SlideShare ist ein Scribd-Unternehmen logo
1 von 24
Downloaden Sie, um offline zu lesen
Barbara Blaha / Josef Weidenholzer (Hg.)
Freiheit
Beiträge für eine
demokratische Gesellschaft
Positionen
Herausgegeben von
Stellvertretend für denVerein:
Barbara Blaha / Josef Weidenholzer
Band 1I
Freiheit
Barbara Blaha / Josef Weidenholzer (Hg.)
Beiträge für eine
demokratische Gesellschaft
Gedruckt mit Förderung des Bundesministeriums für Wissenschaft
und Forschung in Wien sowie mit freundlicher Unterstützung
des Vereins Momentum.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Printed in Hungary
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung
sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgend­
einer Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren)
ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter
Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt
oder verbreitet werden.
© 2010 by Wilhelm Braumüller
Universitäts-Verlagsbuchhandlung Ges.m.b.H.
A-1090 Wien
http://www.braumueller.at
ISSN 2073-5782
ISBN 978-3-7003-1736-4
Basisdesign für Cover: Lukas Drechsel-Burkhard
Druck: PrimeRate
V
Inhalt
Einleitung von Barbara Blaha und Josef Weidenholzer.........................................	 VII
Netzwerk I: Freiheit, Recht und Gesetz ...................................................	 X
Florian Oppitz
Persönlichkeitsrechte statt Datenschutz
(Konferenzbeitrag Momentum09, Hallstatt)...............................................	 1
Daniela Pock
Der Weg ist das Ziel.
Die Resozialisierung straffällig gewordener Jugendlicher im Ländervergleich.	 13
Suzan Topal-Gökceli / Clemens Kaupa
Funktioniert Antidiskriminierungsrecht?........................................................	 29
Sandra Konstatzky / Eva Schiessl
Lohngleichheit von Frauen und Männern
Rechtswirklichkeit und politischer Handlungsbedarf......................................	 43
Ludwig Dvořak
Persönliche Freiheit und soziale Sicherheit –
Geschlechterimplikationen im österreichischen Sozialversicherungsrecht
am Beispiel der Pensions-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung.................	 59
Netzwerk II: Freiheit, Wirtschaft und soziale Sicherheit ....................	 76
Christoph Hess
If you can dream it, you can do it?
Determinanten von beruflicher Selbständigkeit in der Schweiz........................	 77
Manuela Hiesmair / Martin Gruber
Mindestlohnregelungen in Österreich: Instrumente und Abdeckungslücken....	 93
Lukas Oberndorfer
Post-neoliberale Integrationsweise der EU
Perspektivenwechsel an der Schnittstelle Politik / Ökonomie / Recht ...............	 105
Simon Sturn / Till van Treeck / Klara Zwickl
Die strukturellen Ursachen der Krise
und das Scheitern neoliberaler Wirtschaftspolitik...........................................	 123
VI
Artur Streimelweger
Eine „Insel der Seligen“?
Die Immobilienkrise und der österreichische Wohnungsmarkt........................	 133
Tatjana Fischer
Das Land im Wandel – die Menschen auch?....................................................	 145
Netzwerk III: Freiheit, Kultur und Demokratie ......................................	 160
Susanne Arens
Einbezug in migrationsgesellschaftliche(n) Zusammenhänge(n).......................	 161
Petra Neuhold / Paul Scheibelhofer
Gemanagte Vielfalt?
Beiträge einer kritischen Migrationsforschung
zu Diskussionen um Multikulturalismus, Diversität und Integration...............	 175
Eva Belabed
Demokratie unter Druck
Wie der Kapitalismus die Demokratie schwächt..............................................	 187
Leonhard Dobusch / Jakob Kapeller
Institutionalisierung zivilgesellschaftlicher Partizipation:
Zwischen Ignoranz, Integration und Invasion..................................................	 201
Petra Sauer / Petra Völkerer
Bildung und Demokratie
Schafft Bildung sozialen Zusammenhalt?........................................................	 219
Autoren und Autorinnen .......................................................................................	 237
105
Lukas Oberndorfer
Post-neoliberale Integrationsweise der EU
Perspektivenwechsel an der Schnittstelle Politik / Ökonomie / Recht
I. Einleitung
Als es im September und Oktober 2008 zu ausgeprägten Panikverkäufen an
den Weltbörsen kam, die es in diesem Ausmaß zuletzt nur in der Weltwirt-
schaftskrise des vergangenen Jahrhunderts gegeben hatte, mehrten sich –
über die Ränder des Feuilleton hinaus – die prognostischen Stimmen. Nicht
zuletzt unter sozial positionierten WissenschafterInnen und PolitikerInnen
war die These dominant, dass die Krise auch den Neoliberalismus und das
ihn bestimmende finanzmarktgetriebene Akkumulationsregime1
erledigen
werde. Die massiven Interventionen der Nationalstaaten zur Rettung des
Bankensystems, Überwindung der sich ausbreitenden Kreditklemme und
Wiederbelebung der Konjunktur2
wurden weitgehend als „Rückkehr des
Staates“ interpretiert, auf den sich nun erneut emanzipative Hoffnungen
fokussieren könnten. Und als die Europäische Kommission entschied, ihr
strenges, neoliberal geprägtes Beihilfenregime befristet auszusetzen3
, sahen
sich manche in der These bestätigt, dass auch das in den europäischen Verträ-
gen verankerte Recht durch den ökonomischen Weltengang ohne weiteres
pulversiert werden könne. Umso größer war die Überraschung und das Rät-
seln, als die „fortschrittlichen“ Fraktionen bei den Wahlen zum Europäischen
Parlament im Sommer 2009 teilweise starke Verluste hinnehmen mussten und
sich kein Strukturbruch in der Europapolitik erkennen ließ. Vielmehr können
die bisherigen Maßnahmen als „gigantisches Kapitalsanierungsprogramm“4
im „Interesse der dominanten AkteurInnen“5
beschrieben werden. Gerettet
wurden die maroden Banken, nicht die verschuldeten Häuselbauer_innen6
.
Eine Intensivierung der bis zu diesem Zeitpunkt hegemonialen Regulations-
modi vollzog sich auch in der beginnenden Krise des Fordismus gegen Ende
der 1960er-Jahre: Der Keynesianismus kam erst gegen Ende seiner Hegemo-
1
	 Sablowski/Alnasseri, Auf dem Weg zu einem finanzgetriebenen Akkumulati-
onsregime?, in Candeias/Deppe (Hg), Ein neuer Kapitalismus? (2001) 131.
2
	 Für eine umfassende Zusammenstellung vgl Roth, Die globale Krise (2009)
62–118.
3
	 Keßler/Dahlke, Die Auswirkungen der Finanzkrise auf das europäische Bei-
hilfenrecht, EWS 2009, 79.
4
	 Hirsch, Die Krise des neoliberalen Kapitalismus: welche Alternativen?,
www.links-netz.de 2009, 3.
5
	 Brand, Staatseuphorie ohne Strategie, Blätter für deutsche und internationale
Politik 2009, 93 (93).
6
	 Steinert, Die Chancen der Krise, www.links-netz.de 2009, 3.
Lukas Oberndorfer
106
nie zur vollen Entfaltung. Dies galt auch für die europäische Maßstabsebene:
So unternahm die Sozialdemokratie Anfang der 1970er Jahre den letztlich
weitgehend erfolglosen Versuch diese zu einem keynesianischen „Framework
for Joint Intervention“7
auszubauen.
Der entscheidende Grund hierfür liegt darin, dass die Hegemonie
bestimmter Vorstellungen keine „bloße Ideologie“ ist, sondern sich in gesell-
schaftlichen Praxen, Institutionen und Subjekten materialisiert. Auch das
Evident-Werden einer gigantischen Überakkumulationskrise, in der das
Kapital keine ausreichenden profitablen Anlagemöglichkeiten mehr findet8
,
ändert diese Vorstellungen nicht von heute auf morgen. Vielmehr müssen
diese in langwierigen kollektiven Lernprozessen überschrieben werden. Dies
gilt umso mehr, wenn starke Kräfte der „alten Ordnung“ an ihnen festhalten.
Und insbesondere dann, wenn sie ihre Weltanschauung derart verallgemei-
nern konnten, dass diese auch tief in Parteien und Bewegungen einziehen
konnte, die ursprünglich unter emanzipativen Vorzeichen entstanden sind.
Hegemoniale Rechtsnormen und eingefahrene Rechtsprechungspfade
dokumentieren diese Tatsache besonders augenfällig, wie sich an vier Urtei-
len des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zeigen lässt, die innerhalb des
halben Jahres zwischen dem 11.12.2007 und dem 19.06.2008 ergangen sind.9
Sie verhandelten Arbeitskonflikte, in denen die transnationale Lohnkosten-
konkurrenz und die Vereinbarkeit gewerkschaftlicher Kampfmaßnahmen mit
den europäischen Marktfreiheiten im Zentrum standen.10
Sowohl gewerk-
schaftliche Kampfformen als auch mitgliedstaatliche Schutzbestimmungen,
die in diesen Auseinandersetzungen zur Anwendung kamen, erklärte der
EuGH als mit dem Europarecht nicht vereinbar. Diese Urteile stießen auf
massive Kritik „fortschrittlicher“ Wissenschafter_innen: Unter anderen rät
Fritz Scharpf den europäischen Regierungen dazu, „dem EuGH den Gehor-
sam zu verweigern“11
– diesem „Tempel des europäischen Richterrechts“12
,
7
	 Holland, Uncommon Market. Capital, Class and Power in the European Com-
munity (1980) (10).
8
	 Becker/Jäger, Die EU und die große Krise, PROKLA 2009, 541 (541).
9
	 EuGH 11.12.2007, Rs C-438/05, Viking, Slg 2007, I-10779; EuGH 18.12.2007, Rs
C-341/05, Laval, Slg 2007, 11767; EuGH 3.4.2008, Rs C-346/06, Rüffert, Slg 2008,
I-01989; EuGH 19.6.2008, Rs C-319/06, Kommission/Luxemburg, Slg 2008,
I-04323.
10
	 Buckel/Oberndorfer, Die lange Inkubationszeit des Wettbewerbs der Rechtsord-
nungen – Eine Genealogie der Rechtsfälle Viking/Laval/Rüffert/Luxemburg aus
der Perspektive einer materialistischen Europarechtstheorie, in Fischer-
Lescano/Rödl/Schmid, Europäische Gesellschaftsverfassung (2009) 277; Wedl,
Gewerkschaftliche Grundrechte versus Grundfreiheiten des Binnenmarktes , in
Eilmansberger/Herzig, Soziales Europa (2009) 73; Schindler, Vorrang für Men-
schenrechte oder für Marktfreiheiten?, RdW 2009, 807.
11
	 Mitbestimmung, „Der einzige Weg ist, dem EuGH nicht zu folgen“ – Interview
mit Fritz Scharpf, 2008, 19.
12
	 Ebd, 20.
107
Post-neoliberale Integrationsweise der EU
von dem, so Martin Höpner, ein „Imperialismus des Europarechts“13
ausgehe.
Auch diese Kritik orientiert auf eine „Rückkehr des Staates“, um eine eman-
zipative Wende einzuleiten. So schlägt Scharpf vor, dass die Mitgliedstaaten
in Hinkunft mit qualifizierter Mehrheit ein Urteil des EuGH zurückweisen
können.14
Im Tenor werden die Urteile als erstmaliges oder erneutes Hervor-
brechen des Neoliberalismus in der Rechtssprechung des EuGH gelesen.
Doch unterschätzt diese Kritik, wie zu zeigen sein wird, die lange Inku-
bationszeit dieser Judikatur. Denn der Wettbewerb der Rechtsordnungen –
der die gemeinsame Grundlage aller vier Urteile bildet – ist seit Mitte der
1970er Jahre in der Krise des Fordismus im Kontext der Durchsetzung
einer neuen europäischen Integrationsweise inkrementell entwickelt wor-
den. Auch wenn die Kritik an den Urteilen prinzipiell berechtigt ist, liegen
ihrer konkreten Ausführung folgenreiche Verkürzungen und blinde Fle-
cken zu Grunde, die parallel zur bereits angesprochenen Krisenanalyse
bzw -prognostik verlaufen und den Blick für die Entwicklung einer gegen-
hegemonialen Perspektive verstellen. Die in der Kritik der Urteile und der
Krisenprognostik deutlich werdenden theoretischen Herangehensweisen
und die darauf aufbauenden Gegenkonzeptionen sind exemplarisch für in
den letzten Jahrzehnten unternommene „nicht-neoliberale“ Versuche eines
Politikwechsels auf europäischer Maßstabsebene und ihrem Scheitern.15
Im Folgenden soll daher – nicht zuletzt anhand einer Kritik der Kritik
der vier Urteile – gezeigt werden, welche Analysemuster verworfen werden
sollten und welche es zu entwickeln gilt, um die Arbeit an einer post-neoli-
beralen16
Integrationsweise der Europäischen Union voran zu bringen.
Enden möchte ich mit einigen Überlegungen zu strategischen Re-Positio-
nierungen und alternativen Projekten, die als Bausteine einer solchen Inte-
grationsweise fungieren könnten. Dieses Beitragskonzept verrät – nicht nur
aufgrund des zur Verfügung stehenden Raumes – schnell sein „Overload-
potential“. Daher verstehen sich die folgenden Bemerkungen vielmehr als
Skizze, Diskussionsanstoß und Forschungsprogramm, denn als abschlie-
ßende Arbeit.
II. Blinde Flecken und verkürzende Analysemuster
Welches sind nun die verkürzenden Analysemuster, die der angesprochnen
Kritik zu Grunde liegen? Meinem Erachten nach lassen sich drei Stränge
13
	 Martin Höpner, Usurpation statt Delegation. Wie der EuGH die Binnenmarkt-
integration radikalisiert und warum er politischer Kontrolle bedarf, MPIfG
Discussion Paper Nr. 2008 / 12, 1 (23).
14
	 Interview mit Fritz Scharpf (Fn 11).
15
	 Insofern verstehen sich die folgenden Ausführungen als kritisch-solidarisch.
16
	 Candeias, Neoliberalismus, Hochtechnologie, Hegemonie (2004) 439; Brand,
Gegen und im globalen Konstitutionalismus, juridikum 2010, 90
Lukas Oberndorfer
108
heraus präparieren: Erstens wird der langwierige und hartnäckigen Kampf,
den neoliberale Intellektuelle geführt haben, um ihre Theorie zu entwi-
ckeln, für den Alltagsverstand aufzuarbeiten und schrittweise in den euro-
päischen Institutionen der Politik und des Rechts zu verallgemeinern,
unterschätzt. Dies wird ersichtlich, wenn angenommen wird, dass eine
ökonomische Krise – nahezu mechanistisch – einen Transmissionsriemen
in Gang setzten würde, der eine alternative Entwicklungsweise antreibt.
Oder wenn ein dominanter Akteur neoliberaler Offensiven (der EuGH bzw
das Europarecht) ausgemacht wird, der durch eine plötzliche Weichenstel-
lung in seinen jüngsten Urteilen die politischen Institutionen gleich einem
Coup d´Etat entmachtet hat. Entsprechend einfach erscheint dann auch die
Lösung: Wenn die Nationalstaaten diesen Sachverhalt erkennen und in
Folge ihre Souveränität behaupten, ist nicht nur die gewerkschaftliche
Bewegungsfreiheit sondern auch der Weg zu einem sozialen Europa wieder
hergestellt. Aus dem Blick gerät dabei, dass ein gegenhegemoniales Projekt
nur erfolgreich sein kann, wenn es auf sozialen Kämpfen aufbaut, in denen
und durch die es kritischen Akteur_innen gelingt, ihre Weltanschauung zu
verallgemeinern.
Zweitens wird das Europarecht als eigenständiger Ort rechtsförmiger
Hegemonieproduktion übersehen. Damit ist angesprochen, dass Gerichte
als zentrale Einrichtungen rechtlicher Bedeutungsentwicklung nicht
imperativ und ansatzlos einseitige Interessen zu Judikatur werden lassen
können. Unter der spezifischen Eigenlogik des Rechts müssen juridische
Intellektuelle als Organisator_innen eines feingliedrigen rechtsförmigen
Konsenses agieren, der aufeinander treffende Interessen in Form von
Durchbrüchen und darauf folgenden Zugeständnissen in einem langwie-
rigen Projekt zusammenfügt. Denn Hegemonie bedeutet eben nicht
imperiale Befehlsausgabe sondern mit Gramsci die Herausbildung von
Konsens, wenn auch gepanzert mit Zwang. Dass der EuGH die tragenden
Rechtsfiguren, die den angesprochenen Urteilen zugrunde liegen, in
einem in der Krise des Fordismus beginnenden Prozesses Schritt für
Schritt entwickelt hat und nicht erst in den letzten Jahren, lässt sich
durch eine genealogische Untersuchung zeigen (siehe dazu im Folgenden
V. Die lange Inkubationszeit des Wettbewerbes der Rechtsordnungen).
Dabei agierte der EuGH aber nur als ein Knotenpunkt in einem Netz-
werk von rechtlichen und politischen Institutionen, die das Gesamt des
europäischen Apparate-Ensembles17
bilden. In diesem „multiskalar ver-
dichteten Kräfteverhältnis“18
haben die Mitgliedstaaten eine aktive Rolle
17
	 Buckel/Wissel, Entgrenzung der Europäischen Migrationskontrolle, in Brunk-
horst, Demokratie in der Weltgesellschaft, Soziale Welt 2009, 385 (389).
18
	 Brand, Die Internationalisierung des Staates als Rekonstitution von Hegemonie
– Zur staatstheoretischen Erweiterung Gramscis, in Buckel/Fischer-Lescano
(Hg), Hegemonie gepanzert mit Zwang. Zivilgesellschaft und Politik im Staats-
verständnis Antonio Gramscis (2007) 161 (168).
109
Post-neoliberale Integrationsweise der EU
zur Herausbildung der wettbewerbstaatlichen Integrationsweise der
Europäischen Union gespielt. Damit deutet sich schon an, dass drittens
in der angesprochenen Krisenprognostik und in der Kritik der vier
Urteile eine Staatsillusion bzw ein methodischer Nationalismus domi-
nant sind. Nicht die Gier der Banker_innen hat die Strukturen geschaf-
fen, die letztlich in die Krise gemündet haben.19
Vielmehr haben die
Nationalstaaten selbst die europäische Integration dazu eingesetzt,
gewisse Politiken räumlich-maßstäblich zu rekonfigurieren, um durch
die damit verbundenen Schwächung der Gewerkschaften jene Deregulie-
rungen und Wirtschaftspolitiken durchzusetzen20
, deren gesellschaft-
liche Folgen nun vermehrt greifbar werden. Genauso haben die Natio-
nalstaaten über Jahrzehnte jene Rechtssprechungslinien des EuGH
hingenommen oder sogar begrüßt, die 2007 / 2008 in den angesprochenen
Judikaten kumulierten. Die Nationalstaaten als privilegierte Orte eman-
zipativer Hoffnung und als Mittler des Allgemeininteresses zu begreifen,
geht daher fehl. Diese Schwachstellen vermeidet die kritische Staatstheo-
rie, die Staat als „matrielle Verdichtung von gesellschaftlichen Kräf-
teverhältnissen“21
versteht, dem eine „strategische Selektivität“22
einge-
schrieben ist. Durch die folglich gewisse Interessen bevorzugt und
insbesondere subalterne Interessen benachteiligt werden. Eine gegenhe-
gemoniale Integrationsweise ist daher nicht von den Nationalstaaten zu
erwarten, auch wenn sie sich schließlich in diesen materialisieren muss.
Vielmehr müssen alternative Projekte durch soziale Bewegungen erstrit-
ten werden. Deren Erfolg wird unter den heutigen Bedingungen nicht
zuletzt davon abhängen, ob es ihnen gelingt ihr Kampfterrain um die
europäische Maßstabsebene und die rechtliche Dimension der Integra-
tion zu erweitern.
III. Europäische Integrationsweisen
und ihre Binnenmarktkonzeption
Um im Weitern den langen Kampf neoliberaler Intellektueller um eine spe-
zifische Form der europäischen Integration darstellen zu können, die lange
Inkubationszeit des Wettbewerbes der Rechtsordnungen zu veranschauli-
chen und die Rolle der Mitgliedstaaten darin zu verorten, lohnt sich ein
Überblick: Partrick Ziltener hat für eine kritische Schematisierung der
