Darren Grundorf: Reformieren statt renovieren. Kultur und Kreativität brauchen Mut zum Wandel
1. B 2.9
Reformieren statt renovieren
Kultur und Kreativität brauchen Mut zum Wandel
Darren Grundorf
Der Wandel hat die Kulturlandschaft fest im Griff. Die Folgen von Veränderungsprozessen werden
in allen Arbeitsbereichen und Aufgabenfeldern von Kultureinrichtungen sichtbar: veränderte Per-
sonalstrukturen, sinkende Besucherzahlen, neue Finanzierungswege. Kulturpolitik und die Kultur-
einrichtungen selbst müssen reagieren, um den Erfolg und die Nachhaltigkeit ihrer Arbeit zu si-
chern. Besser und erfolgversprechender aber wäre es, sie würden nicht nur reagieren, sondern mehr
agieren und die unerlässlichen Reformen als Chance annehmen.
Gliederung Seite
1. Krisen und Herausforderungen – Situation der deutschen Kulturlandschaft 2
2. Was fordern die Akteure der Kultur? 3
3. Kooperationen, Fusionen, Schließungen – Die Situation in der
Theaterlandschaft 5
4. Wandel in allen Bereichen – Wie sich Kulturbetriebe und ihr Umfeld
verändern 7
4.1 Wandel in Politik und Gesellschaft 7
4.2 Wandel im Publikum 9
4.3 Wandel auf der Bühne 10
4.4 Wandel in Führung und Organisation 11
4.5 Wandel in der Personalentwicklung 12
4.6 Wandel in der Finanzierung 13
4.7 Wandel in den Strukturen 15
5. Ausblick 16
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2. B 2.9 Kultur und Politik
Wirtschaft, Gesellschaft und Politik
1. Krisen und Herausforderungen –
Situation der deutschen Kulturlandschaft
Kultur – häufig Die deutsche Kulturlandschaft ist Herausforderungen gewohnt: Leere
das erste Sparopfer Haushaltskassen und die ständige Gefahr schrumpfender Kulturetats
gehören zum täglichen Geschäft von Kulturpolitik und Kulturmana-
gement. Verdichten sich in einer Kommune haushalterische Krisensi-
tuationen, wie wir sie in vielen Städten und Gemeinden zur Zeit erle-
ben, werden aus Herausforderungen schnell Überlebenskämpfe, weil
in solchen Szenarien doch allzu oft gerade die Kultur als erstes auf
ihre Notwendigkeit hin untersucht und nicht selten gleich die gesamte
Legitimation des ein oder anderen Theaters, Konzerthauses oder Mu-
seums in Frage gestellt wird.
Das Kulturmanagement versucht als Disziplin bereits seit Ende der
1980er Jahre, die Akteure der Kultur auf diese Herausforderungen
vorzubereiten und sie für die betrieblichen und gesellschaftlichen Auf-
gaben einer Kultureinrichtung zu professionalisieren. Die Kulturpoli-
tik versucht mit den verschiedensten Argumenten, den Nutzen kultu-
reller Produktion und Rezeption und ihre Bedeutung und Legitimation
im haushaltspolitischen Bewusstsein zu verankern: Neben dem gesell-
schaftlichen und sozialen Nutzen wird hierbei auch mit Begriffen wie
der „Umwegrentabilität“, dem „Arbeitsmarktfaktor“ oder dem „Frei-
zeitwert einer Stadt“ argumentiert. In den vergangenen Jahren hat die
Kulturpolitik vor allem auf die volkswirtschaftliche Bedeutung (Kul-
tur- und Kreativwirtschaft) und die bildungspolitische Aufgabe (kultu-
relle Bildung) der Kultur hingewiesen.
