Bernd Wagner: Kulturpolitik im Zusammenwirken von Staat, Markt und Gesellschaft
1. Kultur und Politik B 2.2
Wirtschaft, Gesellschaft und Politik
Kulturpolitik im Zusammenwirken
von Staat, Markt und Gesellschaft
Bernd Wagner
Kulturpolitik befindet sich seit einigen Jahren in einer Phase der Neuorientierung. Dabei geht es an
zentraler Stelle auch um eine Neujustierung des Verhältnisses von kommunal-staatlicher Aufgaben-
wahrnehmung, privatwirtschaftlichen Angeboten und bürgergesellschaftlichen Aktivitäten. Dieser
„kulturelle Trägerpluralismus“ prägt die deutsche Kulturlandschaft seit ihren Anfängen und bildet
die Grundlage für ihre Vielfalt. In dem Beitrag wird an einigen Bereichen diese plurale Struktur
skizziert, ein Blick zurück auf die historischen Entwicklungsstränge geworfen und an vier zentralen
Bestandteilen gegenwärtiger kulturpolitischer Reformen Veränderungen von Strukturen und Ver-
fahren öffentlicher Kulturpolitik diskutiert.
Gliederung Seite
1. Kulturpolitische Neuorientierung 2
2. Trägerpluralismus als Grundlage einer vielfältigen Kulturlandschaft 4
2.1 Drei Sektoren 4
2.2 Trägerstrukturen und Finanzierungsstrukturen 6
2.3 Kultureller Trägerpluralismus 7
3. Die historischen Wurzeln 9
3.1 Der kommunal-staatliche Bereich 9
3.2 Frühe Kulturwirtschaft 12
3.3 Kultur als gesellschaftliche Selbsttätigkeit 13
4. Neujustierung des Verhältnisses von Staat, Markt und Gesellschaft 15
4.1 Aktiver und aktivierender Staat 15
4.2 Zivilgesellschaft und bürgerschaftliches Engagement 17
4.3 Verwaltungsreform 19
4.4 Public-Private-Partnership 20
1
2. B 2.2 Kultur und Politik
Wirtschaft, Gesellschaft und Politik
1. Kulturpolitische Neuorientierung
Im heute gebräuchlichen Sinn steht die Bezeichnung „Kulturpolitik“
für staatliches beziehungsweise kommunales Handeln im Bereich von
Kunst und Kultur in Form ihres Schutzes und ihrer Förderung sowie
der Sicherung ihrer politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen
und infrastrukturellen Grundlagen. Dies findet vielfach im Zusam-
menwirken mit Kultur- und Kunstverbänden, Kirchen und anderen
gesellschaftlichen Organisationen statt.
Ziele, Adressaten Kulturpolitik hat zum Ziel, möglichst vielen Menschen die Teilhabe an
und Aufgaben kulturell-künstlerischen Ereignissen und Aktivitäten zu ermöglichen
von Kulturpolitik sowie die Künste zu befördern. Dabei hat sie einerseits mit der kultur-
interessierten Bevölkerung, dem Publikum der Theater, Museen und
Bibliotheken, von Kunst-, Musik- und Volkshochschulen und anderer-
seits mit den künstlerischen Akteuren, den bildenden und darstellen-
den Künstlern, den Schriftstellern und Musikern einen doppelten Ad-
ressatenkreis.
Strukturell bezieht sich Kulturpolitik erstens auf Institutionen wie
Theater, Museen, Bibliotheken, Kulturzentren etc. mit ihren künstleri-
schen und nichtkünstlerischen Mitarbeitern und ihrem Publikum,
zweitens auf Kulturprojekte und ihre Initiatoren sowie zum Dritten auf
einzelne künstlerisch-kulturelle Akteure. Dieser Bezug von Kulturpo-
litik auf die kulturell-künstlerischen Prozesse in ihren unterschiedli-
chen Formen und auf die einzelnen Künstler als schöpferische Indivi-
duen prägt sie seit ihrer Entstehung.
