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USA aktuell 30. März 2012
Wahlen 2012: Bahn frei für den Sparkurs?
Autor:
Patrick Franke
Am 6. November wählen die Amerikaner einen neuen Präsidenten
Tel.: 0 69/91 32-47 38
Mindestens ebenso wichtig wird sein, welche Partei die Mehrheit im Kongress erringt
research@helaba.de
Trotz hoher Unsicherheit über den Wahlausgang bleibt ein Sparkurs in der Finanzpolitik
das wahrscheinlichste Szenario für 2013
Dies wird eine Zinswende der Fed im kommenden Jahr überflüssig machen
Redaktion:
Dr. Stefan Mitropoulos
Richard Carlson: “A Zombie has no will of his own. You see
them sometimes, walking around blindly with dead eyes, follow-
ing orders, not knowing what they do, not caring.”
Herausgeber:
Bob Hope: “You mean like Democrats?”
Dr. Gertrud R. Traud Aus dem Film The Ghost Breakers (1940)
Chefvolkswirt/Leitung Research
Landesbank Hessen-Thüringen
Der Graben, der die politischen Lager in Washington derzeit trennt und der die – eigentlich von
MAIN TOWER
fast allen Politikern als notwendig akzeptierte – Haushaltskonsolidierung bisher verhindert hat, ist
Neue Mainzer Str. 52-58
nichts Neues. Zwar tobt in Amerika aktuell eine Art „Kulturkampf“ zwischen den Demokraten
60311 Frankfurt am Main
von Präsident Obama und den republikanischen Anhängern der „Tea Party“. Aber schon vor sieb-
Telefon: 0 69/91 32-20 24
zig Jahren, mit dem Demokraten Roosevelt im Weißen Haus, konnte ein erfolgreicher Komiker
Telefax: 0 69/91 32-22 44
wie Bob Hope offenbar hoffen, mit einem solchen beißenden Spott beim Publikum zu punkten.
Die heutige Situation stellt also eher eine quantitative als eine qualitative Veränderung des politi-
schen Klimas dar. Ob die Kompromissfähigkeit in der amerikanischen Politik tatsächlich nachhal-
tig gelitten hat, wird sich nach den Wahlen im November zeigen. Ihr Ausgang kann auf vielen
Gebieten Auswirkungen haben, von der Regulierung der Finanzmärkte über die Handels- und
Wechselkurspolitik bis zur Frage, ob Ben Bernanke 2014 noch einmal als Fed-Chairman nominiert
wird. In dieser Publikation fokussieren wir auf ein recht eng gefasstes Thema: den Ausblick für die
Fiskalpolitik im kommenden Jahr. Diese wird nicht nur erhebliche Auswirkungen auf die Kon-
junktur haben. Sie ist zudem ein wichtiger Einflussfaktor für die Entscheidung der Fed, zu wel-
chem Zeitpunkt sie aus der extrem expansiven Geldpolitik auszusteigen beginnt.
Ohne Sparkurs keine Stabilisierung der Schuldenquote
Staatsschulden („Federal debt held by the public“), % am Bruttoinlandsprodukt
120 120
100 100
CBO
Die Publikation ist mit größter Sorgfalt 80 Alternativ-Szenario 80
bearbeitet worden. Sie enthält jedoch lediglich
unverbindliche Analysen und Prognosen zu 60 60
den gegenwärtigen und zukünftigen Markt-
verhältnissen. Die Angaben beruhen auf 40 40
Quellen, die wir für zuverlässig halten, für
Istwerte und
deren Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktua- 20 CBO-Basisprojektion 20
lität wir aber keine Gewähr übernehmen kön-
nen. Sämtliche in dieser Publikation getroffe- 0 0
nen Angaben dienen der Information. Sie 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020
dürfen nicht als Angebot oder Empfehlung für
Quellen: CBO, Helaba Volkswirtschaft/Research. Szenarien des Congressional Budget Office: siehe S. 7
Anlageentscheidungen verstanden werden.
