1. St.Gallen
18
9 | 2013via
Miriam Meckel, wir haben heute Zugriff auf eine
Fülle von Informationen wie noch nie in der
Geschichte der Menschheit. Sind wir deswegen
auch klüger?
Wir sind heute weder klüger noch entscheiden wir
schneller. Denn zu all den Vorteilen kommen natür-
lich auch Elemente der Überforderung. Wenn ich al-
les haben kann, muss ich mich fragen: Was genau will
ich haben? Und: Wo finde ich das, was mir hilft, die
richtige Entscheidung zu treffen?
Gibt es dafür ein System, an dem ich mich orien-
tieren kann?
Ach, da kann ich mich immer auch auf mein Bauch-
gefühl verlassen: Ich nutze all die Medienkanäle ja
nicht zum ersten Mal. Schwierig wird es, wenn ich
versuche, den optimalen Informationsstand zu errei-
chen, das heisst, alle Informationen zu einem Thema
zusammenzutragen, um dann
richtig entscheiden zu können.
Ganz ehrlich: Letzteres ist eine
Fiktion. Wir werden nie alle
Informationen haben, die wir
brauchen. Deshalb führt pragmatisches Entscheiden
oft zu besseren Ergebnissen, mit denen wir sogar zu-
friedener sind.
Noch vor 20 Jahren hatten Journalisten ähnlich
wie Lehrer oder Pfarrer die Informationshoheit…
…der beliebteste war wahrscheinlich der Pfarrer
(lacht herzlich).
Es waren Autoritäten, die bewertet, eingeordnet
und die Wahrheit verkündet haben. Heute gibt
es Zwischenrufe, Kritik, Austausch, Blogs.
Die Demokratisierung der Meinungen schreitet
voran. Ist das wirklich gut?
Grundsätzlich ist das gut, ja. Jedermann soll mitre-
den können. Natürlich gibt es jene, die erst schreiben,
bevor sie denken. Und jene, die uns womöglich nicht
freundlich gesinnt sind. Das ist die Konsequenz.
Doch meistens ist der Austausch sehr hilfreich. Es
gibt zum Beispiel Blogs in meinem For-
schungsbereich, die tolle Sachen machen.
Manchmal ist es ja erschütternd, was
es in den Kommentaren der Online-
zeitungen zu lesen gibt.
Das war früher ja auch schon so. Die Le-
serbriefe,dieichvorJahrenalsJournalis-
tin zu sehen bekam, waren nicht besser.
Das war exakt die gleiche Nummer. Der
einzige Unterschied war, dass der Platz
gefehlt hat, sie alle zu veröffentlichen.
Heute wird alles geposted. Im Web gibt
es keine Platzprobleme.
Journalismus in der Krise: Ist das die
Chance, den Beruf neu zu erfinden?
Ich glaube nicht, dass der Journalismus
in der Krise steckt. Es sind vielmehr die
Geschäftsmodelle der Verlage, die nicht
mehr funktionieren. Journalismus hat
tatsächlich eine Chance, wenn er mir
eine Übersicht vermitteln kann, die mir
hilft, die Welt, in der ich lebe, zu verste-
hen. Wenn ich Zeitung lese, finde ich
Themen, die ich nicht gesucht habe. Ich
lerne Neues und erweitere meine Per-
spektive. Das ist viel spannender, als im-
mer nur das zu bekommen, wonach ich grade suche
oder woran ich im Moment interessiert bin.
Etablierte Printtitel ziehen online Paywalls hoch,
das heisst, sie verlangen Geld für ihre Artikel.
Kann dieses Modell wirklich funktionieren?
Ich weiss, die «New York Times» oder die «Financial
Times» lassen sich nicht mit einer Regionalzeitung
vergleichen. Aber was man nach der Einführung der
Paywall beobachten kann, stimmt mich zuversicht-
lich: Die digitalen Abozahlen steigen. Dabei darf man
nicht vergessen, dass die Verlage ein Jahrzehnt lang
alle Inhalte gratis ins Netz gestellt haben. So haben
wir gelernt: Inhalte sind gratis. Es wird eine Weile
«Auf Facebook zeigt
man immer sein Best of»
«Ichglaubenicht,dass
derJournalismus
inderKrisesteckt.»
Erleben Interview Miriam Meckel
Dies oder Das
1. oder 2. Klasse?
Meistens 1. Klasse, Haupt-
sache Fahrtrichtung.
Was geht gar nicht im Zug?
Lautstarkes Telefonieren
am Handy.
Was müsste es im Zug
unbedingt geben?
Die Ruhewagen in der
1. Klasse sollten unbedingt
bleiben.
Ihre schönste Reise
im Zug?
Ich liebe es, wenn es in
die Berge reingeht.
Die Strecke hoch nach
St.Moritz ist grossartig.
Die Lieblingsbeschäf-
tigung im Zug?
Lesen, Musik hören,
schlafen. In wandelnder
Reihenfolge.
Miriam Meckel ist Professorin für Kommunikation an der Uni St.Gallen.
Hier sagt sie, was sie an Zeitungen schätzt, warum Suchmaschinen keineswegs
neutral sind und soziale Medien Schulfach sein sollten.
Text:Gaston Haas; Fotos:Dan Cermak
3. 20
8 | 2013via
Erleben Interview Miriam Meckel
dauern, aber das Umdenken wird kommen, die Men-
schen werden für gute Artikel bezahlen.
Können Massenmedien wie Facebook tatsächlich
den Lauf der Dinge verändern?