Neben den Aufwendungen öffentlicher Mittel für kulturell-künstle-
rische Aktivitäten gehört die Gestaltung der rechtlichen Rahmenbe-
dingungen kulturell-künstlerischer Produktion zu den zentralen Auf-
gaben von Kulturpolitik. Sie unterscheidet sich entsprechend in För-
derpolitik und Ordnungspolitik.
Finanzkrise und Seit einigen Jahren ist Kulturpolitik einem besonderen finanziellen
Neuorientierung Druck ausgesetzt durch die Krise der öffentlichen Finanzen. Es lässt
sich auch als Folge davon eine Phase der Neuorientierung konstatie-
ren, die von der Suche nach alternativen Wegen vor allem durch die
stärkere Einbindung nicht-öffentlicher Akteure in die Finanzierung
und Trägerschaft von Kulturangeboten und Einrichtungen gekenn-
zeichnet ist. Hierzu gehören etwa eine stärkere privatwirtschaftliche
Kulturförderung, Sponsoring und Mäzenatentum sowie Public-
Private-Partnership-Modelle, aber auch die intensive Aktivierung bür-
gerschaftlichen Engagements und ehrenamtlicher Mitarbeit.
Die Veränderungen der kulturpolitischen Praxis der letzten Jahre und
Jahrzehnte haben bei all ihrer Verschiedenheit vielfach einen gemein-
samen Kern in der Neujustierung des Verhältnisses von staatlicher
beziehungsweise kommunaler Politik, gesellschaftlicher Selbstver-
antwortung und marktwirtschaftlichen Mechanismen.
2
3. Kultur und Politik B 2.2
Wirtschaft, Gesellschaft und Politik
Die verstärkte Einbindung ehrenamtlich-bürgerschaftlichen Engage- Neujustierung des
ments in die kulturellen Aktivitäten, eine immer häufiger anzutreffen- Verhältnisses von Staat,
de „Verantwortungspartnerschaft“ bei der Finanzierung und Träger- Markt und Gesellschaft
schaft von Kultureinrichtungen in Form von Public-Private-Part-
nership-Modellen oder die Veränderung staatlich-kommunaler Kultur-
politik im Sinne eines „aktivierenden Staates“ weisen den gesell-
schaftlichen Akteuren eine größere Bedeutung zu und relativiert staat-
liches Handeln im Kulturbereich, ohne Staat und Kommunen aus ihrer
Verantwortung zu entlassen.
Durch die intensivere Anwendung betriebswirtschaftlicher Verfahren
bei Kultureinrichtungen, die verstärkte Nutzung von Marketing-
Ansätzen in der kulturellen Praxis sowie ein insgesamt immer weiter
entwickeltes Kulturmanagement bekommen gleichzeitig marktwirt-
schaftliche Elemente im Kunst- und Kulturbereich eine größere Be-
deutung, ohne damit zwangsläufig eine „Ökonomisierung“ der Kultur
hervorzubringen.
Diese praktischen Veränderungen kulturpolitischen Handelns im Ak-
teursdreieck von Staat, Markt und Gesellschaft mit ihren jeweils eige-
nen Steuerungsmedien „Macht“, „Geld“ und „Bedeutung/Anerken-
nung“ verändern Rolle, Strukturen und Verfahren staatlicher bezie-
hungsweise kommunaler Kulturpolitik bei der Sicherung und Weiter-
entwicklung der vielgestaltigen Kunst- und Kulturlandschaft.
In dieser Kulturlandschaft bilden die von der öffentlichen Kulturpoli- Das Zusammenwirken
tik getragenen kulturell-künstlerischen Aktivitäten und Institutionen der drei Kultursektoren
nur eines der drei zentralen Felder neben der von gesellschaftlich-
bürgerschaftlichen Akteuren und der Kulturwirtschaft hervorgebrach-
ten Kunst und Kultur. Bei diesen drei Sektoren „Staat“, „Markt“ und
„Gesellschaft“ handelt es sich allerdings nicht um drei separate „Säu-
len“ der Kulturlandschaft, sondern um Bereiche, die mal enger, mal
weiter miteinander verflochten sind und sich gegenseitig bedingen und
befruchten.