19
	 Wissel, Die Rückkehr der Staatsillusion – Zur Aktualität materialistischer
Staatstheorie, Widerspruch 2009, 65 (65).
20
	 Röttger, [...] was haben die gegenwärtige Krise der Gewerkschaftspolitik und
gewerkschaftliche Revitalisierungsstrategien mit Politics of Scale zu tun?, in
Wissen/Röttger/Heeg, Politics of Scale (2008) 290.
21
	 Poulantzas, Staatstheorie (1978/2002) 159.
22
	 Jessop, State Theory – Putting the Capitalist State in its Place (1990) 260.
Lukas Oberndorfer
110
unterschiedlichen Integrationsweisen der Europäischen Union Pionierar-
beit geleistet.23
Unter Integrationsweise versteht er, anknüpfend an regulati-
onstheoretische Überlegungen24
, den Umstand, dass auf europäischer
Ebene ein politisches Feld entstanden ist. Auf diesem konnten sich neue
gesellschaftliche Kompromisse und politische Regulationsweisen etablie-
ren25
, die mit dem vorherrschenden ökonomischen Akkumulationsregime
artikuliert sind. Dabei unterscheidet Ziltener zwei Integrationsweisen, wel-
che die Union bisher bestimmt haben. Einerseits ist dies die monnetsche
Integrationsweise, welche die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft von
ihrer Gründung 1957 bis Mitte der 1980er Jahre bestimmt hat und keynesi-
anische Regulationsmomente beinhaltete. In der Krise des Fordismus
wurde dieser europäische Entwicklungspfad durch die wettbewerbsstaatli-
che Integrationsweise abgelöst, in der hegemoniale Projekte wie das Bin-
nenmarktprogramm und die Wirtschafts- und Währungsunion durch
Deregulierung und monetaristische Wirtschafts- und Geldpolitik in eine
kompetitive Rekonfigurierung der europäischen Staatlichkeit mündeten.26
Im Folgenden möchte ich mich auf die mit den europäischen Integrations-
weisen verbundenen Binnenmarktkonzeptionen konzentrieren, in denen
sich ökonomische und rechtliche Momente besonders unmittelbar ver-
schränken. Über ihre schematische Darstellung lässt sich zeigen, wie
erfolgreich neoliberale Hegemoniearbeit in der Durchsetzung ihrer Vorstel-
lungen war und erkennen, welche zentrale Rolle dabei das Recht gespielt
hat.
Nach Walter Hallstein, dem ordoliberal inspirierten27
ersten Kommissi-
onspräsidenten der Europäischen Gemeinschaft, bestand die zentrale Auf-
gabe der europäische Integration Ende der 1950er Jahre darin, die in der
Weltmarktkonkurrenz zurückgefallen Produktivität des europäischen
Kapitals – die zu diesem Zeitpunkt nur ein Drittel des US-Kapitals aus-
machte – voran zubringen. Zum Erreichen dieses Zieles standen unter-
schiedliche Marktkonzeptionen im Widerstreit:
23
	 Ziltener, Strukturwandel der europäischen Integration (1999).
24
	 Für einen Überblick und Weiterentwicklung siehe Becker, Akkumulation,
Regulation, Territorium (2002) und Brand/Raza, Fit für den Postfordismus?
(2003).
25
	 Röttger, Über die „Krise der Politik“ und die Malaisen einer Regulationstheo-
rie des transnationalen Kapitalismus, in Forschungsgruppe Europäische
Gemeinschaften, Europäische Integration und politische Regulierung – (FEG)
Nr. 5 (1995) 65 (78).
26
	 Ziltener (Fn 23).
27
	 Steindorff, Der Beitrag Walter Hallsteins zur europäischen Integration, in
Caemmerer/Schlochauer/Steindorff (Hg), Probleme des Europäischen Rechts.
FS Hallstein (1966) 1 (3).
111
Post-neoliberale Integrationsweise der EU
1) 	 Ein keynesianisches Modell, das auf einen möglichst großen Binnen-
markt zielte, um über Ausnützung der Vorteile der Massenproduktion
(Economies of Scale) die Produktivität zu steigern. Darüber sollte der
Spielraum für Lohnsteigerungen erarbeitet werden, um die Binnen-
nachfrage und vermittelt darüber letztlich das Wirtschaftswachstum
anzutreiben. Dieses Modell hat rechtlich mehrere Voraussetzungen:
Zum einen müssen Zölle abgeschafft und eine Diskriminierung der
MarktteilnehmerInnen verhindert werden, da andernfalls kein
gemeinsamer Markt zur Massenproduktion und -konsumtion entste-
hen kann. Des weitern gilt es die Marktfragmentierung durch verblei-
bende Beschränkungen – etwa unterschiedliche Standards im Pro-
duktrecht – durch eine Harmonisierung entsprechender
Anforderungen zu überwinden. Darüber hinaus ist eine koordinierte
Lohnpolitik auf europäischer Ebene eine notwendige Voraussetzung
für ein keynesianisches Binnenmarktkonzept. Denn entsprechende
europäische Nachfrageeffekte sind nur dann zu erwarten, wenn die
Höhe der Löhne zumindest an der Entwicklung der Produktivitätsstei-
gerung orientiert ist. Außerdem droht ein durch Lohnverzicht ermög-
lichter Leistungsbilanzüberschuss (Exportweltmeister-Modell) über
eine Zuspitzung der Ungleichgewichte den Zusammenhalt des gemein-
samen Marktes zu gefährden. Ähnliches gilt, wenn ein Teil des Kapi-
tals Wettbewerbsvorteile im Binnenmarkt erzielen kann, in dem es
niedrigere nationalstaatliche Arbeits- und Umweltrechtsstandards
dazu nutzt, menschliche und natürliche Ressourcen stärker auszubeu-
ten als seine Konkurrenz. In marxscher Begrifflichkeit geht es folglich
darum, das Kapital an eine allgemein verbindliche und gleich lange
„Kette gesetzlicher Regulation“ zu legen.28
2) 	 Trotz der unbestreitbaren Hegemonie des Fordismus kam es in den
„römischen Verträgen zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsge-
meinschaft“ von 1957 aber zur Umsetzung eines monnetschen Binne-
marktkonzeptes, welches nur einige Teile des keynesianisches Modelles
integrierte. Zwar zielten die vier Marktfreiheiten (freier Warenverkehr,
Personenfreizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit, freier Kapital- und
Zahlungsverkehr) auf die Gewährleistung einer Nicht-Diskriminie-
rung der „MarkteilnemerInnen“, doch wurden konkrete und verbind-
liche Instrumente zu Koordinierung der Lohn- und Wirtschaftspoli-
tiken nicht vorgesehen. Darüber hinaus sollte die Harmonisierung
binnenmarktrelevanter Rechtsvorschriften nur schrittweise und unter
weitgehendem Ausschluss zentraler arbeitsrechtlicher Bestimmungen
vorgenommen werden.29
28
	 Marx, Das Kapital, MEW 23, insb 245-320.
29
	 Siehe dazu Art 100 EWG.
Lukas Oberndorfer
112
3) 	 In der Krise des Fordismus kam es zu einer Radikalisierung des mon-
netschen Binnenmarktkonzeptes. Der in rechtsförmigen Suchprozessen
durch den EuGH ab Mitte der 1970er Jahre ausgearbeitete Wettbewerb
der Rechtsordnungen wurde begierig durch das europäische Apparate-
Ensemble aufgegriffen und durch die politischen Institutionen zu einem
eigenständigen Binnenmarktkonzept des Wettbewerbes der Rechtsord-
nungen verallgemeinert. Unterschiedliche Rechtsvorschriften – etwa im
Bereich des Produkt-, des Arbeits- und Umweltrechts – sollen demnach
nur noch rudimentär aneinander angepasst werden. Durch die ver-
pflichtende Anerkennung divergenter Normen bestimmt seither die
Konkurrenz der Regulierungsniveaus den Binnenmarkt.
IV. Der neoliberale Kampf um eine
wettbewerbliche Integrationsweise Europas30
Mit welchen Strategien und Analysemustern gelang es nun neoliberalen
Wissensproduzent_innen nicht nur wider die herrschenden fordistischen
Vorstellungen ein monnetsches Binnenmarktkonzept durchzusetzen, son-
dern es auch – als keynesianische Regulationsmodi in die Krise schlitterten –
weiter zu radikalisieren? Einen der wesentlichsten Beiträge dazu leistete die
deutsche Spielart des Neoliberalismus: der Ordoliberalismus. Ihren Aus-
gangspunkt nahm diese Denkschule im Anschluss an die Weltwirtschafts-
krise der 1930er-Jahre: Wirtschaftspolitik und Rechtsordnung des
„Laissez-Faire“-Liberalismus waren durch Krise, Arbeitslosigkeit und eine
lange Phase der Stagnation weitgehend diskreditiert. Dem Ordoliberalis-
mus ging es nun durch die Gründung von Gegeninstitutionen und Inter-
ventionen in Wissenschaft, Medien und Politik darum, wesentliche Grund-
gedanken des Wirtschaftsliberalismus zu retten. Über das auf Dauer
stellen von Wissen und alternative Deutungsangebote der Krise sollten
langfristig die Bedingungen für die Hegemonie eines „neuen“ Liberalismus
geschaffen werden. So postulierte etwa der spätere wirtschaftspolitische
Berater von Ludwig Erhard Walter Eucken, dass die Schuld an der Welt-
wirtschaftskrise nicht der Liberalismus trage, sondern die politischen
30
	 An dieser Stelle können aus Platzgründen nur einzelne Ecksteine neoliberaler
Hegemoniearbeit skizziert werden. Eine äußert wertvolle Analyse diese Strate-
gien und Praxen und damit einen Werkzeugkasten für gegenhegemoniale Pro-
jekte liefern die Arbeiten von Dieter Plehwe, Bernhard Walpen und Ralf Ptak.
Siehe dazu etwa Walpen, Die offenen Feinde und ihre Gesellschaft (2004);
Mirowski/Plehwe, The road from Mont Pèlerin: The Making of the Neoliberal
Thought Collective (2009); Ptak, Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Markt-
wirtschaft (2004).
113
Post-neoliberale Integrationsweise der EU
Markteingriffe der parlamentarisch verfassten Massengesellschaft.31
Durch
die Gründung zahlreicher „Think-Tanks“ konnten Räume geschaffen und
Ressourcen gebündelt werden, um liberale Theorien an die sich verän-
dernden politischen Gegebenheiten anzupassen. So war neoliberale Politik-
beratung in den entscheiden Momenten, in denen Suchprozesse nach neuen
Regulationsmodi einsetzen, im Stande kohärente Konzepte zu liefern. Als
wichtige institutionelle Struktur für die Verbreitung neoliberaler Theorie,
nicht zuletzt jener des Wettbewerbes der Rechtsordnungen, fungierte etwa
das Walter Eucken Institut, das Patrick Welter als „älteste[n] ordo-
liberale[n] `think tank´ der Welt“32
bezeichnet hat. In der Selbstdefinition
des Institutes als „Kompetenzzentrum für ordnungs- und verfassungsökono-
mische Grundlagenforschung“33
deutet sich bereits eine weitere Stärke
ordoliberaler Hegemoniearbeit an. Während in keynesianischen und kri-
tischen politik-ökonomischen Ansätzen das Recht in einem toten Winkel
positioniert zu sein scheint oder als aus Politik und Ökonomie ableitbares
Phänomen verhandelt wird, nimmt der Ordoliberalismus die relationale
Eigenständigkeit des Rechts34
ernst. So gründete sich die ordoliberale Frei-
burger Schule explizit als „Forschungs- und Lehrgemeinschaft zwischen
Juristen und Volkswirten“35
. Als Begründer der Freiburger Schule fungier-
ten neben dem Ökonomen Walter Eucken, Franz Böhm (Jurist, Ökonom
und CDU-Politiker) und Hans Großmann-Doerth (Jurist). Über die wech-
selseitige Verknüpfung von ökonomischem, rechtlichem und politischem
Wissen in einem interdisziplinären Wissenschaftsnetzwerk, versetzen sich
ordoliberale Intellektuelle in die Lage das Europarecht als eigenständigen
Ort der Hegemonieproduktion zu erkennen und besonders stark zu prägen.
Abschließend sollte erwähnt werden, dass ordoliberale Denker_innen
nicht davor zurückschreckten von ihren Gegner_innen zu lernen und vor-
erst utopisch erscheinende Forderungen in einem langen Stellungskrieg zu
einer neoliberalen Vergesellschafungsweise ausarbeiteten. So schreibt
Hayek schon 1949:
	 „Was der echte Liberalismus vor allem aus dem Erfolg der Sozialisten
lernen muß, ist, daß es ihr Mut zur Utopie war, der ihnen die Unter-
stützung der Intellektuellen gewann und damit jenen Einfluß auf die
31
	 Ptak, Freiburger Schule, in Urban, ABC zum Neoliberalismus. Von „Agenda
2010“ bis „Zumutbarkeit“ (2006) 83.
32
	 zitiert nach Ptak, Grundlagen des Neoliberalismus, in Butterwegge/Lösch/
Ptak, Kritik des Neoliberalismus (2007) 13 (42).
33
	 So die Eigendefinition des Walter Eucken Instituts; siehe dazu www.eucken.de.
34
	 Buckel, Subjektivierung und Kohäsion – Zur Rekonstruktion einer materialis-
tischen Theorie des Rechts (2007).
35
	 Böhm, Die Forschungs- und Lehrgemeinschaft zwischen Juristen und Volkswir-
ten an der Universität Freiburg in den dreißiger und vierziger Jahren des 20.
Jahrhunderts, in Mestmäcker (Hg), Franz Böhm, Reden und Schriften. (1960).
Lukas Oberndorfer
114
öffentliche Meinung gab, der schrittweise das möglich machte, was
eben noch unmöglich erschien.“36
Dieser Mut zur „konkreten Utopie“ – auch auf europäischer Maßstabse-
bene – scheint heute innerhalb der Linken, nicht nur der Sozialdemokratie,
verloren gegangen zu sein.
V. Die lange Inkubationszeit
des Wettbewerbes der Rechtsordnungen
In diesem Abschnitt möchte ich nun die Entstehung des Wettbewerbes der
Rechtsordnungen nachzeichnen. Dabei handelt es sich um jene zentrale
Rechtssprechungslinie, die der EuGH in der Krise des Fordismus auszuar-
beiten begann und die letztlich in den bereits erwähnten Urteilen aus den
Jahren 2007/2008 mündete. Im Zentrum dieser vier Urteile standen die
transnationale Lohnkostenkonkurrenz und die Vereinbarkeit gewerk-
schaftlicher Kampfmaßnahmen mit den europäischen Marktfreiheiten.
Aus Platzgründen verzichte ich an dieser Stelle37
auf die Darstellung der
anderen Rechtssprechungslinien (unmittelbare Drittwirkung; Vorrang der
Marktfreiheiten vor den Grundrechten und Judikatur zur Entsendung von
Arbeitnehmer_innen) die sich in den angeführten Urteilen erstmals
kreuzten – und deren Entstehen ebenfalls weit zurückreicht.
Bevor wir aber unter die Oberfläche des „unmittelbar Vorfindlichen“38
tauchen, lohnt es sich noch einen Blick auf die Spitze des Eisberges zu wer-
fen. Da die Sachverhalte und rechtsdogmatischen Argumente im Wesent-
lichen ähnlich gelagert sind, soll nur eines der Urteile – jenes zum Viking-
Fall – näher vorgestellt werden. Im Fall Viking39
wollte die gleichnamige
finnische Reederei eines ihrer Schiffe nach Estland ausflaggen. Unter Aus-
flaggen wird im Seerecht die Neu-Niederlassung eines Schiffes in einem
anderen Land verstanden. Dadurch wäre anstatt des finnischen, der wesent-
lich niedrigere Löhne vorsehende estnische Tarifvertrag zur Anwendung
gekommen. Die finnische Seemannsgewerkschaft drohte mit Streik und
wurde dabei von der internationalen Transportarbeiterföderation im Kampf
gegen „Billigflaggen“ erfolgreich unterstützt. Dieser Sachverhalt landete
letztlich vor Gericht, da sich die Viking durch dieses Vorgehen in ihrem
Recht auf Niederlassungsfreiheit beschränkt sah. In seinem Urteil hielt der
EuGH fest, dass auch Gewerkschaften die Marktfreiheiten zu beachten hät-
36
	 von Hayek, Die Intellektuellen und der Sozialismus, in von Hayek, Wissen-
schaft und Sozialismus. Aufsätze zur Sozialismuskritik (2004) 3 (15).
37
	 Siehe für eine ausführliche Darstellung Buckel/Oberndorfer (Fn 10).
38
	 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung (2003/1947) 33.
39
	 EuGH 11.12.2007, Rs C-438/05, Viking, Slg 2007, I-10779.
115
Post-neoliberale Integrationsweise der EU
ten (unmittelbare Drittwirkung). Die Kampfmaßnahmen würden prinzipiell
eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellen (Wettbewerb der
Rechtsordnungen). Allenfalls könnte der Eingriff in die Rechte der Viking
durch das Grundrecht auf Vereinigungsfreiheit und gewerkschaftliche
Kampfmaßnahmen gerechtfertigt werden (prinzipieller Vorrang der Markt-
freiheiten vor Grundrechten). Dies allerdings nur dann, wenn die Gewerk-
schaften dabei verhältnismäßig agieren. Das bedeutet im Wesentlichen, dass
die Gewerkschaften nicht nur ein „geeignetes Mittel“ wählen müssen, son-
dern dieses auch nur soweit wie zur Erreichung ihrer Ziele erforderlich zum
Einsatz bringen dürfen. Die Konsequenzen dieses Urteils sind weitreichend:
In Hinkunft müssen Gewerkschaften bei Kampmaßnahmen mit grenzüber-
schreitendem Bezug neben den ohnehin bereits restriktiven rechtlichen Aus-
gangsituationen auf nationalstaatlicher Maßstabsebene, auch das Regime
der Markfreiheiten beachten. Indem die Arbeitnehmer_innenvertretungen
gezwungen werden, wie die Mitgliedstaaten eine komplexe europarechtliche
Rechtfertigungsprüfung vorzunehmen, erfolgt eine Etatisierung der Gewerk-
schaften. Eine „Fehlentscheidung“ kann nicht nur mitunter hohe Schadener-
satzforderungen auslösen, sondern auch das Eingreifen staatlicher Befehls-
und Zwangsgewalt legitimieren. Die Verpflichtung zur Wahl des geeigneten
und gelindesten Mittels privilegiert darüber hinaus auf Verhandlungslö-
sungen zielende korporatistische Muster.
Wie im Viking-Urteil, setzt der EuGH auch in den anderen drei Urtei-
len stillschweigend voraus, dass den Marktfreiheiten ein Beschränkungsver-
bot innewohnt, welches grundsätzlich jegliche ungerechtfertigte Beschrän-
kung verbietet. Hätte der EuGH die ursprüngliche Bedeutung der
Marktfreiheiten als Diskriminierungsverbote, welche die Gleichbehandlung
von grenz-überschreitenden Fällen mit inländischen Sachverhalten vor-
sieht, den Fällen zugrunde gelegt, hätte er die Europarechtswidrigkeit ver-
neinen müssen. So knüpfen die Gewerkschaften etwa im Viking Fall ja
nicht an der Herkunft des Unternehmens an, sondern fordern diskriminie-
rungsfrei lediglich die Einhaltung kollektivvertraglicher Bestimmungen.
Dass die Marktfreiheiten ausschließlich solche Gleichbehandlungsgebote
enthalten, war bis Mitte der 1970er Jahre die nahezu einhellige Meinung in
den Europarechtswissenschaften.40
Dies entsprach dem an dem monnet-
schen Binnenmarktkonzept ausgerichteten Ziel der Marktfreiheiten: Der
Protektionismus innerhalb der Gemeinschaft sollte durch die Schaffung
eines diskriminierungsfreien gemeinsamen Marktes überwunden werden.
Verbleibende nichtdiskriminierende Beschränkungen sollten ausschließlich
auf dem Wege der einstimmig zu beschließenden Rechtsharmonisierung
bewältigt werden (Art 100 EWG). Mit der dadurch geförderten Massenpro-
duktion wurde eine Steigerung der internationalen Konkurrenzfähigkeit
40
	 Siehe etwa Ehlermann, in von der Groeben/von Boeckh/Thiesing (Hg), Kom-
mentar zum EWG-Vertrag (1974), Art 30, Vorbemerkungen.
Lukas Oberndorfer
116
der Unternehmen der Gemeinschaft angestrebt. Ulrich Everling, der bei
den Verhandlungen der römischen Verträge (1957) als deutscher Vertreter
beteiligt war, berichtete, dass die Mitgliedstaaten die Marktfreiheiten
bewusst als Diskriminierungsverbote ausgestalteten.41
Ende 1974 – mitten in der Krise der fordistischen Formation – schlug der
EuGH mit seinem Urteil in der Rechtssache (Rs) Dassonville dann allerdings
