2. Impressum
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Möller Druck und Verlag GmbH, Ahrensfelde OT Blumberg
Bonn, Berlin 2010
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istockphoto; S. 8–9: lakeemotion/shutterstock; S. 10: Peter Dazeley/Getty Images;
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fruit/image roker/medialpicture; S. 28: Peter-Michael Petsch/medicalpicture;
b
S. 29: Jan Kranendonk/shutterstock; S. 30: Andreas Christians/medicalpicture;
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istockphoto; S. 12: thinkstock/stockbyte; Alle anderen Abbildungen: PT DLR/BMBF
5. Vorwort
Vorwort
Alt zu werden und gesund zu bleiben ist ein und außer niversitären Forschungseinrichtungen
u
Menschheitstraum, dem wir in den vergangenen arbeiten in diesen Zentren eng zusammen, um
Jahrzehnten durch verbesserte Lebensbedingun- möglichst rasch wegweisende Erkenntnisgewinne
gen und eine gute medizinische Versorgung ein zu erzielen und Therapiechancen zu eröffnen.
gutes Stück näher gekommen sind. Mit der wach-
senden Lebenserwartung steigt jedoch die Zahl Darüber hinaus legt das Programm ein beson-
der Menschen, die an Krebs, neurodegenerativen deres Augenmerk auf individualisierte Therapie-
oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden. Auch ansätze, Präventions- und Ernährungsforschung,
die Häufigkeit von chronischen und Mehrfach Versorgungsforschung, Gesundheitswirtschaft
erkrankungen wächst. und global vernetzte Forschungsansätze.
Vor diesem Hintergrund setzt die Bundesregie- Mit dem Rahmenprogramm Gesundheits
rung mit dem neuen „Rahmenprogramm Gesund forschung leistet die Bundesregierung ihren
heitsforschung“ Prioritäten und definiert die strate Beitrag zur umfassenden Erforschung von Krank-
gische Ausrichtung der medizinischen Forschung heiten. Aus der Zusammenarbeit von Wissen-
für die kommenden Jahre. Der Leitgedanke: Durch schaftlerinnen und Wissenschaftlern entstehen
eine engere Verknüpfung der Kompetenzen, Dis die Ansätze, die bei entsprechender Weiterent-
ziplinen und Institutionen sollen Forschungsergeb- wicklung und erfolgreicher Übertragung in die
nisse in Zukunft schneller aus der Grundlagen- und medizinische Praxis den Menschen in unserem
der klinischen Forschung in die medizinische Ver Land ein beschwerdefreies, selbstbestimmtes und
sorgung und damit zu den Patienten gelangen. langes Leben ermöglichen.
Der inhaltliche Schwerpunkt des Programms
liegt auf der Erforschung der Volkskrankheiten.
Hier sind der Handlungsbedarf und die Hoff-
nung am größten, durch Forschung neue Wege Prof. Dr. Annette Schavan, MdB
für Prävention und Behandlung zu finden. Die Bundesministerin für Bildung und Forschung
Bundesregierung baut zu sechs Volkskrankheiten
Deutsche Zentren der Gesundheitsforschung auf:
Neben dem „Deutschen Zentrum für Neurode-
generative Erkrankungen“ und dem „Deutschen
Zentrum für Diabetesforschung“ werden Zentren
in den Bereichen Herz-Kreislauf-, Infektions-, Dr. Philipp Rösler, MdB
Krebs- und Lungenforschung eingerichtet. Die Bundesminister für Gesundheit
besten Forscher ruppen aus Hochschulmedizin
g
6.
7. Inhalt 1
Inhalt
Zusammenfassung............................................................................................................................................................. 3
Ausgangsbedingungen.................................................................................................................................................... 6
Aktionsfeld 1 – die strukturelle Herausforderung:
Gebündelte Erforschung von Volkskrankheiten....................................................................................................... 11
Aktionsfeld 2 – die Forschungsherausforderung:
Individualisierte Medizin................................................................................................................................................ 19
Aktionsfeld 3 – die Vorsorgeherausforderung:
Präventions- und Ernährungsforschung..................................................................................................................... 25
Aktionsfeld 4 – die Systemherausforderung:
Versorgungsforschung..................................................................................................................................................... 31
Aktionsfeld 5 – die Innovationsherausforderung:
Gesundheitswirtschaft..................................................................................................................................................... 35
Aktionsfeld 6 – die globale Herausforderung:
Gesundheitsforschung in internationaler Kooperation......................................................................................... 41
Die förderpolitische Herausforderung:
Instrumente und Verfahren zur Förderung................................................................................................................ 44
9. Zusammenfassung 3
Zusammenfassung
Aktionsfeld 1 einer Stufe des Innovationsprozesses zur nächsten
Die strukturelle Herausforderung: wird erleichtert. Die Erforschung seltener Krank-
heiten wird ebenfalls gefördert.
Gebündelte Erforschung von
Volkskrankheiten Aktionsfeld 3
Die Vorsorgeherausforderung:
Der demografische Wandel lässt den Bedarf an
medizinischem Fortschritt steigen: Die Zahl der Präventions- und Ernährungsforschung
Menschen wächst, die an Volkskrankheiten wie
Krebs, Herz-Kreislauf-, Stoffwechsel-, Infektions-, Erkenntnisse über den Einfluss von Ernährung,
Lungen- oder neurodegenerativen Erkrankun- Bewegung, sonstigem Verhalten und Umwelt auf
gen sowie an psychischen, muskuloskelettalen die Aktivität von Genen eröffnen neue Möglich-
oder allergischen Erkrankungen leiden – oder keiten, um die Entstehung von Volkskrankheiten
auch an mehreren dieser Erkrankungen. Zudem wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen
dauert es oft noch zu lange, bis Ergebnisse aus besser zu verstehen und ihnen vorzubeugen. Das
der Grundagen- und der klinischen Forschung in
l Wissen darüber, ob und wie Prävention funktio-
die medizinische Regelversorgung gelangen und niert, muss weiter wachsen.
Patienten von ihnen profitieren. Diesen als Trans
lation bezeichneten Prozess schneller und effekti- Unter dem Dach der nationalen Präventions-
ver zu gestalten ist ein Leitgedanke des Rahmen strategie entwickelt das BMBF einen Aktionsplan,
programms. der die Forschungsförderung zu allen für Prä-
ventions- und Ernährungsforschung relevanten
Daher gründet die Bundesregierung Deut- Ansätzen – von der Epigenetik bis zur Epide-
sche Zentren der Gesundheitsforschung, um die miologie – zusammenführt und interdisziplinär
universitäre und außeruniversitäre Forschung zu verknüpft.
eini en besonders bedeutsamen Volkskrankheiten
g
zu bündeln und die Anwendung ihrer Ergebnisse Aktionsfeld 4
zu beschleunigen. Zugleich wird die krankheits- Die Systemherausforderung:
bezogene Projektförderung ausgebaut und auf
forschungs- und nachwuchsfreundliche Rahmen- Versorgungsforschung
bedingungen und Strukturen hingewirkt.
Der Anspruch, jedem Menschen eine bestmög
Aktionsfeld 2 liche und sichere Therapie zu ermöglichen, bleibt
Die Forschungsherausforderung: von zentraler Bedeutung für die Gesundheits-
versorgung. Gleichzeitig steigt der Druck, auch
Individualisierte Medizin im Gesundheitssystem Kosten zu begrenzen;
gute Gesundheitsversorgung und wirtschaftliche
Das Verständnis grundlegender Krankheits Überlegungen müssen miteinander in Einklang
mechanismen wächst, eine auf die individuellen gebracht werden.
Bedürfnisse und Voraussetzungen zugeschnittene
Medizin wird greifbar. Damit rückt auch das Errei- Die Bundesregierung fördert den Aufbau
chen des Ziels näher, ein selbstbestimmtes Leben einer leistungsstarken deutschen Versorgungs-
im Alter bei gutem Gesundheitszustand forschung und Gesundheitsökonomie und stellt
zu ermöglichen. dabei Patientenorientierung und Patienten
sicher eit in den Mittelpunkt. Hierzu werden der
h
Die Bundesregierung unterstützt deshalb die Auf au nachhaltiger Forschungsstrukturen und
b
Entwicklung von Diagnostika und Therapeutika die Durchführung von Studien zur Bewertung
und spannt in der Förderung den Bogen entlang des Nutzens etablierter und neuer Verfahren im
des Innovationsprozesses von der lebenswissen Versorgungsalltag, der Aufbau von Studienstruk-
schaftlichen Grundlagenforschung über die turen, die Durchführung von Studien zur Pro ess
z
präklinische und klinisch-patientenorientierte optimierung von Versorgungsabläufen und die
Forschung bis zur Marktreife. Der Übergang von Nachwuchsförderung unterstützt.
10. 4 Zusammenfassung
Aktionsfeld 5 Aktionsfeld 6
Die Innovationsherausforderung: Die globale Heraus orderung:
f
Gesundheitswirtschaft Gesundheitsforschung in internationaler
Kooperation
Die Gesundheitswirtschaft ist eines der großen
Wachstumsfelder in den Industrienationen. Sie um- Internationale Zusammenarbeit ermöglicht es,
fasst neben der Arzneimittelindustrie, der Biotechno Synergien für den medizinischen Fortschritt
logie sowie der Medizintechnik auch die Versorgung freizusetzen. Forschungsinfrastrukturen können
mit medizinischen Dienstleistungen, wobei z. B. in internationaler Arbeitsteilung gemeinsam auf-
mit der Telemedizin neue Dienstleistungsformen gebaut und genutzt werden. Gleichzeitig steht die
entstehen. Bei der schnelleren Transation von For
l Gesundheitsforschung auch in der Verantwortung
schungsergebnissen spielen forschungsintensive für die weltweite Gesundheitsversorgung.
Unternehmen, insbesondere die der medizinischen
Biotechnologie, eine wichtige Rolle. Die Bundesregierung stärkt die Internationa-
lisierung der Gesundheitsforschung durch den
Die Bundesregierung trägt dazu bei, die gemeinsamen Aufbau von Forschungsinfrastruk-
Innovationskraft der Gesundheitswirtschaft zu turen, verbindet Forschende und Institutionen
erhöhen. Dazu werden insbesondere neue Wege über Grenzen hinweg und treibt die internatio-
des Wissens- und Technologietransfers erprobt nale Koordinierung von Forschungsprogrammen
und rechtliche Rahmenbedingungen weiterhin voran. Ein besonderer Fokus liegt auf der Erfor-
forschungs- und innovationsfreundlich gestaltet. schung vernachlässigter und armutsbedingter
Forschungsintensive Unternehmen werden künf- Krankheiten in Kooperation mit Entwicklungs-
tig gezielt in Translationsnetzwerke eingebunden. ländern.
