3. Rote Reihe
Tabakprävention und Tabakkontrolle
Band 14
Schutz der Familie vor Tabakrauch
Autorinnen und Autoren In Zusammenarbeit mit
Dipl. Biol. Sarah Kahnert Uwe Kamp,
Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
Dr. Katrin Schaller
Prof. Dr. Berthold Koletzko,
Ute Mons, M. A. Stiftung Kindergesundheit
Dipl. Vw. Florian Gleich Prof. Dr. Dr. Heinz Walter Thielmann,
Mitglied der Senatskommission der
Nick K. Schneider Deutschen Forschungsgemeinschaft
zur Prüfung gesundheitsschädlicher
Dr. Martina Pötschke-Langer Arbeitsstoffe
Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg
6. Vorwort
„Aller Aufwand für Kinder ist nicht nur eine Investition
in die Zukunft unserer Gesellschaft, sondern auch und vor allem in
Glück und Lebenssinn und in eine gute Zukunft unseres Landes.“
Bundespräsident Horst Köhler, 2006
Kinder – insbesondere Kleinkinder – sind auf den Schutz durch Erwachsene ange-
wiesen. Deutschland als Vertragspartei der UN-Kinderrechtskonvention vom
20.11.1998 versichert Kindern das Recht auf das höchste erreichbare Maß an Ge-
sundheit und hat sich dazu verpflichtet, Kinder vor jeder Form der Schadenszufü-
gung zu schützen. Dazu gehört auch das gesundheitsschädliche Passivrauchen.
Aber immer noch müssen in Deutschland rund 20 Prozent der Kleinkinder zu Hause
Tabakrauch einatmen.
Kinder werden zum Teil sogar schon vor ihrer Geburt nachhaltig geschädigt, wenn
die Mutter während der Schwangerschaft raucht: Raucherinnen erleiden häufiger
als Nichtraucherinnen Früh- und Totgeburten und ihre Säuglinge sind bei der Ge-
burt kleiner, haben einen kleineren Kopfumfang und ein erhöhtes Risiko, am plötz-
lichen Kindstod zu sterben. Passivrauchende Kinder sind, da der Tabakrauch die
Entwicklung ihrer Lunge beeinträchtigt, anfälliger gegenüber Atemwegsbeschwer-
den, Atemwegsinfektionen und Asthma und möglicherweise haben sie sogar ein
erhöhtes Risiko, an Krebs zu erkranken.
Der vorliegende Report gibt einen umfassenden Überblick über das Ausmaß der
passiven Tabakrauchbelastung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen so-
wie über die Gesundheitsgefahren des Passivrauchens. Er zeigt auf, wo in Deutsch-
land noch Handlungsbedarf besteht und welche wirksamen Maßnahmen Verbesse-
rungen bringen könnten. Dazu gehört in erster Linie die Förderung des Nichtrauchens,
denn Kinder sind in nichtrauchenden Familien am besten vor Tabakrauch geschützt.
Als weitere Maßnahmen wäre es wichtig, Räume, die von Kindern genutzt werden,
konsequent rauchfrei zu machen. Dies betrifft vor allem alle öffentlichen, von Kin-
dern genutzten Bereiche einschließlich der Kindertagespflege und Freizeiteinrich-
tungen wie Spielplätze sowie die Gastronomie, in der noch viele Ausnahmerege-
lungen vom Nichtraucherschutz gelten. Ein Handlungsbedarf besteht aber auch für
Maßnahmen im privaten Raum, also in Wohnungen und im Privat-PKW.
Am wirksamsten wäre es, für den öffentlichen Raum eine bundeseinheitliche Rege-
lung anzustreben. Zumindest aber müssten die bestehenden Landesnichtraucher-
schutzgesetze dahingehend nachgebessert werden, dass die von Kindern genutz-
ten Räume und Bereiche ausnahmslos rauchfrei werden.
Prof. Dr. Otmar D. Wiestler
Wissenschaftlicher Stiftungsvorstand und Vorstandsvorsitzender
des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg, im Mai 2010
4 | Vorwort
7. 1 Tabakrauch in Innenräumen –
ein vermeidbares Gesundheits-
risiko für die Familie
Kernaussagen
Tabakrauch enthält mehr als 4 800 verschiedene Substanzen, von denen
mindestens 250 toxisch sind und deswegen eine gesundheitsschädliche
Wirkung besitzen.
90 Inhaltsstoffe des Tabakrauchs wurden bisher als krebserzeugend oder
möglicherweise krebserzeugend eingestuft.
Tabakrauch ist ein sehr komplexes und dynamisches Gemisch aus Partikeln
und Gasen, das seine Eigenschaften und seine Konzentration in Abhängig
keit von den Umgebungsbedingungen und von der Zeit ändert.
Der Tabakrauch in der Raumluft besteht zu 85 Prozent aus Nebenstrom
rauch, der hauptsächlich zwischen den Zugphasen der Zigarette entweicht,
und zu 15 Prozent aus Hauptstromrauch, der vom Raucher nach dem Ziehen
an der Zigarette ausgeatmet wird.
Weil Nebenstromrauch bei niedrigeren Temperaturen durch zum Teil unvoll
ständige Verbrennungsprozesse entsteht, enthält er unverdünnt einige der
gesundheitsschädlichen Substanzen in höherer Konzentration, so dass er
giftiger als der Hauptstromrauch ist.
Die Toxizität des Tabakrauchs nimmt mit der Zeit zu, da sich die Konzentra
tion mancher der Kanzerogene und Gifte im Laufe der Zeit durch weitere
chemische Reaktionen erhöht und andere zusätzlich entstehen.
Tabakrauch (Second Hand Smoke) ist In diesem Bericht wird dargelegt, dass
mit Abstand der gefährlichste, leicht ver- Passivrauchen frühzeitige Sterblichkeit
meidbare Innenraumschadstoff. Er ist verursacht. Es erhöht das Lungenkrebs-
ein komplexes Gemisch aus zahlreichen risiko um 20 bis 30 Prozent und das Risi-
Substanzen, die beim Verbrennen des ko für Herz-Kreislauferkrankungen um
Tabaks entstehen. Das Einatmen von 25 bis 30 Prozent (siehe Kap. 3, Seite
T
abakrauch aus der umgebenden Luft 29 f f). Der Report stellt außerdem her-
wird als Passivrauchen bezeichnet aus, dass Kinder, die Tabakrauch ausge-
(Abb. 1). setzt sind, ein erhöhtes Risiko für den
Eine derzeit aktuelle und umfassende plötzlichen Kindstod (sudden infant
Zusammenfassung über die schädlichen death syndrome, SIDS), akute Atem-
Wirkungen des Passivrauchens stellt der wegsinfektionen, Mittelohrentzündun-
Report des Surgeon General dar, des gen und schweres Asthma besitzen318 .