2. USA aktuell
6. November 2012: Mitt Romney gegen Barack Obama
Aus heutiger Sicht ist Mitt Romney der wahrscheinlichste republikanische Präsidentschaftskandi-
dat. Er hat zwar bislang nur 535 der 1.144 erforderlichen Stimmen für den Nominierungsparteitag
im August zusammen (Stand 29. März). Wenn größere Überraschungen ausbleiben, sollte Romney
aber den deutlichen Vorsprung vor seinen verbliebenen Mitbewerbern verteidigen können. Damit
erhöht sich tendenziell die Wahrscheinlichkeit, dass es den Republikanern gelingt, Barack Obama
abzulösen. Laut Umfragen hat Romney unter den Kandidaten die besten Chancen, den Amtsinha-
ber zu schlagen.
Wie groß diese Chancen nun eingeschätzt werden, variiert sehr stark. In der jüngsten Gallup-
Umfrage vom Februar war Romney in der „Sonntagsfrage“ sogar an Obama vorbeigezogen. Ande-
Kein klarer Favorit im
re Umfragen (z.B. von NBC/Wall Street Journal) sehen hingegen den Amtsinhaber rund fünf Pro-
Rennen um die Präsi-
zentpunkte vorne. Elektronische Futuresmärkte wie Intrade oder Iowa Electronic Markets (IOM)
dentschaft
deuten darauf hin, dass die dort aktiven Spekulanten Präsident Obama derzeit ebenfalls die besse-
ren Chancen einräumen. Die absolute Wahrscheinlichkeit seiner Wiederwahl wurde laut IOM
zuletzt bei rund 60 % gesehen. 1
Bis zum Wahltag im November kann noch viel passieren. Wenn politische Überraschungen aus-
bleiben, wird die konjunkturelle Lage eine wichtige Rolle spielen. Verbessert sich die Lage am
Arbeitsmarkt weiter wie zuletzt, kommt dies dem amtierenden Präsidenten zu gute. Sollte im
Herbst hingegen erneut über einen „double dip“ diskutiert werden, würde dies die Kritik am öko-
nomischen Management der Obama-Administration verstärken. Belastet wird die Stimmung aktu-
ell durch das teure Benzin. Ein landesweiter Preis von vier Dollar pro Gallone gilt als Schmerz-
grenze. 2
In unserem Basis-Szenario gehen wir von einem graduellen Rückgang der Arbeitslosigkeit in den
kommenden Monaten aus. Von daher würden wir an der ökonomischen Front keine starken Impul-
se für oder gegen Barack Obama erwarten. Auch das Prognosemodell von Ray C. Fair von der
Yale University, der sich seit Jahren mit dem Zusammenhang zwischen Wahlausgängen und wirt-
schaftlichen Daten beschäftigt, sieht auf der Basis der aktuellen Konjunkturprognosen keine ein-
deutigen Signale für den November.
Kein klarer Favorit bei den Umfragen Amtsinhaberbonus hilft Obama
Stimmenanteil in hypothetischer Wahl („Sonntagsfrage“), % Implizite Wahrscheinlichkeit auf Basis von Futures, Monatsendstände, %
51 51 70 70
Demokratischer Präsident
50 Romney 50 60 60
49 49 50 50
48 48 40 40
47 47 Republikanischer
30 30
Präsident
46 Obama 46
20 20
45 45
10 10
44 44
Mitte Aug Mitte Sep Mitte Okt Anfang Mitte Dez Ende Jan Mitte Feb 0 0
Dez Jul-11 Aug-11 Sep-11 Okt-11 Nov-11 Dez-11 Jan-12 Feb-12 Mrz-12
Quellen: Gallup, Helaba Volkswirtschaft/Research Quellen: Iowa Electronic Market, Helaba Volkswirtschaft/Research
1
Dies weicht vom erwarteten Anteil der abgegebenen Stimmen deutlich ab, da der Präsident nicht direkt, sondern von
Wahlmännern gewählt wird, so dass sogar ein Wahlsieg mit weniger als 50 % der Stimmen möglich ist.
