Dr. Susanne Keuchel: Kulturmarketing für ältere Zielgruppen
1. Marketing, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit H 2.9
Marketingkonzepte
Kulturmarketing für ältere Zielgruppen
Aktuelle Erkenntnisse aus dem „KulturBarometer 50+“ –
Zwischen Bach und Blues ...
Dr. Susanne Keuchel
Für Kulturveranstalter ist es oftmals nicht einfach, ein zielgruppengerechtes Marketing für die „Gene-
ration 50+“ zu entwickeln, weil der analytische Blick auf ältere Menschen durch zahlreiche Klischees
verstellt ist. Auf Basis einer aktuellen repräsentativen Bevölkerungsumfrage, dem „KulturBarometer
50+“, werden Kulturmarketingstrategien und Empfehlungen für die Kulturpolitik zur effektiven An-
sprache dieser Zielgruppe herausgearbeitet. Ausgangspunkt bildet dabei eine Typologie unterschiedli-
cher kultureller Verhaltensstile in der „Generation 50+“. Darüber hinaus werden Chancen und Her-
ausforderungen für Kulturinstitutionen im Umgang mit älteren Menschen diskutiert.
Gliederung Seite
1. Einführung 2
2. Warum ist 50+ eine attraktive Zielgruppe? 2
3. 50+ verlangt Differenzierung – eine aktuelle Typologie 3
4. Marketingstrategien für „Erlebnisorientierte Aktive“ 5
4.1 Kulturinteressen zwischen Klassik und Pop 6
4.2 Attraktive Angebotsformate – Events Spaß und Aktion 8
4.3 Öffentlichkeitsarbeit und Ticketing 10
5. Marketingstrategien für „Kulturell Aktive“ 11
5.1 Kulturinteressen zwischen Klassik und Brauchtum 11
5.2 Attraktive Angebotsformate – traditionell und gesellig 11
5.3 Öffentlichkeitsarbeit und Ticketing 13
6. Kulturpolitische Empfehlungen für „Passive Ältere“ 13
6.1 Kulturelle Interessen ansprechen reicht nicht aus 14
6.2 Serviceorientierung und Geselligkeit stehen im Vordergrund 14
6.3 Mehr Nähe bei Öffentlichkeitsarbeit und Ticketing 16
7. Fazit und Trends zur Zielgruppe 50+:
Neue Chancen für das Kulturmarketing 17
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2. H 2.9 Marketing, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Marketingkonzepte
1. Einführung
Hintergrund Beim „KulturBarometer 50+“ handelt es sich um eine Spezialerhe-
„KulturBarometer 50+“ bung der KulturBarometer-Reihe des Zentrums für Kulturforschung,
in der seit 1991 mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bil-
dung und Forschung in regelmäßigen Abständen repräsentative Be-
völkerungsumfragen in Deutschland zu kulturellen Themen, den kul-
turellen Interessen, dem Verhalten und den Einstellungen der Bevölke-
rung durchgeführt werden. Die erste Spezialerhebung innerhalb dieser
Reihe, das Jugend-KulturBarometer 2004, richtete sich an eine ju-
gendliche Zielgruppe. 2007 wurde die ältere Bevölkerung ab 50 Jahre
im Detail analysiert. Insgesamt wurden in der vorliegenden repräsen-
tativen Umfrage 2000 Bundesbürger ab 50 Jahre befragt.
2. Warum ist 50+ eine attraktive Zielgruppe?
Nicht zuletzt wegen der stetig verbesserten
medizinischen Versorgung finden wir heute in
Deutschland einen wachsenden Anteil mobi-
ler und vitaler älterer Menschen, die zudem
vergleichsweise finanzkräftig sind.
Nachdem die Markt- und Werbeforschung bereits Dass der Anteil dieser Bevölkerungsgruppe
vor Jahren die „Generation 50plus“ als neue, viel steigt, ist nicht nur auf die längere Lebenser-
versprechende Ziel- und Absatzgruppe für sich wartung zurückzuführen, sondern auch auf
entdeckt hat, muss sich auch im öffentlich geför- die sinkende Geburtenrate. Den Vorausbe-
derten Kulturbereich die Erkenntnis durchsetzen, rechnungen des Statistischen Bundesamts
dass diese stetig wachsende Altersgruppe sys- nach wird in 13 Jahren mehr als die Hälfte der
tematisch zu berücksichtigen ist. deutschen Bevölkerung über 50 Jahre alt sein.
United Nations Population Division rechnet
bis 2050 in Deutschland mit einem Anstieg
der 60-Jährigen und Älteren auf 38 % der
Gesamtbevölkerung.
Größte Schon heute stellen die Senioren für viele klassische Kulturangebote
Publikumsgruppe das größte Publikum. Notwendig ist daher eine intensive Auseinander-
klassischer Angebote setzung mit den Interessen der Älteren und – ihr weiteres Wachstum
vorausgesetzt – ein Ausbau der Angebotsstruktur zu altersadäquaten
Formaten, die nicht nur das bisherige Publikum differenziert bedienen,
sondern auch weitere Teile der Bevölkerung jenseits der 50 oder 60
motivieren, am kulturellen Geschehen teilzunehmen.
