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Industrie 4.0 und Autonomie
Zwischen Selbstentfaltung
und Selbstverwertung
Ringvorlesung „Autonomie und digitale Gesellschaft“
Wintersemester 2017/18
Abteilung Medienwissenschaft der Universität Bonn
05.12.2017
Stefan Meretz, Bonn
keimform.de
commons-institut.org
Überblick
Historisierung industrieller Revolutionen
Drei Autonomien
Wie rekonfigurieren?
Historisierung industrieller Revolutionen
Professor Bömmel: „Wat is en Dampfmaschin´?“
Die Feuerzangenbowle, 1944
Historisierung industrieller Revolutionen
Historisierung industrieller Revolutionen
»Die Werkzeugmaschine … ist es, wovon die
industrielle Revolution im 18. Jahrhundert ausgeht«
Karl Marx, Das Kapital, Band 1, Kapitel 13, S. 393
Ansatzpunkt: Marx‘ Kapital I, Kapitel 13, S. 393ff
Die große Maschinerie der industriellen Revolution:
● Werkzeugmaschine (»Arbeitsmaschine«)
● Energiemaschine (»Bewegungsmaschine«)
● Algorithmusmaschine (»Transmissionsmechanismus«)
Ansatzpunkt: Marx‘ Kapital I, Kapitel 13, S. 393ff
Die große Maschinerie der industriellen Revolution:
● Werkzeugmaschine (»Arbeitsmaschine«)
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● Algorithmusmaschine (»Transmissionsmechanismus«)
»Der Transmissionsmechanismus, zusammengesetzt
aus Schwungrädern, Treibwellen, Zahnrädern,
Kreiselrädern, Schäften, Schnüren, Riemen,
Zwischengeschirr und Vorgelege der verschiedensten
 Art, regelt die Bewegung, verwandelt, wo es nötig, 
ihre Form, z.B. aus einer perpendikulären
in eine kreisförmige, verteilt und überträgt
sie auf die Werkzeugmaschinerie.«
Ansatzpunkt: Marx‘ Kapital I, Kapitel 13, S. 393ff
Die große Maschinerie der industriellen Revolution:
● Werkzeugmaschine (»Arbeitsmaschine«)
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● Algorithmusmaschine (»Transmissionsmechanismus«)
»Der Transmissionsmechanismus, zusammengesetzt
aus Schwungrädern, Treibwellen, Zahnrädern,
Kreiselrädern, Schäften, Schnüren, Riemen,
Zwischengeschirr und Vorgelege der verschiedensten
 Art, regelt die Bewegung, verwandelt, wo es nötig, 
ihre Form, z.B. aus einer perpendikulären
in eine kreisförmige, verteilt und überträgt
sie auf die Werkzeugmaschinerie.«
Ansatzpunkt: Marx‘ Kapital I, Kapitel 13, S. 393ff
Die große Maschinerie der industriellen Revolution:
● Werkzeugmaschine (»Arbeitsmaschine«)
● Energiemaschine (»Bewegungsmaschine«)
● Algorithmusmaschine (»Transmissionsmechanismus«)
Marx: »Ein System der Maschinerie ... bildet an und für sich einen
großen Automaten«
Kern des »Automaten« ist die Algorithmusmaschine.
»Industrielle Revolutionen« sind algorithmische Revolutionen
Jede algorithmische Revolution verdichtet den Prozess der
»reellen Subsumtion« der Produktion unter das Kapital
Ansatzpunkt: Marx‘ Kapital I, Kapitel 13, S. 393ff
Die große Maschinerie der industriellen Revolution:
● Werkzeugmaschine (»Arbeitsmaschine«)
● Energiemaschine (»Bewegungsmaschine«)
● Algorithmusmaschine (»Transmissionsmechanismus«)
Marx: »Ein System der Maschinerie ... bildet an und für sich einen
großen Automaten«
Kern des »Automaten« ist die Algorithmusmaschine.