2
Wegen unterschiedlicher Umweltauflagen und Steuersätze unterscheiden sich die Benzinpreise von Staat zu Staat.
Helaba Volkswirtschaft/Research · 30. März 2012· © Helaba 2
3. USA aktuell
Mehr als nur Präsidentschaftswahlen
Am 6. November wählen die Amerikaner nicht nur den Präsidenten, sondern auch einen neuen
Kongress und 13 Gouverneure in den Einzelstaaten. Darüber hinaus stehen auf der Ebene der
Kommunen und Einzelstaaten zahlreiche weitere Wahlen und Volksabstimmungen an. Für die
Finanzmärkte sind, neben der Frage, ob Barack Obama eine zweite Amtszeit erhält, primär die
Mehrheitsverhältnisse im Kongress von Interesse.
Im aktuellen, 112. Kongress, haben die Republikaner eine deutliche Mehrheit in der unteren
Kammer, dem Repräsentantenhaus. Von den insgesamt 435 Abgeordneten stellen sie derzeit 242,
verglichen mit 190 Demokraten. Im Senat, der Kammer, in der jeder der 50 US-Staaten mit zwei
Sitzen vertreten ist, stellen die Demokraten mit 51 Senatoren die Mehrheit. Hinzu kommt, dass
zwei unabhängige Senatoren in der Regel mit den Demokraten abstimmen und im Fall eines
Stands von 50:50 der Senatspräsident (der US-Vizepräsident, aktuell der Demokrat Joe Biden) die
entscheidende Stimme hat.
Geteilte Macht im aktuellen Kongress
Sitzverteilung im 112. Kongress
Repräsentantenhaus (435 Sitze) Senat (100 Sitze)
vakant 3 Unabhängige
2
Demokraten
Demokraten
51
190
Republikaner
47
Republikaner
242
Quellen: Office of the Clerk, Helaba Volkswirtschaft/Research
Für den Gesetzgebungsprozess ist jedoch im Senat eine zweite Schwelle wichtig: die Marke von
60 Stimmen. Die sind nämlich erforderlich, um eine sogenannte „cloture“ herbeizuführen, also
Einfache Mehrheit
eine Debatte zu beenden. Die Senatsregeln sehen die Möglichkeit eines „filibuster“ vor, d.h. jeder
reicht nicht
Senator kann die Abstimmung über einen Gesetzesentwurf theoretisch unbegrenzt verzögern.
Wenn jedoch mindestens 60 Senatoren dafür stimmen, die Debatte zu beenden, kann eine Ab-
stimmung erzwungen werden. Diese Regelungen unterstreichen den föderalen Charakter der USA,
indem sie den Vertretern der Einzelstaaten ein weitgehendes Vetorecht einräumen – unabhängig
von der Größe des Staates. Aus Sicht der Gründerväter der Vereinigten Staaten war der Senat
zudem als ein Ort der bedächtigen Beratung und als konstitutionelle Bremse für die eher stürmi-
schen Reformer im Repräsentantenhaus gedacht.
Im November werden alle 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses und 33 Senatoren ge-
wählt. Von diesen 33 Sitzen im Senat werden derzeit 23 von Demokraten (einschl. Unabhängige)
und nur zehn von Republikanern gehalten. Die Demokraten müssen also 2012 mehr Sitze verteidi-
gen als die Republikaner. Dies ist ein Handicap. Die Vergangenheit zeigt zudem, dass Amtsinha-
ber, die sich zur Wiederwahl stellen, nur schwer zu schlagen sind. Daher ist interessant, wie viele
Abgeordnete der zwei Parteien diesmal nicht wieder antreten. In beiden Häusern des Kongresses
haben die Republikaner hier den Vorteil: Jeweils mehr Repräsentanten und Senatoren aus der
demokratischen Partei haben angekündigt, sich diesmal nicht mehr zur Wahl zu stellen.