11. Zusammenfassung 5
Diesen Herausforderungen und Aufgaben stellt setzt ebenfalls voraus, dass der Einsatz der For-
sich die Bundesregierung mit dem Rahmenpro- schungsmittel zu strukturellen Verbesserungen –
gramm Gesundheitsforschung. Es gestaltet dabei insbesondere in der Transla ion – führt und einen
t
die Hightech-Strategie der Bundesregierung aus, gesellschaftlichen Bedarf deckt.
in der Gesundheit/Ernährung eines von fünf
Bedarfsfeldern ist. Insbesondere formuliert die Die Einbeziehung der Wirtschaft: Die
Hightech-Strategie für einzelne Aktionsfelder des translationale Forschung, mit der Impulse aus
Rahmenprogramms Zukunftsprojekte, die kon- der Wissenschaft in die praktische Verwertung
krete Ziele wissenschaftlicher, technologischer durch das Gesundheitssystem und die Wirtschaft
und gesellschaftlicher Entwicklungen über einen getragen werden, wird gestärkt. Die Förderung
Zeitraum von zehn bis fünfzehn Jahren verfolgen. von strate ischen Partnerschaften über die
g
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung Wert chöpfungskette hinweg ermöglicht es, im
s
plant, die Gesundheitsforschung im Zeitraum Innovationsprozess alle relevanten Akteure auf
2011–2014 mit rund 5,5 Milliarden Euro zu fördern ein Ziel oder Thema hin zu vernetzen.
(institutionelle Förderung, Projektförderung, Bun-
desanteil der DFG-Förderung; jeweils bezogen auf Die Förderaktivitäten: Das Rahmenpro-
die Gesundheitsforschung). Hinzu kommen seitens gramm Gesundheitsforschung ist ein lernendes,
des Bundes erhebliche Ausgaben anderer Ressorts. sich selbst erneuerndes Programm. Kurzfristig
wird eine Reihe neuer Förderaktivitäten gestar-
Was ist neu am Rahmenprogramm tet: Deutsche Zentren der Gesundheitsforschung
Gesundheitsforschung? (Aktionseld 1), Förderkonzept zur individualisier-
f
ten Medizin (Aktionsfeld 2), Studien in der Ver-
Der Ansatz: Die institutionenübergreifende sorgungsforschung und Zentren der gesundheits
Zusammenarbeit und Vernetzung wird in einer ökonomischen Forschung (Aktionseld 4) und
f
Gesundheitsforschung, die einer effizienten und Klinische Innovationszentren in der Medizin
schnellen Translation verpflichtet ist, immer technik (Aktionsfeld 5). Weitere neue Förder
wichtiger. Das Gesundheitsforschungsprogramm aktivitäten werden folgen – u. a. zur Präventions-
gibt deshalb wegweisende Impulse zur struktu- und Ernährungsforschung (Aktionsfeld 3), zur
rellen Verbesserung der deutschen medizinischen Förderung strategischer Partnerschaften in der
Forschung. Deutlichster Ausdruck hierfür ist die Gesundheitswirtschaft (Aktionsfeld 5) und zur
Gründung Deutscher Zentren der Gesundheitsfor- Förderung von Produktentwicklungspartner-
schung, die in einem die bisherigen Grenzen des schaften (Non-Profit-Organisationen, die sich die
deutschen Wissenschaftssystems überwindenden Entwicklung von Impfstoffen, Diagnostika oder
Ansatz zu sechs Volkskrankheiten die jeweils bes- Therapien für insbesondere Entwicklungsländer
ten Forschungsgruppen aus Hochschulmedizin betreffende Krankheiten zum Ziel setzen
und außeruniversitären Forschungseinrichtungen [Aktionsfeld 6]).
zusammenbringen. Weitere strukturelle Impulse
verbessern die Arbeitsbedingungen und Chancen
des wissenschaftlichen Nachwuchses und stärken
die klinische Forschung.
Die Fokussierung: Erstmals wird ein deut
licher Fokus auf die Erforschung derjenigen Krank-
heiten gelegt, die die meisten Menschen betreffen
– auf die Volkskrankheiten. Dieser Fokus spiegelt
sich auch in einer finanziellen Schwerpunktset-
zung zugunsten der neuen Deutschen Zentren der
Gesundheitsforschung wider, die in den kommen-
den Jahren von erheblichen zusätzlichen Mitteln
für die Gesundheitsforschung des Bundes profitie-
ren werden. Die Erforschung anderer Krankheiten
als der in den Deutschen Zentren bearbeiteten
12. 6 Ausgangsbedingungen
Ausgangsbedingungen
Der demografische Wandel und die rasche Voraussetzungen und den Lebensstil einzelner
Zunahme der Volkskrankheiten stellen in Menschen bzw. bestimmter Bevölkerungsgruppen
zugeschnittene Medizin rückt damit näher.
den kommenden Jahren die Gesundheits-
forschung und das Gesundheitssystem in Erkenntnisse über den Einfluss von Ernäh-
Deutschland vor große Herausforderungen. rung, Bewegung, sonstigem Verhalten und
Bis zum Jahr 2050 wird die Zahl der Einwoh- Umwelt auf die Aktivität von Genen (Epigenetik)
eröffnen neue Möglichkeiten, um die Entstehung
ner Deutschlands nach heutigem Kenntnis- von Volkskrankheiten wie Diabetes oder Herz-
stand von über 80 Millionen auf ca. 70 Millio- Kreislauf-Erkrankungen besser zu verstehen.
nen sinken. Gleichzeitig steigt der Anteil Das evidenzbasierte Wissen darüber, ob und wie
der älteren Menschen an der Bevölkerung, beispielsweise bewegungs- oder ernährungs
bezogene Präventionsmaßnahmen funktionieren,
sodass von einem zunehmenden Bedarf und wächst und muss weiter wachsen. Prävention und
einer zunehmenden Nachfrage nach me- Ernährung werden in den nächsten Jahren in der
dizinischen und pflegerischen Leistungen Forschung an Bedeutung gewinnen.
auszugehen ist.
National wie international wächst die Gesund-
heitswirtschaft. Sie ist eines der großen Wachs-
Die Zahl der Menschen, die heute an Krebs, Herz- tumsfelder in den Industrienationen. Neben der
Kreislauf-, Stoffwechsel-, Infektions-, Lungen- oder Versorgung mit medizinischen Dienstleistungen
neurodegenerativen Erkrankungen sowie an psy- gehören zu dieser Branche insbesondere die
chischen, muskuloskelettalen oder allergischen Pharmaindustrie mit der medizinischen Biotech-
Erkrankungen leiden, steigt spürbar. Gleichzei- nologie und die Medizintechnik. Global führende
tig erhöht sich – insbesondere im Kontext der Anbieter im Arzneimittelbereich, in Diagnostik
Alterung unserer Gesellschaft – die Häufigkeit und medizintechnischen Produkten haben
von chronischen und Mehrfacherkrankungen. ihren Firmensitz bzw. Produktionsstandorte in
Deshalb sollen im Mittelpunkt der Gesundheits- Deutschland. Zudem spielen in diesen Branchen
forschung diejenigen Krankheiten stehen, die die in Deutschland kleine und mittlere Unternehmen
meisten Menschen betreffen und die eine große eine wichtige Rolle. Um weiterhin weltweit wett-
Krankheitslast mit sich bringen. bewerbsfähige Produktion und damit Wertschöp-
fung in Deutschland zu ermöglichen, müssen
Immer offensichtlicher wird, wie unterschied- Innovationspotenziale für Behandlungsmethoden
lich die Voraussetzungen und Bedürfnisse von und Produkte erschlossen werden. Es bedarf
verschiedenen Bevölkerungsgruppen bei der klarer Normen und Standards sowie angemes-
Gesundheitsversorgung sind. So brauchen Kin- sener Rahmenbedingungen für Forschung und
der und Jugendliche andere Therapieverfahren Entwicklung.
als Erwachsene; Frauen und Männer reagieren
unterschiedlich auf manche Arzneimittel. Auch Ziele des Rahmenprogramms
bedürfen multimorbide Menschen spezifisch Gesundheitsforschung
angepasster Behandlungsverfahren – die für
Einzelkrankheiten konzipierten medizinischen Primäres Ziel der Gesundheitsforschung ist es,
Leitlinien und Behandlungsverfahren stoßen hier Qualität und Sicherheit der Gesundheitsversor-
an ihre Grenzen. Zudem werden Häufigkeit und gung der Patientinnen und Patienten weiter
Verlauf von Krankheiten oft vom jeweiligen sozia zu steigern. Hierzu werden weitreichende For-
len Hintergrund beeinflusst. Gleichzeitig wächst schungserkenntnisse benötigt und deren schnelle
das Verständnis grundlegender Krankheitsmecha- Translation, also die effiziente Übertragung von
nismen, und die Identifizierung von krankheits- Forschungsergebnissen in die breite medizinische
verursachenden bzw. ihre Träger vor Krankhei- Versorgung. Dabei müssen auf folgende Fragen
ten schützenden individuellen physiologischen Antworten gefunden werden: Wie schaffen bzw.
Voraussetzungen (z. B. Genvarianten) schreitet erhalten wir in Deutschland eine international
voran. Eine auf die individuellen Bedürfnisse und wettbewerbsfähige Forschung, um die wesent-
13. Ausgangsbedingungen 7
lichen medizinischen Herausforderungen zu effizient zu wirtschaften. Versorgungsforschung
identifizieren und in der Forschung prioritär zu und Gesundheitsökonomie beschäftigen sich
bearbeiten? Welche Strukturen sind notwendig, beispielsweise damit, wie eine bestmögliche Ge-
um Forschungsergebnisse aus dem Labor in die sundheitsversorgung aussehen kann und wie sie
medizinische Versorgung der Patienten zu über- mit wirtschaftlichen Überlegungen in Einklang
tragen und dauerhaft in eine sichere Versorgung zu bringen ist. Expertinnen und Experten aus
zu integrieren? verschiedenen Disziplinen – von der Ökonomie
über die Rechtswissenschaft und die Pflegewis-
Dabei ist es auch ein wichtiges Anliegen, senschaft bis hin zur Medizin – arbeiten in die-
Lösungsvorschläge für die vielfältigen sozialen, sem Forschungsfeld zusammen und beantworten
rechtlichen und ethischen Herausforderungen zu Fragen wie: Wie lässt sich die Gesundheitsversor-
erarbeiten, die sich durch neue Entwicklungen gung evidenzbasiert lokal, regional und national
in der Gesundheitsforschung ergeben. Wie etwa verbessern und sicherer machen? Wie kann ein
ändern neue, tief in das Wesen des Menschen besseres Zusammenwirken der Strukturen im
eingreifende Diagnose- und Therapiemöglich Gesundheitssystem hierzu beitragen? Wie lassen
keiten unser Verständnis von Krankheit bzw. sich gute Beispiele aus anderen Ländern auf deut-
das Selbstverständnis des Menschen? Die geistes- sche Verhältnisse übertragen?
und sozialwissenschaftliche Forschung kann in
Ergänzung zu und in Kooperation mit der medi Des Weiteren soll die Gesundheitsforschung
zinischen Forschung Antworten auf diese und auf eine wirtschaftliche Verwertbarkeit ihrer
weitere Fragen geben. Erkenntnisse hinarbeiten – und dies nicht erst
in den späten Phasen der klinischen Forschung,
Die Gesundheitsforschung muss darüber sondern schon in der Grundlagenforschung
hinaus die sozialstaatlichen Herausforderungen und der präklinischen Forschung. Die zentralen
an das Gesundheitssystem thematisieren. Der Fragen sind: Welche Voraussetzungen müssen
Anspruch, jedem Menschen eine bestmögliche geschaffen werden, um die Innovationspotenziale
und sichere Therapie zu ermöglichen, bleibt auch aus der Wissenschaft oder von jungen Biotech-
in Zukunft von zentraler Bedeutung. Gleichzeitig nologieunternehmen zu heben? Wie kann die
steigt der Druck, auch im Gesundheitssystem Zusammenarbeit von akademischer Forschung
und industrieller Entwicklung effizienter und
für beide Seiten erfolgreich gestaltet werden,
um Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt zu
ermöglichen? Wie sehen gemeinsam getragene
Strategien dafür aus? Wie gelingt es in allen Pha-
sen des Innovationsprozesses, den Patientennut-
zen zum zentralen Erfolgskriterium der Beteilig-
ten zu machen?