»Industrielle Revolutionen« sind algorithmische Revolutionen
Jede algorithmische Revolution verdichtet den Prozess der
»reellen Subsumtion« der Produktion unter das Kapital
Formelle Subsumtion:
Nutzung von Produktionsresultaten
zu Zwecken der Verkaufs
Reelle Subsumtion:
Gestaltung der Produktion nach der
Logik der Verwertung
Ansatzpunkt: Marx‘ Kapital I, Kapitel 13, S. 393ff
Die große Maschinerie der industriellen Revolution:
● Werkzeugmaschine (»Arbeitsmaschine«)
● Energiemaschine (»Bewegungsmaschine«)
● Algorithmusmaschine (»Transmissionsmechanismus«)
Marx: »Ein System der Maschinerie ... bildet an und für sich einen
großen Automaten«
Kern des »Automaten« ist die Algorithmusmaschine.
»Industrielle Revolutionen« sind algorithmische Revolutionen
Jede algorithmische Revolution verdichtet den Prozess der
»reellen Subsumtion« der Produktion unter das Kapital
...und erzeugt die Potenzen zur Aufhebung des Kapitalismus.
Industrie 1.0: „Industrielle Revolution“
● Transformation: Handwerk → Manufaktur → Industrie
● Die »enge technische Basis [der Manufaktur] schließt wirklich
wissenschaftliche Analyse des Produktionsprozesses aus, da
jeder Teilprozeß ... als handwerksmäßige Teilarbeit ausführbar
sein muß« (358)
● Übergang von der formellen zur reellen Subsumtion
● Übergang von der personalen zur sachlichen Herrschaft
Muskelkraft Werkzeug Wissen/Erfahrung
Energie-
maschine
Werkzeug- und Algorithmusmaschine
Werkzeug→Sachlogik Algorithmus→Zeitlogik
Industrie 2.0: „Fordismus/Taylorismus“
● Transformation: Inselfertigung → analoge Fließfertigung
● Erste algorithmische Revolution: Der »ideale« Prozess
● Reelle Subsumtion: Arbeiter*in als Anhängsel der Maschine
Energie-
maschine
Werkzeug- und Algorithmusmaschine
Werkzeug→Sachlogik
Werkzeug- und AlgorithmusmaschineWerkzeug- und Algorithmusmaschine
Algorithmus→Zeitlogik
EM
Sachlogik
Fließfertigung mit analogen Spezialmaschinen
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Industrie 3.0: „Toyotismus/KVP/JIT“
● Transformation: Fließfertigung → digital integrierte Fertigung
(CIM: »Computer Integrated Manufacturing«)
● Zweite algorithmische Revolution: Der »flexible« Prozess
● Reelle Subsumtion: Unterordnung des ganzen Menschen
EM
flexibel-modular
Analoge Prozessmaschine
softwaregesteuert
EM
Sachlogik
Fließfertigung mit analogen Spezialmaschinen
Feste Integration der Einzelprozesse
Digitale Universalmaschine
Was sagt Wikipedia?
Mit Hilfe »intelligente(r) und digital vernetzte(r)
Systeme … soll eine weitestgehend selbstorganisierte
Produktion möglich werden: Menschen, Maschinen,
Anlagen, Logistik und  Produkte kommunizieren und
kooperieren in der Industrie 4.0 direkt miteinander.
… Die Vernetzung soll ... alle Phasen des Lebenszyklus
des Produktes einschließen – von der Idee
eines Produkts über die Entwicklung, Fertigung,
Nutzung und Wartung bis hin zum Recycling.«
Industrie 4.0: „Vernetzte Agenten-Produktion“
Industrie 4.0: „Vernetzte Agenten-Produktion“
● Transformation: Zentral gesteuerte Fertigung → Agenten-
basierte Netzwerk-Fertigung
● Dritte algorithmische Revolution: Der »autonome« Prozess
● Reelle Subsumtion: … darauf komme ich gleich zurück!