Leiters des United States Public Health Außerdem wird in dem Bericht darge-
Service, aus dem Jahr 2006 mit dem legt, dass für die abakrauchbelastung
T
T
itel The Health Consequences of Invo kein Grenzwert angegeben werden kann,
luntary Exposure to Tobacco Smoke 318 . unterhalb dessen kein gesundheits-
Tabakrauch in Innenräumen – ein vermeidbares Gesundheitsrisiko für die Familie | 5
8. Nikotin Kanzerogene Kohlenmonoxid
(u.a. PAK, N-Nitrosamine,
Aromatische Amine)
Lungengängige Andere Gifte
Partikel
Tabakrauch
(durch Raucher ausgeatmeter Hauptstromrauch sowie Nebenstromrauch)
Gasphase & Partikelphase
Aufnahme aus Ablagerung
der umgebenden auf Oberflächen
Luft beim Atmen (Raum, Kleidung, Haut)
(Passivrauchen)
Chemische Reaktionen der
Tabakrauchkomponenten
mit Stoffen in der Umgebung
Abgabe an
die Umgebung
Abbildung 1:
Gesundheitsgefährdung Gesundheits-
durch Tabakrauch. gefährdung
Darstellung: Deutsches
Krebsforschungszentrum, Aufnahme über
Lunge und Haut
Stabsstelle Krebspräven
PAK = Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe
tion, 2010.
schädliches Risiko besteht 318 . Ebenfalls ist, im egensatz zu den Kanzerogenen
G
im Jahr 2006 wurde Tabakrauch in der (krebs rzeugende Substanzen), für die
e
Raumluft vom kalifornischen Ausschuss keine unschädliche Menge angegeben
für Luftqualität (California Air Resources werden kann, abhängig von der Konzen-
Board, CARB) aufgrund der wissen- tration. Von einem eigentlichen Gift
schaftlichen Belege für die Gesundheits- spricht man nur, wenn Substanzen auch
gefährdung durch Passivrauchen als to- in sehr geringen Mengen giftig sind, also
xischer Luftschadstoff eingestuft 40. im ereich von Milligramm-Mengen. Die
B
Giftwirkung tritt üblicherweise nach Ver
1.1 Zusammensetzung von schlucken, Einatmen oder nach Aufnah-
Tabakrauch me über die Haut ein.
Tabakrauch enthält neben dem abhängig
In frischem Tabakrauch wurden bisher machenden Nikotin auch Kohlendioxid,
über 4 8 00 verschiedene Substanzen Kohlenmonoxid und eine Vielzahl von
identifiziert13,116, von denen mindestens Kanzerogenen, wie Benzol, 1,3-Butadien,
250 toxisch beziehungsweise giftig Benzo[a]pyren und 4-(Methylnitrosami
sind82. Als giftig werden Substanzen be- no)-1-(3-pyridyl)-1-butanon (NNK), so-
zeichnet, die eine schädliche Wirkung wie viele andere Gifte, die beim Ein
auf Lebewesen besitzen. Die Giftigkeit atmen aufgenommen werden (Abb. 2).
6 | Tabakrauch in Innenräumen – ein vermeidbares Gesundheitsrisiko für die Familie
9. F+ Xn
Acetaldehyd T Acrylnitril F
T N
Ammoniak
Zwischenprodukt Produktion von
bei organischen Synthesen Acrylfasern C
In Xi
K N
Krebserzeugend; reizt Augen & Atemtrakt; & Plastik Putzmitteln
K stört die Selbstreinigung der Krebserzeugend;
Reizt schon in geringer Konzentration
Lunge durch Lähmung der reizt Schleimhäute & Augen; verursacht
die Augen & Atemwege; erhöht das
Flimmerhärchen Kopfschmerzen, Schwindel & Übelkeit
Suchtpotential von Zigaretten
Aromatische T Arsen N
Benzol
Amine z.B. Anilin K T
T
In Rattengift Antiklopfmittel
Ausgangsprodukte
Krebserzeugend; Inhalation in Benzin
bei Herstellung von K
F
K Kunst- & Farbstoffen der Dämpfe verursacht Krebserzeugend (Leukämie);
Schleimhautreizung; giftig erbgutschädigend
Giftig; Krebserzeugend
N
(in Harnblase, Milz und
1,3-Butadien
F+
Bauchhöhle); erbgut- N
Blei
schädigend In Batterien Grundstoff für Autoreifen;
T
T Krebserzeugend; erbgut- in Autoabgasen
F+ Blausäure T+
schädigend; bei langfristiger Krebserzeugend;
Schädlingsbe-
Belastung Schäden an Gehirn, erbgutschädigend;
K
kämpfung K
Nieren, Nervensystem & an reizt Augen & Atemwege
Giftig beim Einatmen; verursacht
den roten Blutkörperchen
Kopfschmerzen, Schwindel & Erbrechen
N
T+ Cadmium K
Formaldehyd Hydrazin
Xn K N
In Batterien
T
Konservierungs- & Raketen- T
Desinfektionsmittel treibstoff Hydrochinon
Krebserzeugend; erbgut-
N
Krebserzeugend; giftig; Entwickler in der
schädigend; giftig; K
erbgutschädigend; Krebserzeugend; K
Fotografie
Schädigung der Nieren
reizt Augen & Atemwege giftig
Krebserzeugend;
erbgutschädigend
F+ T
Kohlenmonoxid Xn
Nickel & Nickelverbindungen schädigt Bindehaut &
In Autoabgasen Hornhaut des Auges
In Batterien & Metall-Legierungen
K
Blockiert den Sauerstofftransport im Blut; Krebserzeugend; reizt Atemwege;
kann Blutgefäße schädigen verursacht Lungenentzündung; giftig
Nitromethan
T Treibstoff für
Phenol Polonium-210 Rennmotoren
K
N-Nitrosamine
Unkraut- Krebserzeugend
in gebrauchten K
Alpha-Strahler
vernichtungsmittel
Motorenölen, Xn K
Xn
in Gummi Krebserzeugend; giftig; Abbildung 2:
K
Stark radiotoxisch;
C
reizt Haut, Augen Ausgewählte gesundheits-
Krebserzeugend krebserzeugend
& Schleimhäute
gefährdende Substanzen
F
im Tabakrauch, ihre
Polyzyklische aromatische K Xn
Toluol
Styrol gewöhnliche Verwendung
Kohlenwasserstoffe (PAK)
Xn z.B. Naphthalin Zusatz in Benzin, Xn und Auswirkungen auf
In der Herstellung von Lösungsmittel die Gesundheit. Quelle:
In Verbrennungsabgasen,
Kunststoffen & -harzen
Erdöl & Bitumen Reizt obere Atemwege & Augen; Deutsches Krebsfor-
K Krebserzeugend; Störungen des
krebserzeugend;
Krebserzeugend; Zentralnervensystems, Kopfschmerzen, führt zu Heiserkeit, Übelkeit, Schwindel schungszentrum 2009 66.
erbgutschädigend
Dämpfe reizen Augen & Atemwege Erschöpfungszustände & Depressionen Kopfschmerzen & Schlafstörungen
Überarbeitung: Deutsches
C F F+ Xn Xi T T+ K N
Krebsforschungszentrum,
Stabsstelle Krebspräven
Leicht- Hoch- Gesundheits- Krebs- Umwelt- Radioaktives
Ätzend Reizend Giftig Sehr giftig
entzündlich entzündlich schädlich erzeugend gefährlich Element
tion, 2010.