Schließlich muss die Gesundheitsforschung
internationale Zusammenarbeit nutzen – um
Synergien für den medizinischen Fortschritt
freizusetzen, aber auch um ihrer Verantwortung
für die weltweite Gesundheitsversorgung gerecht
zu werden. Die entscheidenden Fragen lauten
hier: Welche Forschungsinfrastrukturen sollten
wir gemeinsam in internationaler Arbeitsteilung
aufbauen und nutzen? Welche Rolle kann die
Gesundheitsforschung in der Entwicklungszu-
sammenarbeit spielen? Welchen Beitrag sollte
Deutschland zur Erforschung von vor allem Ent-
wicklungsländer betreffenden Infektionskrank
heiten leisten?
14. 8 Die strukturelle Herausforderung: Gebündelte Erforschung von Volkskrankheiten
16. 10 Die strukturelle Herausforderung: Gebündelte Erforschung von Volkskrankheiten
17. Die strukturelle Herausforderung: Gebündelte Erforschung von Volkskrankheiten 11
Die strukturelle Herausforderung:
Gebündelte Erforschung von Volkskrankheiten
Aktionsfeld 1 des Rahmenprogramms winkel bleibt dabei nicht auf Deutschland
beschränkt. Auch sogenannte vernachläs-
Gesundheitsforschung
sigte und armutsassoziierte Krankheiten wie
Erkenntnisse der nationalen und internatio- Malaria, die in tropischen Regionen sehr viele
nalen lebenswissenschaftlichen Forschung Menschen betreffen, sind Volkskrankheiten.
ermöglichen innovative Strategien für Dia-
Innovationen entstehen oft in Forschungsge-
gnostik, Therapie und zunehmend auch für bieten, die an den Schnittstellen verschiedener
Früherkennung und Prävention von Krank- Fächer ansetzen. Ein Ineinandergreifen von
heiten. Gesundheitsforschung wird aber erst Grundlagenforschung über klinische Forschung
dann zu Fortschritt, wenn Menschen von bis zur patientenorientierten und bevölkerungs-
bezogenen Forschung setzt intensive Kooperatio
ihr profitieren. Dies stellt die medizinischen nen von Institutionen sowie Forscherinnen und
Forschungs- und Versorgungssysteme vor die Forschern voraus. Auch die für die Gesundheits-
große Aufgabe, den Prozess der Translation forschung benötigten Plattformtechnologien und
zu beschleunigen und dabei auf die For- Forschungsinfrastrukturen, wie Hochdurchsatz
technologien, aussagefähige Krankheitsmodelle,
schung zu fokussieren, die Patientinnen Biomaterialbanken, Kohorten oder Kompetenzin-
und Patienten nutzt. frastrukturen zur Planung und Durchführung
klinischer Studien, können oft nur im Zusam-
Der Standort Deutschland verfügt über ein be- menwirken unterschiedlicher Partner aufgebaut,
achtliches Potenzial in der biomedizinischen und getragen und effektiv genutzt werden. Hierbei
klinischen Forschung. Sowohl die universitäre als kann durch ein enges Zusammengehen von
auch die außeruniversitäre und die industrielle außeruniversitären und universitären Partnern
Gesundheitsforschung leisten viel beachtete Bei- ein enormes Innovationspotenzial in der Gesund-
träge auf zahlreichen Feldern. Allerdings errei- heitsforschung mobilisiert werden.
chen diese Aktivitäten oft nicht die erforderliche
kritische Größe. Die institutionenübergreifende Die Bundesregierung hat deshalb gemein-
Zusammenarbeit und Vernetzung wird in einer sam mit den Ländern begonnen, neue, koope-
Gesundheitsforschung, die einer effizienten und rative Strukturen zur Erforschung der großen
schnellen Translation verpflichtet ist, deshalb Volkskrankheiten zu schaffen. In einem wissen-
immer wichtiger. Dies gilt insbesondere für die schaftsgeleiteten Prozess werden die führenden
Erforschung von Volkskrankheiten, da hier die Forschungseinrichtungen und Gruppen, die zu
großen Fragen nur in einem interdisziplinären einzelnen Krankheiten forschen, zu Deutschen
und langfristig angelegten Ansatz lösbar sind. Zentren der Gesundheitsforschung vernetzt. In
diesen Deutschen Zentren arbeiten die beteiligten
Was sind Volkskrankheiten? Partner gleichberechtigt zusammen. Die Qualität
der wissenschaftlichen Arbeit in einzelnen medi-
Als Volkskrankheiten werden besonders weit zinischen Fakultäten, in Universitätsklinika und
verbreitete Krankheiten oder Krankheitsfelder in außeruniversitären Forschungseinrichtungen
mit hoher Mortalitäts- bzw. Morbiditätslast entscheidet über die Teilnahme und die Rolle in
bezeichnet. Dies sind beispielsweise Krebs, den Deutschen Zen ren. Es wird darüber hinaus
t
Herz-Kreislauf-, Stoffwechsel-, Infektions-, eine enge Interak ion mit der Wirtschaft ange-
t
Lungen- oder neurodegenerative Erkrankun- strebt.
gen, aber auch psychische, muskuloskelettale
oder allergische Erkrankungen. Es handelt Bereits im Jahr 2009 hat die Bundesregierung
sich dabei um sogenannte Zivilisationskrank zwei Deutsche Zentren der Gesundheitsforschung
heiten, um Infektionskrankheiten oder um gegründet: Das Deutsche Zentrum für Neuro-
Erkrankungen, die erst mit gestiegenem degenerative Erkrankungen (DZNE) und das
Lebensalter sehr häufig auftreten. Der Blick- Deutsche Zentrum für Diabetesforschung (DZD).
18. 12 Die strukturelle Herausforderung: Gebündelte Erforschung von Volkskrankheiten
Darüber hinaus sollen im Jahr 2011 vier weitere von Forschungsergebnissen aus dem Labor in
Deutsche Zentren eingerichtet werden: das Deut- die breite medizinische Versorgung, deutlich zu
sche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung, das beschleunigen. Damit soll eine neue Basis für
Deutsche Konsortium für Translationale Krebsfor- translationale biomedizinische Spitzenforschung
schung, das Deutsche Zentrum für Infektionsfor- gelegt werden, die im internationalen Vergleich
schung und das Deutsche Zentrum für Lungen- sichtbar und konkurrenzfähig ist. Dabei werden
forschung. die Deutschen Zentren die Gesundheitswirtschaft
bereichern und stärken.
Mit diesen Zentren, die auch untereinander
eng kooperieren werden, sollen die Kapazitäten Die gleichberechtigte Partnerschaft zwischen
und Qualitäten der deutschen Forschung gebün- außeruniversitären Einrichtungen der Gesund-
delt werden, um aufbauend auf einer starken heitsforschung und der Universitätsmedizin,
Grundlagenforschung und einer leistungsfähigen die Auswahl der Partner durch ein transparen -
klinischen Forschung gemeinsam besser und tes Begutachtungsverfahren durch international
erfolgreicher klinische Studien durchführen, die renommierte Experten, die regelmäßige Eva-
Einführung neuer klinischer Ansätze analysieren luation und Begleitung durch Expertenbeiräte
und deren Wirksamkeit überprüfen zu können. sowie die längerfristige Finanzierung werden
Die Deutschen Zentren sollen entscheidend dazu den Erfolg der Deutschen Zentren sicher tellen.
s
beitragen, die Translation, also den Transfer
19. Die strukturelle Herausforderung: Gebündelte Erforschung von Volkskrankheiten 13
eutsche Zentren der Gesundheits
D wie Alzheimer und Parkinson. Neben dem Kern-
forschung zentrum in Bonn gehören sechs leistungsstarke
Partnerstandorte in Rostock/Greifswald, Magde-
Jedes Deutsche Zentrum besteht aus mehreren burg, Göttingen, Witten-Herdecke, Tübingen und
Partnerstandorten. Ein Partnerstandort kann aus München dazu. Jeder Standort konzenriert sich
t
einer universitären oder einer außeruniversitä- auf seine speziellen Stärken und hat dabei das
ren Einrichtung bestehen, aber auch aus einem gemeinsame Ziel der Verbesserung von Therapie
regionalen Verbund von zwei oder mehreren und Prävention neurodegeneraiver Erkrankungen
t
dieser Einrichtungen. Die Finanzierung der Deut- im Blick. Überdies beschränkt sich das Zentrum
schen Zentren erfolgt zu 90 % durch den Bund. nicht auf Grundlagenforschung, vielmehr ist die
Die Bundesmittel werden im Wege der institu Übertragung in die therapeutische Praxis Teil des
tionellen Förderung zur Verfügung gestellt. Jedes Gründungsauftrags.
Land finanziert die bei ihm ansässigen, an einem
Deutschen Zentrum beteiligten Einrichtungen Y eutsches Zentrum für Diabetes
D
mit einem anteiligen Beitrag in Höhe von 10 %. forschung
Bei der Auswahl der Partnerstandorte und
bei der Förderung der Deutschen Zentren der Die modernen Lebens- und Ernährungsgewohn-
Gesundheitsforschung wird Wert darauf gelegt, heiten mit einer energiereichen Ernährung bei
dass wegweisende Beispiele zur Behebung der gleichzeitigem Bewegungsmangel begünstigen
strukturellen Nachteile des deutschen Gesund- zunehmend auch bei Kindern und Jugendlichen
heitsforschungssystems (vgl. Seite 16) erarbeitet die Entstehung von Übergewicht und Adiposi-
und erprobt werden. Die Deutschen Zentren tas. Diese werden oft als primäre Ursachen für
stehen in der besonderen Verantwortung, die die Entwicklung von Krankheiten wie Diabetes
zur Verfügung stehenden Forschungsgelder Typ 2, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und diversen
konzentriert und effektiv zum Wohl der Patien- Tumorarten genannt. In Deutschland werden für
ten einzusetzen. Daher wird die Übertragung das Jahr 2025 annähernd 10 Millionen Diabetes-
wissenschaftlicher Erkenntnisse in die therapeu- Patienten vorhergesagt. Angesichts der stetigen
tische Praxis wesentlicher Bestandteil und auch Zunahme der Erkrankungen ist eine wesentlich
Evaluierungskrite ium der Deutschen Zentren
r umfassendere Forschungsstrategie mit neuen
sein. Methoden zur individualisierten Diagnose, Prä-
vention und Therapie dringend erforderlich.
