1. MS- Version. erschien in PiD, 11, 2010, 28-33
Systemtheorie als eine Metatheorie zur Integration
psychotherapeutischer Ansätze
Jürgen Kriz
Schlüsselwörter
Therapietheorie, Schulenintegration, systemische Therapie, Systemtheorie, Metatheorie,
psychotherapeutische Prozessebenen
Keywords
Integrative psychotherapy, systems theory, systemic psychotherapy, process levels of psychotherapy,
meta-theory
Zusammenfassung Die Integration unterschiedlicher therapeutischer Ansätze ist wichtig, um von einem
Eklektizismus, der ggf. nur jeweils aktuellen Schwierigkeiten ausweicht, zu theoretisch-klinisch begrün-
deten Übergängen zwischen den Schulen zu gelangen. Dafür ist eine Metatheorie nötig, welche schulen-
übergreifend zentrale Phänomene im Zusammenhang zu beschrieben und rekonstruieren vermag. In
diesem Beitrag wird Systemtheorie als ein solches Metamodell vorgeschlagen. In aller Kürze werden
dazu zentrale Essentials diskutiert, welche in einem Gesamtmodell von psychotherapeutisch relevanter
Veränderung nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. Diese liegen auf unterschiedlichen Ebenen. Vorteil
der interdisziplinären Systemtheorie, die auch zunehmend für die Psychotherapie fruchtbar gemacht
wird, ist die Möglichkeit, die Beziehungen zwischen solchen unterschiedlichen Prozessebenen angemes-
sen zu modellieren. Exemplarisch werden abschließen einige Hinweise gegeben, wie sich eine Berück-
sichtung der systemischen Perspektive in der Praxis jenseits des Verfahrens "systemische Psychothera-
pie" ausdrückt.
Abstract In practice, most psychotherapists are broadening their primary learned approach by “learning
from many masters”. The danger is, however, that eclectic combination of techniques will arise which
are more selected in order to overcome problems in actual treatment instead of theoretical reasons or of
clinical justification. Therefore, an integrative meta-theory is important which enables therapists to
bring different perspectives and techniques together in a reasonable model of pathological and therapeu-
tic processes. This paper proposes an integrative model which corresponds to interdisciplinary systems
theory. From this perspective, some phenomena on different process levels (somatic, psychic, interper-
sonal, cultural), essential for an understanding of psychotherapy, are discussed and demonstrate the
capacity of systems theory to model the relationship and interactions of different process levels in an
adequate manner. Finally, some examples are given and discussed which demonstrate some practical
benefits of systems theory for approaches beyond family and systemic psychotherapy.
Einleitung: Zur Notwendigkeit einer integrierenden Theorie
Verfolgt man die Diskurse im Feld der Psychotherapie, so kann man mit Befriedigung fest-
stellen, dass trotz aller Querelen auf Funktionärsebene die gegenseitige Wahrnehmung, Achtung
und Diskussionsbereitschaft zwischen den „Richtungen“, „Ansätzen“ oder „Schulen“ erheblich
zugenommen hat. Dazu haben sicherlich einige pragmatische Einsichten in die Faktizität psy-
chotherapeutischer Alltagspraxis beigetragen: Etwa, dass PsychotherapeutInnen nach einer
fundierten Ausbildung sich nicht zu „Vollstreckern“ dieses zunächst gelernten Ansatzes sondern
sich vielmehr zu Therapeutenpersönlichkeiten weiterentwickeln, die ihre persönlichen Biogra-
phien, Vorlieben, Werte etc. in die Ausdifferenzierung ihrer Stärken einbringen. Wie eine
2. Umfrage zeigte (Schindler u. Schlippe 2006), wird selbst unter den restriktiven Bedingungen
deutscher Richtlinientherapie in erstaunlichem Ausmaß vom Prinzip „learning from many
masters“ Gebrauch gemacht. Ausbildungsanteile jeweils anderer Richtungen werden in
erheblichem Umfang für die eigene Identität und Praxis nachgefragt.
Leider erfolgt die Integration aber fast nur auf der Ebene der Techniken. Eine theoretisch
begründete und begründende Integration der unterschiedlichen Ansätze wäre wünschenswert.
Doch die Fülle unterschiedlicher Fokusse dieser Ansätze, sowie ihre reichhaltigen konzeptio-
nellen Ausarbeitungen, lässt die Schwierigkeit für eine solche Integration erahnen: Da viele
Ansätze ihre Wirksamkeit (ggf. für begrenzte Bereiche) nachgewiesen haben, können sie nicht
als irrelevant außer Acht gelassen werden. Vielmehr belegt dies die große Komplexität an
Prozessdynamiken, die im Kontext von Psychotherapie berücksichtig werden sollten. In einer
integrativen Metatheorie werden daher zwar nicht alle Konzepte - wie „Übertragung“, „Wider-
stand“, „Lernen“, „aufrecht erhaltende Bedingungen“, „Inkongruenz“, „Empathie“, „Familien-
regel“, „Triangulation“ etc. - explizit vorkommen müssen. Aber die Phänomene, die unter dem
jeweiligen Ansatzfokus für bedeutsam gehalten werden, müssen thematisierbar und (möglichst)
erklärbar sein. Sonst müsste man unterstellen, dass der Ansatz X über Phänomene spricht,
welche letztlich irrelevant sind.
