Moritz Loock: Das Kulturprozent der Migros. Eine Ausnahmeerscheinung der privaten Kulturförderung
Best Practice J 2.3
Fallstudien aus dem Ausland
Das Kulturprozent der Migros
Eine Ausnahmeerscheinung der privaten Kulturförderung
Moritz Loock
Das Kulturprozent des Schweizer Handelsunternehmens Migros besteht seit 1957 und ist nach wie
vor einzigartig. Vom Gründer der Migros, Gottlieb Duttweiler, in den Statuten festgeschrieben steht
kulturelles und soziales Engagement seitdem gleichberechtigt neben wirtschaftlichen Zielen. Damit
das kein Lippenbekenntnis bleibt, gilt: Ein prozentualer Anteil des Umsatzes des Migros-
Genossenschafts-Bundes und der regionalen Genossenschaften ist zur Förderung der Bereiche Kul-
tur, Bildung, Soziales, Freizeit/Sport und Wirtschaftspolitik jährlich zu investieren. Im Jahre 2007
beläuft sich der Etat auf über 110 Mio CHF. Dieses „Kulturprozent“ der Migros ist damit in Struk-
tur und Höhe eine Ausnahmeerscheinung in der unternehmerischen Kulturförderung. Was aber ist
das Kulturprozent genau? Wie funktioniert es, was wird gefördert und welche Rückschlüsse lassen
sich aus den Betrachtungen für die eigene Kulturarbeit und Kulturförderung ziehen?
Gliederung Seite
1. 50 Jahre Kulturprozent 2
2. Die Migros: Das Schweizer Handelsunternehmen 2
3. Die Idee für das Kulturprozent 4
4. Das Kulturprozent im Überblick 6
4.1 Facts and Figures 6
4.2 Förderschwerpunkte im Kulturprozent 8
4.2.1 Kultur 8
4.2.2 Soziales 9
4.2.3 Bildung 9
4.2.4 Freizeit und Sport 9
4.2.5 Wirtschaftspolitik 9
4.2.6 Formen der Förderung 10
4.3 Herausforderungen 10
4.3.1 Herausforderung 1: Die dezentrale Struktur 10
4.3.2 Herausforderung 2: Kulturprozent oder Sponsoring 11
4.3.3 Herausforderung 3: Transparenz und Qualität der Kulturförderung 11
5. Fragen zum Kulturprozent 12
6. Das Kulturprozent: Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken 14
7. Was können andere Unternehmen vom Migros-Kulturprozent lernen? 17
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1. 50 Jahre Kulturprozent
Herzstück der verschiedenen Aktivitäten und Projekte zum Jubiläum
des Migros-Kulturprozent ist „myculture.ch“ – ein Talentwettbewerb,
in dem aus der gesamten Schweiz Jugendliche aus unterschiedlichen
Kulturbereichen teilnehmen. Von einer Jury werden 60 junge Men-
schen zwischen 14- und 20 Jahren ausgewählt, um in drei verschiede-
nen Projektgruppen drei verschiedene Projekte zu erarbeiten.
www.myculture.ch Das Ergebnis sind drei Shows: „Veraduig guet, alles guet“, „Smoking/
Non Smoking“ und „Lebensszenen – Szeneleben“. Ihr gemeinsamer
rote Faden ist die künstlerische Auseinandersetzung mit der schweize-
rischen Konsumgesellschaft. Sie verkörpern damit so etwas wie die
Idealvorstellung der Migros-Kulturförderung: eine Vermittlung zwi-
schen Konsum, Kultur und Gesellschaft.
2. Die Migros: Das Schweizer
Handelsunternehmen
www.migros.ch Will man das Kulturprozent verstehen, muss man die Migros kennen.
In der Schweiz ist jede Bürgerin und jeder Bürger vertraut mit der
Migros. Der Migros-Schriftzug ist im Straßenbild allgegenwärtig,
Migros-Verkaufsflächen und Migros-Produkte sind in jedem Winkel
der Schweiz zu finden. Die Migros ist landesweit die größte Arbeitge-
berin mit nahezu 80.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie gehört
mit einem Gruppen-Umsatz von 20.644 Mio CHF (2006) zu den gro-
ßen europäischen Handelsunternehmen, befindet sich bei der Profita-
bilität mit einem EBIT von 3,1 % des Gruppen-Umsatzes aber eher im
europäischen Mittelfeld.
Das Reputation Institute New York hat in einer internationalen Studie
die Migros als das Schweizer Unternehmen mit der besten Reputation
identifiziert und es weltweit vor Firmen wie Nokia oder Walt Disney
auf Platz 15 eingeordnet.1
Neben dem Migros-Kerngeschäft, dem Einzelhandel, ist die Unter-
nehmens-Gruppe wirtschaftlich vielfältig aktiv. So gehören ihr im
Detailhandel beispielsweise Handelsformate wie interio, Globus, ex-
libris und seit kurzem auch Denner an. Die Herstellung von Eigen-
marken erfolgt in zum Teil der Migros zugehörigen Herstellerberie-
ben. Auch Tourismusbetriebe (z. B. hotelplan), Großhandels-Formate
und weitere Dienstleister (z. B. die Migros-Bank) sind Bestandteil der
Unternehmensgruppe.
