Dr. Norbert Sievers: Kulturpolitische Öffentlichkeiten herstellen

Kultur und Politik                                                                             B 1.3

                                                          Strukturen und Prozesse in der Kulturpolitik




Kulturpolitische Öffentlichkeit(en) herstellen


Voraussetzungen und Notwendigkeiten dargestellt
am Beispiel der Kulturpolitischen Bundeskongresse


                                                                            Dr. Norbert Sievers


Die große Anzahl der jährlich stattfindenden kulturpolitischen Tagungen und Veranstaltungen sind
ein Indiz für die gewachsene Bedeutung dieses Politikfeldes in den letzten zwei Jahrzehnten. Die
Diskursfreudigkeit in diesem Sektor ist ein Merkmal der entwickelten kulturpolitischen Öffent-
lichkeit, in der zivilgesellschaftliche Akteure immer mehr den Ton angeben und dadurch eine ver-
antwortungsvollere Rolle im Kommunikationsprozess Kulturpolitik übernehmen. Paradigmatisch
dafür sind die Kulturpolitischen Bundeskongresse der Kulturpolitischen Gesellschaft. An ihnen
lassen sich nicht nur die Strukturbesonderheiten des kulturpolitischen Feldes, sondern auch die
Notwendigkeit und die Qualitätskriterien öffentlicher Debatten und Kongresse für deren Moderni-
sierung diskutieren.

Gliederung                                                                                     Seite

1.     Die Kulturpolitischen Bundeskongresse                                                        2
2.     Das Netzwerk Kulturpolitik                                                                   3
3.     Der kulturpolitische Diskurs als Modernisierungsfaktor                                       6
4.     Kongresse im Kommunikationsprozess Kulturpolitik                                             8
4.1    Relevanz und Kompetenz                                                                       9
4.2    Kommunikation und Kontext                                                                   13
5.     Schlussfolgerungen und Perspektiven                                                        17




                                                                                                    1
B 1.3                                                                                  Kultur und Politik

Strukturen und Prozesse in der Kulturpolitik




                                1.     Die Kulturpolitischen Bundeskongresse
                                Die Durchführung der im zweijährigen Rhythmus stattfindenden kul-
                                turpolitischen Bundeskongresse gehört zu den zentralen Aufgaben des
                                Instituts für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft, das vom
                                Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien finanziell
                                gefördert wird. Es ist ihre Aufgabe, aktuell relevante Themen der Kul-
                                turpolitik von bundesweiter Bedeutung öffentlich zu diskutieren und
                                zu kommunizieren. Ihr Ziel ist, durch die Wahl der Themen und die
                                Art der „Inszenierung“ Markierungen und Schwerpunkte in dem kul-
                                turpolitischen Diskurs zu setzen, die eine gewisse Orientierungsfunk-
                                tion haben. Gleichzeitig sollen die Kulturpolitischen Bundeskongresse
                                Treffpunkte sein, um die Akteure der unterschiedlichen kulturpoliti-
                                schen (Entscheidungs-)Ebenen und Kontexte zusammenzubringen und
                                ihnen ein Forum zu geben.

Akteuren der                    Die ersten drei Bundeskongresse „kunst.macht.kulturpolitik.“ (2001),
Kulturpolitik                   „inter.kultur.politik.“ (2003) und „publikum.macht.kultur.“ (2005)
ein Forum geben                 haben diese Erwartungen erfüllt. Mit jeweils ca. 400 bis 500 Teilneh-
                                mern waren sie sehr gut besucht und das Echo in den Medien war
                                insgesamt sehr positiv, so dass gesagt werden kann, es ist gelungen,
                                dem Selbstanspruch gerecht zu werden und die Marke „Kulturpoliti-
                                scher Bundeskongress“ erfolgreich in der kulturpolitischen Öffent-
                                lichkeit zu platzieren. Mit dem vierten Kulturpolitischen Bundeskon-
                                gress „kultur.macht.europa. – europa.macht.kultur. Bedingungen und
                                Perspektiven europäischer Kulturpolitik“ im Kontext der EU-
                                Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 wird eine neue Heraus-
                                forderung angenommen, indem die europäische Bühne betreten wird.

