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Praktische und theorethische Aspekte der Kamerabewegungen
DIPLOMARBEIT SANDRO DECLEVA
INHALTSVERZEICHNIS
EINFÜHRUNG 2
Der relativierte Standpunkt 4
Rückblick 7
DIE BEWEGTE KAMERA
Stil und Technik 10
Hello Dolly - praktische Aspekte 12
Die Schiene 13
Der Kamerawagen: Am Beispiel "Panther" 16
Der Kran 19
Das Schieben 20
Kamera und Schauspieler 22
Bewegungsdynamik 24
Bewegungsimpuls 26
Bewegungscharakter
Dynamische Bewegungen - unkontrollierte Fahrten 27
Lineare Bewegungen - kontrollierte Fahrten 30
Virtuelle Bewegungen - programmierte Fahrten 32
DAS BEWEGTE BILD
Der Schwenk 33
Die Zu - und Wegfahrt 34
Die Mit bzw. Parallelfahrt 35
Die Vor - und Nachfahrt 38
Die Kreisfahrt 40
Die Hoch und Niederfahrt 42
CONCLUSIO: Der bewegte Raum 44
GLOSSAR 49
LITERATURVERZEICHNIS 51
2
EINFÜHRUNG
Film und Fotografie unterscheiden sich dadurch von einander, daß das Foto einen Moment
eines meist bewegten Ablaufs zeigt, während beim Film Bewegungen und deren Abläufe
dokumentiert werden . Sehr früh schon wurde entdeckt, daß sich nicht nur bewegte Abläufe
darstellen ließen wie auf einer Bühne, sondern auch die Kamera bewegt weden konnte, und
somit dem Zuschauer das Gefühl vermittelte nicht in einem Theater zu sitzen, sondern sich
"durch die Welt zu bewegen".
Es wird in dieser Arbeit davon ausgegangen, daß sich die Anwendung und Wirkung der
bewegten Kamera im speziellen aus dem Verhalten und den Erfahrungen entwickelt haben,
die der Mensch im Laufe seines Lebens macht, indem er sich in der Welt bewegt während er
sie beschaut und beobachtet.
Die in dieser Arbeit zitierten Philosophen Vilem Flusser und Neil Postman gehen davon aus,
daß wir durch die telematische Kommunikation eine Art Bildsprache entwickeln, die nicht nur
zu Unterhaltungszwecken dient 1
. Die Voraussetzungen für die heute stattfindende
Kommunikationsrevolution bildeten unter anderem die Erkenntnisse aus Fotographie und
Film. Auf dem Bildschirm eines Computers wurde das Wort zwar nicht vom Bild verdängt,
aber das Bild hat sich einen eigenen Platz in Bereichen geschaffen, die Jahrhunderte lang dem
Wort vorbehalten waren.
Durch die multimediale Entwicklung entsteht eine Kommunikationsform die als interaktiv
bezeichnet wird: die Grenzen zwischen Zuschauer und Akteur verwischen sich immer mehr.
Angelpunkt dieser Verschmelzung ist das fotorealistische Bild und der rauschfreie Ton: Die
immer verfeinerte Darstellung elektronischer Daten in Bildern (Computeranimation) und die
komplexere Aufnahme beziehungsweise Wiedergabe elektronischer Daten
(Magnetaufzeichnung) haben eine Kompatibilität erreicht, welche die Synthese von Foto,
Film, Video und Computer, z.B. auf dem Bildschirms oder der Kinoleinwand, für den
Betrachter möglich macht.
(siehe "Der relativierte Standpunkt", S. 4)
Seit den Anfängen des Films stellen Kamerabewegungen einen wichtigen und aufwendigen
Bereich dar, der sich in den letzten Jahren wesentlich perfktioniert hat.
1 Postman, Neil, Wir amüsieren uns zu Tode ( Frankf. a. Main, Fischer - Verlag, 1985)
3
In den letzten 10 Jahren ist es notwendig geworden die ursprünglich sehr unterschiedlichen
Bewegungscharaktäre beider Abbildungswelten einander anzugleichen. Einerseits wurden
Kamerabewegungen im realen Raum kontrollierbar gemacht, andererseits galt es bewegte
Computeranimationen des virtuellen Raumes zu dynamisieren.
Ein Grund für diese Entwicklung liegt darin, daß der Mensch, aufgrund der Prägung seiner
Wahrnehmung, scheinbar am Bewegungscharakters eines Objekts erkennen kann, ob es sich
um ein Ding oder um ein Lebewesen handelt, bzw. aufgrund der Bewegungsdynamik glaubt
feststellen zu können, ob etwas bewegt wird oder sich selbst bewegt.
Dieses Prinzip wurde recht plötzlich im Bereich von Computeranimationen interessant, als
mit zunehmender Rechnergeschwindigkeit und größeren Speichern Animationssequenzen
möglich wurden.
Soweit es den Film betrifft kann man 2 Bewegungsbereiche unterscheiden: den Bereich von
Bewegungen von Objekten, die "vor" der Optik stattfinden, und den Bereich von
Bewegungen der Kamera, die "hinter" der Optik stattfinden. Die Bewegungen der Kamera
sind hauptsächlicher Gegenstand dieser Arbeit.
Während unter dem Kapitel "Die bewegte Kamera" (siehe S. 10) die stilistischen Aspekte
behandelt werden, soll im Kapitel "Das bewegte Bild" (Siehe S 24) versucht werden, die
dramaturgische Wirkung und Ursache der unterschiedlichen Kamerabewegungen darzu-
stellen.
Das gleiche gilt praktisch für Computeranimationen die filmischen Charakter haben, also
Filmeinstellungen simulieren, mit dem Unterschied, daß diese Bilder nicht von einer realen
Kamera gefilmt werden und keinen realen Raum oder Objekte zeigen.
In dem Schlußkapitel "Conclusio "(siehe S 45) wird auf einen dritten Bewegungsbereich
eingegangen, welcher in den letzten Jahren für den Film relevant geworden ist: die Bewegung
des virtuellen Raumes., aus dem heute die Kinotricks und Special Effekts kommen, von
denen Trickspezialisten vergangener Tage nur träumen konnten.
4
Der relativierte Standpunkt
Sowohl die Dynamisierung der Computeranimationen als auch die Kontrollierbarkeit einer
Kamerabewegung haben in den letzten Jahren Kinofilme ermöglicht, die eine Vermischung
zweier ursprünglich getrennter Räume darstellen, welche perfekt aneinander angeglichen und
durch den Zuschauer nicht mehr zu trennen sind. Obwohl beide Bereiche eine lange Zeit
getrennte Entwicklung der Beherrschung und Darstellung des Raumes hinter sich haben
wurde erst durch den Zusammenschluß der Film - und der Computerwelt die telematische
Kommunikation "Realität" und für den Konsumenten nutzbar gemacht.
Nachdem in der Renaissance durch die Zentralperspektive ein fixer Standpunkt bestimmt
worden war, teilte sich die Darstellung des Raumes in eine optische Erfassung einerseits (das
"Bild"), und eine mathematische Erfassung andererseits (die "Daten") und führte in beiden
Bereichen zu nicht kompatiblen Vorstellungen und Abbildungen.
Diese parallele Entwicklung und die Zusammenführung der Schrift (Daten) und des Bildes
beschreibt Neil Postman ausführlich im ersten Teil seines Buches im Kapitel "Die Guckguck -
Welt".1
Während das "Abbilden" und sichtbar machen des mathematischen, virtuellen Raumes zwar
als Basis eine Unmenge von bereits definierten Raumkoordinaten, aber Schwierigkeiten hatte,
einen sogenannten "fotorealistischen" Ausschnitt des virtuellen Raumes zu zeigen, hatte das
Abbilden der realen Welt mittels Fotografie mit dem überwinden von Distanzen und dem
Festlegen räumlicher Koordinaten zu kämpfen - besonders dort, wo es um Bewegungen der
Kamera im Raum ging. Erst durch die Relativierung des Standpunkts anfangs unseres
Jahrhunderts und durch die nachfolgenden technischen, philosophischen und letztlich
kulturellen Entwicklungen, wurden die Abbildungen "ähnlicher".
Der Film zeigt, da er ein zeitmechanisches Medium darstellt, wie und daß der Mensch die Zeit
subjektiv relativieren kann; parallel, durch den Bildausschnitt bedingt, relativiert der Film
selbst den Raum insofern, als daß er geographisch getrennte Orte und Handlungen als einen,
virtuellen, Ort der Handlung vermitteln kann.
So kommt dem Film eine tatsächliche relativierende Wirkung zu - unter anderem durch die
Darstellung einer Wirklichkeit von verschiedenen Standpunkten aus.
Diese technisch bedingten Fähigkeiten des Films sind Ausdruck einer Suche nach einem
Standpunkt, die philosophisch, bzw. inhaltlich während und durch das Filmen stattfindet.
1 Postman, Neil, Wir amüsieren uns zu Tode, S 83 ff
5
Vilem Flusser schreibt dazu in seinem Buch "Gesten" in dem Kapitel Die Geste des
Fotografierens : "Die Geste des Fotografierens ist eine philosophische Geste, oder anders
gesagt: Seitdem die Fotografie erfunden wurde, ist es möglich geworden, nicht bloß im
Medium der Wörter, sondern auch der Fotografien zu philosophieren.
Der Grund dafür ist, daß die Geste des Fotografierens eine Geste des Sehens, also dessen ist,
was die antiken Denker "theoria" nannten, und daß daraus ein Bild hervorgeht, das von diesen
Denkern " idea" genannt wurde." 1
Und weiter: " In der Philosophie wie in der Fotografie ist
die Suche nach einem Standort der offensichtlichste Aspekt. ... Die Suche nach einem
Standort fällt an den Körperbewegungen ( des Fotografen, Anm.) auf. Doch wenn man sein
Hantieren mit dem Apparat beobachtet, tritt eine weniger offensichtliche Dimension hervor.
Der Standort, den der Fotograf sucht ist, ein Punkt innerhalb des Zeit - Raums. Der Fotograf
stellt sich die Frage, von wo aus und für wie lange er das Bildmotiv belichten muß..."2
Was Flusser hier beschreibt, trifft auch auf das Filmen zu - mit dem Unterschied, daß der
Fotograf, hat er genug philosophiert, auf den Auslöser drückt um sich dem nächsten Foto zu
widmen.
Beim Filmen wird durch das Drücken auf den Auslöser eine zusätzliche Zeitdimension
"geöffnet", die das Foto nicht kennt: Flusser beschreibt, daß das Philosophieren beim Filmen
durch das Drücken auf den Auslöser nicht abgeschlossen ist, sondern im Gegenteil dadurch
relativiert wird, in dem es im Augenblick der Aufnahme, im Schnitt und der weiteren
Nachbearbeitung weitergeführt wird. Dies gilt im besonderen Maße für den bewegten
Standpunkt der "objektiven" Kamera, der dadurch philosophisch relativiert wird, da er
während der Aufnahme bewegt wird.
Durch die Fotografie, und in weiterer Folge durch den Film einerseits und durch die
Darstellung von mathematischen Raumkoordinaten 3
andererseits wurde eine eigene Ab-
bildungsrealität geschaffen, die zwar noch in Entwicklung begriffen, deren Realisierung aber
absehbar geworden ist und in der das bewegte Bild seinen festen Platz hat.
Durch die Integration der Computeranimation und schließlich des Morphings in den
Kinofilm, wurden beide Bereiche zu Spitzenreitern einer technischen Entwicklung, deren
Informationsgehalt unter anderem darin liegt, daß Spitzentechnik auf unterhaltsame und
einfache Art demonstriert und anschaulich gemacht wird.
1 Flusser, Vilem, Gesten, Die Geste des Fotografierens, (Düsseldorf und Bensheim, Bollmann
Verlag, 1991) S.134 f
2 ebenda, S. 137
3 Radar, Ultraschall u.a. werden auch über einen Bildschirm "anschaulich" gemacht.
6
Hier liegt auch die eigentliche Bedeutung des Films innerhalb der Telematik: Die Wirkung
eines bewegten Standpunktes im Kinofilm demonstriert die technische und philosophische
Überlegenheit des Fotografen gegenüber dem Publikum. Eine gewisse Absurdität, Un -
Nachvollziehbarkeit des Zustandekommens einer Kamerafahrt vermittelt eine Nähe, die auf
einer scheinbaren "übermenschlicher" Reaktionsfreiheit eines "unsichtbaren Vojeurs" basiert.
7
Rückblick
Wie es eine Entwicklung des Schnittes gegeben hat, so gab es auch eine Entwicklung der
Kamerabewegungen, die vor allem technische Probleme zu lösen hatte.
Wurden die ersten Filme noch in der Tradition des Theaters gestaltet, so begann mit der
Entwicklung einer spezifischen Filmsprache eine lange Reihe von Erfindungen, um die
Kamera zu bewegen.
Die ersten Versuche führten zur Entwicklung des Schwenkkopfes. Er ermöglichte die wohl
gebräuchlichste Form einer Kamerabewegung: Den Schwenk, welcher das Verhalten eines
Beobachters nachempfindet, der den Kopf dreht.
Dadurch, und durch die Fixierung der horizontalen Achse, wurde zum ersten Mal durch
Bewegung der "unsichtbare Vojeur" suggeriert, der durch die Dramaturgie führt und den
Zuschauer in die Handlung eines Filmes stärker integriert, als es bei einer gänzlich
unbewegten Kamera der Fall ist.
Lange Zeit war das auch die einzige Art die Kamera zu bewegen, wenn sich nicht ohnehin die
Möglichkeit bot, die Kamera auf ein in die Handlung integriertes Gefährt zu stellen, wie z.B.
ein Boot, eine Eisenbahn oder ein Wagen.
Diese Kamerafahrten waren allerdings mehr stilistisch, als dramaturgisch motiviert. Eine
Ausnahme allerdings bestätigt die Regel: die erste Kamerabewegung in einem Film findet
man in Murnaus "Der letzte Mann" 1
, und sie war, als Subjektive des Hauptdarstellers, von
Carl Mayer bereits im Drehbuch vorgeschrieben - war also dramaturgisch motiviert.
Die Montage hatte dagegen schon sehr früh den dramaturgischen Standortwechsel innerhalb
einer Szene mit Hilfe des Schnitts entwickelt und genutzt, um die Handlung zu dynamisieren -
und damit den Standort relativiert.
Den Standort während der Aufnahme zu relativieren, also den tatsächlichen Raum zwischen
zwei Standorten ohne Schnitt zu überwinden, bedeutete einen immens höheren Aufwand an
Technik, als es der Schnitt erforderte.
Es ist auch offensichtlich, daß die technische Realisierung von Kamerabewegungen engstens
mit der Mobilität unserer Gesellschaft verknüpft ist.
1 Murnau, F. W. Der letzte Mann, 1924 Deutschland
8
Erst relativ spät wurde es deshalb technisch möglich und aus dramaturgischen Gründen
interessant, bewegte Standpunkte während einer Einstellung einzubeziehen, um den
Zuschauer besser packen zu können.
Ziemlich rasch wurden Geräte entwickelt, die es erlaubten, einen Standortwechsel innerhalb
einer Einstellung vorzunehmen. Vorgabe dazu war nur das "ruhige", objektive Bild, das nicht
verloren gehen durfte, um den suggestiven Charakter des Bildes zu bewahren.
Es wurden Kamerawägen entwickelt, die auf Schienen geschoben werden konnten und
kontrollierbare, horizontale Bewegungen ermöglichten. Kräne wurden entwickelt, um verti-
kale Bewegungen zu ermöglichen 1
. Da die Kameras, Wägen und Kräne parallel mit dem
technisch - industriellen Fortschritt immer kleiner und kompakter wurden, konnten bald
Kameras auf Kräne montiert werden, die ihrerseits wieder auf Wägen montiert, bewegt
werden konnten.
Eine unendliche Variationsmöglichkeit ergab sich dadurch, daß die verschiedenen Grund-
formen der Bewegungen miteinander verbunden werden konnten.
Kamerabewegungen bekamen einen immer höheren Stellenwert und hielten als wesentlicher
Bestandteil der dramaturgischen Bildsprache Einzug in die Drehbucharbeit.
Die grundlegenden Möglichkeiten eine Kamera zu bewegen könnte man mit unkontrolliert,
kontrolliert und programmiert beschreiben, je nach dem Grad der Nachvollziehbarkeit einer
Bewegung. (siehe S, 28 Bewegungscharakter)
In allen 3 Bereichen ist vom Zuschauer aus der Bewegungscharakter des Bildausschnittes
scheinbar zu erkennen und wird zugeordnet: eine lineare, gleichförmige Bewegung
suggeriert "dinglich", eine dynamische, nicht lineare Bewegung suggeriert "lebendig".
In diesem Sinne ist jede Bewegung, die unmittelbar an den menschlichen Körper gebunden
ist, dynamisch und unkontrollierbar, also z. B. die Handkamera, eine Fahrt ohne Schienen
oder mittels Steadycam.
Wesentlich besser nachvollziehbar und dadurch kontrollierbarer, vor allem was die räumliche
Komponente betrifft, ist eine Kamerafahrt auf Schienen in Verbindung mit einem
Kamerawagen, oder Fahrten in Verbindung mit Computersteuerungen, die sowohl den
räumlichen als auch den zeitlichen Ablauf einer Kamerabewegung steuern.2
1 Der erste Kran wurde von Hal Mohr 1929 konstruiert.
2Was die Telematik betrifft, sind kontrollierte Kamerabewegungen bereits notwendiger
Bestandteil, da sie in unterschiedlichsten Bereichen unseres Alltags zur visuellen Kontrolle
dienen.
9
Programmierte Kamerafahrten sind eher selten und treten - was den Film betrifft.- in
Verbindung mit einzukopierenden Computeranimationen oder Filmtricks auf.
Üblicherweise werden unkontrollierte und kontrollierte Fahrten im Film verwendet - durch
den hohen Aufwand und die nicht routinemäßige Anforderungen stellen programmierte
Fahrten einen Bereich dar, der noch zu den Special - Effekts zu zählen ist und der praktisch
keinen Platz für Spontanität erlaubt.
Lange Zeit waren unkontrollierte Bewegungen als Stilmittel ausgeschlossen, da diese ei-
gentlich nur die Handkamera betrafen.
Durch die Erfindung der Steadycam und die praktische Möglichkeit, die Kamera an sich frei
bewegenden Geräten wie einem Minihubschrauber zu montieren, wurde es möglich und
umgekehrt notwendig, die dem Menschen mögliche Bewegungsfreiheit als Stilmittel in den
Film zu integrieren.
Während die Steadycam fast jede erdenkliche Bewegung erlaubt, und sich vor allem alle
horizontalen Fahrten miteinander kombinieren lassen, sind Cammotionsysteme unter anderem
nicht nur entwickelt worden, um jede erdenkliche Bewegung auszuführen, sondern um
letztlich die Kamerabewegungen an die des Computers anzugleichen.
Im Prinzip kündigten viele dieser Techniken auf formale Art und Weise den Einzug des
Computers auf die Kinoleinwand an, andere bereiteten den technischen Weg dazu.
10
DIE BEWEGTE KAMERA
Stil und Technik
Es gibt zwei entscheidende Motivationen, die Kamera zu bewegen: die psychologisch -
dramaturgische, auf die im Kapitel "Das bewegte Bild" eingegangen wird, und die
stilistische.
Während sich die Dramaturgie mit der Frage auseinandersetzt, warum die Kamera bewegt
wird, stellt sich stilistisch die Frage, wie die Kamera bewegt wird.
Die bewegte Kamera als Stilmittel eines Drehbuchautors, Regisseurs oder Kameramanns kann
von einer konstruierten und geplanten Fahrt in einem Spielfilm bis zu einer sehr intuitiven
Handhabung der Kamera führen, z. B. bei Avandegarde - Filmen , Werbungen oder Musik-
videos. Sie kann unkontrolliert und im Charakter mehr "subjektiver" sein, kontrolliert und
damit scheinbar objektiv, oder programmiert, und damit in jedem Fall virtuell.
Grundsätzlich schließt der Bereich Kamerabewegungen die sogenannte "Handkamera" als
Bewegung mit ein. Da jedoch keine Technik verwendet wird und dadurch der Bildstand nicht
ruhig gehalten ist, stellt sie stilistisch als auch dramaturgisch einen eigenen Bereich dar, dem
ein eigenes Kapitel gewidmet ist. (siehe S. 28, Dynamische Bewegungen).
Es mag zwar vom Standpunkt des Kameramannes eine stilistische Entscheidung sein, sich für
oder gegen das ruhige Bild zu entscheiden - was den Kinospielfilm selbst betrifft ist es auch
eine philosophische, da das scheinbar objektive ruhige Bild seine Wurzeln im Theater hat
(Bühne), und das scheinbar subjektive unruhige Bild diese, historisch gewachsene, Struktur
auflöst und in Frage stellt.
Alle anderen Bewegungen, die im Kinofilm Verwendung finden, sind nur mit technischen
Lösungen realisierbar um den Bildstand ruhig zu halten, und es hat sich durch den
erfolgreichen Einsatz bestimmter Techniken eine Art Sachzwang entwickelt, der den Stil von
Kamerabewegungen wesentlich beeinflußt. Es ist in diesem Sinne ausschlaggebend, daß eine
bestimmte Technik gehandhabt wird, und wie welche Technik verwendet wird.
11
Stil und technische Innovation, Kreativität und technisches Verständnis liegen im Bereich der
Kamerabewegungen eng beieinander. Die teils sehr umfangreiche Technik, die bei
Kamerabewegungen Verwendung findet, kann vor Ort eine Eigendynamik entwickeln, der
man nur gewachsen ist, wenn man sich mit ihr auseinandersetzt.
Die Betroffenen sind nicht nur die Schauspieler vor der Kamera, sondern das ganze Team -
und zwar nicht nur, weil das Auf und Abbauen viel Zeit in Anspruch nimmt: komplizierte
Bewegungen der Schauspieler oder der Kamera erfordern technische Proben.
Dem muß sich nicht nur der Kameramann sondern auch der Schauspieler stellen, und der
einzige Ausweg ist gemeinsam Freiräume zu schaffen oder zu finden, und kreativ zu nutzen.
Das Gefühl, als Filmschaffender von einem Übergewicht der Technik belastet zu werden
resultiert aus der Tatsache, daß Kamerabewegungen als auch die Fotografie an sich im
allgemeinen mit einer sehr genauen, räumlichen als auch zeitlichen Definition verbunden
sind: Bewegungen und Entfernungen müssen bis zu einem bestimmten Punkt nachvollziehbar
und kalkulierbar sein.
In den letzten Jahren ist, mit dem Einzug der Elektronik und Feinmechanik in die
Kameratechnik, der Aufwand wesentlich in den Hintergrund getreten und hat der Kamera
mehr Reaktionsmöglichkeiten eröffnet.
Die ursprüngliche - in Hollywood perfektionierte - Praxis für das Bild zu inszenieren, d.h. das
Motiv den möglichen Drehbedingungen und nicht die Drehbedingungen an das Motiv
anzupassen (weswegen häufiger im Studio gedreht wird oder Originalschauplätze in solche
verwandelt werden), hat zwar Jahrzehnte lang den optischen Stil von Kinofilmen geprägt,
doch es hat sich herausgestellt, daß die totale Planung und Delegierung um die Kamera herum
nicht mehr notwendig und kein alleiniges Qualitätskriterium ist.
Es ist eine Stilfrage, als Kameramann auf ein Objekt mehr oder weniger zu reagieren, sich
und dem Schauspieler mehr Bewegungsfreiheit zu ermöglichen oder nicht, und es scheint, daß
die europäischen Filmemacher mehr wert auf Spontanität legen, was auf eine unterschiedliche
Arbeitspraxis zurückzuführen ist.
Ausdruck dieser Unterschiede sind unter anderem die Entwicklung und Anwendung unter-
schiedlicher Techniken: So wird in Europa mehrheitlich der Hydro - Kopf, und in Amerika
der übliche Kurbelkopf verwendet, und ist es bei uns eher der Fall, daß ein Kameramann
selber zoomt oder Hoch - bzw. Niederfahrten, wie es der Panther (siehe S. 17, Der
Kamerawagen ) erlaubt, selber steuert - im Gegensatz zu Amerika, wo praktisch für jede
spezifische Tätigkeit ein Einzelner zuständig ist.
12
Hello Dolly - Praktische Aspekte
Ob bei der Entwicklung einer Kamera wie der Movie-Cam Compact, oder eines Kamera-
wagens wie dem Panther - dahinter steht fast immer eine enge Verflechtung aus kreativer
Vorstellung und Erfahrungswissen, Theorie und Praxis.
Gerade bei Spielfilmproduktionen, aber auch bei Dokumentarfilmen, erfordern besondere
Vorstellungen eines Kameramannes oder Regisseurs manchmal mühsame Pionierarbeit,
nehmen einen wichtigen Platz in der dramaturgischen Umsetzung ein.
Die Realisierung von Kamerabewegungen ist letztlich genauso selbständig wie der des
Lichtes oder der Kamera. In Ländern mit Filmindustrie sind die Dollyfahrer und Gripmen oft
Fachleute mit großen Ansehen, die zum Teil im Verband von Studios und Verleihfirmen ihre
eigenen Geräte herstellen. Im Falle des Panthers belohnt mit dem Oskar.
Außer dem Kamerawagen gibt es verschiedene Vorrichtungen, wie Schienenprofile mit einem
gleitfähigen Block, auf dem die Kamera befestigt wird. Manche dieser Profile sind mit einem
Seilzug ausgestattet, der entweder bei Schräglage der Schiene dazu dient, die Kamera im
Gleichgewicht zu halten, oder um, mit einem Elektromotor gekoppelt, eine gleichmäßige
Bewegung zu ermöglichen. (Zum Beispiel bei Stoptrick - Aufnahmen).
Üblich ist aber noch immer gediegene Handarbeit, die neben Körperkraft auch Feingefühl
voraussetzt, da ja der Gripman in dem Moment, indem er den Kamerawagen bewegt, zum
Operator wird: er hat also unmittelbaren Einfluß auf die Gestaltung des Bildes. So wie er
fährt, so bewegt sich auch die Kamera.
Neben den Kamerawägen existieren verschiedene Kräne, die bis zu einem Gewicht von 8oo
Kg auf den Wagen montierbar sind. Fahrten mit Kränen sind auf jeden Fall nur mit Schienen
realisierbar, und üblicher Weise werden mit der Kamera der Kameramann bzw. Operator und
der erste Kameraassistent mittransportiert.
Durch die Entwicklung von Techniken wie dem "Hothead", einem Schwenkkopf, bei dem die
Schwenkimpulse und die Schärfe ferngesteuert werden, kommen auch unbemannte Kräne
zum Einsatz.
13
Die Schiene
Es gibt zwei Arten von Schienen: geschweißte, und demnach nicht variable, und geschraubte,
in ihrer Spurweite veränderbare Schienen.
Bei geschraubten Schienen ist darauf zu achten, daß sie an den Querverbindungen mit Hilfe
des dafür vorgesehenen Hebels gelöst werden, bevor man sie verlegt. Dann werden die
Schienen am Boden aufgelegt und ineinander gesteckt. Es gibt üblicherweise drei ver-
schiedene Schienenteilstücke: den Bogen, die Gerade und ein kürzeres gerades Teilstück.
Durch Schraubspanner werden die Schienen miteinander verbunden und fixiert , danach
werden sie grob mit Unterlagsmaterial in die Waage gebracht, und nachdem die ganze Fahr -
Strecke aufgelegt wurde, werden die Schienen unter Verwendung einer Wasserwaage exakt
eingemessen. Das ist notwendig, da sonst die durch den Schwenkkopf fixierte horizontale
Achse der Kamera während der Fahrt nicht gewährleistet ist, und das Bild unruhig wird.
Aus diesem Grund müssen die Schienen mit Hilfe von kleinen Keilen und ähnlichem
möglichst ohne Spiel unterlegt werden. Um nicht die Stabilität zu gefährden, sollten längere
Keile nicht quer zur Fahrtrichtung, sondern in Längsrichtung untergelegt werden: man ver-
meidet dadurch das Stolpern über die Keile während des Schiebens.
Sind größere Höhenunterschiede zu überwinden, also zum Beispiel eine Gehsteigkante, oder
fällt der Boden leicht ab, verwendet man Stufenkeile, die in 4 Stufen bis zu einer Höhe von 30
cm reichen, auch Bühnenkistln können Verwendung finden.