Tabakrauch in Innenräumen – ein vermeidbares Gesundheitsrisiko für die Familie | 7
10. Chemische Verbindungen, die stark (IARC) beziehungsweise der Deutschen
krebserzeugend sind, wie die polyzykli- F
orschungsgemeinschaft (DFG) als
schen aromatischen Kohlenwasserstof- krebserzeugend oder möglicherweise
fe (PAK), Nitrosamine und aromatischen k
rebserzeugend eingestuft (Abb. 3).
Amine, sind in Mengen von 1 bis 200 U
nverbrannter Tabak enthält wesentlich
N
anogramm pro Zigarette enthalten. weniger Kanzerogene als Tabakrauch,
Verbindungen mit schwächerer kan e o
z r weil die meisten dieser Verbindungen
gener Wirkung machen meist einen we- erst während des Verbrennungsprozes-
sentlich größeren Anteil aus, so dass die ses entstehen. Die tabakspezifischen
Gesamtmenge der Kanzerogene im Ta- N
itrosamine 4-(Methylnitrosamino)-1-
bakrauch einer Zigarette zusammenge- (3-pyridyl)-1-butanon (NNK) und
rechnet ein bis drei Milligramm be- N-Nitro
sonornicotin (NNN), die zu den
trägt109. Bisher wurden 90 Inhalts toffe
s stärksten Kanzerogenen gehören, sind
des Tabakrauchs von der International jedoch auch in unverbranntem Tabak
Agency for Research on Cancer enthalten109.
Abbildung 3 (Seite gegenüber):
Liste der 90 im Tabakrauch enthaltenen Kanzerogene, die bisher von der International
Agency for Research on Cancer (IARC) oder der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)
als krebserzeugend oder möglicherweise krebserzeugend klassifiziert wurden. Einstufung
der Stoffe als krebserzeugend durch die IARC entsprechend der jeweiligen Datenlage:
Gruppe 1: krebserzeugend für den Menschen; Gruppe 2A: wahrscheinlich krebserzeugend
für den Menschen; Gruppe 2B: möglicherweise krebserzeugend für den Menschen. Stoffe,
die von der MAK-Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft als krebserzeugend
eingestuft wurden, tragen deren Einstufungskennzeichnung: Kategorie 1: „Stoffe, die beim
Menschen Krebs erzeugen und bei denen davon auszugehen ist, dass sie einen nennenswer-
ten Beitrag zum Krebsrisiko leisten.“; Kategorie 2: „Stoffe, die als krebserzeugend für den
Menschen anzusehen sind [...].“; Kategorie 3: „Stoffe, die wegen erwiesener oder möglicher
krebserzeugender Wirkung Anlass zur Besorgnis geben, aber aufgrund unzureichender
Informationen nicht endgültig beurteilt werden können. Die Einstufung ist vorläufig.“;
Kategorie 3A: „Stoffe, bei denen die Voraussetzungen erfüllt wären, sie der Kategorie 4 oder
5 zuzuordnen. Für die Stoffe liegen jedoch keine hinreichenden Informationen vor, um einen
MAK- oder BAT-Wert abzuleiten.“ Kategorie 3B: „Aus In-vitro- oder aus Tierversuchen liegen
Anhaltspunkte für eine krebserzeugende Wirkung vor […].“ Quelle: Deutsches Krebsfor-
schungszentrum 2009 64. Überarbeitung: Deutsches Krebsforschungszentrum, Stabsstelle
Krebspräven ion, 2010.
t
8 | Tabakrauch in Innenräumen – ein vermeidbares Gesundheitsrisiko für die Familie
12. Darüber hinaus sind auch viele Stoffe, als Aromastoffe enthalten sein. Andere
die den Tabakprodukten beim Herstel- Zusatzstoffe dienen dazu, die Brennei-
lungsprozess zugesetzt werden, gesund- genschaften der Zigarette zu optimieren
heitsgefährdend. Diese Zusatzstoffe die- oder den Tabak länger feucht zu halten.
nen hauptsächlich dazu, den Geruch und Die meisten der zugelassenen Zusatz-
den Geschmack sowie die Inhalation für stoffe von Tabakprodukten sind zwar
den Raucher so angenehm wie möglich auch in Lebensmitteln erlaubt, aus ihnen
zu gestalten (Abb. 4). So wird beispiels- werden jedoch beim Verbrennungspro-
weise nicht nur Mentholzigaretten son- zess neue Stoffe gebildet, die hochgiftig
dern in geringer Menge auch dem Tabak sein können. Aus Menthol können bei-
fast aller Zigarettensorten Menthol zu- spielsweise die krebserzeugenden Sub-
gesetzt, da es eine generelle kühlende stanzen Benzol, Phenol und Benzo[a]py-
sowie leicht betäubende Wirkung be- ren enstehen259. Die Verwendung von
sitzt 3,56. Auch können in Tabakprodukten Zusatzstoffen macht ein ohnehin schon
Zucker sowie Lakritze, Honig oder Kakao gefährliches Produkt noch gefährlicher.
Zum Kleben von Mundstücken Für Tabak
Stoffe für Heißschmelzstoffe: Paraffine, hydriertes Polycyclo- Chemisch undefinierte Gemische:
pentadienharz, Styrol-Misch- & Pfropfpolymerisate, mikrokristalline frische & getrocknete Früchte, Fruchtsaft/-sirup,
Wachse 2,6-Di-tert-butyl-4-methylphenol u.a.m. Süßholz, Lakritze, Ahornsirup, Melasse, Gewürze,
Honig, Wein, Likörwein, Spirituosen, Kaffee, Tee,
Kakao, Dextrine, Zuckerarten, Stärke u.a.m.
Für Zigarettenfilter Feuchthaltemittel:
Glycerinacetat, Polyvinylacetat, Triethylenglykoldiacetat u.a.m. Glycerin, hydrierter Glucosesirup, hydrierte Saccharide,
1,2-Propylenglykol, 1,3-Butylenglykol, Triethylenglykol,
Orthophosphorsäure, Glycerin-Phosphorsäure sowie
deren Natrium-, Kalium- & Magnesiumsalze u.a.m.