                                Die Kulturpolitischen Bundeskongresse werden federführend vom
                                Institut für Kulturpolitik geplant und durchgeführt. Die Mitarbeiter
                                des Instituts können dabei zurückgreifen auf Ressourcen der Kulturpo-
                                litischen Gesellschaft (Kompetenz, Verbindungen, Erfahrungen), die
                                in der kulturpolitischen Öffentlichkeit ein eingeführter und bekannter
                                Akteur und Tagungsveranstalter ist. Als enger Kooperationspartner
                                und Mitveranstalter konnte die Bundeszentrale für politische Bildung
                                gewonnen werden. Ferner ist die Friedrich-Ebert-Stiftung (Forum
                                Berlin) im Jahr 2007 (wie bereits 2001 und 2005) wieder als Koopera-
                                tionspartner mit von der Partie. Darüber hinaus werden für die einzel-
                                nen Kongresse jeweils spezifische Veranstaltungs- und Medienpartner
                                und Förderer angesprochen und einbezogen.

                                  Wer ist die Kulturpolitische Gesellschaft e. V.?
                                  Die Kulturpolitische Gesellschaft ist eine parteiübergreifende, unabhängige
                                  Vereinigung von ca. 1400 Personen und 130 Korporationen, die seit dreißig
                                  Jahren mit Tagungen und Publikationen den kulturpolitischen Diskurs prägt
                                  und sich als Entwicklungsagentur für eine demokratische Kulturpolitik ver-
                                  steht. Weitere Informationen finden Sie auf der homepage www.kupoge.de.




2
Kultur und Politik                                                                                B 1.3

                                                             Strukturen und Prozesse in der Kulturpolitik




2.    Das Netzwerk Kulturpolitik
Im Kontext seiner modernisierungstheoretischen Überlegungen zur
Struktur und Entwicklung der politischen Institutionen hat Ulrich
Beck schon Anfang der 1990er Jahre empfohlen, die „Gleichsetzung
von Politik mit Staat, von Politik mit politischem System“ aufzugeben
und stattdessen die „Selbstorganisation des Politischen“ in den Blick
zu nehmen, „die – zumindest der Möglichkeit nach – viele, wenn nicht
alle Felder der Gesellschaft ›subpolitisch‹ in Bewegung versetzen
kann“1. Es komme darauf an, Politik jenseits der überkommenen
Strukturen und Akteure neu zu erfinden. Das Reformprojekt der Kul-
turpolitik könnte durchaus in diesem Sinne gelesen werden, zumal die
institutionellen und verfassungsrechtlichen Grundlagen nachgerade
dazu auffordern, Modernisierung so zu interpretieren. Sind nicht gera-
de in diesem Bereich aufgrund der Aktionsschwäche und der Selbst-
blockade des föderalistischen Systems viele
Reformimpulse von zivilgesellschaftlichen
Akteuren ausgegangen – von der starken
Rolle der Kommunen in der Kultur einmal
ganz abgesehen? Und spricht nicht schon der
„kulturelle Trägerpluralismus“2 als Struktur-
element des deutschen Kulturverfassungs-            Was bedeutet „kultureller Trägerpluralismus“?
rechtes dafür, Kulturpolitik nicht allein als
etatistisches Vorhaben und Kulturförderung          Kultureller Trägerpluralismus bedeutet, dass
nicht nur als staatsmäzenatisches Bemühen           private und öffentliche Träger grundsätzlich
zu begreifen?                                       „gleichrangig“ und „gleichwertig“ nebeneinander
                                                    stehen (Pappermann 1984: 5). Diese plurale
Wer die kulturpolitische Entwicklung auf-         Struktur – so wird argumentiert – führe zu einer
merksam verfolgt hat, wird mit Blick auf die      Vielfalt von Kulturleistungen sowie zu einem
institutionelle Verfassung des politischen Ge-    „freiheitlichen Klima“ für Kunst und Kultur und
meinwesens konstatieren können, dass Kul-         sichere auf diese Weise die Ausgestaltung der
turpolitik nicht nur aufgrund der föderalen       Kunstfreiheitsgarantie     des   Grundgesetzes
Kompetenzverteilung und ihrer dezentralen         strukturell. Es sind danach also nicht nur die
Verankerung, sondern auch angesichts unter-       staatlichen und kommunalen Institutionen, die
schiedlicher Ressortzuständigkeiten, der Dele-    im Sinne eines „kooperativen Kulturföderalis-
gation von Aufgaben an Mittlerorganisationen      mus“ zusammenwirken und sich gegenseitig
und intermediäre Instanzen etc. inzwischen ein    ergänzen und kontrollieren sollen; auch die
in hohem Maße fragmentiertes Gebilde ist.         nicht-staatlichen und freien Träger gehören im
Die Inhalte der kulturpolitischen Programme       Sinne einer (erweiterten) gesellschaftlichen
werden häufig von nicht-staatlichen Akteuren      Verantwortungsteilung zu diesem offenen Kul-
mitformuliert und kommuniziert. Und wer           tursystem (vgl. Häberle 1985: 26f.).
sich den Prozess der politischen Auseinan-
dersetzung und Meinungsbildung ansieht,
wird feststellen, dass auch hier Personen und
Organisationen der Zivilgesellschaft mittlerweile an Einfluss gewon-
nen haben (z. B. der Deutsche Kulturrat) und neue Verfahren der Inte-
ressenabstimmung, Konsensbildung, Kooperation und Koordination
mittlerweile üblich geworden sind3. Der Kulturbereich ist insofern
schon seit langem im Beck´schen Sinne subpolitisiert.