Ab einer Höhe von einem halben Meter müssen Praktikabel, oder eigens für das Motiv vor-
gefertigte Unterbau - Konstruktionen verwendet werden, um die nötige Stabilität zu sichern:
bei einem Kamerawagen samt Kameramann und Assistent hat man ca. 300 kg, die, je höher
die Schienen aufgebaut sind, desto instabiler werden.
Wenn man einen Boden vorfindet der in sich instabil ist - also beispielsweise eine Wiese,
Schotter oder aufgeweichten Boden - müssen Bohlen untergelegt werden: d. h. feste Hölzer,
Holzraster oder Holzrahmen, die über mindestens zwei Querverbindungen der Schiene
reichen sollten.
Sie dienen dazu, den Untergrund zu stabilisieren und das Gewicht so zu verteilen, daß zum
Beispiel ein Einsacken der Schienen vermieden wird. Man muß in solchen Fällen bedenken,
14
daß kleinere, punktuell belastete Flächen sich stärker eindrücken und die Stabilität als auch
Ausgewogenheit der Fahrt gefährden.
In speziellen Fällen, so zum Beispiel bei einer Parallelfahrt, kann es genügen, die Schienen
quer in einer Achse in die Waage zu bringen, wenn man darauf achtet, daß die Ebene keine
Buckel oder Wellen längsseits aufweist und nicht mehr als 5o abfällt, da sonst der
Kamerawagen nicht mehr zu halten ist und leicht Unfälle entstehen.
Den Panther kann man, wenn notwendig, schmäler machen, um zum Beispiel in einem engen
Gang zu fahren.
Zu diesem Zweck werden die Querverbindungen gelöst, und schräg wieder angebracht.
Normalerweise ist es selten der Fall, da schon bei der Motivsuche auf genügend Raum ge-
achtet werden muß. Sollte es jedoch unumgänglich sein die "schmale Variante" zu ver-
wenden, ist zu bedenken, daß der Wagen instabiler wird, und dementsprechend arbeiten.
(siehe S. 16, Der Kamerawagen)
Um ein ruhiges Gleiten des Kamerawagens zu garantieren, ist es wichtig, daß die
Koppelstellen der Schienen in gutem Zustand sind und bündig verlegt werden. Da die
Schienen ineinander gesteckt werden, gibt es ein Ende mit einem Verbindungszapfen und ein
anderes mit der entsprechenden Aufnahme.
Man sollte deshalb die Schienen, wenn man sie senkrecht stellen muß, immer auf die
Zapfenseite stellen. Vor allem ältere Schienen sind vom Transport an den Enden manchmal
durch falsches Handhaben beschädigt.
Sind die Enden, vor allem die Aufnahme, so stark beschädigt, daß sie das ruhige Gleiten der
Fahrt beeinflussen, kann man versuchen sie vorsichtig abzuschleifen oder, wenn ein
Zwischenraum an den Nutstellen bleibt, diesen mit einem festen dünnen Spagat aufzufüllen
oder mit einem Lassoband zu verkleben.
Normalerweise gibt es Stopvorrichtungen die am Ende einer Fahrt montiert werden, um ein
unbeabsichtigtes Herunterrollen des Kamerawagens von den Schienen zu verhindern. Ist
keine Stopvorrichtung vorhanden, muß zumindest ein Lovel - Grip angebracht werden.
Bei Fahrten, die einen sehr hohen Unterbau haben, müssen die Schienen in Längsrichtung
abgestützt werden.
Wenn zudem die Fahrt auf einer schrägen Ebene steht, muß man unbedingt gegen die
Fahrtrichtung Stützen anbringen: Es kann immer wieder passieren, daß der Wagen gestoppt
werden soll oder unabsichtlich von zum Beispiel einem Kabel gestoppt wird. Die in diesem
15
Fall in die Bewegungsrichtung freiwerdende Bewegungsenergie kann ohne weiteres den
gesamten Aufbau mit allem mitgeführtem Equipment einstürzen lassen.
Wenn ein Kran in Verbindung mit einem Kamerawagen verwendet wird ist zu beachten, daß
große Jib - Arme, wenn sie aus der Fahrtrichtung geschwenkt werden, erstens aus dem
horizontalen Winkel kippen und zweitens das relative Gleichgewicht instabiler wird.
Bei waagerechtem Gelände sollte man deshalb Kranfahrten, außer eine eigens gefertigte
Konstruktion gewährleistet die notwendige Stabilität, praktisch nie unterbauen.
Ist es nicht notwendig oder möglich, Schienen aufzubauen, verwendet man zur Fahrt
Gummiräder. Der zu befahrende Boden wird gekehrt und von möglichen kleinen
Hindernissen befreit, wie Kieselsteine, Zigarettenstummel und ähnlichem. Der Untergrund
muß stabil sein, ohne Wellen und möglichst eben und glatt. Je nach Beschaffenheit des
Bodens können Vollgummiräder oder luftgefüllte Räder verwendet werden. Wobei die
Vollgummiräder wesentlich mehr Stabilität bieten, und somit auch Fahrten mit kleineren
Kränen möglich sind, da sich die Räder unter Belastung nicht verformen.
16
Der Kamerawagen: Am Beispiel des Panthers
Der Panther ermöglicht Hoch - und Niederfahrten ohne Zusatzgeräte. Durch die optimale
Symbiose von Mechanik und Elektronik stellt er einen durchdachten Kamerawagen dar, der
sowohl für den Boden als auch für die Schiene gedacht ist.
Um den Panther selbst wurde ein patentiertes kompaktes System geschaffen, dessen
wesentlicher Vorteil darin liegt, daß Hoch - und Niederfahrten wesentlich platz - und arbeits-
sparender ohne Jib - Arm sind und daß er in einem gewissen Nahbereich alle wichtigen
Bewegungen ermöglicht, die für Kinofilme notwendig sind. Außerdem ist der Panther durch
die lautlose Hubbewegung besonders geräuscharm.
Der Grund liegt in der Mittelsäule, die sich, mittels Elektromotor, während einer Fahrt heben
oder senken läßt, und in der Computertechnik, mit der man einen dynamischen
Bewegungsablauf aufzeichnen und wieder abrufen kann.
Die Bewegungen der Mittelsäule werden mit einem Handregler gesteuert. Ein einfach zu
bedienendes Speicherprogramm ermöglicht 5 verschiedene Grundgeschwindigkeiten, die
manuell nachgeregelt werden können. Der Bewegungsablauf kann 5 Mal in Bezug zur
Geschwindigkeit und Endpunkt gespeichert werden; während einer gespeicherten Bewegung
kann außerdem nachreguliert werden. Zusätzlich verfügt die Elektronik ein Selbstdiagnose -
Programm. Die Betriebstemperatur des gesamten Systems liegt zwischen -30 Grad bis +80
Grad Außentemperatur.
Die Seitenbelastungsfähigkeit der Mittelsäule ist extrem hoch aufgrund des Kantenprofils.
Deswegen sind die Sitze auf der Stempelebene aufgehängt - 360o frei drehbar. Der Vorteil
liegt auf der Hand: Der Kameramann oder Operator sitzt bei jeder Bewegung gleich hoch in
Bezug zur Okularhöhe - und vergleichsweise stabiler bei großer Höhe als beim Elemack.
Die Säule des Panthers verfügt über ein Hubsystem das mittels Seilzügen und Rollen verwirk-
licht in der Mittelsäule untergebracht ist. Es können damit 250 kg auf eine Distanz von 75 cm
bewegt werden - und damit alles, was es an Aufbauten für einen Kameramann ohne
Assistenten gibt.
Seitliches Übergewicht des ganzen Wagens kann und muß mit Hilfe von Gewichten und
Aufhängestangen ausgeglichen werden. Um Platz für die Ausgleichsgewichte zu schaffen,
lassen sich die Radarme einzeln verstellen
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Vom Werk werden 11 verschiedene Radarmstellungen angegeben: neben der
"Schmalversion" für die enge Schienenführung weitere 10 Stellungen für den Bodenbetrieb.
Die Variationen sind mit 4 als auch mit 3 Rädern, z. B. für Fahrten mit Tiefenausleger,
möglich.
Nicht alle Stellungen können gefahren werden, sondern dienen dazu, den Wagen in einem
engen Motiv den Gegebenheiten anzupassen.
Es ist außerdem möglich, die Lenkkupplung paarweise auszukuppeln. Sinn dieser Einrichtung
ist es, neben der parallel - verschiebenden Fahrt (4 gelenkte Räder) eine Frontlenkung des
Wagens zu ermöglichen (2 gelenkte Räder). Es empfiehlt sich die Frontlenkung bei weit-
läufigen Fahrten zu verwenden, respektive bei Verfolgungsfahrten.
Geht es darum, einen möglichst kleinen Wendekreis, bzw. kleine, aber genaue Fahrten zu
fahren, ist eine Lenkung der hinteren Räder eher von Vorteil.
Die Gummiräder, die zum Equipment des Panther gehören, sind speziell entwickelte
Kombiräder für Schienen - und Bodenbetrieb. Da der Gummi der Bodenräder druckunemp-
findlich ist, bekommt er keine Flachstellen, wenn der Wagen längere Zeit nicht bewegt wird:
Der Panther kann somit auch als reines Stativ benutzt werden.
Mit Hilfe von 4 Trittbrettern, die zwischen den Radarmen wahlweise montiert werden
können, läßt sich eine ganze Arbeitsplattform aufbauen.
FGV - Panther selber stellt Zubehör zur Verfügung, um Hubbewegungen über 75 cm hinaus
zu ermöglichen: den Leichtarm mit 155 cm reinem Hub, den Super - Jib mit 140 cm und den
Pegasus Kran in zwei Variationen: der Standard - Kran bis 2,50 m bzw. 5,60 m, und der Super
Kran mit 4,80 m bzw. 7,90 m.
Der Superjib ist besonders interessant, da er nicht nach dem Waage - Prinzip gebaut ist wie
andere Ausleger und Kräne, sondern die hohe Hubstärke der Panther - Mittelsäule ausnutzt.
Er wird durch das Heben und Senken der Säule bewegt, da er an einem Ende mit dem Wagen
fix verbunden wird - wodurch Gegengewichte überflüssig sind. Da der Super - Jib dadurch an
zwei Punkten gelagert ist, ergibt sich eine Hebelwirkung für das freie Ende. Die Mechanik ist
so konstruiert, daß eine doppelte Hubgeschwindigkeit und Hubhöhe erreicht wird.
Zusätzlich hat FGV - Panther eine Konstruktion entwickelt, den "Jib - a - Round" - Adapter,
durch den sich der gesamte Aufbau des Super - Jib um 360o drehen läßt. Der Vorteil: Ein
Mann kann alleine gleichzeitig den Wagen schieben und die Hubbewegung über die
18
Handsteuerung der Mittelsäule manipulieren - bzw. die eingegebene Programmierung
abrufen.
Außerdem bietet FGV - Panther folgendes Zubehör zur Auswahl: den U - Bangi, ein
Seitenausleger mit 2 Stahl - Röhren, der kugelgelagert horizontal verschiebbar ist - allerdings
ungedämpft und daher relativ laut, also für Aufnahmen mit Originalton ungeeignet.
Für die Mittelsäule gibt es 6 verschiedene Verlängerungen, von 10 bis 73 cm, die auch auf
den Kränen und Jib - Armen verwendet werden können.
Ein Tiefenausleger und ein Seitenausleger, jeweils in Mini - und Normalausführung (40 cm
bzw. 75 cm), komplettieren das Angebot.
19
Der Kran
Der Kran oder Ausleger dient zur vertikalen Kamerabewegung, und wurde von Hal Mohr
1929 in Amerika erstmals konstruiert.
Es gibt kleine Jib - Arme mit einem Hub von ca. 1,70 m, die nur für die Kamera allein
gedacht sind und meistens zu Ausgleichfahrten dienen. Große Jib - Arme, wie der Pegasus -
Kran, erreichen eine Höhe von annähernd 10 m, sind meistens bis ca. 6 m für zwei, bis ca. 8
m für eine Person gebaut und darüber hinaus nur mit einem Remotehead zu verwenden.
Praktisch alle Ausleger lassen sich auf dem Panther montieren, da der Stempel zur Aufnahme
eine Standardnorm darstellt.
Der Ausleger muß auf der Seite, auf der das Kameraequipment aufgebaut wird, abgestützt
werden. Erst wenn fertig aufgebaut wurde, werden auf dem Equipment gegenüberliegenden
Ende des Auslegers Gewichte aufgehängt, bis der Ausleger in der Waage pendeln kann, oder
zumindest sehr leicht zu handhaben ist.
Danach können Kameramann und Assistent Platz nehmen, während wiederum
Gegengewichte aufgehängt werden. Es empfiehlt sich, erst knapp vor Beginn der Fahrt die
Abstützung zu entfernen, und bei jeder Pause wiederum zu benützen. Üblicherweise sind bei
Kranfahrten 3 Personen notwendig und die Geräte aufzubauen und zu bedienen.
Neben handbetriebenen Kränen und Auslegern gibt es Cam - Motion - Systeme, die, Industrie
- Roboter nachgebaut, ferngesteuert zu bedienen sind. Im kleineren Bereich für präzise
Fahrten zum Beispiel für Filmtricks, und im größeren Bereich zum Beispiel bei Popkonzerten:
hier kommen große Teleskopkräne zum Einsatz, die einen Aktionsradius bis zu ca. 18 m
haben.
Bei allen Kranfahrten ist besonders darauf zu achten, daß lose Kabel zusammengefaßt und gut
befestigt werden, da sonst die Gefahr besteht, daß etwaige Bewegungen des Equipments, des
Wagens oder des Aufbaus unabsichtlich gestoppt werden. Gerade bei Kranfahrten kann das
lebensgefährlich für alle Umstehende werden, sollte ein Kran einmal kippen.
Um das Kippen eines Krans zu vermeiden ist auch darauf zu achten, daß er nicht nur der
Länge nach, sondern auch der Breite nach im Gleichgewicht bleibt: So sollten Kameramann
und Assistent nie auf einer Seite sitzen, oder die Gegengewichte auf einer Seite aufgehängt
werden.
20
Das Schieben
Steht der Kamerawagen schließlich auf den Schienen, und ist der Aufbau abgeschlossen, wird
gefahren. Zunächst die Proben, bei denen Markierungen für Anfang, Ende und allfällige Stops
der Fahrt gemacht werden, um dann die richtige (n) Geschwindigkeit (en) einzuüben.
Jede Bewegung der Kamera sollte eine dramaturgische oder stilistische Motivation haben, die
manchmal im Drehbuch angegeben ist, und letztlich von Regie und Kamera bestimmt wird.
Somit trägt eine Fahrt im jedem Fall eine Wirkung mit sich, egal wie und warum sie ein-
gesetzt wird.
Einer der Faktoren, der die Wirkung einer Fahrt wesentlich beeinflußt, ist die Art und Weise,
wie gefahren wird, das heißt, wie der Dollyfahrer den Wagen schiebt oder den Kran bewegt.
Dazu gehören Bereiche wie das Losfahren und Stehenbleiben des Kamerawagens, das wählen
der richtigen Geschwindigkeit, oder die stabile Montage der Geräte - also die Handhabung
des Geräts betreffend.
Diese Handhabung richtet sich nach meßbaren Standards, wie zum Beispiel Ruckler und
Zittern des Bildes, oder das aus der Achse kippen der horizontalen Kamerawaage.
Auch sichtbare Schritte des Dollyfahrers im Bewegungsablauf der Fahrt bzw. eine unruhige
Fahrt kann eine sensible Szene ebenso stören, wie sie eine Verfolgungsjagd unterstützen
kann. Es gehört somit nicht nur die richtige Technik, sondern auch Gespür und Übung dazu,
eine Fahrt dem Drehbuch adequat durchzuführen und ihr dadurch Charakter zu geben.
In diesem Sinne spielt die richtige Atmung als auch die Schrittabfolge eine Rolle, die eine
unmittelbare Wirkung auf das Bild haben können.
Damit die einzelnen Schritte nicht sichtbar werden, muß der Oberkörper während des
Schiebens gleichmäßig bewegt werden - die Schritte müssen im Becken abgedämpft werden.
Vor allem der Beginn und das Ende einer Fahrt sollte mit den Armen und dem Oberkörper
vollführt werden, während man noch oder bereits steht: die Bewegungsimpulse werden
dadurch präziser umgesetzt.
Um eine gezielte Qualitätssteigerung zu erhalten, ist eine gute Kommunikation mit dem
Kameramann unerläßlich, und ein bereits eingespieltes Grip - Team von Vorteil. Da es in
diesem Bereich des Kamerawagenschiebens keine mir bekannte Literatur gibt, sind den
individuellen Zugangsformen und Praktiken keine Grenzen gesetzt.
Was die Bewegung des Kameraequipments, und somit des Bildes, betrifft, sind hier Grenzen
gesetzt, um den Bewegungscharakter des Werkzeugs nicht zu stark sichtbar werden zu lassen.
21
Wenn zu schnell gefahren wird kann, wie beim Schwenk, das sogenannte "Schettern" auf-
treten, daß heißt, das Bild beginnt in sich zu rucken und scheint immer wieder unterbrochen.
Der Grund liegt darin, daß ein Objekt sich zu schnell bewegt, und dadurch die Positions-
verschiebung von einem Negativ zum folgenden zu groß ist. Vor allem bei scharfen Kanten
oder starken Kontrasten ist das Schettern besonders stark zu sehen.
Das kann dadurch vermieden werden, daß der Kameramann darauf achtet, daß ein Objekt im
Bildausschnitt länger als 4 Sekunden braucht bei sphärischen, und 7 Sekunden bei
anamorphotischen Optiken, um sich von einem Bildrand zum anderen zu bewegen - und
betrifft hauptsächlich den Hintergrund eines bewegten Bildes, da bei der Verfolgung eines
Objekts durch eine Fahrt oder einen Schwenk das Objekt selbst ruhig in Bezug zum Bildaus-
schnitt bleibt. 1
Bei einer totalen Einstellung nimmt diese Gefahr mit der Entfernung ab - außer bei einer
Kreisfahrt die nahe um ein Objekt herum stattfindet, wobei der Hintergrund quasi abge-
schwenkt wird und das Objekt ruhig bleibt.
Um einen genauen kritischen Wert zu erhalten, vor allem wenn es um programmierte Fahrten
geht, sind von Kamera zu Kamera Probeaufnahmen notwendig, da es im Grenzbereich darauf
ankommt, wie eine Sektorblende gebaut ist und in welche Richtung sie sich relativ zu der
Bewegung im Bild dreht.
Falls die Aufnahmegeschwindigkeit verändert wird, ist folgende Formel anzuwenden: Neue
Objektgeschwindigkeit = 4 Sek. / 24 (B/sek.) x neuer Bilderzahl pro Sek.
Kamera und Schauspieler
1 Samuelson, David, Manuel f. Cinematographers, ( Oxford, Butterworth - Heinemann, 1994),
15/4.6
22
Will man dem Schauspieler ein gewisses Aktionspotential anerkennen, muß man sich mit ihm
auseinandersetzen, mit ihm kommunizieren.
Wichtig vor allem ist es festzustellen, ob der Darsteller sich der Kamera bewußt ist oder nicht,
und was für ein Verhältnis er zur Kamera hat.
Von großen und kleinen Stars weiß man, welche ihrer Gesichtshälften vertraglich bevorzugt
wird. Nicht selten jedoch haben Schauspieler weniger Bezug zur Kamera, als man annehmen
möchte.
Was den Film vom Theater unterscheidet, und damit die psychologische Situation des
Schauspielers verändert als auch die Arbeitsteilung zwischen Regie und Kamera festlegt, ist
"die Tatsache, daß der Fotograf die Situation manipuliert, und das Motiv erschwindelt. (Das)
bedeutet nicht, daß die Fotografie kein objektives Bild ergeben würde. .... Es bedeutet im
Gegenteil, daß eine Situation zu beobachten heißt, sie zu manipulieren, oder anders gesagt,
die Beobachtung verändert das beobachtete Phänomen. ... Der Fotograf kann nicht anders als
die Situation zu manipulieren, seine bloße Anwesenheit ist eine Manipulation."1
Worauf Flusser hier anspielt, gilt noch mehr für den Film. Wenn man davon ausgeht, daß
innerhalb einer Einstellung die Bewegungsdynamik immer sichtbar wird, ist man verleitet, die
Kamera und ihre Bewegung nicht als primären Faktor einzustufen, sondern die Bewegungen
im Bild selbst.
Die Kamera ist allerdings während der Aufnahme als primärer Faktor aus der Sicht des
Schauspielers absolut gleichwertig vorhanden: Sie ist für ihn ein wichtiger räumlicher
Bezugspunkt, wenn nicht der einzige, und sie ist am Set, bis auf das, was im Bild ist, das ein-
zige, sieht man vom Mikro ab, was sich relativ zu ihm bewegt oder an einem Ort steht.
Das heißt aber auch, das die Kamera in einem bestimmten Punkt "vermenschlicht" auftritt:
Sie verfolgt Objekte, nähert sich Situationen an, weicht zurück, wendet sich einem
Schauspieler zu und wieder ab. ( Siehe S. 28, Bewegungscharakter)
Das ist Schauspielern, wenn sie nicht vom Film kommen, meist nicht klar. Bei kontrollierten
Kamerabewegungen muß sich demnach eher der Schauspieler nach der Kamera richten, weil
eben die Kamera, vor allem wenn sie auf Schienen fährt, nicht spontan reagieren kann.
Diese und andere Probleme und Umstände können und sollten vor den Dreharbeiten be-
sprochen werden, am besten verbunden mit einer Videoprobe.
1 Flusser, Vilem, Gesten, S.144 f
23
Hauptzweck sollte sein, dem Schauspieler klar zu machen, daß hinter dem Gebirge von
Kameratechnik ein Mensch steht, zu dem er als einzigen, während die Kamera läuft, eine
unmittelbare und durchaus flexible Beziehung hat bzw. haben kann.
Im Gegensatz zu der Fotografie kann der Schauspieler während der Aufnahme relativ zu
einem inneren und äußeren Standpunkt reagieren, was die Beziehung zwischen Kameramann
und Schauspieler in Flussers Sinne "philosophisch" macht.
Es empfiehlt sich den Rahmen der Probe möglichst intim, und die Kamera in der Hand zu
halten. Hier kann die Kamera sich am freiesten bewegen und darurch leichter reagieren.
Man kann so eine Art Tanz entwickeln, im Theater "Gummibandübung" genannt, um den
Schauspieler an seine, im übertragenen Sinn, "Fessel" oder "Leine" zu gewöhnen und um so
die gegenseitige Bewegungsdynamik und Bewegungsimpulse aufeinander abzustimmen. Das
selbe vollzieht sich dann auch vor der Aufnahme, wobei auf Seite der Kamera bei jeder
Bewegung mehrere Personen beteiligt sind, die untereinander ihre Bewegungen koordinieren
müssen.
Ist die Annäherung zwischen Schauspieler und Kamera einmal vollzogen, steht dem
Philosophieren nichts mehr im Weg: Man kann verschiedene Aktionen und Reaktionen beider
Seiten üben und ausprobieren, unter Umständen eine eigene Sprache entwickeln, die während
der Dreharbeiten viele Worte spart - und das "Band" auch in extremen Situationen halten läßt.
24
Bewegungsdynamik
Zwischen der bewegten Kamera und einem Schauspieler besteht für den Zuschauer immer
eine Bewegungsdynamik, die wie ein unsichtbares und doch sichtbares Band besteht und hält.
Sollte sie einmal verlorengehen, zählt die gedrehte Einstellung wahrscheinlich nicht zu den
Kopierern.
Die Bewegungsdynamik muß nicht immer mit einer Bewegung an sich verbunden sein - nur
wenn sich die Kamera oder / und der Schauspieler bewegen, wird sie deutlich sichtbar. Das
Band zwischen Schauspieler und Kamera ist auch dann spürbar, wenn keine nennenswerten
Bewegungen im Raum stattfinden.
Bela Balazs schreibt dazu: "...Denn der Bewegung kommt nur in dem Maße künstlerische
Bedeutung zu, in dem sie innere Bewegung ausdrückt. Wie wir gesehen haben, wird letztere
auch oft durch Regungslosigkeit ausgedrückt."1
Hier unterscheidet sich der Film wesentlich von der Fotografie: auch ein unbewegter
Kamerastandpunkt birgt zumindest die Möglichkeit in sich, während der Aufnahme bewegt
zu werden - was bei einer Fotografie unmöglich ist, bzw. zu einem unscharfen Foto führt.
Beim Film hat die Bewegungsdynamik des Bildes mit der Reaktionsfreiheit der Kamera
gegenüber dem Schauspieler zu tun - sowohl was seine äußere als auch seine innere
Bewegung betrifft - und dem harmonischen Ablauf von Bewegungen.
Aus diesem Grund sind unterschiedliche Techniken und ihre Anwendung ein wichtiges
Kriterium, was die Arbeitsweise und somit den Stil betrifft.
Die eingangs erwähnte Bewegungsdynamik einer Einstellung hängt somit auch damit
zusammen, wie der Schauspieler mit der Technik vor Ort konfrontiert wird und wie er selbst
damit umgeht. Dabei geht es nicht um die Bewegungsdynamik vor Ort sondern der jeweils zu
drehenden Einstellung, die zu anderen Einstellungen und dem vorgesehenen Schnitten passen
muß.
Proben und Motivbegehungen sind deshalb besonders wichtig, will man die Vorbereitung
optimal abschließen.
Falls größere Bewegungsänderungen notwendig sind, müssen unter Umständen die Schienen
neu verlegt werden - was ein längeres Umbauen und neue Proben nötig macht. Da die Kamera
sich nach dem Hintergrund, nach Schwenkgeschwindigkeit, Bildausschnitt, Beleuchtung und
1 Balazs, Bela, Der Film, (Wien, Globus - Verlag, 1949) S. 149
25
vielem mehr richten muß, liegt die eigentliche Reaktionsfreiheit in der Vorbereitung von
Kamera und Regie.
Es ist deshalb ein weit verbreiteter Irrtum unter Schauspielern, für Änderungen einer Fahrt
müsse man die Schienen "ja nur ein bißchen" verschieben, ähnlich wie die ebenfalls ver-
breitete Ansicht unter Kameramännern zu meinen, ein Schauspieler müsse "ja nur anders
gehen", nachdem Umgebaut wurde.
Der Schauspieler kann oft, aus der geprobten Gewohnheit heraus, nicht einfach anders gehen
weil er sich durch das Proben ebenfalls "eingerichtet", d.h. seine Bewegungen im Raum
automatisiert hat. 1
Dieser automatisierte Ablauf betrifft auch Bewegungen des Kamerateams und hilft, die
Bewegungen zu kontrollieren und nachvollziehbar zu machen.
Um die Bewegungsdynamik zwischen Schauspieler und Kamera zu nützen, bedarf es einer
guten Kommunikation innerhalb des Kamerateams, um Reaktionszeiten zu verkürzen.
Natürlich sollte im Idealfall das Team um die Kamera so eingespielt sein, daß der Ablauf der
spezifischen Bewegungen der Kamera reibungslos funktioniert - was nur durch Praxis und
Proben zu erreichen ist.
1 So kann ein geänderter Gang, oder ein nicht geprobter Gang über Schienenschwellen, einen
Schauspieler völlig aus dem Dialogs - bzw. Handlungskonzept werfen.
26
Bewegungsimpuls
Während die Bewegungsdynamik sich auf den Stil von Bewegungen bezieht, bezieht sich der
Bewegungsimpuls auf die Handlung und ihren Rhythmus.
Aus diesem Grund wird er auch im Drehbuch besonders berücksichtigt, indem der Beginn
und das Ende einer Kamerafahrt bestimmt werden.
Bei der Auflösung des Drehbuchs wird dann bestimmt, ob das Anfahren oder Halten der
Kamera während einer Einstellung geschieht, ob die Kamera auf ein Objekt reagiert und der
bzw. die Bewegungsimpulse von der Regie oder der Kamera bestimmt werden.
Eine immer wiederkehrende Frage betrifft deshalb den Bewegungsimpuls und lautet: Wann
genau fängt die Kamera an, sich zu bewegen?