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3. Marketing, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit H 2.9
Marketingkonzepte
3. 50+ verlangt Differenzierung –
eine aktuelle Typologie
Bei der Entwicklung des „KulturBarometer 50+“ war es ein zentrales Sinus-Studie:
Anliegen, Wissens- und Forschungslücken bezüglich des Kulturver- neun Lebensstiltypen
haltens und der Einstellungen älterer Menschen zu schließen. Ziel war
es dabei, „die Alten“ nicht als homogene Gruppe zu betrachten, son-
dern sie vielmehr in ihrer ganzen Differenziertheit zu erfassen. Das
„KulturBarometer 50+“ verdeutlicht, dass es sich bei der „Generation
50+“ um keine homogene Gruppe handelt; vielmehr unterscheiden
sich einzelne Teilgruppen sowohl in ihren Lebensumständen als auch
in ihren Einstellungen zum Teil deutlich voneinander. Aktuelle empiri-
sche Studien aus der Altenforschung bestätigen eine Vielfalt von Le-
bensstiltypen und Unterschieden der Einstellungen unter älteren Men-
schen. Die Sinus-Studie „Lebenswelten 50plus“ kommt allein auf
neun verschiedene Lebensstiltypen. Daraus ergeben sich wiederum
Konsequenzen für die Nutzung kultureller Angebote und anderer Kul-
turaktivitäten, die pauschale Empfehlungen für mehr kulturelle Teil-
habe im Alter wenig sinnvoll machen würden.
Es lässt sich ein deutlicher Bruch in den Aktivitäten und Einstellungen
der 50- bis 59-Jährigen und denen der älteren Bevölkerung ab etwa 60
Jahren sowie verstärkt ab ca. 70 Jahren beobachten, der nicht allein
auf die berufliche Einbindung und die aktuelle Lebenssituation zu-
rückzuführen ist.
Entgegen anderen empirischen Studien sind es im „KulturBarometer Erlebnisorientierte
50+“ nicht die sogenannten „68er“, die neue Impulse setzen und ju- Aktive
gendorientierter agieren. Hier sind es die 50- bis 59-Jährigen, die sich
in ihrer Einstellung, aber auch in ihren soziodemographischen Merk-
malen deutlich von den Älteren der Generation 50+ unterscheiden. So
ist diese Gruppe aktiver im Umgang mit Neuem wie etwa Neuen Me-
dien oder Prozessen des lebenslangen Lernens, sie sind ungebundener
in ihren Beziehungen, lösen sich aus herkömmlichen Familienmustern
und weisen verstärkt entsprechende soziale Merkmale auf – wie eine
geringere Zahl von Kindern und Enkelkindern, häufigere Scheidungen
oder eine höhere Schulbildung. Sie werden zudem durch gesellschaft-
liche Prozesse in besonderer Weise geprägt, die sie nicht mehr selbst
steuern können, wie die angespannte Arbeitsmarktlage oder die zu-
nehmende Beeinflussung der Gesellschaft durch Migrationsprozesse.
In Anlehnung an eine Typologie von Emnid („Die Best Ager“) wird
diese Gruppe im Folgenden auch als die „Erlebnisorientierten Akti-
ven“ bezeichnet.
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4. H 2.9 Marketing, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Marketingkonzepte
Erlebnisorientierte Aktive Kulturell Aktive Passive Ältere
(oft 50 bis 59 J.) (oft 60 bis 69 J.) (oft 70 J. u. älter)
• höhere Schulabschlüsse • niedrige Schulabschlüsse
• schwächer ausgeprägte fami- • starke familiäre Bindungen
liäre Bindungen, weniger Kin- (jedoch altersbedingt oft
der/Enkelk., höhere Schei- Wegfall von Partner und
dungsrate Freunden)
• im Berufsleben stehend • gesundheitliche Einschrän-
• unabhängige Wohnverhält- kungen
nisse • Zunahme betreuter Wohn-
• mehr Singles • gesundheitlich kaum Ein- verhältnisse
schränkungen (aufgrund • mehr Verwitwete
• offen für (Weiter-)Bildung besserer medizinischer
• Umgang mit Neuen Medien Versorgung) • wenig Interesse an Weiter-
bildung
• Umgang mit jungen Men-
schen • kein Umgang mit Neuen
Medien
• höhere Erwerbslosenquote,
Lücken in der Erwerbsbiogra- • wenig Umgang mit jungen
phie (Gefahr von Altersarmut Menschen (Enkel oftmals
im Rentenalter) zugunsten beruflicher Flexi-
bilität in entfernten Städten
• beginnende „Multikulturalität“
lebend)
(Zunahme von Bürgern mit
Herkunft aus nicht europäi-
schen Kulturkreisen)
Tab. H 2.9-1 Zusammenfassung soziodemographischer und gesellschaftlicher
Merkmale einzelner Altersgruppen der Bevölkerung 50+
Kulturell Aktive Zu der Gruppe der so genannten 68er-Generation zählen die Jahrgänge
1940 bis 1950, damit also eher die 60- bis 69-Jährigen: Eigentlich geht
es dabei aber nur um eine relativ kleine Zahl von in den 60er Jahren
engagierten Studierenden oder Jugendlichen, damit also nur um einen
Ausschnitt aus der Gruppe der 60- bis 69-Jährigen, der sich statistisch
kaum bemerkbar machen kann. Selbst wenn bei den 60- bis 69-
Jährigen im „KulturBarometer 50+“ schon Ansätze zu Merkmalen und
Verhaltensweisen nachweisbar sind, die jenen der 50- bis 59-Jährigen
ähnlich sind, so ist doch eher zu vermuten, dass hier vielleicht die so
genannten 68er als eine Art von „peer-group“ wirkten, die den Weg
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