eine erste tiefe Schneise in das bisherige Verständnis der Marktfreiheiten. So
bestimmte er, dass jede Regelung, „die geeignet ist, den innergemeinschaft-
lichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu
behindern“, grundsätzlich eine unzulässige Beschränkung des freien Waren-
verkehrs darstellt.42
Dadurch eröffnete der EuGH im Bereich der Warenver-
kehrsfreiheit ein erstes Feld des Wettbewerbs der Rechtsordnungen: Exportie-
rende Unternehmen wurden in die Lage versetzt, ihnen als zu streng
erscheinende Regelungen notfalls gerichtlich als Behinderungen des freien
Warenverkehrs zu bekämpfen. In seiner Cassis des Dijon-Entscheidung 1979
spitzte er die Dassonville-Formel weiter zu: So sollen „alle in einem Mitglied-
staat rechtmäßig hergestellten und in Verkehr gebrachten [Waren] in die
anderen Mitgliedstaaten eingeführt werden“ dürfen.43
Damit verpflichtete der
EuGH die Mitgliedstaaten zur wechselseitigen Annerkennung ihrer Rechts-
ordnungen. Dass die mitgliedstaatlichen Staatsapparate die Konsequenzen
des Überganges zu einem Beschränkungsverbot durchaus realisierten,
beweist die Bezugnahme auf die Gefahren des Wettbewerbes der Rechtsord-
nungen. So heißt es im Vorbringen der BRD in der Rs Cassis de Dijon: „Am
Ende wäre zwingend die Regelung desjenigen Mitgliedsstaats in allen anderen
Mitgliedstaaten verbindlich, der die geringsten Anforderungen stelle.“44
Den-
noch kam es von Seiten der Nationalstaaten zu keinem ernsthaften Versuch
dem mit der Rechtssache Dassonville eingeschlagenen Pfad entgegenzutreten.
Um diese Verschärfung des Wettbewerbes der Rechtsordnungen einzu-
betten und der Kritik an der Uferlosigkeit der Dassonville-Formel die Spitze
zu nehmen, erfand das Gericht neben den Rechtfertigungsgründen des Art.
30 EG eine weitere Ebene möglicher Rechtfertigungen: So heißt es im Urteil
zur Rs Cassis des Dijon, dass in Ermangelung einer gemeinschaftlichen
Regelung Beschränkungen des freien Warenverkehrs „hinzunehmen [sind],
soweit diese Bestimmungen notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen
gerecht zu werden, insbesondere den Erfordernissen einer wirksamen steuer-
lichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit
des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes.“45
Mit dieser Etablierung
41
	 Everling, Vertragsverhandlungen 1957 und Vertragspraxis 1987, in Mestmäcker/
Möller/Schwartz (Hg), Eine Ordnungpolitik für Europa, FS Groeben (1987), 111
(120).
42
	 EuGH 11.7.1974, Rs 8/74, Dassonville, Slg 1974, 837 (837).
43
	 EuGH 20.2.1979, Rs 120/78, Cassis de Dijon, Slg 1979, 649, Rn 14.
44
	 Ebd, 656.
45
	 Ebd, 2. Leitsatz.
117
Post-neoliberale Integrationsweise der EU
ungeschriebener Rechtfertigungsgründe wollte das Gericht wohl nicht nur der
zu erwartenden Kritik von Verbraucherschutzverbänden vorweg greifen,
sondern auch jene Mitgliedstaaten mit relativ hohen Produktstandards für
den mit der Entscheidung in der Rs Dassonville eingeschlagenen Pfad gewin-
nen. Das Urteil führte zu einer starken Beschleunigung des Wettbewerbes
der Rechtsordnungen.46
Wesentlich dafür war, dass die Kommission das
Urteil begierig aufgriff und in die politische Arena verschob. Schon im
Herbst 1979 kündigte der damalige Kommissar für den Binnenmarkt, der
belgische Adelige Étienne Davignon, vor dem Europäischen Parlament eine
„neue Strategie der Harmonisierung“ auf der Basis des Urteils an.47
Davi-
gnon war einer der zentralen Persönlichkeiten, die Anfang der 1980er Jahre
die Gründung des European Round Table of Industrialists (ERT) initiier-
ten.48
Weniger als ein Jahr später veröffentlichte die Kommission eine Mittei-
lung über die Auswirkungen des Urteils in der Rs. Cassis de Dijon.49
Obwohl
dafür im Urteil kaum Anhaltspunkte zu finden sind, unterstellte sie, dass
auch bei prinzipiell gelingender Rechtfertigung die Mitgliedstaaten ihr Recht
unangewendet zu lassen hätten, sofern die Regelungen des Herkunftslandes
„in angemessener und befriedigender Weise“ gleichwertig seien. Die Cassis-
Mitteilung erfuhr eine breite Rezeption. Im Anschluss an die Veröffentli-
chung veranstalteten Wirtschaftsvereinigungen und Rechtsanwaltskanzleien
dazu in ganz Europa zahlreiche Konferenzen und Seminare.50
Während
Konsument_innengruppen sowie Kapitalfraktionen mit geringerer Mobilität
und fehlender transnationaler Ausrichtung bzw mit monopolartigen Stel-
lungen auf „heimischen“ Märkten die Kommissionsmitteilung nahezu
geschlossen ablehnten, wurde sie von transnational ausgerichteten Kapital-
gruppen und ihren Interessensverbänden begrüßt. Die UNICE51
, neben dem
ERT die größte Lobbyorganisation der EU,52
sah mit dem Urteil langjährige
Forderungen verwirklicht.53
Einige Unternehmernetzwerke diskutierten
sogar die Möglichkeit, durch strategische Klagen den bisherigen Rechtsspre-
chungspfad auszuweiten.54
Im Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes
46
	 Deakin, Legal Diversity and Regulatory Competition: Which Model for Europe?, ELJ
2006, 440 (443).
47
	 ABl 1980 C 183/57.
48
	 Ziltener (Fn 23).
49
	 Mitteilung der Kommission über die Auswirkungen des Urteils des Europä-
ischen Gerichtshofes vom 20. Februar 1979 in der Rs 120/78, Cassis de Dijon, ABl
1980 C 256/2.
50
	 Alter/Meunier-Aitsahalia, Judicial Politics in the European Community, Com-
parative Political Studies 1994, 535 (542).
51
	 Union of Industrial and Employers’ Confederation of Europe, 2007 umbenannt
in BUSINESSEUROPE.
52
	 van Apeldoorn, Transnational Capitalism and the Struggle over European Inte-
gration (2002) 102f.
53
	 Alter/Meunier-Aitsahalia (Fn 50).
54
	 Ebd, 543.
Lukas Oberndorfer
118
bestätigte die Kommission den neuen Ansatz.55
Um den Widerstand zu mini-
mieren, sprach sie sich für die schrittweise Schaffung gemeinsamer industri-
eller Standards aus.56
So kam es zu einer ersten politischen Austarierung und
Einbettung des Wettbewerbes der Rechtsordnungen. Dieses hegemoniefä-
hige juridisch-politische Paket führte dazu, dass die Mitgliedstaaten im Rah-
men der Einheitlichen Europäischen Akte – der ersten großen Vertragsände-
rung der Gemeinschaft – keinen ernstzunehmenden Versuch unternahmen,
dem Übergang vom Diskriminierungsverbot zum Beschränkungsverbot im
Bereich der Warenverkehrsfreiheit entgegenzutreten. Der EuGH ging inzwi-
schen dazu über, die Dassonville-Formel auf die anderen Marktfreiheiten
auszudehnen: 1984 auf die Niederlassungsfreiheit57
, 1991 auf die Dienstlei-
stungsfreiheit58
und 1995 auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit59
. Damit war die
– von neoliberalen Rechtswissenschaftern zuvor schon eingeforderte60
–
Konvergenz der Marktfreiheiten weitgehend hergestellt und bereits zu
Beginn der 1990er Jahre (!) die Ausgangslage für die aktuellen Urteile herge-
stellt.
Der EuGH reagierte aber immer wieder sensibel auf die Gefahr eines
Hegemonieverlustes. Als Unternehmen sogar das Verbot der Sonntagsöff-
nung als Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit angriffen61
, nahm der
EuGH etwa die von ihm geschaffene Hintertür der „zwingenden Erforder-
nisse“ im Allgemeininteresse in Anspruch und argumentierte, dass die Rege-
lung der Geschäftsöffnungszeiten gerechtfertigt sei, da diese die Verteilung
der Arbeitszeit im Einklang mit sozialen und kulturellen Besonderheiten
sicherstellen solle.62
Nachdem der Strom an Vorabentscheidungsverfahren, in
denen hochsensible nationale Vorschriften mittels der Marktfreiheiten atta-
ckiert wurden, dennoch nicht abriss und sich der drohende Hegemoniever-
lust politisch63
und rechtlich64
artikulierte, entschied sich der EuGH schließ-
lich in der Rs Keck zu einer Neupositionierung auf der Tatbestandsebene der
Warenverkehrsfreiheit: „[E]ntgegen der bisherigen Rechtssprechung“ seien
Vorschriften, die sich nicht auf die Ware selbst beziehen, sondern nur
bestimmte Verkaufsmodalitäten regeln, nicht geeignet, den Handel zwischen
55
	 Weißbuch der Kommission zur Vollendung des Binnenmarktes v 14.6.1985,
KOM (85) 310, Rn 65–68.
56
	 Ebd, Rn 64.
57
	 EuGH 12.7.1984, Rs 107/83, Klopp, Slg 1984, 2971, Rn 19.
58
	 EuGH 25.7.1991, Rs C-76-90, Säger, Slg 1991, 4221, Rn 12.
59
	 EuGH 15.12.1995, Rs C-415/93, Bosman, Slg 1995, I-4921.
60
	 Behrens, Die Konvergenz der wirtschaftlichen Freiheiten im europäischen
Gemeinschaftsrecht, EuR 1992, 145.
61
	 EuGH 23.11.1989, Rs C-145/88, Torfaen, Slg 1989, 3851.
62
	 Rs C-145/88, Torfaen, Rn 14.
63
	 Durch den Maastrichtvertrag war die Subsidiaritätsklausel (heute Art 5 Abs 3
EG) in die Gemeinschaftsverträge aufgenommen worden.
64
	 Der BVerfG hatte wenige Wochen zuvor sein Maastricht-Urteil erlassen,
BVerfGE 89, 155, v 12.10.1993.
119
Post-neoliberale Integrationsweise der EU
den Mitgliedstaaten zu beschränken, sofern diese für alle Wirtschaftsteil-
nehmer unterschiedslos, d. h. nicht diskriminierend wirken.65
Im Teilbereich
der vertriebsbezogenen Maßnahmen kam es daher zu einer Renaissance des
Diskriminierungsverbotes im Bereich der Warenverkehrsfreiheit. Bei aller
semantischen Radikalität handelte es sich aber nur um eine „behutsame
Wende“,66
die durch ein partielles Zugeständnis letztlich auf die weitgehende
Aufrechterhaltung des Wettbewerbes der Rechtsordnungen zielte.
VI. Bausteine einer postneoliberalen Integrationsweise
der Europäischen Union
Durch die EuGH-Urteile von 2007 / 2008 wurden die transnationalen
Arbeitskonflikte als Rechtskollisionen in den Wettbewerb der Rechtsord-
nungen eingebunden und diszipliniert. Die vier Judikate fügen sich nahtlos
in eine in die Krise des Fordismus zurückreichende Genealogie ein. Die
ihnen zugrunde liegende Theorie und die dieser Theorie entsprechenden
juristischen Argumentationsfiguren sind in einem langwierigen Prozess –
nicht zuletzt durch die Arbeit neoliberale Intellektueller – der europäischen
Rechtsform eingeschrieben worden. Die Urteile sind daher nicht der Wende-
sondern der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung, auch wenn ihre lange
Inkubationszeit sie leicht als Ausreißer erscheinen lässt. Ein gegenhegemoni-
aler Ansatz muss daher diesen Entwicklungspfad in seiner Gesamtheit in
Frage stellen, denn Einzelkritiken konnten immer wieder vermittelt durch
Suchprozesse in das neoliberale Projekt eingebunden werden. Selbst wenn
politische Akteur_innen sich teilweise recht kritisch zu den vier Urteilen
geäußert haben, besteht immer noch ein Konsens darüber, den durch den
EuGH entwickelten Bedeutungsgehalt der Marktfreiheiten unangetastet zu
lassen: So sprach sich das europäische Parlament in seinem Entschließungs-
antrag67
zu den Urteilen letztlich dagegen aus, mittels einer Primärrechtsän-
derung den Wettbewerb der Rechtsordnungen zu beenden.68
Weiter geht hier
schon der Europäische Gewerkschaftsbund, der sich mit dem von ihm vorge-
schlagenen „Social Progress“-Protocol69
dafür einsetzt, zumindest eine der
Rechtssprechungslinien, nämlich den Vorrang der Marktfreiheiten, auf den
Kopf zu stellen. Auch wenn die primärrechtliche Umsetzung dieses Proto-
koll den wichtigen Erfolg nach sich zöge, dass soziale Grundrechte den
Marktfreiheiten vorgehen, würde dies den Wettbewerb der Rechtsordnungen
65
	 EuGH 24.11.1993, Rs C-267/91 und C-268/91, Keck, Slg 1993, I-6097, Rn 16.
66
	 Möschel, Kehrtwende in der Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfrei-
heit, NJW 1994, 429.
67
	 Entschließung des EP v 22.10.2008 zu den Herausforderungen für Tarifverträge,
2008/2085.
68
	 Robert, Die Klempner von Europa, LE MONDE diplomatique 2009, 10.
69
	 ETUC Proposal for a „Social Progress“ Protocol.
Lukas Oberndorfer
120
allerdings nur einschränken, nicht aber aufheben. Denn das Beschränkungs-
verbot der Marktfreiheiten bliebe dadurch unangetastet. Als ein zentraler
Baustein einer post-neoliberalen Integrationsweise der EU müsste jedoch
dieses freiheitsrechtliche Verständnis der Marktfreiheiten durch ein gleich-
heitsrechtliches Diskriminierungsverbot im ursprünglichen Sinne abgelöst
werden. Dies hätte, obwohl es nur als dogmatischer Pfadwechsel erscheint,
einen tiefgreifenden Umbruch der europäischen Integrationsweise zur Kon-
sequenz: Transnational orientierten Kapitalfraktionen würde dadurch die
Möglichkeit genommen, sich hohen regulativen Anforderungen zu entzie-
hen. Die Auseinandersetzung um Regulationsmodi würde dadurch von der
Rechtsform zurück in politische Verfahren gedrängt.
Doch worin würde sich diese Integrationsweise von der fordistischen
unterscheiden? Die wesentliche Differenz liegt in ihrer verstärkt postnatio-
nalen Dimension: Denn im Gegensatz zu den 1970er Jahren ist das Europä-
ische Parlament im Bereich der Angleichung von Rechtsvorschriften mit
Relevanz für den Gemeinsamen Markt mittlerweile an allen Rechtsetzungs-
akten beteiligt (Art 114 iVm Art 294 AEUV). Durch die Vetomacht des Parla-
ments ist ein neues Kampfterrain für transnationale soziale Bewegungen ent-
standen. Während das fordistische Diskriminierungsverbot daher nur
sicherstellen konnte, dass nationalstaatliche Kompromissbildungen nicht
unterlaufen werden, würde die künftige Überwindung des Wettbewerbs der
Rechtsordnungen die Herausbildung von transnationalen subalternen Bünd-
nissen fördern – eine Chance auf die Entwicklung von Gegenmacht zum
längst transnational operierenden Kapital. Damit fände eine Orientierung
hin auf ein post-nationales europäisches Terrain statt, welches die Verkörpe-
rung der Einheit des Volkes als Nation70
in den mitgliedstaatlichen Staatsap-
paraten unterläuft. Genau diese Subjektivierung der Bevölkerung als Teil
einer nationalen Wettbewerbsgemeinschaft, die sich im Kampf gegen die
anderen Mitgliedstaaten bewähren muss, ist integraler Bestandteil eines
Wettbewerbes der Rechtsordnungen, in denen sich „unser Recht“ gegen jenes
der „anderen“ durchsetzen muss. Ein gegenhegemonialer Ansatz darf freilich
nicht bei der Forderung nach einem ausschließlichen Diskriminierungsverbot
stehen bleiben, sondern muss diese mit der Forderung nach einer grundle-
genden Revision der Marktfreiheitensystematik verbinden. Ließ sich die
besondere Stellung der Marktfreiheiten noch durch die historisch wirksame
Konzeption einer ökonomischen Integration als „spill over“-Mechanismus
für eine folgende politische Integration rechtfertigen, so ist diese inzwischen
erreicht und die Sonderstellung der Grundfreiheiten nicht nur geschichtlich
überholt, sondern in dem veränderten gesellschaftlichen Kontext für eine
post-neoliberalen Integrationsweise kontraproduktiv, weil sie die Verschie-
bung des Kräfteverhältnisses zugunsten des neoliberalen Projekts fest-
schreibt. Diese verfassungsgleiche Zementierung der Verhältnisse muss einem
70
	 Poulantzas, Staatstheorie (2002/1978) 90ff.
121
Post-neoliberale Integrationsweise der EU
prozeduralen Aushandlungsprozess im transnationalen Arbeitsrecht weichen
und um die Einfügung grundlegender demokratischer Elemente in die
Wirtschaftsverfassung wie auch in die europäischen und mitgliedstaatlichen
Institutionen ergänzt werden.71
Dass die Kommission als einziges der europä-
ischen Organe über ein Initiativrecht im „europäischen Gesetzgebungsverfah-
ren“ verfügt, ist etwa ein wesentlicher Grund dafür, dass sich die bisherigen
transnationalen Bewegungen nur in defensiven Bündnissen, wie zuletzt in
jenem gegen die Arbeitszeitrichtlinie, konstituiert haben. Gerade die Verselb-
ständigung der Rechtsform zeigt zudem, dass die Demokratisierung nicht nur
politische Institutionen umfassen darf, sondern es viel umfänglicher um eine
permanente, mit Bezug auf die verschiedenen Organe sehr unterschiedliche
Demokratisierung aller Institutionen die bindende Entscheidungen fällen (die
keineswegs mit ihrer Verstaatlichung gleichzusetzen ist), ankommt. Das
Europarecht als eigenständigen Ort der Hegemonieproduktion zu entdecken,
in dem soziale Kämpfe unter den Bedingungen der Rechtsform ausgefochten
werden und gesellschaftliche Widersprüche inkrementell in Rechtsprechungs-
linien übersetzt werden, erfordert die fortwährende Aufmerksamkeit sozialer
Bewegungen. Dass dies einseitig schon seit langem erkannt wurde, bewies
zuletzt etwa das Vorgehen der schwedischen Wirtschaftsvereinigung die in
einem der vier Fälle (Rs Laval) ein beträchtliches europarechtliches Engage-
ment zur Durchsetzung ihrer Rechtsansicht und damit zur Schwächung der
Gewerkschaften zeigte.72
Das Verdikt des EuGH in der Rs Schmidberger73
,
das das Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit in Form der mehrtägigen
Blockade einer Hauptverkehrsader (im konkreten Fall des Brenners) des Bin-
nenmarktes, eine Einschränkung der Marktfreiheiten rechtfertige, liefert
einen interessanten Anknüpfungspunkt: Diesmal könnte ein transnationales
Bündnis sozialer Bewegungen unter Einschluss der Gewerkschaften den
Brenner blockieren und für eine Überwindung des Wettbewerbes der Rechts-
ordnungen demonstrieren. Durch transnationale Arbeitskämpfe könnte ein
weiteres Moment einer post-neoliberalen Integrationsweise errungen werden:
die europäische Tarifautonomie.74
Eine locker im Lehnstuhl entwickelte
Phrase hätte ihre Probe aufs Exempel zu bestehen: „Natürlich können die
Gewerkschaften aufeinander abgestimmte kollektive Maßnahmen ergreifen,
um die Beschäftigungsbedingungen […] überall in der Gemeinschaft zu
verbessern.“75
71
	 Oberndorfer, Demos, wo bist du?, in Attac , Das kritische EU-Buch (2006) 40.
72
	 www.svensktnaringsliv.se/fragor/utlandska_foretag_i_sverige/article41188.ece
(16.2.2010). Für Hinweis und Übersetzung danke ich Joachim Stern.
73
	 EuGH 12.6.2003, Rs C 112/00, Schmidberger, Slg 2003, I-5659.
74
	 Für eine vielversprechende Initiative, die auch eine rechtlich-politische Operati-
onalisierung transnationaler Arbeitskämpfe zur Durchsetzung der europä-
ischen Tarifautonomie vorlegt, siehe www.tarifpolitik.eu.
75
	 Generalanwalt Maduro in seinen Schlussanträgen zu EuGH, C-438/05, Urteil v.
11.12.2007 (Viking), Rn 70.
Lukas Oberndorfer: Post-neoliberale Integrationsweise der EU. Perspektivenwechsel an der Schnittstelle Politik/Ökonomie/Recht.