Entweder richten sich die Bewegungen eines Schauspielers und der Kamera nach der
Handlung und der Bewegungsimpuls ist meist klar und deutlich zu erkennen und nachvoll-
ziehbar, oder der Dollyfahrer bekommt ein Zeichen.
Da der Kameramann sich nicht selbst schieben kann, kommt dem Dollyfahrer im Moment des
Bewegungsimpulses eine operative Rolle, das Bild und seinen Bewegungscharakter
betreffend, zu. Das Wissen um den Bewegungsimpuls kommt hier allen Beteiligten zugute.
Falls er das Motiv nicht einsehen und den Bewegungsimpuls nicht erkennen kann, und in
jedem Fall wenn der Bewegungsimpuls bei der Kamera selbst liegt, ist der Dollyfahrer auf ein
Zeichen des Kameramannes oder des Operators angewiesen.
Ansonsten muß er den Bewegungsimpuls des Schauspielers bzw. einer Szene rechtzeitig
erkennen und umsetzen.
Um auf den Bewegungsimpuls bei Schauspielern oder gar bei Tieren reagieren zu können, ist
es neben Intuition notwendig, Körpersprache zu beobachten und sie als Anhaltspunkt für den
Bewegungsimpuls zu nutzen. Das ist besonders heikel, wenn die Kamera sich während einer
Einstellung beginnt zu bewegen.
Besonders das Losfahren kann durch das Gewicht des Kamerawagens nicht "zeitgleich" mit
einem Impuls geschehen, sondern liegt für den Dollyfahrer kurz vor dem Zeitpunkt, an dem
sich der Kamerawagen tatsächlich bewegt.
Ein zu spätes Losfahren der Kamera kann der Kameramann notfalls durch einen Schwenk die
Fahrt "scheinbar" beginnen - durch ein zu frühes Losfahren ist ein Bewegungsimpuls durch
den sich bewegenden Hintergrund gegeben, der in einer heiklen Situation falsch und störend
sein kann. Das selbe trifft im Prinzip auf das Beenden einer Fahrt zu, wobei hier nur ein zu
frühes Stehenbleiben ausgeglichen werden kann.
27
Bewegungscharakter
Dynamische Bewegungen - Unkontrollierte Fahrten
Wie in der Einleitung erwähnt, bezieht sich der Bewegungscharakter auf die Frage, was sich
bewegt: ein Ding oder ein Lebewesen. Im Falle der Kamera ist es ein Ding, ein Werkzeug,
das von einem oder mehreren Menschen bewegt wird.
"In der fotografischen Geste wird der menschliche Körper derart mit dem Apparat zusam-
mengeschweißt, daß es nahezu sinnlos ist, einem von beiden eine besondere Funktion
zuweisen zu wollen. Wenn man das Instrument als einen Körper bestimmt, der in Abhängig-
keit von einem menschlichen Körper bewegt wird ( wenn man sagt, daß innerhalb der
Beziehung "Mensch / Werkzeug" der menschliche Körper konstant und das Werkzeug
variabel sei ), dann ist es nahezu sinnlos, den Apparat als das Werkzeug des Fotografen zu
bestimmen. Genauso adäquat wäre die Behauptung, daß der Körper des Fotografen bei der
Suche nach einem Standort das Werkzeug des Fotoapparats sei." 1
Interessanter Weise trifft diese Feststellung Flussers, die das Verhalten des Fotografen
beschreibt während er kein Bild macht, also noch philosophiert, scheinbar auch auf den
Kameramann zu, während er filmt. 2
Dieser philosophische Aspekt der Standpunktsuche mittels Fotografie ist im Film am deut-
lichsten erhalten und zu sehen, wenn aus der Hand gedreht wird. Die Handkameraführung
suggeriert im Verband mit kontrollierten, objektiven Fahrten, daß die Kamera den
subjektiven Standpunkt einer Person einnimmt, die in die Handlung des Films involviert ist.
Während das in sich unbewegte Photo als auch die unbewegte Kamera nichts über den
Fotografen selbst aussagt, entlarvt eine unkontrollierte Fahrt durch den unruhigen, dynami-
schen Bewegungscharakter des Bildausschnittes den Menschen hinter der Kamera.
Dem Zuschauer soll die Illusion geboten werden, "authentisch" am Geschehen durch die
Augen einer handelnden Person beteiligt zu sein.
Im Drehbuch wird sie demnach als "Subjektive" eines Darstellers angeführt und als solche im
Kinofilm verwendet.
1 Flusser, Vilem, Gesten, S. 141
2 siehe "Der relativierte Standpunkt"
28
Die Faszination und Wirkung "subjektiver" Bilder erklärt sich unter Umständen dadurch, daß
der Mensch hinter der Kamera zwar offensichtlich die Situation beobachtet, aber nicht in das
Geschehen vor der Kamera einwirkt - wodurch beim Zuschauer das Gefühl erweckt wird, der
gezeigten Situation unmittelbar ausgeliefert zu sein und zuschauen zu können, ohne
eingreifen zu müssen.
Der Zuschauer wird somit psychologisch manipuliert und in das Geschehen scheinbar
involviert. Da jedoch für das Kino der "unsichtbare Vojeur" hinter der Kamera suggeriert
werden soll und kein handelndes Individuum, wirkt der subjektive Charakter störend.
Wegen diesen tatsächlich manipulativen Eigenschaften stellt die Subjektive ein dramatur-
gisches Mittel dar, das als selbständiges Stilmittel im klassischen Spielfilm lange Zeit nicht
akzeptiert wurde.
Das Fernsehen, d.h. der Dokumentarfilm bis hin zu den sogenannten News, als auch der Low-
Budget - Kinofilm, hat sich dagegen sehr rasch der subjektiven Kamera angenommen, - nicht
nur aus Kostengründen.
Interessant daran ist, daß die Wirkung eines subjektiven Bildes die abstrakte Ruhe des hori-
zontal unbewegten Bildes unterbricht und gleichzeitig ein Gefühl der Unsicherheit und
Unruhe suggeriert wird, andererseits ein objektives Bild in einem komplett aus der Hand
gedrehten Film erst deutlich macht, wieviel abgehobene Ruhe und Sicherheit ein ruhiges Bild
unterbewußt vermittelt. Die unkontrollierte Kamerabewegung, und hier vor allem die
Handkamera, subjektiviert den "unsichtbaren Vojeur" und damit seinen objektiven
Standpunkt.
Man sollte in diesem Zusammenhang die Tatsache nicht vergessen, daß zum Beispiel im
ehemaligen Ostblock einige Filmindustrien bzw. Produktionen zum Teil nur Filme produziert
haben, die gänzlich aus der Hand gedreht wurden. Es war interessant 1989 in Berlin
mitzuerleben, wie die Mehrheit des Filmfestival - Publikums sich den unbekannten und in
letzter Sekunde eingereichten "Ostblockfilmen" widmete. In der Tat war das Gezeigte von
ausgezeichneter filmischer Qualität, obwohl oder gerade weil einige der herrausragendsten
Filme fast durchwegs aus der Hand gedreht waren.
Der Irrtum westlicher Filmschaffender, das Symptom einer finanziellen Krise vor Augen zu
haben, wurde von anwesenden Regissueren aufgeklärt: natürlich sei die finanzielle Krise ein
Grund für solche Produktionen gewesen; aber man sei sich auch sehr wohl bewußt gewesen,
daß die Unmittelbarkeit der Handkamera und des subjektiven Bildes ein Mittel darstellt,
29
radikale inhaltliche und/oder stilistische Standpunkte auf die Leinwand und von dort zum
Publikum zu bringen, unbemerkt und trotz der im Komunismus herrschenden Zensur.
Ein Film fand besondere Beachtung, gerade wegen seiner subjektiven Sichtweise und einer
seltsamen dramaturgischen Umsetzung durch eine sehr reaktionäre Handkamera, und zwar
"Prischwiens Papieraugen" von Valerie Ogorodnikov.1
In Gesprächen mit dem Regisseur wurde klar, daß sehr wohl gefahren wurde, wobei auch in
diesen Fällen die Kamera in der Hand gehalten wurde, um den optischen Stil des gesamten
Films nicht zu brechen. Außerdem waren, wegen der körperlichen Anstrengung, mehrere
Kameramänner bzw. Operator abwechselnd im Einsatz.
Jedenfalls stand die Unmittelbarkeit und Radikalität der Handkamera dem steril - ruhigen
Erzählkino Hollywoods gegenüber, welches den "way of life" Amerikas als psychologische
Basis benützte und vermittelte: nur nicht aufregen!
In überzeichneter Ruhe wurden in westlichen Filmen die verschiedensten Themen
abgehandelt, und der Verdacht lag nahe, daß jene Form von Unruhe, die die Handkamera im
Zuschauer schafft, als subversiv im Westen abgelehnt würde. Die Spannung des unruhigen
Bildes ermöglicht es unter anderem, auf Dialoge zu verzichten und dramaturgische
Situationen mittels Kamerabewegungen darzustellen, - das heißt innere Bewegung durch
äußere zu suggerieren.
Deswegen wirkt die dynamische Distanzsuche des Kameramannes während des Filmens
spannender und "authentischer" als eine kontrollierte Annäherung an ein Objekt.
Der Bewegungscharakter der Handkamera tritt in den Hintergrund, wenn sie bewußt eingesetzt
und als durchgehendes Stilmittel verwendet wird. In diesem Fall ist es nicht mehr eine
handelnde Person, die hinter der Kamera steht, sondern der Mensch an sich, der Zuschauer
selbst.
In den 80er Jahren hat die unkontrollierte Kamerabewegung in das Kino des Westens durch
den Einsatz in der Werbung gefunden, die ja oft als stilistischer als auch dramaturgischer
Wegbereiter dient, und durch das Fernsehen, speziell durch Musik - Video - Clips. Die
Entwicklung von Kameras wie der Movie - Cam - Compact, die extra für den Einsatz bei
unkontrollierten Fahrten konstruiert wurde um etwa aus der Hand oder mit der Steadycam zu
drehen, war dabei wesentlich.
1 Ogorodnikov, Valerie, "Bumazhuvje glasa Prishwina", 35 mm/F/SW, UdSSR 1988
30
Lineare Bewegungen - Kontrollierte Fahrten
Indem der Kameramann und sein Standpunkt selbst bewegt wird, und durch die Fixierung der
horizontalen Achse durch den Schwenkkopf, wird bei einer kontrollierten Fahrt der
Bewegungscharakter des Menschen in den Hintergrund gedrängt. Im Fall von kontrollierten
Fahrten wird daher auch der "menschlich - philosophische" Standpunkt hinter der Kamera mit
Hilfe des Bewegungscharakters der verwendeten Technik stärker relativiert als bei einer
dynamischen Bewegung.
Die noch sichtbare Dynamik einer objektiven linearen Fahrt wirkt daher nur durch das stili-
stische Bewegungs- und Reaktionsverhalten des Kameraequipments selbst, dessen
Bewegungen dem menschlichen Bewegungscharakter nachempfunden sind und suggerieren
sollen, daß sich die Kamera wie von selbst bewegt.
Um den objektiven Charakter des Bildausschnittes nicht zu stören, ist es wichtig, daß das
Bild, während der Beschleunigung und des Abbremsens einer Fahrt, nicht ruckt oder wackelt,
und daß die Fahrt in der Horizontalen mit einer Wasserwaage ausgemessen wird, damit das
Bild in der horizontalen Achse nicht schwankt. Das gleiche gilt auch für Bewegungen, die
mittels eines "Roboters" realisiert werden ( Cam - Motion - Systeme).
Unsere Prägung, hinter der Kamera den Menschen zu wissen, wirkt schließlich bei linearen
Fahrten doch noch soweit, das wir meinen: Überall, wo eine Kamera war, war auch ein
Mensch.
Tatsächlich gilt das jedoch nur mehr für die abstrahierte Anwesenheit des Menschen: so ist
eine Filmaufnahme der Erde von einem Satelliten aus ein Beispiel einer Fahrt, deren linearer
Bewegungscharakter nur noch dem des Werkzeugs entspricht. Im Film sollten daher lineare
Bewegungen unbedingt ernst genommen werden im Sinne von Kamerabewegungen, die eine
eigene dramaturgische Relevanz besitzen können und eine gesteuerte Bewegung darstellt, die
mit keiner menschlichen Bewegung vergleichbar ist.
Lineare, steril wirkenden Fahrten, deren psychologische Motivation sich aus einer bewußten
Personifizierung einer Maschine ableiten, haben sich stilistisch und dramaturgisch im Film
langsam, aber konsequent entwickelt und stellen einen eigenen Bereich dar. Sie werden
hauptsächlich dann eingesetzt, wenn sich eine Maschine bzw. ein gesteuerter Mechanismus
bewegt und dramaturgisch aktiv wird. Das kann ein Bild einer Überwachungskamera sein, die
von einem Computer gesteuert wird, oder eine "Subjektive" des Pfeils von Robin Hood,
Der Ursprung könnte schon bei den ersten Kamerafahrten liegen, die an fahrende Objekte
gebunden waren und deren Bewegungen nicht ausgeglichen wurden, und führte zu Filmen
31
wie "Ein toller Käfer"1
, in dem immer wieder subjektive Einstellungen eines Autos zu sehen
sind, das scheinbar "menschliches" Bewußtsein besitzt.
In Filmen wie "Robocop"2
, "Cyborg"3
oder "Terminator"4
schließlich bewegt sich der
Hauptdarsteller - eine Roboter/ Mensch - Fusion - ruckartig und linear, und so sehen auch
seine Subjektiven aus. Der Zuschauer begreift aufgrund des Bewegungscharakters sofort: Das
ist, zumindest teilweise, ein Ding.
Tatsächlich wird das scheinbare Eigenleben einer Technik vermittelt, die einen eigenen
dramaturgischen Standpunkt einnimmt. Schließlich wurde mit der Erfindung des Computers
die Frage brisant, ob Maschinen eigenes Bewußtsein haben können oder nicht.
Eine ernsthafte formale als auch inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema
Mensch/Maschine, welches hinter "subjektiven" linearen Bewegungen steht, findet in Stanley
Kubriks "2001 - Odyssee im Weltall"5
statt.
Während des ganzen 2. Drittel des Films sind seltsame, scheinbar gesteuerte Kamera-
bewegungen sichtbar und auch die Darsteller bewegen sich "unüblich", da sie im freien Raum
entweder schweben oder am Boden gehen, der sich aber, durch die Zentrifugalbewegung des
Raumschiffs, nicht mehr "unten" im Bild befindet, sondern "außen", an allen Bildrändern.
Bezeichnender Weise ist das Thema dieses Drittels die Interaktivität zwischen Mensch und
intelligenter Maschine, und endet für den Menschen am Ende des Films in einer rasenden,
absolut linearen Fahrt in eine andere Zeit - Raum - Dimension.
Hier wird eine Realität scheinbar möglich gemacht, die sich im Film formal und inhaltlich im
Laufe der Zeit immer mehr konkretisiert hat: zuerst die vom Menschen kontrollierte
Maschine, dann der von einer Maschine bestimmte Mensch, und in weiterer Entwicklung die
Synthese von Mensch und Maschine.
Zusammenfassend könnte man sagen, daß die beschriebenen linearen und geometrischen
Kamerabewegungen einen Standpunkt definieren und vermitteln können, den nicht mehr ein
Mensch, sondern ein Ding einnimmt.
1 Stevenson, Robert, Herbie Rides again USA 1974
2 Verhoeven, Paul, Robocop, USA 1987
3 Pyun, Albert, Cyborg, USA 1989
4 Cameron, James, Terminator, USA 1984
5 Kubrik, Stanley, 2001 - Odyssee im Weltall England 1968
32
Virtuelle Bewegungen - Programmierte Fahrten
Im Falle einer bewegten Computeranimation geschieht formal nichts anderes als bei realen
Filmaufnahmen. Die Fahrten sind meist objektive Fahrten durch Häuser oder andere Gebilde,
wie von Zauberhand bewegt und sie sind immer programmiert.
Der lineare Bewegungscharakter stellt jedoch dramaturgisch weniger einen Standpunkt einer
Maschine dar wie im Film, sondern leiten sich aus der Technik eines Computers ab, einen
bewegten Standpunkt zu simulieren. Vor allem bei 2 - D - Animationen wirken, ähnlich wie
bei Film - Animationen, simulierte Bewegungen des Standpunktes eigentlich "unreell", da sie
technisch nicht realisierbar sind - man denke nur an Zeichentrickfilme und die stellenweise
irrealen scheinbaren Kamerabewegungen.
Durch den bewegten Standpunkt wird eine anschauliche optische Darstellung eines Raumes
möglich der nicht existiert, also auch nicht optisch ausgemessen werden kann.
Als Beispiel mag der Film "Tron" 1
herhalten, dessen Computeranimationen hauptsächlich aus
eindringenden Fahrten bestehen. Der Hauptdarsteller eilt auf einem motorradähnlichen
Gefährt an elektronischen Leitungen entlang und dringt auf diese Weise in einen Computer
ein. Er wird daraufhin vom Computer gejagt, und die zahlreichen linearen und rasend
schnellen Verfolgungsjagden sollen die lineare elektronische Struktur und Funktion eines
Computers durch Bewegung darstellen.
Mit der Weiterentwicklung der 2 - D - Animationen wurde es schließlich möglich, die
virtuelle Welt des Computers scheinbar "Wirklichkeit" werden zu lassen: Mit Hilfe des
Morphings ist die perfekte Nachbildung des realen Raums in Form einer Filmeinstellung
möglich geworden. So wie das Bild, sind die Objekte, als auch die Kamera oder die
Lichtsetzung virtuelle Realitäten geworden, die wie in der Wirklichkeit agieren und scheinbar
ursächlich existieren.
Hier wird deutlich, inwieweit der Film formal an der virtuellen Welt Anteil hat: Durch "seine"
Sicht, die des unsichtbaren Vojeurs, sehen wir die virtuelle Realität.
1 Lisberger, Steven, Tron, USA 1982
33
DAS BEWEGTE BILD
Der Schwenk
Da bei einem Schwenk der Standpunkt der Kamera nicht verändert wird, gilt der Schwenk
theoretisch gesehen nicht als Kamerabewegung, sondern als Bewegung des Bildausschnittes
an sich.
Der Schwenk ist entweder ein durch die Handlung oder die "innere" Dramaturgie des Films
motivierter Schwenk, z.B. als Reaktion auf einen Blick oder einen Fingerzeig des Darstellers
auf etwas, das sich außerhalb des Bildausschnitts befindet und durch den Schwenk ins Bild
gebracht wird, oder Mitschwenk mit einem bewegten Objekt.
Als stilistischer Faktor das Bild selbst betreffend, und deswegen als Bewegung nicht im Dreh-
buch angeführt, aber für alle Kamerafahrten notwendig, ist das Ausgleichen mit Hilfe des
Schwenkkopfes, um auf die Bewegungsdynamik und den Bewegungsimpuls eines Objekts in
Bezug zum Bildausschnitt besser reagieren zu können.
Tatsächlich stellt der Schwenkkopf den Standpunkt des unsichtbaren Vojeurs dar. Seine
Bewegungen sind scheinbar objektiv, da, wird der Schwenkhebel bewegt, eine
Reaktionsbewegung im Raum stattfindet die zwar dem menschlichen Beobachtungsverhalten
entspricht, so zum Beispiel im Bewegungsimpuls und der Bewegungsdynamik, aber nicht
dem menschlichen Bewegungscharakter.
Die nachfolgend beschriebenen dramaturgischen Kamerabewegungen sind sowohl für
unkontrollierte, kontrollierte als auch programmierte Fahrten gültig, und scheinen, ihrem
Charakter entsprechend, als ZU - bzw. WEGFAHRT, MIT - bzw. PARALLELFAHRT, VOR
- bzw. NACHFAHRT, KREISFAHRT, und HOCH - bzw. NIEDERFAHRT im Drehbuch
auf.
34
Zu - und Wegfahrt
Die einfachste und daher am meisten verwendete Fahrt ist die Zu - bzw. Wegfahrt; sie läßt
sich mit allen anderen Fahrten kombinieren und ist das klassische Mittel, um von der äußeren
zur inneren Dramaturgie zu wechseln und umgekehrt.
Die Zufahrt selektiert ein Objekt aus seiner Umgebung und zeigt den Wandel einer inneren,
subjektiven Haltung in Bezug zu einer äußeren Realität und umgekehrt.
Vor allem der Wandel eines Darstellers wird durch die Zufahrt als aktive Situation, also als
Aktion, empfunden. Es ist also eine Bewegung, die selten den Eindruck von innerer Passivität
vermittelt. Sie wird häufig verwendet, um den Zuschauer etwa auf einen Nebendarsteller oder
ein Objekt hinzuweisen, das Handlungsträger werden wird, oder um die Bedeutung eines
Objekts in Bezug zur Handlung zu betonen.
Die Zufahrt stellt also ein Mittel dar, Menschen oder Dinge in die Handlung einzubinden und
dramaturgisch relevant erscheinen zu lassen. Das gilt auch bei kombinierten Bewegungen,
etwa bei einer Parallelfahrt, die langsam verdichtet wird: die Situation, ein Gespräch oder ein
Objekt, welches "begleitet" wird, hat - so wird dem Zuschauer vermittelt - Einfluß auf die
Handlung, auch wenn ihm dies nicht sofort folgerichtig oder relevant erscheint.
Ähnlich wie bei der Vor - bzw. Nachfahrt ist die Zufahrt eine aus den Alltag bekannte
Bewegung, wenn unser Interesse geweckt wurde. Es ist ein Reflex, der auch in umgekehrter
Richtung wirkt, und es ist, da wir ja ständig auf etwas zugehen, die wichtigste weil häufigste
Bewegung, die wir machen.
Indem wir uns vorwärts bewegen und immer sehen, wohin wir uns bewegen, nähern wir uns
ununterbrochen verschiedenen Dingen sehr bewußt.
Wir lassen aber auch ständig Orte, Menschen und Ereignisse hinter uns - relativ unbewußt, da
wir uns nicht bzw. selten dabei umdrehen., also verkehrt herum gehen.
Die Wegfahrt entläßt ein Objekt oder einen Darsteller aus der unmittelbaren Handlung,
indem das Bild totaler wird und eine Wegbewegung zeigt: der Zuschauer verläßt sozusagen
einen Ort, ein Objekt etc., es wird ihm vermittelt, daß das eben Gezeigte und dadurch dra-
maturgisch vorbei ist.
35
Mit - bzw. Parallelfahrt
Wie im ersten Teil dieser Arbeit angeschnitten, waren die ersten Kamerafahrten horizontal,
allen voran die Parallelfahrt. Sie wird meistens als Passage benützt und hat den Effekt, daß
der zu filmende Darsteller oder Objekt mehr oder weniger immer im Bild bleibt., also von der
Kamera begleitet wird. Eine Parallelfahrt stellt einen für den Zuschauer einen neutralen Blick-
winkel dar, der in sich wenig über die dramaturgische Situation des Objekts aussagt, da die
Distanz nicht verändert wird.
Die Parallelfahrt hat zwei Grundmotivationen: eine innere Situation zu zeigen und dadurch zu
betonen, während eine Bewegung durch den Raum stattfindet; oder die äußere Situation zu
zeigen, die auf den Schauspieler einwirkt.
Die am meisten genützte Parallelfahrt zeigt eine Veränderung der äußeren Situation, Begleitet
also den Darsteller bei seinem Gang, bei dem er sich zumindest von einem zum anderen
Motiv begibt.
Der Darsteller, und vor allem der Hintergrund ist, durch Verwendung einer kurzen
Brennweite, präsent und der Zuschauer hat das Gefühl, die Handlung mit dem Darsteller "vor
Ort" zu erleben. Es ist bei einer Paallelfahrt natürlich möglich, leicht von vorne oder von
hinten zu filmen. Als Anhaltspunkt kann das Profil gelten, das man noch erkennen sollte.
Je länger die Brennweite wird, bis hin zu einer Großen des Darstellers, desto mehr wird der
Zuschauer gezwungen die äußeren Umstände zu vergessen und die inneren Vorgänge des
Darstellers in einer Art Atempause mitzuerleben. Bei sehr langen Brennweiten kann eine
Fahrt verbunden mit einem Schwenk, z.B. bei Lelouche´s Film "Ein Mann und eine Frau"1
,
eine sehr intime Stimmung erzeugen, die durch die Bewegungsdynamik die innere Situation
der Darsteller vermittelt.
Ein schönes Beispiel einer Parallelfahrt ist jene, die in John Lennon´s Videoclip zu den Song
"Imagine"2
verwendet wird, und die für unzählige Werbungen wieder verwendet wurde: Die
Fahrt begleitet einen Mann bei einem Gang durch immer dasselbe Zimmer, das sich von Mal
zu mal verändert, wie auch die Situation der Person. Das es sich immer wieder um das selbe
Zimmer handelt wird durch ein Fenster sichtbar, in dem der Hintergrund gleichbleibt.
1 Lelouche, Claude Ein Mann und eine Frau , Frankreich 1966
2 Salt, Andrew, Imagine ,1988
36
Abgesehen davon, daß die Fahrt eine ihrer Motivationen in dem Nichtverlieren des Darstellers
hat ( Parallelfahrt), findet sich eine weiter Motivation darin, daß sich der Zustand des
Darstellers nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich verändert. Die Fahrt ist relativ lang und
kontrastiert durch eine auffallende Gleichmäßigkeit in der Bewegung mit dem jeweils stark
veränderten Zimmer, welches die Veränderungen eines ganzen Lebens zeigt.
Die gleichmäßig ruhige Kamerabewegung vermittelt Sicherheit, egal in was für einer Lage
sich der Darsteller befindet, und es ist eigentlich nicht zu erkennen, ob sich die Kamera be-
wegt oder die Reihe der Zimmer vor der Kamera vorbeizieht.
Tatsächlich ist es auch unwichtig: Die Hauptsache ist, daß, im Falle einer Werbung für ein
Produkt, der Anbieter ( Standpunkt der Kamera ) mit dem Darsteller ( Kunde ) auf einer Höhe
bleibt ( Vertrag = Inhalt des Abkommens zwischen Kunde und Produkt "immer da zu sein" )
Dieses Beispiel einer klassischen Passage, in diesem Fall eine Parallelfahrt, findet man auch
in diversen amerikanischen Spielfilmen der 50er und 60er Jahre, wobei die Kamera offen-
sichtlich etwas macht, was irreal erscheint: sie fährt durch Wände, während der Darsteller
durch reale Türen geht. Solche Fahrten sind natürlich nur in Studiodekorationen möglich,
wobei der Zuschauer durchaus die Abstraktion und die dadurch ausgedrückte psychologische
Aussage akzeptiert.
Durch die Bewegungsdynamik lassen sich innere Zustände als auch äußere Situationen
differenzierter vermitteln, das heißt die Kamera ständig in Bewegung zu halten, während der
Darsteller innerhalb des Bildausschnittes seine Geschwindigkeit verlangsamt, um der Kamera
nicht davonzulaufen oder erhöht, um der Kamera nicht verloren zu gehen. Durch den Kontrast
der gleichmäßigen Kamerabewegung und der wechselhaften Bewegungsgeschwindigkeit des
Darstellers kann eine große Spannung erzeugt werden, die den Eindruck von Unsicherheit des
Darstellers gegenüber den äußeren Umständen erweckt.
Ein anderer Effekt stellt sich ein, wenn das Objekt beabsichtigter Weise der Kamera entweder
davonläuft oder zurückbleibt, und so den Bildausschnitt verläßt: hat der Zuschauer im ersten
Fall den Eindruck, der Darsteller überwindet seine gegenwärtige Situation, entsteht im
zweiten Fall der Eindruck, daß die Ereignisse bzw. äußeren Umstände den Darsteller "über-
rollen", er im Vergleich zu den Geschehnissen zurückbleibt.
Diese beiden Effekte können auch mögliche Ausstiege aus einer Passage sein, also z.B. nach
einer Fahrt, die einen Mann und eine Frau gezeigt hat, die ihre Beziehung besprechen und
etwaige Probleme gelöst oder nicht gelöst haben.