Filter-
belag Filter Zigarettenpapie
r
Tabak
Abbildung 4:
Für Mundstücke & Zigarettenpapier
Zusatzstoffe in Tabakpro- Klebe-, Haft- & Verdickungsmittel:
Farbstoffe: Brilliantschwarz, Cochenillerot, Echtrot, Indigotin Gelatine, Schellack, Collodium, Celluloseacetat,
dukten. Quelle: Bundesmi- sowie Chromkomplexe zweier Azo-Verbindungen u.a.m. Ethyl- & Methylcellulose, Carboxymethylcellulose,
nisterium für Jugend, Carboxymethylstärke, Gummi arabicum, Agar-Agar,
Weichmacher für Farben & Lacke: Glycerinacetate
Familie und Gesundheit Alginsäure & Alginate, Tragant, Johannisbrotkernmehl,
Stoffe für Aufdrucke: Anthrachinonblau, Schwarz 7984, Guarkernmehl, Polyvinylacetat, Polyvinylalkohol u.a.m.
1977328. Darstellung: dünn- & dickflüssiges Paraffin, Lein- & Heizöl, Phenol-Formaldehyd-
Deutsches Krebsfor- modifiziertes Kolophonium, mit Acrylsäure modifiziertes Kolophonium, Weißbrand- & Flottbrandmittel:
Kondensationsprodukte von Phenolen mit Formaldehyd, Salze & Aluminiumhydroxid, -sulfat & -oxid, Magnesiumoxid,
schungszentrum, Stabsstel- Talkum, Titanoxid, Alkalisalze der Salpetersäure u.a.m.
Oxide des Cobalts, Salze der 2-Ethylhexansäure u.a.m.
le Krebsprävention, 2009 66.
Tabakrauch ist ein komplexes Gemisch ein sehr dynamisches Gemisch, das
von Partikeln und Gasen, die durch die s
eine Eigenschaften und seine Konzen
Verbrennung des Tabaks und bei Ziga- tration mit der Zeit verändert. Die Rauch-
retten auch des Papiers sowie der Zu- partikel ändern ihre Größe und Zusam-
satzstoffe bei hohen Temperaturen mensetzung, gasförmige Komponenten
e
ntstehen318 . Neben Verbrennungspro- verflüchtigen sich und der Feuchtigkeits-
zessen finden sich überlagernde Pyro gehalt ändert sich. Die gasförmigen Ele-
lyse-, yrosynthese-, Destillations-, Sub
P mente adsorbieren an Materialien, und
limations- und Kondensationsprozesse der Partikelgehalt nimmt nicht nur durch
statt 29. Seine komplexe Zusammenset- die Verdünnung mit der umgebenden
zung verändert sich während seiner Ver- Luft ab, sondern auch durch die Anhef-
dünnung und seiner Verteilung in der tung an Oberflächen in Räumen sowie
Luft in Abhängigkeit von den Bedingun- dadurch, dass die Partikel von anwesen-
gen sowie mit der Zeit. So ist Tabakrauch den Menschen eingeatmet oder ver-
10 | Tabakrauch in Innenräumen – ein vermeidbares Gesundheitsrisiko für die Familie
13. schluckt werden. Aufgrund dieser dyna- durch die glimmende Zigarette oder ein
mischen Natur des Tabakrauchs ist eine anderes Tabakprodukt freigesetzt wird.
exakte quantitative Definition seiner Während der Hauptstromrauch etwa 15
Z
usammensetzung nicht möglich318 . Die Prozent des Tabakrauchs ausmacht 82
Konzentrationen von Partikeln, die mit und am Mundende der Zigarette wäh-
der Atemluft aufgenommen werden, rend des Ziehens sowie beim Ausstoßen
können in geschlossenen Räumen ex der Luft durch den Raucher entsteht, ist
trem hoch sein. Die Zusammensetzung der Nebenstromrauch mit einem Anteil
des Tabakrauchs, der beim aktiven und von 85 Prozent 82 der gesamte, durch eine
passiven Rauchen eingeatmet wird, ist Zigarette erzeugte Rauch. Den Hauptan-
unterschiedlich und von den Rauchge- teil am Nebenstromrauch, etwa 95 Pro-
wohnheiten der Raucher sowie von den zent, macht der Rauch aus, der in den
Inhaltsstoffen der Zigaretten bezie- Phasen entsteht, während derer nicht an
hungsweise anderer Tabakprodukte ab- der Zigarette gezogen wird und in denen
hängig. Tabakrauch, der durch das Rau- die Zigarette lediglich glimmt, und der
chen von Zigaretten entsteht, wurde aufgrund der Auftriebskraft nach oben
bisher am besten untersucht126. steigt. Ein geringer Anteil entweicht
auch beim Glimmen am Mundende der
1.2 Hauptstromrauch und Zigarette und ein weiterer kleiner Anteil
Nebenstromrauch der Gase diffundiert während beider
Phasen aus dem Tabakstrang heraus14
Tabakrauch besteht aus einem durch die (Abb. 5).
umgebende Luft verdünnten Gemisch Hauptstromrauch enthält etwa 1∙1010
von Hauptstromrauch, den der Raucher k
ugelförmige Partikel pro Kubikzentime-
ausatmet, und Nebenstromrauch, der ter, die einen mittleren Durchmesser von
Hauptstromrauch
Abbildung 5:
Hauptstromrauch und
Nebenstromrauch. Der
Hauptstromrauch entsteht
Zugphase ~ 920°C beim Ziehen an der Zigaret-
te (Zugphase) und dem
Ausstoßen der Luft durch
den Raucher. Nebenstrom-
rauch entsteht hauptsäch-
Nebenstromrauch lich in der Glimmphase,
während der nicht an der
Zigarette gezogen wird. Im
Zentrum der Glühzone
herrschen während der
beiden Phasen unterschied-
liche Temperaturen.
Darstellung: Deutsches
Glimmphase
~ 600°C ~ 800°C Krebsforschungszentrum,
Stabsstelle Krebs
-
p
räven ion, 2010.
t
Tabakrauch in Innenräumen – ein vermeidbares Gesundheitsrisiko für die Familie | 11
14. 0,2 Mikrometern besitzen. Durch die sowie flüchtige Schwefelverbindungen
schnelle Zusammenlagerung der Parti- (<1 Prozent) in Gasform enthalten. Die
kel steigt ihre durchschnittliche Größe Hauptverbindungen in der Partikelphase
jedoch sehr schnell an. Schon nach fünf sind Nikotin (0,2 bis 0,6 Prozent des Ge-
Sekunden beträgt der mittlere Durch- wichtes des gesamten Hauptstrom-
messer 0,68 Mikrometer und die Anzahl rauchs), weitere Nicotiana-Alkaloide
der Partikel hat sich auf 3∙10 8 verrin- (~0,02 Prozent des Gewichtes des ge-
gert29. Auch durch die Absorption von samten Hauptstromrauchs) sowie für
Wasser in feuchter Umgebung steigt die Sola aceen (Nachtschattengewächse)
n
mittlere Größe der Partikel an. Die Inter- spezifische Verbindungen wie n-Hentria-
national Agency for Research on Cancer contan und Solanesol (0,1 bis 0,2 Pro-
gibt einen mittleren Durchmesser von zent). Außerdem enthält die Partikel
0,35 bis 0,4 Mikrometern der Partikel des phase Catechole (~1 Prozent), nichtkan-
Hauptstromrauches an126. zerogene aromatische Kohlenwasser-
Die Gasphase macht 90 bis 96 Prozent stoffe (~0,0003 bis 0,007 Prozent = 3 bis
des Gewichts des Hauptstromrauches 7 ppm [parts per million]) sowie krebs
einer Zigarette aus. In ihr sind haupt- erzeugende polyzyklische aromatische
sächlich Stickstoff (~60 Prozent), Sauer- Kohlenwasserstoffe (0,3 bis 0,7 ppm)116
stoff (~13 Prozent), Kohlendioxid (~13 (Abb. 6).