Weitere ähnliche Inhalte

Andere mochten auch

Die Web PräSenz Am Kkbk
Die Web PräSenz Am     KkbkDie Web PräSenz Am     Kkbk
Die Web PräSenz Am Kkbkkkbkonline
 
Rules of Life
Rules of LifeRules of Life
Rules of LifeGarhu
 
Dritte Welt Erwerbsstruktur
Dritte Welt ErwerbsstrukturDritte Welt Erwerbsstruktur
Dritte Welt Erwerbsstrukturalfred10
 
Partizipative Entwicklung von Kompetenzontologien
Partizipative Entwicklung von KompetenzontologienPartizipative Entwicklung von Kompetenzontologien
Partizipative Entwicklung von KompetenzontologienSimone Braun
 
Unsere Umfrage zur Schule
Unsere Umfrage zur  SchuleUnsere Umfrage zur  Schule
Unsere Umfrage zur Schulecarla asquini
 
Osterkarten für die Partnerklassen
Osterkarten für die PartnerklassenOsterkarten für die Partnerklassen
Osterkarten für die Partnerklassencarla asquini
 
Expertentalk: Überholen Sie Ihren Wettbewerb mit E-Business!
Expertentalk: Überholen Sie Ihren Wettbewerb mit E-Business!Expertentalk: Überholen Sie Ihren Wettbewerb mit E-Business!
Expertentalk: Überholen Sie Ihren Wettbewerb mit E-Business!Telekom MMS
 
Confluence & JIRA Community Day - Marketingaktivitäten mit Jira verwalten - S...
Confluence & JIRA Community Day - Marketingaktivitäten mit Jira verwalten - S...Confluence & JIRA Community Day - Marketingaktivitäten mit Jira verwalten - S...
Confluence & JIRA Community Day - Marketingaktivitäten mit Jira verwalten - S...Communardo GmbH
 
Das niederländische Poldermodell
Das niederländische PoldermodellDas niederländische Poldermodell
Das niederländische PoldermodellCarsten Schade
 
Deutsch heute Umfrage1
Deutsch heute Umfrage1Deutsch heute Umfrage1
Deutsch heute Umfrage1carla asquini
 
Kreativtechniken - Material zum Seminar
Kreativtechniken - Material zum SeminarKreativtechniken - Material zum Seminar
Kreativtechniken - Material zum SeminarBellaada
 
Silverlight 2.0 Prozess Editor
Silverlight 2.0 Prozess EditorSilverlight 2.0 Prozess Editor
Silverlight 2.0 Prozess EditorMartin Hey
 
LAS ACTIVIDADES DIARIAS EN LA ESCUELA
LAS ACTIVIDADES DIARIAS EN LA ESCUELALAS ACTIVIDADES DIARIAS EN LA ESCUELA
LAS ACTIVIDADES DIARIAS EN LA ESCUELAguestb28a5f4
 
Krisenhafte Entwicklung und Erklärungsmodelle „der Krise“
Krisenhafte Entwicklung und Erklärungsmodelle „der Krise“Krisenhafte Entwicklung und Erklärungsmodelle „der Krise“
Krisenhafte Entwicklung und Erklärungsmodelle „der Krise“Thomas Kreiml
 
T-Systems Multimedia Solutions - Die ideale Internetagentur.
T-Systems Multimedia Solutions - Die ideale Internetagentur.T-Systems Multimedia Solutions - Die ideale Internetagentur.
T-Systems Multimedia Solutions - Die ideale Internetagentur.Telekom MMS
 
Mannerkatalog
MannerkatalogMannerkatalog
MannerkatalogWolle1
 
"Ausbildung Dialog Center" von Norbert Rottman, 3C DIALOG GmbH
"Ausbildung Dialog Center" von Norbert Rottman, 3C DIALOG GmbH"Ausbildung Dialog Center" von Norbert Rottman, 3C DIALOG GmbH
"Ausbildung Dialog Center" von Norbert Rottman, 3C DIALOG GmbH3cdialog
 
Selbstvermarktung Im Web20 Slideshare
Selbstvermarktung Im Web20 SlideshareSelbstvermarktung Im Web20 Slideshare
Selbstvermarktung Im Web20 SlideshareAndreas Mertens
 

Andere mochten auch (20)

imagenes
imagenesimagenes
imagenes
 
Die Web PräSenz Am Kkbk
Die Web PräSenz Am     KkbkDie Web PräSenz Am     Kkbk
Die Web PräSenz Am Kkbk
 
Rules of Life
Rules of LifeRules of Life
Rules of Life
 
Dritte Welt Erwerbsstruktur
Dritte Welt ErwerbsstrukturDritte Welt Erwerbsstruktur
Dritte Welt Erwerbsstruktur
 
Partizipative Entwicklung von Kompetenzontologien
Partizipative Entwicklung von KompetenzontologienPartizipative Entwicklung von Kompetenzontologien
Partizipative Entwicklung von Kompetenzontologien
 
Unsere Umfrage zur Schule
Unsere Umfrage zur  SchuleUnsere Umfrage zur  Schule
Unsere Umfrage zur Schule
 
Osterkarten für die Partnerklassen
Osterkarten für die PartnerklassenOsterkarten für die Partnerklassen
Osterkarten für die Partnerklassen
 
Expertentalk: Überholen Sie Ihren Wettbewerb mit E-Business!
Expertentalk: Überholen Sie Ihren Wettbewerb mit E-Business!Expertentalk: Überholen Sie Ihren Wettbewerb mit E-Business!
Expertentalk: Überholen Sie Ihren Wettbewerb mit E-Business!
 
iAd – Apples next Game Changer?
iAd – Apples next Game Changer?iAd – Apples next Game Changer?
iAd – Apples next Game Changer?
 
Confluence & JIRA Community Day - Marketingaktivitäten mit Jira verwalten - S...
Confluence & JIRA Community Day - Marketingaktivitäten mit Jira verwalten - S...Confluence & JIRA Community Day - Marketingaktivitäten mit Jira verwalten - S...
Confluence & JIRA Community Day - Marketingaktivitäten mit Jira verwalten - S...
 
Das niederländische Poldermodell
Das niederländische PoldermodellDas niederländische Poldermodell
Das niederländische Poldermodell
 
Deutsch heute Umfrage1
Deutsch heute Umfrage1Deutsch heute Umfrage1
Deutsch heute Umfrage1
 
Kreativtechniken - Material zum Seminar
Kreativtechniken - Material zum SeminarKreativtechniken - Material zum Seminar
Kreativtechniken - Material zum Seminar
 
Silverlight 2.0 Prozess Editor
Silverlight 2.0 Prozess EditorSilverlight 2.0 Prozess Editor
Silverlight 2.0 Prozess Editor
 
LAS ACTIVIDADES DIARIAS EN LA ESCUELA
LAS ACTIVIDADES DIARIAS EN LA ESCUELALAS ACTIVIDADES DIARIAS EN LA ESCUELA
LAS ACTIVIDADES DIARIAS EN LA ESCUELA
 
Krisenhafte Entwicklung und Erklärungsmodelle „der Krise“
Krisenhafte Entwicklung und Erklärungsmodelle „der Krise“Krisenhafte Entwicklung und Erklärungsmodelle „der Krise“
Krisenhafte Entwicklung und Erklärungsmodelle „der Krise“
 
T-Systems Multimedia Solutions - Die ideale Internetagentur.
T-Systems Multimedia Solutions - Die ideale Internetagentur.T-Systems Multimedia Solutions - Die ideale Internetagentur.
T-Systems Multimedia Solutions - Die ideale Internetagentur.
 
Mannerkatalog
MannerkatalogMannerkatalog
Mannerkatalog
 
"Ausbildung Dialog Center" von Norbert Rottman, 3C DIALOG GmbH
"Ausbildung Dialog Center" von Norbert Rottman, 3C DIALOG GmbH"Ausbildung Dialog Center" von Norbert Rottman, 3C DIALOG GmbH
"Ausbildung Dialog Center" von Norbert Rottman, 3C DIALOG GmbH
 
Selbstvermarktung Im Web20 Slideshare
Selbstvermarktung Im Web20 SlideshareSelbstvermarktung Im Web20 Slideshare
Selbstvermarktung Im Web20 Slideshare
 

Ähnlich wie Lukas Oberndorfer: Post-neoliberale Integrationsweise der EU. Perspektivenwechsel an der Schnittstelle Politik/Ökonomie/Recht.

Gibt es eine Europäische Öffentlichkeit?
Gibt es eine Europäische Öffentlichkeit?Gibt es eine Europäische Öffentlichkeit?
Gibt es eine Europäische Öffentlichkeit?Eric Bonse
 
Gedenkrede greffrathscheer
Gedenkrede greffrathscheerGedenkrede greffrathscheer
Gedenkrede greffrathscheermetropolsolar
 
Die Lügenpresse als Verschwörungstheorie
Die Lügenpresse als VerschwörungstheorieDie Lügenpresse als Verschwörungstheorie
Die Lügenpresse als VerschwörungstheorieUwe Krüger
 
121127 kreß, ethik der medien slideshare
121127 kreß, ethik der medien slideshare121127 kreß, ethik der medien slideshare
121127 kreß, ethik der medien slideshareIlka Nienhoff
 
Programm_Reden über Europa_Allianz Kulturstiftung.pdf
Programm_Reden über Europa_Allianz Kulturstiftung.pdfProgramm_Reden über Europa_Allianz Kulturstiftung.pdf
Programm_Reden über Europa_Allianz Kulturstiftung.pdfunn | UNITED NEWS NETWORK GmbH
 
Lk vorlesung 11 robert blum
Lk vorlesung 11 robert blumLk vorlesung 11 robert blum
Lk vorlesung 11 robert blumIgorKrestinsky
 
Die Hedge-Fonds, der Finanzmarkt und der freie Markt
Die Hedge-Fonds, der Finanzmarkt und der freie MarktDie Hedge-Fonds, der Finanzmarkt und der freie Markt
Die Hedge-Fonds, der Finanzmarkt und der freie MarktGute-banken.de
 
03 4 2-forkel_martinez-krieger
03 4 2-forkel_martinez-krieger03 4 2-forkel_martinez-krieger
03 4 2-forkel_martinez-kriegerWettbewerb
 
Maturaarbeit Kathrin Lauber
Maturaarbeit Kathrin LauberMaturaarbeit Kathrin Lauber
Maturaarbeit Kathrin LauberKathrinLauber
 
07 2 2-lechelt_ba
07 2 2-lechelt_ba07 2 2-lechelt_ba
07 2 2-lechelt_baWettbewerb
 
Historie der freiwilligenarbeit in deutschland
Historie der freiwilligenarbeit in deutschlandHistorie der freiwilligenarbeit in deutschland
Historie der freiwilligenarbeit in deutschlandfoulder
 
Die Kulturalismusfalle im (historisch-)politischen Lernen am Beispiel des Nah...
Die Kulturalismusfalle im (historisch-)politischen Lernen am Beispiel des Nah...Die Kulturalismusfalle im (historisch-)politischen Lernen am Beispiel des Nah...
Die Kulturalismusfalle im (historisch-)politischen Lernen am Beispiel des Nah...Lernen aus der Geschichte
 
Antisemitismus zwischen Kontinuität und Adaptivität: Interdisziplinäre Perspe...
Antisemitismus zwischen Kontinuität und Adaptivität: Interdisziplinäre Perspe...Antisemitismus zwischen Kontinuität und Adaptivität: Interdisziplinäre Perspe...
Antisemitismus zwischen Kontinuität und Adaptivität: Interdisziplinäre Perspe...MichaelBrenner37
 
Macht der Medien (Kurzvortrag)
Macht der Medien (Kurzvortrag)Macht der Medien (Kurzvortrag)
Macht der Medien (Kurzvortrag)Michael Wögerer
 
Vorschau 2 / 2010 V&R unipress
Vorschau 2 / 2010 V&R unipressVorschau 2 / 2010 V&R unipress
Vorschau 2 / 2010 V&R unipressIch
 
Referat 68er
Referat 68erReferat 68er
Referat 68erSven Bode
 

Ähnlich wie Lukas Oberndorfer: Post-neoliberale Integrationsweise der EU. Perspektivenwechsel an der Schnittstelle Politik/Ökonomie/Recht. (20)

4-1 Wilhelm
4-1 Wilhelm4-1 Wilhelm
4-1 Wilhelm
 
Zwangsarbeit im Nationalsozialismus
Zwangsarbeit im NationalsozialismusZwangsarbeit im Nationalsozialismus
Zwangsarbeit im Nationalsozialismus
 
Gibt es eine Europäische Öffentlichkeit?
Gibt es eine Europäische Öffentlichkeit?Gibt es eine Europäische Öffentlichkeit?
Gibt es eine Europäische Öffentlichkeit?
 
