Dr. Norbert Sievers: Kulturpolitische Öffentlichkeiten herstellen
1. Kultur und Politik B 1.3
Strukturen und Prozesse in der Kulturpolitik
Kulturpolitische Öffentlichkeit(en) herstellen
Voraussetzungen und Notwendigkeiten dargestellt
am Beispiel der Kulturpolitischen Bundeskongresse
Dr. Norbert Sievers
Die große Anzahl der jährlich stattfindenden kulturpolitischen Tagungen und Veranstaltungen sind
ein Indiz für die gewachsene Bedeutung dieses Politikfeldes in den letzten zwei Jahrzehnten. Die
Diskursfreudigkeit in diesem Sektor ist ein Merkmal der entwickelten kulturpolitischen Öffent-
lichkeit, in der zivilgesellschaftliche Akteure immer mehr den Ton angeben und dadurch eine ver-
antwortungsvollere Rolle im Kommunikationsprozess Kulturpolitik übernehmen. Paradigmatisch
dafür sind die Kulturpolitischen Bundeskongresse der Kulturpolitischen Gesellschaft. An ihnen
lassen sich nicht nur die Strukturbesonderheiten des kulturpolitischen Feldes, sondern auch die
Notwendigkeit und die Qualitätskriterien öffentlicher Debatten und Kongresse für deren Moderni-
sierung diskutieren.
Gliederung Seite
1. Die Kulturpolitischen Bundeskongresse 2
2. Das Netzwerk Kulturpolitik 3
3. Der kulturpolitische Diskurs als Modernisierungsfaktor 6
4. Kongresse im Kommunikationsprozess Kulturpolitik 8
4.1 Relevanz und Kompetenz 9
4.2 Kommunikation und Kontext 13
5. Schlussfolgerungen und Perspektiven 17
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2. B 1.3 Kultur und Politik
Strukturen und Prozesse in der Kulturpolitik
1. Die Kulturpolitischen Bundeskongresse
Die Durchführung der im zweijährigen Rhythmus stattfindenden kul-
turpolitischen Bundeskongresse gehört zu den zentralen Aufgaben des
Instituts für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft, das vom
Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien finanziell
gefördert wird. Es ist ihre Aufgabe, aktuell relevante Themen der Kul-
turpolitik von bundesweiter Bedeutung öffentlich zu diskutieren und
zu kommunizieren. Ihr Ziel ist, durch die Wahl der Themen und die
Art der „Inszenierung“ Markierungen und Schwerpunkte in dem kul-
turpolitischen Diskurs zu setzen, die eine gewisse Orientierungsfunk-
tion haben. Gleichzeitig sollen die Kulturpolitischen Bundeskongresse
Treffpunkte sein, um die Akteure der unterschiedlichen kulturpoliti-
schen (Entscheidungs-)Ebenen und Kontexte zusammenzubringen und
ihnen ein Forum zu geben.
Akteuren der Die ersten drei Bundeskongresse „kunst.macht.kulturpolitik.“ (2001),
Kulturpolitik „inter.kultur.politik.“ (2003) und „publikum.macht.kultur.“ (2005)
ein Forum geben haben diese Erwartungen erfüllt. Mit jeweils ca. 400 bis 500 Teilneh-
mern waren sie sehr gut besucht und das Echo in den Medien war
insgesamt sehr positiv, so dass gesagt werden kann, es ist gelungen,
dem Selbstanspruch gerecht zu werden und die Marke „Kulturpoliti-
scher Bundeskongress“ erfolgreich in der kulturpolitischen Öffent-
lichkeit zu platzieren. Mit dem vierten Kulturpolitischen Bundeskon-
gress „kultur.macht.europa. – europa.macht.kultur. Bedingungen und
Perspektiven europäischer Kulturpolitik“ im Kontext der EU-
Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 wird eine neue Heraus-
forderung angenommen, indem die europäische Bühne betreten wird.
Die Kulturpolitischen Bundeskongresse werden federführend vom
Institut für Kulturpolitik geplant und durchgeführt. Die Mitarbeiter
des Instituts können dabei zurückgreifen auf Ressourcen der Kulturpo-
litischen Gesellschaft (Kompetenz, Verbindungen, Erfahrungen), die
in der kulturpolitischen Öffentlichkeit ein eingeführter und bekannter
Akteur und Tagungsveranstalter ist. Als enger Kooperationspartner
und Mitveranstalter konnte die Bundeszentrale für politische Bildung
gewonnen werden. Ferner ist die Friedrich-Ebert-Stiftung (Forum
Berlin) im Jahr 2007 (wie bereits 2001 und 2005) wieder als Koopera-
tionspartner mit von der Partie. Darüber hinaus werden für die einzel-
nen Kongresse jeweils spezifische Veranstaltungs- und Medienpartner
und Förderer angesprochen und einbezogen.