Wie viel Kultur können Ob nun im Kulturbetrieb selbst oder in der Kulturpolitik: Im Jahr 2010
wir uns leisten? erscheinen die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforde-
rungen an Kulturakteure und Kultureinrichtungen größer denn je zu-
vor. Vor allem die Folgen der Finanzkrise aus dem Herbst 2008 wie-
gen schwer. In den Kommunen werden ihre Spuren sichtbar. Mehraus-
gaben und Steuermindereinahmen belasten die kommunalen Haushal-
te und verringern Budget und Möglichkeiten für kommunale Aufga-
ben und Angebote. Für viele (auch schon länger) überschuldete Städte
und Gemeinden stellt sich spätestens jetzt die existentielle Frage: Wie
viel Kultur können wir uns leisten? Bereichsübergreifende Konkur-
renzsituationen in der Förderpolitik nach dem Prinzip „Was ist uns am
wichtigsten?“ sind die Folge: Kultureinrichtungen konkurrieren nicht
mehr miteinander um öffentliche Mittel, sondern auch mit Schwimm-
bädern und Kindertagesstätten. In einigen Städten wie Köln, Wupper-
tal oder Erfurt hat der Kultursektor bereits erste große Risse erhalten.
Neben Etatkürzungen stehen mittlerweile auch Schließungen auf der
Tagesordnung.
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3. Kultur und Politik B 2.9
Wirtschaft, Gesellschaft und Politik
Ein sich immer stärker wandelndes Gesellschaftsbild, hervorgerufen
vor allem durch den demografischen Wandel und den Übergang in
eine Mediengesellschaft, begünstigt die Schwächung der kulturellen
Infrastruktur und bedroht die Vielfalt an Einrichtungen, Programmen
und Angeboten.
2. Was fordern die Akteure der Kultur?
Die prekäre Haushaltslage zahlreicher deutscher Kommunen und Ge-
meinden hat in vielen Städten bereits größere Einsparungsmaßnahmen
nach sich gezogen, die in vielen Fällen in größerem Umfang auch die
Kulturhaushalte betreffen. In Hamburg, Köln, Dortmund, Erfurt,
Nürnberg, Wuppertal, Oberhausen, Worms und Ulm wurden Einspa-
rungen in der Kultur bereits im Jahr 2009 beschlossen. Die prägnan-
testen Beispiele hierfür sind zum Teil renommierte Institutionen wie
die Nibelungenfestspiele in Worms, das Kinder- und Jugendtheater in
Erfurt und das Schauspielhaus in Wuppertal.
Die sich anbahnende Fortführung der Kürzungs- und Schließungswel- Sicherung der kulturel-
le in weiteren Kommunen und Gemeinden hat deutschlandweit zu len Infrastruktur
einer kontroversen Debatte über die zukünftige Sicherung der kultu-
rellen Infrastruktur geführt. Gesucht und gefordert werden Konzepte
und Rahmenbedingungen, die trotz des großen Einsparungsbedarfs
überschuldeter Städte und Gemeinden den Erhalt und Fortbestand
kultureller Einrichtungen und Angebote sichern.
Der Spitzenverband der deutschen Bundeskulturverbände, der Deut- Einrichtung eines
sche Kulturrat, forderte bereits im Oktober 2009 die Einrichtung eines Nothilfefonds
Nothilfefonds des Bundes für in Not geratene Kultureinrichtungen und
freie Träger der Kulturarbeit. Zur Rechtfertigung eines solchen Kul-
turfonds wird dabei unter anderem mit dem Verweis auf entsprechende
Fonds für die Finanzbranche, welche letztendlich die Krise ins Rollen
brachte, argumentiert.1 Eine ähnliche Forderung hat auch die Kultur-
politische Gesellschaft in einer Stellungnahme zu den Auswirkungen
der Finanz- und Wirtschaftskrise formuliert. Sie fordert von Bund und
Ländern das Auflegen eines Substanzerhaltungsprogramms, um „öf-
fentliche Einrichtungen in den Kommunen vor dem Ruin zu bewah-
ren“.2 Der Bund hat Gesprächsbereitschaft für einen Nothilfefonds
signalisiert, eine Mehrheit für die Fortführung dieser Überlegungen
hat sich allerdings weder in der Bundesregierung noch im deutschen
Bundestag, wo bislang nur BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die
Partei DIE LINKE diesen Vorschlag unterstützen, gefunden.