Gedenkrede greffrathscheer
Gedenkrede greffrathscheerGedenkrede greffrathscheer
Gedenkrede greffrathscheer
 
Die Lügenpresse als Verschwörungstheorie
Die Lügenpresse als VerschwörungstheorieDie Lügenpresse als Verschwörungstheorie
Die Lügenpresse als Verschwörungstheorie
 
121127 kreß, ethik der medien slideshare
121127 kreß, ethik der medien slideshare121127 kreß, ethik der medien slideshare
121127 kreß, ethik der medien slideshare
 
Programm_Reden über Europa_Allianz Kulturstiftung.pdf
Programm_Reden über Europa_Allianz Kulturstiftung.pdfProgramm_Reden über Europa_Allianz Kulturstiftung.pdf
Programm_Reden über Europa_Allianz Kulturstiftung.pdf
 
Lk vorlesung 11 robert blum
Lk vorlesung 11 robert blumLk vorlesung 11 robert blum
Lk vorlesung 11 robert blum
 
Die Hedge-Fonds, der Finanzmarkt und der freie Markt
Die Hedge-Fonds, der Finanzmarkt und der freie MarktDie Hedge-Fonds, der Finanzmarkt und der freie Markt
Die Hedge-Fonds, der Finanzmarkt und der freie Markt
 
03 4 2-forkel_martinez-krieger
03 4 2-forkel_martinez-krieger03 4 2-forkel_martinez-krieger
03 4 2-forkel_martinez-krieger
 
Maturaarbeit Kathrin Lauber
Maturaarbeit Kathrin LauberMaturaarbeit Kathrin Lauber
Maturaarbeit Kathrin Lauber
 
07 2 2-lechelt_ba
07 2 2-lechelt_ba07 2 2-lechelt_ba
07 2 2-lechelt_ba
 
4 3 schäfer
4 3 schäfer4 3 schäfer
4 3 schäfer
 
Historie der freiwilligenarbeit in deutschland
Historie der freiwilligenarbeit in deutschlandHistorie der freiwilligenarbeit in deutschland
Historie der freiwilligenarbeit in deutschland
 
Ba rp
Ba rpBa rp
Ba rp
 
Die Kulturalismusfalle im (historisch-)politischen Lernen am Beispiel des Nah...
Die Kulturalismusfalle im (historisch-)politischen Lernen am Beispiel des Nah...Die Kulturalismusfalle im (historisch-)politischen Lernen am Beispiel des Nah...
Die Kulturalismusfalle im (historisch-)politischen Lernen am Beispiel des Nah...
 
Antisemitismus zwischen Kontinuität und Adaptivität: Interdisziplinäre Perspe...
Antisemitismus zwischen Kontinuität und Adaptivität: Interdisziplinäre Perspe...Antisemitismus zwischen Kontinuität und Adaptivität: Interdisziplinäre Perspe...
Antisemitismus zwischen Kontinuität und Adaptivität: Interdisziplinäre Perspe...
 
Macht der Medien (Kurzvortrag)
Macht der Medien (Kurzvortrag)Macht der Medien (Kurzvortrag)
Macht der Medien (Kurzvortrag)
 
Vorschau 2 / 2010 V&R unipress
Vorschau 2 / 2010 V&R unipressVorschau 2 / 2010 V&R unipress
Vorschau 2 / 2010 V&R unipress
 
Referat 68er
Referat 68erReferat 68er
Referat 68er
 

Mehr von Thomas Kreiml

Klinik der Solidarität - Teil 2
Klinik der Solidarität - Teil 2Klinik der Solidarität - Teil 2
Klinik der Solidarität - Teil 2Thomas Kreiml
 
Klinik der Solidarität - Teil 1
Klinik der Solidarität - Teil 1Klinik der Solidarität - Teil 1
Klinik der Solidarität - Teil 1Thomas Kreiml
 
Klinik der Solidarität - Teil 3
Klinik der Solidarität - Teil 3Klinik der Solidarität - Teil 3
Klinik der Solidarität - Teil 3Thomas Kreiml
 
Roland Atzmüller: Transformationen der Arbeit
Roland Atzmüller: Transformationen der ArbeitRoland Atzmüller: Transformationen der Arbeit
Roland Atzmüller: Transformationen der ArbeitThomas Kreiml
 
Social Media im Betrieb - Ein Blick auf die Herausforderungen für den Betrieb...
Social Media im Betrieb - Ein Blick auf die Herausforderungenfür den Betrieb...Social Media im Betrieb - Ein Blick auf die Herausforderungenfür den Betrieb...
Social Media im Betrieb - Ein Blick auf die Herausforderungen für den Betrieb...Thomas Kreiml
 
David Mum: "Schuldenmythen. Stabilitätspaket - Fiskalpakt - Sparpaket"
David Mum: "Schuldenmythen. Stabilitätspaket - Fiskalpakt - Sparpaket"David Mum: "Schuldenmythen. Stabilitätspaket - Fiskalpakt - Sparpaket"
David Mum: "Schuldenmythen. Stabilitätspaket - Fiskalpakt - Sparpaket"Thomas Kreiml
 
Lukas Oberndorfer: "Autokratische Wende in der EU oder soziales und demokrati...
Lukas Oberndorfer: "Autokratische Wende in der EU oder soziales und demokrati...Lukas Oberndorfer: "Autokratische Wende in der EU oder soziales und demokrati...
Lukas Oberndorfer: "Autokratische Wende in der EU oder soziales und demokrati...Thomas Kreiml
 
Gerda Höhrhan-Weiguni: "Internet/Social Media-Nutzung am Arbeitsplatz"
Gerda Höhrhan-Weiguni: "Internet/Social Media-Nutzung am Arbeitsplatz"Gerda Höhrhan-Weiguni: "Internet/Social Media-Nutzung am Arbeitsplatz"
Gerda Höhrhan-Weiguni: "Internet/Social Media-Nutzung am Arbeitsplatz"Thomas Kreiml
 
Thomas Kreiml: "ArbeitnehmerInnen im www. Social Media - Kommunikation, Mitge...
Thomas Kreiml: "ArbeitnehmerInnen im www. Social Media - Kommunikation, Mitge...Thomas Kreiml: "ArbeitnehmerInnen im www. Social Media - Kommunikation, Mitge...
Thomas Kreiml: "ArbeitnehmerInnen im www. Social Media - Kommunikation, Mitge...Thomas Kreiml
 
GPA-djp Social Media
GPA-djp Social MediaGPA-djp Social Media
GPA-djp Social MediaThomas Kreiml
 
"BetriebsrätInnen treffen prekäre Nerds" - Soziale Bewegungen und Social Media
"BetriebsrätInnen treffen prekäre Nerds" - Soziale Bewegungen und Social Media"BetriebsrätInnen treffen prekäre Nerds" - Soziale Bewegungen und Social Media
"BetriebsrätInnen treffen prekäre Nerds" - Soziale Bewegungen und Social MediaThomas Kreiml
 
Ilse Fetik: Der österreichische Arbeitsmarkt aus frauenspezifischer Sicht
Ilse Fetik: Der österreichische Arbeitsmarkt aus frauenspezifischer SichtIlse Fetik: Der österreichische Arbeitsmarkt aus frauenspezifischer Sicht
Ilse Fetik: Der österreichische Arbeitsmarkt aus frauenspezifischer SichtThomas Kreiml
 
Heidi Schroth - Vortragsmanuskript
Heidi Schroth - VortragsmanuskriptHeidi Schroth - Vortragsmanuskript
Heidi Schroth - VortragsmanuskriptThomas Kreiml
 
Heidi Schoth: Transversale Billigjobber/innen? Dimensionen von Macht und Wide...
Heidi Schoth: Transversale Billigjobber/innen? Dimensionen von Macht und Wide...Heidi Schoth: Transversale Billigjobber/innen? Dimensionen von Macht und Wide...
Heidi Schoth: Transversale Billigjobber/innen? Dimensionen von Macht und Wide...Thomas Kreiml
 
Nick Hauser: Vorstellung der Interessengemeinschaft work@migration der GPA-djp
Nick Hauser: Vorstellung der Interessengemeinschaft work@migration der GPA-djpNick Hauser: Vorstellung der Interessengemeinschaft work@migration der GPA-djp
Nick Hauser: Vorstellung der Interessengemeinschaft work@migration der GPA-djpThomas Kreiml
 
Ljubomir Bratic: Ausländerbeschäftigungsgesetz - Herz des Rassismus in Österr...
Ljubomir Bratic: Ausländerbeschäftigungsgesetz - Herz des Rassismus in Österr...Ljubomir Bratic: Ausländerbeschäftigungsgesetz - Herz des Rassismus in Österr...
Ljubomir Bratic: Ausländerbeschäftigungsgesetz - Herz des Rassismus in Österr...Thomas Kreiml
 
Ingrid Stipanovsky: Der Europäische Betriebsrat
Ingrid Stipanovsky: Der Europäische BetriebsratIngrid Stipanovsky: Der Europäische Betriebsrat
Ingrid Stipanovsky: Der Europäische BetriebsratThomas Kreiml
 
Arbeits- und Geschlechterverhältnisse in der Grundsicherung – das Beispiel Ha...
Arbeits- und Geschlechterverhältnisse in der Grundsicherung – das Beispiel Ha...Arbeits- und Geschlechterverhältnisse in der Grundsicherung – das Beispiel Ha...
Arbeits- und Geschlechterverhältnisse in der Grundsicherung – das Beispiel Ha...Thomas Kreiml
 
Herrmann/Flecker: Betriebliche Interessenvertretung in Österreich: wachsender...
Herrmann/Flecker: Betriebliche Interessenvertretung in Österreich: wachsender...Herrmann/Flecker: Betriebliche Interessenvertretung in Österreich: wachsender...
Herrmann/Flecker: Betriebliche Interessenvertretung in Österreich: wachsender...Thomas Kreiml
 
Web 2.0 - ArbeitnehmerInnen 2.0 [allgemein]
Web 2.0  - ArbeitnehmerInnen 2.0 [allgemein]Web 2.0  - ArbeitnehmerInnen 2.0 [allgemein]
Web 2.0 - ArbeitnehmerInnen 2.0 [allgemein]Thomas Kreiml
 

Mehr von Thomas Kreiml (20)

Klinik der Solidarität - Teil 2
Klinik der Solidarität - Teil 2Klinik der Solidarität - Teil 2
Klinik der Solidarität - Teil 2
 
Klinik der Solidarität - Teil 1
Klinik der Solidarität - Teil 1Klinik der Solidarität - Teil 1
Klinik der Solidarität - Teil 1
 
Klinik der Solidarität - Teil 3
Klinik der Solidarität - Teil 3Klinik der Solidarität - Teil 3
Klinik der Solidarität - Teil 3
 
Roland Atzmüller: Transformationen der Arbeit
Roland Atzmüller: Transformationen der ArbeitRoland Atzmüller: Transformationen der Arbeit
Roland Atzmüller: Transformationen der Arbeit
 
Social Media im Betrieb - Ein Blick auf die Herausforderungen für den Betrieb...
Social Media im Betrieb - Ein Blick auf die Herausforderungenfür den Betrieb...Social Media im Betrieb - Ein Blick auf die Herausforderungenfür den Betrieb...
Social Media im Betrieb - Ein Blick auf die Herausforderungen für den Betrieb...
 
David Mum: "Schuldenmythen. Stabilitätspaket - Fiskalpakt - Sparpaket"
David Mum: "Schuldenmythen. Stabilitätspaket - Fiskalpakt - Sparpaket"David Mum: "Schuldenmythen. Stabilitätspaket - Fiskalpakt - Sparpaket"
David Mum: "Schuldenmythen. Stabilitätspaket - Fiskalpakt - Sparpaket"
 
Lukas Oberndorfer: "Autokratische Wende in der EU oder soziales und demokrati...
Lukas Oberndorfer: "Autokratische Wende in der EU oder soziales und demokrati...Lukas Oberndorfer: "Autokratische Wende in der EU oder soziales und demokrati...
Lukas Oberndorfer: "Autokratische Wende in der EU oder soziales und demokrati...
 
Gerda Höhrhan-Weiguni: "Internet/Social Media-Nutzung am Arbeitsplatz"
Gerda Höhrhan-Weiguni: "Internet/Social Media-Nutzung am Arbeitsplatz"Gerda Höhrhan-Weiguni: "Internet/Social Media-Nutzung am Arbeitsplatz"
Gerda Höhrhan-Weiguni: "Internet/Social Media-Nutzung am Arbeitsplatz"
 
Thomas Kreiml: "ArbeitnehmerInnen im www. Social Media - Kommunikation, Mitge...
Thomas Kreiml: "ArbeitnehmerInnen im www. Social Media - Kommunikation, Mitge...Thomas Kreiml: "ArbeitnehmerInnen im www. Social Media - Kommunikation, Mitge...
Thomas Kreiml: "ArbeitnehmerInnen im www. Social Media - Kommunikation, Mitge...
 
GPA-djp Social Media
GPA-djp Social MediaGPA-djp Social Media
GPA-djp Social Media
 
"BetriebsrätInnen treffen prekäre Nerds" - Soziale Bewegungen und Social Media
"BetriebsrätInnen treffen prekäre Nerds" - Soziale Bewegungen und Social Media"BetriebsrätInnen treffen prekäre Nerds" - Soziale Bewegungen und Social Media
"BetriebsrätInnen treffen prekäre Nerds" - Soziale Bewegungen und Social Media
 
Ilse Fetik: Der österreichische Arbeitsmarkt aus frauenspezifischer Sicht
Ilse Fetik: Der österreichische Arbeitsmarkt aus frauenspezifischer SichtIlse Fetik: Der österreichische Arbeitsmarkt aus frauenspezifischer Sicht
Ilse Fetik: Der österreichische Arbeitsmarkt aus frauenspezifischer Sicht
 
Heidi Schroth - Vortragsmanuskript
Heidi Schroth - VortragsmanuskriptHeidi Schroth - Vortragsmanuskript
Heidi Schroth - Vortragsmanuskript
 
Heidi Schoth: Transversale Billigjobber/innen? Dimensionen von Macht und Wide...
Heidi Schoth: Transversale Billigjobber/innen? Dimensionen von Macht und Wide...Heidi Schoth: Transversale Billigjobber/innen? Dimensionen von Macht und Wide...
Heidi Schoth: Transversale Billigjobber/innen? Dimensionen von Macht und Wide...
 
Nick Hauser: Vorstellung der Interessengemeinschaft work@migration der GPA-djp
Nick Hauser: Vorstellung der Interessengemeinschaft work@migration der GPA-djpNick Hauser: Vorstellung der Interessengemeinschaft work@migration der GPA-djp
Nick Hauser: Vorstellung der Interessengemeinschaft work@migration der GPA-djp
 
Ljubomir Bratic: Ausländerbeschäftigungsgesetz - Herz des Rassismus in Österr...
Ljubomir Bratic: Ausländerbeschäftigungsgesetz - Herz des Rassismus in Österr...Ljubomir Bratic: Ausländerbeschäftigungsgesetz - Herz des Rassismus in Österr...
Ljubomir Bratic: Ausländerbeschäftigungsgesetz - Herz des Rassismus in Österr...
 
Ingrid Stipanovsky: Der Europäische Betriebsrat
Ingrid Stipanovsky: Der Europäische BetriebsratIngrid Stipanovsky: Der Europäische Betriebsrat
Ingrid Stipanovsky: Der Europäische Betriebsrat
 
Arbeits- und Geschlechterverhältnisse in der Grundsicherung – das Beispiel Ha...
Arbeits- und Geschlechterverhältnisse in der Grundsicherung – das Beispiel Ha...Arbeits- und Geschlechterverhältnisse in der Grundsicherung – das Beispiel Ha...
Arbeits- und Geschlechterverhältnisse in der Grundsicherung – das Beispiel Ha...
 
Herrmann/Flecker: Betriebliche Interessenvertretung in Österreich: wachsender...
Herrmann/Flecker: Betriebliche Interessenvertretung in Österreich: wachsender...Herrmann/Flecker: Betriebliche Interessenvertretung in Österreich: wachsender...
Herrmann/Flecker: Betriebliche Interessenvertretung in Österreich: wachsender...
 
Web 2.0 - ArbeitnehmerInnen 2.0 [allgemein]
Web 2.0  - ArbeitnehmerInnen 2.0 [allgemein]Web 2.0  - ArbeitnehmerInnen 2.0 [allgemein]
Web 2.0 - ArbeitnehmerInnen 2.0 [allgemein]
 

Lukas Oberndorfer: Post-neoliberale Integrationsweise der EU. Perspektivenwechsel an der Schnittstelle Politik/Ökonomie/Recht.