Y eutsches Zentrum für Neuro
D
degenerative Erkrankungen Im Jahr 2009 wurde das Deutsche Zentrum
für Diabetesforschung gegründet. Es hat fünf
Die Funktion des menschlichen Gehirns, seine Partner: das Helmholtz Zentrum München für
Entwicklung und seine Erkrankungen zu ver- Gesundheit und Umwelt, das Deutsche Diabetes-
stehen ist eine der größten Herausforderungen Zentrum in Düsseldorf, das Deutsche Institut
der Biowissenschaften. Durch Fortschritte in für Ernährungsforschung Potsdam, die Univer-
der Weiter- und Neuentwicklung von Untersu- sität Tübingen sowie das Universitätsklinikum
chungsmethoden und -geräten ist es möglich Dresden. Durch diese Zusammenarbeit werden
geworden, das gesunde menschliche Gehirn zu Lücken in der Forschungskette geschlossen und
studieren und damit weitreichende Erkenntnisse die translationale Forschung in Deutschland auf
über unser Denken, Fühlen und Verhalten und diesem Forschungsgebiet gestärkt.
entsprechende Störungen zu erlangen. Neurode-
generative Erkrankungen, zu denen Parkinson Y eutsches Zentrum für Herz-Kreislauf
D
und Demenzen wie Alzheimer gehören, sind für Forschung
Betroffene und Angehörige eine extrem hohe
Belastung. Den unterschiedlichen Herz-Kreislauf-Erkran-
kungen liegen häufig gemeinsame Risikofakto-
Das im Jahr 2009 gegründete Zentrum bündelt ren wie Übergewicht, Diabetes oder Rauchen
bundesweit die wissenschaftliche Kompetenz auf zugrunde. Sie führen zu einer signifikanten
dem Gebiet von neurodegenerativen Krankheiten Verkürzung der Lebensdauer und beeinträchti-
20. 14 Die strukturelle Herausforderung: Gebündelte Erforschung von Volkskrankheiten
gen über lange Zeit erheblich die Lebensqualität Y eutsches Zentrum für Infektions
D
der Betroffenen. Zur Bekämpfung von Herz- forschung
Kreislauf-Erkrankungen existieren zahlreiche
therapeutische Konzepte. Häufig lässt sich damit Jeden Tag sterben weltweit Tausende Menschen
jedoch nur eine unzureichende Verbesserung an HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria sowie
der Organfunktion und der Gesamtsituation der an weiteren, nicht minder lebensbedrohlichen
Patienten erreichen. Umso wichtiger ist die Ent- tropischen Infektionskrankheiten. Zu ihrer
wicklung und Förderung von Konzepten, die auf Bekämpfung fehlt es nach wie vor an sicheren
eine frühzeitige, individualisierte Prävention und und bezahlbaren Impfstoffen, Diagnosemetho-
Therapie abzielen. den und Therapien. Deutschland kann und
will zu ihrer erfolgreichen Bekämpfung einen
Deutsche Forscherinnen und Forscher sind in wichtigen Beitrag leisten.
den für die Herz-Kreislauf-Forschung entscheiden-
den Forschungsgebieten international erfolg- Die Belastung durch Infektionserkrankun-
reich und haben wesentliche Beiträge zu den gen ist aber auch in Deutschland von enormer
medizinischen Fortschritten geleistet. Durch die medizinischer und ökonomischer Bedeutung.
Zentrumsbildung wird die deutsche Herz-Kreislauf- Dies betrifft auch die sogenannten Zoonosen,
Forschung nachhaltig verzahnt – von der Grundla- d. h. Krankheiten, die von Tieren oder auch
genforschung über die klinische Forschung bis zur Lebensmitteln tierischer Herkunft auf den Men-
Versorgungsforschung. Universitäre und außeruni- schen übertragen werden können. Die schnell
versitäre Einrichtungen werden überregional part- anwachsende Weltbevölkerung, der demografi-
nerschaftlich zusammenarbeiten, ihre Arbeiten sche Wandel in der Bevölkerung, der Klimawan-
koordinieren und Forschungsinfrastrukturen wie del, die Veränderungen in den Essgewohnhei-
z. B. Register gemeinsam nutzen. ten sowie die Globalisierung des Reiseverkehrs
21. Die strukturelle Herausforderung: Gebündelte Erforschung von Volkskrankheiten 15
und des Handels begünstigen dabei das Bei verschiedenen Krebstherapien ist die
Auftreten von Zoonosen und die Verbreitung individualisierte Medizin nicht nur Visi-
von Zoonosenerregern. Die Erforschung on, sondern schon Realität. Hier gibt es
dieses Gebiets erfordert die enge Zusammen- eine Reihe von Arzneimitteln, für die vor
arbeit von Humanmedizin und Veterinärme- Therapiebeginn molekularbiologische dia-
dizin. Aber auch eine andere Entwicklung gnostische Tests durchgeführt werden, um
erhöht die von Infektionskrankheiten aus- Vorhersagen über Wirksamkeit, Nebenwir-
gehenden Gefahren: Immer mehr bewährte kungen und angemessene Dosierung der
antiinfektive Substanzen wie Antibiotika, Wirkstoffe für den einzelnen Patienten
Antimykotika und Virostatika verlieren ihre zu treffen. Insgesamt hat die Entwicklung
Wirksamkeit, da die Keime Resistenzen neuer Therapien und Diagnostika mit den
entwickeln. Darüber hinaus treten immer enorm wachsenden Erkenntnissen aus der
wieder neue Krankheitserreger oder bekann- Grundlagenforschung jedoch nicht Schritt
te Erreger mit veränderten Eigenschaften gehalten. Um neue Therapiekonzepte wei-
auf, die Krankheiten mit hoher Morbidität terzuentwickeln sowie die Heilungsraten
und Mortalität auslösen und große Anforde- und Überlebenschancen der Patienten zu
rungen an die Erkennung, Vorbeugung und verbessern, müssen die Erkenntnisse aus
Behandlung stellen. den Forschungslaboren in klinische Studien
und weiter in die medizinische Versorgung
Im Deutschen Zentrum für Infektionsfor- übertragen werden. Dies zählt zu den Kern-
schung werden wissenschaftliche Expertisen, aufgaben des Deutschen Konsortiums für
Infrastrukturen und Ressourcen bundesweit translationale Krebsforschung.
gebündelt und die bestehenden universi-
tären und nichtuniversitären Forschungs- Y eutsches Zentrum für Lungen-
D
gruppen enger verbunden. Ziel künftiger forschung
Forschung ist es, die Mechanismen von
Infektionskrankheiten und ihre Verlaufs- Für Asthma und andere chronische Lungen-
und Verbreitungsmuster sowie die mit der krankheiten, aber auch für Bronchialkarzi-
Behandlung der Krankheiten verbundenen nome, Lungenemphyseme oder respiratori-
Resistenzentwicklungen der Erreger besser sche Allergien existieren keine hinreichend
zu verstehen. effektiven Therapiemöglichkeiten. Dies stellt
eine große Herausforderung für die Gesund-
Y eutsches Konsortium für translationale
D heitsforschung dar, der nur durch wissen-
Krebsforschung schaftliche und strukturelle Koordinierung
der führenden deutschen Lungenforschungs-
Die biomedizinische Grundlagenforschung gruppen begegnet werden kann.
hat in den vergangenen 30 Jahren zu den
molekularen und zellulären Ursachen von Um dies zu erreichen, werden im Deut-
Krebserkrankungen wegweisende Erkennt- schen Zentrum für Lungenforschung die
nisse gewonnen und daraus neue Strategien besten universitären und außeruniversitären
zur Therapie entwickelt. Für Patienten mit pneumologischen Forschungseinrichtungen
bestimmten Krebserkrankungen, wie Leukä- zusammengeführt. Die grundlagen- und
mien oder bestimmte bösartige Tumore im patientenorientierte Forschung auf dem Ge-
Kindesalter, haben sich die Chancen auf eine biet der Lungenerkrankungen wird koordi-
dauerhafte Heilung in den vergangenen zehn niert und auf internationales Spitzenniveau
bis fünfzehn Jahren erheblich verbessert. Bei angehoben, um so die Translation grundla-
häufigen Tumoren wie Brust- und Darmkrebs genwissenschaftlicher Erkenntnisse in neue
stieg die Fünfjahresüberlebensrate auf über klinische Konzepte zur Verbesserung der
75 bzw. 55 %. Patientenversorgung sicherzustellen.
22. 16 Die strukturelle Herausforderung: Gebündelte Erforschung von Volkskrankheiten
Forschungs- und nachwuchsfreundliche Klinische Studienzentren, die Translationszentren
Rahmenbedingungen und Strukturen für Regenerative Medizin oder die Etablierung
gesonderter Nachwuchsforschungsgruppen wid-
Strukturelle Probleme der medizinischen For- men sich dieser Herausforderung. Folgende Ziele
schung in Deutschland wurden schon oft in Denk- stehen dabei besonders im Blickfeld:
schriften thematisiert und mit Fördermaßnahmen
der Bundesregierung angegangen. Es gibt zwar ●● eine fundierte wissenschaftliche Qualifizie-
punktuelle Erfolge, aber noch keine in die Fläche rung des Nachwuchses in der Medizin, den
gehenden, nachhaltigen Verbesserungen. Naturwissenschaften und in Gesundheits-
berufen wie Pflegewissenschaft, Logopädie,
Dies ist insbesondere für die Situation des wis- Ergotherapie, Physiotherapie und dem Hebam-
senschaftlichen Nachwuchses nachteilig. Gerade in menwesen,
der Hochschulmedizin steht der wissenschaftliche
Nachwuchs in einem besonderen Spannungsfeld. ●● eine angemessene Verankerung wissenschaft-
Das bisherige Leitbild des deutschen Hochschulme- licher Arbeitsweise in allen Phasen der medi-
diziners geht davon aus, dass exzellente Leistun- zinischen Ausbildung, z. B. durch Integration
gen in Forschung, Lehre und Krankenversorgung einer wissenschaftlichen Grundausbildung in
durch ein und dieselbe Person erbracht werden. das Studium, durch Forschungsstipendien für
Die medizinische Ausbildung an den deutschen Studierende, zeitlich begrenzte Freistellungen
Hochschulen ist jedoch auf die praktische ärztliche von der Krankenversorgung oder durch höhe-
Tätigkeit ausgerichtet und bietet kaum Qualifizie- re wissenschaftliche Ansprüche an medizini-
rungsinhalte für wissenschaftliches Arbeiten. Die sche Doktorarbeiten,
wachsende Bedeutung der patientenorientierten
Forschung darf die Arbeitsbelastung engagierter ●● eine frühe wissenschaftliche und finanzielle
Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissen- Selbstständigkeit für die Arbeit von Nach-
schaftler nicht weiter erhöhen; Forschung sollte wuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchs-
nicht in die „Freizeit“ verschoben, sondern als Teil wissenschaftlern,
der ärztlichen Aufgaben verstanden werden und
einen dementsprechenden Stellenwert erhalten. ●● die Erhaltung des Interesses an Forschung nach
der ärztlichen Ausbildung, u. a. durch eine
Aus dem Dreiklang von Forschung, Lehre und stärkere Berücksichtigung von Forschungs
Krankenversorgung ergibt sich eine weitere struk- leistungen in der beruflichen Karriere an Uni-
turelle Problematik: Die für die Erfüllung dieser versitätsklinika und durch adäquate Beschäfti-
drei hochschulmedizinischen Aufgaben erfor- gungssituationen für den wissenschaftlichen
derlichen Mittel stammen aus unterschiedichen
l Mittelbau,
Quellen, sind aber jeweils zweckgebunden. Auch
wenn die Tätigkeit eines einzelnen ärztichen
l ●● die Vermittlung eines Grundverständnisses
Mitarbeiters oder einer einzelnen ärztlichen Mit- für industrielle Forschung und Entwicklung
arbeiterin nicht minutengenau Forschung, Lehre und der für Industriekooperationen relevanten
oder Krankenversorgung zugeordnet werden regulatorischen Standards für Postgraduierte,
kann, müssen die hochschulmedizinischen Stand-
orte doch mit einer funktionierenden Trennungs- ●● die Verbesserung der beruflichen Chancen
rechnung sicherstellen, dass Forschungsmittel für naturwissenschaftliche Forscherinnen und
vollständig der Forschung zugutekommen. Forscher in der Gesundheitsforschung.