Prozent), Kohlenmonoxid (~3,5 Prozent), Es konnte gezeigt werden, dass einige
Wasser (~2 Prozent), Argon (~1 Prozent), der flüchtigen Bestandteile des Haupt-
Wasserstoff (~0,1 bis 0,2 Prozent), Ace- stromrauches schon während der
ton (~1 Prozent), Stickoxide (<1 Prozent) Glimmphasen, während derer nicht an
Gasphase Partikelphase
Verbindung Gewicht / Zigarette Verbindung µg / Zigarette
Kohlenmonoxid 14-23 mg Nikotin 1 000 – 3 000
Stickstoffoxide 100-600 µg Nornikotin 50-150
Cyanwasserstoff (Blau- 400-500 µg Nichtflüchtige Kohlen- 300-400
säure) wasserstoffe
Butadien 25-40 µg Naphthalin 2-4
Benzol 12-50 µg Naphthalin-Derivate 3-6
Abbildung 6: Styrol 10 µg Phenanthrene 0,2-0,4
Ausgewählte, in der Gas- Formaldehyd 20-100 µg Fluorene 0,6-1,0
und Partikelphase des Acetaldehyd 400-1400 µg Pyrene 0,3-0,5
Hauptstromrauchs enthalte-
Acrolein 60-140 µg Polyzyklische aroma- 0,1-0,25
ne Verbindungen. Quelle:
tische Kohlenwasser-
Hoffmann 2001115. Darstel-
stoffe
lung: Deutsches Krebsfor-
Aceton 100-650 µg Phenol 80-160
schungszentrum, Stabsstel-
le Krebsprävention, 2010. Aliphatische Amine 3-10 µg Benzofurane 200-300
der Zigarette gezogen wird, entstehen. Anteil an der Gasphase nur zwischen
Sie sammeln sich in der Zigarette und 1 und 13 Prozent ausmacht. Der Rest des
werden erst dann freigesetzt, wenn an Tabakrauchs wird vom Nebenstrom-
der Zigarette gezogen wird172. rauch gebildet14 .
Der Anteil des durch den Raucher ausge- Nebenstromrauch enthält prinzipiell die
atmeten Hauptstromrauchs an der Parti- gleichen Inhaltstoffe wie der Haupt-
kelphase des Tabakrauchs beträgt zwi- stromrauch. Lediglich die Anteile und
schen 15 und 43 Prozent, während der das Mengenverhältnis der einzelnen
12 | Tabakrauch in Innenräumen – ein vermeidbares Gesundheitsrisiko für die Familie
15. Komponenten unterscheiden sich29 gen weitere 15 bis 35 Prozent der Men-
(Abb. 7). Bisher wurden in seiner Parti- ge, die mit dem Hauptstromrauch einge-
kelphase 21 und in der Gasphase 19 Ver- atmet wurde, in seinen Körper 225.
bindungen mit krebserzeugenden oder Benzo[a]pyren ist der am meisten unter-
anderen gesundheitsschädlichen Wir- suchte Vertreter der polyzyklischen aro-
kungen, wie Leber- und Nervenschädi- matischen Kohlenwasserstoffe (PAK),
gungen, Beeinträchtigungen des Im- von denen die meisten krebserzeugend
munsystems, Herzrhythmusstörungen sind224 . Es war außerdem die erste krebs-
sowie Lungenödeme, eindeutig identifi- erzeugende Substanz, die im Tabakrauch
ziert 82. entdeckt wurde109. Mit einem Siedepunkt
Nebenstromrauch entsteht bei niedrige- von etwa 310 °C wird es durch unvoll-
ren Temperaturen und anderen Verbren- ständige Verbrennungsprozesse organi-
nungsbedingungen als der Hauptstrom- scher Verbindungen gebildet. Dass
rauch. Zwischen den Zügen an der Benzo[a]pyren Tumore in der Lunge ver-
Zigarette herrscht in der Peripherie der ursachen kann, ist schon seit vielen Jah-
Brennzone eine Temperatur von 600 °C14 ren bekannt 223.
und in ihrem Zentrum eine Temperatur Die rasche Verdünnung des Neben-
von fast 800 °C. In der Peripherie der stromrauchs bedeutet jedoch nicht, dass
Brennzone, etwa 0,2 bis 1 Millimeter von dadurch auch die Toxizität abnimmt,
der Verbrennungszone des Papiers ent- denn aus Tabakindustriedokumenten
fernt, steigt die Temperatur während über die Forschung von Philip Morris am
e
ines Zuges auf 910 bis 920 °C an29 firmeneigenen Institut für Biologische
(Abb. 5, Seite 11). Forschung (INBIFO) geht hervor, dass
Weil Nebenstromrauch bei einer niedri- Nebenstromrauch unmittelbar nach sei-
geren Temperatur entsteht als Haupt- ner Bildung etwa viermal toxischer pro
stromrauch, sind viele der toxischen Gramm der gesamten Menge an Rauch-
Substanzen in ihm zunächst höher kon- partikeln ist als Hauptstromrauch256.
zentriert 318 . Der Nebenstromrauch ver- Dies zeigten Versuche mit Ratten, die
mischt sich relativ schnell mit der umge- drei Wochen lang täglich sieben Stun-
benden Luft, so dass die Konzentration den Haupt- beziehungsweise Neben-
der Inhaltsstoffe mit der Zeit sinkt. Ein stromrauch einatmeten. Anschließend Abbildung 7:
Raucher nimmt beispielsweise bei ei- wurde das respiratorische Epithel der Konzentration der wichtigs-
nem Konsum von 14 normalen Zigaret- Ratten, die Zellschicht, die den größten ten Schadstoffe im Haupt-
ten täglich mit dem Hauptstromrauch Teil der Atemwege auskleidet, unter- stromrauch und deren
rund 140 Nanogramm Benzo[a]pyren zu sucht. Bei den Ratten, die Nebenstrom- Mengenverhältnisse im
sich. Über den Nebenstromrauch gelan- rauch einatmeten, reichte schon etwa Nebenstrom- und Haupt-
stromrauch. Die Zahlen
geben an, um welchen
Faktor die Konzen rationen
t
Verbindung Hauptstromrauch [µg/Zigarette] Mengenverhältnis der
der Stoffe im Nebenstrom-
Substanzen im NSR und HSR
rauch (NSR) die im Haupt-
4-Aminobiphenyl 0,003–0,005 31 stromrauch (HSR) überstei-
Acrolein 60–100 8–15 gen. Sie zeigen, dass die
Anilin 0,36 29,7 meisten der schädlichen
Benzol 12–48 5–10 Inhalts toffe des Tabak-
s
rauchs im Nebenstrom-
1,3-Butadien 69 3–6
rauch zunächst wesentlich
Dimethylnitrosamin 0,01–0,04 20–100 höher kon entriert sind als
z
Ethylmethylnitrosamin 0,001–0,002 10–20 im Hauptstromrauch.