Dieser Zusammenhang ist in den kulturpolitischen Diskussionen bis
vor einigen Jahren meist wenig beachtet worden. Insbesondere ist die
große Bedeutung der Kulturwirtschaft gerade in der bildenden Kunst
und der Musik kaum wahrgenommen worden. In hohem Maße unter-
schätzt wurde das breite gesellschaftliche Engagement für Kunst und
Kultur und die kulturelle Selbsttätigkeit der Bevölkerung.
Das schon immer vorhandene Zusammenwirken staatlich-kommuna-
ler Kulturpolitik, kulturwirtschaftlicher Strukturen und gesellschaft-
lich-bürgerschaftlichen Engagements, das hinter der dominierenden
Rolle der öffentlichen Kulturpolitik oft übersehen wurde und teilweise
immer noch wird, tritt bei der gegenwärtigen Neuorientierung der
Kulturpolitik und der Neujustierung des praktischen Zusammenwir-
kens von Staat, Markt und Gesellschaft stärker in den Vordergrund.
3
4. B 2.2 Kultur und Politik
Wirtschaft, Gesellschaft und Politik
2. Trägerpluralismus als Grundlage einer
vielfältigen Kulturlandschaft
2.1 Drei Sektoren
Der öffentliche Sektor Den Kern des kommunal-staatlichen Kultursektors bilden die von
Kommunen, Ländern oder dem Bund getragenen Kulturinstitutionen.
Dazu gehören zum einen diejenigen Einrichtungen, die direkter Teil
der Verwaltung sind und beispielsweise die Rechtsform eines Regie-
oder Eigenbetriebes haben und zum anderen solche außerhalb der
Verwaltungsstrukturen etwa mit der eigenständigen Rechtsform einer
öffentlich-rechtlichen Stiftung oder einer Anstalt öffentlichen Rechts.
Dazu gehören auch Projekte und Kulturveran-
staltungen, die kommunalen und staatlichen
Einrichtungen ausgerichtet werden und sol-
che, die für diese von anderen Akteuren orga-
nisiert werden.
Analog der Unterteilung in öffentliches und
Rechtsform oder Rechtsträger
privates Recht lassen sich auch die Rechts-
formen im Kulturbereich in solche des öffent-
In kulturpolitischen Diskussionen werden oft
lichen und privaten Rechts unterscheiden.
Rechtsform und Rechtsträger unzulässig ver-
Innerhalb des öffentlichen Rechts gibt es
mischt, wenn beispielsweise von einer „Privati-
wiederum eine Unterscheidung zwischen
sierung“ im Kulturbereich gesprochen wird,
Rechtsformen ohne und mit eigener Rechts-
damit aber lediglich ein Wechsel in der Betriebs-
persönlichkeit. Zu den ersten gehören die im
form gemeint ist. Ähnliches geschieht auch in
Kulturbereich stark verbreiteten Regiebetrie-
einem Teil der Kulturstatistiken. „Die Rechtsform
be und Eigenbetriebe. Anstalten des öffentli-
ist gleichsam das juristische Kleid eines Betrie-
chen Rechts, Stiftungen des öffentlichen
bes“. (Vgl. Schneidewind, S. 159)
Rechts und öffentlich-rechtliche Körperschaf-
ten wie beispielsweise Zweckverbände sind
Rechtsformen mit eigener Rechtspersönlich-
keit. Rechtsformen des privaten Rechts sind
der Verein, die Stiftung privaten Rechts und Gesellschaften wie die
Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) oder die (im Kulturbereich
weit verbreitete) Form der GmbH.1
Die Kulturwirtschaft … Das zweite große Feld – oder den zweiten Sektor – bilden die kulturel-
len Güter die erwerbsmäßig hergestellt und verbreitet werden. Künst-
lerische Produktion und kulturelle Angebote dienen hier der Gewin-
nerzielung. Dieser marktwirtschaftliche Teil der Kulturlandschaft wird
allgemein als „Kulturwirtschaft“ oder eher negativ, ideologiekritisch
als „Kulturindustrie“ bezeichnet.
4