Alle (mir bekannten) Integrationsbemühungen sind weit davon entfernt, ein solches Programm
auf hinreichend detaillierte Weise ausgearbeitet zu haben. Hier ist noch viel Arbeit zu leisten.
Im Folgenden sollen aber – deutlich bescheidener – einige Essentials benannt werden, die eine
Metatheorie nicht außer Acht lassen darf. Dies soll als Basis genommen werden um zu zeigen,
warum gerade die Systemtheorie ein lohnender und adäquater Rahmen sein könnte, um eine
solche Metatheorie zur Integration psychotherapeutischer Ansätze (weiter) zu entwickeln.
Essentials von Aspekten und Prozessebenen, die eine integrative Metatheorie berücksichtigen
muss.
1.) Obwohl der Mensch ganzheitlich mit seinen (somatischen) Lebens- und (psychischen-)
Erlebensprozesse in die Prozesse seiner Umwelt eingewoben ist, macht es Sinn, einige
Prozessebenen zu unterscheiden (die sich wechselseitig beeinflussen); besonders:
a) Prozesse der Wahrnehmung, deren Verarbeitung (bes. Bewertung) und des Verhaltens.
Mit diesen nimmt der menschliche Organismus an der „Welt“ teil: er kann nicht nicht-
wahrnehmen und sich nicht nicht-verhalten; und er verarbeitet Wahrgenommenes selektiv,
strukturierend und damit „bewertend“, um sich zu verhalten.
b) Gedächtnisprozesse, also Prozesse des Speichern und des Erinnerns von Erfahrungen
bzw. Information. Gemeint sind nicht nur die neuronalen Speicherprozesse (mit ggf.
weiteren Differenzierungen – etwa in episodisches und prozedurales Gedächtnis, oder in
Reiz-, Arbeits- und Langzeitgedächtnis), sondern auch die weiteren Fähigkeiten des Körpers
zur Speicherung – etwa in Form hormoneller Veränderung, Haltungen und „Muskelpanzer“ ,
die ggf. über Interozeptoren mit den neuronalen Prozessen interagieren.
3. c) Bewusstseinsprozesse, also die (besondere) Fähigkeit des Menschen, sich seiner
Wahrnehmungen, Bewertungen und seines Verhaltens aus einer reflexiven Position bewusst
zu werden - und sogar sein Denken und Fühlen, seine Bedürfnisse, Motive und Intentionen
(s.u.) zum Gegenstand des Bewusstseins zu machen. Darüber hinaus können sogar (Meta-
)Reflexionen über diese Bewusstseinsinhalte angestellt werden.
d) Biosomatische – besonders: neuronale – Prozesse. Wegen der Beeinflussung von (a)-(c)
durch Drogen oder Medikamente und die fortschreitende Kenntnis und Faszination der
Hirnprozesse, werden diese zunehmend auch in die psychologischen Erklärungsdiskurse
einbezogen.
e) Interpersonelle Prozesse, also jene spezifischen Bereiche des Verhaltens, mit denen der
Mensch sich an andere Menschen wendet, sowie Kommunikationsprozesse von anderen, die
sich (auch) an ihn richten oder an denen er teilhaben kann (communio). Besonders häufig
thematisiert sind Prozesse der Eltern-Kind-, Paar-, Familien-, oder Therapeut-Kient-
Beziehung. Nur in interpersonellen Prozessen entwickeln und modifizieren sich überhaupt
Individualität, Selbst, Bewusstsein, Verstehen usw.
f) kulturelle und gesellschaftliche Prozesse, die den Kontext für die (meist nur) face-to-face
Prozesse von (e) bilden. In dieser Kürze etwas unscharf, sind damit vor allem die sozialen,
symbolischen und medialen Umwelten gemeint, die auf den Menschen einwirken und in die
er hineinwirkt. Dies schließt die materiellen Manifestationen mit ein – in Form von
Werkzeugen, Apparaten, Kulturgütern, oder im Zusammenhang mit sozialer Ungleichheit
das, was als „Wohlstand“ oder „Armut“ benannt wird
2.) Die Prozesse auf all diesen Ebenen verlaufen im Wesentlichen nicht zufällig oder
rhapsodisch, sondern gemäß bestimmter Strukturen (oder: Regeln, Ordnungen, Muster).
Das Bilden und Erkennen von Strukturen macht die unfassbare Komplexität aus Myriaden von
Einzelmomenten, -aspekten und -ereignissen fassbar und vermag so Sicherheit und Vertrauen zu
geben. Struktur meint eine gewisse Zeitstabilität gegenüber den oft sehr kurzen
Einzelphänomenen im Prozess. Nur eine strukturierte Welt ermöglicht Vorhersagen, Planung
und Orientierung.
