INTERNET
Die Kraft
der Klicks
SUSANNAH IRELAND / EYEVINE / PICTURE PRESS
Mit dem Online-Portal Change.org
schuf Ben Rattray ein soziales
Netzwerk für Gutmenschen – und
machte aus der Plattform ein
florierendes globales Geschäft.
E
BALD
r trägt Dreitagebart und das dunkle
Haar cool geschoren, ganz wie auf
seinem Foto in der „New York
Times“-Liste der begehrenswertesten
Junggesellen im Silicon Valley. Ben Rattray, 32, mag ein Internet-Freak sein wie
Mark Zuckerberg. Anders als der scheue
Facebook-Gründer sieht Rattray aber aus,
als wäre er schon vor seiner ersten Million zu jeder Party eingeladen worden.
Seine Programmierer arbeiten in einem hellen Büroloft mitten in San Francisco an einem sozialen Netzwerk für
Gutmenschen: Change.org bietet sozialen
Aktivisten eine Online-Plattform. „Time“
kürte Rattray zu einem der einflussreichsten Menschen der Welt.
Rattray klickt seine Website an, auf der
drei simple Fragen erscheinen: „An wen
soll sich die Petition richten? Was soll diese Organisation oder Person tun? Warum
ist Ihre Petition wichtig?“ Jeder Nutzer
kann seinen Appell kostenlos posten, solange dieser nicht zu Gewalt oder Hass
aufruft. So soll per Mausklick gesellschaftlicher Wandel beginnen – wie ihn Molly
Katchpole erreichte, deren Foto neben
Rattrays Schreibtisch hängt.
Die junge Frau ärgerte sich im vergangenen Jahr darüber, dass die Bank of
America fünf Dollar pro Monat zu verlangen begann, bloß damit Kunden ihre
Bankkarte nutzen können. Sie veröffentlichte eine Petition an die Bank, die
Gebühr zu kippen, bald hatten 300 000
weitere Kunden unterschrieben und über
soziale Netzwerke ihren Frust verbreitet. Die Bank of America knickte
rasch ein.
„Unsere Plattform gibt Leuten mehr
Macht als je zuvor“, sagt Rattray, der
ursprünglich Investmentbanker werden wollte und Wirtschaft in Stanford
studiert hatte. Doch als seinen Bruder
die gemischten Reaktionen auf dessen
homosexuelles Coming-out beinahe
verzweifeln ließen, kam Rattray sein
kapitalistischer Karriereplan auf einmal seicht vor. Er gründete Diskussionsgruppen, wie soziales Engagement im 21. Jahrhundert aussehen
könnte. Daraus entstand 2007 die Idee
für Change.org.
langten sie, keine magersüchtigen Models mehr abzubilden;
oder von US-Richtern, einen
Mann in Virginia zu verurteilen,
der seinen kleinen Hund vom
Balkon geschleudert hatte.
Und als im Februar in Florida
der hellhäutige George Zimmerman den unbewaffneten schwarzen Jungen Trayvon Martin erschoss, überzeugten Change.orgMitarbeiter Martins Eltern, einen
Appell zu posten: „Klagen Sie
den Mörder unseres 17 Jahre
alten Sohnes Trayvon Martin
an“, lautete die Botschaft. Mehr
als zwei Millionen Menschen unterstützten ihr Anliegen binnen
wenigen Tagen online. Todesschütze Zimmerman landete
vor Gericht.
Internetexperten erkennen solche Erfolge an, zweifeln aber an
der Nachhaltigkeit virtueller Protestnetzwerke. „Sie wirken nur
effektiv im Verbund mit traditionellem Aktivismus“, sagte Jillian
York von der Electronic Frontier Foundation der „New York Times“. Digitale Unterschriften allein seien zu flüchtig, um
dauerhafte Veränderungen auszulösen.
Rattray aber glaubt an die Kraft der
Klicks. Er berichtet von einer lesbischen
Frau in Südafrika, deren Freundin von
Männern vergewaltigt wurde, die ihre
Neigung „heilen“ wollten. Die Frau
loggte sich in einem Internetcafé bei
Change. org ein und forderte in einer
Online-Petition härtere Gesetze gegen so
brutale Verbrechen. Über 170 000 Menschen aus aller Welt unterschrieben, so
viele, dass die Server der südafrikanischen Regierung kollabierten – worauf
deren Vertreter die verlangte Gesetzesänderung einleiteten.
Die vielen Klicks zahlen sich aber auch
für Rattray aus, Change.org ist nämlich
keineswegs gemeinnützig. Rund 15 Millionen Dollar im Jahr zahlen Kunden wie
Greenpeace oder Amnesty International,
um etwa für Spendenaufrufe Zugang zu
der riesigen E-Mail-Datenbank des Unternehmens zu erhalten.
Rattray mag nicht ausschließen, künftig
sogar Honorar von umstrittenen Großkonzernen anzunehmen, „wenn sie ein gutes
Projekt anstoßen wollen“. Er klingt auch
ähnlich geschäftstüchtig wie Facebooks
Zuckerberg, wenn er über globale Expansionspläne spricht. Seine Seite, so Rattray,
solle weltweit eine Marke für Online-Aktivisten werden wie Amazon für Buchbestellungen.
Das würde den Marktwert von Change.
org weiter steigern, sollte es doch einmal
zum Börsengang kommen. Rattray sagt:
„Ich sehe mich als sozialen Aktivisten –
und als Unternehmer.“
Gründer Rattray: „Mehr Macht als je zuvor“
Dass das Netz auch und gerade für soziale, ethische und moralische Themen
eine ideale Mobilisierungsplattform ist,
haben auch andere erkannt, teils sogar
früher: Schon 2004 gründeten einige
Deutsche in Verden an der Aller die Kampagnenplattform Campact, der amerikanische Vorläufer MoveOn.org stammt aus
dem Jahr 1998. Und der Bundestag bringt
gerade sein überarbeitetes Petitionsportal
auf den Weg.