  • 1. Barbara Blaha / Josef Weidenholzer (Hg.) Freiheit Beiträge für eine demokratische Gesellschaft
  • 2. Positionen Herausgegeben von Stellvertretend für denVerein: Barbara Blaha / Josef Weidenholzer Band 1I
  • 3. Freiheit Barbara Blaha / Josef Weidenholzer (Hg.) Beiträge für eine demokratische Gesellschaft
  • 4. Gedruckt mit Förderung des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung in Wien sowie mit freundlicher Unterstützung des Vereins Momentum. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Printed in Hungary Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgend­ einer Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. © 2010 by Wilhelm Braumüller Universitäts-Verlagsbuchhandlung Ges.m.b.H. A-1090 Wien http://www.braumueller.at ISSN 2073-5782 ISBN 978-3-7003-1736-4 Basisdesign für Cover: Lukas Drechsel-Burkhard Druck: PrimeRate
  • 5. V Inhalt Einleitung von Barbara Blaha und Josef Weidenholzer......................................... VII Netzwerk I: Freiheit, Recht und Gesetz ................................................... X Florian Oppitz Persönlichkeitsrechte statt Datenschutz (Konferenzbeitrag Momentum09, Hallstatt)............................................... 1 Daniela Pock Der Weg ist das Ziel. Die Resozialisierung straffällig gewordener Jugendlicher im Ländervergleich. 13 Suzan Topal-Gökceli / Clemens Kaupa Funktioniert Antidiskriminierungsrecht?........................................................ 29 Sandra Konstatzky / Eva Schiessl Lohngleichheit von Frauen und Männern Rechtswirklichkeit und politischer Handlungsbedarf...................................... 43 Ludwig Dvořak Persönliche Freiheit und soziale Sicherheit – Geschlechterimplikationen im österreichischen Sozialversicherungsrecht am Beispiel der Pensions-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung................. 59 Netzwerk II: Freiheit, Wirtschaft und soziale Sicherheit .................... 76 Christoph Hess If you can dream it, you can do it? Determinanten von beruflicher Selbständigkeit in der Schweiz........................ 77 Manuela Hiesmair / Martin Gruber Mindestlohnregelungen in Österreich: Instrumente und Abdeckungslücken.... 93 Lukas Oberndorfer Post-neoliberale Integrationsweise der EU Perspektivenwechsel an der Schnittstelle Politik / Ökonomie / Recht ............... 105 Simon Sturn / Till van Treeck / Klara Zwickl Die strukturellen Ursachen der Krise und das Scheitern neoliberaler Wirtschaftspolitik........................................... 123
  • 6. VI Artur Streimelweger Eine „Insel der Seligen“? Die Immobilienkrise und der österreichische Wohnungsmarkt........................ 133 Tatjana Fischer Das Land im Wandel – die Menschen auch?.................................................... 145 Netzwerk III: Freiheit, Kultur und Demokratie ...................................... 160 Susanne Arens Einbezug in migrationsgesellschaftliche(n) Zusammenhänge(n)....................... 161 Petra Neuhold / Paul Scheibelhofer Gemanagte Vielfalt? Beiträge einer kritischen Migrationsforschung zu Diskussionen um Multikulturalismus, Diversität und Integration............... 175 Eva Belabed Demokratie unter Druck Wie der Kapitalismus die Demokratie schwächt.............................................. 187 Leonhard Dobusch / Jakob Kapeller Institutionalisierung zivilgesellschaftlicher Partizipation: Zwischen Ignoranz, Integration und Invasion.................................................. 201 Petra Sauer / Petra Völkerer Bildung und Demokratie Schafft Bildung sozialen Zusammenhalt?........................................................ 219 Autoren und Autorinnen ....................................................................................... 237
  • 7. 105 Lukas Oberndorfer Post-neoliberale Integrationsweise der EU Perspektivenwechsel an der Schnittstelle Politik / Ökonomie / Recht I. Einleitung Als es im September und Oktober 2008 zu ausgeprägten Panikverkäufen an den Weltbörsen kam, die es in diesem Ausmaß zuletzt nur in der Weltwirt- schaftskrise des vergangenen Jahrhunderts gegeben hatte, mehrten sich – über die Ränder des Feuilleton hinaus – die prognostischen Stimmen. Nicht zuletzt unter sozial positionierten WissenschafterInnen und PolitikerInnen war die These dominant, dass die Krise auch den Neoliberalismus und das ihn bestimmende finanzmarktgetriebene Akkumulationsregime1 erledigen werde. Die massiven Interventionen der Nationalstaaten zur Rettung des Bankensystems, Überwindung der sich ausbreitenden Kreditklemme und Wiederbelebung der Konjunktur2 wurden weitgehend als „Rückkehr des Staates“ interpretiert, auf den sich nun erneut emanzipative Hoffnungen fokussieren könnten. Und als die Europäische Kommission entschied, ihr strenges, neoliberal geprägtes Beihilfenregime befristet auszusetzen3 , sahen sich manche in der These bestätigt, dass auch das in den europäischen Verträ- gen verankerte Recht durch den ökonomischen Weltengang ohne weiteres pulversiert werden könne. Umso größer war die Überraschung und das Rät- seln, als die „fortschrittlichen“ Fraktionen bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Sommer 2009 teilweise starke Verluste hinnehmen mussten und sich kein Strukturbruch in der Europapolitik erkennen ließ. Vielmehr können die bisherigen Maßnahmen als „gigantisches Kapitalsanierungsprogramm“4 im „Interesse der dominanten AkteurInnen“5 beschrieben werden. Gerettet wurden die maroden Banken, nicht die verschuldeten Häuselbauer_innen6 . Eine Intensivierung der bis zu diesem Zeitpunkt hegemonialen Regulations- modi vollzog sich auch in der beginnenden Krise des Fordismus gegen Ende der 1960er-Jahre: Der Keynesianismus kam erst gegen Ende seiner Hegemo- 1 Sablowski/Alnasseri, Auf dem Weg zu einem finanzgetriebenen Akkumulati- onsregime?, in Candeias/Deppe (Hg), Ein neuer Kapitalismus? (2001) 131. 2 Für eine umfassende Zusammenstellung vgl Roth, Die globale Krise (2009) 62–118. 3 Keßler/Dahlke, Die Auswirkungen der Finanzkrise auf das europäische Bei- hilfenrecht, EWS 2009, 79. 4 Hirsch, Die Krise des neoliberalen Kapitalismus: welche Alternativen?, www.links-netz.de 2009, 3. 5 Brand, Staatseuphorie ohne Strategie, Blätter für deutsche und internationale Politik 2009, 93 (93). 6 Steinert, Die Chancen der Krise, www.links-netz.de 2009, 3.
  • 8. Lukas Oberndorfer 106 nie zur vollen Entfaltung. Dies galt auch für die europäische Maßstabsebene: So unternahm die Sozialdemokratie Anfang der 1970er Jahre den letztlich weitgehend erfolglosen Versuch diese zu einem keynesianischen „Framework for Joint Intervention“7 auszubauen. Der entscheidende Grund hierfür liegt darin, dass die Hegemonie bestimmter Vorstellungen keine „bloße Ideologie“ ist, sondern sich in gesell- schaftlichen Praxen, Institutionen und Subjekten materialisiert. Auch das Evident-Werden einer gigantischen Überakkumulationskrise, in der das Kapital keine ausreichenden profitablen Anlagemöglichkeiten mehr findet8 , ändert diese Vorstellungen nicht von heute auf morgen. Vielmehr müssen diese in langwierigen kollektiven Lernprozessen überschrieben werden. Dies gilt umso mehr, wenn starke Kräfte der „alten Ordnung“ an ihnen festhalten. Und insbesondere dann, wenn sie ihre Weltanschauung derart verallgemei- nern konnten, dass diese auch tief in Parteien und Bewegungen einziehen konnte, die ursprünglich unter emanzipativen Vorzeichen entstanden sind. Hegemoniale Rechtsnormen und eingefahrene Rechtsprechungspfade dokumentieren diese Tatsache besonders augenfällig, wie sich an vier Urtei- len des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zeigen lässt, die innerhalb des halben Jahres zwischen dem 11.12.2007 und dem 19.06.2008 ergangen sind.9 Sie verhandelten Arbeitskonflikte, in denen die transnationale Lohnkosten- konkurrenz und die Vereinbarkeit gewerkschaftlicher Kampfmaßnahmen mit den europäischen Marktfreiheiten im Zentrum standen.10 Sowohl gewerk- schaftliche Kampfformen als auch mitgliedstaatliche Schutzbestimmungen, die in diesen Auseinandersetzungen zur Anwendung kamen, erklärte der EuGH als mit dem Europarecht nicht vereinbar. Diese Urteile stießen auf massive Kritik „fortschrittlicher“ Wissenschafter_innen: Unter anderen rät Fritz Scharpf den europäischen Regierungen dazu, „dem EuGH den Gehor- sam zu verweigern“11 – diesem „Tempel des europäischen Richterrechts“12 , 7 Holland, Uncommon Market. Capital, Class and Power in the European Com- munity (1980) (10). 8 Becker/Jäger, Die EU und die große Krise, PROKLA 2009, 541 (541). 9 EuGH 11.12.2007, Rs C-438/05, Viking, Slg 2007, I-10779; EuGH 18.12.2007, Rs C-341/05, Laval, Slg 2007, 11767; EuGH 3.4.2008, Rs C-346/06, Rüffert, Slg 2008, I-01989; EuGH 19.6.2008, Rs C-319/06, Kommission/Luxemburg, Slg 2008, I-04323. 10 Buckel/Oberndorfer, Die lange Inkubationszeit des Wettbewerbs der Rechtsord- nungen – Eine Genealogie der Rechtsfälle Viking/Laval/Rüffert/Luxemburg aus der Perspektive einer materialistischen Europarechtstheorie, in Fischer- Lescano/Rödl/Schmid, Europäische Gesellschaftsverfassung (2009) 277; Wedl, Gewerkschaftliche Grundrechte versus Grundfreiheiten des Binnenmarktes , in Eilmansberger/Herzig, Soziales Europa (2009) 73; Schindler, Vorrang für Men- schenrechte oder für Marktfreiheiten?, RdW 2009, 807. 11 Mitbestimmung, „Der einzige Weg ist, dem EuGH nicht zu folgen“ – Interview mit Fritz Scharpf, 2008, 19. 12 Ebd, 20.
  • 9. 107 Post-neoliberale Integrationsweise der EU von dem, so Martin Höpner, ein „Imperialismus des Europarechts“13 ausgehe. Auch diese Kritik orientiert auf eine „Rückkehr des Staates“, um eine eman- zipative Wende einzuleiten. So schlägt Scharpf vor, dass die Mitgliedstaaten in Hinkunft mit qualifizierter Mehrheit ein Urteil des EuGH zurückweisen können.14 Im Tenor werden die Urteile als erstmaliges oder erneutes Hervor- brechen des Neoliberalismus in der Rechtssprechung des EuGH gelesen. Doch unterschätzt diese Kritik, wie zu zeigen sein wird, die lange Inku- bationszeit dieser Judikatur. Denn der Wettbewerb der Rechtsordnungen – der die gemeinsame Grundlage aller vier Urteile bildet – ist seit Mitte der 1970er Jahre in der Krise des Fordismus im Kontext der Durchsetzung einer neuen europäischen Integrationsweise inkrementell entwickelt wor- den. Auch wenn die Kritik an den Urteilen prinzipiell berechtigt ist, liegen ihrer konkreten Ausführung folgenreiche Verkürzungen und blinde Fle- cken zu Grunde, die parallel zur bereits angesprochenen Krisenanalyse bzw -prognostik verlaufen und den Blick für die Entwicklung einer gegen- hegemonialen Perspektive verstellen. Die in der Kritik der Urteile und der Krisenprognostik deutlich werdenden theoretischen Herangehensweisen und die darauf aufbauenden Gegenkonzeptionen sind exemplarisch für in den letzten Jahrzehnten unternommene „nicht-neoliberale“ Versuche eines Politikwechsels auf europäischer Maßstabsebene und ihrem Scheitern.15 Im Folgenden soll daher – nicht zuletzt anhand einer Kritik der Kritik der vier Urteile – gezeigt werden, welche Analysemuster verworfen werden sollten und welche es zu entwickeln gilt, um die Arbeit an einer post-neoli- beralen16 Integrationsweise der Europäischen Union voran zu bringen. Enden möchte ich mit einigen Überlegungen zu strategischen Re-Positio- nierungen und alternativen Projekten, die als Bausteine einer solchen Inte- grationsweise fungieren könnten. Dieses Beitragskonzept verrät – nicht nur aufgrund des zur Verfügung stehenden Raumes – schnell sein „Overload- potential“. Daher verstehen sich die folgenden Bemerkungen vielmehr als Skizze, Diskussionsanstoß und Forschungsprogramm, denn als abschlie- ßende Arbeit. II. Blinde Flecken und verkürzende Analysemuster Welches sind nun die verkürzenden Analysemuster, die der angesprochnen Kritik zu Grunde liegen? Meinem Erachten nach lassen sich drei Stränge 13 Martin Höpner, Usurpation statt Delegation. Wie der EuGH die Binnenmarkt- integration radikalisiert und warum er politischer Kontrolle bedarf, MPIfG Discussion Paper Nr. 2008 / 12, 1 (23). 14 Interview mit Fritz Scharpf (Fn 11). 15 Insofern verstehen sich die folgenden Ausführungen als kritisch-solidarisch. 16 Candeias, Neoliberalismus, Hochtechnologie, Hegemonie (2004) 439; Brand, Gegen und im globalen Konstitutionalismus, juridikum 2010, 90
  • 10. Lukas Oberndorfer 108 heraus präparieren: Erstens wird der langwierige und hartnäckigen Kampf, den neoliberale Intellektuelle geführt haben, um ihre Theorie zu entwi- ckeln, für den Alltagsverstand aufzuarbeiten und schrittweise in den euro- päischen Institutionen der Politik und des Rechts zu verallgemeinern, unterschätzt. Dies wird ersichtlich, wenn angenommen wird, dass eine ökonomische Krise – nahezu mechanistisch – einen Transmissionsriemen in Gang setzten würde, der eine alternative Entwicklungsweise antreibt. Oder wenn ein dominanter Akteur neoliberaler Offensiven (der EuGH bzw das Europarecht) ausgemacht wird, der durch eine plötzliche Weichenstel- lung in seinen jüngsten Urteilen die politischen Institutionen gleich einem Coup d´Etat entmachtet hat. Entsprechend einfach erscheint dann auch die Lösung: Wenn die Nationalstaaten diesen Sachverhalt erkennen und in Folge ihre Souveränität behaupten, ist nicht nur die gewerkschaftliche Bewegungsfreiheit sondern auch der Weg zu einem sozialen Europa wieder hergestellt. Aus dem Blick gerät dabei, dass ein gegenhegemoniales Projekt nur erfolgreich sein kann, wenn es auf sozialen Kämpfen aufbaut, in denen und durch die es kritischen Akteur_innen gelingt, ihre Weltanschauung zu verallgemeinern. Zweitens wird das Europarecht als eigenständiger Ort rechtsförmiger Hegemonieproduktion übersehen. Damit ist angesprochen, dass Gerichte als zentrale Einrichtungen rechtlicher Bedeutungsentwicklung nicht imperativ und ansatzlos einseitige Interessen zu Judikatur werden lassen können. Unter der spezifischen Eigenlogik des Rechts müssen juridische Intellektuelle als Organisator_innen eines feingliedrigen rechtsförmigen Konsenses agieren, der aufeinander treffende Interessen in Form von Durchbrüchen und darauf folgenden Zugeständnissen in einem langwie- rigen Projekt zusammenfügt. Denn Hegemonie bedeutet eben nicht imperiale Befehlsausgabe sondern mit Gramsci die Herausbildung von Konsens, wenn auch gepanzert mit Zwang. Dass der EuGH die tragenden Rechtsfiguren, die den angesprochenen Urteilen zugrunde liegen, in einem in der Krise des Fordismus beginnenden Prozesses Schritt für Schritt entwickelt hat und nicht erst in den letzten Jahren, lässt sich durch eine genealogische Untersuchung zeigen (siehe dazu im Folgenden V. Die lange Inkubationszeit des Wettbewerbes der Rechtsordnungen). Dabei agierte der EuGH aber nur als ein Knotenpunkt in einem Netz- werk von rechtlichen und politischen Institutionen, die das Gesamt des europäischen Apparate-Ensembles17 bilden. In diesem „multiskalar ver- dichteten Kräfteverhältnis“18 haben die Mitgliedstaaten eine aktive Rolle 17 Buckel/Wissel, Entgrenzung der Europäischen Migrationskontrolle, in Brunk- horst, Demokratie in der Weltgesellschaft, Soziale Welt 2009, 385 (389). 18 Brand, Die Internationalisierung des Staates als Rekonstitution von Hegemonie – Zur staatstheoretischen Erweiterung Gramscis, in Buckel/Fischer-Lescano (Hg), Hegemonie gepanzert mit Zwang. Zivilgesellschaft und Politik im Staats- verständnis Antonio Gramscis (2007) 161 (168).
  • 11. 109 Post-neoliberale Integrationsweise der EU zur Herausbildung der wettbewerbstaatlichen Integrationsweise der Europäischen Union gespielt. Damit deutet sich schon an, dass drittens in der angesprochenen Krisenprognostik und in der Kritik der vier Urteile eine Staatsillusion bzw ein methodischer Nationalismus domi- nant sind. Nicht die Gier der Banker_innen hat die Strukturen geschaf- fen, die letztlich in die Krise gemündet haben.19 Vielmehr haben die Nationalstaaten selbst die europäische Integration dazu eingesetzt, gewisse Politiken räumlich-maßstäblich zu rekonfigurieren, um durch die damit verbundenen Schwächung der Gewerkschaften jene Deregulie- rungen und Wirtschaftspolitiken durchzusetzen20 , deren gesellschaft- liche Folgen nun vermehrt greifbar werden. Genauso haben die Natio- nalstaaten über Jahrzehnte jene Rechtssprechungslinien des EuGH hingenommen oder sogar begrüßt, die 2007 / 2008 in den angesprochenen Judikaten kumulierten. Die Nationalstaaten als privilegierte Orte eman- zipativer Hoffnung und als Mittler des Allgemeininteresses zu begreifen, geht daher fehl. Diese Schwachstellen vermeidet die kritische Staatstheo- rie, die Staat als „matrielle Verdichtung von gesellschaftlichen Kräf- teverhältnissen“21 versteht, dem eine „strategische Selektivität“22 einge- schrieben ist. Durch die folglich gewisse Interessen bevorzugt und insbesondere subalterne Interessen benachteiligt werden. Eine gegenhe- gemoniale Integrationsweise ist daher nicht von den Nationalstaaten zu erwarten, auch wenn sie sich schließlich in diesen materialisieren muss. Vielmehr müssen alternative Projekte durch soziale Bewegungen erstrit- ten werden. Deren Erfolg wird unter den heutigen Bedingungen nicht zuletzt davon abhängen, ob es ihnen gelingt ihr Kampfterrain um die europäische Maßstabsebene und die rechtliche Dimension der Integra- tion zu erweitern. III. Europäische Integrationsweisen und ihre Binnenmarktkonzeption Um im Weitern den langen Kampf neoliberaler Intellektueller um eine spe- zifische Form der europäischen Integration darstellen zu können, die lange Inkubationszeit des Wettbewerbes der Rechtsordnungen zu veranschauli- chen und die Rolle der Mitgliedstaaten darin zu verorten, lohnt sich ein Überblick: Partrick Ziltener hat für eine kritische Schematisierung der 19 Wissel, Die Rückkehr der Staatsillusion – Zur Aktualität materialistischer Staatstheorie, Widerspruch 2009, 65 (65). 20 Röttger, [...] was haben die gegenwärtige Krise der Gewerkschaftspolitik und gewerkschaftliche Revitalisierungsstrategien mit Politics of Scale zu tun?, in Wissen/Röttger/Heeg, Politics of Scale (2008) 290. 21 Poulantzas, Staatstheorie (1978/2002) 159. 22 Jessop, State Theory – Putting the Capitalist State in its Place (1990) 260.