Analoge Prozessmaschine
E
M flexibel-autonom
Autonom interagierende digitale Prozessmaschinen
Dezentrale Selbststeuerung
Digitale Universalmaschine
EM
flexibel-modular Zentrale Softwaresteuerung
Muskelkraft Werkzeug Wissen/Erfahrg
Energie-
maschine
Werkzeug- und Algorithmusmaschine
→Sachlogik →Zeitlogik
EM
Sachlogik
Fließfertigung mit analogen Spezialmaschinen
Feste Integration der Einzelprozesse
EM
flexibel-modular
Analoge Prozessmaschinen
softwaregesteuert
Digitale Universalmaschine
E
M flexibel-autonom
Autonom interagierende digitale Prozessmaschinen
Dezentrale Selbststeuerung
Muskelkraft Werkzeug Wissen/Erfahrg
Energie-
maschine
Werkzeug- und Algorithmusmaschine
→Sachlogik →Zeitlogik
EM
Sachlogik
Fließfertigung mit analogen Spezialmaschinen
Feste Integration der Einzelprozesse
EM
flexibel-modular
Analoge Prozessmaschinen
softwaregesteuert
Digitale Universalmaschine
E
M flexibel-autonom
Autonom interagierende digitale Prozessmaschinen
Dezentrale Selbststeuerung
Wo ist da
der Mensch?
»Handwerkliche Industrie«:
Mensch als Maschinen-Bediener*in
Analoge Fließfertigung:
Mensch als Bestandteil der Maschine
Digital integrierte Fertigung:
Mensch als Maschinen-Dirigent*in
Agenten-basierte Netzwerk-Fertigung:
Mensch als Produktionsagent*in
Neue Qualität reeller Subsumtion:
● Maschinen-Anhängsel
→ Produktionsagent*in
● Marx: „Detailindividuum“
→ „total entwickeltes Individuum“
► Totalisierung & Internalisierung des Verwertungsimperativs
► Widerspruch zwischen Selbstentfaltung und Selbstverwertung
„Industrie 4.0“: Agentenbasierte Netzwerkfertigung
»In der bürgerlichen Ökonomie … erscheint diese völlige Herausarbeitung
des menschlichen Innern [das ‚absolute Herausarbeiten’ der ‚schöpferischen
Anlagen’] als völlige Entleerung, diese universelle Vergegenständlichung als
totale Entfremdung, und die Niederreißung aller bestimmten einseitigen
Zwecke als Aufopferung des Selbstzwecks unter einen ganz äußren Zweck.«
Marx (Grundrisse, 387)
Drei Autonomien
Flexibel-autonome
Prozess-Maschinen
Flexibel-autonome
Prozess-Individuen
Drei Autonomien
Karl Marx:
Der Wert »geht beständig aus der einen Form in die andre über
[Ware↔Geld], ohne sich in dieser Bewegung zu verlieren, und
verwandelt sich so in ein automatisches Subjekt. (...) In der Tat
… wird der Wert hier das Subjekt eines Prozesses, worin er unter
dem beständigen Wechsel der Formen von Geld und Ware seine
Größe selbst verändert, sich als Mehrwert von sich selbst als
ursprünglichem Wert abstößt, sich selbst verwertet. (...) Er hat
die okkulte Qualität erhalten, Wert zu setzen, weil er Wert ist.
Er wirft lebendige Junge oder legt wenigstens goldne Eier.«
Drei Autonomien
Flexibel-autonome
Prozess-Maschinen
Flexibel-autonome
Prozess-IndividuenG G′
W
Wie rekonfigurieren?
1) Das »automatische Subjekt« abschalten
2) Alle Derivate mit entsorgen: Ware, Geld, Markt, Staat
3) Zwei Freiheiten realisieren: Freiwilligkeit und Eigentumsfreiheit
► Inklusionsgesellschaft, »eine Assoziation, worin die freie
Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie
Entwicklung aller ist« (Marx/Engels 1848)
► Schlechte Nachricht: Schwer zu machen, das Einfache
► Gute Nachricht: Die Transformation hat bereits begonnen
… und das führt uns zu den Commons
Commons
... »bezeichnet Ressourcen (Code, Wissen, Nahrung, Energiequellen,
Wasser, Land, Zeit u.a.), die aus selbstorganisierten Prozessen des
gemeinsamen bedürfnisorientierten Produzierens, Verwaltens,
Pflegens und/oder Nutzens (Commoning) hervorgehen.« (Wikipedia)
Commons
Beitragen
statt
Tauschen
Selbstorganisation
statt
Fremdbestimmung
Commoning
Ressourcen Produkte
»Eigentumsfreiheit«
»Freiwilligkeit«
Commoning in der Industrie 4.0
Einerseits:
● Bedürfnisse nach Selbstbestätigung, Selbstwirksamkeit,
Anerkennung, Autonomie, Kooperation – kurz: Selbstentfaltung
Andererseits:
● Zwang zur Internalisierung der Verwertungsimperative zur
Optimierung, Kosteneinsparung, Flexibilisierung, Rationalisierung
(aka »unternehmerisches Selbst«) – kurz: Selbstverwertung
► Soziologie: »Doppelte Subjektivierung«
► Widerspruch zwischen Selbstentfaltung und Selbstverwertung
Commons: Re/Produktion jenseits von Markt & Staat
Eigenschaften:
● Transformatorische Bewegungsform des Widerspruchs
zwischen Selbstentfaltung und Selbstverwertung bzw.