Typische Strukturen sind (exemplarisch)
in (f): Weltbilder, Zeichensysteme, gesellschaftliche Regeln, Rollen, Institutionen;
in (e): Familienregeln, Kommunikationsmuster, Arten der Beziehungsgestaltung und andere
(z.B.) familiäre Struktur-Spezifika von (f), wie familiäre Erziehungsgewohnheiten,
Verhaltensanforderungen, Deutungsmuster, Fütter-Rhythmus eines Babys, Feinfühligkeit der
Bindungsperson;
in (c): belief-systems, (persönliche) Erklärungsprinzipien, Zuschreiben oder Erkennen von Sinn,
Attribution, (innere) Pläne, Selbstbild;
in (b): erinnerndes Konstruieren von biographischen, episodischen oder künftigen
Ereignissequenzen und –zusammenhängen, typisches Vergessen und (viele von Freuds)
„Alltagspsychopathologien“ (vgl. Kriz 2003), „Selbstinfiltration“ (Verwechseln fremd und selbst
gewählter Aufgaben);
in (a): Erkennen von Gegenständen, Bewegungen oder Distanzen, Handlungs- und
Verhaltensmuster, Rigidität.
Strukturen in (d) sind z.B. Erregungskonstellationen, Bahnungen, …
4. 3.) Je nach Beschreibungs- und Erklärungskontext müssen zwei Perspektiven auseinander
gehalten werden: Geht es um die Ordnungen der Phänomene im Prozess, so sprechen wir von
Strukturen. Geht es darum, wie diese Strukturierungen im Prozess vorgenommen werden,
sprechen wir von Strukturierungsprinzipien.
Strukturen beschreiben, wie eine dynamische Ordnung aussieht; es geht um etwas Inhaltliches.
Strukturprinzipien werden hingegen im Zusammenhang mit der Frage thematisiert, was diese
Ordnung hervorbringt. Beispiele: Die narrative Beschreibung einer biographischen Episode von
Person A weist bestimmte Strukturen auf. A folgt dabei bestimmten Strukturierungsprinzipien,
um die Vielfalt seiner Erfahrungen so (und gerade nicht anders) zu ordnen. Oder: Die Beziehung
eines Patienten zum Therapeuten weist (in einer bestimmten Situation) eine bestimmte Struktur
auf. Besonders, wenn gerade andere Einflüsse eher unbedeutend sind (was z.B. durch ein
psychoanalytisches Setting gefördert werden kann), folgt der Patient damit seinen
Strukturierungsprinzipien – es zeigt sich, wie er Beziehungen typischerweise strukturiert.
Leider erscheint diese Unterscheidung „ungewöhnlich“: Die Beschreibung einer Ordnung und
die Beschreibung der Prinzipien, die diese Ordnung hervorbringen, meint aber keineswegs dasselbe.
4.) Die Möglichkeiten zur Bildung von Strukturen sowie von Strukturierungsprinzipien sind
durch unterschiedliche Einflüsse begrenzt bzw. vorstrukturiert. So kann das Individuum die
Strukturierungsprinzipien zur Ordnung seiner Erfahrungen (besonders in früher Kindheit) nur
relativ zu phylogenetischen (d.h. evolutionär erworbenen), soziogenetischen und familiär-
interpersonellen Strukturen ausbilden.
Ein genetisch determiniertes Strukturierungsprinzip ist z.B. die Figur-Grund-Unterscheidung.
Vorstrukturierungen liegen beim Erwerb von Grammatik oder von Bindungsmustern vor. Auch
Affektäußerungen des Säuglings können als angeborene Kommunikations-Strukturierungen
verstanden werden, mit denen evolutionär sichergestellt wird, dass sich das Neugeborene mit
seinen Bedürfnissen und Befindlichkeiten verstehbar mitteilen und so überleben kann. Einen
starken Einfluss, aber deutlich mehr Freiheitsgrade offen lassend, haben die gesellschaftlichen
Konstruktionsstrukturen der Wirklichkeit (Berger u Luckmann 1987), Weltbilder,
Rollenerwartungen, Regeln, Normen und Werte, die über die Familie vermittelt werden.
5.) Wesentlich für menschliche Entwicklung ist, (wo immer möglich) solche Strukturen zu
aktualisieren, mit denen sich das Neugeborene gut und reibungslos in die umgebenden Prozesse
einklinken kann. Sogenannte „pathologische“ Strukturen sind Adaptationen gegebener
Strukturierungsmöglichkeiten (s. 4) an „pathogene“ Bedingungen.