2-Naphthylamin 0,001–0,022 30 Quelle: DFG 199959.
Nickel 0,02–0,08 12–31 Darstellung: Deutsches
Krebsforschungszentrum,
Nitrosopyrrolidin 0,006–0,03 6–30
Stabs telle Krebspräven
s
2-Toluidin 0,03–0,2 19 tion, 2010.
Tabakrauch in Innenräumen – ein vermeidbares Gesundheitsrisiko für die Familie | 13
16. ein Viertel der Menge des Hauptstrom- 1.3 Veränderungen des
rauches aus, um pathologische Verän- Tabakrauchs mit der Zeit
derungen der Zellen in der Nasenhöhle
festzustellen. Eine weitere Analyse der Sobald eine Zigarette in einem Raum ge-
Tabakindustriedokumente ergab, dass raucht wird, steigen die Konzentrationen
die Toxizität des Nebenstromrauches der Tabakrauchkomponenten in der Luft
nach mindestens 30-minütiger Vermi- an und sinken dann exponentiell in Ab-
schung mit der umgebenden Luft sogar hängigkeit von der Belüftung, der Tem-
noch zunimmt, so dass „gealterter“ Ne- peratur, der relativen Luftfeuchtigkeit
benstromrauch etwa zwölfmal giftiger und der -zirkulation14 . So kann die schäd-
ist als Hauptstromrauch257. liche Wirkung von Tabakrauch in klimati-
Vermutlich kann sich die toxische Wir- sierten Räumen aufgrund einer geringe-
kung des Tabakrauchs von Mensch zu ren Ventilationsrate doppelt so hoch sein
Mensch auch geringfügig unterschei- wie in nicht klimatisierten Räumen161.
den. Versuche mit Rauchern haben ge- Außerdem lagern sich die Tabakrauch
zeigt, dass die Menge der eingeatmeten partikel auf Oberflächen in der Umge-
Substanzen von bestimmten Parame- bung ab14 .
tern, zum Beispiel wie häufig und wie Eine herkömmliche Zigarette gibt etwa
stark an der Zigarette gezogen wird, ab- 600 Milligramm Kohlendioxid (CO2 ),
hängig ist. Untersuchungen zum Tabak- 4,5 Milligramm Kohlenmonoxid (CO),
rauch werden auch mit Rauchmaschinen 5 Milligramm Nikotin sowie 25 Milli-
durchgeführt. Je nach Dauer, Frequenz gramm Rauchpartikel an die Umgebung
und Volumen der Züge an der Zigarette ab14 . Neben diesen am meisten unter-
unterscheidet sich die Konzentration der suchten Inhaltsstoffen sind im Tabak-
Verbindungen und damit das Maß an rauch alle Klassen organischer Verbin-
T
oxizität und das erbgutverändernde dungen sowie Spuren von Metallen
P
otenzial115,237,242. Genauso wie Raucher enthalten29 (Abb. 8). Es finden sowohl
den Tabakrauch unterschiedlich aufneh- physikalische Prozesse statt, indem die
men, trifft dies möglicherweise auch auf enthaltenen Partikel beispielsweise ste-
Passivraucher zu. Da die Menge der auf- tig ihre Größe ändern, als auch zahl
genommenen Giftstoffe von der Atem- reiche damit verbundene chemische
frequenz abhängt, sind insbesondere Veränderungen, da die einzelnen Be-
Kinder von den Gesundheitsgefahren standteile in unzählige Wechselwirkun-
betroffen, da sie im Vergleich zu Erwach- gen miteinander treten, wodurch neue,
senen viel häufiger atmen. Da sie auch teils toxischere Verbindungen entste-
ein geringeres Körpergewicht besitzen, hen. Einige der giftigen Substanzen so-
kann die gleiche Menge einer giftigen wie ihre Wirkungen sind in Abbildung 9
Verbindung bei Kindern eine viel schäd- gelistet.
lichere Wirkung entfalten. Beispielswei- Nach dem anfänglichen Masseverlust
se kann bei Kindern die in einer einzigen der Rauchpartikel durch die Verdamp-
Zigarette enthaltene Nikotinmenge be- fung beträgt der mittlere Durchmesser
reits tödlich sein, während bei Erwach- der Partikel des Tabakrauchs innerhalb
senen erst eine Menge von etwa 50 Mil- der ersten Stunde nach seiner Entste-
ligramm Nikotin beim Verschlucken zum hung 0,185 Mikrometer14 . Diese Partikel
Tod führen kann175. können mit der Atmung aufgenommen
werden und sind klein genug, selbst die
Lungenalveolen zu erreichen (lungen-
gängige Partikel). Nach zwölf Stunden
sind die Partikel infolge von Zusammen-
14 | Tabakrauch in Innenräumen – ein vermeidbares Gesundheitsrisiko für die Familie
17. Klasse Anzahl Klasse Anzahl
Neutrale Gase >5 Flüchtige N-Nitrosamine 4
Kohlenoxide 2 Tabakspezifische Nitrosamine 4
Stickstoffoxide 1 (2) N-Heterozyklen ~920
Amide, Imide, Lactame ~240 Aliphatische, azyklische und ~760
Carbonsäuren ~230 a
romatische Kohlenwasserstoffe
Lactone ~150 Nitrile ~100
Ester ~470 Anhydride ~10 Abbildung 8:
Aldehyde ~110 Kohlenwasserstoffe ~40 In frischem Tabakrauch
Ketone ~520 Ether ~310 enthaltene Klassen chemi-
scher Verbindungen sowie
Alkohole ~380 Nitro-Verbindungen >10
Anzahl der Einzelsubstan-
Phenole ~280 Metalle ~30
zen. Quelle: Borgerding
Amine ~200 Zahlreiche kurz- und langlebige 200529.