Ja sicher. Als im Frühling der Chef von Abercrom-
bie&Fitch mitteilte, dass seine Firma nur für schöne
unddünneMenschenKlei-
der mache, ist ein Shit-
storm sondergleichen über
das Unternehmen herein-
gebrochen. In den USA
verteilten Aktivisten Kleider des Labels an Obdach-
lose, filmten die Aktionen und stellten die Videos ins
Netz. Solche Aktionen können sich auf den Umsatz
auswirken, dann wird das Unternehmen reagieren –
ökonomischer Druck wirkt.
In George Orwells Klassiker 1984 kann der totali-
täre Staat Gedanken lesen. Vorerst liest der Ge-
heimdienst «nur» Mails. Was kommt noch?
Es gibt tatsächlich Bestrebungen, Gedanken zu lesen.
So hat man Ratten einen Computerchip ins Gehirn
gepflanzt; das eine Tier lebt in den USA, das andere in
Brasilien. Die Übertragung von Gedankenströmen
hat im Tierversuch funktioniert. Das bedeutet: Diese
Form von Gedankenkontrolle oder -steuerung wird
zunehmend unsichtbar. Wir gehen mit der Suchma-
schine ins Netz, sehen nur,
was auf dem Bildschirm er-
scheint…
…und im Hintergrund
laufen gewisse Dinge ab, von
denen wir nichts ahnen.
Viele verstehen zum Beispiel
nicht, was das personalisierte
Internet eigentlich ist. Dass sie
nur noch sehen, was die Such-
maschine für sie aufgrund ihrer eigenen Vorlieben
raussucht. Es ist nicht einfach, gegen etwas zu oppo-
nieren, das man nicht wahrnimmt und nicht versteht.
Ist der US-Geheimdienst NSA Orwells
Big Brother?
Dieser NSA-Skandal bedroht unsere Gesellschaft.
Warum eigentlich? Was soll uns denn geschehen?
Das ist ja das Problem; wir merken gar nicht, wie un-
sere Freiheitsrechte untergraben werden. Das Recht
auf informationelle Selbstbestimmung, auf Privat-
sphäre, die Unschuldsvermutung. Die NSA verfährt
nach dem Motto: Wir sammeln alles über alle, und
irgendwann werden wir schon etwas Belastendes
finden. Das hat mit der Idee einer freiheitlich demo-
kratischen Gesellschaft nicht mehr viel zu tun.
«Orwells‹Gedanken-
verbrechen›sindnichtmehr
reineUtopie.»
Foto:JoergKoch/dpa/images
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Miriam Meckel:
«Viele verstehen nicht,
was das personalisierte
Internet ist.»
4. «Beidenanderenistimmer
allesschöner,grösser,reicher,
klüger,witziger…»
Wo soll sich der normale User das Rüstzeug holen,
um Google und Facebook klug zu nutzen?
Das ist ein Lernprozess, in dem Jugendliche schon längst
drin sind. Die Kids gehen mit den meisten Anwendun-
gen viel virtuoser um als ihre Lehrer. Wichtiger scheinen
mir Fragen der Relevanz, der Bewusstheit im Umgang
mit dem Netz, Fragen zur Privatsphäre, der Etikette. Das
gehört meiner Meinung nach in die Schule.
Eine Art Fach «Medienkompetenz»?
Wie auch immer es heissen wird: Es müsste in den
Lehrplan rein. Und zwar schon ganz früh. Es passt lei-
der nicht wirklich in den traditionellen Fächerkanon
rein. «Leben mit sozialen Medien» – bauen Sie das mal
in die Primarschule ein.
Heute fürchten schon 12-Jährige soziale Diskrimi-
nierung, wenn sie nicht auf Facebook und anderen
Plattformen präsent sind.
Menschen wollen anerkannt und wahrgenommen wer-
den, das war schon immer so. Aber in dieser Ausprä-
gung ist es neu. Ich kann die Furcht verstehen, aber sie
macht mir auch Sorgen. Denn wenn ich nur noch durch
die Wahrnehmung der anderen existiere, bringen mir
auch Hunderte von Freunden auf Facebook gar nichts:
Ich bin trotzdem einsam.
Stichwort Selfmarketing: Was heisst das für unse-
ren Umgang miteinander?
Wer auf Facebook präsent ist, zeigt sein «Best of». So
entsteht ein virtueller Wettbewerb. Der wiederum führt
zu Frustrationen, Depressionen und Neid: Bei den an-
deren ist immer alles schöner, grösser, reicher, klüger,
witziger…
Und da soll man sich noch zurechtfinden?
Die Gefahr ist da, dass die fast unendlichen Möglich-
keiten uns daran hindern, einen Entscheid zu fällen,
uns zu jemandem zu bekennen. Etwa bei der Partner-
suche. Obwohl einem jemand
gefällt, klickt man weiter. Es
könnte ja noch etwas Besseres
kommen.
Vor einigen Jahren erlitten Sie ein Burnout, das Sie
unter anderem mit einem Buch verarbeitet haben.
War da seither nie die Angst, wieder in die alten
Muster hineinzufallen?
Die Gefahr kann ich nicht ausschliessen. Aber ich habe
mir für mich schon ein paar Grundregeln zurechtgelegt,
die mir helfen, besser mit all den Anforderungen umzu-
gehen. Kommunikation ist eine Zweibahnstrasse. Ich
muss wissen, was ich sagen will, aber auch wissen, was
ich dem anderen mit meiner Information zumute. Wer
mir nachts um vier eine Mail schreibt, weil er oder sie
um acht eine Information braucht, muss warten. Oder
bekommt gar keine Antwort. Hier geht es auch um Res-
pekt und grundsätzliche Regeln der menschlichen Kom-
munikation. ■
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