                                                                                                       3
B 1.3                                                                              Kultur und Politik

Strukturen und Prozesse in der Kulturpolitik




Bedeutungsgewinn                Im Rückblick auf die letzten drei Jahrzehnte des vergangenen Jahr-
zivilgesellschaftlicher         hunderts kann festgestellt werden, dass es in der Kulturpolitik einen
Akteure                         Perspektivenwechsel von einer eher etatistischen zu einer stärker plu-
                                ralistischen Konzeption gegeben hat. Vor allem in den 1990er Jahren
                                schien es, als hätte die Kulturpolitik ein neues Subjekt entdeckt – den
                                Bürger. Seitdem kommt kaum ein Beitrag, der sich mit den Aufgaben
                                dieses Politikbereichs auseinandersetzt, ohne den Hinweis darauf aus,
                                dass der Staat sich zurückzunehmen habe, wo die Bereitschaft zum
                                Engagement beim Bürger wachse. Er soll nicht mehr so viel selbst
                                machen, sondern im Sinne einer aktivierenden Entwicklungsagentur
                                die Rahmenbedingungen für Freiwilligenarbeit und Eigeninitiativen,
                                Mäzenatentum und Spendentätigkeit, kurz: für eine aktivere Bürger-
                                kultur verbessern. Damit geraten u. a. jene Institutionen und Agentu-
                                ren der Zivilgesellschaft in den Blick, die bürgerschaftliches Engage-
                                ment motivieren, bündeln und organisieren.

Kulturpolitik soll              Die Rede ist vom „Dritten Sektor“ und der für ihn charakteristischen
aktivieren                      „assoziativen Infrastruktur“ (also z. B. Vereine, Initiativen, z. T. auch
                                Stiftungen und Verbände), die bei der Bearbeitung konkreter Aufgaben
                                unentbehrlich geworden sind. Die Rede ist aber auch vom Staat, der
                                angesichts der eigenen Steuerungs- und Finanzierungsprobleme seine
                                Rolle neu definiert und neben seinen Funktionen als Interventions-
                                und Wohlfahrtsstaat aktivierende Kompetenzen für sich reklamiert
                                und seine Behörden als ›Ermöglichungsverwaltungen‹ profilieren
                                möchte. Die staatsfixierte Ein-Sektor-Perspektive, wonach es vor al-
                                lem öffentliche Institutionen sein müssen, die für die Produktion kul-
                                tureller Leistungen zuständig sind, wurde nach und nach zugunsten
                                einer differenzierten Sichtweise relativiert, in der auch der privat-
                                kommerzielle und der frei-gemeinnützige Sektor eine größere Rolle
                                spielen.

Netzwerk Kulturpolitik          Die ohnehin schon komplexe Akteurskonstellation im Kulturbereich
                                wird durch diese Entwicklung noch weiter ausdifferenziert und be-
                                gründet neue Anforderungen an die kulturpolitische Steuerung. Offen-
                                bar bekommt das interorganisatorische Beziehungsgeflecht der Kul-
                                turpolitik zunehmend mehr den Charakter eines ›Netzwerkes‹ oder
                                ›Mehr-Agenten-Systems‹, in dem die verschiedenen Akteure miteinan-
                                der verbunden sind und interagieren. Um die gewünschten synergeti-
                                sche Effekte und ein Optimum des Ressourceneinsatzes zu erreichen,
                                scheint die Kulturpolitik zunehmend darauf verwiesen zu sein, Einfluss
                                auf dieses Beziehungsgeflecht zu nehmen. Mit anderen Worten: Sie hat
                                es nicht mehr nur mit der Ausgestaltung von Rahmenbedingungen und
                                der Bereitstellung von Ressourcen zu tun, sondern auch mit der Berück-
                                sichtigung von Relationen im Netzwerk der Kulturpolitik. Dies setzt
                                jedoch andere Kompetenzen und ein anderes Denken voraus. Dabei sind
                                nicht nur die drei genannten Sektoren zu berücksichtigen, sondern
                                auch spezifische Funktionsgruppen, die im kulturpolitischen Produk-
                                tionsprozess eine wichtige Rolle spielen, wie z. B. das Feuilleton, die
                                Kulturinstitutionen und vor allem das Publikum (s. Abb. B 1.3-1).