Helaba Volkswirtschaft/Research · 30. März 2012· © Helaba 3
4. USA aktuell
Nachteil: Demokraten Republikanische Kongressmehrheit erwartet
Zahl der Abgeordneten, die sich nicht der Wiederwahl stellen Implizite Wahrscheinlichkeit auf Basis von Futures, %
45 45 80 80
40 40 75 75
35 35 70 70
Demokraten verlieren
65 Mehrheit im Senat 65
30 30
60 Republikaner behalten 60
25 Republikaner 25
55 oder erhöhen Mehrheit 55
20 20 im Haus
50 50
15 15
45 45
10 10 40 40
Demokraten
5 5 35 35
0 0 30 30
Repr.-Haus Senat Ende Nov Ende Dez Ende Jan Ende Feb Ende Mrz
Quellen: Wikipedia, Helaba Volkswirtschaft/Research Quellen: Iowa Electronic Market, Bloomberg, Helaba Volkswirt-
schaft/Research
Politische Beobachter gehen daher davon aus, dass die republikanische Partei wohl ihre bestehen-
de Mehrheit im Repräsentantenhaus halten oder ausbauen wird. Im Senat spricht einiges dafür,
dass die Republikaner Sitze hinzugewinnen. Wenn sie in den sechs Staaten, die von Analysten
übereinstimmend als „toss-ups“ (sehr ungewisser Wahlausgang) bezeichnet werden, ihre beiden
Senatssitze verteidigen und alle vier Demokraten schlagen, würden sie auf 51 Sitze kommen.
Selbst wenn der Vizepräsident weiterhin ein Demokrat bleiben sollte, würde dies für eine knappe
Mehrheit reichen. Eine „Supermehrheit“ von 60 oder mehr Sitzen, mit der man die Vorstellungen
der Demokraten weitgehend ignorieren könnte, ist hingegen wenig realistisch.
Da der Kongress über das Haushaltsrecht verfügt, gehen finanzpolitische Initiativen in der Regel
vom Parlament und nicht von der Regierung aus. Die Mehrheitsverhältnisse im Kongress werden
deshalb einen entscheidenden Einfluss auf die zukünftige Steuer- und Ausgabenpolitik haben.
Welche Konstellation bringt was?
Die Erfahrungen aus den neunziger Jahren, als dem demokratischen Präsidenten Clinton nach
1994 eine republikanische Kongressmehrheit gegenüberstand, sind auf die heutige Situation nur
bedingt anwendbar. Ein wichtiger Unterschied ist die kategorische Ablehnung von Steuererhöhun-
gen durch die Republikaner: 236 der 242 Abgeordneten im Haus und 40 der 47 Senatoren haben
die „Tax Pledge“ der Lobby-Organisation „Americans for Tax Reform“ unterzeichnet. Darin ver-
pflichten sie sich, jede Erhöhung der Grenzsteuersätze der Einkommensteuer abzulehnen und dem
Abbau von Steuervergünstigungen nur zuzustimmen, wenn gleichzeitig die Steuersätze gesenkt
werden. Darüber hinaus ist die Haushaltslage gemessen am Schuldenstand aktuell deutlich
schlechter als vor zwanzig Jahren. Hohe zukünftige Belastungen aus den staatlichen Gesundheits-
und Rentensystemen drohen. Das Zeitfenster für die nötigen Maßnahmen ist daher relativ klein –
je länger man abwartet, umso drastischer und unpopulärer müssen zukünftige Eingriffe ausfallen.