  • 12. Lukas Oberndorfer 110 unterschiedlichen Integrationsweisen der Europäischen Union Pionierar- beit geleistet.23 Unter Integrationsweise versteht er, anknüpfend an regulati- onstheoretische Überlegungen24 , den Umstand, dass auf europäischer Ebene ein politisches Feld entstanden ist. Auf diesem konnten sich neue gesellschaftliche Kompromisse und politische Regulationsweisen etablie- ren25 , die mit dem vorherrschenden ökonomischen Akkumulationsregime artikuliert sind. Dabei unterscheidet Ziltener zwei Integrationsweisen, wel- che die Union bisher bestimmt haben. Einerseits ist dies die monnetsche Integrationsweise, welche die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft von ihrer Gründung 1957 bis Mitte der 1980er Jahre bestimmt hat und keynesi- anische Regulationsmomente beinhaltete. In der Krise des Fordismus wurde dieser europäische Entwicklungspfad durch die wettbewerbsstaatli- che Integrationsweise abgelöst, in der hegemoniale Projekte wie das Bin- nenmarktprogramm und die Wirtschafts- und Währungsunion durch Deregulierung und monetaristische Wirtschafts- und Geldpolitik in eine kompetitive Rekonfigurierung der europäischen Staatlichkeit mündeten.26 Im Folgenden möchte ich mich auf die mit den europäischen Integrations- weisen verbundenen Binnenmarktkonzeptionen konzentrieren, in denen sich ökonomische und rechtliche Momente besonders unmittelbar ver- schränken. Über ihre schematische Darstellung lässt sich zeigen, wie erfolgreich neoliberale Hegemoniearbeit in der Durchsetzung ihrer Vorstel- lungen war und erkennen, welche zentrale Rolle dabei das Recht gespielt hat. Nach Walter Hallstein, dem ordoliberal inspirierten27 ersten Kommissi- onspräsidenten der Europäischen Gemeinschaft, bestand die zentrale Auf- gabe der europäische Integration Ende der 1950er Jahre darin, die in der Weltmarktkonkurrenz zurückgefallen Produktivität des europäischen Kapitals – die zu diesem Zeitpunkt nur ein Drittel des US-Kapitals aus- machte – voran zubringen. Zum Erreichen dieses Zieles standen unter- schiedliche Marktkonzeptionen im Widerstreit: 23 Ziltener, Strukturwandel der europäischen Integration (1999). 24 Für einen Überblick und Weiterentwicklung siehe Becker, Akkumulation, Regulation, Territorium (2002) und Brand/Raza, Fit für den Postfordismus? (2003). 25 Röttger, Über die „Krise der Politik“ und die Malaisen einer Regulationstheo- rie des transnationalen Kapitalismus, in Forschungsgruppe Europäische Gemeinschaften, Europäische Integration und politische Regulierung – (FEG) Nr. 5 (1995) 65 (78). 26 Ziltener (Fn 23). 27 Steindorff, Der Beitrag Walter Hallsteins zur europäischen Integration, in Caemmerer/Schlochauer/Steindorff (Hg), Probleme des Europäischen Rechts. FS Hallstein (1966) 1 (3).
  • 13. 111 Post-neoliberale Integrationsweise der EU 1) Ein keynesianisches Modell, das auf einen möglichst großen Binnen- markt zielte, um über Ausnützung der Vorteile der Massenproduktion (Economies of Scale) die Produktivität zu steigern. Darüber sollte der Spielraum für Lohnsteigerungen erarbeitet werden, um die Binnen- nachfrage und vermittelt darüber letztlich das Wirtschaftswachstum anzutreiben. Dieses Modell hat rechtlich mehrere Voraussetzungen: Zum einen müssen Zölle abgeschafft und eine Diskriminierung der MarktteilnehmerInnen verhindert werden, da andernfalls kein gemeinsamer Markt zur Massenproduktion und -konsumtion entste- hen kann. Des weitern gilt es die Marktfragmentierung durch verblei- bende Beschränkungen – etwa unterschiedliche Standards im Pro- duktrecht – durch eine Harmonisierung entsprechender Anforderungen zu überwinden. Darüber hinaus ist eine koordinierte Lohnpolitik auf europäischer Ebene eine notwendige Voraussetzung für ein keynesianisches Binnenmarktkonzept. Denn entsprechende europäische Nachfrageeffekte sind nur dann zu erwarten, wenn die Höhe der Löhne zumindest an der Entwicklung der Produktivitätsstei- gerung orientiert ist. Außerdem droht ein durch Lohnverzicht ermög- lichter Leistungsbilanzüberschuss (Exportweltmeister-Modell) über eine Zuspitzung der Ungleichgewichte den Zusammenhalt des gemein- samen Marktes zu gefährden. Ähnliches gilt, wenn ein Teil des Kapi- tals Wettbewerbsvorteile im Binnenmarkt erzielen kann, in dem es niedrigere nationalstaatliche Arbeits- und Umweltrechtsstandards dazu nutzt, menschliche und natürliche Ressourcen stärker auszubeu- ten als seine Konkurrenz. In marxscher Begrifflichkeit geht es folglich darum, das Kapital an eine allgemein verbindliche und gleich lange „Kette gesetzlicher Regulation“ zu legen.28 2) Trotz der unbestreitbaren Hegemonie des Fordismus kam es in den „römischen Verträgen zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsge- meinschaft“ von 1957 aber zur Umsetzung eines monnetschen Binne- marktkonzeptes, welches nur einige Teile des keynesianisches Modelles integrierte. Zwar zielten die vier Marktfreiheiten (freier Warenverkehr, Personenfreizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit, freier Kapital- und Zahlungsverkehr) auf die Gewährleistung einer Nicht-Diskriminie- rung der „MarkteilnemerInnen“, doch wurden konkrete und verbind- liche Instrumente zu Koordinierung der Lohn- und Wirtschaftspoli- tiken nicht vorgesehen. Darüber hinaus sollte die Harmonisierung binnenmarktrelevanter Rechtsvorschriften nur schrittweise und unter weitgehendem Ausschluss zentraler arbeitsrechtlicher Bestimmungen vorgenommen werden.29 28 Marx, Das Kapital, MEW 23, insb 245-320. 29 Siehe dazu Art 100 EWG.
  • 14. Lukas Oberndorfer 112 3) In der Krise des Fordismus kam es zu einer Radikalisierung des mon- netschen Binnenmarktkonzeptes. Der in rechtsförmigen Suchprozessen durch den EuGH ab Mitte der 1970er Jahre ausgearbeitete Wettbewerb der Rechtsordnungen wurde begierig durch das europäische Apparate- Ensemble aufgegriffen und durch die politischen Institutionen zu einem eigenständigen Binnenmarktkonzept des Wettbewerbes der Rechtsord- nungen verallgemeinert. Unterschiedliche Rechtsvorschriften – etwa im Bereich des Produkt-, des Arbeits- und Umweltrechts – sollen demnach nur noch rudimentär aneinander angepasst werden. Durch die ver- pflichtende Anerkennung divergenter Normen bestimmt seither die Konkurrenz der Regulierungsniveaus den Binnenmarkt. IV. Der neoliberale Kampf um eine wettbewerbliche Integrationsweise Europas30 Mit welchen Strategien und Analysemustern gelang es nun neoliberalen Wissensproduzent_innen nicht nur wider die herrschenden fordistischen Vorstellungen ein monnetsches Binnenmarktkonzept durchzusetzen, son- dern es auch – als keynesianische Regulationsmodi in die Krise schlitterten – weiter zu radikalisieren? Einen der wesentlichsten Beiträge dazu leistete die deutsche Spielart des Neoliberalismus: der Ordoliberalismus. Ihren Aus- gangspunkt nahm diese Denkschule im Anschluss an die Weltwirtschafts- krise der 1930er-Jahre: Wirtschaftspolitik und Rechtsordnung des „Laissez-Faire“-Liberalismus waren durch Krise, Arbeitslosigkeit und eine lange Phase der Stagnation weitgehend diskreditiert. Dem Ordoliberalis- mus ging es nun durch die Gründung von Gegeninstitutionen und Inter- ventionen in Wissenschaft, Medien und Politik darum, wesentliche Grund- gedanken des Wirtschaftsliberalismus zu retten. Über das auf Dauer stellen von Wissen und alternative Deutungsangebote der Krise sollten langfristig die Bedingungen für die Hegemonie eines „neuen“ Liberalismus geschaffen werden. So postulierte etwa der spätere wirtschaftspolitische Berater von Ludwig Erhard Walter Eucken, dass die Schuld an der Welt- wirtschaftskrise nicht der Liberalismus trage, sondern die politischen 30 An dieser Stelle können aus Platzgründen nur einzelne Ecksteine neoliberaler Hegemoniearbeit skizziert werden. Eine äußert wertvolle Analyse diese Strate- gien und Praxen und damit einen Werkzeugkasten für gegenhegemoniale Pro- jekte liefern die Arbeiten von Dieter Plehwe, Bernhard Walpen und Ralf Ptak. Siehe dazu etwa Walpen, Die offenen Feinde und ihre Gesellschaft (2004); Mirowski/Plehwe, The road from Mont Pèlerin: The Making of the Neoliberal Thought Collective (2009); Ptak, Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Markt- wirtschaft (2004).
  • 15. 113 Post-neoliberale Integrationsweise der EU Markteingriffe der parlamentarisch verfassten Massengesellschaft.31 Durch die Gründung zahlreicher „Think-Tanks“ konnten Räume geschaffen und Ressourcen gebündelt werden, um liberale Theorien an die sich verän- dernden politischen Gegebenheiten anzupassen. So war neoliberale Politik- beratung in den entscheiden Momenten, in denen Suchprozesse nach neuen Regulationsmodi einsetzen, im Stande kohärente Konzepte zu liefern. Als wichtige institutionelle Struktur für die Verbreitung neoliberaler Theorie, nicht zuletzt jener des Wettbewerbes der Rechtsordnungen, fungierte etwa das Walter Eucken Institut, das Patrick Welter als „älteste[n] ordo- liberale[n] `think tank´ der Welt“32 bezeichnet hat. In der Selbstdefinition des Institutes als „Kompetenzzentrum für ordnungs- und verfassungsökono- mische Grundlagenforschung“33 deutet sich bereits eine weitere Stärke ordoliberaler Hegemoniearbeit an. Während in keynesianischen und kri- tischen politik-ökonomischen Ansätzen das Recht in einem toten Winkel positioniert zu sein scheint oder als aus Politik und Ökonomie ableitbares Phänomen verhandelt wird, nimmt der Ordoliberalismus die relationale Eigenständigkeit des Rechts34 ernst. So gründete sich die ordoliberale Frei- burger Schule explizit als „Forschungs- und Lehrgemeinschaft zwischen Juristen und Volkswirten“35 . Als Begründer der Freiburger Schule fungier- ten neben dem Ökonomen Walter Eucken, Franz Böhm (Jurist, Ökonom und CDU-Politiker) und Hans Großmann-Doerth (Jurist). Über die wech- selseitige Verknüpfung von ökonomischem, rechtlichem und politischem Wissen in einem interdisziplinären Wissenschaftsnetzwerk, versetzen sich ordoliberale Intellektuelle in die Lage das Europarecht als eigenständigen Ort der Hegemonieproduktion zu erkennen und besonders stark zu prägen. Abschließend sollte erwähnt werden, dass ordoliberale Denker_innen nicht davor zurückschreckten von ihren Gegner_innen zu lernen und vor- erst utopisch erscheinende Forderungen in einem langen Stellungskrieg zu einer neoliberalen Vergesellschafungsweise ausarbeiteten. So schreibt Hayek schon 1949: „Was der echte Liberalismus vor allem aus dem Erfolg der Sozialisten lernen muß, ist, daß es ihr Mut zur Utopie war, der ihnen die Unter- stützung der Intellektuellen gewann und damit jenen Einfluß auf die 31 Ptak, Freiburger Schule, in Urban, ABC zum Neoliberalismus. Von „Agenda 2010“ bis „Zumutbarkeit“ (2006) 83. 32 zitiert nach Ptak, Grundlagen des Neoliberalismus, in Butterwegge/Lösch/ Ptak, Kritik des Neoliberalismus (2007) 13 (42). 33 So die Eigendefinition des Walter Eucken Instituts; siehe dazu www.eucken.de. 34 Buckel, Subjektivierung und Kohäsion – Zur Rekonstruktion einer materialis- tischen Theorie des Rechts (2007). 35 Böhm, Die Forschungs- und Lehrgemeinschaft zwischen Juristen und Volkswir- ten an der Universität Freiburg in den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts, in Mestmäcker (Hg), Franz Böhm, Reden und Schriften. (1960).
  • 16. Lukas Oberndorfer 114 öffentliche Meinung gab, der schrittweise das möglich machte, was eben noch unmöglich erschien.“36 Dieser Mut zur „konkreten Utopie“ – auch auf europäischer Maßstabse- bene – scheint heute innerhalb der Linken, nicht nur der Sozialdemokratie, verloren gegangen zu sein. V. Die lange Inkubationszeit des Wettbewerbes der Rechtsordnungen In diesem Abschnitt möchte ich nun die Entstehung des Wettbewerbes der Rechtsordnungen nachzeichnen. Dabei handelt es sich um jene zentrale Rechtssprechungslinie, die der EuGH in der Krise des Fordismus auszuar- beiten begann und die letztlich in den bereits erwähnten Urteilen aus den Jahren 2007/2008 mündete. Im Zentrum dieser vier Urteile standen die transnationale Lohnkostenkonkurrenz und die Vereinbarkeit gewerk- schaftlicher Kampfmaßnahmen mit den europäischen Marktfreiheiten. Aus Platzgründen verzichte ich an dieser Stelle37 auf die Darstellung der anderen Rechtssprechungslinien (unmittelbare Drittwirkung; Vorrang der Marktfreiheiten vor den Grundrechten und Judikatur zur Entsendung von Arbeitnehmer_innen) die sich in den angeführten Urteilen erstmals kreuzten – und deren Entstehen ebenfalls weit zurückreicht. Bevor wir aber unter die Oberfläche des „unmittelbar Vorfindlichen“38 tauchen, lohnt es sich noch einen Blick auf die Spitze des Eisberges zu wer- fen. Da die Sachverhalte und rechtsdogmatischen Argumente im Wesent- lichen ähnlich gelagert sind, soll nur eines der Urteile – jenes zum Viking- Fall – näher vorgestellt werden. Im Fall Viking39 wollte die gleichnamige finnische Reederei eines ihrer Schiffe nach Estland ausflaggen. Unter Aus- flaggen wird im Seerecht die Neu-Niederlassung eines Schiffes in einem anderen Land verstanden. Dadurch wäre anstatt des finnischen, der wesent- lich niedrigere Löhne vorsehende estnische Tarifvertrag zur Anwendung gekommen. Die finnische Seemannsgewerkschaft drohte mit Streik und wurde dabei von der internationalen Transportarbeiterföderation im Kampf gegen „Billigflaggen“ erfolgreich unterstützt. Dieser Sachverhalt landete letztlich vor Gericht, da sich die Viking durch dieses Vorgehen in ihrem Recht auf Niederlassungsfreiheit beschränkt sah. In seinem Urteil hielt der EuGH fest, dass auch Gewerkschaften die Marktfreiheiten zu beachten hät- 36 von Hayek, Die Intellektuellen und der Sozialismus, in von Hayek, Wissen- schaft und Sozialismus. Aufsätze zur Sozialismuskritik (2004) 3 (15). 37 Siehe für eine ausführliche Darstellung Buckel/Oberndorfer (Fn 10). 38 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung (2003/1947) 33. 39 EuGH 11.12.2007, Rs C-438/05, Viking, Slg 2007, I-10779.
  • 17. 115 Post-neoliberale Integrationsweise der EU ten (unmittelbare Drittwirkung). Die Kampfmaßnahmen würden prinzipiell eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellen (Wettbewerb der Rechtsordnungen). Allenfalls könnte der Eingriff in die Rechte der Viking durch das Grundrecht auf Vereinigungsfreiheit und gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen gerechtfertigt werden (prinzipieller Vorrang der Markt- freiheiten vor Grundrechten). Dies allerdings nur dann, wenn die Gewerk- schaften dabei verhältnismäßig agieren. Das bedeutet im Wesentlichen, dass die Gewerkschaften nicht nur ein „geeignetes Mittel“ wählen müssen, son- dern dieses auch nur soweit wie zur Erreichung ihrer Ziele erforderlich zum Einsatz bringen dürfen. Die Konsequenzen dieses Urteils sind weitreichend: In Hinkunft müssen Gewerkschaften bei Kampmaßnahmen mit grenzüber- schreitendem Bezug neben den ohnehin bereits restriktiven rechtlichen Aus- gangsituationen auf nationalstaatlicher Maßstabsebene, auch das Regime der Markfreiheiten beachten. Indem die Arbeitnehmer_innenvertretungen gezwungen werden, wie die Mitgliedstaaten eine komplexe europarechtliche Rechtfertigungsprüfung vorzunehmen, erfolgt eine Etatisierung der Gewerk- schaften. Eine „Fehlentscheidung“ kann nicht nur mitunter hohe Schadener- satzforderungen auslösen, sondern auch das Eingreifen staatlicher Befehls- und Zwangsgewalt legitimieren. Die Verpflichtung zur Wahl des geeigneten und gelindesten Mittels privilegiert darüber hinaus auf Verhandlungslö- sungen zielende korporatistische Muster. Wie im Viking-Urteil, setzt der EuGH auch in den anderen drei Urtei- len stillschweigend voraus, dass den Marktfreiheiten ein Beschränkungsver- bot innewohnt, welches grundsätzlich jegliche ungerechtfertigte Beschrän- kung verbietet. Hätte der EuGH die ursprüngliche Bedeutung der Marktfreiheiten als Diskriminierungsverbote, welche die Gleichbehandlung von grenz-überschreitenden Fällen mit inländischen Sachverhalten vor- sieht, den Fällen zugrunde gelegt, hätte er die Europarechtswidrigkeit ver- neinen müssen. So knüpfen die Gewerkschaften etwa im Viking Fall ja nicht an der Herkunft des Unternehmens an, sondern fordern diskriminie- rungsfrei lediglich die Einhaltung kollektivvertraglicher Bestimmungen. Dass die Marktfreiheiten ausschließlich solche Gleichbehandlungsgebote enthalten, war bis Mitte der 1970er Jahre die nahezu einhellige Meinung in den Europarechtswissenschaften.40 Dies entsprach dem an dem monnet- schen Binnenmarktkonzept ausgerichteten Ziel der Marktfreiheiten: Der Protektionismus innerhalb der Gemeinschaft sollte durch die Schaffung eines diskriminierungsfreien gemeinsamen Marktes überwunden werden. Verbleibende nichtdiskriminierende Beschränkungen sollten ausschließlich auf dem Wege der einstimmig zu beschließenden Rechtsharmonisierung bewältigt werden (Art 100 EWG). Mit der dadurch geförderten Massenpro- duktion wurde eine Steigerung der internationalen Konkurrenzfähigkeit 40 Siehe etwa Ehlermann, in von der Groeben/von Boeckh/Thiesing (Hg), Kom- mentar zum EWG-Vertrag (1974), Art 30, Vorbemerkungen.