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Dr. Norbert Sievers: Kulturpolitische Öffentlichkeiten herstellen

  • 1. Kultur und Politik B 1.3 Strukturen und Prozesse in der Kulturpolitik Kulturpolitische Öffentlichkeit(en) herstellen Voraussetzungen und Notwendigkeiten dargestellt am Beispiel der Kulturpolitischen Bundeskongresse Dr. Norbert Sievers Die große Anzahl der jährlich stattfindenden kulturpolitischen Tagungen und Veranstaltungen sind ein Indiz für die gewachsene Bedeutung dieses Politikfeldes in den letzten zwei Jahrzehnten. Die Diskursfreudigkeit in diesem Sektor ist ein Merkmal der entwickelten kulturpolitischen Öffent- lichkeit, in der zivilgesellschaftliche Akteure immer mehr den Ton angeben und dadurch eine ver- antwortungsvollere Rolle im Kommunikationsprozess Kulturpolitik übernehmen. Paradigmatisch dafür sind die Kulturpolitischen Bundeskongresse der Kulturpolitischen Gesellschaft. An ihnen lassen sich nicht nur die Strukturbesonderheiten des kulturpolitischen Feldes, sondern auch die Notwendigkeit und die Qualitätskriterien öffentlicher Debatten und Kongresse für deren Moderni- sierung diskutieren. Gliederung Seite 1. Die Kulturpolitischen Bundeskongresse 2 2. Das Netzwerk Kulturpolitik 3 3. Der kulturpolitische Diskurs als Modernisierungsfaktor 6 4. Kongresse im Kommunikationsprozess Kulturpolitik 8 4.1 Relevanz und Kompetenz 9 4.2 Kommunikation und Kontext 13 5. Schlussfolgerungen und Perspektiven 17 1
  • 2. B 1.3 Kultur und Politik Strukturen und Prozesse in der Kulturpolitik 1. Die Kulturpolitischen Bundeskongresse Die Durchführung der im zweijährigen Rhythmus stattfindenden kul- turpolitischen Bundeskongresse gehört zu den zentralen Aufgaben des Instituts für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft, das vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien finanziell gefördert wird. Es ist ihre Aufgabe, aktuell relevante Themen der Kul- turpolitik von bundesweiter Bedeutung öffentlich zu diskutieren und zu kommunizieren. Ihr Ziel ist, durch die Wahl der Themen und die Art der „Inszenierung“ Markierungen und Schwerpunkte in dem kul- turpolitischen Diskurs zu setzen, die eine gewisse Orientierungsfunk- tion haben. Gleichzeitig sollen die Kulturpolitischen Bundeskongresse Treffpunkte sein, um die Akteure der unterschiedlichen kulturpoliti- schen (Entscheidungs-)Ebenen und Kontexte zusammenzubringen und ihnen ein Forum zu geben. Akteuren der Die ersten drei Bundeskongresse „kunst.macht.kulturpolitik.“ (2001), Kulturpolitik „inter.kultur.politik.“ (2003) und „publikum.macht.kultur.“ (2005) ein Forum geben haben diese Erwartungen erfüllt. Mit jeweils ca. 400 bis 500 Teilneh- mern waren sie sehr gut besucht und das Echo in den Medien war insgesamt sehr positiv, so dass gesagt werden kann, es ist gelungen, dem Selbstanspruch gerecht zu werden und die Marke „Kulturpoliti- scher Bundeskongress“ erfolgreich in der kulturpolitischen Öffent- lichkeit zu platzieren. Mit dem vierten Kulturpolitischen Bundeskon- gress „kultur.macht.europa. – europa.macht.kultur. Bedingungen und Perspektiven europäischer Kulturpolitik“ im Kontext der EU- Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 wird eine neue Heraus- forderung angenommen, indem die europäische Bühne betreten wird. Die Kulturpolitischen Bundeskongresse werden federführend vom Institut für Kulturpolitik geplant und durchgeführt. Die Mitarbeiter des Instituts können dabei zurückgreifen auf Ressourcen der Kulturpo- litischen Gesellschaft (Kompetenz, Verbindungen, Erfahrungen), die in der kulturpolitischen Öffentlichkeit ein eingeführter und bekannter Akteur und Tagungsveranstalter ist. Als enger Kooperationspartner und Mitveranstalter konnte