37
Auch bei Verfolgungsjagden kann die Position des Objekts zur Kamera die dramaturgische
Situation zwischen dem Verfolgten und Verfolger verdeutlichen, und den Zuschauer vor-
bereiten: Befindet sich der Verfolgte am Anfang der Jagd im vorderen Teil des Bildaus-
schnittes (wenn er nach links läuft also am linken Bildrand) und fällt er mit der Zeit zurück,
während es bei den Einstellungen des Verfolgers umgekehrt ist, so suggeriert das dem
Zuschauer, daß der Verfolger das Opfer bald eingeholt haben wird.
Diese Effekte entstehen natürlich nicht nur durch die Positionen im Bild oder Bewegung an
sich, sondern verstärken die von Schauspielern dargestellten Situationen; sie können bei
Actionszenen sogar an sich, nur durch den Schnitt unterstützt, aussagekräftig sein.
38
Vor - und Nachfahrt
Je mehr sich eine Mitfahrt von einer Parallelfahrt in die Bewegungsachse begibt, verstärkt
sich der Eindruck der Jagd / Flucht - Situation, die Fahrt ändert sich zur Vor - bzw. Nachfahrt.
Bei der Vorfahrt wird im Zuschauer das Verlassen eines Ortes oder einer Begebenheit ver-
stärkt bis hin zur Flucht, wenn die Geschwindigkeit der Bewegung dementsprechend groß ist.
Bei ein "Mann und eine Frau"1
z.B. verlassen die Darsteller gemeinsam ein Internat, wo sie
ihre Kinder zurückgelassen haben. Sie lernen sich durch das Erzählen ihrer Vergangenheit
näher kennen. Fast die ganze Sequenz ist in einer Vorfahrt aufgelöst, während das Paar in
einem Auto in die Stadt fährt.
Die Szene impliziert sehr stark die Vergangenheit, von der sie sich nicht befreien können -
aber auch den Wunsch, neu anzufangen.
Verstärkend wirkt zusätzlich, daß es zu regnen beginnt, und die eintönige Bewegung der
Scheibenwischer den Eindruck des "auf der Stelle Tretens" der beiden Menschen vermittelt.
Tatsächlich ist es ja der Fall, daß bei einer Vorfahrt der Hintergrund, also die Umgebung oder
das Motiv, von dem man sich wegbewegt, im Bild dargestellt ist. Das "woher" bekommt
Symbolgehalt.
Bei der Nachfahrt ist es umgekehrt: Man sieht, wohin sich ein Darsteller bewegt.
Allerdings sieht man das Gesicht des Darstellers nicht. Der Darsteller wird also von der
Kamera verfolgt, und wenn auch eine Nachfahrt nicht als Subjektive eines Darstellers dekla-
riert ist, ergibt sich beim Zuschauer doch stark der Eindruck einer subjektiven Einstellung
eines "Jägers".
Dieser Effekt hat damit zu tun, daß wir im alltäglichen Leben oft hinter anderen Menschen
hergehen, auf der Straße oder in einer Warteschlange; selten gehen oder stehen wir rückwärts
gewandt.
So gesehen ist die Nachfahrt jene Kamerabewegung, auf die das Unterbewußtsein zwar am
meisten anspricht, die aber auch am unspektakulärsten ist. Man kann sagen, daß die Nachfahrt
sehr eindeutig mit unserer eigenen Erfahrung "spielt", also dem Zuschauer vermittelt: "Dieses
Auto" oder "dieser Mensch" wird verfolgt oder flieht vor etwas oder jemandem, egal ob er das
weiß oder nicht. Man hat den Eindruck, ein Ereignis stehe bevor, eine Gefahr o.ä. bedrohe
den Darsteller, und nur aus seinem Verhalten können wir ableiten, ob das eine oder andere
relevant ist oder nicht.
1 Lelouche, C. Ein Mann und...
39
Nachfahrten werden meistens in Kombination mit Vorfahrten und Parallelfahrten bei Action
-, Horror - und Kriminalfilmen eingesetzt, um die Spannung zu erhöhen, also die drohende
Gefahr dem Zuschauer klarzumachen, die ihm aber unbekannt bleibt, und somit seine
Phantasie nicht beengt.
Sieht man beispielsweise ein junges Mädchen durch eine einsame, dunkle Straße gehen und
geschieht das in einer Nachfahrt, so wird der Zuschauer bei einer Vorfahrt den Hintergrund
unbewußt absuchen, und bei jeder kleinsten Bewegung im Hintergrund die Gefahr vermuten.
Angenommen, wir sehen hinter dem Mädchen tatsächlich etwas, und nähert sich in der darauf
folgenden Nachfahrt die Kamera dem Mädchen (Zufahrt), so wird impliziert: es ist tatsächlich
eine Gefahr vorhanden. Bei einer folgenden Vorfahrt wird der Zuschauer noch genauer
aufpassen, ob nicht irgend jemand zu erkennen ist, der diese Gefahr darstellt, - der Zuschauer
wartet förmlich auf den Beweis der Gefahr.
So vorbereitet und auf die Folter gespannt erschrickt der Zuschauer dann auch, wenn er die
Gefahr sieht, zutiefst. Es ist noch nicht lange her, daß dem Publikum Ausrufe wie "Achtung"
oder "Paß auf !" entfuhren, wie z.B. Kinder genau auf solche vorbereitende Effekte reagieren.
Die Nachfahrt, kombiniert mit der Vorfahrt ist deshalb der klassische Spannungseffekt für
Action, die im " gut - böse "/ " Opfer - Täter" - Schema konstruiert ist.
Sie kann aber auch alleine verwendet, sehr subtil wirken und auf eine innere, nicht von außen
kommende Wandlung oder Gefahr hinweisen. In jedem Fall wird eine Problemszene unter-
bewußt im Zuschauer "vorangekündigt", was, ohne zusätzliche Zufahrt, mit dem Ort, wo sich
der Darsteller hinbewegt, zu tun haben kann.
40
Die Kreisfahrt
Eine sehr effektive als auch effektvolle Fahrt ist die Kreisfahrt, vor allem, wenn sie ausge-
fahren wird: sie stellt das "Einkreisen" nicht nur tatsächlich dar, sondern vermittelt dem
Zuschauer auch den psychologischen Aspekts des Gefangenseins.
Je totaler der Bildausschnitt ist, desto mehr erlebt der Zuschauer durch den Hintergrund eine
passive Situation des Darstellers mit, da er ja die gesamte Umgebung sieht, die als ganzes auf
den Darsteller einwirkt. Je enger der Bildausschnitt ist, desto mehr wird die innere Situation
suggeriert, allerdings als aktive Situation des Darstellers.
In beiden Fällen sitzt der Darsteller selbst im Mittelpunkt fest, auch wenn er sich tatsächlich
bewegt.
Wird der Kreis nicht ganz geschlossen, kommt die Fahrt einem Achsenwechsel gleich. Tritt
ein Darsteller in einen Raum, wobei sich für ihn eine neue Situation ergibt durch das, was er
sieht, kann man, statt einer subjektiven Einstellung, die den Raum zeigt, eine Kreisfahrt
machen, in der Darsteller zuerst von rechts nach links, am Ende von links nach rechts blickt -
was auch einen inneren Standpunktwechsel bedeuten würde.
Wird die Fahrt hinter dem Darsteller geführt, sieht der Zuschauer genau das, was auch der
Darsteller sieht - allerdings aus einer neutraleren Position, als es eine "Subjektive" erlauben
würde.
Wird die halbe Kreisfahrt vor dem Schauspieler geführt, wird, da sein Gesicht zu sehen ist,
eine innere Haltung betont - von unten gefilmt ergibt sich praktisch ein Handlungsbedarf des
Darstellers oder eine Reaktion seiner Umgebung.
Wird der Kreis geschlossen, wird die ursprüngliche Position wieder eingenommen - sowohl
äußerlich als auch innerlich. Das kann z. B. den festen Charakter eines Darsteller unter-
streichen, wenn sich während der Fahrt sein innerer Zustand ( Standpunkt ) nicht geändert hat
angesichts dessen, was er und das Publikum gleichermaßen sehen.
An sich verstärkt die Kreisfahrt eine Bewußtwerdung eines Ortes oder einer inneren Situation
viel mehr als eine Schnittauflösung ( G des Darstellers / subjektive Totale / G des Darstellers).
Der Haupteffekt der Kreisfahrt vor allem wenn sie mehrere Male gefahren wird, bleibt aber
der Eindruck der Hilflosigkeit - die ganze Umgebung wird in ihrer Auswirkung auf den
Darsteller konzentriert, und setzt ihn erbarmungslos mit den äußeren bzw. dramaturgischen
Umständen in eine starke psychische Relation.
41
Außerdem befindet sich der Darsteller vom Zuschauer aus in einer passiven Lage, die von
ihm aus nur durch eine innere Entscheidung oder eine von außen kommende Aktion beendet
werden kann. Das Publikum erlebt die Situation als hoffnungslos mit.
Die Variationsmöglichkeiten bei einer Kreisfahrt sind vielfältig und reizvoll, vor allem wenn
sie mit Schwenks und Umschärfen kombiniert wird.
42
Hoch - und Niederfahrt
Die üblichsten vertikalen Kamerabewegungen sind Ausgleichsfahrten im kleinen Rahmen,
etwa wenn sich ein stehender Darsteller niedersetzt, oder bei einer Mitfahrt eines Schau-
spielers, der Treppen hinauf oder hinabsteigt.
Zweck dieser Fahrten ist es, eine in einer Einstellung gewählte Kamerahöhe in Bezug zu
einem ganz bestimmten Objekt konstant zu halten oder diese Höhe absichtlich zu verändern.
Dies gilt in den meisten Fällen für die Augenhöhe eines Schauspielers, deren vertikale Über-
schreitung entweder in die Kameraposition "von unten" oder "von oben" führt.
Gerade bei Hoch - und Niederfahrten wird durch die bewegte Überschreitung der Augenhöhe
der Effekt einer gewissen Schicksalhaftigkeit einer Situation eines Darstellers impliziert.
Verbunden mit einer Zufahrt kann eine Niederfahrt einem auch nicht überzeugenden
Schauspieler zu einem "starken" Auftritt verhelfen, während eine Hoch - und Wegfahrt die
Sache für den Darsteller nicht so günstig erscheinen läßt.
Ein weiters Beispiel könnte einen Gefängnishof in einer "weiten Totale von oben" zeigen,
inmitten der Gefangenen der Hauptdarsteller. Nun folgt aus dieser Perspektive eine Nieder-
fahrt auf den Darsteller zu, die in einer "Nahen von unten" endet. Die Schicksalsgemeinschaft
der Gefangenen am Anfang und der Hauptdarsteller am Ende der Einstellung werden durch
die Fahrt in einen dramaturgischen Bezug zueinander gebracht.
Daneben gibt es vertikale Kamerabewegungen die sich aus der Filmsprache selber ableiten
lassen, also beispielsweise den Kamerastandpunkt in Beziehung zur Bildkomposition
verändern.
In jedem Fall ist eine Nieder - bzw. Hochfahrt im großen Rahmen eine tatsächliche Zu - oder
Wegfahrt in Bezug zur Erde und damit zu dem Bereich, in dem Geschichten spielen.
In diesem Sinne wird sie zum Beispiel als klassische "Einführung" und "Entlassung" am
Anfang und am Ende eines Westerns verwendet. Die Niederfahrt am Anfang, um den Helden
vorzustellen und um in die "Welt der Geschichten " einzutauchen, und die Hochfahrt am Ende
um die Geschichte zu beenden und den Helden, wie gekommen ist, zu entlassen.
Die Hochfahrt kann auch eine Szene, z. B. ein Schlachtfeld, vorstellen und dem Zuschauer
einen Überblick schaffen - im wahrsten Sinn des Wortes.
43
Ein Beispiel, in dem beide Aspekte zusammenfallen, ist in "Spiel mir das Lied vom Tod" 1
zu
sehen, und zwar am Ende der Szene als C. Cardinale zum ersten Mal auftritt: vergeblich sucht
sie auf dem Bahnhof ihren Mann, und als sie begreift, daß er nicht kommt, geht sie in das
Bahnhofsgebäude hinein, um nach dem Weg zu fragen.
Als sie den Raum auf der gegenüber liegenden Seite wieder verläßt, macht die Kamera, die
sich außerhalb des Gebäudes befindet und durch ein Fenster in den Raum sieht, eine
Hochfahrt: die Vorgeschichte ist abgeschlossen, und wie eine Schiebeblende zieht die dunkle
Wand des Gebäudes vorbei, um schließlich eine Totale des Hauptschauplatzes zu zeigen: ein
entstehendes Dorf, in dem der folgende Film spielen wird.
Da Hoch und Niederfahrten im großen Stil nicht der menschlichen Bewegungserfahrung
entsprechen, haben solche Kamerabewegungen einen schwebenden Charakter, und eine
erhebende bzw. eintauchende Wirkung in Bezug zur Handlung. Vertikale Bewegungen im
Raum stellen,vor allem in verbindung mit horizontalen Bewegungen, den besonderen
Standpunkt des unsichtbaren Vojeurs dar, wobei durch Entwicklungen wie der Flying Cam
und ähnlichen scheinbar auch unkontrollierte vertikale Bewegungen möglich geworden sind.
1 Leone, Sergio - "Spiel mir das Lied vom Tod", Italien/ USA 1968
44
Conclusio:
DER BEWEGTE RAUM
Wie im ersten Teil dieser Arbeit beschrieben, gab es ursprünglich zwei parallele Entwick-
lungen in zwei verschiedenen "Räumen", von denen wir uns heute Bilder machen: dem realen
Raum und dem virtuellen Raum.
Was den Transport und die dadurch mögliche Interaktivität dieser Bilder anbelangt war
jedoch erst die Erfindung des Videos und des Fernsehens, dem Medium der Telematik,
bahnbrechend: Es relativiert unseren Zeit- und Raumbegriff von Bildern und macht es
möglich, Bilder des realen und virtuellen Raumes im Augenblick ihrer Entstehung anschaubar
zu machen, zu transportieren und zu vervielfältigen. Durch den unmittelbaren Zugriff auf das
Bild wurde eine eigene Dimension geschaffen: Das Live - Bild.
Der Einbruch des Live - Bildes in die Film - als auch Computerwelt hat in der Folge notge-
drungen eine Symbiose der "bildschaffenden" Techniken mit sich gebracht, während der
befürchtete Überlebenskampf zwischen Film und Video ausgeblieben ist - die Profis beider
Welten haben zugunsten des Bildes an sich kapituliert.
Beim Film in der Art, als daß der Computer (Steuerungstechnik) als auch das Video
(Videoausspiegelung für z.B. den Kameraassistenten) in die Film - Kameratechnik Einzug
gehalten haben. Bewegte Computeranimationen öffnen einen Bereich des Bildes selbst, der
dem Film bzw. Video nicht zugänglich ist, oder die leichter mittels Computer realisiert
werden können.
Das Bild selbst betreffend gibt es beim Film seit langem die klassische Arbeit des
Realtrickfachmannes, der, meist Kameramann, grafische und andere Bilder auf optischem und
mechanischem Weg in eine Filmeinstellung integriert.
Diese Arbeitsweise ist durch den Computer innerhalb von kaum einem Jahrzehnt fast ersetzt
worden, und zu dem klassischen Filmteam ist eine wichtige Funktion hinzugekommen, die
die Symbiose von elektronischen und optischen Bildern erst möglich gemacht hat: Der
Computerbildanimateur - der sich letztlich sein eigenes Filmteam schafft.
Was die Computerwelt selbst betrifft, hat sich das Bild einen besonderen Platz geschaffen
durch die Tatsache, daß die Gebraucher von Computern und damit von Bildschirmen lieber
lustige bunte Bilder sehen wollen als starre, lineare Zahlenkolonnen oder Grafiken. Die
45
Forschungsarbeiten und vor allem die Kosten um schließlich fotorealistischen
Computerbildern auch das Laufen beizubringen, also virtuelle Film - bzw. Video - Sequenzen
in Echtzeit abzuspielen, waren und sind noch immer enorm.
Vor allem Bewegungen des Betrachtungsstandpunktes können bei Computeranimationen
beim Zuschauer den Eindruck verstärken, als wären die dargestellten virtuellen Räume und
Objekte real vorhanden, da wir vom Film her glauben und wissen, daß hinter der Kamera eine
Welt existiert.
Da jedoch keine Kamera , sondern der an sich unbewegte Bildschirm - wie ein fixes Fenster
in den virtuellen Raum - den Bildausschnitt "zeigt", muß tatsächlich der Raum an sich
scheinbar bewegt werden, das heißt die Objekte, die den Raum anschaulich machen, um eine
virtuelle Kamerabewegung zu simulieren.
Diese Technik, nämlich an sich unbewegte Objekte durch Einzelbildaufnahmen (Stoptrick)
sich scheinbar selbst bewegen zu lassen, ist durch den Animationsfilm schon lange bekannt
und genutzt worden. Der Trick liegt unter anderem darin, daß man, bei absolut linearen
Kamerabewegungen durch einen Raum mit ruhenden Objekten, genau so gut die Objekte statt
der Kamera bewegen könnte, um einen bewegten Standpunkt des Betrachters zu suggerieren -
und umgekehrt.
Diese Tatsache, mathematisch und physikalisch unter anderem durch Einsteins
Relativitätstheorie belegt und berechenbar gemacht, reiht sich an andere für die Telematik
wesentliche Erkenntnisse, wie die mindestens 18 Bilder pro Sekunde die notwendig sind, um
bei einer Projektion unsere Augen zu überlisten - wir sehen keine einzelnen Bilder mehr,
sondern einen Fluß von Bildern.
Während beim Film schon von Anfang an bei der Aufnahme mehr als 18 Bilder erzeugt
wurden und leicht wieder abgespielt werden konnten, stieß die Weiterentwicklung von einem
künstlich erzeugten Bild ( 2 - D - Animation) zu einer künstlich erzeugten Filmeinstellung ( 3
- D - Animation, Morphing) auf enorme Probleme: Um nicht nur Bewegungen im Bild zu
ermöglichen, sondern auch den Standpunkt zu verändern, mußte der Raum rechnerisch erfaßt
und definiert werden.
Erst durch den gemeinsamen Nenner, nämlich den Raum an sich und seine optisch als auch
mathematisch genaue und kompatible Definition, gelang es, coputeranimierte Bilder in Film
- oder Videosequenzen einzukopieren - und zwar mit einer derart fotorealistischen
Genauigkeit, daß kommende Generationen der Frage: "Wurde dieses Bild optisch oder
elektronisch hergestellt?" ohne Coputeranalyse hilflos gegenüber stehen werden.
46
Am Ende steht, - nach der Definition des Standpunktes an sich durch die Perspektive, und die
Erfassung und Definition des Raumes durch Bewegung des (perspektivischen) Standpunktes
an sich, der scheinbar bewegte, in Bewegung geratene, Raum.
Da von Computeranimationen bis hin zum Cyberspace Bilder bewegter Standpunkte einer
Kamera einen Hauptfaktor zur Orientierung darstellen, und dadurch bis zu einem gewissen
Grad filmästethische Gesetze gültig sind, die genutzt werden, um die scheinbare Realität der
Bilder erlebnishafter zu machen - und sie so stilistisch prägen - wird umgekehrt unser Bild der
Realität "filmischer".
Dabei spielen mehrere Faktoren eine Rolle, wie zum Beispiel der Bildausschnitt und die
Distanz des Betrachters zum Bild. Je näher sich die Projektionsfläche vor dem Zuseher be-
findet, desto leichter löst sich das klassische, rechtwinkelige "Bild" für den Zuschauer auf,
und wird zur scheinbaren räumlichen Realität.
Im Cyberspace wird deshalb eine Brille verwendet, die das Bild unmittelbar vor den Augen
erscheinen läßt, wodurch der Mensch scheinbar in den virtuellen Raum des Bildschirms
hinein tritt. "Der Medientheoretiker Marshall McLuhan hatte ja schon vor über 3o Jahren am
Lichtimpulsbombardement des Fernsehens erkannt, daß der Betrachter selbst zum Bildschirm
geworden ist. Heute schließen sich Monitor und Netzhaut kurz."1
Der nächste Schritt ist dann der interaktive Film, in dem sich der Betrachter nicht nur als
Darsteller bewegen, sondern auch in die Handlung eingreifen kann, die interaktive
Computeranimation, durch die sich der Betrachter "seine" Realität programmieren kann, und
das interaktive Video, um mit anderen Menschen rund um die Welt zu kommunizieren.
Die Technologie und Wirkung eine Kamera nicht nur für Filmaufnahmen zu bewegen, hat
letztlich Räume sichtbar gemacht die zwar real, aber bisher nur virtuell darstellbar waren, wie
zum Beispiel der Weltraum, oder Bilder aus dem inneren verschiedener Körper.
"Virtuelle Realität heißt nämlich, daß es Menschen jetzt prinzipiell möglich ist, eine
Menschen unerreichbare Welt zu manipulieren - sei es auf der Venus, sei´s im Vulkankrater,
sei´s in radioaktiv verseuchten Gebieten."2
1 Bolz, Norbert, Das kontrollierte Chaos: Vom Humanismus zur Medienwirklichkeit
(Düsseldorf, ECON - Verlag 1994) S. 263
2 ebenda,
47
Was Norbert Bolz hier anspricht ist die Tatsache, daß die Symbiose von optisch als auch
elektronisch erfaßter Umgebung dazu geführt haben, die Manipulation des Menschen durch
eine Scheinrealität zu ermöglichen ( Film, Fernsehen) - mit dem Ergebnis, daß der Mensch
gleichzeitig fähig geworden ist, durch diese Scheinrealität seine Umwelt zu manipulieren
(Telematik, Fernsteuerung ).
Vor allem anhand der militärischen Technik läßt sich erkennen, daß die angesprochene
Manipulation Realität geworden ist - wobei sich nicht nur unser Verhältnis zum Raum,
sondern auch zur Zeit verändert hat. Denn: "Der Videofilmer manipuliert die Linearität der
Zeit. ... Das Rohmaterial des Videofilmers ist die Geschichte im strengen Sinn....Er agiert also
nicht nur in der Geschichte, sondern wirkt auch auf sie ein."1
Was das agieren und Erleben des von Flusser angesprochenen "Videofilmers" betrifft, ist er
der ursprüngliche unsichtbare Vojeur, jedoch gleichzeitig Handelnder und Zuschauer in einer
Person.
So soll am Ende dieser Arbeit ein unbekannter Soldat zitiert werden, der als einer der ersten
zurückgekehrten Piloten im Golfkrieg interviewt wurde, und auf die Frage, wie er seinen
Einsatz erlebt hatte, antwortete: " Oh, it was like a movie!".
Und wirklich: Die aufwendig realisierte "Subjektive" einer Rakete im Anflug auf ihr Ziel war
beeindruckend, - wie wir es aus Kinofilmen kennen.
Tatsächlich hatte der Soldat live die selben Bilder von Einschlägen der Raketen gesehen wie
der Rest der Welt, aus moralischen / taktischen Gründen zeitversetzt, im Fernsehen.
Was hier in einem Satz ausgesprochen wird, zeigt, inwieweit Kamerabewegungen, in ange-
sprochenen Fall von einer auf eine Rakete montierten Kamera, in unser telematisches Handeln
eingebunden sind.
Bilder bewegter Standpunkte, ob von einem Wettersatelliten oder einer Roboterkamera in
einem Atomkraftwerk, sind ein Teil unserer Realität geworden, an der der klassische
Kinofilm insofern seinen Anteil hat, als daß er "die Geschichte" vorausahnt, erzählt und
anschaulich macht, die heute, mit Hilfe der Telematik, verwirklicht wird.
Dieser visionäre Charakter und manipulative Funktion des Kinofilms scheint allerdings, will
man den drei in dieser Arbeit zitierten Philosophen glauben, erst in Zukunft ihre volle
Wirkung entfalten. Vilem Flusser schreibt im letzten Absatz des Essays "Die Geste des
Filmens":
1 Flusser, Vilem, Gesten, Die Geste des Video, S. 250
48
"Im Film wird nicht, wie im traditionellen Bild, ein Phänomen dargestellt, sondern eine
Theorie, eine Ideologie, eine These, welche Phänomene bedeuten. Daher erzählt der Film
nicht Geschehen, sondern stellt Geschehen vor und macht es vorstellbar: er macht Geschichte.
...Es ist nicht ausgeschlossen, daß zukünftig die existentiell bedeutende Geschichte vor
Zuschauern auf Wänden und TV - Schirmen abrollen wird statt im Zeitraum. Darum ist der
Film die "Kunst" unserer Zeit, und die filmische Geste die des "neuen Menschen", eines uns
nicht unbedingt sympathischen Wesens." 1
1Flusser, Vilem, Gesten, Die Geste des Filmens, S. 157f
49
GLOSSAR
Anamorphotische Optik verzerrt ein Breitwandbild auf dem Negativ der Breite nach und preßt
ein Breitwandbild um 50% seitlich zusammen, um keinen Platz am Negativ zu verschwenden.
Aufbau alles, was an Technik oder Mechanik mit dem Kamerawagen mitgeschoben wird
Bühnenkistln - rechteckige Holzkisten, ca. 50 x30 x15 cm
Cammotionsysteme Kamera - Bewegungssysteme. Unter diesen Begriff fallen alle elektro-
nisch gesteuerte Techniken, eine Kamera mittels Mechanik zu bewegen (Industrieroboter).
Dollyfahrer ist derjenige, der den Kamerawagen schiebt, Dolly = Kamerawagen, engl.
Gripman ist für alles zuständig, was für die Kamera aufgebaut werden muß
Hothead ein ferngesteuerter Schwenkkopf der Firma Kaleidoscope.
Hydrokopf der sogenannte europäische Schwenkkopf, der mit einem Schwenkhebel bewegt
wird, was die Bedienung mit einer Hand möglich macht. Trotzdem er ist mit einer
hydraulischen Dämpfung ausgerüstet, ist die dynamische und mehr oder weniger unruhige
Armbewegung mehr zu spüren, als bei einem Kurbelkopf.
Jib - Arm (engl.) Ausleger, kleiner Kran.
Kurbelkopf ein Schwenkkopf, der mit Hilfe von 2 Kurbeln bedient wird: jeweils eine für die
horizontale und eine für die vertikale Schwenkbewegung. Er erlaubt genaue Bewegungen,
und ist mit 2 Händen zu bedienen. Der Bewegungscharakter ist linearer als beim Hydrokopf
Lovel - Grip eine spezielle Form einer Schraubklemme, mit drehbarem Gelenk mit einem
Zapfen, an dem Scheinwerfer montiert werden
Lassoband strapazierfähiges Klebeband aus lackiertem Stoff,
Morphing 3 - D - Computeranimationstechnik, mit der sich Gegenstände, aber auch Gesichter
oder Landschaften fotorealistisch in Echtzeit verwandeln lassen. Dadurch, daß die
Animationen kaum mehr linearen Charakter aufweisen wenn der scheinbare
Betrachtungswinkel verändert wird, sind sie den realen Filmbildern ähnlicher als herkömm-
liche Animationen.
Movie - Cam (Compact) Eine kompakte Version der in Österreich entwickelten und gebauten
Movie - Cam, die sich besonders als Handkamera eignet und für Einsätze als Steadycam, im
Helikopter u. ä.
Operator - (engl.) Schwenker
Panther Der Panther stellt einen Kamerawagen dar, der mit Hilfe elektronischer Steuerung
und elektromechanischem Hubmechanismus Hoch - und Niederfahrten in einer Distanz von
75 cm erlaubt.
Praktikabel stabiles Holzgestell mit Standfläche. Üblicherweise 3o , 50 und 100 cm hoch
50
Remote - Head (engl.) Ferngesteuerter Schwenkkopf,
Sektorblende nach links oder rechts drehbare Verschlußblende bei Filmkameras. Ein Sektor,
ca. 180 o , ist frei und dient zur Belichtung, der andere schließt die Blende während des
Filmtransports und macht es mittels eines Spiegels möglich, im Okular den Bildausschnitt zu
sehen.
sphärische Optik normale Foto und Filmoptik, die das Bild nicht verzerrt.
Steadycam Ist eine Aufhängungsvorrichtung für eine Kamera, die um den Körper geschnallt
wird, und mit der sich der Kameramann bzw. Operator praktisch frei bewegen kann. Durch
einen speziellen Federungsmechanismus wird bei allen Bewegungen der Kamera der
Bildstand in der horizontalen Achse ruhig gehalten, was den Kriterien des objektiven Bildes
entspricht.