Am wenigsten gespart würde wohl in einem (unwahrscheinlichen) Szenario, in dem Barack Oba-
ma wiedergewählt wird und es in seinem Gefolge den Demokraten gelingt, die Mehrheit im Kon-
Kein Appetit aufs Sparen
gress zurückzugewinnen. Trotz Widerstands der Republikaner könnte Obama dann wohl seinen
bei den Demokraten
wiederholt vorgeschlagenen Plan umsetzen, und die Empfänger hoher Einkommen stärker belas-
ten. Gleichzeitig wären aber auf verschiedenen Gebieten Mehrausgaben zu erwarten. Insgesamt
gesehen hat die demokratische Partei in den letzten Jahren keinerlei Bereitschaft zu einem Spar-
kurs gezeigt. Solange der Rentenmarkt und/oder die Rating-Agenturen den Druck auf die USA
nicht erhöhen, würde in diesem Szenario die Konsolidierung wohl auf den Sankt-Nimmerleins-
Tag verschoben. Das Beispiel Japan zeigt, dass es im Zweifelsfall für die Regierung immer einfa-
cher ist, noch ein bisschen mehr Schulden zu machen.
Helaba Volkswirtschaft/Research · 30. März 2012· © Helaba 4
5. USA aktuell
Sollten hingegen die Republikaner auf ganzer Front siegen, wären Steuererhöhungen in jeglicher
Form wohl zunächst vom Tisch. Dafür wäre aber mit vergleichsweise kräftigen Einschnitten bei
den Ausgaben zu rechnen – wobei zu bedenken ist, dass die Demokraten im Senat voraussichtlich
noch immer über eine „Sperrminorität“ verfügen würden.
Die Konstellation „Romney im Weißen Haus, demokratischer Kongress“ ist wesentlich unwahr-
scheinlicher als eine Fortsetzung des Status Quo. Wenn Barack Obama wieder gewählt würde und
die Republikaner ihre Mehrheit im Haus verteidigen oder ausbauen und vielleicht sogar die Kon-
trolle im Senat übernehmen, würde die Blockadepolitik der vergangenen Jahre in eine neue Runde
gehen. Die beste Hoffnung, dieses Patt zu durchbrechen, birgt ironischerweise eine Hinterlassen-
schaft von George W. Bush.
Massiver negativer Schock – ganz automatisch Vollbremsung für die Konjunktur voraus?
Beitrag zur Veränderung des strukturellen Haushaltssaldos 2012/13, Mrd.$ * Veränderung des strukturellen Haushaltssaldos (Bund), % am BIP*
450 450 3,5 3,5
400 400 3,0 3,0
Autom. Ausgabenkürzung
350 350 Einnahmen
2,5 2,5
300 Rentenbeitrag 300
2,0 2,0
250 250
200 200 1,5 1,5
150 Bush- 150 1,0 1,0
Steuersenkungen
100 100 0,5 Aus- 0,5
50 50 gaben
0,0 0,0
0 0 1968/69 1986/87 2009/10 2012/13
Quellen: CBO, Helaba Volkswirtschaft/Research Quellen: CBO, Helaba Volkswirtschaft/Research
* nach geltendem Recht. Siehe Text. * 2012/13: Annahmen siehe Text.
„Taxmaggedon“: Sparkurs mit Autopilot
Die in den Jahren 2001 und 2003 unter Präsident Bush verabschiedeten umfangreichen Steuersen-
kungen wurden aus haushaltsrechtlichen Gründen zeitlich beschränkt. Die meisten Entlastungen
sollten eigentlich schon Ende 2010 auslaufen. In einem Kompromiss zwischen Präsident Obama
und den Republikanern im Kongress wurde dieser Termin dann in letzter Minute auf Ende 2012
vertagt. Nach aktueller Rechtslage springen die Grenzsteuersätze der Einkommensteuer zu diesem
Zeitpunkt nach oben, die bevorzugte Besteuerung von Wertzuwächsen bzw. Kapitalerträgen endet
und die Erbschaftssteuer steigt massiv an. Das überparteiliche Congressional Budget Office (CBO)
schätzt, dass dies die Steuerbelastung im Jahr 2013 um fast 250 Mrd. Dollar (rund 10% der gesam-
ten Einnahmen des Bundesstaates einschließlich Rentenversicherung) erhöhen würde. Gleichzeitig
steht zum Januar die Normalisierung der vorübergehend gesenkten Rentenbeiträge an.
