Journalismus in einer digitalen Welt - Prognosen, Erwartungen, FragenFachtagung des Vereins zur Förderung der ZeitungsforschungDortmund, 18. Juni 2010
Christian Nuernbergk (Westfälische Wilhelms-Universität Münster)
Competition, Complementarity or Integration? The relationship between profe...
Chancen einer integrierten Oeffentlichkeit? Vernetzter Journalismus im „Web 2.0”
1. Chancen einer
integrierten Öffentlichkeit?
Vernetzter Journalismus im „Web 2.0”
Journalismus in einer digitalen Welt - Prognosen, Erwartungen, Fragen
Fachtagung des Vereins zur Förderung der Zeitungsforschung
Dortmund, 18. Juni 2010
Christian Nuernbergk M. A.
2. Agenda
Das Social Web und die neue Flexibilität des Internets
Ein neues mediales Ökosystem?
Strukturen der Netzwerköffentlichkeit
Forschungsergebnisse zum Verhältnis von professioneller und
partizipativer Vermittlung im Internet
Schlussfolgerungen für den Journalismus
Christian Nuernbergk, Universität Münster
3. Das „Web 2.0“ als Social Web
„Web 1.0“ „Web 2.0“
Prinzipien Zentralität – fixe Rollenverteilung und Dezentralität – Rollenwechsel,
Hierarchie zwischen Partizipation und Gleichheit –
Leistungserbringern und – Vernetzung
empfängern – Abgrenzung
gegenüber der Umwelt
Ebene
Öffentlichkeit Massenkommunikation, Netzwerkkommunikation,
Massenwerbung, geschützte personalisierte Werbung, freie
Datenbestände (Urheberrecht) Datenbestände („Creative Commons“)
Markt Massenmarkt („Hits“) Nischenmärkte („Long Tail“)
Software Verkauf fertig entwickelter Software „Open Source“, Software über das
für den PC Internet als Dienstleistung
(Neuberger 2009; O‘Reilly 2005)
Christian Nuernbergk, Universität Münster
4. Charakteristika der Netzwerkkommunikation I
Wachsende Zahl von Produzenten von
Informations-, Wissens- und Kulturgütern
Informationsflut: schwankende Qualität
Fehlende Vorabfilter (Normen, Auswahlroutinen etc.)
Individualisierung der Kommunikation
Grenzziehung zwischen öffentlicher und privater Kommunikation
verwischt
Christian Nuernbergk, Universität Münster
5. Wichtige Formate der Netzwerkkommunikation
Weblogs („Blogosphäre“)
Soziale Netzwerke
„Its value lies in demonstrating the conflict between what is private and
public; a venerable and timeless conflict that is stressed by online
technologies […] This online user and citizen is interested in challenging what
is defined as private and what is defined as public. Priorities here lie in
broadening and overlapping private and public agendas; not reviving the
public sphere.” (Papacharissi 2008: 239)
Christian Nuernbergk, Universität Münster
6. Charakteristika der Netzwerkkommunikation II
Writeable
Weighted Conversation
Linking
See for yourself
Mobility
(Benkler 2006)
Christian Nuernbergk, Universität Münster
7. Ein neues mediales Ökosystem?
Metaebene*: wechsel-
seitige Thematisierung
(Orientierung und Kritik)
öffentliche Anschluss- *vgl. Neuberger 2009
kommunikation des
Publikums
Quellen des Journalismus
(Bowman/Willis 2003)
Christian Nuernbergk, Universität Münster
8. Tabelle Buch (S. 64)
Christian Nuernbergk, Universität Münster (vgl. Neuberger 2009)
9. Miteinander oder Gegeneinander?
Mögliche Beziehungen zwischen Journalismus und partizipativen Formaten
Identität (Konkurrenz)
Partizipative
Journalismus Komplementarität
Formate
Integration/Kooperation
Christian Nuernbergk, Universität Münster
10. Schlussfolgerungen
Ein neues mediales Ökosystem?