menschlichen Bedürfnissen und ökonomischer Rationalität
● Doppelte Funktionalität im Kapitalismus: nutzbar zur
Kostenreduktion, aber inkompatibel zur Verwertungslogik
Potenziale:
● Agentenbasierte Netzwerk-Produktion als Vorform commons-
basierter Peer-Produktion in polyzentrischer Selbstorganisation
● Elementarform einer commonistischen Re/Produktionsweise
● Aufhebung der Sphärenspaltung von Ökonomie und Care
● Positiv-reziproke Inklusionslogik statt Exklusionslogik
► Gesellschaftliche Verallgemeinerung: Commonismus
Simon Sutterlütti, Stefan Meretz: »Kapitalismus aufheben.
Eine Einladung«. Erscheint 2018 im VSA-Verlag.
Danke
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Industrie 4.0 und Autonomie

  • 1. Industrie 4.0 und Autonomie Zwischen Selbstentfaltung und Selbstverwertung Ringvorlesung „Autonomie und digitale Gesellschaft“ Wintersemester 2017/18 Abteilung Medienwissenschaft der Universität Bonn 05.12.2017 Stefan Meretz, Bonn keimform.de commons-institut.org
  • 3. Historisierung industrieller Revolutionen Professor Bömmel: „Wat is en Dampfmaschin´?“ Die Feuerzangenbowle, 1944
  • 5. Historisierung industrieller Revolutionen »Die Werkzeugmaschine … ist es, wovon die industrielle Revolution im 18. Jahrhundert ausgeht« Karl Marx, Das Kapital, Band 1, Kapitel 13, S. 393
  • 6. Ansatzpunkt: Marx‘ Kapital I, Kapitel 13, S. 393ff Die große Maschinerie der industriellen Revolution: ● Werkzeugmaschine (»Arbeitsmaschine«) ● Energiemaschine (»Bewegungsmaschine«) ● Algorithmusmaschine (»Transmissionsmechanismus«)
  • 7. Ansatzpunkt: Marx‘ Kapital I, Kapitel 13, S. 393ff Die große Maschinerie der industriellen Revolution: ● Werkzeugmaschine (»Arbeitsmaschine«) ● Energiemaschine (»Bewegungsmaschine«) ● Algorithmusmaschine (»Transmissionsmechanismus«) »Der Transmissionsmechanismus, zusammengesetzt aus Schwungrädern, Treibwellen, Zahnrädern, Kreiselrädern, Schäften, Schnüren, Riemen, Zwischengeschirr und Vorgelege der verschiedensten  Art, regelt die Bewegung, verwandelt, wo es nötig,  ihre Form, z.B. aus einer perpendikulären in eine kreisförmige, verteilt und überträgt sie auf die Werkzeugmaschinerie.«
  • 8. Ansatzpunkt: Marx‘ Kapital I, Kapitel 13, S. 393ff Die große Maschinerie der industriellen Revolution: ● Werkzeugmaschine (»Arbeitsmaschine«) ● Energiemaschine (»Bewegungsmaschine«) ● Algorithmusmaschine (»Transmissionsmechanismus«) »Der Transmissionsmechanismus, zusammengesetzt aus Schwungrädern, Treibwellen, Zahnrädern, Kreiselrädern, Schäften, Schnüren, Riemen, Zwischengeschirr und Vorgelege der verschiedensten  Art, regelt die Bewegung, verwandelt, wo es nötig,  ihre Form, z.B. aus einer perpendikulären in eine kreisförmige, verteilt und überträgt sie auf die Werkzeugmaschinerie.«