Telematik: Zusammengesetzt aus den Wörtern Telekommunikation und Informatik Die
Telematik umfaßt alle Medien und Daten, die sich mittels Kabel aber auch drahtlos "trans-
portieren" lassen. Außerdem stellt die Telematik ein interaktives Kommunikations - und
Aktionsmedium dar, so zum Beispiel in der Raumfahrt und der militärischen Technik.
virtuell Als virtuell bezeichnet man einen Raum (Bild), der (das) beliebig manipulierbar ist,
und scheinbar oder tatsächlich realen Raumkoordinaten (Objekten) entspricht.
51
LITERATURVERZEICHNIS
Postman, Neil - Wir amüsieren uns zu Tode S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
1985
Flusser, Vilem - Gesten Bollmann Verlag, Düsseldorf und Bensheim 1991
Bolz, Norbert, Das kontrollierte Chaos: Vom Humanismus zur Medienwirklichkeit
Düsseldorf, ECON - Verlag 1994 S. 263
Samuelson, David, Manuel f. Cinematographers, ( Oxford, Butterworth - Heinemann, 1994)
Balazs, Bela, Der Film, Wien, Globus - Verlag, 1949
52

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Diplomarbeit Vers. 2016

  • 1. Praktische und theorethische Aspekte der Kamerabewegungen DIPLOMARBEIT SANDRO DECLEVA INHALTSVERZEICHNIS EINFÜHRUNG 2 Der relativierte Standpunkt 4 Rückblick 7 DIE BEWEGTE KAMERA Stil und Technik 10 Hello Dolly - praktische Aspekte 12 Die Schiene 13 Der Kamerawagen: Am Beispiel "Panther" 16 Der Kran 19 Das Schieben 20 Kamera und Schauspieler 22 Bewegungsdynamik 24 Bewegungsimpuls 26 Bewegungscharakter Dynamische Bewegungen - unkontrollierte Fahrten 27 Lineare Bewegungen - kontrollierte Fahrten 30 Virtuelle Bewegungen - programmierte Fahrten 32 DAS BEWEGTE BILD Der Schwenk 33 Die Zu - und Wegfahrt 34 Die Mit bzw. Parallelfahrt 35 Die Vor - und Nachfahrt 38 Die Kreisfahrt 40 Die Hoch und Niederfahrt 42 CONCLUSIO: Der bewegte Raum 44
  • 3. EINFÜHRUNG Film und Fotografie unterscheiden sich dadurch von einander, daß das Foto einen Moment eines meist bewegten Ablaufs zeigt, während beim Film Bewegungen und deren Abläufe dokumentiert werden . Sehr früh schon wurde entdeckt, daß sich nicht nur bewegte Abläufe darstellen ließen wie auf einer Bühne, sondern auch die Kamera bewegt weden konnte, und somit dem Zuschauer das Gefühl vermittelte nicht in einem Theater zu sitzen, sondern sich "durch die Welt zu bewegen". Es wird in dieser Arbeit davon ausgegangen, daß sich die Anwendung und Wirkung der bewegten Kamera im speziellen aus dem Verhalten und den Erfahrungen entwickelt haben, die der Mensch im Laufe seines Lebens macht, indem er sich in der Welt bewegt während er sie beschaut und beobachtet. Die in dieser Arbeit zitierten Philosophen Vilem Flusser und Neil Postman gehen davon aus, daß wir durch die telematische Kommunikation eine Art Bildsprache entwickeln, die nicht nur zu Unterhaltungszwecken dient 1 . Die Voraussetzungen für die heute stattfindende Kommunikationsrevolution bildeten unter anderem die Erkenntnisse aus Fotographie und Film. Auf dem Bildschirm eines Computers wurde das Wort zwar nicht vom Bild verdängt, aber das Bild hat sich einen eigenen Platz in Bereichen geschaffen, die Jahrhunderte lang dem Wort vorbehalten waren. Durch die multimediale Entwicklung entsteht eine Kommunikationsform die als interaktiv bezeichnet wird: die Grenzen zwischen Zuschauer und Akteur verwischen sich immer mehr. Angelpunkt dieser Verschmelzung ist das fotorealistische Bild und der rauschfreie Ton: Die immer verfeinerte Darstellung elektronischer Daten in Bildern (Computeranimation) und die komplexere Aufnahme beziehungsweise Wiedergabe elektronischer Daten (Magnetaufzeichnung) haben eine Kompatibilität erreicht, welche die Synthese von Foto, Film, Video und Computer, z.B. auf dem Bildschirms oder der Kinoleinwand, für den Betrachter möglich macht. (siehe "Der relativierte Standpunkt", S. 4) Seit den Anfängen des Films stellen Kamerabewegungen einen wichtigen und aufwendigen Bereich dar, der sich in den letzten Jahren wesentlich perfktioniert hat. 1 Postman, Neil, Wir amüsieren uns zu Tode ( Frankf. a. Main, Fischer - Verlag, 1985) 3
  • 4. In den letzten 10 Jahren ist es notwendig geworden die ursprünglich sehr unterschiedlichen Bewegungscharaktäre beider Abbildungswelten einander anzugleichen. Einerseits wurden Kamerabewegungen im realen Raum kontrollierbar gemacht, andererseits galt es bewegte Computeranimationen des virtuellen Raumes zu dynamisieren. Ein Grund für diese Entwicklung liegt darin, daß der Mensch, aufgrund der Prägung seiner Wahrnehmung, scheinbar am Bewegungscharakters eines Objekts erkennen kann, ob es sich um ein Ding oder um ein Lebewesen handelt, bzw. aufgrund der Bewegungsdynamik glaubt feststellen zu können, ob etwas bewegt wird oder sich selbst bewegt. Dieses Prinzip wurde recht plötzlich im Bereich von Computeranimationen interessant, als mit zunehmender Rechnergeschwindigkeit und größeren Speichern Animationssequenzen möglich wurden. Soweit es den Film betrifft kann man 2 Bewegungsbereiche unterscheiden: den Bereich von Bewegungen von Objekten, die "vor" der Optik stattfinden, und den Bereich von Bewegungen der Kamera, die "hinter" der Optik stattfinden. Die Bewegungen der Kamera sind hauptsächlicher Gegenstand dieser Arbeit. Während unter dem Kapitel "Die bewegte Kamera" (siehe S. 10) die stilistischen Aspekte behandelt werden, soll im Kapitel "Das bewegte Bild" (Siehe S 24) versucht werden, die dramaturgische Wirkung und Ursache der unterschiedlichen Kamerabewegungen darzu- stellen. Das gleiche gilt praktisch für Computeranimationen die filmischen Charakter haben, also Filmeinstellungen simulieren, mit dem Unterschied, daß diese Bilder nicht von einer realen Kamera gefilmt werden und keinen realen Raum oder Objekte zeigen. In dem Schlußkapitel "Conclusio "(siehe S 45) wird auf einen dritten Bewegungsbereich eingegangen, welcher in den letzten Jahren für den Film relevant geworden ist: die Bewegung des virtuellen Raumes., aus dem heute die Kinotricks und Special Effekts kommen, von denen Trickspezialisten vergangener Tage nur träumen konnten. 4
  • 5. Der relativierte Standpunkt Sowohl die Dynamisierung der Computeranimationen als auch die Kontrollierbarkeit einer Kamerabewegung haben in den letzten Jahren Kinofilme ermöglicht, die eine Vermischung zweier ursprünglich getrennter Räume darstellen, welche perfekt aneinander angeglichen und durch den Zuschauer nicht mehr zu trennen sind. Obwohl beide Bereiche eine lange Zeit getrennte Entwicklung der Beherrschung und Darstellung des Raumes hinter sich haben wurde erst durch den Zusammenschluß der Film - und der Computerwelt die telematische Kommunikation "Realität" und für den Konsumenten nutzbar gemacht. Nachdem in der Renaissance durch die Zentralperspektive ein fixer Standpunkt bestimmt worden war, teilte sich die Darstellung des Raumes in eine optische Erfassung einerseits (das "Bild"), und eine mathematische Erfassung andererseits (die "Daten") und führte in beiden Bereichen zu nicht kompatiblen Vorstellungen und Abbildungen. Diese parallele Entwicklung und die Zusammenführung der Schrift (Daten) und des Bildes beschreibt Neil Postman ausführlich im ersten Teil seines Buches im Kapitel "Die Guckguck - Welt".1 Während das "Abbilden" und sichtbar machen des mathematischen, virtuellen Raumes zwar als Basis eine Unmenge von bereits definierten Raumkoordinaten, aber Schwierigkeiten hatte, einen sogenannten "fotorealistischen" Ausschnitt des virtuellen Raumes zu zeigen, hatte das Abbilden der realen Welt mittels Fotografie mit dem überwinden von Distanzen und dem Festlegen räumlicher Koordinaten zu kämpfen - besonders dort, wo es um Bewegungen der Kamera im Raum ging. Erst durch die Relativierung des Standpunkts anfangs unseres Jahrhunderts und durch die nachfolgenden technischen, philosophischen und letztlich kulturellen Entwicklungen, wurden die Abbildungen "ähnlicher". Der Film zeigt, da er ein zeitmechanisches Medium darstellt, wie und daß der Mensch die Zeit subjektiv relativieren kann; parallel, durch den Bildausschnitt bedingt, relativiert der Film selbst den Raum insofern, als daß er geographisch getrennte Orte und Handlungen als einen, virtuellen, Ort der Handlung vermitteln kann. So kommt dem Film eine tatsächliche relativierende Wirkung zu - unter anderem durch die Darstellung einer Wirklichkeit von verschiedenen Standpunkten aus. Diese technisch bedingten Fähigkeiten des Films sind Ausdruck einer Suche nach einem Standpunkt, die philosophisch, bzw. inhaltlich während und durch das Filmen stattfindet. 1 Postman, Neil, Wir amüsieren uns zu Tode, S 83 ff 5
  • 6. Vilem Flusser schreibt dazu in seinem Buch "Gesten" in dem Kapitel Die Geste des Fotografierens : "Die Geste des Fotografierens ist eine philosophische Geste, oder anders gesagt: Seitdem die Fotografie erfunden wurde, ist es möglich geworden, nicht bloß im Medium der Wörter, sondern auch der Fotografien zu philosophieren. Der Grund dafür ist, daß die Geste des Fotografierens eine Geste des Sehens, also dessen ist, was die antiken Denker "theoria" nannten, und daß daraus ein Bild hervorgeht, das von diesen Denkern " idea" genannt wurde." 1 Und weiter: " In der Philosophie wie in der Fotografie ist die Suche nach einem Standort der offensichtlichste Aspekt. ... Die Suche nach einem Standort fällt an den Körperbewegungen ( des Fotografen, Anm.) auf. Doch wenn man sein Hantieren mit dem Apparat beobachtet, tritt eine weniger offensichtliche Dimension hervor. Der Standort, den der Fotograf sucht ist, ein Punkt innerhalb des Zeit - Raums. Der Fotograf stellt sich die Frage, von wo aus und für wie lange er das Bildmotiv belichten muß..."2 Was Flusser hier beschreibt, trifft auch auf das Filmen zu - mit dem Unterschied, daß der Fotograf, hat er genug philosophiert, auf den Auslöser drückt um sich dem nächsten Foto zu widmen. Beim Filmen wird durch das Drücken auf den Auslöser eine zusätzliche Zeitdimension "geöffnet", die das Foto nicht kennt: Flusser beschreibt, daß das Philosophieren beim Filmen durch das Drücken auf den Auslöser nicht abgeschlossen ist, sondern im Gegenteil dadurch relativiert wird, in dem es im Augenblick der Aufnahme, im Schnitt und der weiteren Nachbearbeitung weitergeführt wird. Dies gilt im besonderen Maße für den bewegten Standpunkt der "objektiven" Kamera, der dadurch philosophisch relativiert wird, da er während der Aufnahme bewegt wird. Durch die Fotografie, und in weiterer Folge durch den Film einerseits und durch die Darstellung von mathematischen Raumkoordinaten 3 andererseits wurde eine eigene Ab- bildungsrealität geschaffen, die zwar noch in Entwicklung begriffen, deren Realisierung aber absehbar geworden ist und in der das bewegte Bild seinen festen Platz hat. Durch die Integration der Computeranimation und schließlich des Morphings in den Kinofilm, wurden beide Bereiche zu Spitzenreitern einer technischen Entwicklung, deren Informationsgehalt unter anderem darin liegt, daß Spitzentechnik auf unterhaltsame und einfache Art demonstriert und anschaulich gemacht wird. 1 Flusser, Vilem, Gesten, Die Geste des Fotografierens, (Düsseldorf und Bensheim, Bollmann Verlag, 1991) S.134 f 2 ebenda, S. 137 3 Radar, Ultraschall u.a. werden auch über einen Bildschirm "anschaulich" gemacht. 6
  • 7. Hier liegt auch die eigentliche Bedeutung des Films innerhalb der Telematik: Die Wirkung eines bewegten Standpunktes im Kinofilm demonstriert die technische und philosophische Überlegenheit des Fotografen gegenüber dem Publikum. Eine gewisse Absurdität, Un - Nachvollziehbarkeit des Zustandekommens einer Kamerafahrt vermittelt eine Nähe, die auf einer scheinbaren "übermenschlicher" Reaktionsfreiheit eines "unsichtbaren Vojeurs" basiert. 7
  • 8. Rückblick Wie es eine Entwicklung des Schnittes gegeben hat, so gab es auch eine Entwicklung der Kamerabewegungen, die vor allem technische Probleme zu lösen hatte. Wurden die ersten Filme noch in der Tradition des Theaters gestaltet, so begann mit der Entwicklung einer spezifischen Filmsprache eine lange Reihe von Erfindungen, um die Kamera zu bewegen. Die ersten Versuche führten zur Entwicklung des Schwenkkopfes. Er ermöglichte die wohl gebräuchlichste Form einer Kamerabewegung: Den Schwenk, welcher das Verhalten eines Beobachters nachempfindet, der den Kopf dreht. Dadurch, und durch die Fixierung der horizontalen Achse, wurde zum ersten Mal durch Bewegung der "unsichtbare Vojeur" suggeriert, der durch die Dramaturgie führt und den Zuschauer in die Handlung eines Filmes stärker integriert, als es bei einer gänzlich unbewegten Kamera der Fall ist. Lange Zeit war das auch die einzige Art die Kamera zu bewegen, wenn sich nicht ohnehin die Möglichkeit bot, die Kamera auf ein in die Handlung integriertes Gefährt zu stellen, wie z.B. ein Boot, eine Eisenbahn oder ein Wagen. Diese Kamerafahrten waren allerdings mehr stilistisch, als dramaturgisch motiviert. Eine Ausnahme allerdings bestätigt die Regel: die erste Kamerabewegung in einem Film findet man in Murnaus "Der letzte Mann" 1 , und sie war, als Subjektive des Hauptdarstellers, von Carl Mayer bereits im Drehbuch vorgeschrieben - war also dramaturgisch motiviert. Die Montage hatte dagegen schon sehr früh den dramaturgischen Standortwechsel innerhalb einer Szene mit Hilfe des Schnitts entwickelt und genutzt, um die Handlung zu dynamisieren - und damit den Standort relativiert. Den Standort während der Aufnahme zu relativieren, also den tatsächlichen Raum zwischen zwei Standorten ohne Schnitt zu überwinden, bedeutete einen immens höheren Aufwand an Technik, als es der Schnitt erforderte. Es ist auch offensichtlich, daß die technische Realisierung von Kamerabewegungen engstens mit der Mobilität unserer Gesellschaft verknüpft ist. 1 Murnau, F. W. Der letzte Mann, 1924 Deutschland 8
  • 9. Erst relativ spät wurde es deshalb technisch möglich und aus dramaturgischen Gründen interessant, bewegte Standpunkte während einer Einstellung einzubeziehen, um den Zuschauer besser packen zu können. Ziemlich rasch wurden Geräte entwickelt, die es erlaubten, einen Standortwechsel innerhalb einer Einstellung vorzunehmen. Vorgabe dazu war nur das "ruhige", objektive Bild, das nicht verloren gehen durfte, um den suggestiven Charakter des Bildes zu bewahren. Es wurden Kamerawägen entwickelt, die auf Schienen geschoben werden konnten und kontrollierbare, horizontale Bewegungen ermöglichten. Kräne wurden entwickelt, um verti- kale Bewegungen zu ermöglichen 1 . Da die Kameras, Wägen und Kräne parallel mit dem technisch - industriellen Fortschritt immer kleiner und kompakter wurden, konnten bald Kameras auf Kräne montiert werden, die ihrerseits wieder auf Wägen montiert, bewegt werden konnten. Eine unendliche Variationsmöglichkeit ergab sich dadurch, daß die verschiedenen Grund- formen der Bewegungen miteinander verbunden werden konnten. Kamerabewegungen bekamen einen immer höheren Stellenwert und hielten als wesentlicher Bestandteil der dramaturgischen Bildsprache Einzug in die Drehbucharbeit. Die grundlegenden Möglichkeiten eine Kamera zu bewegen könnte man mit unkontrolliert, kontrolliert und programmiert beschreiben, je nach dem Grad der Nachvollziehbarkeit einer Bewegung. (siehe S, 28 Bewegungscharakter) In allen 3 Bereichen ist vom Zuschauer aus der Bewegungscharakter des Bildausschnittes scheinbar zu erkennen und wird zugeordnet: eine lineare, gleichförmige Bewegung suggeriert "dinglich", eine dynamische, nicht lineare Bewegung suggeriert "lebendig". In diesem Sinne ist jede Bewegung, die unmittelbar an den menschlichen Körper gebunden ist, dynamisch und unkontrollierbar, also z. B. die Handkamera, eine Fahrt ohne Schienen oder mittels Steadycam. Wesentlich besser nachvollziehbar und dadurch kontrollierbarer, vor allem was die räumliche Komponente betrifft, ist eine Kamerafahrt auf Schienen in Verbindung mit einem Kamerawagen, oder Fahrten in Verbindung mit Computersteuerungen, die sowohl den räumlichen als auch den zeitlichen Ablauf einer Kamerabewegung steuern.2 1 Der erste Kran wurde von Hal Mohr 1929 konstruiert. 2Was die Telematik betrifft, sind kontrollierte Kamerabewegungen bereits notwendiger Bestandteil, da sie in unterschiedlichsten Bereichen unseres Alltags zur visuellen Kontrolle dienen. 9
  • 10. Programmierte Kamerafahrten sind eher selten und treten - was den Film betrifft.- in Verbindung mit einzukopierenden Computeranimationen oder Filmtricks auf. Üblicherweise werden unkontrollierte und kontrollierte Fahrten im Film verwendet - durch den hohen Aufwand und die nicht routinemäßige Anforderungen stellen programmierte Fahrten einen Bereich dar, der noch zu den Special - Effekts zu zählen ist und der praktisch keinen Platz für Spontanität erlaubt. Lange Zeit waren unkontrollierte Bewegungen als Stilmittel ausgeschlossen, da diese ei- gentlich nur die Handkamera betrafen. Durch die Erfindung der Steadycam und die praktische Möglichkeit, die Kamera an sich frei bewegenden Geräten wie einem Minihubschrauber zu montieren, wurde es möglich und umgekehrt notwendig, die dem Menschen mögliche Bewegungsfreiheit als Stilmittel in den Film zu integrieren. Während die Steadycam fast jede erdenkliche Bewegung erlaubt, und sich vor allem alle horizontalen Fahrten miteinander kombinieren lassen, sind Cammotionsysteme unter anderem nicht nur entwickelt worden, um jede erdenkliche Bewegung auszuführen, sondern um letztlich die Kamerabewegungen an die des Computers anzugleichen. Im Prinzip kündigten viele dieser Techniken auf formale Art und Weise den Einzug des Computers auf die Kinoleinwand an, andere bereiteten den technischen Weg dazu. 10
  • 11. DIE BEWEGTE KAMERA Stil und Technik Es gibt zwei entscheidende Motivationen, die Kamera zu bewegen: die psychologisch - dramaturgische, auf die im Kapitel "Das bewegte Bild" eingegangen wird, und die stilistische. Während sich die Dramaturgie mit der Frage auseinandersetzt, warum die Kamera bewegt wird, stellt sich stilistisch die Frage, wie die Kamera bewegt wird. Die bewegte Kamera als Stilmittel eines Drehbuchautors, Regisseurs oder Kameramanns kann von einer konstruierten und geplanten Fahrt in einem Spielfilm bis zu einer sehr intuitiven Handhabung der Kamera führen, z. B. bei Avandegarde - Filmen , Werbungen oder Musik- videos. Sie kann unkontrolliert und im Charakter mehr "subjektiver" sein, kontrolliert und damit scheinbar objektiv, oder programmiert, und damit in jedem Fall virtuell. Grundsätzlich schließt der Bereich Kamerabewegungen die sogenannte "Handkamera" als Bewegung mit ein. Da jedoch keine Technik verwendet wird und dadurch der Bildstand nicht ruhig gehalten ist, stellt sie stilistisch als auch dramaturgisch einen eigenen Bereich dar, dem ein eigenes Kapitel gewidmet ist. (siehe S. 28, Dynamische Bewegungen). Es mag zwar vom Standpunkt des Kameramannes eine stilistische Entscheidung sein, sich für oder gegen das ruhige Bild zu entscheiden - was den Kinospielfilm selbst betrifft ist es auch eine philosophische, da das scheinbar objektive ruhige Bild seine Wurzeln im Theater hat (Bühne), und das scheinbar subjektive unruhige Bild diese, historisch gewachsene, Struktur auflöst und in Frage stellt. Alle anderen Bewegungen, die im Kinofilm Verwendung finden, sind nur mit technischen Lösungen realisierbar um den Bildstand ruhig zu halten, und es hat sich durch den erfolgreichen Einsatz bestimmter Techniken eine Art Sachzwang entwickelt, der den Stil von Kamerabewegungen wesentlich beeinflußt. Es ist in diesem Sinne ausschlaggebend, daß eine bestimmte Technik gehandhabt wird, und wie welche Technik verwendet wird. 11
  • 12. Stil und technische Innovation, Kreativität und technisches Verständnis liegen im Bereich der Kamerabewegungen eng beieinander. Die teils sehr umfangreiche Technik, die bei Kamerabewegungen Verwendung findet, kann vor Ort eine Eigendynamik entwickeln, der man nur gewachsen ist, wenn man sich mit ihr auseinandersetzt. Die Betroffenen sind nicht nur die Schauspieler vor der Kamera, sondern das ganze Team - und zwar nicht nur, weil das Auf und Abbauen viel Zeit in Anspruch nimmt: komplizierte Bewegungen der Schauspieler oder der Kamera erfordern technische Proben. Dem muß sich nicht nur der Kameramann sondern auch der Schauspieler stellen, und der einzige Ausweg ist gemeinsam Freiräume zu schaffen oder zu finden, und kreativ zu nutzen. Das Gefühl, als Filmschaffender von einem Übergewicht der Technik belastet zu werden resultiert aus der Tatsache, daß Kamerabewegungen als auch die Fotografie an sich im allgemeinen mit einer sehr genauen, räumlichen als auch zeitlichen Definition verbunden sind: Bewegungen und Entfernungen müssen bis zu einem bestimmten Punkt nachvollziehbar und kalkulierbar sein. In den letzten Jahren ist, mit dem Einzug der Elektronik und Feinmechanik in die Kameratechnik, der Aufwand wesentlich in den Hintergrund getreten und hat der Kamera mehr Reaktionsmöglichkeiten eröffnet. Die ursprüngliche - in Hollywood perfektionierte - Praxis für das Bild zu inszenieren, d.h. das Motiv den möglichen Drehbedingungen und nicht die Drehbedingungen an das Motiv anzupassen (weswegen häufiger im Studio gedreht wird oder Originalschauplätze in solche verwandelt werden), hat zwar Jahrzehnte lang den optischen Stil von Kinofilmen geprägt, doch es hat sich herausgestellt, daß die totale Planung und Delegierung um die Kamera herum nicht mehr notwendig und kein alleiniges Qualitätskriterium ist. Es ist eine Stilfrage, als Kameramann auf ein Objekt mehr oder weniger zu reagieren, sich und dem Schauspieler mehr Bewegungsfreiheit zu ermöglichen oder nicht, und es scheint, daß die europäischen Filmemacher mehr wert auf Spontanität legen, was auf eine unterschiedliche Arbeitspraxis zurückzuführen ist. Ausdruck dieser Unterschiede sind unter anderem die Entwicklung und Anwendung unter- schiedlicher Techniken: So wird in Europa mehrheitlich der Hydro - Kopf, und in Amerika der übliche Kurbelkopf verwendet, und ist es bei uns eher der Fall, daß ein Kameramann selber zoomt oder Hoch - bzw. Niederfahrten, wie es der Panther (siehe S. 17, Der Kamerawagen ) erlaubt, selber steuert - im Gegensatz zu Amerika, wo praktisch für jede spezifische Tätigkeit ein Einzelner zuständig ist. 12
  • 13. Hello Dolly - Praktische Aspekte Ob bei der Entwicklung einer Kamera wie der Movie-Cam Compact, oder eines Kamera- wagens wie dem Panther - dahinter steht fast immer eine enge Verflechtung aus kreativer Vorstellung und Erfahrungswissen, Theorie und Praxis. Gerade bei Spielfilmproduktionen, aber auch bei Dokumentarfilmen, erfordern besondere Vorstellungen eines Kameramannes oder Regisseurs manchmal mühsame Pionierarbeit, nehmen einen wichtigen Platz in der dramaturgischen Umsetzung ein. Die Realisierung von Kamerabewegungen ist letztlich genauso selbständig wie der des Lichtes oder der Kamera. In Ländern mit Filmindustrie sind die Dollyfahrer und Gripmen oft Fachleute mit großen Ansehen, die zum Teil im Verband von Studios und Verleihfirmen ihre eigenen Geräte herstellen. Im Falle des Panthers belohnt mit dem Oskar. Außer dem Kamerawagen gibt es verschiedene Vorrichtungen, wie Schienenprofile mit einem gleitfähigen Block, auf dem die Kamera befestigt wird. Manche dieser Profile sind mit einem Seilzug ausgestattet, der entweder bei Schräglage der Schiene dazu dient, die Kamera im Gleichgewicht zu halten, oder um, mit einem Elektromotor gekoppelt, eine gleichmäßige Bewegung zu ermöglichen. (Zum Beispiel bei Stoptrick - Aufnahmen). Üblich ist aber noch immer gediegene Handarbeit, die neben Körperkraft auch Feingefühl voraussetzt, da ja der Gripman in dem Moment, indem er den Kamerawagen bewegt, zum Operator wird: er hat also unmittelbaren Einfluß auf die Gestaltung des Bildes. So wie er fährt, so bewegt sich auch die Kamera. Neben den Kamerawägen existieren verschiedene Kräne, die bis zu einem Gewicht von 8oo Kg auf den Wagen montierbar sind. Fahrten mit Kränen sind auf jeden Fall nur mit Schienen realisierbar, und üblicher Weise werden mit der Kamera der Kameramann bzw. Operator und der erste Kameraassistent mittransportiert. Durch die Entwicklung von Techniken wie dem "Hothead", einem Schwenkkopf, bei dem die Schwenkimpulse und die Schärfe ferngesteuert werden, kommen auch unbemannte Kräne zum Einsatz. 13