  • 18. Lukas Oberndorfer 116 der Unternehmen der Gemeinschaft angestrebt. Ulrich Everling, der bei den Verhandlungen der römischen Verträge (1957) als deutscher Vertreter beteiligt war, berichtete, dass die Mitgliedstaaten die Marktfreiheiten bewusst als Diskriminierungsverbote ausgestalteten.41 Ende 1974 – mitten in der Krise der fordistischen Formation – schlug der EuGH mit seinem Urteil in der Rechtssache (Rs) Dassonville dann allerdings eine erste tiefe Schneise in das bisherige Verständnis der Marktfreiheiten. So bestimmte er, dass jede Regelung, „die geeignet ist, den innergemeinschaft- lichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern“, grundsätzlich eine unzulässige Beschränkung des freien Waren- verkehrs darstellt.42 Dadurch eröffnete der EuGH im Bereich der Warenver- kehrsfreiheit ein erstes Feld des Wettbewerbs der Rechtsordnungen: Exportie- rende Unternehmen wurden in die Lage versetzt, ihnen als zu streng erscheinende Regelungen notfalls gerichtlich als Behinderungen des freien Warenverkehrs zu bekämpfen. In seiner Cassis des Dijon-Entscheidung 1979 spitzte er die Dassonville-Formel weiter zu: So sollen „alle in einem Mitglied- staat rechtmäßig hergestellten und in Verkehr gebrachten [Waren] in die anderen Mitgliedstaaten eingeführt werden“ dürfen.43 Damit verpflichtete der EuGH die Mitgliedstaaten zur wechselseitigen Annerkennung ihrer Rechts- ordnungen. Dass die mitgliedstaatlichen Staatsapparate die Konsequenzen des Überganges zu einem Beschränkungsverbot durchaus realisierten, beweist die Bezugnahme auf die Gefahren des Wettbewerbes der Rechtsord- nungen. So heißt es im Vorbringen der BRD in der Rs Cassis de Dijon: „Am Ende wäre zwingend die Regelung desjenigen Mitgliedsstaats in allen anderen Mitgliedstaaten verbindlich, der die geringsten Anforderungen stelle.“44 Den- noch kam es von Seiten der Nationalstaaten zu keinem ernsthaften Versuch dem mit der Rechtssache Dassonville eingeschlagenen Pfad entgegenzutreten. Um diese Verschärfung des Wettbewerbes der Rechtsordnungen einzu- betten und der Kritik an der Uferlosigkeit der Dassonville-Formel die Spitze zu nehmen, erfand das Gericht neben den Rechtfertigungsgründen des Art. 30 EG eine weitere Ebene möglicher Rechtfertigungen: So heißt es im Urteil zur Rs Cassis des Dijon, dass in Ermangelung einer gemeinschaftlichen Regelung Beschränkungen des freien Warenverkehrs „hinzunehmen [sind], soweit diese Bestimmungen notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden, insbesondere den Erfordernissen einer wirksamen steuer- lichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes.“45 Mit dieser Etablierung 41 Everling, Vertragsverhandlungen 1957 und Vertragspraxis 1987, in Mestmäcker/ Möller/Schwartz (Hg), Eine Ordnungpolitik für Europa, FS Groeben (1987), 111 (120). 42 EuGH 11.7.1974, Rs 8/74, Dassonville, Slg 1974, 837 (837). 43 EuGH 20.2.1979, Rs 120/78, Cassis de Dijon, Slg 1979, 649, Rn 14. 44 Ebd, 656. 45 Ebd, 2. Leitsatz.
  • 19. 117 Post-neoliberale Integrationsweise der EU ungeschriebener Rechtfertigungsgründe wollte das Gericht wohl nicht nur der zu erwartenden Kritik von Verbraucherschutzverbänden vorweg greifen, sondern auch jene Mitgliedstaaten mit relativ hohen Produktstandards für den mit der Entscheidung in der Rs Dassonville eingeschlagenen Pfad gewin- nen. Das Urteil führte zu einer starken Beschleunigung des Wettbewerbes der Rechtsordnungen.46 Wesentlich dafür war, dass die Kommission das Urteil begierig aufgriff und in die politische Arena verschob. Schon im Herbst 1979 kündigte der damalige Kommissar für den Binnenmarkt, der belgische Adelige Étienne Davignon, vor dem Europäischen Parlament eine „neue Strategie der Harmonisierung“ auf der Basis des Urteils an.47 Davi- gnon war einer der zentralen Persönlichkeiten, die Anfang der 1980er Jahre die Gründung des European Round Table of Industrialists (ERT) initiier- ten.48 Weniger als ein Jahr später veröffentlichte die Kommission eine Mittei- lung über die Auswirkungen des Urteils in der Rs. Cassis de Dijon.49 Obwohl dafür im Urteil kaum Anhaltspunkte zu finden sind, unterstellte sie, dass auch bei prinzipiell gelingender Rechtfertigung die Mitgliedstaaten ihr Recht unangewendet zu lassen hätten, sofern die Regelungen des Herkunftslandes „in angemessener und befriedigender Weise“ gleichwertig seien. Die Cassis- Mitteilung erfuhr eine breite Rezeption. Im Anschluss an die Veröffentli- chung veranstalteten Wirtschaftsvereinigungen und Rechtsanwaltskanzleien dazu in ganz Europa zahlreiche Konferenzen und Seminare.50 Während Konsument_innengruppen sowie Kapitalfraktionen mit geringerer Mobilität und fehlender transnationaler Ausrichtung bzw mit monopolartigen Stel- lungen auf „heimischen“ Märkten die Kommissionsmitteilung nahezu geschlossen ablehnten, wurde sie von transnational ausgerichteten Kapital- gruppen und ihren Interessensverbänden begrüßt. Die UNICE51 , neben dem ERT die größte Lobbyorganisation der EU,52 sah mit dem Urteil langjährige Forderungen verwirklicht.53 Einige Unternehmernetzwerke diskutierten sogar die Möglichkeit, durch strategische Klagen den bisherigen Rechtsspre- chungspfad auszuweiten.54 Im Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes 46 Deakin, Legal Diversity and Regulatory Competition: Which Model for Europe?, ELJ 2006, 440 (443). 47 ABl 1980 C 183/57. 48 Ziltener (Fn 23). 49 Mitteilung der Kommission über die Auswirkungen des Urteils des Europä- ischen Gerichtshofes vom 20. Februar 1979 in der Rs 120/78, Cassis de Dijon, ABl 1980 C 256/2. 50 Alter/Meunier-Aitsahalia, Judicial Politics in the European Community, Com- parative Political Studies 1994, 535 (542). 51 Union of Industrial and Employers’ Confederation of Europe, 2007 umbenannt in BUSINESSEUROPE. 52 van Apeldoorn, Transnational Capitalism and the Struggle over European Inte- gration (2002) 102f. 53 Alter/Meunier-Aitsahalia (Fn 50). 54 Ebd, 543.
  • 20. Lukas Oberndorfer 118 bestätigte die Kommission den neuen Ansatz.55 Um den Widerstand zu mini- mieren, sprach sie sich für die schrittweise Schaffung gemeinsamer industri- eller Standards aus.56 So kam es zu einer ersten politischen Austarierung und Einbettung des Wettbewerbes der Rechtsordnungen. Dieses hegemoniefä- hige juridisch-politische Paket führte dazu, dass die Mitgliedstaaten im Rah- men der Einheitlichen Europäischen Akte – der ersten großen Vertragsände- rung der Gemeinschaft – keinen ernstzunehmenden Versuch unternahmen, dem Übergang vom Diskriminierungsverbot zum Beschränkungsverbot im Bereich der Warenverkehrsfreiheit entgegenzutreten. Der EuGH ging inzwi- schen dazu über, die Dassonville-Formel auf die anderen Marktfreiheiten auszudehnen: 1984 auf die Niederlassungsfreiheit57 , 1991 auf die Dienstlei- stungsfreiheit58 und 1995 auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit59 . Damit war die – von neoliberalen Rechtswissenschaftern zuvor schon eingeforderte60 – Konvergenz der Marktfreiheiten weitgehend hergestellt und bereits zu Beginn der 1990er Jahre (!) die Ausgangslage für die aktuellen Urteile herge- stellt. Der EuGH reagierte aber immer wieder sensibel auf die Gefahr eines Hegemonieverlustes. Als Unternehmen sogar das Verbot der Sonntagsöff- nung als Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit angriffen61 , nahm der EuGH etwa die von ihm geschaffene Hintertür der „zwingenden Erforder- nisse“ im Allgemeininteresse in Anspruch und argumentierte, dass die Rege- lung der Geschäftsöffnungszeiten gerechtfertigt sei, da diese die Verteilung der Arbeitszeit im Einklang mit sozialen und kulturellen Besonderheiten sicherstellen solle.62 Nachdem der Strom an Vorabentscheidungsverfahren, in denen hochsensible nationale Vorschriften mittels der Marktfreiheiten atta- ckiert wurden, dennoch nicht abriss und sich der drohende Hegemoniever- lust politisch63 und rechtlich64 artikulierte, entschied sich der EuGH schließ- lich in der Rs Keck zu einer Neupositionierung auf der Tatbestandsebene der Warenverkehrsfreiheit: „[E]ntgegen der bisherigen Rechtssprechung“ seien Vorschriften, die sich nicht auf die Ware selbst beziehen, sondern nur bestimmte Verkaufsmodalitäten regeln, nicht geeignet, den Handel zwischen 55 Weißbuch der Kommission zur Vollendung des Binnenmarktes v 14.6.1985, KOM (85) 310, Rn 65–68. 56 Ebd, Rn 64. 57 EuGH 12.7.1984, Rs 107/83, Klopp, Slg 1984, 2971, Rn 19. 58 EuGH 25.7.1991, Rs C-76-90, Säger, Slg 1991, 4221, Rn 12. 59 EuGH 15.12.1995, Rs C-415/93, Bosman, Slg 1995, I-4921. 60 Behrens, Die Konvergenz der wirtschaftlichen Freiheiten im europäischen Gemeinschaftsrecht, EuR 1992, 145. 61 EuGH 23.11.1989, Rs C-145/88, Torfaen, Slg 1989, 3851. 62 Rs C-145/88, Torfaen, Rn 14. 63 Durch den Maastrichtvertrag war die Subsidiaritätsklausel (heute Art 5 Abs 3 EG) in die Gemeinschaftsverträge aufgenommen worden. 64 Der BVerfG hatte wenige Wochen zuvor sein Maastricht-Urteil erlassen, BVerfGE 89, 155, v 12.10.1993.
  • 21. 119 Post-neoliberale Integrationsweise der EU den Mitgliedstaaten zu beschränken, sofern diese für alle Wirtschaftsteil- nehmer unterschiedslos, d. h. nicht diskriminierend wirken.65 Im Teilbereich der vertriebsbezogenen Maßnahmen kam es daher zu einer Renaissance des Diskriminierungsverbotes im Bereich der Warenverkehrsfreiheit. Bei aller semantischen Radikalität handelte es sich aber nur um eine „behutsame Wende“,66 die durch ein partielles Zugeständnis letztlich auf die weitgehende Aufrechterhaltung des Wettbewerbes der Rechtsordnungen zielte. VI. Bausteine einer postneoliberalen Integrationsweise der Europäischen Union Durch die EuGH-Urteile von 2007 / 2008 wurden die transnationalen Arbeitskonflikte als Rechtskollisionen in den Wettbewerb der Rechtsord- nungen eingebunden und diszipliniert. Die vier Judikate fügen sich nahtlos in eine in die Krise des Fordismus zurückreichende Genealogie ein. Die ihnen zugrunde liegende Theorie und die dieser Theorie entsprechenden juristischen Argumentationsfiguren sind in einem langwierigen Prozess – nicht zuletzt durch die Arbeit neoliberale Intellektueller – der europäischen Rechtsform eingeschrieben worden. Die Urteile sind daher nicht der Wende- sondern der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung, auch wenn ihre lange Inkubationszeit sie leicht als Ausreißer erscheinen lässt. Ein gegenhegemoni- aler Ansatz muss daher diesen Entwicklungspfad in seiner Gesamtheit in Frage stellen, denn Einzelkritiken konnten immer wieder vermittelt durch Suchprozesse in das neoliberale Projekt eingebunden werden. Selbst wenn politische Akteur_innen sich teilweise recht kritisch zu den vier Urteilen geäußert haben, besteht immer noch ein Konsens darüber, den durch den EuGH entwickelten Bedeutungsgehalt der Marktfreiheiten unangetastet zu lassen: So sprach sich das europäische Parlament in seinem Entschließungs- antrag67 zu den Urteilen letztlich dagegen aus, mittels einer Primärrechtsän- derung den Wettbewerb der Rechtsordnungen zu beenden.68 Weiter geht hier schon der Europäische Gewerkschaftsbund, der sich mit dem von ihm vorge- schlagenen „Social Progress“-Protocol69 dafür einsetzt, zumindest eine der Rechtssprechungslinien, nämlich den Vorrang der Marktfreiheiten, auf den Kopf zu stellen. Auch wenn die primärrechtliche Umsetzung dieses Proto- koll den wichtigen Erfolg nach sich zöge, dass soziale Grundrechte den Marktfreiheiten vorgehen, würde dies den Wettbewerb der Rechtsordnungen 65 EuGH 24.11.1993, Rs C-267/91 und C-268/91, Keck, Slg 1993, I-6097, Rn 16. 66 Möschel, Kehrtwende in der Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfrei- heit, NJW 1994, 429. 67 Entschließung des EP v 22.10.2008 zu den Herausforderungen für Tarifverträge, 2008/2085. 68 Robert, Die Klempner von Europa, LE MONDE diplomatique 2009, 10. 69 ETUC Proposal for a „Social Progress“ Protocol.
  • 22. Lukas Oberndorfer 120 allerdings nur einschränken, nicht aber aufheben. Denn das Beschränkungs- verbot der Marktfreiheiten bliebe dadurch unangetastet. Als ein zentraler Baustein einer post-neoliberalen Integrationsweise der EU müsste jedoch dieses freiheitsrechtliche Verständnis der Marktfreiheiten durch ein gleich- heitsrechtliches Diskriminierungsverbot im ursprünglichen Sinne abgelöst werden. Dies hätte, obwohl es nur als dogmatischer Pfadwechsel erscheint, einen tiefgreifenden Umbruch der europäischen Integrationsweise zur Kon- sequenz: Transnational orientierten Kapitalfraktionen würde dadurch die Möglichkeit genommen, sich hohen regulativen Anforderungen zu entzie- hen. Die Auseinandersetzung um Regulationsmodi würde dadurch von der Rechtsform zurück in politische Verfahren gedrängt. Doch worin würde sich diese Integrationsweise von der fordistischen unterscheiden? Die wesentliche Differenz liegt in ihrer verstärkt postnatio- nalen Dimension: Denn im Gegensatz zu den 1970er Jahren ist das Europä- ische Parlament im Bereich der Angleichung von Rechtsvorschriften mit Relevanz für den Gemeinsamen Markt mittlerweile an allen Rechtsetzungs- akten beteiligt (Art 114 iVm Art 294 AEUV). Durch die Vetomacht des Parla- ments ist ein neues Kampfterrain für transnationale soziale Bewegungen ent- standen. Während das fordistische Diskriminierungsverbot daher nur sicherstellen konnte, dass nationalstaatliche Kompromissbildungen nicht unterlaufen werden, würde die künftige Überwindung des Wettbewerbs der Rechtsordnungen die Herausbildung von transnationalen subalternen Bünd- nissen fördern – eine Chance auf die Entwicklung von Gegenmacht zum längst transnational operierenden Kapital. Damit fände eine Orientierung hin auf ein post-nationales europäisches Terrain statt, welches die Verkörpe- rung der Einheit des Volkes als Nation70 in den mitgliedstaatlichen Staatsap- paraten unterläuft. Genau diese Subjektivierung der Bevölkerung als Teil einer nationalen Wettbewerbsgemeinschaft, die sich im Kampf gegen die anderen Mitgliedstaaten bewähren muss, ist integraler Bestandteil eines Wettbewerbes der Rechtsordnungen, in denen sich „unser Recht“ gegen jenes der „anderen“ durchsetzen muss. Ein gegenhegemonialer Ansatz darf freilich nicht bei der Forderung nach einem ausschließlichen Diskriminierungsverbot stehen bleiben, sondern muss diese mit der Forderung nach einer grundle- genden Revision der Marktfreiheitensystematik verbinden. Ließ sich die besondere Stellung der Marktfreiheiten noch durch die historisch wirksame Konzeption einer ökonomischen Integration als „spill over“-Mechanismus für eine folgende politische Integration rechtfertigen, so ist diese inzwischen erreicht und die Sonderstellung der Grundfreiheiten nicht nur geschichtlich überholt, sondern in dem veränderten gesellschaftlichen Kontext für eine post-neoliberalen Integrationsweise kontraproduktiv, weil sie die Verschie- bung des Kräfteverhältnisses zugunsten des neoliberalen Projekts fest- schreibt. Diese verfassungsgleiche Zementierung der Verhältnisse muss einem 70 Poulantzas, Staatstheorie (2002/1978) 90ff.
  • 23. 121 Post-neoliberale Integrationsweise der EU prozeduralen Aushandlungsprozess im transnationalen Arbeitsrecht weichen und um die Einfügung grundlegender demokratischer Elemente in die Wirtschaftsverfassung wie auch in die europäischen und mitgliedstaatlichen Institutionen ergänzt werden.71 Dass die Kommission als einziges der europä- ischen Organe über ein Initiativrecht im „europäischen Gesetzgebungsverfah- ren“ verfügt, ist etwa ein wesentlicher Grund dafür, dass sich die bisherigen transnationalen Bewegungen nur in defensiven Bündnissen, wie zuletzt in jenem gegen die Arbeitszeitrichtlinie, konstituiert haben. Gerade die Verselb- ständigung der Rechtsform zeigt zudem, dass die Demokratisierung nicht nur politische Institutionen umfassen darf, sondern es viel umfänglicher um eine permanente, mit Bezug auf die verschiedenen Organe sehr unterschiedliche Demokratisierung aller Institutionen die bindende Entscheidungen fällen (die keineswegs mit ihrer Verstaatlichung gleichzusetzen ist), ankommt. Das Europarecht als eigenständigen Ort der Hegemonieproduktion zu entdecken, in dem soziale Kämpfe unter den Bedingungen der Rechtsform ausgefochten werden und gesellschaftliche Widersprüche inkrementell in Rechtsprechungs- linien übersetzt werden, erfordert die fortwährende Aufmerksamkeit sozialer Bewegungen. Dass dies einseitig schon seit langem erkannt wurde, bewies zuletzt etwa das Vorgehen der schwedischen Wirtschaftsvereinigung die in einem der vier Fälle (Rs Laval) ein beträchtliches europarechtliches Engage- ment zur Durchsetzung ihrer Rechtsansicht und damit zur Schwächung der Gewerkschaften zeigte.72 Das Verdikt des EuGH in der Rs Schmidberger73 , das das Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit in Form der mehrtägigen Blockade einer Hauptverkehrsader (im konkreten Fall des Brenners) des Bin- nenmarktes, eine Einschränkung der Marktfreiheiten rechtfertige, liefert einen interessanten Anknüpfungspunkt: Diesmal könnte ein transnationales Bündnis sozialer Bewegungen unter Einschluss der Gewerkschaften den Brenner blockieren und für eine Überwindung des Wettbewerbes der Rechts- ordnungen demonstrieren. Durch transnationale Arbeitskämpfe könnte ein weiteres Moment einer post-neoliberalen Integrationsweise errungen werden: die europäische Tarifautonomie.74 Eine locker im Lehnstuhl entwickelte Phrase hätte ihre Probe aufs Exempel zu bestehen: „Natürlich können die Gewerkschaften aufeinander abgestimmte kollektive Maßnahmen ergreifen, um die Beschäftigungsbedingungen […] überall in der Gemeinschaft zu verbessern.“75 71 Oberndorfer, Demos, wo bist du?, in Attac , Das kritische EU-Buch (2006) 40. 72 www.svensktnaringsliv.se/fragor/utlandska_foretag_i_sverige/article41188.ece (16.2.2010). Für Hinweis und Übersetzung danke ich Joachim Stern. 73 EuGH 12.6.2003, Rs C 112/00, Schmidberger, Slg 2003, I-5659. 74 Für eine vielversprechende Initiative, die auch eine rechtlich-politische Operati- onalisierung transnationaler Arbeitskämpfe zur Durchsetzung der europä- ischen Tarifautonomie vorlegt, siehe www.tarifpolitik.eu. 75 Generalanwalt Maduro in seinen Schlussanträgen zu EuGH, C-438/05, Urteil v. 11.12.2007 (Viking), Rn 70.