Ein Kind wird in China Chinesisch, in Deutschland aber Deutsch „lernen“ – es wird vor allem
und zunächst aus dem umgebenden Lautstrom solche Strukturierungsprinzipien (Grammatik,
Semantik, Pragmatik) bilden, mit denen es sich sprachlich ausdrücken und in die
Sozialgemeinschaft möglichst problemlos einfügen kann. Dasselbe Kind wird bei einer
zuverlässigen, feinfühligen Beziehungsperson ein „sicheres Bindungsmuster“, bei einer
abweisenden, ignorierenden hingegen eher ein „unsicher-vermeidendes Bindungsmuster“
entwickeln – es wird Strukturierungsprinzipien der Wahrnehmungs-, Erwartungs-, und
Verhaltensprozesse gegenüber wichtigen anderen (besonders unter Stress) bilden, mit denen im
Sinne eines „inneren Arbeitsmodells“ die Erfahrungswelt etwas besser vorhersagbar oder
zumindest weniger schmerzhaft wird. Komplexer und einer weit größeren Zahl an Einflüssen
unterworfen ist z.B. folgende Entwicklung: Ein Kind hat den Eindruck, ein Elternteil wegen
dessen Belastungen schützen zu müssen und daher möglichst wenig eigene Bedürfnisse zeigen
zu können. Um unter diesen Bedingungen dennoch Zuwendung zu erhalten, wird es vielleicht in
seinen Wahrnehmungs-, Verstehens- und Verhaltensprozessen eher eine Struktur entwickeln, die
es ermöglicht, besonders sensibel auf die Bedürfnisse dieses Elternteils eingehen zu können und
eigene Bedürfnisse eher zu ignorieren. Dies kann ggf. zu einer chronischen Überforderung der
5. eigenen Ressourcen führen – also zu einer depressiven Grundstruktur, die, wenn sie dann
zusammenbricht, als „Depression“ manifest wird (Giger-Bütler 2003).
Dies sind Beispiele dafür, dass ein Kind Strukturierungsprinzipien seiner (Er-)Lebensprozesse so
entwickelt, dass es sich adaptiv in die Gegebenheiten der (Um-)Welt einfügt. Dabei sind
allerdings inhärente Möglichkeiten (z.B. „genetische Prädisposition“) und zahlreiche weitere
Einflüsse für die genaue Dynamik entscheidend: Schwerhörigkeit verändert ggf. die
Sprachentwicklung, Belastungen können zur Desorganisation der Bindung führen. Ebenso kann
Entlastung und Verstehen durch die Sozialpartner eine chronische Überforderung mildern und
vielleicht verhindern dass eine Depression entsteht.
Strukturierungsprinzipien schwirren nicht irgendwie im Raum: Auf neuronaler Ebene sind sie als
„Bahnungen“ thematisierbar und ggf. nachweisbar – als Strukturen im Ablauf neuronaler
Prozesse. Allerdings ist dies eine andere Beschreibungsebene.
6) Die umgebenden Prozessstrukturen ändern sich laufend. Schon die gesellschaftlichen
Standard-Erwartungen stellen unterschiedliche Anforderungen an einen Menschen als
Kleinkind, Schulkind, Berufsanfänger, Ehepartner, Eltern, Senior oder Rentner. An diese
veränderten Umgebungsbedingungen müssen sich die Strukturen und Strukturierungsprinzipien
immer wieder neu adaptieren können, um eine symptomfreie Entwicklung zu gewährleisten.
Gesellschaft und Lebenslauf konstellieren somit eine Vielzahl an „Entwicklungsaufgaben“.
So würde eine „gute“ Struktur interpersoneller und individueller Prozesse von Eltern und ihrem
3-jährigem Kind als höchst „pathologisch“ beurteilt werden, wenn diese 20 Jahre lang stabil
bliebe: Der nun 23-jährige würde ja wie ein 3-Jähriger behandelt und ließe sich so behandeln.
Die Strukturen des Umgangs miteinander, der Wahrnehmung von Aufgaben und Verantwortung,
des Verständnisses von Erwartungen müssen stattdessen mehrfach essentiell modifiziert werden.
7.) Unter ungünstigen Entwicklungsbedingungen – vor allem bei Missachtung grundlegender
Bedürfnisse (z.B. nach Nahrung, Bindung und Sicherheit, Verstanden-Werden und Verstehen-
Können), Gewalt und Missbrauch durch die Umgebung, aber auch bei genetischen oder
somatischen Beeinträchtigungen – sind die sich entwickelnden Strukturen oft nur Not-
Lösungen, um physisches oder psychisches Überleben zu gewährleisten. Diese sind dann oft
nicht adaptiv und brechen besonders unter neuen Entwicklungsaufgaben zusammen oder zeigen
ihre Unangemessenheit.
Wenn ungünstige Umgebungsbedingungen die notwendige Komplexität und Adaptabilität der
Strukturen und Strukturierungsprinzipien beeinträchtigt, wird die „Welt“ nur sehr reduziert
erfahren. Neue Entwicklungsaufgaben – die ja immer mit stressvoller, besonders hoher
Komplexität verbunden sind – werden einerseits nicht oder nur begrenzt wahrgenommen.
Andererseits wird eher an solchen Lösungen festgehalten, da sie ja nur sehr mühsam und leidvoll
erreicht wurden. Die Vielfalt an neuen Situationen wird dann mit zu wenigen, zu alten und zu
inadäquaten Wahrnehmungs- Verstehens- oder Verhaltenskategorien zu meistern versucht – was
oft scheitern wird.