Eine breit und kontrovers diskutierte Forderung aus der Kulturpolitik Kultur als Pflichtaufgabe
ist zudem die Forderung, die Kultur zur Pflichtaufgabe der Kommu- der Kommunen
nen zu machen. Die Kulturförderung, die in den Kommunen haushal-
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4. B 2.9 Kultur und Politik
Wirtschaft, Gesellschaft und Politik
terisch als freiwillige Aufgabe verankert ist, bedürfte für eine Um-
wandlung zur Pflichtaufgabe einer spezialgesetzlichen Regelung
durch jeweilige Landesgesetze für Musikschulen, Theater, Bibliothe-
ken etc. Diese Maßnahme könnte ein effektives Mittel zur langfristi-
gen und nachhaltigen Sicherung zahlreicher kultureller Einrichtungen
und Institutionen sein. Auf der anderen Seite würde ein solcher Schritt
aber auch bedeuten, den Handlungsspielraum verschuldeter kommu-
naler Haushalte in haushalterischen Notlagen noch weiter einzu-
schränken.
Mit der Frage, ob die Kultur eine Pflichtaufgabe der Kommunen sein
sollte, haben sich Kommunal- und Kulturpolitik schon immer befasst.
Der Deutsche Städtetag hat diese Forderung schon 1952 in seinen
Stuttgarter Richtlinien an die Länder gestellt. Als Begründung für eine
Pflichtaufgabe der Kultur werden in den Debatten vor allem folgende
Gründe genannt: (1.) ihre gesellschaftliche Integrationsfunktion, (2.)
ihre Bedeutung für die Lebensqualität der Einwohner und für die För-
derung derer Selbstverwirklichung, Teilhabe am gesellschaftlichen
Leben und die Identifikation mit Kommune und Region, (3.) ihre Be-
deutung für die kulturelle Bildung von Kindern und Jugendlichen und
(4.) ihre Bedeutung für die Pflege des kulturellen Erbes.3 Der deutsche
Kulturrat und u. a auch der deutsche Bühnenverein haben entspre-
chende Landesgesetze gefordert. Die Kulturpolitische Gesellschaft hat
die rechtliche Anerkennung der kulturellen Bildung als Pflichtaufgabe
zu einer ihrer Forderungen gemacht, um so „die Vorraussetzungen für
die kulturelle Teilhabe aller Bevölkerungskreise zu verbessern.“4
Handlungsempfeh- Bereits im Jahr 2007 hat die Enquete-Kommission „Kultur in
lungen der Enquete- Deutschland“ des deutschen Bundestags in ihrem Endbericht Hand-
Kommission lungsempfehlungen für die Kulturförderung und die Sicherung der
kulturellen Infrastruktur formuliert. Die Pflichtaufgabe Kultur taucht
hierbei nur im Falle der Bibliotheken auf. Für alle Einrichtungen so-
wie für ihre Förderung durch Bund, Länder und Kommunen fordert
die Kommission dabei mehr Mut, um alte Strukturen aufzubrechen
und neue Wege in der Kulturpraxis zu gehen. Hierbei steht auch die
Effizienzsteigerung der Einrichtungen und der öffentlichen Kultur-
verwaltung im Blickpunkt. Die wichtigsten Handlungsempfehlungen
der Kommission lassen sich unter folgenden Punkten zusammenfas-
sen:5
Auf der kulturellen Strukturebene u.a.:
– Intensivierung des Reformprozesses in der Kulturverwaltung im
Sinne des Neuen Steuerungsmodells und die Stärkung der Eigen-
verantwortlichkeit von Kultureinrichtungen,
– Einführung einer Kulturentwicklungskonzeption durch den Bund
und von Ländern und Kommunen gemeinsam erarbeitete Landes-
kulturentwicklungspläne,
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