Von den Deutschen Zentren der Gesundheits- Unter dem Dach des Rahmenprogramms Gesund-
forschung werden wegweisende Impulse zur heitsforschung werden diese Ziele in den genann-
Schaffung forschungs- und nachwuchsfreund- ten, besonders auf die Schaffung forschungs- und
licher Rahmenbedingungen und Strukturen nachwuchsfreundlicher Rahmenbedingungen
erwartet. Auch andere Förderaktivitäten des und Strukturen ausgerichteten Fördermaßnah-
Rahmenprogramms Gesundheitsforschung wie men verfolgt, aber auch als Querschnittsziele in
Integrierte Forschungs- und Behandlungszentren, allen anderen Maßnahmen (vgl. Seite 45).
23. Die strukturelle Herausforderung: Gebündelte Erforschung von Volkskrankheiten 17
Krankheitsbezogene Projektförderung Die Projektförderung außerhalb des thema
tischen Bereichs der Deutschen Zentren wird mit
Krankheitsbezogene Förderung erfolgt im Rah- verschiedenen Förderinstrumenten die Erfor-
menprogramm Gesundheitsforschung einerseits schung anderer wichtiger Krankheiten als der in
mit den Deutschen Zentren der Gesundheitsfor- Deutschen Zentren bearbeiteten Volkskrankhei-
schung, andererseits mit der Projektförderung ten ermöglichen. Dazu zählen andere häufige
des Bundes. Die krankheitsbezogene Projektförde- Erkrankungen, aber auch weniger häufige und
rung wird künftig die Forschungsschwerpunkte seltene Erkrankungen mit gesellschaftlicher Re-
der Deutschen Zentren komplementär ergänzen. levanz. Der Einsatz der Forschungsmittel erfolgt
Projektförderung im thematischen Bereich eines dabei so, dass er zu strukturellen Verbesserungen
Deutschen Zentrums wird zwei zentrale Ziele führt, einen gesellschaftlichen Bedarf deckt und
haben: im Deutschen Zentrum zu der jeweiligen zu Innovationen und Wertschöpfung in Deutsch-
Volkskrankheit nicht bearbeitete Forschungsfra- land beiträgt. Entlang dieser Kriterien wird die
gen zu verfolgen und das Deutsche Zentrum mit Bundesregierung ihre krankheitsbezogene Pro-
weiteren wissenschaftlichen Partnern und der jektförderung weiter profilieren.
Wirtschaft zu verbinden.
24. 18 Die Forschungsherausforderung: Individualisierte Medizin
25. Die Forschungsherausforderung: Individualisierte Medizin 19
Die Forschungsherausforderung:
Individualisierte Medizin
Aktionsfeld 2 des Rahmenprogramms Neben der Auswahl geeigneter Arzneimittel
Gesundheitsforschung bietet die individualisierte Medizin auch ein großes
Potenzial für patientenspezifische Medizinprodukte.
Eine der zentralen Herausforderungen der Ge- Sogenannte therapeutische Unikate, die passgenau
sundheitsforschung ist es, für jeden Patienten für den einzelnen Patienten angefertigt werden,
und jede Patientin das höchstmögliche Maß sind in der Prothetik bereits Routine.
an therapeutischer Wirksamkeit bei gleich In Zukunft wird auch die regenerative Medi-
zeitiger Minimierung der Nebenwirkungen zin Verfahren entwickeln und bereitstellen, die
zu erreichen. Die großen Fortschritte in der patientenspezifisch sind. Erste Therapieverfahren
Erforschung von Krankheitsursachen und befinden sich bereits in der klinischen Anwendung,
z. B. bei der Regeneration des Immunsystems oder
neue diagnostische Technologien lassen die- von Knorpeln und Haut. Einen wichtigen Beitrag
ses Ziel näher rücken – wir befinden uns auf leisten Untersuchungen zu den sogenannten
dem Weg zu einer individualisierten Medizin. Advanced Therapies mit gewebebasierten Metho-
den (Tissue Engineering), mit Zellen (Zelltherapie)
Im Rahmen der individualisierten Medizin wer- und genbasierten Ansätzen (Gentherapie). Bis zur
den auch die unterschiedlichen Voraussetzungen Routineanwendung müssen jedoch noch Fragen zu
und Bedürfnisse von verschiedenen Bevölkerungs- Wirksamkeit, Nutzen, Wirtschaftlichkeit, Sicherheit,
gruppen bei der Gesundheitsversorgung und der Normung und Standardisierung durch entspre-
Prävention besonders berücksichtigt. So brauchen chende Studien beantwortet werden. Des Weiteren
etwa Kinder und Jugendliche andere Therapiever- müsste das Potenzial an Chancen und Risiken im
fahren als erwachsene oder alte Menschen; Frauen Bereich der individualisierten Medizin im Hinblick
und Männer reagieren verschieden auf manche auf Patientenautonomie, Nichtdiskriminierung und
Arzneimittel, und multimorbide Menschen bedür- Verteilungsgerechtigkeit untersucht werden.
fen individuell angepasster Behandlungsverfahren.
Zudem werden Häufigkeit und Verlauf von Krank- Erste Schritte auf dem Weg zur individualisier-
heiten oft vom jeweiligen sozialen Hintergrund ten Medizin sind das Verständnis grundlegender
beeinflusst. Krankheitsmechanismen und die Identifizierung
molekularer Schaltstellen für die Ausprägung einer
In der Vision der individualisierten Medizin Erkrankung. Wichtig sind Diagnostik und darauf
wird es bereits vor Beginn der Behandlung mög- aufbauend die Entwicklung geeigneter Therapien.
lich sein, das für den Einzelnen optimale thera- Die meisten Volkskrankheiten haben viele Ursachen;
peutische Verfahren auszuwählen. So wird sich häufig spielen Ernährung, Bewegung und individu-
vorab feststellen lassen, ob der Patient oder eine elle genetische und physische Ausprägungen mit
bestimmte Patientengruppe ein Arzneimittel gut Umwelteinflüssen zusammen. Viele der sogenannten
vertragen wird oder ob das Arzneimittel bei der seltenen Erkrankungen entstehen dagegen durch die
jeweiligen individuellen Veranlagung und dem Mutation einzelner Gene. Von den ca. drei Milliarden
Erkrankungstyp tatsächlich wirksam werden kann. genetischen Bausteinen ist etwa jeder tausendste von
Krankheits- und therapierelevante Gene, Proteine Mensch zu Mensch verschieden. Ein wesentliches
und andere Moleküle werden für eine spezifische Ziel der Forschung ist es, diejenigen Genvarianten
Diagnose und eine maßgeschneiderte Therapie zu identifizieren, die Krankheiten verursachen bzw.
genutzt. Therapien lassen sich gezielt und damit ihre Träger vor Krankheiten schützen. Basis für die
wirksamer einsetzen und führen somit zu besseren Identifizierung krankheitsrelevanter Gene, deren
Ergebnissen für Patientinnen und Patienten. Dabei Funktionsanalysen oder die Beschreibung der kom-
wird es für die Übertragung der Forschungsergeb- plexen Wechselwirkungen ist die lebenswissenschaft-
nisse in medizinische Produkte und Verfahren und liche Grundlagenforschung, zu der in diesem Kontext
in die allgemeine Versorgung darauf ankommen, insbesondere die medizinische Genomforschung, die
Wirksamkeit und Nutzen der neuen Möglichkeiten Systembiologie, die Computational Neuroscience und
genau zu bewerten. die Stammzellforschung gehören.
26. 20 Die Forschungsherausforderung: Individualisierte Medizin
Die Forschungsförderung unter Nachweis ihres Nutzens für den Patienten
zur individuaisierten Medizin
l rasch zur Marktreife gelangen.
In der Förderung wird indikationsoffen der Gesonderte Schwerpunkte liegen auf der
Bogen von der Grundlagenforschung über die Erforschung der seltenen Krankheiten und auf
präklinische und klinisch-patientenorientierte der Erforschung von Krankheitsaspekten, die für
Forschung bis in die Gesundheitswirtschaft bestimmte Bevölkerungsgruppen spezifisch sind
gespannt und so – mit dem Ziel einer schnellen (z. B. Frauen/Männer, Menschen mit Migrations-
und effektiven Translation – die systematische hintergrund, Kinder). Zu Prävention vgl. Aktions-
Entwicklung von Produkten und Verfahren ent- feld 3, zu Versorgungsforschung Aktionsfeld 4.
lang des Innovationsprozesses ermöglicht.
Y ebenswissenschaftliche Grundlagen
L
Hierzu wird ein aufeinander abgestimmtes forschung
Spektrum an Förderaktivitäten angeboten und
weiterentwickelt, das die Stufen des Innovations- Umfangreiche, aufeinander abgestimmte Förder-
prozesses adressiert. Regelmäßige Ausschreibun- aktivitäten zielen insbesondere auf vier Bereiche
gen dieser Förderaktivitäten geben Wissenschaft der lebenswissenschaftlichen Grundlagenfor-
und Wirtschaft Verlässlichkeit und ermöglichen schung:
es, nach erfolgreichem Projektabschluss die Arbeit
konsequent in einer nachfolgenden Stufe des Medizinische Genomforschung – Die Zusam-
Innovationsprozesses fortzusetzen. Bei der Ent- menführung von struktur- und funktionsbezoge-
wicklung von Produkten und Verfahren ist häufig nen Daten mit Informationen über die Krank-
gerade der Übergang von einer Stufe des Innovati- heitsentstehung und ihren Verlauf ermöglicht
onsprozesses zur nächsten problematisch. Deshalb Rückschlüsse auf den Einfluss des Genoms,
wird zusätzlich zu den Fördermaßnahmen, die seiner Produkte sowie von Umwelteinflüssen
einzelne dieser Stufen adressieren, ein neues För- bei multifaktoriell bedingten Krankheiten.
derinstrument entwickelt, das über mehrere Stu- Durch die Fördermaßnahmen des Nationalen
fen hinweg strategische Partnerschaften zwischen Genomforschungsnetzes und der Medizinischen
Wissenschaft, Wirtschaft und Anwendern im Ge- Infektionsgenomik, aber auch mithilfe der
sundheitssystem entlang des Innovationsprozesses Beteiligung an internationalen Aktivitäten wie
unterstützt. So wird es möglich, dass innovative dem International Human Epigenome Consorti-
Ideen für neue Diagnose- und Therapieverfahren um (IHEC) und dem ERA-NET on Genomics and
Wie entstehen diagnostische und therapeutische Produkte und Verfahren?