8.) Psychotherapie soll Möglichkeiten für die Veränderung von Strukturen und Strukturierungs-
prinzipien bieten. Hierfür stellen die diversen Ansätze zahlreiche Vorgehensweisen auf
unterschiedlichen Prozessebenen zur Verfügung.
Eine integrative Theorie hat deren Wirkungsweise im Einzelnen zu rekonstruieren und damit
verständlich zu machen. In der hier gebotenen Kürze kann für das Spektrum der
unterschiedlichsten Therapieverfahren für sog. neurotische Symptome gesagt werden, dass sie
alle dazu dienen, zu einfache, zu rigide und wenig an neue Entwicklungsaufgaben adaptierte und
6. adaptive Strukturierungsprinzipien von Wahrnehmungen, Handlungen, Fühlen und Denken mit
komplexen Erfahrungen und Bedeutungen zu konfrontieren. Erst dies ermöglicht neue Strukturen
(die dann ja wieder eine Reduktion von Komplexität sind). Diese „Konfrontation“ – und das
Zulassen der (partiellen) Auflösung so leidvoll erwobener Notstrukturen – setzt einen
Beziehungsrahmen voraus, in dem insbesondere missachtete Bedürfnisse nach Bindung und
Sicherheit, Verstanden-Werden und Verstehen-Können beachtet werden.
Systemtheorie als integrative Metatheorie
Auch wenn die obige Darstellung von Essentials aus einer systemischen Grundhaltung erfolgte,
wird behauptet, dass keine Theorie zur Integration psychotherapeutischer Ansätze die erwähnten
Aspekte und Prozessebenen ignorieren darf.
Systemtheorie scheint nun besonders geeignet, als Metatheorie zu dienen. Wobei unter „System-
theorie“ hier ein theoretischer Ansatz gemeint sein soll, der in hoher Korrespondenz zum inter-
disziplinären Diskurs steht.1
Im Kern geht es um die Stabilität bzw. Veränderung von Selbst-
regulationsprozessen, die auch heute in vielen Ansätzen als bedeutsam gesehen werden. Vorläu-
fer im Bereich der Psychologie war u.a. die Gestaltpsychologie Berliner Schule (Wertheimer,
Koffka, Köhler, Lewin, Goldstein). So ist z.B. das Konzept der Selbstaktualisierung im person-
zentrierten Ansatz von Carl Rogers (in der BRD: „Gesprächspsychotherapie“) stark von diesem
Denken beeinflusst. Ebenso spielen die Forschungen zur Dynamik von Gedächtnisprozessen
durch Bartlett (1937) und dessen „Schema“-Konzept, das von Piaget weitgehend übernommen
wurde und auch in der heutigen Psychotherapie eine wichtige Rolle spielt (z.B. Young et al.
2003, der seinen Ansatz, ausgehend von der VT, ebenfalls integrativ versteht).
Ein zentraler Aspekt der Systemtheorie ist die (selbstorganisierte bzw. -regulative) Entstehung,
Stabilisierung und Veränderung von Prozess-Strukturen. Besondere Aufmerksamkeit verdienen
dabei temporär stabile Strukturen (sog. Attraktoren), da sie radikal die Freiheitsgrade eines
Systems reduzieren. In Korrespondenz zu Attraktoren in den Naturwissenschaften, wo es um
Energie-Minima geht, wurde der „Sinn-Attraktor“ eingeführt (Kriz 1999): Dieser beschreibt die
Reduktion der Komplexität von Information und Bedeutung.
Zu einfache, zu festgefahrene und oft nicht mehr an der aktuellen äußeren Realität geprüfte Sinn-
Attraktoren findet man z.B., wenn in der Paartherapie auf die Frage: „Haben Sie eigentlich
gehört, was Ihr Partner gerade gesagt hat“ geantwortet wird: „Nein, nicht so genau – aber wie er
mich so ansah, wusste ich schon, was kommen würde“.
Dies steht auch in Korrespondenz mit dem interdisziplinären systemtheoretischen Konzept der
„Komplettierungsdynamik“: Die Strukturierungsprinzipien eines Systems (technisch:
Ordnungsparameter) komplettieren die Ordnung eines Systems, auch wenn zunächst nur ein
sehr kleiner Teil geordnet ist.
Im Beispiel eben reicht der Blick des Partners, um Prozesse anzutriggern, welche die
wahrgenommene Realität entsprechend den (inneren) Strukturierungsprinzipen komplettieren –
1
Es gibt Gemeint ist besonders die Synergetik (Haken u Schiepek 2005) – es gibt aber auch andere theoretische
Ansätze mit der Bezeichnung „Systemtheorie“, von denen Aspekte integrierbar sind (s. Diskussion in Kriz 1999).
7. ohne weiteren Realitätscheck, d.h. ohne sich der äußeren Prozesskomplexität zu stellen (Kriz
1998).