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Die Migros wurde 1925 zunächst als AG gegründet und ist seit 1941
eine Genossenschaft. Der Geschäftsbericht für das Jahr 2006 gibt de-
tailliert Auskunft über die Unternehmensstruktur: „Unter der Firma
Migros-Genossenschafts-Bund (MGB) besteht ein Genossenschafts-
verband. Der MGB, die ihm angeschlossenen regionalen Migros-
Genossenschaften und die ihm gehörenden Unternehmungen sowie
die Migros-Stiftungen bilden zusammen die Migros-Gemeinschaft.
Alle Kunden mit Wohnsitz im Wirtschaftsgebiet einer Genossenschaft
können Genossenschafter und damit Mit-Eigentümer der Migros wer-
den. Heute gibt es zehn regionale Genossenschaften [mit nahezu 2
Mio. Mitgliedern], welche das Genossenschaftskapital des Migros-
Genossenschafts-Bundes besitzen. (...) Der Migros-Genossenschafts-
Bund koordiniert die Aktivitäten der Migros-Gemeinschaft und legt
die Strategie der Migros fest.“2
Merke
Warum das Image gerade für die Migros so wichtig ist
Die Migros ist bekannt für einen hohen Grad an „vertikaler Integrati-
on“. Denn sie ist nicht nur Händler, sondern bedient von der Produkti-
on bis zum Endverbraucher große Teile der Distributionskette unter-
nehmensintern. Ablesbar ist dies an einem hohem Anteil von Eigen-
marken im Migros-Sortiment. Bei der Migros kauft man keine Schoko-
lade von Milka oder Gubor, sondern Schokolade der Migros. Das
Image beim Kunden ist deshalb für die Migros auch im Hinblick auf
ihre Sortimentgestaltung außerordentlich wichtig.
Ein zentrales Kennzeichen der Migros ist die Migros-eigene Unter- „In der modernen Welt
nehmenskultur, die auf ihren Gründer Gottlieb Duttweiler zurückgeht. wird der Erfolg jenen
Prominente und oft angeführte Beispiele für diese Unternehmenskul- gehören, die es verste-
tur sind, dass die Migros keinen Alkohol verkauft oder dass sogenann- hen, um ihr Unterneh-
te „codes of conduct“ beschaffungsseitig den Umgang mit ethischen men herum eine Ideen-
Grundsätzen u. a. in der Produktion regeln. welt aufzubauen.“
(Gottlieb Duttweiler)
Duttweiler war die Unternehmenskultur ein besonderes Anliegen,
welches er über die Unternehmensgrenzen hinaus vor allem auch im
Sinne einer weitreichenden Corporate Social Responsibility verstand.
In Reinform kommt dies u. a. in seinen 1950 veröffentlichen 15 The-
sen zum Ausdruck. Dort heißt es: „Das Allgemeininteresse muss höher
gestellt werden als das Migros-Genossenschafts-Interesse.“
Zusammenfassend lässt sich die Migros vielleicht am besten als er-
folgsorientiertes Handelsunternehmen beschreiben, welches in der
Fortsetzung der eigenen Tradition nicht nur eng mit der Gesellschaft
verflochten ist, sondern auch die damit verbundenen Verpflichtungen
gegenüber Kunden, Mitarbeitern, Genossenschaftlern und übrigen
Anspruchsgruppen durchaus zu gestalten und zu nutzen weiß. Viel-
leicht ist die Migros auch deswegen so typisch für die Schweiz.
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3. Die Idee für das Kulturprozent
„Im MGB stehen die Die Kultur-Förderaktivitäten der Migros beginnen zwar schon vorher,
kulturellen, sozialen und das Kulturprozent wird aber erst im Jahr 1957 in einem Vertrag zwi-
wirtschaftspolitischen schen dem Migros-Genossenschafts-Bund und den ihm angeschlosse-
Zielsetzungen gleichbe- nen Mitglieds-Genossenschaften in den Statuten verankert. Jeweils ein
rechtigt neben den wirt- Teil des Umsatzes vom Migros-Genossenschafts-Bund und des Um-
schaftlichen Zielen.“ satzes der regionalen Genossenschaften ist dabei zur Ausgabe im so-
(www.kulturprozent.ch) genannten Kulturprozent festgeschrieben.
Gottlieb Duttweilers Philosophie, dass das kulturelle und soziale En-
gagement eines Unternehmen mit den wirtschaftlichen Zielen gleich-
berechtigt sein müsse, ist für die Migros-Geschäftsführung noch heute
bindend. Die Selbstverpflichtung einen festen Prozentsatz des jährli-
chen erreichten Umsatzes für ein solches Engagement aufzubringen,
macht deutlich, wie ernst es ihm um dieses Anliegen war und wie
ernst es der Migros auch noch heute damit ist.
Über allem stand für Gottlieb Duttweiler eine zentrale – und durchaus
simple – These: Ein Unternehmen, das sich kulturell und sozial enga-
giert, prosperiert auch wirtschaftlich.
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