5. Klinische
3. Klinische Studien
Studien 4. linische
K Phase IV (nach
1. ebenswissen
L Phase I/II: Studien Einführung in 6. Versorgungs
schaftliche 2. Präklinische Verträglichkeit Phase III: die Routine forschung,
Grundlagen Forschung und Sicherheit Nachweis versorgung): Gesundheits
forschung und erste Unter der Wirk Therapiever- ökonomie
suchungen zur samkeit gleichsstudien,
Wirksamkeit Therapie
optimierung
27. Die Forschungsherausforderung: Individualisierte Medizin 21
Genetic Epidemiology of Multifactorial Disease übergreifend von der Neurobiologie sowie
(GenERA) wird die Förderung im Rahmen die- der Kognitionsforschung, Systembiologie und
ses Programms dazu in den kommenden Jahren Informationstechnologie genutzt werden kann.
wichtige Beiträge leisten. Die Aktivitäten des Bernstein Netzwerks liefern
wichtige Forschungsimpulse für die Computa
Systembiologie – Molekularbiologische tional Neuroscience.
Methoden der Genom-, Proteom- und Meta-
bolomforschung werden mit mathematischen Stammzellforschung – Wegen ihrer Regenera-
Konzepten der Datenanalyse und Modellierung tions- und Entwicklungsfähigkeit sind Stammzel-
verknüpft. Dadurch wird es möglich, biologi- len ein hervorragendes Forschungsobjekt, um
sche Systeme in ihren funktionellen Eigenschaf- die Steuerung und Entwicklung von Zellen sowie
ten zu verstehen und Vorhersagen über ihr die Regenerationsmechanismen des Körpers zu
Verhalten zu ermöglichen, wie beispielsweise untersuchen. Neben den gewebespezifischen
bei Stoffwechselwegen, Zellorganellen, ganzen (adulten) und den embryonalen sind in den ver-
Zellen, Organen oder Organismen. Mit einem gangenen Jahren die induzierten pluripotenten
Innova ionswettbewerb Systembiologie werden
t Stammzellen in den Mittelpunkt des Interesses
die bisherigen Aktivitäten gebündelt, das der Stammzellforschung gerückt. Ein besseres
Potenzial des systembiologischen Forschungs- Verständnis der Eigenschaften und Entwicklungs-
ansatzes für die Grundlagenforschung gestärkt prozesse von Stammzellen erlaubt eine effiziente
und gleichzeitig Brücken hin zur Anwendung Nutzung als Testsysteme für die Entwicklung von
geschlagen. Therapien und erleichtert eine spätere Nutzung
in der regenerativen Medizin.
Computational Neuroscience – Konzeptio-
neller Forschungsansatz in der Hirnforschung, Y räklinische Forschung
P
der Experiment, Datenanalyse und Computersi-
mulation auf der Grundlage definierter theore- Ein kritischer Schritt in der Entwicklung neuer
tischer Konzepte verbindet und so ein besseres Therapeutika, Diagnostika oder Impfstoffe ist
Verständnis der neuronalen Grundlagen kog- die Identifizierung von potenziellen Andock-
nitiver Leistungen ermöglicht. Die Computa punkten, möglichen Wirkstoffen und deren
tional Neuroscience stellt eine wissenschaftliche erste Überprüfung auf therapeutische oder
Sprache zur Verfügung, die fach- und ebenen- diagnostische Wirksamkeit im Labor.
28. 22 Die Forschungsherausforderung: Individualisierte Medizin
Individuelle Behandlungen erfordern neben Y trategische Partnerschaften
S
diagnostischen Verfahren zur Unterscheidung für Translation
der Patienten die Existenz alternativer Thera-
pieoptionen. Dabei kristallisiert sich heraus, Effiziente Translation soll das Ziel verfol-
dass immer weniger innovative Substanzen gen, medizinischen Fortschritt, d. h. die
mit den klassischen Methoden der Pharmafor- Übertragung der Forschungsergebnisse in
schung gefunden werden. Stattdessen kommen das Gesundheitswesen, zu beschleunigen,
immer häufiger biotechnologische Verfahren damit neue Erkenntnisse schneller als bisher
zum Einsatz. Auch wurde aufbauend auf Er- den Menschen zugutekommen. Aus der
gebnissen der Grundlagenforschung ein großes synergistischen Zusammenarbeit von Wis-
Potenzial an molekularen Markern erschlos- senschaft, Biotechnologiefirmen, Kliniken,
sen. Eines der wesentlichen Probleme ist die Pharmafirmen und – soweit zulässig – von
Überprüfung ihres konkreten Nutzens für The- Regulierungsbehörden ergeben sich dabei
rapieentscheidungen. Derartige Forschungs- neue Möglichkeiten für Translation; neuar-
arbeiten werden ebenso wie die Forschung tige Ansätze für innovative Produkte und
zur Erweiterung der Therapiemöglichkeiten Dienstleistungen können entstehen. Diese
gefördert. Zudem wird künftig die Erforschung Ziele werden durch die Förderung strategi-
der Kombination neuer Diagnostik- mit Thera- scher Partnerschaften zur individualisierten
pieverfahren unterstützt, denn erst durch diese Medizin verfolgt.
Kombination erfolgt die eigentliche Individua
lisierung der Behandlungskonzepte. Die prä- Y rforschung seltener Krankheiten
E
klinische Forschung greift diese Ergebnisse auf
und bringt sie in ein Stadium der Entwicklung, Von der Individualisierung der Medizin profi-
in dem sie gefahrlos am Menschen angewandt tiert auch die Erforschung seltener Krankhei-
werden können. ten. Eine Erkrankung gilt nach der in der EU
gültigen Definition als selten, wenn weniger
Y linische Studien
K als eine von 2.000 Personen darunter leidet.
Zu den seltenen Krankheiten werden zwischen
Klinische Studien sind Motor für Innovationen 5.000 und 8.000 Krankheiten gezählt; an ihnen
in der Gesundheitsforschung und im Gesund- leiden in Deutschland insgesamt etwa 2,5 bis
heitswesen. Klinische Studien aller Prüfphasen 5 Millionen Menschen. Die Forschung zu sel-
sind aber mit einem hohen wissenschaftlichen, tenen Erkrankungen – besonders die klinische
logistischen und finanziellen Aufwand ver- Forschung – ist mit erschwerten Ausgangsbe-
bunden, der vor allem der Patientensicherheit dingungen konfrontiert. Dazu zählen vordring-
dient. Durch die Förderung der klinischen For- lich die geringe Anzahl an Patienten, eine die
schung in Koordinierungszentren für klinische Durchführung von Studien erschwerende über-
Studien, Studienzentren und Kompetenznet- regionale Verteilung und eine geringe Zahl
zen hat das BMBF in den vergangenen Jahren von Wissenschaftlern, die an einer seltenen Er-
die Voraussetzungen für bundesweite und krankung arbeiten. Im Rahmen des von BMG,
internationale Studiennetze geschaffen, um BMBF und Achse e.V. etablierten Nationalen
Forschungsergebnisse schneller in der Praxis Aktionsbündnisses für Menschen mit seltenen
anwenden zu können. Damit hat sich Deutsch- Erkrankungen (NAMSE) wird daher gezielt die
land im internationalen Vergleich eine sehr kooperative Forschung und Vernetzung von
gute Position erarbeitet. Deutschland nimmt Wissenschaft und Klinik gefördert. Da etliche
seit dem Jahr 2006 bei der absoluten Zahl der Erkrankungen auch durch Bündelung nationa-
Studien innerhalb der EU die Spitzenposition ler Kapazitäten nicht adäquat erforschbar sind,
ein. Dies lässt Rückschlüsse zu auf die Zahl werden die nationalen Fördermaßnahmen zu-
der Studien durchführenden Zentren und auf dem europäisch und international abgestimmt
die gute Infrastruktur für klinische Prüfungen und ergänzt.
in Deutschland insgesamt. Außerdem fördern
BMBF und DFG gemeinsam nicht kommerzielle
multizentrische klinische Studien.
30. 24 Die Vorsorgeherausforderung: Präventions- und Ernährungsforschung
31. Die Vorsorgeherausforderung: Präventions- und Ernährungsforschung 25
Die Vorsorgeherausforderung:
Präventions- und Ernährungsforschung
Aktionsfeld 3 des Rahmenprogramms Maßnahmen dienen im Regelfall der generellen
Gesundheitsforschung Gesundheitsförderung, in ihrem Mittelpunkt ste-
hen häufig Bewegung, Ernährung und Stressbe-
Die Entstehung oder der Verlauf von Krank wältigung. Maßnahmen der Sekundärprävention
heiten kann durch Ernährung, Bewegung, haben zum Ziel, Krankheiten besonders früh zu
Verhaltensweisen oder Umweltfaktoren erkennen. Dadurch soll der Verlauf der Krankheit
günstig beeinflusst oder ihr Auftreten sogar ganz
beeinflusst werden. Bei der Aufklärung der verhindert werden. In diesen Bereich fallen bei-
Wechselwirkungen zwischen krankheits spielsweise die Maßnahmen zur Früherkennung
auslösenden Genmutationen und externen bei Krebs. Tertiäre Präventionsmaßnahmen sollen
Faktoren sind jedoch noch vielfältige For Rückfällen vorbeugen, haben also beispielsweise
zum Ziel, dass kein weiterer Schlaganfall eintritt.
schungsfragen zu klären. Bekannt ist, dass Die tertiäre Prävention ist eine wichtige Kompo-
verschiedene Ansätze vorbeugend wirken nente in der Rehabilitation, mit deren Hilfe nicht
können: regelmäßiger Sport, gesunde Er nur Rückfälle, sondern auch Komplikationen oder
nährung, Impfungen, aber auch umweltbe Folgeerkrankungen vermieden werden können.