Systemtheorie kann insbesondere auch das Zusammenspiel unterschiedlicher Systemebenen
erhellen – etwa wie bestimmte (besonders: reduzierte) Strukturen auf interpersoneller und auf
individueller Ebene sich gegenseitig beeinflussen und stabilisieren können.
Leider kann in einem kurzen programmatischen Beitrag vieles nicht präziser ausgeführt werden.
Es sollte aber deutlich geworden sein, dass gerade die in den o.a. „Essentials“ als zentral
benannten Phänomene von psychopathologischen und –therapeutischen Dynamiken auch in der
Systemtheorie die zentralen Gegenstände und Fragen sind.
Zum Nutzen einer systemtheoretischen Perspektive für die therapeutische Praxis
Obwohl aus Theorien niemals unmittelbar praktisches Handeln folgt – und das gilt noch mehr
für eine Metatheorie – soll abschließend anhand von konkreten Beispielen deutlich gemacht
werden, wie die oben skizzierte systemtheoretische Perspektive die Praxis psychothera-
peutischer Arbeit bereichern kann. Natürlich hat die systemische (bzw. historisch: Familien-)
Therapie zahlreiche Techniken entwickelt. Diese sollen vor allem die zu reduzierten, nicht mehr
adaptiven, Beschreibungs-, Erfahrungs- und Interaktionsstrukturen, welche neue Erfahrungen
und Problemlösungsoptionen eher verhindernden, mit Komplexität und Lebensnähe anreichern
(Übersicht: v.Schlippe u Schweitzer 1996). Da es in diesem Beitrag aber gerade nicht um das
Verfahren „systemische Psychotherapie“ geht, sondern um die integrative bzw. metatheoretische
Leistung der Systemtheorie, beziehen sich die folgenden Hinweise zur Praxis explizit auf die
Arbeit im Rahmen anderer Verfahren – und zwar mit Einzelpatienten (damit „systemisch“ nicht
mit der Setting-Frage konfundiert wird).
Da symptom-stabilisierende Prozesse sehr oft mit den narrativen Strukturen über die
Vorgenerationen zu tun haben, macht es Sinn, diese grundsätzlich mit zu erheben: In einem
„Genogramm“ lassen sich bildhaft die erinnerten bzw. erzählten Geburts-, Sterbe,- Hochzeits-,
Scheidungsdaten, von Geschwistern, Eltern und Großeltern darstellen. Wichtige Beziehungen –
welche Personen lebten zusammen unter einem Dach, zwischen wem gab es oft Konflikte oder
Allianzen – sowie typische Leit- und Leidsätze lassen sich ergänzen. Die Manifestation auf Papier
ermöglicht einen anderen Blick, als die sonst nur „inneren“ Bilder der Familie. Selbst diese
rudimentären Daten zeigen oft auch für den Patienten erstaunliches: So weiß man z.B. über die
väterliche Linie im Gegensatz zur mütterlichen fast nichts; oder der Vorname des Patienten taucht
öfter auf. Oft werden auch Zusammenhänge zwischen leidvollem Geschichten in der Familie (im
Mitteleuropa mit zwei Weltkriegen, Vertreibungen, Nazi-Verstrickungen etc. fast unausweichlich),
den Leit- und Leid-Sätzen und malignen Lösungsstrategien in Form Symptomen deutlich.
Beschreibungen über die Art der Beziehungen, welche zur „Welt“, zu anderen Menschen und zu sich
selbst bestehen, können Symptome besonders dann stabilisieren (Sinnattraktoren), wenn sie
kategoriell, abstrakt und verdinglicht sind. Z.B.: „Ich habe wieder Ärger mit meinem Vorgesetzten“.
Statt dies so zu „akzeptieren“ – etwa: „..und das macht ihnen zu schaffen“ – könnte eine Fülle von
erlebensnahen Neu-Beschreibungen die erstarrte Struktur verflüssigen: Im Gespräch über die Vielfalt
an Situationen, deren Erleben und Bewertungen können Handlungsalternativen auftauchen, welche
die erste Beschreibung verstellt.
Die Wirksamkeit des systemischen „Reflecting Teams“ – bei dem Therapeuten in Anwesenheit der
Patienten über das Gehörte miteinander reden und viele neue Sicht- und Verstehensmöglichkeiten
einbringen (Andersen 1990) – liegt in dem Unterschied, direkt angesprochen zu werden (und ggf. zur
8. Rechtfertigung zu tendieren), oder aber anderen zuzuhören. Der Autor nutzt dies auch in der
Einzeltherapie indem er z.B. mit einem fiktiven Supervisor in Dialog tritt (dargestellt durch einen
weiteren leeren Stuhl); z.B.: „Ich fühle mich grad unbehaglich, weil ich den Eindruck habe, dass
Herr X mir immer wieder ausweicht“; (fiktiver Sup.): „Vielleicht hörst Du nicht richtig hin, was X
wirklich braucht“; (wieder T zum Sup.):“ Du meinst, er fühlt sich vielleicht nicht sicher genug?“
(Sup.): „könnte sein! Vielleicht fragst Du einfach, was er braucht, damit er nicht ausweichen muss –
falls er das überhaupt tut“. (T, nun zu X gewandt): „Was halten Sie davon?“.