Nebeneinander unterschiedlicher Modi
des Veröffentlichens in der Netzwerköffentlichkeit
„filter, then publish“
„publish, then filter“
Journalismus als Konversationsbeitrag
aber: „Verflüssigung“ der journalistischen Identität? (Deuze
2006)
Christian Nuernbergk, Universität Münster
11. Struktur der Netzwerkkommunikation
Vernetzung der Angebote folgt einer
Potenzverteilung („Power law“)
>> Aufmerksamkeit ist ungleich verteilt
Im Web bilden sich Subcluster heraus, die aufgrund
gemeinsamer Interessen oder Themen dichter verlinkt sind
Zwischen den Clustern vermitteln Hubs („Brücken“)
>> Vielfache und redundante Pfade: keine Kontrolle
Zentraler Kernbereich
Verfügbarkeit technischer Mechanismen zur Nutzerkoordination:
erhöhte Dynamik
Christian Nuernbergk, Universität Münster
12. Netzwerköffentlichkeit
Quelle: Holler/Vollnhals/Faas (2008)
Reichweite / eingehende Links
Long tail
Rangfolge der Anbieter/Kommunikatoren nach Reichweite
Christian Nuernbergk, Universität Münster
13. Integrierte Netzwerköffentlichkeit
Partizipative Vermittlung im Internet Professionelle
Vernetzung (Reichweite)
(„Blogosphäre“, „Twitter“) Vermittlung im Internet
Partizipative Leitmedien Leitmedien
(„Stars“)
Übernahme?
Medienangebote mit Redaktion
Filter
Makler zwischen Netzwerkclustern („Hubs“)
Durch das Internet
mediatisierte
Teilöffentlichkeiten („Netzwerkcluster“)
Kommunikation
einzelne Angebote und Anbieter
Diskussionen in sozialen Netzwerken
(eigene Darstellung)
Christian Nuernbergk, Universität Münster
14. Schlussfolgerungen: Netzwerköffentlichkeit
Hohe Vielfalt an Meinungen und Perspektiven
Reduktion des Materials in einem mehrstufigen,
dezentral organisierten, offenen Prozess
Nicht-gewählte Alternativen bleiben auffindbar
(auf unteren Ebenen)
Aber: Kompetenz und Neutralität?
Christian Nuernbergk, Universität Münster
16. Netzwerkgraph des
politischen Webs
(6164 analysierte
Websites)
>> nachweisbare
Cluster-Struktur
>> zentrale Stellung
der Medienableger
(Quelle:
Nuernbergk 2010)
Christian Nuernbergk, Universität Münster
18. Schlussfolgerungen
Der professionelle Journalismus profitiert von seiner Vernetzung
in der Blogosphäre und auf sozialen Netzwerken
In der Netzwerköffentlichkeit hat der professionelle Journalismus
eine zentrale Stellung
aber: kein Alleinstellungsmerkmal,
hohe Dynamik der Strukturen, dauerhafte Akzeptanz fraglich
>> Wie bewertet der professionelle Journalismus die partizipativ
erbrachten Leistungen? Wie beteiligt er die Nutzer?
vgl. „Journalismus im Internet“
(Neuberger/Nuernbergk/Rischke 2009)
Christian Nuernbergk, Universität Münster
19. „Journalismus im Internet“: Forschungsdesign
Sind Profession und Redaktion (= Journalismus) notwendige
strukturelle Bedingungen für die Bearbeitung von Vermittlungs-
problemen im Internet? Oder gibt es dafür funktionale Äquivalente
im Internet? (vgl. Neuberger/Nuernbergk/Rischke 2009)
Erster Teil: Inhaltsanalyse (2006)
Ziel: Identifikation von Websites mit regelmäßig angebotenen
journalistischen Inhalten
Journalistische Einheiten wurden anhand der Identität und der
Qualität der angebotenen Leistungen bestimmt
Zweiter Teil: Befragung der Internetredaktionen (2007)
Christian Nuernbergk, Universität Münster
21. Anbieterbefragung
Feldphase: Juni bis Oktober 2007
Schriftliche, standardisierte Befragung
(Ausfülldauer ca. 30 Minuten)
Fragebögen je nach Teilgruppe mit spezifischen Fragen
Befragte: Redaktionsleiter bzw. inhaltlich Verantwortliche der
Organisationseinheiten
Rücklauf/Beteiligung: 44%
Christian Nuernbergk, Universität Münster
22. Eigenständige Profile im Merkmalsvergleich
Vergleich der Merkmale von Weblogs und Journalismus durch
befragte Redaktionsleiter von Internetredaktionen (2007, n=162-
165)
trifft eher auf Journalismus zu trifft eher auf Weblogs zu
Neutralität (89%) (0%)
Richtigkeit der Informationen (86%) (1%)
Glaubwürdigkeit (81%) (3%)
… …
Belege durch Hyperlinks zu externen Quellen (14%) (44%)
Intensive Diskussion von Themen (9%) (57%)
leichter Zugang der Nutzer zu den Autoren (3%) (81%)
persönliche Perspektive des Autors (1%) (89%)