Bis vor wenigen Jahren galt, dass Präventions-
zogene Maßnahmen wie die Reduzierung maßnahmen häufig ohne ausreichenden wissen-
von Feinstäuben oder allergieauslösenden schaftlichen Nachweis ihrer Wirksamkeit, aber
Stoffen. Dabei bewirkt erfolgreiche Präven auch ihrer möglichen unerwünschten Effekte
tion zweierlei: Sie steigert Wohlbefinden und durchgeführt wurden, da nur wenige entspre-
chende Studien vorlagen. Da sich z. B. sekundär-
Gesundheit und birgt zugleich erhebliche präventive Maßnahmen der Krankheitsfrüher-
Einsparpotenziale für die Sozialsysteme. kennung an klinisch gesunde, beschwerdefreie
Menschen richten, ist es besonders wichtig, den
Nicht jeder Raucher erkrankt an Krebs, und nicht Nutzen dieser Maßnahmen (z. B. bessere Prognose
jeder Nichtraucher ist davor geschützt. Nichtrau- aufgrund der früheren Krankheitsentdeckung)
chen reduziert aber die Wahrscheinlichkeit einer gegen mögliche Risiken (z. B. psychische Belas-
Krebserkrankung – selbst wenn eine Veranlagung tung durch falsch-positive Diagnosen, Überdiag-
für Krebs vorliegt. Prädisposition einerseits und nose und Übertherapie) abwägen zu können.
Verhalten, Ernährung, Bewegung und weitere
Lebensstilfaktoren andererseits beeinflussen also Für die Planung und Durchführung einer
gemeinsam die Gesundheit des Menschen. Das Präventionsmaßnahme wie auch einer Therapie
wahre Ausmaß dieser Wechselwirkungen wird ist eine belastbare Datengrundlage unerlässlich.
erst seit einigen Jahren deutlich. Die Erkennt- Hierzu dienen beim gesunden Menschen die
nis, dass durch Umweltfaktoren hervorgerufene populationsbezogene Epidemiologie sowie beim
chemische Veränderungen der Erbsubstanz an kranken Menschen die klinische Epidemiologie.
die nächste Generation weitergegeben werden In der klinischen und bevölkerungsbezogenen
können, ist der Ausgangspunkt für die For- Epidemiologie gewinnen prospektive Langzeitun-
schungsrichtung der Epigenetik. Erkenntnisse aus tersuchungen, die Entwicklungen im Krankheits-
der Epigenetik tragen entscheidend dazu bei, die geschehen sowie den Einfluss von positiven und
Funktionsweise von Prävention besser zu verste- negativen Faktoren evaluieren, immer mehr an
hen. Das Verständnis der Zusammenhänge von Bedeutung.
Prädisposition, Ernährung und Umwelt ist auch
für die Erforschung von Allergien bedeutend. Der Gesundheitsstatus des Menschen wird
auch durch die Ernährung beeinflusst. Mit einer
Präventionsmaßnahmen werden drei Katego- frühzeitigen Ernährungsumstellung werden
rien zugeordnet, wobei die Übergänge in der Pra- oftmals Stabilisierungen oder Verbesserungen des
xis fließend sind: Primärprävention, Sekundärprä- Gesundheitsstatus erreicht. Zunehmend sind auch
vention und Tertiärprävention. Primärpräventive Kinder und Jugendliche von ernährungsmitbe-
32. 26 Die Vorsorgeherausforderung: Präventions- und Ernährungsforschung
dingten Erkrankungen betroffen, in Deutschland Der demografische Wandel und geänderte
sind ca. 2 Millionen von ihnen übergewichtig. Bei Lebensumstände stellen die Präventions- und
den Erwachsenen sind es ca. 37 Millionen. Zwar Ernährungsforschung auch in Hinblick auf die
werden beinahe täglich neue Ernährungsemp- Lebensmittelsicherheit vor große Herausforderun-
fehlungen und Diätratgeber veröffentlicht, aber gen – beispielsweise in Hinblick auf eine infolge
nach wie vor sind grundlegende Fragen über die hohen Alters oder Multimorbidität geschwächte
Zusammenhänge zwischen Ernährung, Bewe- Immunabwehr oder auf lebensmittelbedingte
gung und deren Wirkungsweise im menschlichen zoonotische Krankheiten.
Körper ungeklärt. Wodurch wird das Ernährungs-
verhalten des Einzelnen bestimmt? Welche Unter- Für den eindrucksvollen Anstieg der Lebens
schiede gibt es in der Metabolisierung (Verstoff- erwartung und das deutliche Sinken der Kinder-
wechselung) zwischen den einzelnen Menschen? sterblichkeit sind die Erfolge der Impfstoffent-
Wann und aus welchen Gründen isst der Mensch? wicklung mit verantwortlich. So konnten allein
Nach welchen molekularen Mechanismen wirken durch die globale Initiative zur Impfung gegen
Inhaltsstoffe der Nahrung beim Menschen auf Masern die weltweiten Masern-Todesfälle von
das Immun-, Hormon- und Verdauungssystem 733.000 Menschen im Jahr 2000 auf 164.000 im
sowie die Hirnfunktion? Der Beantwortung dieser Jahr 2008 gesenkt werden. Während einigen
Fragen, die für eine funktionierende Prävention Krankheiten durch Impfungen also effektiv vor-
ganz entscheidend ist, widmet sich die Ernäh- gebeugt werden kann, fehlt es für diverse chro-
rungsforschung. nische Infektionen wie HIV/Aids, Hepatitis oder
Tuberkulose nach wie vor an Impfstoffen.
33. Die Vorsorgeherausforderung: Präventions- und Ernährungsforschung 27
Die Förderung der Präventions- und gangsweg erfolgt, wie die persönliche Anspra-
Ernährungsforschung che durch den Hausarzt. Die Förderung dieser
Forschung soll in Umfang und Themenbreite
Unter dem Dach der Nationalen Präventions- ausgeweitet und systematisiert werden. Künftig
strategie entwickelt das BMBF einen Aktions- sollen Effektivität, Effizienz und unerwünschte
plan zur Präventions- und Ernährungsfor- Effekte von Maßnahmen der Primär-, Sekun-
schung, der die für beide Bereiche relevanten där- und Tertiärprävention erforscht werden,
Forschungsansätze zusammenführt und inter- insbesondere ihre längerfristige Wirksamkeit.
disziplinär verknüpft. Auch die Entwicklung neuer evidenzbasierter
Präventionskonzepte ist eine wichtige Aufgabe
Y pigenetische Forschung zu Prävention
E für die Zukunft.
und Ernährung
Y pidemiologische Forschung
E
Ergebnis bisheriger Forschung ist, dass schon
im Mutterleib durch Ernährung und toxische Die deutsche epidemiologische Forschung
Einflüsse erbliche Faktoren für den Rest des Le- nimmt im internationalen Vergleich bisher
bens an- oder abgeschaltet werden. Gerade bei keine herausragende Rolle ein. Ein nachhalti-
Krankheiten wie Diabetes und Adipositas zeigt ger Ausbau der Epidemiologie setzt struktur-
sich die Bedeutung dieser sogenannten metabo- fördernde Maßnahmen voraus. Hierzu gehören
lischen Programmierung im Jugendalter. Aber spezifisch epidemiologisch ausgerichtete
auch in späteren Lebensabschnitten können Lehrstühle an den Hochschulen, um sowohl
Umwelteinflüsse erbliche Faktoren nachhaltig exzellente Forschung zu betreiben als auch
beeinflussen. Forschungsbedarf besteht auch qualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchs
bei der Klärung, welche Umwelteinwirkungen auszubilden. Aber auch der Aufbau von epide-
welche epigenetischen Modulationen zur Folge miologischen Nachwuchs-Forschungsgruppen
haben und welche Konsequenz daraus für die ist erforderlich. Des Weiteren wird unter der
menschliche Gesundheit folgt. Bezeichnung „Deutsche Studie für Gesundheit
und Prävention“ eine nationale Kohorte mit
Diesbezügliche Forschungsprojekte werden 200.000 gesunden Studienteilnehmern im Alter
künftig in enger Abstimmung mit der For- zwischen 20 und 70 Jahren geplant. Dabei soll
schungsförderung zur individualisierten Medi- der Gesundheitsstatus von Männern und Frau-
zin ermöglicht. en aus verschiedenen Regionen Deutschlands
über einen längeren Zeitraum verfolgt werden,
Y rforschung des Nutzens
E um Zusammenhänge zwischen Genen, Verhal-
von Präventionsmaßnahmen ten, Ernährung, Bewegung und Umwelt bei der
Entstehung von Krankheiten aufzudecken.
Das BMBF fördert schon seit einigen Jahren
Projekte zur Erforschung des Nutzens von Y rnährungsforschung
E
Maßnahmen der Primärprävention. Die bislang
vorliegenden Forschungsergebnisse weisen Die nationale akademische Ernährungsfor-
darauf hin, dass Präventionsmaßnahmen nur schung wird so aufgestellt, dass sie in stärkerem
dann erfolgreich sein können, wenn sie auf die Maße als bisher Lösungen für die aktuellen
jeweilige Zielgruppe (etwa Frauen, Männer, ernährungsbedingten Gesundheitsprobleme
Eltern, Betriebsangehörige, Menschen mit entwickelt. Darüber hinaus können neue
Migrationshintergrund) zugeschnitten und der wissenschaftliche Erkenntnisse im Ernährungs-
jeweils optimale Zugangsweg (z. B. persönliche bereich zur Entwicklung innovativer, konsu-
Ansprache durch den Hausarzt, Tageszeitung, mentenfreundlicher und gesundheitsfördern-
Internet) genutzt wurde. Auch für alte Men- der Produkte und Dienstleistungen beitragen.
schen sind gesundheitsfördernde Maßnahmen Forschung und Entwicklung in Wissenschaft
von Vorteil, aber nur, wenn diese ihrem Alter und Wirtschaft werden durch Profilbildung
entsprechend gestaltet sind, und nur, wenn die der Forschungsstandorte gestärkt und so ein
Aufforderung dazu über einen adäquaten Zu- international kompetitives Niveau erreicht,
34. 28 Die Vorsorgeherausforderung: Präventions- und Ernährungsforschung
Synergieeffekte erzielt und Ressourcen effi- und die Weiterentwicklung des Human-Biomo-
zienter eingesetzt. Die Innovationsfähigkeit nitorings. Gleichzeitig sollte die Forschung zu
der deutschen Ernährungsindustrie und der Fein- und Ultrafeinstaub ( 100 Nanometer) vor-
Nachwuchs werden gezielt unterstützt (capacity angetrieben werden. Gesundheitliche Fragestel-
building). lungen zu synthetischen Nanomaterialien, die
zunehmend in neuen Technologien eingesetzt
Deutschland wird zudem aktiv an der gemein- werden, werden unter dem Dach des Aktions-
samen Planung der Forschungsprogramme plans Nanotechnologie bearbeitet.
in Europa (Joint Programming) im Bereich
Gesundheit, Ernährung und Prävention ernäh- Y mpfstoffentwicklung
I
rungsbedingter Krankheiten mitwirken und so
die Stärkung der deutschen Forschungsland- Um die Schwierigkeiten bei der Entwicklung
schaft und deren Einbindung in den europäi- von Impfstoffen gegen HIV oder Tropen-
schen Forschungsraum vorantreiben. krankheiten wie Malaria zu lösen, müssen die
anwendungsorientierte Grundlagenforschung
Y mweltbezogene Gesundheitsforschung
U intensiviert und neue Verfahren zur Impf-
stoffentwicklung erforscht werden. Gleichzei-
Die umweltbezogene Gesundheitsforschung tig ist eine enge Zusammenarbeit zwischen
vermeidet langfristig Krankheitskosten. Bislang Wissenschaft und Wirtschaft notwendig, um
fehlt es an einer Bewertung der relativen in Deutschland nicht nur die grundlegenden
Bedeutung verschiedener Umweltlasten für Erkenntnisse zu gewinnen, sondern auch die
einzelne Krankheiten (Environmental Burden of darauf basierende Impfstoffentwicklung und
Disease, EBD). Außerdem müssen Daten gene- wirtschaftliche Verwertung zu ermöglichen.
riert werden, die rechtzeitig über die Belastung Deutschland steht zu seiner Mitverantwortung
der Bevölkerung informieren (Frühwarnsystem), für Länder, die die Kosten für die Entwicklung
und es muss ermittelt werden, ob umweltge- neuer Impfstoffe gegen Tropenkrankheiten
richtete Maßnahmen Erfolg haben (Monito- allein nicht aufbringen können, und beteiligt
ring). Geeignete Instrumente hierfür sind die sich deshalb auf europäischer Ebene an der
Fortführung der Umweltsurveys, die Einbezie- Zusammenarbeit mit Afrika bei der klinischen
hung von Geburtskohorten bei neuen Studien Entwicklung und Erprobung neuer Impfstoffe.