die Bundeszentrale für politische Bildung gewonnen werden. Ferner ist die Friedrich-Ebert-Stiftung (Forum Berlin) im Jahr 2007 (wie bereits 2001 und 2005) wieder als Koopera- tionspartner mit von der Partie. Darüber hinaus werden für die einzel- nen Kongresse jeweils spezifische Veranstaltungs- und Medienpartner und Förderer angesprochen und einbezogen. Wer ist die Kulturpolitische Gesellschaft e. V.? Die Kulturpolitische Gesellschaft ist eine parteiübergreifende, unabhängige Vereinigung von ca. 1400 Personen und 130 Korporationen, die seit dreißig Jahren mit Tagungen und Publikationen den kulturpolitischen Diskurs prägt und sich als Entwicklungsagentur für eine demokratische Kulturpolitik ver- steht. Weitere Informationen finden Sie auf der homepage www.kupoge.de. 2
  • 3. Kultur und Politik B 1.3 Strukturen und Prozesse in der Kulturpolitik 2. Das Netzwerk Kulturpolitik Im Kontext seiner modernisierungstheoretischen Überlegungen zur Struktur und Entwicklung der politischen Institutionen hat Ulrich Beck schon Anfang der 1990er Jahre empfohlen, die „Gleichsetzung von Politik mit Staat, von Politik mit politischem System“ aufzugeben und stattdessen die „Selbstorganisation des Politischen“ in den Blick zu nehmen, „die – zumindest der Möglichkeit nach – viele, wenn nicht alle Felder der Gesellschaft ›subpolitisch‹ in Bewegung versetzen kann“1. Es komme darauf an, Politik jenseits der überkommenen Strukturen und Akteure neu zu erfinden. Das Reformprojekt der Kul- turpolitik könnte durchaus in diesem Sinne gelesen werden, zumal die institutionellen und verfassungsrechtlichen Grundlagen nachgerade dazu auffordern, Modernisierung so zu interpretieren. Sind nicht gera- de in diesem Bereich aufgrund der Aktionsschwäche und der Selbst- blockade des föderalistischen Systems viele Reformimpulse von zivilgesellschaftlichen Akteuren ausgegangen – von der starken Rolle der Kommunen in der Kultur einmal ganz abgesehen? Und spricht nicht schon der „kulturelle Trägerpluralismus“2 als Struktur- element des deutschen Kulturverfassungs- Was bedeutet „kultureller Trägerpluralismus“? rechtes dafür, Kulturpolitik nicht allein als etatistisches Vorhaben und Kulturförderung Kultureller Trägerpluralismus bedeutet, dass nicht nur als staatsmäzenatisches Bemühen private und öffentliche Träger grundsätzlich zu begreifen? „gleichrangig“ und „gleichwertig“ nebeneinander stehen (Pappermann 1984: 5). Diese plurale Wer die kulturpolitische Entwicklung auf- Struktur – so wird argumentiert – führe zu einer merksam verfolgt hat, wird mit Blick auf die Vielfalt von Kulturleistungen sowie zu einem institutionelle Verfassung des politischen Ge- „freiheitlichen Klima“ für Kunst und Kultur und meinwesens konstatieren können, dass Kul- sichere auf diese Weise die Ausgestaltung der turpolitik nicht nur aufgrund der föderalen Kunstfreiheitsgarantie des Grundgesetzes Kompetenzverteilung und ihrer dezentralen strukturell. Es sind danach also nicht nur die Verankerung, sondern auch angesichts unter- staatlichen und kommunalen Institutionen, die schiedlicher Ressortzuständigkeiten, der Dele- im Sinne eines „kooperativen Kulturföderalis- gation von Aufgaben an Mittlerorganisationen mus“ zusammenwirken und sich gegenseitig und intermediäre Instanzen etc. inzwischen ein ergänzen und kontrollieren sollen; auch die in hohem Maße fragmentiertes Gebilde ist. nicht-staatlichen und freien Träger gehören im Die Inhalte der kulturpolitischen Programme Sinne einer (erweiterten) gesellschaftlichen werden häufig von nicht-staatlichen Akteuren Verantwortungsteilung zu diesem offenen Kul- mitformuliert und kommuniziert. Und wer tursystem (vgl. Häberle 1985: 26f.). sich den Prozess der politischen Auseinan- dersetzung und Meinungsbildung ansieht, wird feststellen, dass auch hier Personen und Organisationen der Zivilgesellschaft mittlerweile an Einfluss gewon- nen haben (z. B. der Deutsche Kulturrat) und neue Verfahren der Inte- ressenabstimmung, Konsensbildung, Kooperation und Koordination mittlerweile üblich geworden sind3. Der Kulturbereich ist insofern schon seit langem im Beck´schen Sinne subpolitisiert. 3