Christian Nuernbergk, Universität Münster
23. Team oder Gegner?
Einschätzungen zum Verhältnis von Weblogs und Journalismus
25
12
Christian Nuernbergk, Universität Münster
24. Werden Weblogs von Journalisten gelesen?
Lesen die Redaktionsmitglieder für ihre Arbeit Weblogs?
weniger als 75 75 Prozent
75 Prozent oder
Prozent; 2% oder mehr; 0%
mehr; 5%
weniger als 50 weniger als 75
Prozent; 7% keiner; 24%
Prozent; 4%
weniger als 50
weniger als 25 Prozent; 18%
Prozent; 34%
keiner; 60%
weniger als 25
Prozent; 46%
Nachrichtenredaktionen 2006: n=90 Internetredaktionen 2007: n=131
Christian Nuernbergk, Universität Münster
25. Häufigkeit der Nutzungsmotive Weblogs
Nachrichtenredaktionen 2006 (n=29-35) Internetredaktionen 2007 (n=81-87)
50 46
45 42
40 38
35
35 32
30 28
25
20
20 16
13 14
15
10
5
0
Beobachtung von Meinungsverteilung Themenideen Resonanz auf die Kritik an
Weblogs als zu einer Streitfrage eigene Unternehmen,
Phänomen Berichterstattung Parteien etc., die
aufgegriffen werden
kann
Angaben in %; nur Antworten mit „häufig“
Christian Nuernbergk, Universität Münster
26. Nutzerbeteiligung im professionellen Journalismus?
Eine anspruchsvollere Nutzerbeteiligung im Nachrichtenprozess ist
wenig verbreitet („pro-am journalism”)
Nutzer können Beiträge von Redakteuren bereits oft kommentieren
(40%, n=161), auch können sie Fotos zur Veröffentlichung einsenden
(50%, n=163)
Nur wenige Redaktionen ermöglichen Nutzern, Redakteure beim
Schreiben und Recherchieren zu unterstützen (12%, n=161)
Die Redaktionsleiter geben an, dass Nutzerbeteiligung in der
Konsequenz zu mehr Personalaufwand führt (29% „in hohem Maße“,
56% „etwas“, n=108)
Christian Nuernbergk, Universität Münster
27. Exkurs: Twitter
Twitter ist ein auf vernetzter Kommunikation basierendes und
individualisierbares Aufmerksamkeitssystem mit hoher
Reaktionsgeschwindigkeit (in max. 140 Zeichen)
Aufmerksamkeit wird über die Weiterleitung und Vernetzung von
Inhalten generiert, nicht über das singuläre Fragment
Umfangreiche softwaregestützte Koordinationsmechanismen
unterstützen Nutzung und Suche
Nachrichtenaffine Nutzerschaft (vgl. Lipsman 2009)
hohe Vernetzung von externen Inhalten im Web
Twitter erlaubt die einfache, direkte (und öffentliche) Adressierung
von Redaktionen durch Nutzer
Christian Nuernbergk, Universität Münster
28. Exkurs: Twitter
Zum Rücktritt von Bundespräsident Köhler
In der „Blogosphäre“ scharfe Kritik an kontroversen
Interviewäußerungen des Präsidenten; Spiegel Online griff das
Thema erst fünf Tage später auf
Einer der Blogger schrieb über Twitter große Redaktionen öffentlich
an (und erhielt öffentlich Antwort)
Christian Nuernbergk, Universität Münster
30. Diskussion über
Köhlers Aussage vor
der ersten Kritik durch
Spiegel Online
(Quelle: Nuernbergk/
Christian Nuernbergk, Universität Münster Q Agentur für Forschung)
31. Diskussion nach
Köhlers Rücktritt
>> vernetzter
Journalismus?