  • 14. Die Schiene Es gibt zwei Arten von Schienen: geschweißte, und demnach nicht variable, und geschraubte, in ihrer Spurweite veränderbare Schienen. Bei geschraubten Schienen ist darauf zu achten, daß sie an den Querverbindungen mit Hilfe des dafür vorgesehenen Hebels gelöst werden, bevor man sie verlegt. Dann werden die Schienen am Boden aufgelegt und ineinander gesteckt. Es gibt üblicherweise drei ver- schiedene Schienenteilstücke: den Bogen, die Gerade und ein kürzeres gerades Teilstück. Durch Schraubspanner werden die Schienen miteinander verbunden und fixiert , danach werden sie grob mit Unterlagsmaterial in die Waage gebracht, und nachdem die ganze Fahr - Strecke aufgelegt wurde, werden die Schienen unter Verwendung einer Wasserwaage exakt eingemessen. Das ist notwendig, da sonst die durch den Schwenkkopf fixierte horizontale Achse der Kamera während der Fahrt nicht gewährleistet ist, und das Bild unruhig wird. Aus diesem Grund müssen die Schienen mit Hilfe von kleinen Keilen und ähnlichem möglichst ohne Spiel unterlegt werden. Um nicht die Stabilität zu gefährden, sollten längere Keile nicht quer zur Fahrtrichtung, sondern in Längsrichtung untergelegt werden: man ver- meidet dadurch das Stolpern über die Keile während des Schiebens. Sind größere Höhenunterschiede zu überwinden, also zum Beispiel eine Gehsteigkante, oder fällt der Boden leicht ab, verwendet man Stufenkeile, die in 4 Stufen bis zu einer Höhe von 30 cm reichen, auch Bühnenkistln können Verwendung finden. Ab einer Höhe von einem halben Meter müssen Praktikabel, oder eigens für das Motiv vor- gefertigte Unterbau - Konstruktionen verwendet werden, um die nötige Stabilität zu sichern: bei einem Kamerawagen samt Kameramann und Assistent hat man ca. 300 kg, die, je höher die Schienen aufgebaut sind, desto instabiler werden. Wenn man einen Boden vorfindet der in sich instabil ist - also beispielsweise eine Wiese, Schotter oder aufgeweichten Boden - müssen Bohlen untergelegt werden: d. h. feste Hölzer, Holzraster oder Holzrahmen, die über mindestens zwei Querverbindungen der Schiene reichen sollten. Sie dienen dazu, den Untergrund zu stabilisieren und das Gewicht so zu verteilen, daß zum Beispiel ein Einsacken der Schienen vermieden wird. Man muß in solchen Fällen bedenken, 14
  • 15. daß kleinere, punktuell belastete Flächen sich stärker eindrücken und die Stabilität als auch Ausgewogenheit der Fahrt gefährden. In speziellen Fällen, so zum Beispiel bei einer Parallelfahrt, kann es genügen, die Schienen quer in einer Achse in die Waage zu bringen, wenn man darauf achtet, daß die Ebene keine Buckel oder Wellen längsseits aufweist und nicht mehr als 5o abfällt, da sonst der Kamerawagen nicht mehr zu halten ist und leicht Unfälle entstehen. Den Panther kann man, wenn notwendig, schmäler machen, um zum Beispiel in einem engen Gang zu fahren. Zu diesem Zweck werden die Querverbindungen gelöst, und schräg wieder angebracht. Normalerweise ist es selten der Fall, da schon bei der Motivsuche auf genügend Raum ge- achtet werden muß. Sollte es jedoch unumgänglich sein die "schmale Variante" zu ver- wenden, ist zu bedenken, daß der Wagen instabiler wird, und dementsprechend arbeiten. (siehe S. 16, Der Kamerawagen) Um ein ruhiges Gleiten des Kamerawagens zu garantieren, ist es wichtig, daß die Koppelstellen der Schienen in gutem Zustand sind und bündig verlegt werden. Da die Schienen ineinander gesteckt werden, gibt es ein Ende mit einem Verbindungszapfen und ein anderes mit der entsprechenden Aufnahme. Man sollte deshalb die Schienen, wenn man sie senkrecht stellen muß, immer auf die Zapfenseite stellen. Vor allem ältere Schienen sind vom Transport an den Enden manchmal durch falsches Handhaben beschädigt. Sind die Enden, vor allem die Aufnahme, so stark beschädigt, daß sie das ruhige Gleiten der Fahrt beeinflussen, kann man versuchen sie vorsichtig abzuschleifen oder, wenn ein Zwischenraum an den Nutstellen bleibt, diesen mit einem festen dünnen Spagat aufzufüllen oder mit einem Lassoband zu verkleben. Normalerweise gibt es Stopvorrichtungen die am Ende einer Fahrt montiert werden, um ein unbeabsichtigtes Herunterrollen des Kamerawagens von den Schienen zu verhindern. Ist keine Stopvorrichtung vorhanden, muß zumindest ein Lovel - Grip angebracht werden. Bei Fahrten, die einen sehr hohen Unterbau haben, müssen die Schienen in Längsrichtung abgestützt werden. Wenn zudem die Fahrt auf einer schrägen Ebene steht, muß man unbedingt gegen die Fahrtrichtung Stützen anbringen: Es kann immer wieder passieren, daß der Wagen gestoppt werden soll oder unabsichtlich von zum Beispiel einem Kabel gestoppt wird. Die in diesem 15
  • 16. Fall in die Bewegungsrichtung freiwerdende Bewegungsenergie kann ohne weiteres den gesamten Aufbau mit allem mitgeführtem Equipment einstürzen lassen. Wenn ein Kran in Verbindung mit einem Kamerawagen verwendet wird ist zu beachten, daß große Jib - Arme, wenn sie aus der Fahrtrichtung geschwenkt werden, erstens aus dem horizontalen Winkel kippen und zweitens das relative Gleichgewicht instabiler wird. Bei waagerechtem Gelände sollte man deshalb Kranfahrten, außer eine eigens gefertigte Konstruktion gewährleistet die notwendige Stabilität, praktisch nie unterbauen. Ist es nicht notwendig oder möglich, Schienen aufzubauen, verwendet man zur Fahrt Gummiräder. Der zu befahrende Boden wird gekehrt und von möglichen kleinen Hindernissen befreit, wie Kieselsteine, Zigarettenstummel und ähnlichem. Der Untergrund muß stabil sein, ohne Wellen und möglichst eben und glatt. Je nach Beschaffenheit des Bodens können Vollgummiräder oder luftgefüllte Räder verwendet werden. Wobei die Vollgummiräder wesentlich mehr Stabilität bieten, und somit auch Fahrten mit kleineren Kränen möglich sind, da sich die Räder unter Belastung nicht verformen. 16
  • 17. Der Kamerawagen: Am Beispiel des Panthers Der Panther ermöglicht Hoch - und Niederfahrten ohne Zusatzgeräte. Durch die optimale Symbiose von Mechanik und Elektronik stellt er einen durchdachten Kamerawagen dar, der sowohl für den Boden als auch für die Schiene gedacht ist. Um den Panther selbst wurde ein patentiertes kompaktes System geschaffen, dessen wesentlicher Vorteil darin liegt, daß Hoch - und Niederfahrten wesentlich platz - und arbeits- sparender ohne Jib - Arm sind und daß er in einem gewissen Nahbereich alle wichtigen Bewegungen ermöglicht, die für Kinofilme notwendig sind. Außerdem ist der Panther durch die lautlose Hubbewegung besonders geräuscharm. Der Grund liegt in der Mittelsäule, die sich, mittels Elektromotor, während einer Fahrt heben oder senken läßt, und in der Computertechnik, mit der man einen dynamischen Bewegungsablauf aufzeichnen und wieder abrufen kann. Die Bewegungen der Mittelsäule werden mit einem Handregler gesteuert. Ein einfach zu bedienendes Speicherprogramm ermöglicht 5 verschiedene Grundgeschwindigkeiten, die manuell nachgeregelt werden können. Der Bewegungsablauf kann 5 Mal in Bezug zur Geschwindigkeit und Endpunkt gespeichert werden; während einer gespeicherten Bewegung kann außerdem nachreguliert werden. Zusätzlich verfügt die Elektronik ein Selbstdiagnose - Programm. Die Betriebstemperatur des gesamten Systems liegt zwischen -30 Grad bis +80 Grad Außentemperatur. Die Seitenbelastungsfähigkeit der Mittelsäule ist extrem hoch aufgrund des Kantenprofils. Deswegen sind die Sitze auf der Stempelebene aufgehängt - 360o frei drehbar. Der Vorteil liegt auf der Hand: Der Kameramann oder Operator sitzt bei jeder Bewegung gleich hoch in Bezug zur Okularhöhe - und vergleichsweise stabiler bei großer Höhe als beim Elemack. Die Säule des Panthers verfügt über ein Hubsystem das mittels Seilzügen und Rollen verwirk- licht in der Mittelsäule untergebracht ist. Es können damit 250 kg auf eine Distanz von 75 cm bewegt werden - und damit alles, was es an Aufbauten für einen Kameramann ohne Assistenten gibt. Seitliches Übergewicht des ganzen Wagens kann und muß mit Hilfe von Gewichten und Aufhängestangen ausgeglichen werden. Um Platz für die Ausgleichsgewichte zu schaffen, lassen sich die Radarme einzeln verstellen 17
  • 18. Vom Werk werden 11 verschiedene Radarmstellungen angegeben: neben der "Schmalversion" für die enge Schienenführung weitere 10 Stellungen für den Bodenbetrieb. Die Variationen sind mit 4 als auch mit 3 Rädern, z. B. für Fahrten mit Tiefenausleger, möglich. Nicht alle Stellungen können gefahren werden, sondern dienen dazu, den Wagen in einem engen Motiv den Gegebenheiten anzupassen. Es ist außerdem möglich, die Lenkkupplung paarweise auszukuppeln. Sinn dieser Einrichtung ist es, neben der parallel - verschiebenden Fahrt (4 gelenkte Räder) eine Frontlenkung des Wagens zu ermöglichen (2 gelenkte Räder). Es empfiehlt sich die Frontlenkung bei weit- läufigen Fahrten zu verwenden, respektive bei Verfolgungsfahrten. Geht es darum, einen möglichst kleinen Wendekreis, bzw. kleine, aber genaue Fahrten zu fahren, ist eine Lenkung der hinteren Räder eher von Vorteil. Die Gummiräder, die zum Equipment des Panther gehören, sind speziell entwickelte Kombiräder für Schienen - und Bodenbetrieb. Da der Gummi der Bodenräder druckunemp- findlich ist, bekommt er keine Flachstellen, wenn der Wagen längere Zeit nicht bewegt wird: Der Panther kann somit auch als reines Stativ benutzt werden. Mit Hilfe von 4 Trittbrettern, die zwischen den Radarmen wahlweise montiert werden können, läßt sich eine ganze Arbeitsplattform aufbauen. FGV - Panther selber stellt Zubehör zur Verfügung, um Hubbewegungen über 75 cm hinaus zu ermöglichen: den Leichtarm mit 155 cm reinem Hub, den Super - Jib mit 140 cm und den Pegasus Kran in zwei Variationen: der Standard - Kran bis 2,50 m bzw. 5,60 m, und der Super Kran mit 4,80 m bzw. 7,90 m. Der Superjib ist besonders interessant, da er nicht nach dem Waage - Prinzip gebaut ist wie andere Ausleger und Kräne, sondern die hohe Hubstärke der Panther - Mittelsäule ausnutzt. Er wird durch das Heben und Senken der Säule bewegt, da er an einem Ende mit dem Wagen fix verbunden wird - wodurch Gegengewichte überflüssig sind. Da der Super - Jib dadurch an zwei Punkten gelagert ist, ergibt sich eine Hebelwirkung für das freie Ende. Die Mechanik ist so konstruiert, daß eine doppelte Hubgeschwindigkeit und Hubhöhe erreicht wird. Zusätzlich hat FGV - Panther eine Konstruktion entwickelt, den "Jib - a - Round" - Adapter, durch den sich der gesamte Aufbau des Super - Jib um 360o drehen läßt. Der Vorteil: Ein Mann kann alleine gleichzeitig den Wagen schieben und die Hubbewegung über die 18
  • 19. Handsteuerung der Mittelsäule manipulieren - bzw. die eingegebene Programmierung abrufen. Außerdem bietet FGV - Panther folgendes Zubehör zur Auswahl: den U - Bangi, ein Seitenausleger mit 2 Stahl - Röhren, der kugelgelagert horizontal verschiebbar ist - allerdings ungedämpft und daher relativ laut, also für Aufnahmen mit Originalton ungeeignet. Für die Mittelsäule gibt es 6 verschiedene Verlängerungen, von 10 bis 73 cm, die auch auf den Kränen und Jib - Armen verwendet werden können. Ein Tiefenausleger und ein Seitenausleger, jeweils in Mini - und Normalausführung (40 cm bzw. 75 cm), komplettieren das Angebot. 19
  • 20. Der Kran Der Kran oder Ausleger dient zur vertikalen Kamerabewegung, und wurde von Hal Mohr 1929 in Amerika erstmals konstruiert. Es gibt kleine Jib - Arme mit einem Hub von ca. 1,70 m, die nur für die Kamera allein gedacht sind und meistens zu Ausgleichfahrten dienen. Große Jib - Arme, wie der Pegasus - Kran, erreichen eine Höhe von annähernd 10 m, sind meistens bis ca. 6 m für zwei, bis ca. 8 m für eine Person gebaut und darüber hinaus nur mit einem Remotehead zu verwenden. Praktisch alle Ausleger lassen sich auf dem Panther montieren, da der Stempel zur Aufnahme eine Standardnorm darstellt. Der Ausleger muß auf der Seite, auf der das Kameraequipment aufgebaut wird, abgestützt werden. Erst wenn fertig aufgebaut wurde, werden auf dem Equipment gegenüberliegenden Ende des Auslegers Gewichte aufgehängt, bis der Ausleger in der Waage pendeln kann, oder zumindest sehr leicht zu handhaben ist. Danach können Kameramann und Assistent Platz nehmen, während wiederum Gegengewichte aufgehängt werden. Es empfiehlt sich, erst knapp vor Beginn der Fahrt die Abstützung zu entfernen, und bei jeder Pause wiederum zu benützen. Üblicherweise sind bei Kranfahrten 3 Personen notwendig und die Geräte aufzubauen und zu bedienen. Neben handbetriebenen Kränen und Auslegern gibt es Cam - Motion - Systeme, die, Industrie - Roboter nachgebaut, ferngesteuert zu bedienen sind. Im kleineren Bereich für präzise Fahrten zum Beispiel für Filmtricks, und im größeren Bereich zum Beispiel bei Popkonzerten: hier kommen große Teleskopkräne zum Einsatz, die einen Aktionsradius bis zu ca. 18 m haben. Bei allen Kranfahrten ist besonders darauf zu achten, daß lose Kabel zusammengefaßt und gut befestigt werden, da sonst die Gefahr besteht, daß etwaige Bewegungen des Equipments, des Wagens oder des Aufbaus unabsichtlich gestoppt werden. Gerade bei Kranfahrten kann das lebensgefährlich für alle Umstehende werden, sollte ein Kran einmal kippen. Um das Kippen eines Krans zu vermeiden ist auch darauf zu achten, daß er nicht nur der Länge nach, sondern auch der Breite nach im Gleichgewicht bleibt: So sollten Kameramann und Assistent nie auf einer Seite sitzen, oder die Gegengewichte auf einer Seite aufgehängt werden. 20
  • 21. Das Schieben Steht der Kamerawagen schließlich auf den Schienen, und ist der Aufbau abgeschlossen, wird gefahren. Zunächst die Proben, bei denen Markierungen für Anfang, Ende und allfällige Stops der Fahrt gemacht werden, um dann die richtige (n) Geschwindigkeit (en) einzuüben. Jede Bewegung der Kamera sollte eine dramaturgische oder stilistische Motivation haben, die manchmal im Drehbuch angegeben ist, und letztlich von Regie und Kamera bestimmt wird. Somit trägt eine Fahrt im jedem Fall eine Wirkung mit sich, egal wie und warum sie ein- gesetzt wird. Einer der Faktoren, der die Wirkung einer Fahrt wesentlich beeinflußt, ist die Art und Weise, wie gefahren wird, das heißt, wie der Dollyfahrer den Wagen schiebt oder den Kran bewegt. Dazu gehören Bereiche wie das Losfahren und Stehenbleiben des Kamerawagens, das wählen der richtigen Geschwindigkeit, oder die stabile Montage der Geräte - also die Handhabung des Geräts betreffend. Diese Handhabung richtet sich nach meßbaren Standards, wie zum Beispiel Ruckler und Zittern des Bildes, oder das aus der Achse kippen der horizontalen Kamerawaage. Auch sichtbare Schritte des Dollyfahrers im Bewegungsablauf der Fahrt bzw. eine unruhige Fahrt kann eine sensible Szene ebenso stören, wie sie eine Verfolgungsjagd unterstützen kann. Es gehört somit nicht nur die richtige Technik, sondern auch Gespür und Übung dazu, eine Fahrt dem Drehbuch adequat durchzuführen und ihr dadurch Charakter zu geben. In diesem Sinne spielt die richtige Atmung als auch die Schrittabfolge eine Rolle, die eine unmittelbare Wirkung auf das Bild haben können. Damit die einzelnen Schritte nicht sichtbar werden, muß der Oberkörper während des Schiebens gleichmäßig bewegt werden - die Schritte müssen im Becken abgedämpft werden. Vor allem der Beginn und das Ende einer Fahrt sollte mit den Armen und dem Oberkörper vollführt werden, während man noch oder bereits steht: die Bewegungsimpulse werden dadurch präziser umgesetzt. Um eine gezielte Qualitätssteigerung zu erhalten, ist eine gute Kommunikation mit dem Kameramann unerläßlich, und ein bereits eingespieltes Grip - Team von Vorteil. Da es in diesem Bereich des Kamerawagenschiebens keine mir bekannte Literatur gibt, sind den individuellen Zugangsformen und Praktiken keine Grenzen gesetzt. Was die Bewegung des Kameraequipments, und somit des Bildes, betrifft, sind hier Grenzen gesetzt, um den Bewegungscharakter des Werkzeugs nicht zu stark sichtbar werden zu lassen. 21
  • 22. Wenn zu schnell gefahren wird kann, wie beim Schwenk, das sogenannte "Schettern" auf- treten, daß heißt, das Bild beginnt in sich zu rucken und scheint immer wieder unterbrochen. Der Grund liegt darin, daß ein Objekt sich zu schnell bewegt, und dadurch die Positions- verschiebung von einem Negativ zum folgenden zu groß ist. Vor allem bei scharfen Kanten oder starken Kontrasten ist das Schettern besonders stark zu sehen. Das kann dadurch vermieden werden, daß der Kameramann darauf achtet, daß ein Objekt im Bildausschnitt länger als 4 Sekunden braucht bei sphärischen, und 7 Sekunden bei anamorphotischen Optiken, um sich von einem Bildrand zum anderen zu bewegen - und betrifft hauptsächlich den Hintergrund eines bewegten Bildes, da bei der Verfolgung eines Objekts durch eine Fahrt oder einen Schwenk das Objekt selbst ruhig in Bezug zum Bildaus- schnitt bleibt. 1 Bei einer totalen Einstellung nimmt diese Gefahr mit der Entfernung ab - außer bei einer Kreisfahrt die nahe um ein Objekt herum stattfindet, wobei der Hintergrund quasi abge- schwenkt wird und das Objekt ruhig bleibt. Um einen genauen kritischen Wert zu erhalten, vor allem wenn es um programmierte Fahrten geht, sind von Kamera zu Kamera Probeaufnahmen notwendig, da es im Grenzbereich darauf ankommt, wie eine Sektorblende gebaut ist und in welche Richtung sie sich relativ zu der Bewegung im Bild dreht. Falls die Aufnahmegeschwindigkeit verändert wird, ist folgende Formel anzuwenden: Neue Objektgeschwindigkeit = 4 Sek. / 24 (B/sek.) x neuer Bilderzahl pro Sek. Kamera und Schauspieler 1 Samuelson, David, Manuel f. Cinematographers, ( Oxford, Butterworth - Heinemann, 1994), 15/4.6 22
  • 23. Will man dem Schauspieler ein gewisses Aktionspotential anerkennen, muß man sich mit ihm auseinandersetzen, mit ihm kommunizieren. Wichtig vor allem ist es festzustellen, ob der Darsteller sich der Kamera bewußt ist oder nicht, und was für ein Verhältnis er zur Kamera hat. Von großen und kleinen Stars weiß man, welche ihrer Gesichtshälften vertraglich bevorzugt wird. Nicht selten jedoch haben Schauspieler weniger Bezug zur Kamera, als man annehmen möchte. Was den Film vom Theater unterscheidet, und damit die psychologische Situation des Schauspielers verändert als auch die Arbeitsteilung zwischen Regie und Kamera festlegt, ist "die Tatsache, daß der Fotograf die Situation manipuliert, und das Motiv erschwindelt. (Das) bedeutet nicht, daß die Fotografie kein objektives Bild ergeben würde. .... Es bedeutet im Gegenteil, daß eine Situation zu beobachten heißt, sie zu manipulieren, oder anders gesagt, die Beobachtung verändert das beobachtete Phänomen. ... Der Fotograf kann nicht anders als die Situation zu manipulieren, seine bloße Anwesenheit ist eine Manipulation."1 Worauf Flusser hier anspielt, gilt noch mehr für den Film. Wenn man davon ausgeht, daß innerhalb einer Einstellung die Bewegungsdynamik immer sichtbar wird, ist man verleitet, die Kamera und ihre Bewegung nicht als primären Faktor einzustufen, sondern die Bewegungen im Bild selbst. Die Kamera ist allerdings während der Aufnahme als primärer Faktor aus der Sicht des Schauspielers absolut gleichwertig vorhanden: Sie ist für ihn ein wichtiger räumlicher Bezugspunkt, wenn nicht der einzige, und sie ist am Set, bis auf das, was im Bild ist, das ein- zige, sieht man vom Mikro ab, was sich relativ zu ihm bewegt oder an einem Ort steht. Das heißt aber auch, das die Kamera in einem bestimmten Punkt "vermenschlicht" auftritt: Sie verfolgt Objekte, nähert sich Situationen an, weicht zurück, wendet sich einem Schauspieler zu und wieder ab. ( Siehe S. 28, Bewegungscharakter) Das ist Schauspielern, wenn sie nicht vom Film kommen, meist nicht klar. Bei kontrollierten Kamerabewegungen muß sich demnach eher der Schauspieler nach der Kamera richten, weil eben die Kamera, vor allem wenn sie auf Schienen fährt, nicht spontan reagieren kann. Diese und andere Probleme und Umstände können und sollten vor den Dreharbeiten be- sprochen werden, am besten verbunden mit einer Videoprobe. 1 Flusser, Vilem, Gesten, S.144 f 23
  • 24. Hauptzweck sollte sein, dem Schauspieler klar zu machen, daß hinter dem Gebirge von Kameratechnik ein Mensch steht, zu dem er als einzigen, während die Kamera läuft, eine unmittelbare und durchaus flexible Beziehung hat bzw. haben kann. Im Gegensatz zu der Fotografie kann der Schauspieler während der Aufnahme relativ zu einem inneren und äußeren Standpunkt reagieren, was die Beziehung zwischen Kameramann und Schauspieler in Flussers Sinne "philosophisch" macht. Es empfiehlt sich den Rahmen der Probe möglichst intim, und die Kamera in der Hand zu halten. Hier kann die Kamera sich am freiesten bewegen und darurch leichter reagieren. Man kann so eine Art Tanz entwickeln, im Theater "Gummibandübung" genannt, um den Schauspieler an seine, im übertragenen Sinn, "Fessel" oder "Leine" zu gewöhnen und um so die gegenseitige Bewegungsdynamik und Bewegungsimpulse aufeinander abzustimmen. Das selbe vollzieht sich dann auch vor der Aufnahme, wobei auf Seite der Kamera bei jeder Bewegung mehrere Personen beteiligt sind, die untereinander ihre Bewegungen koordinieren müssen. Ist die Annäherung zwischen Schauspieler und Kamera einmal vollzogen, steht dem Philosophieren nichts mehr im Weg: Man kann verschiedene Aktionen und Reaktionen beider Seiten üben und ausprobieren, unter Umständen eine eigene Sprache entwickeln, die während der Dreharbeiten viele Worte spart - und das "Band" auch in extremen Situationen halten läßt. 24
  • 25. Bewegungsdynamik Zwischen der bewegten Kamera und einem Schauspieler besteht für den Zuschauer immer eine Bewegungsdynamik, die wie ein unsichtbares und doch sichtbares Band besteht und hält. Sollte sie einmal verlorengehen, zählt die gedrehte Einstellung wahrscheinlich nicht zu den Kopierern. Die Bewegungsdynamik muß nicht immer mit einer Bewegung an sich verbunden sein - nur wenn sich die Kamera oder / und der Schauspieler bewegen, wird sie deutlich sichtbar. Das Band zwischen Schauspieler und Kamera ist auch dann spürbar, wenn keine nennenswerten Bewegungen im Raum stattfinden. Bela Balazs schreibt dazu: "...Denn der Bewegung kommt nur in dem Maße künstlerische Bedeutung zu, in dem sie innere Bewegung ausdrückt. Wie wir gesehen haben, wird letztere auch oft durch Regungslosigkeit ausgedrückt."1 Hier unterscheidet sich der Film wesentlich von der Fotografie: auch ein unbewegter Kamerastandpunkt birgt zumindest die Möglichkeit in sich, während der Aufnahme bewegt zu werden - was bei einer Fotografie unmöglich ist, bzw. zu einem unscharfen Foto führt. Beim Film hat die Bewegungsdynamik des Bildes mit der Reaktionsfreiheit der Kamera gegenüber dem Schauspieler zu tun - sowohl was seine äußere als auch seine innere Bewegung betrifft - und dem harmonischen Ablauf von Bewegungen. Aus diesem Grund sind unterschiedliche Techniken und ihre Anwendung ein wichtiges Kriterium, was die Arbeitsweise und somit den Stil betrifft. Die eingangs erwähnte Bewegungsdynamik einer Einstellung hängt somit auch damit zusammen, wie der Schauspieler mit der Technik vor Ort konfrontiert wird und wie er selbst damit umgeht. Dabei geht es nicht um die Bewegungsdynamik vor Ort sondern der jeweils zu drehenden Einstellung, die zu anderen Einstellungen und dem vorgesehenen Schnitten passen muß. Proben und Motivbegehungen sind deshalb besonders wichtig, will man die Vorbereitung optimal abschließen. Falls größere Bewegungsänderungen notwendig sind, müssen unter Umständen die Schienen neu verlegt werden - was ein längeres Umbauen und neue Proben nötig macht. Da die Kamera sich nach dem Hintergrund, nach Schwenkgeschwindigkeit, Bildausschnitt, Beleuchtung und 1 Balazs, Bela, Der Film, (Wien, Globus - Verlag, 1949) S. 149 25
  • 26. vielem mehr richten muß, liegt die eigentliche Reaktionsfreiheit in der Vorbereitung von Kamera und Regie. Es ist deshalb ein weit verbreiteter Irrtum unter Schauspielern, für Änderungen einer Fahrt müsse man die Schienen "ja nur ein bißchen" verschieben, ähnlich wie die ebenfalls ver- breitete Ansicht unter Kameramännern zu meinen, ein Schauspieler müsse "ja nur anders gehen", nachdem Umgebaut wurde. Der Schauspieler kann oft, aus der geprobten Gewohnheit heraus, nicht einfach anders gehen weil er sich durch das Proben ebenfalls "eingerichtet", d.h. seine Bewegungen im Raum automatisiert hat. 1 Dieser automatisierte Ablauf betrifft auch Bewegungen des Kamerateams und hilft, die Bewegungen zu kontrollieren und nachvollziehbar zu machen. Um die Bewegungsdynamik zwischen Schauspieler und Kamera zu nützen, bedarf es einer guten Kommunikation innerhalb des Kamerateams, um Reaktionszeiten zu verkürzen. Natürlich sollte im Idealfall das Team um die Kamera so eingespielt sein, daß der Ablauf der spezifischen Bewegungen der Kamera reibungslos funktioniert - was nur durch Praxis und Proben zu erreichen ist. 1 So kann ein geänderter Gang, oder ein nicht geprobter Gang über Schienenschwellen, einen Schauspieler völlig aus dem Dialogs - bzw. Handlungskonzept werfen. 26