36. 30 Die Systemherausforderung: Versorgungsforschung
37. Die Systemherausforderung: Versorgungsforschung 31
Die Systemherausforderung:
Versorgungsforschung
Aktionsfeld 4 des Rahmenprogramms insbesondere im Versorgungsalltag unter Berück-
Gesundheitsforschung sichtigung aller Bevölkerungsgruppen belegen
lassen. Wegen der starken Abhängigkeit des Ge-
Das Gesundheitssystem steht vor der Her- sundheitssystems von nationalen Gegebenheiten
ausforderung, medizinische und organisa- und aufgrund der Komplexität des Versorgungs-
torische Verbesserungen für alle Menschen geschehens lassen sich internationale Forschungs-
ergebnisse jedoch nur begrenzt übertragen. Des-
nutzbar zu machen und gleichzeitig die halb ist auch in Deutschland eine leistungsfähige
Leistungen bezahlbar zu halten. Der An- Versorgungsforschung erforderlich.
teil chronisch kranker und multimorbider
Menschen wächst, während die finanziellen Versorgungsforschung wird hier verstan-
den als die Wissenschaft, die die Kranken- und
Ressourcen für die Deckung eines wach- Gesundheitsversorgung und ihre Rahmenbedin-
senden medizinischen und pflegerischen gungen beschreibt und erklärt, unter Alltags-
Bedarfs begrenzt sind. Zudem entsteht Aus- bedingungen evaluiert und davon ausgehend
gabendynamik durch immer mehr und bes- Versorgungskonzepte entwickelt. Dies schließt
unterschiedliche Disziplinen ein, wie z. B. die
sere Behandlungsmöglichkeiten in vielen Rehabilitationswissenschaften, die Pflegefor-
Bereichen der Versorgung, beispielsweise schung, Forschung zur allgemeinmedizinischen
durch Innovationen in der diagnostischen Versorgung und Palliativmedizin sowie die
Bildgebung, durch neue Arzneimittel oder Gesundheitsökonomie. Als Grundvoraussetzung
für eine effiziente Versorgungsforschung muss
durch neue Hightech-Lösungen in Strahlen- auch die Verfügbarkeit und Nutzbarkeit von
therapie, Chirurgie oder Intensivmedizin. Versorgungsdaten verbessert werden. Die Versor-
Weniger sichtbar, aber ebenso bedeut- gungsforschung dient im Gesundheitswesen zur
sam wie der medizinische und technische Orientierung über Qualität, Therapiesicherheit,
Nutzen und Nachhaltigkeit der Versorgung.
Fortschritt sind die verbesserten Behand-
lungsmöglichkeiten in der Psychotherapie Im Unterschied zu anderen Ländern fand
und die Gesundheitsdienstleistungen wie in Deutschland eine systematische und wissen-
z. B. Ergotherapie, Physiotherapie, Logopä- schaftliche Analyse des Versorgungsgesche-
hens und der Patientensicherheit im Versor-
die, pflegerische Therapien. Diese spielen gungsalltag sowie der sich daraus ergebenden
für die Lebensqualität der Patienten eine Fragestellungen lange Zeit kaum statt. Die
besondere Rolle, z. B. bei Herz-Kreislauf- Bundesregierung hat hier mit ihren bisherigen
Erkrankungen, Diabetes, psychischen Er- Fördermaßnahmen (z. B. Public Health, Rehabi-
litationswissenschaften, Versorgungsforschung
krankungen, Demenzen und muskuloskelet- und Allgemeinmedizin) wesentliche Aufbauhilfe
talen Erkrankungen. geleistet, sodass der Anschluss an die interna
tionale Spitzenforschung punktuell gelungen
In unserem solidarisch finanzierten Gesundheits- ist. Diese Initiativen werden oft in Partnerschaft
system sind die finanziellen Ressourcen begrenzt, mit Kostenträgern im Gesundheitswesen durch-
daher haben Kosten-Nutzen-Erwägungen in der geführt. Das ermöglicht einen größeren Praxis-
Medizin in den letzten Jahren erheblich an Bedeu- bezug der Forschungsprojekte und eine raschere
tung gewonnen. Eine entsprechende Bewertung Umsetzung der Ergebnisse in den Versorgungs-
neuer, aber auch bereits etablierter Verfahren ist alltag.
unerlässlich, damit durch das Gesundheitssystem
nur sinnvolle und wirksame Maßnahmen erstattet
werden. Dabei muss sich der Nutzen von Behand-
lungen nicht nur in klinischen Studien, sondern
38. 32 Die Systemherausforderung: Versorgungsforschung
Die Förderung der Versorgungsforschung gung zu erbringen. So werden die Grundlagen
für neue Lösungsstrategien zu Gestaltung,
Ziel der Forschungsförderung der Bundesregie- Organisation und Finanzierbarkeit des Gesund-
rung zur Versorgungsforschung ist es, wissen- heitswesens geschaffen. Dabei stehen in der
schaftliche Evidenz für die Verbesserung von Versorgungsforschung in besonderem Maße
Qualität und Sicherheit, des Nutzens und der Patientenorientierung und Patientensicherheit
Nachhaltigkeit der gesundheitlichen Versor- im Mittelpunkt.
39. Die Systemherausforderung: Versorgungsforschung 33
Y Studien in der Versorgungsforschung Forschungsmethoden erforderlich. Wissen-
schaftliche Arbeitsgruppen, die hochwertige
Jahrelange medizinische Versorgung ist bei gesundheitsökonomische Forschungsprojekte
chronisch Kranken und bei älteren Patienten durchführen können, existieren bisher nur
die Regel. Die Abgrenzung zwischen statio- an vergleichsweise wenigen Institutionen in
närer und ambulanter Behandlung, zwischen Deutschland. Zudem präsentiert sich das For-
akuter Versorgung, Rehabilitation und Pflege schungsfeld „Gesundheitsökonomie“ insgesamt
sowie die traditionelle Abgrenzung zwischen sehr heterogen und ist in der nationalen wie
ärztlicher und nichtärztlicher Behandlung internationalen Forschungslandschaft noch
sind für einen koordinierten und kontinuier- nicht ausreichend sichtbar. Eine qualifizierte,
lichen Behandlungsverlauf häufig hinderlich. interdisziplinäre und anerkannte gesundheits-
Zur Überwindung der traditionellen Grenzen ökonomische Forschung ist in Deutschland nur
zwischen diesen Versorgungssektoren werden dann zu erreichen, wenn Forschungsstrukturen
bereits integrative Versorgungskonzepte umge- für diesen Fachbereich weiter auf- und ausge-
setzt, beispielsweise der Aufbau medizinischer baut werden. Dies ist Voraussetzung dafür, dass
Versorgungszentren, Verträge zur integrierten gesundheitsökonomische Fragen frühzeitig
Versorgung, Disease-Management-Programme auch bei der Entwicklung neuer Therapien
und Case Management. Gegenstand einer berücksichtigt werden.
wissenschaftlich fundierten Evaluation können
z. B. Prozessabläufe, Nachhaltigkeit oder Zusam- Y Förderung des wissenschaftlichen
menspiel der einzelnen Akteure sein. Gefördert Nachwuchses
werden mit einem thematisch offenen Ansatz
Projekte aus einzelnen Bereichen z. B. der Versorgungsforschung und Gesundheitssys-
Pflegeforschung, der palliativmedizinischen temforschung sind in Deutschland noch junge
Forschung, der Rehabilitationsforschung und Disziplinen. Damit die Versorgungsforschung
der Allgemeinmedizin, aber auch sektorüber- international sichtbar und konkurrenzfähig
greifende Ansätze. wird und die wissenschaftliche Basis für ein
zukunftsfähiges Gesundheitssystem legen kann,
Nebenwirkungen von Arzneimitteltherapien wird eine systematische und attraktive Karriere-
führen in relevantem Umfang zu vermeid arer
b optionen aufzeigende Förderung des Nach-
Morbidität und Mortalität. Dies ist in allen wuchses in der Versorgungsforschung erfolgen.
Ländern belegt, aus denen hierzu Untersuchun-
gen vorliegen. Ansätze zur Verbesserung der Y Förderung von Studienstrukturen
Arzneimitteltherapiesicherheit gehören zum für die Versorgungsforschung
Spektrum der Versorgungsforschung.
Studien der Versorgungsforschung sind un-
Y Zentren der gesundheitsökonomischen
verzichtbarer Bestandteil der medizinischen
Forschung und medizinsoziologischen Forschung. Die
Durchführung von Studien der Versorgungsfor-
Die Bedeutung der gesundheitsökonomischen schung erfordert hohe methodische Kompetenz
Forschung hat in den vergangenen Jahren und Kooperation unterschiedlicher wissen-
erheblich zugenommen. Der Bedarf an fun- schaftlicher Disziplinen sowie die Koopera-
dierten wissenschaftlichen Erkenntnissen für tion von Wissenschaftlern mit Akteuren des
die Steuerung und effiziente Gestaltung des Gesundheitswesens in der Breite des Versor-
Gesundheitssystems auf der Makro-, Meso- und gungsalltags. Daher wird die Etablierung von
Mikroebene wird immer dringlicher. Forschung Strukturen für die Koordination der Versor-
kann hierfür konsistente Entscheidungsgrundla- gungsforschung und für eine Erschließung der
gen schaffen. Forschungspotenziale des jeweiligen Standortes
gefördert.
Um ökonomische Zusammenhänge in der
Gesundheitsversorgung zu analysieren, sind
umfassende Fachkenntnisse und spezifische
40. 34 Die Innovationsherausforderung: Gesundheitswirtschaft