Hinzu kommen noch die 2013 drohenden automatischen Ausgabenkürzungen. Diese gehen auf
einen Beschluss des Kongresses vom Sommer 2011 zurück, mit dem eine Kommission beauftragt
Zu viel Sparen
wurde, Sparvorschläge zu unterbreiten. Da sich deren Mitglieder nicht auf gemeinsame Vorschlä-
birgt Risiken
ge einigen konnten, greifen nun automatische Einschnitte. Insgesamt würde sich der kontraktive
fiskalische Impuls damit im kommenden Jahr auf fast 3 % des Bruttoinlandsproduktes summieren.
Die Vergangenheit hat jedoch gezeigt, dass wirtschaftliche Verwerfungen bei einem so scharfen
Sparkurs sehr wahrscheinlich sind. Selbst weniger ambitioniertes Sparen hat die US-Wirtschaft
schon an den Rand der Rezession gebracht. Seit dem Ende des Koreakrieges gab es nur ein Jahr
(1968/69), in dem das strukturelle Defizit in einem vergleichbaren Maße gesenkt wurde – und
damals sparte sich die US-Regierung in eine Rezession. 1987 folgte auf die Konsolidierung ein
Crash am Aktienmarkt. Und selbst die weniger umfangreiche Konsolidierung 2009/2010 – im
Helaba Volkswirtschaft/Research · 30. März 2012· © Helaba 5
6. USA aktuell
Grunde nur das Auslaufen des Konjunkturpakets – reichte aus, um die US-Wirtschaft Anfang 2011
stagnieren zu lassen, wobei der kräftige Ölpreisanstieg und die Katastrophe in Japan „geholfen“
haben.
Die spannende Frage ist, wie sich dieser drohende „automatische Sparkurs“ auf die politische
Diskussion auswirken wird. Politisch bietet diese Konstellation Spielraum für eine neue Runde im
Spiel „Chicken“, in dem Kongress und Präsident klaren Auges auf eine Katastrophe zusteuern, in
der Erwartung, der jeweils andere würde schon rechtzeitig einlenken. Auf die Spitze getrieben
wurde dies im vergangenen Sommer, als die Schuldenobergrenze erreicht wurde und eine Zah-
lungsunfähigkeit der US-Regierung erst in letzter Minute verhindert wurde. Die Demokraten
könnten diesmal versuchen, die Republikaner zu zwingen, einer kleineren, auf „die Reichen“ be-
schränkten Steuererhöhung zuzustimmen, um einen Großteil der Steuersenkungen zu „retten“.
Andererseits könnten die Republikaner politisch punkten, indem sie ihre Bereitschaft, die Steuer-
senkung „dauerhaft“ fortzuschreiben mit der Ablehnung der Demokraten kontrastieren und auf die
nennenswerten konjunkturellen Risiken hinweisen, die sich dadurch ergeben.
Letztlich ist das wahrscheinlichste Szenario, dass die Rentenbeiträge tatsächlich wie derzeit vorge-
sehen Anfang 2013 normalisiert werden. Darüber hinaus dürfte man sich jedoch erneut auf eine
Rezessionsgefahr
temporäre und recht umfassende Verlängerung der Bush-Steuersenkungen einigen, um dem neuen
Kongress (und dem neuen Präsidenten?) die Möglichkeit zu geben, ab Januar 2013 die mittel- bis
langfristigen Weichen zu stellen. Für weitergehende Kompromisse erscheinen die Positionen der
beiden Parteien zu weit auseinander. Die kategorische Ablehnung höherer Steuern seitens der
Republikaner ist für die Demokraten ebenso wenig akzeptabel, wie es für die Republikaner die
demokratische Verweigerungshaltung im Hinblick auf Einschnitte bei den Leistungsgesetzen ist.