Erfahrungen damit sind recht positiv. Ein Patient nutzte das für seine Partnerprobleme: Nachdem er
längere Zeit immer wieder berichtet hatte, dass seine Frau sich angriffen fühle und „ausraste“, wenn
er seine Sorgen und Bedürfnisse vorbrächte, kam er selbst auf die Idee, die Perspektive zu wechseln:
Als sehr religiöser Mensch, begann er, abends im Beisein seiner Frau laut zu beten, für das Gute in
der Beziehung am Tage zu danken und seine Sorgen und Bedürfnisse Gott vorzutragen. Das konnte
die Frau gut hören. Und die Partnerbeziehung entspannte sich in den folgenden Wochen rapide, was
sich wiederum positiv auf die eigentliche Symptomatik auswirkte.
Allgemein können neue und ggf. ungewöhnliche Perspektiven helfen, rigide Beschreibungen zu
verändern. Anregungen dazu wären u.a.: „Wie, glauben Sie, würde eigentlich jemand diese
Situation/Problematik/X beschreiben, der Sie besonders mag/ für kompetent hält/ sicher ist, dass Ihr
Y nur vorübergehend ist?“
Naturwissenschaftliche Systemtheorie zeigt, dass Systeme immer an die Gesamtkonfiguration der
Umgebungsbedingungen adaptiv sind. Dies ist eine fruchtbare Sicht auch auf die Strukturen in Form
von Symptomen in der Dynamik der (Er-)Lebensprozesse des Patienten (und seiner Sozialpartner).
Selbst das o.a. Extrembeispiel eines 23-jährigen, der sich wie ein 3-jähriger behandeln lässt, wäre
somit eine Adaptation. Allerdings nicht an die von Beobachtern/Therapeuten „objektiv“ beschrieben
Bedingungen, sondern an die vom Patienten (und ggf. seines Sozialsystems) wahrgenommenen
Gesamtbedingungen. Vielleicht halten ihn seine Eltern (berechtigt oder unberechtigt oder aus eigener
Symptomatik) für besonders pflegebedürftig und/oder seine Weltbeschreibung lässt ihn jede
Selbständigkeit fürchten. Bedeutsam ist somit der „innere Bezugsrahmen“ – nicht nur für das
Erleben (ein Kern der Gesprächspsychotherapie), sondern auch für die Art der Beschreibungen.
Reduktion und Stabilisierung von Erlebensvielfalt geschieht in der Sozialisation über die
Entwicklung von begründeten Erwartungen darüber, was andere von einem selbst erwarten. Diese
Verbindung des Individuums zur Sozialgemeinschaft und Kultur ist ein häufiger Angriffspunkt auch
für Symptome. Es handelt sich aber nicht nur um falsche Glaubenssysteme (ein Kern der Rational-
Emotiven-Therapie) sondern ggf. auch um die statisch-kategorielle Verdinglichung
gesellschaftlicher „Sinnattraktoren“ wie „gut-böse“, „Schuld-Unschuld“, „krank-gesund“ etc.: Auch
dies kann Symptomen Stabilität verleihen und müßte daher ggf. verflüssigt (s.o.) werden.
In diesem Rahmen konnten nur wenige exemplarische Hinweise auf den Nutzen für die Praxis
gegeben werden, welcher aus einer systemtheoretischen Sicht auf die Verflechtung von klinisch
relevanten Prozessebenen folgt. Die Arbeit an einer integrativen Perspektive wird vom Autor
seit langem verfolgt (Kriz 1985) und ist in Teilausarbeitungen unter dem Namen
„Personzentrierte Systemtheorie“ publiziert worden (u.a. Kriz 2004, 2008). So fruchtbar gerade
die Systemtheorie als Meta-Modell für eine solche Integration zu sein scheint: Es bleibt noch
viel Detailarbeit zu leisten.
Es ist aber auch bemerkenswert, wie Klaus Grawe sich ebenfalls bei seiner Arbeit an einer
integrativen Konzeption zunehmend in eine ähnliche Richtung bewegt hat - was leider durch
seinen frühen Tod abgebrochen wurde. Das Interview, das kurz vor seinem Tod geführt und in
PiD veröffentlich wurde (Grawe und Fliegel 2005) schließt mit Grawes Worten:
„…habe ich angefangen, mir einen theoretischen Vers darauf zu machen, dass das
Interaktionelle, das Interpersonale, eigentlich im Zentrum von Therapie steht. Von da ausgehend
hat sich mein Denken so entwickelt, dass ich über Plananalyse und Schemaanalyse heute bei den
9. Grundbedürfnissen des Menschen gelandet bin. Ich habe niemals Menschen nur von ihren
Symptomen her verstehen können oder wollen, sondern bin immer davon ausgegangen, dass der
Mensch nur als ein nach etwas Strebender verstanden werden kann. Da bin ich sicher auch
beeinflusst von humanistischen Gedanken“.