(Quelle: Nuernbergk/
Christian Nuernbergk, Universität Münster Q Agentur für Forschung)
32. Schlussfolgerungen
für den Journalismus
Kultur des „selber Aufsuchens“ protegieren und nicht bekämpfen
Nutzerhinweise und -resonanz ernst nehmen
„Gatewatching“-Lösungen als Ergänzungen im traditionellen
Nachrichtenprozess: Partizipative Vermittlung (und Nutzer) mit
einbeziehen
Im Selbstverständnis Beobachter und Orientierender
statt Kontrolleur über den Informationsfluss
Eigene Lösungen des Informationsmanagements reflektieren
Partizipative Angebote regelmäßig prüfen (nach
Themengebieten)
Christian Nuernbergk, Universität Münster
33. Literatur
Anderson, Chris (2007): The Long Tail. Der lange Schwanz. Neuberger, Christoph (2009): Internet, Journalismus und
Nischenprodukte statt Massenmarkt. Das Geschäft der Öffentlichkeit. Analyse des Medienumbruchs. In:
Zukunft. München: Hanser. Neuberger, Christoph/Nuernbergk, Christian/Rischke,
Melanie (Hrsg.): Journalismus im Internet: Profession –
Bowman, Shayne/Willis, Chris (2003): We Media. How
Partizipation – Technisierung. Wiesbaden: VS: S. 19-105.
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O.: NDN. Neuberger, Christoph/Nuernbergk, Christian/Rischke,
http://www.hypergene.net/wemedia/download/we_media. Melanie (Hrsg.) (2009): Journalismus im Internet. :
pdf (26.02.2006). Profession – Partizipation – Technisierung. Wiesbaden: VS.
Benkler, Yochai (2006): The Wealth of Networks. How Social Nuernbergk, Christian (2010): Netzwerkanalyse politisch
Production Transforms Markets and Freedom. New relevanter Websites. In: Neuberger, Christoph/Lobigs,
Haven/London: Yale University Press. Frank (unter Mitarbeit von Martin Herbers, Anne Karthaus
und Christian Nuernbergk): Die Bedeutung des Internets im
Deuze, Mark (2006): Liquid Journalism. In: Political
Rahmen der Vielfaltssicherung. Gutachten im Auftrag der
Communication Report. 16. Jg., H. 1. 03.01.2006.
Kommission zur Ermittlung der Konzentration im
http://frank.mtsu.edu/~pcr/1601_2005_winter/roundtable_
Medienbereich (KEK). Berlin: Vistas: S. 127-154.
Deuze.htm (13.01.2009).
O’Reilly, Tim (2005): What Is Web 2.0. Design Patterns and
Hermida, Alfred (2010): Twittering the News: The emergence
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of ambient journalism. In: Journalism Practice. 4. Jg., H. 3: S.
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1-12 (iFirst).
http://www.oreillynet.com/lpt/a/6228 (12.06.2010)
Lipsman, Andrew (2009): Breaking News (and Making
Papacharissi, Zizi (2009): The virtual sphere 2.0. The
News): Twitter Surges 131% in March to 9.3 Million U.S.
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Visitors! comScore Voices, 15.04.2009.
Andrew/Howard, Philip (2009) (Hrsg.): Routledge
http://blog.comscore.com/2009/04/breaking_news_and_m
Handbook of Internet Politics. Abingdon, New York:
aking_news.html (17.11.2009)
Routledge: S. 230-245.
Christian Nuernbergk, Universität Münster
34. Kontakt
Christian Nuernbergk M. A.
Forschungsstelle Internetöffentlichkeit
Institut für Kommunikationswissenschaft
WWU Münster
nuernbergk@uni-muenster.de
http://ifk.uni-muenster.de
Christian Nuernbergk, Universität Münster