Wer ist die Kulturpolitische Gesellschaft e. V.?
Die Kulturpolitische Gesellschaft ist eine parteiübergreifende, unabhängige
Vereinigung von ca. 1400 Personen und 130 Korporationen, die seit dreißig
Jahren mit Tagungen und Publikationen den kulturpolitischen Diskurs prägt
und sich als Entwicklungsagentur für eine demokratische Kulturpolitik ver-
steht. Weitere Informationen finden Sie auf der homepage www.kupoge.de.
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3. Kultur und Politik B 1.3
Strukturen und Prozesse in der Kulturpolitik
2. Das Netzwerk Kulturpolitik
Im Kontext seiner modernisierungstheoretischen Überlegungen zur
Struktur und Entwicklung der politischen Institutionen hat Ulrich
Beck schon Anfang der 1990er Jahre empfohlen, die „Gleichsetzung
von Politik mit Staat, von Politik mit politischem System“ aufzugeben
und stattdessen die „Selbstorganisation des Politischen“ in den Blick
zu nehmen, „die – zumindest der Möglichkeit nach – viele, wenn nicht
alle Felder der Gesellschaft ›subpolitisch‹ in Bewegung versetzen
kann“1. Es komme darauf an, Politik jenseits der überkommenen
Strukturen und Akteure neu zu erfinden. Das Reformprojekt der Kul-
turpolitik könnte durchaus in diesem Sinne gelesen werden, zumal die
institutionellen und verfassungsrechtlichen Grundlagen nachgerade
dazu auffordern, Modernisierung so zu interpretieren. Sind nicht gera-
de in diesem Bereich aufgrund der Aktionsschwäche und der Selbst-
blockade des föderalistischen Systems viele
Reformimpulse von zivilgesellschaftlichen
Akteuren ausgegangen – von der starken
Rolle der Kommunen in der Kultur einmal
ganz abgesehen? Und spricht nicht schon der
„kulturelle Trägerpluralismus“2 als Struktur-
element des deutschen Kulturverfassungs- Was bedeutet „kultureller Trägerpluralismus“?
rechtes dafür, Kulturpolitik nicht allein als
etatistisches Vorhaben und Kulturförderung Kultureller Trägerpluralismus bedeutet, dass
nicht nur als staatsmäzenatisches Bemühen private und öffentliche Träger grundsätzlich
zu begreifen? „gleichrangig“ und „gleichwertig“ nebeneinander
stehen (Pappermann 1984: 5). Diese plurale
Wer die kulturpolitische Entwicklung auf- Struktur – so wird argumentiert – führe zu einer
merksam verfolgt hat, wird mit Blick auf die Vielfalt von Kulturleistungen sowie zu einem
institutionelle Verfassung des politischen Ge- „freiheitlichen Klima“ für Kunst und Kultur und
meinwesens konstatieren können, dass Kul- sichere auf diese Weise die Ausgestaltung der
turpolitik nicht nur aufgrund der föderalen Kunstfreiheitsgarantie des Grundgesetzes
Kompetenzverteilung und ihrer dezentralen strukturell. Es sind danach also nicht nur die
Verankerung, sondern auch angesichts unter- staatlichen und kommunalen Institutionen, die
schiedlicher Ressortzuständigkeiten, der Dele- im Sinne eines „kooperativen Kulturföderalis-
gation von Aufgaben an Mittlerorganisationen mus“ zusammenwirken und sich gegenseitig
und intermediäre Instanzen etc. inzwischen ein ergänzen und kontrollieren sollen; auch die
in hohem Maße fragmentiertes Gebilde ist. nicht-staatlichen und freien Träger gehören im
Die Inhalte der kulturpolitischen Programme Sinne einer (erweiterten) gesellschaftlichen
werden häufig von nicht-staatlichen Akteuren Verantwortungsteilung zu diesem offenen Kul-
mitformuliert und kommuniziert. Und wer tursystem (vgl. Häberle 1985: 26f.).
sich den Prozess der politischen Auseinan-
dersetzung und Meinungsbildung ansieht,
wird feststellen, dass auch hier Personen und
Organisationen der Zivilgesellschaft mittlerweile an Einfluss gewon-
nen haben (z. B. der Deutsche Kulturrat) und neue Verfahren der Inte-
ressenabstimmung, Konsensbildung, Kooperation und Koordination
mittlerweile üblich geworden sind3. Der Kulturbereich ist insofern
schon seit langem im Beck´schen Sinne subpolitisiert.