Radikale
Substanz Menge im Tabak- Toxizität
(Summenformel) rauch einer filter-
losen Zigarette
Kohlenmonoxid (CO) 14 – 23 mg Bindet an Hämoglobin im Blut und hemmt so den
Sauerstoffaustausch
Ammoniak (NH3 ) 10 – 130 µg Reizung und Schädigung des Atemwegsystems;
neurotoxisch
Stickstoffoxid (NOx) 100 – 600 µg Reizung und Schädigung des Atemwegsystems;
Entzündungen in der Lunge
Cyanwasserstoff (HCN; 400 – 500 µg Schädigung der Flimmerhärchen in der Lunge &
Blausäure) Verhinderung der Selbstreinigung der Bronchien
Schwefelwasserstoff (H2S) 10 – 90 µg Reizung des Atemwegsystems
Acrolein (C 3H4 O) 60 – 140 µg Krebserzeugend, Atemgift; Schädigung der Flimmer-
härchen in der Lunge & Verhinderung der Selbstreini-
gung der Bronchien
Methanol (CH4 O) 100 – 250 µg Giftig beim Einatmen und bei der Aufnahme
Pyridin (C5H5N) 16 – 40 µg Krebserzeugend, Reizung des Atemwegsystems;
neurotoxisch
Nikotin (C10H14N2) 1 – 3 mg Verursacht Abhängigkeit; Nervengift; Beeinträchti-
gung des Herz-Kreislauf- und des Hormonsystems
Phenol (C 6H6O) 80 – 160 µg Krebserzeugend, Verstärkung des Tumorwachstums
bei Tierversuchen Abbildung 9:
Beispiele für im Tabakrauch
Catechol (C 6H6O2) 200 – 400 µg Krebserzeugend, reizt Augen, Haut & Atemwege;
enthaltene Substanzen mit
Ko-Kanzerogen bei Tierversuchen
toxischer, speziell auch
Anilin (C 6H7N) 360 – 655 µg Krebserzeugend, bildet Methämoglobin, was die
krebserzeugender Wirkung.
Atmung beeinträchtigt
Quelle: Hoffmann 2001115.
Tabakrauch in Innenräumen – ein vermeidbares Gesundheitsrisiko für die Familie | 15
18. lagerungen durchschnittlich um 20 Pro- gebildet werden können271 (Abb. 10).
zent größer14 . Produkte dieser Nitrosierung sind
Ein wichtiger Prozess, der bei der Alte- 1 - ( N - m e t h y l - N - n i t r o a m i n ) -1 - ( 3 -
s
rung des Tabakrauchs stattfindet, ist die pyridyl)-4-butanol (NNA), 4 ( Methyl
Oxidation von Stickstoffmonoxid (NO) nitrosamino) -1- (3-pyridyl) -1-butano-
über Minuten und Stunden zu Stickstoff- non (NNK) sowie N-nitrosonornicotin
dioxid (NO2 )14 . Tabakrauch, der das (NNN). Während die Konzentration von
Mundstück einer Zigarette verlässt, ent- NNN sehr gering ist, lässt sich NNA in
hält zunächst ein Gemisch aus Stick- siebenfach höherer Konzentration als
stoffmonoxid und Stickstoffdioxid. NNK nachweisen271.
Durch Oxidationsreaktionen nimmt der Schon in den 1980er Jahren stellte Philip
Anteil des ersteren jedoch rasch ab, wo- Morris bei seinen Untersuchungen am
durch die Stickstoffdioxidkonzentration Institut für Biologische Forschung fest,
zunimmt. Diese Reaktionen sind auch dass NNK Konzentrationen im Neben-
mit dem Verschwinden und der Bildung stromrauch nach anfänglichen 24 Milli-
von kurzlebigen freien Radikalen ver- gramm pro Kubikmeter um 50 bis
bunden. In der Gasphase des Rauches 200 Pro ent pro Stunde ansteigen kön-
z
einer Zigarette befinden sich etwa 1∙1016 nen. Dieses Ergebnis offenbarte eine
Alkyl- und Alkoxy-Radikale. Diese haben Analyse von Tabakindustriedokumenten
normalerweise eine Lebenszeit von Se- im Jahr 2007, bei der bereits die Vermu-
kundenbruchteilen. Es wurde jedoch tung nahe gelegt wurde, dass die Nitro-
auch beobachtet, dass Radikale im Ziga- sierung von Nikotin und/oder ein Abbau-
rettenrauch bis zu fünf Minuten beste- produkt im alternden Rauch für die
hen können29. Die NO2-Konzentrationen Erhöhung der Nitrosaminbelastungen
korrelieren außerdem negativ mit der verantwortlich sind258 (Abb. 10).
Konzentration an Ozon (O3 ), die in der Die Bildung von tabakspezifischen Nitro-
Außenluft für gewöhnlich wesentlich saminen aus der Reaktion von Nikotin
größer ist als in Innenräumen161. des Tabakrauchs, die an Oberflächen in
Stickstoffverbindungen können mögli- Innenräumen, wie Wänden, Möbeln,
cherweise auch dabei eine Rolle spie- Teppichen, Kleidung und auch an der
len, dass Tabakrauch mit seiner Alte- Haut, gebunden ist, mit salpetriger Säu-
rung oxischer wird, indem sie zur
t re bietet eine Erklärung für ein zusätzli-
Bildung krebserzeugender tabakspezifi- ches Gesundheitsrisiko durch „Dritt-
scher Nitrosamine beitragen: Außer handrauch“ (Thirdhand Smoke). Dieser
durch Verbrennungsreaktionen kann Begriff bezeichnet die Kontamination
durch heterogene Reaktionen aus NO2 durch Tabakrauch, die zurückbleibt,
und dem Wasser von feuchten Oberfä- nach em die Zigarette ausgelöscht wur-
d
chen salpetrige Säure (HONO) entste- de344 . Durch den Kontakt mit Oberflä-
hen, die in die Gasphase übergeht. Ihre chen, die mit den Gasen und Partikeln
Konzentration ist in Innenräumen mit aus dem Tabakrauch kontaminiert sind,
4,6 ppb (parts per billion) wesentlich werden diese Substanzen und die Reak-
höher als in der ußenluft, wo sie ledig-
A tionsprodukte, die anfänglich noch nicht
lich zu 0,9 ppb anzutreffen ist161. Schon oder nur in geringer Menge im Tabak-
im Jahr 2002 wurde aufgrund der Säu- rauch enthalten waren, in den Körper
reeigenschaften, chemischen Reaktivi- aufgenommen. Besonders Kinder sind
tät und Wasserlöslichkeit der tabakspe- durch Thirdhand Smoke gefährdet, da
zifischen Nitrosamine eine mögliche sie oft mit Oberflächen, zum Beispiel
Toxizität für die Atemwege vermutet161. von Polstern und Teppichen, in Kontakt
Neueste Untersuchungen zeigen, dass kommen. Hinzu kommt die Adsorption
durch die Nitrosierung von Nikotin über an ihre eigene Haut, die Umwandlung zu
die Reaktion mit salpetriger Säure die kanzerogenen und erbgutverändernden
tabakspezifischen Nitrosamine (TSNA) Metaboliten sowie deren transdermale
16 | Tabakrauch in Innenräumen – ein vermeidbares Gesundheitsrisiko für die Familie
19. Stickstoff-
oxide
O
H
NO C
N H NNA
NO2
CH3 N O
N
Salpetrige Säure H
(HONO) O NNK
N H N O
N O O
CH3 N
N Abbildung 10:
CH3
N
Nitrosierung Entstehung krebserzeugen-
Nikotin H H der tabakspezifischer
H
N NNN Nitrosamine durch die
N O + CH2O Reaktion von Nikotin mit
N
salpetriger Säure. Quelle:
Sleiman 2010271. Darstel-
Krebserzeugende
tabakspezifische Nitrosamine lung: Deutsches Krebsfor-
(TSNA) schungszentrum, Stabsstel-
le Krebsprävention, 2010.