  • 27. Bewegungsimpuls Während die Bewegungsdynamik sich auf den Stil von Bewegungen bezieht, bezieht sich der Bewegungsimpuls auf die Handlung und ihren Rhythmus. Aus diesem Grund wird er auch im Drehbuch besonders berücksichtigt, indem der Beginn und das Ende einer Kamerafahrt bestimmt werden. Bei der Auflösung des Drehbuchs wird dann bestimmt, ob das Anfahren oder Halten der Kamera während einer Einstellung geschieht, ob die Kamera auf ein Objekt reagiert und der bzw. die Bewegungsimpulse von der Regie oder der Kamera bestimmt werden. Eine immer wiederkehrende Frage betrifft deshalb den Bewegungsimpuls und lautet: Wann genau fängt die Kamera an, sich zu bewegen? Entweder richten sich die Bewegungen eines Schauspielers und der Kamera nach der Handlung und der Bewegungsimpuls ist meist klar und deutlich zu erkennen und nachvoll- ziehbar, oder der Dollyfahrer bekommt ein Zeichen. Da der Kameramann sich nicht selbst schieben kann, kommt dem Dollyfahrer im Moment des Bewegungsimpulses eine operative Rolle, das Bild und seinen Bewegungscharakter betreffend, zu. Das Wissen um den Bewegungsimpuls kommt hier allen Beteiligten zugute. Falls er das Motiv nicht einsehen und den Bewegungsimpuls nicht erkennen kann, und in jedem Fall wenn der Bewegungsimpuls bei der Kamera selbst liegt, ist der Dollyfahrer auf ein Zeichen des Kameramannes oder des Operators angewiesen. Ansonsten muß er den Bewegungsimpuls des Schauspielers bzw. einer Szene rechtzeitig erkennen und umsetzen. Um auf den Bewegungsimpuls bei Schauspielern oder gar bei Tieren reagieren zu können, ist es neben Intuition notwendig, Körpersprache zu beobachten und sie als Anhaltspunkt für den Bewegungsimpuls zu nutzen. Das ist besonders heikel, wenn die Kamera sich während einer Einstellung beginnt zu bewegen. Besonders das Losfahren kann durch das Gewicht des Kamerawagens nicht "zeitgleich" mit einem Impuls geschehen, sondern liegt für den Dollyfahrer kurz vor dem Zeitpunkt, an dem sich der Kamerawagen tatsächlich bewegt. Ein zu spätes Losfahren der Kamera kann der Kameramann notfalls durch einen Schwenk die Fahrt "scheinbar" beginnen - durch ein zu frühes Losfahren ist ein Bewegungsimpuls durch den sich bewegenden Hintergrund gegeben, der in einer heiklen Situation falsch und störend sein kann. Das selbe trifft im Prinzip auf das Beenden einer Fahrt zu, wobei hier nur ein zu frühes Stehenbleiben ausgeglichen werden kann. 27
  • 28. Bewegungscharakter Dynamische Bewegungen - Unkontrollierte Fahrten Wie in der Einleitung erwähnt, bezieht sich der Bewegungscharakter auf die Frage, was sich bewegt: ein Ding oder ein Lebewesen. Im Falle der Kamera ist es ein Ding, ein Werkzeug, das von einem oder mehreren Menschen bewegt wird. "In der fotografischen Geste wird der menschliche Körper derart mit dem Apparat zusam- mengeschweißt, daß es nahezu sinnlos ist, einem von beiden eine besondere Funktion zuweisen zu wollen. Wenn man das Instrument als einen Körper bestimmt, der in Abhängig- keit von einem menschlichen Körper bewegt wird ( wenn man sagt, daß innerhalb der Beziehung "Mensch / Werkzeug" der menschliche Körper konstant und das Werkzeug variabel sei ), dann ist es nahezu sinnlos, den Apparat als das Werkzeug des Fotografen zu bestimmen. Genauso adäquat wäre die Behauptung, daß der Körper des Fotografen bei der Suche nach einem Standort das Werkzeug des Fotoapparats sei." 1 Interessanter Weise trifft diese Feststellung Flussers, die das Verhalten des Fotografen beschreibt während er kein Bild macht, also noch philosophiert, scheinbar auch auf den Kameramann zu, während er filmt. 2 Dieser philosophische Aspekt der Standpunktsuche mittels Fotografie ist im Film am deut- lichsten erhalten und zu sehen, wenn aus der Hand gedreht wird. Die Handkameraführung suggeriert im Verband mit kontrollierten, objektiven Fahrten, daß die Kamera den subjektiven Standpunkt einer Person einnimmt, die in die Handlung des Films involviert ist. Während das in sich unbewegte Photo als auch die unbewegte Kamera nichts über den Fotografen selbst aussagt, entlarvt eine unkontrollierte Fahrt durch den unruhigen, dynami- schen Bewegungscharakter des Bildausschnittes den Menschen hinter der Kamera. Dem Zuschauer soll die Illusion geboten werden, "authentisch" am Geschehen durch die Augen einer handelnden Person beteiligt zu sein. Im Drehbuch wird sie demnach als "Subjektive" eines Darstellers angeführt und als solche im Kinofilm verwendet. 1 Flusser, Vilem, Gesten, S. 141 2 siehe "Der relativierte Standpunkt" 28
  • 29. Die Faszination und Wirkung "subjektiver" Bilder erklärt sich unter Umständen dadurch, daß der Mensch hinter der Kamera zwar offensichtlich die Situation beobachtet, aber nicht in das Geschehen vor der Kamera einwirkt - wodurch beim Zuschauer das Gefühl erweckt wird, der gezeigten Situation unmittelbar ausgeliefert zu sein und zuschauen zu können, ohne eingreifen zu müssen. Der Zuschauer wird somit psychologisch manipuliert und in das Geschehen scheinbar involviert. Da jedoch für das Kino der "unsichtbare Vojeur" hinter der Kamera suggeriert werden soll und kein handelndes Individuum, wirkt der subjektive Charakter störend. Wegen diesen tatsächlich manipulativen Eigenschaften stellt die Subjektive ein dramatur- gisches Mittel dar, das als selbständiges Stilmittel im klassischen Spielfilm lange Zeit nicht akzeptiert wurde. Das Fernsehen, d.h. der Dokumentarfilm bis hin zu den sogenannten News, als auch der Low- Budget - Kinofilm, hat sich dagegen sehr rasch der subjektiven Kamera angenommen, - nicht nur aus Kostengründen. Interessant daran ist, daß die Wirkung eines subjektiven Bildes die abstrakte Ruhe des hori- zontal unbewegten Bildes unterbricht und gleichzeitig ein Gefühl der Unsicherheit und Unruhe suggeriert wird, andererseits ein objektives Bild in einem komplett aus der Hand gedrehten Film erst deutlich macht, wieviel abgehobene Ruhe und Sicherheit ein ruhiges Bild unterbewußt vermittelt. Die unkontrollierte Kamerabewegung, und hier vor allem die Handkamera, subjektiviert den "unsichtbaren Vojeur" und damit seinen objektiven Standpunkt. Man sollte in diesem Zusammenhang die Tatsache nicht vergessen, daß zum Beispiel im ehemaligen Ostblock einige Filmindustrien bzw. Produktionen zum Teil nur Filme produziert haben, die gänzlich aus der Hand gedreht wurden. Es war interessant 1989 in Berlin mitzuerleben, wie die Mehrheit des Filmfestival - Publikums sich den unbekannten und in letzter Sekunde eingereichten "Ostblockfilmen" widmete. In der Tat war das Gezeigte von ausgezeichneter filmischer Qualität, obwohl oder gerade weil einige der herrausragendsten Filme fast durchwegs aus der Hand gedreht waren. Der Irrtum westlicher Filmschaffender, das Symptom einer finanziellen Krise vor Augen zu haben, wurde von anwesenden Regissueren aufgeklärt: natürlich sei die finanzielle Krise ein Grund für solche Produktionen gewesen; aber man sei sich auch sehr wohl bewußt gewesen, daß die Unmittelbarkeit der Handkamera und des subjektiven Bildes ein Mittel darstellt, 29
  • 30. radikale inhaltliche und/oder stilistische Standpunkte auf die Leinwand und von dort zum Publikum zu bringen, unbemerkt und trotz der im Komunismus herrschenden Zensur. Ein Film fand besondere Beachtung, gerade wegen seiner subjektiven Sichtweise und einer seltsamen dramaturgischen Umsetzung durch eine sehr reaktionäre Handkamera, und zwar "Prischwiens Papieraugen" von Valerie Ogorodnikov.1 In Gesprächen mit dem Regisseur wurde klar, daß sehr wohl gefahren wurde, wobei auch in diesen Fällen die Kamera in der Hand gehalten wurde, um den optischen Stil des gesamten Films nicht zu brechen. Außerdem waren, wegen der körperlichen Anstrengung, mehrere Kameramänner bzw. Operator abwechselnd im Einsatz. Jedenfalls stand die Unmittelbarkeit und Radikalität der Handkamera dem steril - ruhigen Erzählkino Hollywoods gegenüber, welches den "way of life" Amerikas als psychologische Basis benützte und vermittelte: nur nicht aufregen! In überzeichneter Ruhe wurden in westlichen Filmen die verschiedensten Themen abgehandelt, und der Verdacht lag nahe, daß jene Form von Unruhe, die die Handkamera im Zuschauer schafft, als subversiv im Westen abgelehnt würde. Die Spannung des unruhigen Bildes ermöglicht es unter anderem, auf Dialoge zu verzichten und dramaturgische Situationen mittels Kamerabewegungen darzustellen, - das heißt innere Bewegung durch äußere zu suggerieren. Deswegen wirkt die dynamische Distanzsuche des Kameramannes während des Filmens spannender und "authentischer" als eine kontrollierte Annäherung an ein Objekt. Der Bewegungscharakter der Handkamera tritt in den Hintergrund, wenn sie bewußt eingesetzt und als durchgehendes Stilmittel verwendet wird. In diesem Fall ist es nicht mehr eine handelnde Person, die hinter der Kamera steht, sondern der Mensch an sich, der Zuschauer selbst. In den 80er Jahren hat die unkontrollierte Kamerabewegung in das Kino des Westens durch den Einsatz in der Werbung gefunden, die ja oft als stilistischer als auch dramaturgischer Wegbereiter dient, und durch das Fernsehen, speziell durch Musik - Video - Clips. Die Entwicklung von Kameras wie der Movie - Cam - Compact, die extra für den Einsatz bei unkontrollierten Fahrten konstruiert wurde um etwa aus der Hand oder mit der Steadycam zu drehen, war dabei wesentlich. 1 Ogorodnikov, Valerie, "Bumazhuvje glasa Prishwina", 35 mm/F/SW, UdSSR 1988 30
  • 31. Lineare Bewegungen - Kontrollierte Fahrten Indem der Kameramann und sein Standpunkt selbst bewegt wird, und durch die Fixierung der horizontalen Achse durch den Schwenkkopf, wird bei einer kontrollierten Fahrt der Bewegungscharakter des Menschen in den Hintergrund gedrängt. Im Fall von kontrollierten Fahrten wird daher auch der "menschlich - philosophische" Standpunkt hinter der Kamera mit Hilfe des Bewegungscharakters der verwendeten Technik stärker relativiert als bei einer dynamischen Bewegung. Die noch sichtbare Dynamik einer objektiven linearen Fahrt wirkt daher nur durch das stili- stische Bewegungs- und Reaktionsverhalten des Kameraequipments selbst, dessen Bewegungen dem menschlichen Bewegungscharakter nachempfunden sind und suggerieren sollen, daß sich die Kamera wie von selbst bewegt. Um den objektiven Charakter des Bildausschnittes nicht zu stören, ist es wichtig, daß das Bild, während der Beschleunigung und des Abbremsens einer Fahrt, nicht ruckt oder wackelt, und daß die Fahrt in der Horizontalen mit einer Wasserwaage ausgemessen wird, damit das Bild in der horizontalen Achse nicht schwankt. Das gleiche gilt auch für Bewegungen, die mittels eines "Roboters" realisiert werden ( Cam - Motion - Systeme). Unsere Prägung, hinter der Kamera den Menschen zu wissen, wirkt schließlich bei linearen Fahrten doch noch soweit, das wir meinen: Überall, wo eine Kamera war, war auch ein Mensch. Tatsächlich gilt das jedoch nur mehr für die abstrahierte Anwesenheit des Menschen: so ist eine Filmaufnahme der Erde von einem Satelliten aus ein Beispiel einer Fahrt, deren linearer Bewegungscharakter nur noch dem des Werkzeugs entspricht. Im Film sollten daher lineare Bewegungen unbedingt ernst genommen werden im Sinne von Kamerabewegungen, die eine eigene dramaturgische Relevanz besitzen können und eine gesteuerte Bewegung darstellt, die mit keiner menschlichen Bewegung vergleichbar ist. Lineare, steril wirkenden Fahrten, deren psychologische Motivation sich aus einer bewußten Personifizierung einer Maschine ableiten, haben sich stilistisch und dramaturgisch im Film langsam, aber konsequent entwickelt und stellen einen eigenen Bereich dar. Sie werden hauptsächlich dann eingesetzt, wenn sich eine Maschine bzw. ein gesteuerter Mechanismus bewegt und dramaturgisch aktiv wird. Das kann ein Bild einer Überwachungskamera sein, die von einem Computer gesteuert wird, oder eine "Subjektive" des Pfeils von Robin Hood, Der Ursprung könnte schon bei den ersten Kamerafahrten liegen, die an fahrende Objekte gebunden waren und deren Bewegungen nicht ausgeglichen wurden, und führte zu Filmen 31
  • 32. wie "Ein toller Käfer"1 , in dem immer wieder subjektive Einstellungen eines Autos zu sehen sind, das scheinbar "menschliches" Bewußtsein besitzt. In Filmen wie "Robocop"2 , "Cyborg"3 oder "Terminator"4 schließlich bewegt sich der Hauptdarsteller - eine Roboter/ Mensch - Fusion - ruckartig und linear, und so sehen auch seine Subjektiven aus. Der Zuschauer begreift aufgrund des Bewegungscharakters sofort: Das ist, zumindest teilweise, ein Ding. Tatsächlich wird das scheinbare Eigenleben einer Technik vermittelt, die einen eigenen dramaturgischen Standpunkt einnimmt. Schließlich wurde mit der Erfindung des Computers die Frage brisant, ob Maschinen eigenes Bewußtsein haben können oder nicht. Eine ernsthafte formale als auch inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema Mensch/Maschine, welches hinter "subjektiven" linearen Bewegungen steht, findet in Stanley Kubriks "2001 - Odyssee im Weltall"5 statt. Während des ganzen 2. Drittel des Films sind seltsame, scheinbar gesteuerte Kamera- bewegungen sichtbar und auch die Darsteller bewegen sich "unüblich", da sie im freien Raum entweder schweben oder am Boden gehen, der sich aber, durch die Zentrifugalbewegung des Raumschiffs, nicht mehr "unten" im Bild befindet, sondern "außen", an allen Bildrändern. Bezeichnender Weise ist das Thema dieses Drittels die Interaktivität zwischen Mensch und intelligenter Maschine, und endet für den Menschen am Ende des Films in einer rasenden, absolut linearen Fahrt in eine andere Zeit - Raum - Dimension. Hier wird eine Realität scheinbar möglich gemacht, die sich im Film formal und inhaltlich im Laufe der Zeit immer mehr konkretisiert hat: zuerst die vom Menschen kontrollierte Maschine, dann der von einer Maschine bestimmte Mensch, und in weiterer Entwicklung die Synthese von Mensch und Maschine. Zusammenfassend könnte man sagen, daß die beschriebenen linearen und geometrischen Kamerabewegungen einen Standpunkt definieren und vermitteln können, den nicht mehr ein Mensch, sondern ein Ding einnimmt. 1 Stevenson, Robert, Herbie Rides again USA 1974 2 Verhoeven, Paul, Robocop, USA 1987 3 Pyun, Albert, Cyborg, USA 1989 4 Cameron, James, Terminator, USA 1984 5 Kubrik, Stanley, 2001 - Odyssee im Weltall England 1968 32
  • 33. Virtuelle Bewegungen - Programmierte Fahrten Im Falle einer bewegten Computeranimation geschieht formal nichts anderes als bei realen Filmaufnahmen. Die Fahrten sind meist objektive Fahrten durch Häuser oder andere Gebilde, wie von Zauberhand bewegt und sie sind immer programmiert. Der lineare Bewegungscharakter stellt jedoch dramaturgisch weniger einen Standpunkt einer Maschine dar wie im Film, sondern leiten sich aus der Technik eines Computers ab, einen bewegten Standpunkt zu simulieren. Vor allem bei 2 - D - Animationen wirken, ähnlich wie bei Film - Animationen, simulierte Bewegungen des Standpunktes eigentlich "unreell", da sie technisch nicht realisierbar sind - man denke nur an Zeichentrickfilme und die stellenweise irrealen scheinbaren Kamerabewegungen. Durch den bewegten Standpunkt wird eine anschauliche optische Darstellung eines Raumes möglich der nicht existiert, also auch nicht optisch ausgemessen werden kann. Als Beispiel mag der Film "Tron" 1 herhalten, dessen Computeranimationen hauptsächlich aus eindringenden Fahrten bestehen. Der Hauptdarsteller eilt auf einem motorradähnlichen Gefährt an elektronischen Leitungen entlang und dringt auf diese Weise in einen Computer ein. Er wird daraufhin vom Computer gejagt, und die zahlreichen linearen und rasend schnellen Verfolgungsjagden sollen die lineare elektronische Struktur und Funktion eines Computers durch Bewegung darstellen. Mit der Weiterentwicklung der 2 - D - Animationen wurde es schließlich möglich, die virtuelle Welt des Computers scheinbar "Wirklichkeit" werden zu lassen: Mit Hilfe des Morphings ist die perfekte Nachbildung des realen Raums in Form einer Filmeinstellung möglich geworden. So wie das Bild, sind die Objekte, als auch die Kamera oder die Lichtsetzung virtuelle Realitäten geworden, die wie in der Wirklichkeit agieren und scheinbar ursächlich existieren. Hier wird deutlich, inwieweit der Film formal an der virtuellen Welt Anteil hat: Durch "seine" Sicht, die des unsichtbaren Vojeurs, sehen wir die virtuelle Realität. 1 Lisberger, Steven, Tron, USA 1982 33
  • 34. DAS BEWEGTE BILD Der Schwenk Da bei einem Schwenk der Standpunkt der Kamera nicht verändert wird, gilt der Schwenk theoretisch gesehen nicht als Kamerabewegung, sondern als Bewegung des Bildausschnittes an sich. Der Schwenk ist entweder ein durch die Handlung oder die "innere" Dramaturgie des Films motivierter Schwenk, z.B. als Reaktion auf einen Blick oder einen Fingerzeig des Darstellers auf etwas, das sich außerhalb des Bildausschnitts befindet und durch den Schwenk ins Bild gebracht wird, oder Mitschwenk mit einem bewegten Objekt. Als stilistischer Faktor das Bild selbst betreffend, und deswegen als Bewegung nicht im Dreh- buch angeführt, aber für alle Kamerafahrten notwendig, ist das Ausgleichen mit Hilfe des Schwenkkopfes, um auf die Bewegungsdynamik und den Bewegungsimpuls eines Objekts in Bezug zum Bildausschnitt besser reagieren zu können. Tatsächlich stellt der Schwenkkopf den Standpunkt des unsichtbaren Vojeurs dar. Seine Bewegungen sind scheinbar objektiv, da, wird der Schwenkhebel bewegt, eine Reaktionsbewegung im Raum stattfindet die zwar dem menschlichen Beobachtungsverhalten entspricht, so zum Beispiel im Bewegungsimpuls und der Bewegungsdynamik, aber nicht dem menschlichen Bewegungscharakter. Die nachfolgend beschriebenen dramaturgischen Kamerabewegungen sind sowohl für unkontrollierte, kontrollierte als auch programmierte Fahrten gültig, und scheinen, ihrem Charakter entsprechend, als ZU - bzw. WEGFAHRT, MIT - bzw. PARALLELFAHRT, VOR - bzw. NACHFAHRT, KREISFAHRT, und HOCH - bzw. NIEDERFAHRT im Drehbuch auf. 34
  • 35. Zu - und Wegfahrt Die einfachste und daher am meisten verwendete Fahrt ist die Zu - bzw. Wegfahrt; sie läßt sich mit allen anderen Fahrten kombinieren und ist das klassische Mittel, um von der äußeren zur inneren Dramaturgie zu wechseln und umgekehrt. Die Zufahrt selektiert ein Objekt aus seiner Umgebung und zeigt den Wandel einer inneren, subjektiven Haltung in Bezug zu einer äußeren Realität und umgekehrt. Vor allem der Wandel eines Darstellers wird durch die Zufahrt als aktive Situation, also als Aktion, empfunden. Es ist also eine Bewegung, die selten den Eindruck von innerer Passivität vermittelt. Sie wird häufig verwendet, um den Zuschauer etwa auf einen Nebendarsteller oder ein Objekt hinzuweisen, das Handlungsträger werden wird, oder um die Bedeutung eines Objekts in Bezug zur Handlung zu betonen. Die Zufahrt stellt also ein Mittel dar, Menschen oder Dinge in die Handlung einzubinden und dramaturgisch relevant erscheinen zu lassen. Das gilt auch bei kombinierten Bewegungen, etwa bei einer Parallelfahrt, die langsam verdichtet wird: die Situation, ein Gespräch oder ein Objekt, welches "begleitet" wird, hat - so wird dem Zuschauer vermittelt - Einfluß auf die Handlung, auch wenn ihm dies nicht sofort folgerichtig oder relevant erscheint. Ähnlich wie bei der Vor - bzw. Nachfahrt ist die Zufahrt eine aus den Alltag bekannte Bewegung, wenn unser Interesse geweckt wurde. Es ist ein Reflex, der auch in umgekehrter Richtung wirkt, und es ist, da wir ja ständig auf etwas zugehen, die wichtigste weil häufigste Bewegung, die wir machen. Indem wir uns vorwärts bewegen und immer sehen, wohin wir uns bewegen, nähern wir uns ununterbrochen verschiedenen Dingen sehr bewußt. Wir lassen aber auch ständig Orte, Menschen und Ereignisse hinter uns - relativ unbewußt, da wir uns nicht bzw. selten dabei umdrehen., also verkehrt herum gehen. Die Wegfahrt entläßt ein Objekt oder einen Darsteller aus der unmittelbaren Handlung, indem das Bild totaler wird und eine Wegbewegung zeigt: der Zuschauer verläßt sozusagen einen Ort, ein Objekt etc., es wird ihm vermittelt, daß das eben Gezeigte und dadurch dra- maturgisch vorbei ist. 35
  • 36. Mit - bzw. Parallelfahrt Wie im ersten Teil dieser Arbeit angeschnitten, waren die ersten Kamerafahrten horizontal, allen voran die Parallelfahrt. Sie wird meistens als Passage benützt und hat den Effekt, daß der zu filmende Darsteller oder Objekt mehr oder weniger immer im Bild bleibt., also von der Kamera begleitet wird. Eine Parallelfahrt stellt einen für den Zuschauer einen neutralen Blick- winkel dar, der in sich wenig über die dramaturgische Situation des Objekts aussagt, da die Distanz nicht verändert wird. Die Parallelfahrt hat zwei Grundmotivationen: eine innere Situation zu zeigen und dadurch zu betonen, während eine Bewegung durch den Raum stattfindet; oder die äußere Situation zu zeigen, die auf den Schauspieler einwirkt. Die am meisten genützte Parallelfahrt zeigt eine Veränderung der äußeren Situation, Begleitet also den Darsteller bei seinem Gang, bei dem er sich zumindest von einem zum anderen Motiv begibt. Der Darsteller, und vor allem der Hintergrund ist, durch Verwendung einer kurzen Brennweite, präsent und der Zuschauer hat das Gefühl, die Handlung mit dem Darsteller "vor Ort" zu erleben. Es ist bei einer Paallelfahrt natürlich möglich, leicht von vorne oder von hinten zu filmen. Als Anhaltspunkt kann das Profil gelten, das man noch erkennen sollte. Je länger die Brennweite wird, bis hin zu einer Großen des Darstellers, desto mehr wird der Zuschauer gezwungen die äußeren Umstände zu vergessen und die inneren Vorgänge des Darstellers in einer Art Atempause mitzuerleben. Bei sehr langen Brennweiten kann eine Fahrt verbunden mit einem Schwenk, z.B. bei Lelouche´s Film "Ein Mann und eine Frau"1 , eine sehr intime Stimmung erzeugen, die durch die Bewegungsdynamik die innere Situation der Darsteller vermittelt. Ein schönes Beispiel einer Parallelfahrt ist jene, die in John Lennon´s Videoclip zu den Song "Imagine"2 verwendet wird, und die für unzählige Werbungen wieder verwendet wurde: Die Fahrt begleitet einen Mann bei einem Gang durch immer dasselbe Zimmer, das sich von Mal zu mal verändert, wie auch die Situation der Person. Das es sich immer wieder um das selbe Zimmer handelt wird durch ein Fenster sichtbar, in dem der Hintergrund gleichbleibt. 1 Lelouche, Claude Ein Mann und eine Frau , Frankreich 1966 2 Salt, Andrew, Imagine ,1988 36
  • 37. Abgesehen davon, daß die Fahrt eine ihrer Motivationen in dem Nichtverlieren des Darstellers hat ( Parallelfahrt), findet sich eine weiter Motivation darin, daß sich der Zustand des Darstellers nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich verändert. Die Fahrt ist relativ lang und kontrastiert durch eine auffallende Gleichmäßigkeit in der Bewegung mit dem jeweils stark veränderten Zimmer, welches die Veränderungen eines ganzen Lebens zeigt. Die gleichmäßig ruhige Kamerabewegung vermittelt Sicherheit, egal in was für einer Lage sich der Darsteller befindet, und es ist eigentlich nicht zu erkennen, ob sich die Kamera be- wegt oder die Reihe der Zimmer vor der Kamera vorbeizieht. Tatsächlich ist es auch unwichtig: Die Hauptsache ist, daß, im Falle einer Werbung für ein Produkt, der Anbieter ( Standpunkt der Kamera ) mit dem Darsteller ( Kunde ) auf einer Höhe bleibt ( Vertrag = Inhalt des Abkommens zwischen Kunde und Produkt "immer da zu sein" ) Dieses Beispiel einer klassischen Passage, in diesem Fall eine Parallelfahrt, findet man auch in diversen amerikanischen Spielfilmen der 50er und 60er Jahre, wobei die Kamera offen- sichtlich etwas macht, was irreal erscheint: sie fährt durch Wände, während der Darsteller durch reale Türen geht. Solche Fahrten sind natürlich nur in Studiodekorationen möglich, wobei der Zuschauer durchaus die Abstraktion und die dadurch ausgedrückte psychologische Aussage akzeptiert. Durch die Bewegungsdynamik lassen sich innere Zustände als auch äußere Situationen differenzierter vermitteln, das heißt die Kamera ständig in Bewegung zu halten, während der Darsteller innerhalb des Bildausschnittes seine Geschwindigkeit verlangsamt, um der Kamera nicht davonzulaufen oder erhöht, um der Kamera nicht verloren zu gehen. Durch den Kontrast der gleichmäßigen Kamerabewegung und der wechselhaften Bewegungsgeschwindigkeit des Darstellers kann eine große Spannung erzeugt werden, die den Eindruck von Unsicherheit des Darstellers gegenüber den äußeren Umständen erweckt. Ein anderer Effekt stellt sich ein, wenn das Objekt beabsichtigter Weise der Kamera entweder davonläuft oder zurückbleibt, und so den Bildausschnitt verläßt: hat der Zuschauer im ersten Fall den Eindruck, der Darsteller überwindet seine gegenwärtige Situation, entsteht im zweiten Fall der Eindruck, daß die Ereignisse bzw. äußeren Umstände den Darsteller "über- rollen", er im Vergleich zu den Geschehnissen zurückbleibt. Diese beiden Effekte können auch mögliche Ausstiege aus einer Passage sein, also z.B. nach einer Fahrt, die einen Mann und eine Frau gezeigt hat, die ihre Beziehung besprechen und etwaige Probleme gelöst oder nicht gelöst haben. 37
  • 38. Auch bei Verfolgungsjagden kann die Position des Objekts zur Kamera die dramaturgische Situation zwischen dem Verfolgten und Verfolger verdeutlichen, und den Zuschauer vor- bereiten: Befindet sich der Verfolgte am Anfang der Jagd im vorderen Teil des Bildaus- schnittes (wenn er nach links läuft also am linken Bildrand) und fällt er mit der Zeit zurück, während es bei den Einstellungen des Verfolgers umgekehrt ist, so suggeriert das dem Zuschauer, daß der Verfolger das Opfer bald eingeholt haben wird. Diese Effekte entstehen natürlich nicht nur durch die Positionen im Bild oder Bewegung an sich, sondern verstärken die von Schauspielern dargestellten Situationen; sie können bei Actionszenen sogar an sich, nur durch den Schnitt unterstützt, aussagekräftig sein. 38