3
4. B 1.3 Kultur und Politik
Strukturen und Prozesse in der Kulturpolitik
Bedeutungsgewinn Im Rückblick auf die letzten drei Jahrzehnte des vergangenen Jahr-
zivilgesellschaftlicher hunderts kann festgestellt werden, dass es in der Kulturpolitik einen
Akteure Perspektivenwechsel von einer eher etatistischen zu einer stärker plu-
ralistischen Konzeption gegeben hat. Vor allem in den 1990er Jahren
schien es, als hätte die Kulturpolitik ein neues Subjekt entdeckt – den
Bürger. Seitdem kommt kaum ein Beitrag, der sich mit den Aufgaben
dieses Politikbereichs auseinandersetzt, ohne den Hinweis darauf aus,
dass der Staat sich zurückzunehmen habe, wo die Bereitschaft zum
Engagement beim Bürger wachse. Er soll nicht mehr so viel selbst
machen, sondern im Sinne einer aktivierenden Entwicklungsagentur
die Rahmenbedingungen für Freiwilligenarbeit und Eigeninitiativen,
Mäzenatentum und Spendentätigkeit, kurz: für eine aktivere Bürger-
kultur verbessern. Damit geraten u. a. jene Institutionen und Agentu-
ren der Zivilgesellschaft in den Blick, die bürgerschaftliches Engage-
ment motivieren, bündeln und organisieren.
Kulturpolitik soll Die Rede ist vom „Dritten Sektor“ und der für ihn charakteristischen
aktivieren „assoziativen Infrastruktur“ (also z. B. Vereine, Initiativen, z. T. auch
Stiftungen und Verbände), die bei der Bearbeitung konkreter Aufgaben
unentbehrlich geworden sind. Die Rede ist aber auch vom Staat, der
angesichts der eigenen Steuerungs- und Finanzierungsprobleme seine
Rolle neu definiert und neben seinen Funktionen als Interventions-
und Wohlfahrtsstaat aktivierende Kompetenzen für sich reklamiert
und seine Behörden als ›Ermöglichungsverwaltungen‹ profilieren
möchte. Die staatsfixierte Ein-Sektor-Perspektive, wonach es vor al-
lem öffentliche Institutionen sein müssen, die für die Produktion kul-
tureller Leistungen zuständig sind, wurde nach und nach zugunsten
einer differenzierten Sichtweise relativiert, in der auch der privat-
kommerzielle und der frei-gemeinnützige Sektor eine größere Rolle
spielen.
Netzwerk Kulturpolitik Die ohnehin schon komplexe Akteurskonstellation im Kulturbereich
wird durch diese Entwicklung noch weiter ausdifferenziert und be-
gründet neue Anforderungen an die kulturpolitische Steuerung. Offen-
bar bekommt das interorganisatorische Beziehungsgeflecht der Kul-
turpolitik zunehmend mehr den Charakter eines ›Netzwerkes‹ oder
›Mehr-Agenten-Systems‹, in dem die verschiedenen Akteure miteinan-
der verbunden sind und interagieren. Um die gewünschten synergeti-
sche Effekte und ein Optimum des Ressourceneinsatzes zu erreichen,
scheint die Kulturpolitik zunehmend darauf verwiesen zu sein, Einfluss
auf dieses Beziehungsgeflecht zu nehmen. Mit anderen Worten: Sie hat
es nicht mehr nur mit der Ausgestaltung von Rahmenbedingungen und
der Bereitstellung von Ressourcen zu tun, sondern auch mit der Berück-
sichtigung von Relationen im Netzwerk der Kulturpolitik. Dies setzt
jedoch andere Kompetenzen und ein anderes Denken voraus. Dabei sind
nicht nur die drei genannten Sektoren zu berücksichtigen, sondern
auch spezifische Funktionsgruppen, die im kulturpolitischen Produk-
tionsprozess eine wichtige Rolle spielen, wie z. B. das Feuilleton, die
Kulturinstitutionen und vor allem das Publikum (s. Abb. B 1.3-1).
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