Doch niemand machte aus der Idee ein
vergleichbar florierendes, globales Geschäft: Rattray zählt heute 145 Mitarbeiter
und mehr als 17 Millionen Nutzer, die bislang nach eigenen Angaben 230 000 Petitionen posteten. 18 Auslandsbüros existieren bereits, darunter eines in Berlin.
Change.org-Nutzer forderten, die Pussy-Riot-Aktivistinnen freizulassen; von
den Herausgebern der „Teen Vogue“ ver-
Mobilisierte Masse
Ausgewählte Petitionen bei change.org
Frühjahr 2012
Strafverfolgung von George Zimmerman,
dem mutmaßlichen Mörder
des 17-jährigen Trayvon Martin
(1,5 Millionen)
Unterzeichner
2278000
Herbst 2011
Abschaffung einer 5-DollarKontogebühr der Bank of America
Unterzeichner
307000
Frühjahr 2012
Freiheit für Pussy Riot
Unterzeichner
144000
GREGOR PETER SCHMITZ
Warum Online-Petitionen?
Online-Petitionen haben wenig mit der
Unterschriftenliste aus Papier zu tun, sondern
kombinieren wichtige Taktiken:
Unterstützer mobilisieren,
Medienaufmerksamkeit erzeugen,
Entscheidungsträger beeinflussen.
„Those who engage in social issues online are twice
as
likely as their traditional counterparts (donors) to
volunteer and participate in events. In other words,
slacktivists often graduate to full-blown
activism.“
2011 study from Georgetown University in November “Dynamics of Cause Engagement“
ging vor den Obersten Gerichtshof, um
Anti-Gay-Policy zu bestätigen.
+ Größte Jugendorganisation der Welt
+ 3 Mio. Mitglieder
+ „konservative Festung“, „uneinnehmbar“
DAS INTERNET sorgt für:
Hyperlokale Lösungen, Inspiration, verschiebt
Aufmerksamkeit und damit Macht.
Wir haben erlebt, wie sich Medienlandschaſten
verändern. Wie sich ganze Geschäſtsfelder verändern.
Und das mit atembraubender Geschwindigkeit.
Gleiches gilt für gesellschaſtliche Veränderung.
Und es fängt gerade erst an.
Eine überzeugende Kampagne...
... erzählt eine starke Geschichte!
• ein Problem oder eine Krise
• ein/e Held/in (Petitionsstarter)
• eine Überwindung des Problems (Happy End)
Campaigner-Sprech:
1
2
Crisitunity: Krise + eine dringliche und glaubhaſte Chance,
etwas zu verändern.
3
Petition Starter Story: the hero of a campaign, which
tells the story of the problem very well.
Theory of Change: Eine glaubhaſte Aktion, durch die
Untertstützer für Veränderung sorgen können
Crisitunity
The term derives from a
1994 episode of The
Simpsons, in which Homer’s
daughter Lisa tells him that
the Chinese use the same
word both for crisis and
opportunity. Homer replies,
“Yes! Cris-atunity!”
Crisitunity: Beispiele
• Krise: Der 16-jährige Anuar wurde
nach Syrien abgeschoben
• Chance: Kurz vor der Wahl können
Menschen den Ministerpräsident
besonders beeinflussen
Aktionsärstreffen
Wahlen
Narichtenlage
Deadlines
Twitter Trends
TOC
TOC
TOC
Theory of Change = Prüfsiegel
• Ziel: Potentielle Unterstützer müssen
überzeugt werden, dass ihre Handlung zählt/
einen Unterschied macht.
• Ein Ursache-Wirkung-Zusammenhang, der
die Krise auflöst. Wenn / Dann.
• Wo ist Kampagnen-Ziel angreifbar?
Theory of Change
• “Rick Santorum uses racist language
when talking about immigration on
the campaign trail and during
Republican debates. Sign this
petition to tell him to stop attacking
migrants.”
• Theory of change: IMPLAUSIBLE
Petitionsstarter.
Sie sind die Helden einer Kampagne.
Sie erklären ein Problem auf Augenhöhe.
Sie sind glaubwürdig, weil sie oſt selbst betroffen sind.
Das bisher überwiegend im Siebten Kapitel des
ersten Teils des Neunten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB IX) als „Leistungen zur
Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft“ und
teilweise im Sechsten Kapitel des Zwölften Buches
Sozialgesetzbuch
(SGB XII) als „Eingliederungshilfe für behinderte
Menschen“ mit der dazu gehörenden
Eingliederungshilfe-Verordnung geregelte Recht
soll mit diesem Gesetzentwurf
als eigenständiger Bereich im SGB IX geregelt
werden. Mit diesem Vorschlag soll die
Diskussion über die Neugestaltung der
Eingliederungshilfe, die von der Arbeits- und
Sozialministerkonferenz (ASMK) 2012 mit einem
Grundlagenpapier abgeschlossen
wurde, weitergeführt werden.
Constantin ist
schwerstbehindert und
wird bei Geldfragen wie
ein Hartz IV-Empfänger
behandelt.
Heißt: Nicht mehr als 2600
Euro auf dem Konto sind
erlaubt.
Heißt: Ein „normales“
Leben als
selbstbestimmter Mensch
(Stichwort Integration) ist
nicht möglich.
Take away:
Bevor Ihr eine Kampagne startet, schreibt sorgfältig folgende Bausteine auf:
Crisatunity, TOC und Hero‘s story.