  • 39. Vor - und Nachfahrt Je mehr sich eine Mitfahrt von einer Parallelfahrt in die Bewegungsachse begibt, verstärkt sich der Eindruck der Jagd / Flucht - Situation, die Fahrt ändert sich zur Vor - bzw. Nachfahrt. Bei der Vorfahrt wird im Zuschauer das Verlassen eines Ortes oder einer Begebenheit ver- stärkt bis hin zur Flucht, wenn die Geschwindigkeit der Bewegung dementsprechend groß ist. Bei ein "Mann und eine Frau"1 z.B. verlassen die Darsteller gemeinsam ein Internat, wo sie ihre Kinder zurückgelassen haben. Sie lernen sich durch das Erzählen ihrer Vergangenheit näher kennen. Fast die ganze Sequenz ist in einer Vorfahrt aufgelöst, während das Paar in einem Auto in die Stadt fährt. Die Szene impliziert sehr stark die Vergangenheit, von der sie sich nicht befreien können - aber auch den Wunsch, neu anzufangen. Verstärkend wirkt zusätzlich, daß es zu regnen beginnt, und die eintönige Bewegung der Scheibenwischer den Eindruck des "auf der Stelle Tretens" der beiden Menschen vermittelt. Tatsächlich ist es ja der Fall, daß bei einer Vorfahrt der Hintergrund, also die Umgebung oder das Motiv, von dem man sich wegbewegt, im Bild dargestellt ist. Das "woher" bekommt Symbolgehalt. Bei der Nachfahrt ist es umgekehrt: Man sieht, wohin sich ein Darsteller bewegt. Allerdings sieht man das Gesicht des Darstellers nicht. Der Darsteller wird also von der Kamera verfolgt, und wenn auch eine Nachfahrt nicht als Subjektive eines Darstellers dekla- riert ist, ergibt sich beim Zuschauer doch stark der Eindruck einer subjektiven Einstellung eines "Jägers". Dieser Effekt hat damit zu tun, daß wir im alltäglichen Leben oft hinter anderen Menschen hergehen, auf der Straße oder in einer Warteschlange; selten gehen oder stehen wir rückwärts gewandt. So gesehen ist die Nachfahrt jene Kamerabewegung, auf die das Unterbewußtsein zwar am meisten anspricht, die aber auch am unspektakulärsten ist. Man kann sagen, daß die Nachfahrt sehr eindeutig mit unserer eigenen Erfahrung "spielt", also dem Zuschauer vermittelt: "Dieses Auto" oder "dieser Mensch" wird verfolgt oder flieht vor etwas oder jemandem, egal ob er das weiß oder nicht. Man hat den Eindruck, ein Ereignis stehe bevor, eine Gefahr o.ä. bedrohe den Darsteller, und nur aus seinem Verhalten können wir ableiten, ob das eine oder andere relevant ist oder nicht. 1 Lelouche, C. Ein Mann und... 39
  • 40. Nachfahrten werden meistens in Kombination mit Vorfahrten und Parallelfahrten bei Action -, Horror - und Kriminalfilmen eingesetzt, um die Spannung zu erhöhen, also die drohende Gefahr dem Zuschauer klarzumachen, die ihm aber unbekannt bleibt, und somit seine Phantasie nicht beengt. Sieht man beispielsweise ein junges Mädchen durch eine einsame, dunkle Straße gehen und geschieht das in einer Nachfahrt, so wird der Zuschauer bei einer Vorfahrt den Hintergrund unbewußt absuchen, und bei jeder kleinsten Bewegung im Hintergrund die Gefahr vermuten. Angenommen, wir sehen hinter dem Mädchen tatsächlich etwas, und nähert sich in der darauf folgenden Nachfahrt die Kamera dem Mädchen (Zufahrt), so wird impliziert: es ist tatsächlich eine Gefahr vorhanden. Bei einer folgenden Vorfahrt wird der Zuschauer noch genauer aufpassen, ob nicht irgend jemand zu erkennen ist, der diese Gefahr darstellt, - der Zuschauer wartet förmlich auf den Beweis der Gefahr. So vorbereitet und auf die Folter gespannt erschrickt der Zuschauer dann auch, wenn er die Gefahr sieht, zutiefst. Es ist noch nicht lange her, daß dem Publikum Ausrufe wie "Achtung" oder "Paß auf !" entfuhren, wie z.B. Kinder genau auf solche vorbereitende Effekte reagieren. Die Nachfahrt, kombiniert mit der Vorfahrt ist deshalb der klassische Spannungseffekt für Action, die im " gut - böse "/ " Opfer - Täter" - Schema konstruiert ist. Sie kann aber auch alleine verwendet, sehr subtil wirken und auf eine innere, nicht von außen kommende Wandlung oder Gefahr hinweisen. In jedem Fall wird eine Problemszene unter- bewußt im Zuschauer "vorangekündigt", was, ohne zusätzliche Zufahrt, mit dem Ort, wo sich der Darsteller hinbewegt, zu tun haben kann. 40
  • 41. Die Kreisfahrt Eine sehr effektive als auch effektvolle Fahrt ist die Kreisfahrt, vor allem, wenn sie ausge- fahren wird: sie stellt das "Einkreisen" nicht nur tatsächlich dar, sondern vermittelt dem Zuschauer auch den psychologischen Aspekts des Gefangenseins. Je totaler der Bildausschnitt ist, desto mehr erlebt der Zuschauer durch den Hintergrund eine passive Situation des Darstellers mit, da er ja die gesamte Umgebung sieht, die als ganzes auf den Darsteller einwirkt. Je enger der Bildausschnitt ist, desto mehr wird die innere Situation suggeriert, allerdings als aktive Situation des Darstellers. In beiden Fällen sitzt der Darsteller selbst im Mittelpunkt fest, auch wenn er sich tatsächlich bewegt. Wird der Kreis nicht ganz geschlossen, kommt die Fahrt einem Achsenwechsel gleich. Tritt ein Darsteller in einen Raum, wobei sich für ihn eine neue Situation ergibt durch das, was er sieht, kann man, statt einer subjektiven Einstellung, die den Raum zeigt, eine Kreisfahrt machen, in der Darsteller zuerst von rechts nach links, am Ende von links nach rechts blickt - was auch einen inneren Standpunktwechsel bedeuten würde. Wird die Fahrt hinter dem Darsteller geführt, sieht der Zuschauer genau das, was auch der Darsteller sieht - allerdings aus einer neutraleren Position, als es eine "Subjektive" erlauben würde. Wird die halbe Kreisfahrt vor dem Schauspieler geführt, wird, da sein Gesicht zu sehen ist, eine innere Haltung betont - von unten gefilmt ergibt sich praktisch ein Handlungsbedarf des Darstellers oder eine Reaktion seiner Umgebung. Wird der Kreis geschlossen, wird die ursprüngliche Position wieder eingenommen - sowohl äußerlich als auch innerlich. Das kann z. B. den festen Charakter eines Darsteller unter- streichen, wenn sich während der Fahrt sein innerer Zustand ( Standpunkt ) nicht geändert hat angesichts dessen, was er und das Publikum gleichermaßen sehen. An sich verstärkt die Kreisfahrt eine Bewußtwerdung eines Ortes oder einer inneren Situation viel mehr als eine Schnittauflösung ( G des Darstellers / subjektive Totale / G des Darstellers). Der Haupteffekt der Kreisfahrt vor allem wenn sie mehrere Male gefahren wird, bleibt aber der Eindruck der Hilflosigkeit - die ganze Umgebung wird in ihrer Auswirkung auf den Darsteller konzentriert, und setzt ihn erbarmungslos mit den äußeren bzw. dramaturgischen Umständen in eine starke psychische Relation. 41
  • 42. Außerdem befindet sich der Darsteller vom Zuschauer aus in einer passiven Lage, die von ihm aus nur durch eine innere Entscheidung oder eine von außen kommende Aktion beendet werden kann. Das Publikum erlebt die Situation als hoffnungslos mit. Die Variationsmöglichkeiten bei einer Kreisfahrt sind vielfältig und reizvoll, vor allem wenn sie mit Schwenks und Umschärfen kombiniert wird. 42
  • 43. Hoch - und Niederfahrt Die üblichsten vertikalen Kamerabewegungen sind Ausgleichsfahrten im kleinen Rahmen, etwa wenn sich ein stehender Darsteller niedersetzt, oder bei einer Mitfahrt eines Schau- spielers, der Treppen hinauf oder hinabsteigt. Zweck dieser Fahrten ist es, eine in einer Einstellung gewählte Kamerahöhe in Bezug zu einem ganz bestimmten Objekt konstant zu halten oder diese Höhe absichtlich zu verändern. Dies gilt in den meisten Fällen für die Augenhöhe eines Schauspielers, deren vertikale Über- schreitung entweder in die Kameraposition "von unten" oder "von oben" führt. Gerade bei Hoch - und Niederfahrten wird durch die bewegte Überschreitung der Augenhöhe der Effekt einer gewissen Schicksalhaftigkeit einer Situation eines Darstellers impliziert. Verbunden mit einer Zufahrt kann eine Niederfahrt einem auch nicht überzeugenden Schauspieler zu einem "starken" Auftritt verhelfen, während eine Hoch - und Wegfahrt die Sache für den Darsteller nicht so günstig erscheinen läßt. Ein weiters Beispiel könnte einen Gefängnishof in einer "weiten Totale von oben" zeigen, inmitten der Gefangenen der Hauptdarsteller. Nun folgt aus dieser Perspektive eine Nieder- fahrt auf den Darsteller zu, die in einer "Nahen von unten" endet. Die Schicksalsgemeinschaft der Gefangenen am Anfang und der Hauptdarsteller am Ende der Einstellung werden durch die Fahrt in einen dramaturgischen Bezug zueinander gebracht. Daneben gibt es vertikale Kamerabewegungen die sich aus der Filmsprache selber ableiten lassen, also beispielsweise den Kamerastandpunkt in Beziehung zur Bildkomposition verändern. In jedem Fall ist eine Nieder - bzw. Hochfahrt im großen Rahmen eine tatsächliche Zu - oder Wegfahrt in Bezug zur Erde und damit zu dem Bereich, in dem Geschichten spielen. In diesem Sinne wird sie zum Beispiel als klassische "Einführung" und "Entlassung" am Anfang und am Ende eines Westerns verwendet. Die Niederfahrt am Anfang, um den Helden vorzustellen und um in die "Welt der Geschichten " einzutauchen, und die Hochfahrt am Ende um die Geschichte zu beenden und den Helden, wie gekommen ist, zu entlassen. Die Hochfahrt kann auch eine Szene, z. B. ein Schlachtfeld, vorstellen und dem Zuschauer einen Überblick schaffen - im wahrsten Sinn des Wortes. 43
  • 44. Ein Beispiel, in dem beide Aspekte zusammenfallen, ist in "Spiel mir das Lied vom Tod" 1 zu sehen, und zwar am Ende der Szene als C. Cardinale zum ersten Mal auftritt: vergeblich sucht sie auf dem Bahnhof ihren Mann, und als sie begreift, daß er nicht kommt, geht sie in das Bahnhofsgebäude hinein, um nach dem Weg zu fragen. Als sie den Raum auf der gegenüber liegenden Seite wieder verläßt, macht die Kamera, die sich außerhalb des Gebäudes befindet und durch ein Fenster in den Raum sieht, eine Hochfahrt: die Vorgeschichte ist abgeschlossen, und wie eine Schiebeblende zieht die dunkle Wand des Gebäudes vorbei, um schließlich eine Totale des Hauptschauplatzes zu zeigen: ein entstehendes Dorf, in dem der folgende Film spielen wird. Da Hoch und Niederfahrten im großen Stil nicht der menschlichen Bewegungserfahrung entsprechen, haben solche Kamerabewegungen einen schwebenden Charakter, und eine erhebende bzw. eintauchende Wirkung in Bezug zur Handlung. Vertikale Bewegungen im Raum stellen,vor allem in verbindung mit horizontalen Bewegungen, den besonderen Standpunkt des unsichtbaren Vojeurs dar, wobei durch Entwicklungen wie der Flying Cam und ähnlichen scheinbar auch unkontrollierte vertikale Bewegungen möglich geworden sind. 1 Leone, Sergio - "Spiel mir das Lied vom Tod", Italien/ USA 1968 44
  • 45. Conclusio: DER BEWEGTE RAUM Wie im ersten Teil dieser Arbeit beschrieben, gab es ursprünglich zwei parallele Entwick- lungen in zwei verschiedenen "Räumen", von denen wir uns heute Bilder machen: dem realen Raum und dem virtuellen Raum. Was den Transport und die dadurch mögliche Interaktivität dieser Bilder anbelangt war jedoch erst die Erfindung des Videos und des Fernsehens, dem Medium der Telematik, bahnbrechend: Es relativiert unseren Zeit- und Raumbegriff von Bildern und macht es möglich, Bilder des realen und virtuellen Raumes im Augenblick ihrer Entstehung anschaubar zu machen, zu transportieren und zu vervielfältigen. Durch den unmittelbaren Zugriff auf das Bild wurde eine eigene Dimension geschaffen: Das Live - Bild. Der Einbruch des Live - Bildes in die Film - als auch Computerwelt hat in der Folge notge- drungen eine Symbiose der "bildschaffenden" Techniken mit sich gebracht, während der befürchtete Überlebenskampf zwischen Film und Video ausgeblieben ist - die Profis beider Welten haben zugunsten des Bildes an sich kapituliert. Beim Film in der Art, als daß der Computer (Steuerungstechnik) als auch das Video (Videoausspiegelung für z.B. den Kameraassistenten) in die Film - Kameratechnik Einzug gehalten haben. Bewegte Computeranimationen öffnen einen Bereich des Bildes selbst, der dem Film bzw. Video nicht zugänglich ist, oder die leichter mittels Computer realisiert werden können. Das Bild selbst betreffend gibt es beim Film seit langem die klassische Arbeit des Realtrickfachmannes, der, meist Kameramann, grafische und andere Bilder auf optischem und mechanischem Weg in eine Filmeinstellung integriert. Diese Arbeitsweise ist durch den Computer innerhalb von kaum einem Jahrzehnt fast ersetzt worden, und zu dem klassischen Filmteam ist eine wichtige Funktion hinzugekommen, die die Symbiose von elektronischen und optischen Bildern erst möglich gemacht hat: Der Computerbildanimateur - der sich letztlich sein eigenes Filmteam schafft. Was die Computerwelt selbst betrifft, hat sich das Bild einen besonderen Platz geschaffen durch die Tatsache, daß die Gebraucher von Computern und damit von Bildschirmen lieber lustige bunte Bilder sehen wollen als starre, lineare Zahlenkolonnen oder Grafiken. Die 45
  • 46. Forschungsarbeiten und vor allem die Kosten um schließlich fotorealistischen Computerbildern auch das Laufen beizubringen, also virtuelle Film - bzw. Video - Sequenzen in Echtzeit abzuspielen, waren und sind noch immer enorm. Vor allem Bewegungen des Betrachtungsstandpunktes können bei Computeranimationen beim Zuschauer den Eindruck verstärken, als wären die dargestellten virtuellen Räume und Objekte real vorhanden, da wir vom Film her glauben und wissen, daß hinter der Kamera eine Welt existiert. Da jedoch keine Kamera , sondern der an sich unbewegte Bildschirm - wie ein fixes Fenster in den virtuellen Raum - den Bildausschnitt "zeigt", muß tatsächlich der Raum an sich scheinbar bewegt werden, das heißt die Objekte, die den Raum anschaulich machen, um eine virtuelle Kamerabewegung zu simulieren. Diese Technik, nämlich an sich unbewegte Objekte durch Einzelbildaufnahmen (Stoptrick) sich scheinbar selbst bewegen zu lassen, ist durch den Animationsfilm schon lange bekannt und genutzt worden. Der Trick liegt unter anderem darin, daß man, bei absolut linearen Kamerabewegungen durch einen Raum mit ruhenden Objekten, genau so gut die Objekte statt der Kamera bewegen könnte, um einen bewegten Standpunkt des Betrachters zu suggerieren - und umgekehrt. Diese Tatsache, mathematisch und physikalisch unter anderem durch Einsteins Relativitätstheorie belegt und berechenbar gemacht, reiht sich an andere für die Telematik wesentliche Erkenntnisse, wie die mindestens 18 Bilder pro Sekunde die notwendig sind, um bei einer Projektion unsere Augen zu überlisten - wir sehen keine einzelnen Bilder mehr, sondern einen Fluß von Bildern. Während beim Film schon von Anfang an bei der Aufnahme mehr als 18 Bilder erzeugt wurden und leicht wieder abgespielt werden konnten, stieß die Weiterentwicklung von einem künstlich erzeugten Bild ( 2 - D - Animation) zu einer künstlich erzeugten Filmeinstellung ( 3 - D - Animation, Morphing) auf enorme Probleme: Um nicht nur Bewegungen im Bild zu ermöglichen, sondern auch den Standpunkt zu verändern, mußte der Raum rechnerisch erfaßt und definiert werden. Erst durch den gemeinsamen Nenner, nämlich den Raum an sich und seine optisch als auch mathematisch genaue und kompatible Definition, gelang es, coputeranimierte Bilder in Film - oder Videosequenzen einzukopieren - und zwar mit einer derart fotorealistischen Genauigkeit, daß kommende Generationen der Frage: "Wurde dieses Bild optisch oder elektronisch hergestellt?" ohne Coputeranalyse hilflos gegenüber stehen werden. 46
  • 47. Am Ende steht, - nach der Definition des Standpunktes an sich durch die Perspektive, und die Erfassung und Definition des Raumes durch Bewegung des (perspektivischen) Standpunktes an sich, der scheinbar bewegte, in Bewegung geratene, Raum. Da von Computeranimationen bis hin zum Cyberspace Bilder bewegter Standpunkte einer Kamera einen Hauptfaktor zur Orientierung darstellen, und dadurch bis zu einem gewissen Grad filmästethische Gesetze gültig sind, die genutzt werden, um die scheinbare Realität der Bilder erlebnishafter zu machen - und sie so stilistisch prägen - wird umgekehrt unser Bild der Realität "filmischer". Dabei spielen mehrere Faktoren eine Rolle, wie zum Beispiel der Bildausschnitt und die Distanz des Betrachters zum Bild. Je näher sich die Projektionsfläche vor dem Zuseher be- findet, desto leichter löst sich das klassische, rechtwinkelige "Bild" für den Zuschauer auf, und wird zur scheinbaren räumlichen Realität. Im Cyberspace wird deshalb eine Brille verwendet, die das Bild unmittelbar vor den Augen erscheinen läßt, wodurch der Mensch scheinbar in den virtuellen Raum des Bildschirms hinein tritt. "Der Medientheoretiker Marshall McLuhan hatte ja schon vor über 3o Jahren am Lichtimpulsbombardement des Fernsehens erkannt, daß der Betrachter selbst zum Bildschirm geworden ist. Heute schließen sich Monitor und Netzhaut kurz."1 Der nächste Schritt ist dann der interaktive Film, in dem sich der Betrachter nicht nur als Darsteller bewegen, sondern auch in die Handlung eingreifen kann, die interaktive Computeranimation, durch die sich der Betrachter "seine" Realität programmieren kann, und das interaktive Video, um mit anderen Menschen rund um die Welt zu kommunizieren. Die Technologie und Wirkung eine Kamera nicht nur für Filmaufnahmen zu bewegen, hat letztlich Räume sichtbar gemacht die zwar real, aber bisher nur virtuell darstellbar waren, wie zum Beispiel der Weltraum, oder Bilder aus dem inneren verschiedener Körper. "Virtuelle Realität heißt nämlich, daß es Menschen jetzt prinzipiell möglich ist, eine Menschen unerreichbare Welt zu manipulieren - sei es auf der Venus, sei´s im Vulkankrater, sei´s in radioaktiv verseuchten Gebieten."2 1 Bolz, Norbert, Das kontrollierte Chaos: Vom Humanismus zur Medienwirklichkeit (Düsseldorf, ECON - Verlag 1994) S. 263 2 ebenda, 47
  • 48. Was Norbert Bolz hier anspricht ist die Tatsache, daß die Symbiose von optisch als auch elektronisch erfaßter Umgebung dazu geführt haben, die Manipulation des Menschen durch eine Scheinrealität zu ermöglichen ( Film, Fernsehen) - mit dem Ergebnis, daß der Mensch gleichzeitig fähig geworden ist, durch diese Scheinrealität seine Umwelt zu manipulieren (Telematik, Fernsteuerung ). Vor allem anhand der militärischen Technik läßt sich erkennen, daß die angesprochene Manipulation Realität geworden ist - wobei sich nicht nur unser Verhältnis zum Raum, sondern auch zur Zeit verändert hat. Denn: "Der Videofilmer manipuliert die Linearität der Zeit. ... Das Rohmaterial des Videofilmers ist die Geschichte im strengen Sinn....Er agiert also nicht nur in der Geschichte, sondern wirkt auch auf sie ein."1 Was das agieren und Erleben des von Flusser angesprochenen "Videofilmers" betrifft, ist er der ursprüngliche unsichtbare Vojeur, jedoch gleichzeitig Handelnder und Zuschauer in einer Person. So soll am Ende dieser Arbeit ein unbekannter Soldat zitiert werden, der als einer der ersten zurückgekehrten Piloten im Golfkrieg interviewt wurde, und auf die Frage, wie er seinen Einsatz erlebt hatte, antwortete: " Oh, it was like a movie!". Und wirklich: Die aufwendig realisierte "Subjektive" einer Rakete im Anflug auf ihr Ziel war beeindruckend, - wie wir es aus Kinofilmen kennen. Tatsächlich hatte der Soldat live die selben Bilder von Einschlägen der Raketen gesehen wie der Rest der Welt, aus moralischen / taktischen Gründen zeitversetzt, im Fernsehen. Was hier in einem Satz ausgesprochen wird, zeigt, inwieweit Kamerabewegungen, in ange- sprochenen Fall von einer auf eine Rakete montierten Kamera, in unser telematisches Handeln eingebunden sind. Bilder bewegter Standpunkte, ob von einem Wettersatelliten oder einer Roboterkamera in einem Atomkraftwerk, sind ein Teil unserer Realität geworden, an der der klassische Kinofilm insofern seinen Anteil hat, als daß er "die Geschichte" vorausahnt, erzählt und anschaulich macht, die heute, mit Hilfe der Telematik, verwirklicht wird. Dieser visionäre Charakter und manipulative Funktion des Kinofilms scheint allerdings, will man den drei in dieser Arbeit zitierten Philosophen glauben, erst in Zukunft ihre volle Wirkung entfalten. Vilem Flusser schreibt im letzten Absatz des Essays "Die Geste des Filmens": 1 Flusser, Vilem, Gesten, Die Geste des Video, S. 250 48
  • 49. "Im Film wird nicht, wie im traditionellen Bild, ein Phänomen dargestellt, sondern eine Theorie, eine Ideologie, eine These, welche Phänomene bedeuten. Daher erzählt der Film nicht Geschehen, sondern stellt Geschehen vor und macht es vorstellbar: er macht Geschichte. ...Es ist nicht ausgeschlossen, daß zukünftig die existentiell bedeutende Geschichte vor Zuschauern auf Wänden und TV - Schirmen abrollen wird statt im Zeitraum. Darum ist der Film die "Kunst" unserer Zeit, und die filmische Geste die des "neuen Menschen", eines uns nicht unbedingt sympathischen Wesens." 1 1Flusser, Vilem, Gesten, Die Geste des Filmens, S. 157f 49
  • 50. GLOSSAR Anamorphotische Optik verzerrt ein Breitwandbild auf dem Negativ der Breite nach und preßt ein Breitwandbild um 50% seitlich zusammen, um keinen Platz am Negativ zu verschwenden. Aufbau alles, was an Technik oder Mechanik mit dem Kamerawagen mitgeschoben wird Bühnenkistln - rechteckige Holzkisten, ca. 50 x30 x15 cm Cammotionsysteme Kamera - Bewegungssysteme. Unter diesen Begriff fallen alle elektro- nisch gesteuerte Techniken, eine Kamera mittels Mechanik zu bewegen (Industrieroboter). Dollyfahrer ist derjenige, der den Kamerawagen schiebt, Dolly = Kamerawagen, engl. Gripman ist für alles zuständig, was für die Kamera aufgebaut werden muß Hothead ein ferngesteuerter Schwenkkopf der Firma Kaleidoscope. Hydrokopf der sogenannte europäische Schwenkkopf, der mit einem Schwenkhebel bewegt wird, was die Bedienung mit einer Hand möglich macht. Trotzdem er ist mit einer hydraulischen Dämpfung ausgerüstet, ist die dynamische und mehr oder weniger unruhige Armbewegung mehr zu spüren, als bei einem Kurbelkopf. Jib - Arm (engl.) Ausleger, kleiner Kran. Kurbelkopf ein Schwenkkopf, der mit Hilfe von 2 Kurbeln bedient wird: jeweils eine für die horizontale und eine für die vertikale Schwenkbewegung. Er erlaubt genaue Bewegungen, und ist mit 2 Händen zu bedienen. Der Bewegungscharakter ist linearer als beim Hydrokopf Lovel - Grip eine spezielle Form einer Schraubklemme, mit drehbarem Gelenk mit einem Zapfen, an dem Scheinwerfer montiert werden Lassoband strapazierfähiges Klebeband aus lackiertem Stoff, Morphing 3 - D - Computeranimationstechnik, mit der sich Gegenstände, aber auch Gesichter oder Landschaften fotorealistisch in Echtzeit verwandeln lassen. Dadurch, daß die Animationen kaum mehr linearen Charakter aufweisen wenn der scheinbare Betrachtungswinkel verändert wird, sind sie den realen Filmbildern ähnlicher als herkömm- liche Animationen. Movie - Cam (Compact) Eine kompakte Version der in Österreich entwickelten und gebauten Movie - Cam, die sich besonders als Handkamera eignet und für Einsätze als Steadycam, im Helikopter u. ä. Operator - (engl.) Schwenker Panther Der Panther stellt einen Kamerawagen dar, der mit Hilfe elektronischer Steuerung und elektromechanischem Hubmechanismus Hoch - und Niederfahrten in einer Distanz von 75 cm erlaubt. Praktikabel stabiles Holzgestell mit Standfläche. Üblicherweise 3o , 50 und 100 cm hoch 50
  • 51. Remote - Head (engl.) Ferngesteuerter Schwenkkopf, Sektorblende nach links oder rechts drehbare Verschlußblende bei Filmkameras. Ein Sektor, ca. 180 o , ist frei und dient zur Belichtung, der andere schließt die Blende während des Filmtransports und macht es mittels eines Spiegels möglich, im Okular den Bildausschnitt zu sehen. sphärische Optik normale Foto und Filmoptik, die das Bild nicht verzerrt. Steadycam Ist eine Aufhängungsvorrichtung für eine Kamera, die um den Körper geschnallt wird, und mit der sich der Kameramann bzw. Operator praktisch frei bewegen kann. Durch einen speziellen Federungsmechanismus wird bei allen Bewegungen der Kamera der Bildstand in der horizontalen Achse ruhig gehalten, was den Kriterien des objektiven Bildes entspricht. Telematik: Zusammengesetzt aus den Wörtern Telekommunikation und Informatik Die Telematik umfaßt alle Medien und Daten, die sich mittels Kabel aber auch drahtlos "trans- portieren" lassen. Außerdem stellt die Telematik ein interaktives Kommunikations - und Aktionsmedium dar, so zum Beispiel in der Raumfahrt und der militärischen Technik. virtuell Als virtuell bezeichnet man einen Raum (Bild), der (das) beliebig manipulierbar ist, und scheinbar oder tatsächlich realen Raumkoordinaten (Objekten) entspricht. 51
  • 52. LITERATURVERZEICHNIS Postman, Neil - Wir amüsieren uns zu Tode S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1985 Flusser, Vilem - Gesten Bollmann Verlag, Düsseldorf und Bensheim 1991 Bolz, Norbert, Das kontrollierte Chaos: Vom Humanismus zur Medienwirklichkeit Düsseldorf, ECON - Verlag 1994 S. 263 Samuelson, David, Manuel f. Cinematographers, ( Oxford, Butterworth - Heinemann, 1994) Balazs, Bela, Der Film, Wien, Globus - Verlag, 1949 52