Letztlich kann eine Totalblockade auf der einen oder anderen Seite nicht ganz ausgeschlossen
werden. In diesem Szenario wäre wegen des fiskalischen Schocks für Anfang 2013 wohl sogar mit
einer Rezession zu rechnen. 3
Helaba-Prognose: Recht ambitionierter Sparkurs nach der Wahl
In unserem Basis-Szenario haben wir unterstellt, dass es zu diesem „worst case“ nicht kommt.
Stattdessen basiert unsere Prognose für 2013 auf der Annahme, dass die Fiskalpolitik im Jahres-
verlauf im Umfang von gut 1½ % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) gestrafft wird. Dies ist noch
immer am oberen Rand dessen, was in der Vergangenheit mit einer weiter expandierenden Wirt-
schaft vereinbar war. Dabei dürften sowohl Ausgabenkürzungen wie Einnahmeverbesserungen
eine Rolle spielen, aber diese Aufteilung ist aus konjunktureller Sicht weniger wichtig als die
absolute Größenordnung der Konsolidierung. Damit soll die Diskussion um die Möglichkeit einer
„expansionary consolidation“ in akademischen Kreisen nicht ausgeblendet werden. Die Aussage 4,
dass eine Konsolidierung, die sich stärker auf Ausgabenkürzungen stützt als auf Steuererhöhun-
gen, das Wachstum weniger belastet, bleibt kontrovers. Ein zentraler Punkt ist wohl, ob es der
Regierung gelingt, trotz Sparkurs die Stimmung von Verbrauchern und Finanzmärkten zu stabili-
sieren. Die Kritik, vergangene Erfahrungen mit Phasen von „expansionary consolidation“ seien auf
die USA gar nicht anwendbar, weil sie kein kleines, offenes Land seien, das über Abwertung und
Außenhandel wachsen kann, trifft hingegen nicht zu. Die empirischen Ergebnisse deuten vielmehr
darauf hin, dass das äußere Umfeld (Wechselkurs, Auslandsnachfrage) zwar die Kosten der Kon-
solidierung beeinflusst, aber nicht den optimalen Mix aus Ausgabenkürzungen und Steuererhö-
hungen.
3
Allerdings besteht auch die Möglichkeit, dass der Kongress diesen Effekt dämpft, indem man für die neue Legislaturperi-
ode schnelle Abhilfe verspricht. Theoretisch könnten die Steuersätze dann nach zwei Monaten auf dem höheren Niveau
wieder gesenkt werden.
4
Siehe z.B. Alesina/Ardagna (2009), Large Changes in Fiscal Policy: Taxes Versus Spending, NBER Working Paper
No. 15438.
Helaba Volkswirtschaft/Research · 30. März 2012· © Helaba 6
7. USA aktuell
Die Unsicherheit über die Höhe der so genannten „Multiplikatoren“ ist allerdings trotz diverser
Studien zu diesem Thema hoch. Wie stark verändert sich das BIP, wenn der Staat 100 Mrd. Dollar
weniger ausgibt oder die Steuern in dieser Größenordnung erhöht? Um mehr als 100 Mrd. Dollar?
Um weniger? In unserer Prognose haben wir einen durchschnittlichen Multiplikator von 1 unter-
stellt. Angesichts der politischen Mehrheitsverhältnisse ist wohl davon auszugehen, dass ein un-
angemessen hoher Beitrag von der Einnahmeseite wenig wahrscheinlich ist und der Schwerpunkt
eher bei niedrigeren Staatsausgaben liegen dürfte. Allerdings wird allein der höhere Rentenbeitrag
2013 für die privaten Haushalte eine zusätzliche Belastung von fast 100 Mrd. Dollar bringen.