Diese Sichtweise und Intention wird voll von der hier skizzierten Systemtheorie und ihrer
Erklärungsleistung geteilt.
Literatur
Andersen T. Das reflektierende Team. Dortmund: Verlag Modernes Lernen, 1990.
Berger PL, Luckmann T. Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Frankfurt/Main:
FischerTB, 1987
Giger-Bütler J. Sie haben es doch nur gut gemeint. Depression und Familie. Weinheim: Beltz, 2003
Grawe K, Fliegel S. Ich glaube nicht, dass eine Richtung einen Wahrheitsanspruch stellen kann. Klaus
Grawe im Gespräch mit Steffen Fliegel. PiD 2005, 6: 128-135
Haken H, Schiepek G. Synergetik in der Psychologie. Göttingen: Hogrefe, 2005
Kriz J. Prolegomena zu einem Mehrebenenkonzept von Therapie. In: Kriz, J.: Grundkonzepte der
Psychotherapie. München: Urban & Schwarzenberg,1985: 298 – 309
Kriz J. Chaos, Angst und Ordnung. Wie wir unsere Lebenswelt gestalten. Göttingen: Vandenheock &
Ruprecht 1998 (2. Aufl.)
Kriz J. Systemtheorie für Psychotherapeuten, Psychologen und Mediziner. Eine Einführung. Wien:
UTB/Facultas, 1999 (3. Aufl.)
Kriz J. Versagen: Desaster oder Aufbruch? In: Boothe B, Marx W (Hrsg.) Panne - Irrtum - Missgeschick.
Die Psychopathologie des Alltagslebens in interdisziplinärer Perspektive. Bern: Hans Huber, 2003,
163 - 176
Kriz, J. Personzentrierte Systemtheorie. Grundfragen und Kernaspekte. In: Schlippe A.v, Kriz WC
(Hrsg): Personzentrierung und Systemtheorie. Perspektiven für psychotherapeutisches Handeln.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2004: 13 – 67
Kriz, J. Self-Actualization: Person-Centred Approach and Systems Theory. Ross-on-Wye: PCCS-books,
2008
Schindler H, Schlippe A.v. Psychotherapeutische Ausbildungen und psychotherapeutische Praxis
kassenzugelassener Psychologischer PsychotherapeutInnen und Kinder- und
Jugendlichentherapeutinnen. PiD 2006, 7: 334-337
Schlippe A.v., Schweitzer J. Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht, 2004 (10. Auflage)
Young J E, Weishaar M E, Klosko J S. Schema Therapy: A Practitioner's Guide. NewYork: Guilford,
2003
10. Dieser Absatz wurde aus Platzgründen gestrichen:
Verständlicherweise hat besonders die systemische (bzw. historisch: Familien-) Therapie
zahlreiche Techniken entwickelt. Sie sollen vor allem die zu reduzierten, nicht mehr adaptiven,
Beschreibungs-, Erfahrungs- und Interaktionsstrukturen, welche neue Erfahrungen und
Problemlösungsoptionen eher verhindernden, mit Komplexität und Lebensnähe angereichern
(Übersicht: v.Schlippe u Schweitzer 1996). Aber auch die Vorgehensweisen humanistischer
Therapien, mit ihrem Fokus auf Aktualisierungstendenz und Inkongruenz-Verringerung lässt
sich hervorragend mit der Systemtheorie rekonstruieren und begründen (Kriz 1999 oder 2008).
Geht es doch um Inkongruenz zwischen (komplexer) Erfahrung und (oft rigiden)
Strukturierungsprinzipien in deren Symbolisierungen (etwa dem Selbstbild).
Es ist aber z.B. auch plausibel, dass die Aktualisierung und damit konkrete „Anschaulichkeit“
von Strukturierungsprinzipien dadurch gefördert werden kann, dass eine möglichst wenig
strukturierte Situation im therapeutischen Kontext geschaffen wird (s. oben, Punkt 3): Im
Gegensatz zu stark von äußeren Strukturen beeinflussten Situationen, in denen der
Beziehungskontext weitgehend normativ geklärt ist, bleibt dem Patienten in einer äußerlich
unstrukturierten Beziehungssituation nichts anderes übrig, als diese entsprechend seiner inneren
Strukturierungsprinzipien zu gestalten. Diese oft früh unter Konflikten gebildeten Struktur-
Lösungen werden dabei quasi auf die Beziehung im Hier und Jetzt „übertragen“ und damit
explizit sichtbar gemacht. Sie können damit besonders gut zum Gegenstand therapeutischer
Analyse werden.
Bereits die Erstauflage eines Lehrbuchs der wichtigsten Psychotherapieansätze endete mit einem
Kapitel, in dem aus systemtheoretischer Perspektive ein (Meta)Modell zur Integration dieser
Ansätze skizziert wurde (Kriz 1985). In den folgenden 25 Jahren sind etliche Teil-
Ausarbeitungen dieses Entwurfes unter dem Namen „Personzentrierte Systemtheorie“ publiziert
worden (u.a. Kriz 2004, 2008).