  • 4. B 1.3 Kultur und Politik Strukturen und Prozesse in der Kulturpolitik Bedeutungsgewinn Im Rückblick auf die letzten drei Jahrzehnte des vergangenen Jahr- zivilgesellschaftlicher hunderts kann festgestellt werden, dass es in der Kulturpolitik einen Akteure Perspektivenwechsel von einer eher etatistischen zu einer stärker plu- ralistischen Konzeption gegeben hat. Vor allem in den 1990er Jahren schien es, als hätte die Kulturpolitik ein neues Subjekt entdeckt – den Bürger. Seitdem kommt kaum ein Beitrag, der sich mit den Aufgaben dieses Politikbereichs auseinandersetzt, ohne den Hinweis darauf aus, dass der Staat sich zurückzunehmen habe, wo die Bereitschaft zum Engagement beim Bürger wachse. Er soll nicht mehr so viel selbst machen, sondern im Sinne einer aktivierenden Entwicklungsagentur die Rahmenbedingungen für Freiwilligenarbeit und Eigeninitiativen, Mäzenatentum und Spendentätigkeit, kurz: für eine aktivere Bürger- kultur verbessern. Damit geraten u. a. jene Institutionen und Agentu- ren der Zivilgesellschaft in den Blick, die bürgerschaftliches Engage- ment motivieren, bündeln und organisieren. Kulturpolitik soll Die Rede ist vom „Dritten Sektor“ und der für ihn charakteristischen aktivieren „assoziativen Infrastruktur“ (also z. B. Vereine, Initiativen, z. T. auch Stiftungen und Verbände), die bei der Bearbeitung konkreter Aufgaben unentbehrlich geworden sind. Die Rede ist aber auch vom Staat, der angesichts der eigenen Steuerungs- und Finanzierungsprobleme seine Rolle neu definiert und neben seinen Funktionen als Interventions- und Wohlfahrtsstaat aktivierende Kompetenzen für sich reklamiert und seine Behörden als ›Ermöglichungsverwaltungen‹ profilieren möchte. Die staatsfixierte Ein-Sektor-Perspektive, wonach es vor al- lem öffentliche Institutionen sein müssen, die für die Produktion kul- tureller Leistungen zuständig sind, wurde nach und nach zugunsten einer differenzierten Sichtweise relativiert, in der auch der privat- kommerzielle und der frei-gemeinnützige Sektor eine größere Rolle spielen. Netzwerk Kulturpolitik Die ohnehin schon komplexe Akteurskonstellation im Kulturbereich wird durch diese Entwicklung noch weiter ausdifferenziert und be- gründet neue Anforderungen an die kulturpolitische Steuerung. Offen- bar bekommt das interorganisatorische Beziehungsgeflecht der Kul- turpolitik zunehmend mehr den Charakter eines ›Netzwerkes‹ oder ›Mehr-Agenten-Systems‹, in dem die verschiedenen Akteure miteinan- der verbunden sind und interagieren. Um die gewünschten synergeti- sche Effekte und ein Optimum des Ressourceneinsatzes zu erreichen, scheint die Kulturpolitik zunehmend darauf verwiesen zu sein, Einfluss auf dieses Beziehungsgeflecht zu nehmen. Mit anderen Worten: Sie hat es nicht mehr nur mit der Ausgestaltung von Rahmenbedingungen und der Bereitstellung von Ressourcen zu tun, sondern auch mit der Berück- sichtigung von Relationen im Netzwerk der Kulturpolitik. Dies setzt jedoch andere Kompetenzen und ein anderes Denken voraus. Dabei sind nicht nur die drei genannten Sektoren zu berücksichtigen, sondern auch spezifische Funktionsgruppen, die im kulturpolitischen Produk- tionsprozess eine wichtige Rolle spielen, wie z. B. das Feuilleton, die Kulturinstitutionen und vor allem das Publikum (s. Abb. B 1.3-1). 4