Trotz der Verbesserung seit 2009 ist ein vergleichsweise hoher Anteil des US-Defizits strukturell,
d.h. selbst bei einer andauernden konjunkturellen Erholung wird es nicht viel mehr schrumpfen.
Strukturelles Defizit
Für 2013 haben wir einen zyklisch bedingten Defizitrückgang von rund 0,5 % des BIP unterstellt,
macht Sparkurs unaus-
so dass sich das Gesamtdefizit von rund 7 % des BIP 2012 auf 5 % 2013 verringern sollte. Dies
weichlich
ist höher als die 3,7 % in der aktuellen Basis-Projektion des CBO vom Januar 2012, aber dort wird
zwangsläufig geltendes Recht unterstellt, also auch dass die Bush-Steuersenkungen per Ende des
Jahres komplett auslaufen. Im Alternativ-Szenario (u.a. auf Basis verlängerter Steuersenkungen
und ohne automatische Ausgabenkürzung) kommt das CBO hingegen auf ein Defizit von 6,2 %.
Dieses Szenario führt jedoch zu einer weiter steigenden Schuldenquote (siehe Schaubild, S. 1).
Ohne den unterstellten negativen fiskalischen Impuls würde die US-Wirtschaft 2013 deutlich kräf-
tiger wachsen als die von uns erwarteten 2 %. Im Jahresdurchschnitt wäre wohl ein Zuwachs beim
realen BIP von 3 bis 4 % zu erwarten. Der Spardruck auf der Ebene der untergeordneten Gebiets-
körperschaften lässt nach, der Bausektor beginnt sich langsam zu erholen, der Schuldenabbau der
privaten Haushalte befindet sich 2012 schon im fünften Jahr. Die Kreditvergabe der Banken steigt
bereits wieder.
Harter Sparkurs, aber keine Vollbremsung Wer spart am meisten?
Erwartetes US-Haushaltsdefizit 2013, % des BIP Veränderung des strukturellen Haushaltssaldos 2009-2013*, Prozentpunkte
UK
IWF-Prognose
Japan
CBO-Alternative
Spanien
Italien
CBO-Basisprojektion
Deutschland
Helaba-Prognose
USA
0 1 2 3 4 5 6 7 -1 0 1 2 3 4 5 6
Quellen: CBO, IWF, Helaba Volkswirtschaft/Research Quellen: IWF, Helaba Volkswirtschaft/Research
* IWF-Schätzung/Prognose, Fiscal Monitor Update vom Januar 2012
„Policy Mix“: Ohne Sparkurs Zinswende der Fed 2013
Sollte sich die Politik wider Erwarten auch 2013 nicht zu einem Sparkurs durchringen können,
wäre daher im kommenden Jahr eigentlich mit einer geldpolitischen Wende der Fed zu rechnen.
Die Fed hat zwar angekündigt, man wolle aus heutiger Sicht die Zinsen erst gegen Ende 2014
erhöhen. Dies beruht jedoch auf bestimmten Annahmen der FOMC-Mitglieder hinsichtlich der
wirtschaftlichen Entwicklung und unter anderem über die zukünftige Fiskalpolitik. Es ist davon
auszugehen, dass eine Mehrheit der Geldpolitiker für 2013 einen mehr oder weniger ambitionier-
ten Sparkurs unterstellt hat. Der dämpfende Effekt der zu erwartenden Konsolidierung auf die
Konjunktur macht eine Zinserhöhung 2013 überflüssig. Sollte das Szenario eintreten, dass die
oben genannten automatischen Steuer- und Ausgabenveränderungen in vollem Umfang greifen,
wäre sogar denkbar, dass die Fed mit zusätzlichen expansiven Maßnahmen gegensteuern könnte.
Helaba Volkswirtschaft/Research · 30. März 2012· © Helaba 7