckten Fragen stehen. Gefordert sind medienkulturelle Lernprozesse auf organisatorischer und praktisch-pädagogischer Ebene, professionelle Phantasie und Erkundungswille, insbesondere ein medienkulturelles Umdenken der Lehrenden, mit entsprechenden Konsequenzen für die Aus- und Weiterbildung von ErwachsenenpädagogInnen. Was bedeutet dies für die Praxis? Wie also könnten konkrete Maßnahmen aussehen? Nachfolgend seien einige Beispiele genannt, die von einem Grundgedanken ausgehen: nämlich dem, die Trennung zwischen einer "medialen" und einer "nichtmedialen" Sphäre, die im Alltag schon längst nicht mehr gilt (zumindest aber in generationaler Perspektive), sowohl inhaltlich als auch praktisch nicht länger künstlich aufrecht zu erhalten. Auf der Ebene der Programminhalte bedeutet dies, mediale Themen vor dem Hintergrund gesellschaftlich-kultureller Perspektiven und gesellschaftlich-kulturelle Themen vor dem Hintergrund medialer Perspektiven zu denken. Klassische, qualifikationsrelevante EDV- Kurse verlieren nicht an Bedeutung, haben damit aber nichts zu tun. Ein Betriebssystem oder eine Software bedienen zu lernen ist grundsätzlich nichts anderes als, beispielsweise, doppelte Buchführung oder die Reparatur von Rasenmähern zu erlernen. Innovative Angebote befassen sich hingegen beispielsweise mit dem Aufbau personalisierter, vernetzter Informations- und Lernumgebungen (personal und social learning environments). Dies berührt Strategien des Aufbaus themenzentrierter sozialer Netzwerke und "Communities of 7
  • 8. Practice" (online und offline), der eigenen Präsentations- und Kommunikationsformen (Identitätsmanagement), der Informationressourcen und Informationssuchoptionen im Netz, der Vermeidung von "Echokammer"-Effekten (Diversitätsmanagement), der verlustsicheren Verwaltung all dieser Aspekte, des sinnhaltigen Mitteilens und Teilens von Ressourcen, der Kollaborationstools, möglicherweise auch der Zertifizierbarkeit; es berührt aber auch reflexive Fragen nach Sinn und Grund solcher de facto-Effizienzsteigerungen des Lernens (selbstgesteuertes Lernen zwischen persönlicher Entfaltung und neoliberaler Anpassungsstrategie). Während dies schon ein eigenes Kursformat ist, stellen Teilaspekte der oben genannten Aufzählung wichtige Elemente aller möglichen Themenformate dar. Im Töpfer- oder Lyrikkurs schafft der Austausch im Netz – also die soziale Vernetzung mit ähnlich interessierten Menschen – sowohl eine Dezentrierung (Begegnung mit anderen Techniken und Ästhetiken) wie auch Nachhaltigkeit über den Kurs hinaus; mit zunehmender gesellschaftlicher oder gesellschaftspolitischer Relevanz der Themen wird dies zunehmend evident. Kreative und/oder wissensförmige Artikulationen werden so zu teilöffentlichen Artikulationen. Auf der Ebene der Didaktik bietet sich aus denselben Gründen an, mobiles Lernen zu integrieren, Fähigkeiten der Eigenrecherche anzuregen und zu begleiten, kollaborative Tools zu verwenden, Prozess- und Ergebnispräsentationen im Netz anzufertigen sowie den Aufbau von Netzwerken auch innerhalb der eigenen Organisation zu fördern (ich empfehle hierzu gern, weil dieses Angebot allgemein kaum bekannt ist, die von mir wissenschaftlich kuratierte gemeinnützige Netzwerkplattform opennetworx.org, die solches für Bildungsanbieter und NGOs sowohl kostenlos als auch werbefrei möglich macht; es gibt jedoch auch reichhaltige andere Optionen, die zumeist im Netz frei oder als freie Software verfügbar sind). Auf der Ebene der Organisationen wäre über Vernetzungen und gemeinsame Strategien, wie etwa gemeinsame Ressourcen, nachzudenken. Modelle der Open Online Courses und der Open Educational Resources sowie des Freigebens von Inhalten per Creative Commons Lizenz für nichtkommerzielle Zwecke wären sowohl innerhalb bestimmter Anbieterorganisationen (z.B. VHS), aber auch über die jeweiligen Organisationsgrenzen hinaus wegweisend. Es besteht Diskussions- und Handlungsbedarf! Dies alles kann, wie gesagt, nicht am Reißbrett geplant und umgesetzt werden. Die erforderlichen Einsichten und Lernprozesse betreffen alle Ebenen – die Organisationsebene, 8
  • 9. die Ebene professionell-pädagogischen Handels, aber auch die Ebene des Diskurses, der Forschung (denn wer weiß schon genau, wo Innovationsblockaden liegen und welche Strategien des Stukturwandels hilfreich sind), und damit auch der gezielten Forschungsförderung in diesem Bereich. Es bedarf vor allem eines gemeinsamen Diskurses über die Ebenen hinweg. Dieser Diskurs ist, wie eine Online-Recherche schnell aufzeigt, ähnlich wie in anderen pädagogischen Bereiche in der Erwachsenenbildung zwar schon langjährig vorhanden, jedoch kaum auf angemessen breiter Basis geführt. Es wäre zu wünschen, dass Publikationen wie die hier vorliegende dies zu ändern vermögen. 9