Aufnahme. So ist erwiesen, dass Kinder Bislang gibt es jedoch nur wenige tudien
S
mehr als doppelt so viel Staub – und da- zum Phänomen des Thirdhand Smoke, so
mit auch Tabakkanzerogene – aufneh- dass das gesundheitsgefährdende Poten-
men als Erwachsene271. zial noch schwer zu beurteilen ist.
Tabakrauch in Innenräumen – ein vermeidbares Gesundheitsrisiko für die Familie | 17
20. 2 Tabakrauchbelastung von
Familien in Deutschland
Kernaussagen
Ein erheblicher Anteil der Erwachsenen und der Kinder ist regelmäßig
Tabakrauch ausgesetzt. Bei Erwachsenen findet am Arbeitsplatz und in
der Freizeit die häufigste Exposition statt, für Kinder ist das Zuhause die
Hauptexpositionsquelle.
Kinder sind am besten in Nichtraucherfamilien vor Passivrauchen geschützt.
In Raucherfamilien können vollständige Rauchverbote zu Hause die Kinder
vor Tabakrauchbelastung schützen. Darüber hinaus werden Kinder und
Jugendliche, die in rauchfreien Haushalten aufwachsen, später seltener
selbst zu Rauchern.
Bei der Mehrheit der Raucher mit Kindern ist zu Hause das Rauchen
v
ollständig verboten, nur wenige Raucher mit minderjährigen Kindern
schränken das Rauchen zu Hause überhaupt nicht ein.
Je älter die Kinder sind, desto häufiger werden sie zu Hause mit Tabakrauch
belastet. Wenn kleine Kinder jedoch zu Hause Tabakrauch ausgesetzt sind,
dann ist die Belastung für sie höher als bei schulpflichtigen Kindern.
Insgesamt müssen in Deutschland täglich mehr als 1,7 Millionen Kinder und
Jugendliche passivrauchen.
Angesichts sinkender Raucheranteile bei den Altersgruppen junger Erwach
sener, in denen die meisten Familiengründungen und -erweiterungen
erfolgen, ist davon auszugehen, dass die Tabakrauchbelastung von Kindern
in den letzten zwei Jahrzehnten gesunken ist.
Die Exposition gegenüber Tabakrauch in Fahrzeugen stellt für Kinder und
Jugendliche eine besondere Gesundheitsbelastung dar. Die Tabakrauch
belastung in geschlossenen Fahrgasträumen erreicht bereits beim Rauchen
einer einzigen Zigarette innerhalb weniger Minuten ein Vielfaches einer
stark verrauchten Kneipe.
Übliche Belüftungsmaßnahmen, wie das Öffnen einzelner Fenster von
Fahrzeugen, bieten keinen Schutz. Die Belastung ist weiterhin vergleichbar
mit der Belastung in der nicht rauchfreien Gastronomie.
Gesetzliche Regelungen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor
Tabakrauch in privaten Fahrzeugen existieren bereits in anderen Ländern.
Eine derartige Regelung ist auch für Deutschland empfehlenswert; über
90 Prozent der deutschen Bevölkerung sprechen sich dafür aus.
18 | Tabakrauchbelastung von Familien in Deutschland
21. 2.1 Tabakrauchbelastung von Freizeit (Abb. 11), aber auch zu Hause
Erwachsenen muss ein bedeutender Anteil insbeson-
dere der weiblichen Bevölkerung passiv-
Im Jahr 2009 waren 13,3 Prozent der rauchen. Verantwortlich für die Tabak-
männlichen und 8,7 Prozent der weibli- rauchexposition zu Hause ist in der Regel
chen nichtrauchenden Erwachsenenbe- ein rauchender Partner. Da mehr Männer
völkerung täglich durch Tabakrauch be- als Frauen rauchen, sind im häuslichen
lastet. Weitere 28,2 Prozent der Männer Umfeld mit 30,5 Prozent die Frauen fast
und 16,6 Prozent der Frauen waren min- doppelt so häufig Tabakrauch ausgesetzt
destens einmal wöchentlich Tabakrauch wie Männer (17,8 Prozent). Zudem ga-
ausgesetzt. Am stärksten betroffen ist rantieren die deutschen Nichtraucher-
die Altersgruppe der 18- bis 19-Jährigen: schutzgesetze noch immer keinen voll-
bei den Männern waren 72 Prozent und ständigen Schutz vor Passivrauchen in
bei den Frauen 61,5 Prozent in dieser Al- gastronomischen Einrichtungen: Etwa
tersgruppe mindestens einmal wöchent- ein Drittel der Nichtraucher sind weiter-
lich bis hin zu täglich Tabakrauch ausge- hin in Kneipen und Cafés Tabakrauch
setzt154 . ausgesetzt und etwa ein Zehntel in Res-
Am höchsten ist die passive Tabakrauch- taurants.
belastung am Arbeitsplatz und in der
50
45,2 Männer
Frauen
40 39,2
37,6
Anteil (in %)
31,9
30,0 30,5 30,0
30
Abbildung 11:
20 17,8 Passive Tabakrauchbelas-
13,9
12,5 tung von Nichtrauchern
11,0 10,5
10 nach Orten in Deutschland
2009. Quelle: Lampert
2009154. Darstellung:
0
Deutsches Krebsfor-
Arbeitsplatz zu Hause Kneipen/Cafés Restaurants Bei Freunden/ Sonstige Orte
Bekannten schungszentrum, Stabsstel-
le Krebsprävention, 2010.
2.2 Tabakrauchbelastung tung von Kindern ganz wesentlich durch
von Kindern zu Hause das Rauchverhalten der Eltern beein-
flusst: Der Anteil der Jugendlichen, der
Bei 11- bis 17-jährigen Jugendlichen sind mehrmals in der Woche oder täglich
24 Prozent der nichtrauchenden Jungen T
abakrauch ausgesetzt ist, ist bei 14- bis
und 27 Prozent der nichtrauchenden 17-jährigen Jugendlichen mit mindes-
Mädchen täglich einer Belastung durch tens einem rauchenden Elternteil mehr
Tabakrauch ausgesetzt153. Die Haupt- als viermal so hoch wie bei Jugendli-
quelle für die Tabakrauchbelastung von chen mit nichtrauchenden Eltern
Kindern ist das häusliche Umfeld. So (Abb. 12).
wird das Ausmaß der Tabakrauchbelas-
Tabakrauchbelastung von Familien in Deutschland | 19