  • 9. Ansatzpunkt: Marx‘ Kapital I, Kapitel 13, S. 393ff Die große Maschinerie der industriellen Revolution: ● Werkzeugmaschine (»Arbeitsmaschine«) ● Energiemaschine (»Bewegungsmaschine«) ● Algorithmusmaschine (»Transmissionsmechanismus«) Marx: »Ein System der Maschinerie ... bildet an und für sich einen großen Automaten« Kern des »Automaten« ist die Algorithmusmaschine. »Industrielle Revolutionen« sind algorithmische Revolutionen Jede algorithmische Revolution verdichtet den Prozess der »reellen Subsumtion« der Produktion unter das Kapital
  • 10. Ansatzpunkt: Marx‘ Kapital I, Kapitel 13, S. 393ff Die große Maschinerie der industriellen Revolution: ● Werkzeugmaschine (»Arbeitsmaschine«) ● Energiemaschine (»Bewegungsmaschine«) ● Algorithmusmaschine (»Transmissionsmechanismus«) Marx: »Ein System der Maschinerie ... bildet an und für sich einen großen Automaten« Kern des »Automaten« ist die Algorithmusmaschine. »Industrielle Revolutionen« sind algorithmische Revolutionen Jede algorithmische Revolution verdichtet den Prozess der »reellen Subsumtion« der Produktion unter das Kapital Formelle Subsumtion: Nutzung von Produktionsresultaten zu Zwecken der Verkaufs Reelle Subsumtion: Gestaltung der Produktion nach der Logik der Verwertung
  • 11. Ansatzpunkt: Marx‘ Kapital I, Kapitel 13, S. 393ff Die große Maschinerie der industriellen Revolution: ● Werkzeugmaschine (»Arbeitsmaschine«) ● Energiemaschine (»Bewegungsmaschine«) ● Algorithmusmaschine (»Transmissionsmechanismus«) Marx: »Ein System der Maschinerie ... bildet an und für sich einen großen Automaten« Kern des »Automaten« ist die Algorithmusmaschine. »Industrielle Revolutionen« sind algorithmische Revolutionen Jede algorithmische Revolution verdichtet den Prozess der »reellen Subsumtion« der Produktion unter das Kapital ...und erzeugt die Potenzen zur Aufhebung des Kapitalismus.
  • 12. Industrie 1.0: „Industrielle Revolution“ ● Transformation: Handwerk → Manufaktur → Industrie ● Die »enge technische Basis [der Manufaktur] schließt wirklich wissenschaftliche Analyse des Produktionsprozesses aus, da jeder Teilprozeß ... als handwerksmäßige Teilarbeit ausführbar sein muß« (358) ● Übergang von der formellen zur reellen Subsumtion ● Übergang von der personalen zur sachlichen Herrschaft Muskelkraft Werkzeug Wissen/Erfahrung Energie- maschine Werkzeug- und Algorithmusmaschine Werkzeug→Sachlogik Algorithmus→Zeitlogik
  • 13. Industrie 2.0: „Fordismus/Taylorismus“ ● Transformation: Inselfertigung → analoge Fließfertigung ● Erste algorithmische Revolution: Der »ideale« Prozess ● Reelle Subsumtion: Arbeiter*in als Anhängsel der Maschine Energie- maschine Werkzeug- und Algorithmusmaschine Werkzeug→Sachlogik Werkzeug- und AlgorithmusmaschineWerkzeug- und Algorithmusmaschine Algorithmus→Zeitlogik EM Sachlogik Fließfertigung mit analogen Spezialmaschinen Feste Integration der Einzelprozesse
  • 14. Industrie 3.0: „Toyotismus/KVP/JIT“ ● Transformation: Fließfertigung → digital integrierte Fertigung (CIM: »Computer Integrated Manufacturing«) ● Zweite algorithmische Revolution: Der »flexible« Prozess ● Reelle Subsumtion: Unterordnung des ganzen Menschen EM flexibel-modular Analoge Prozessmaschine softwaregesteuert EM Sachlogik Fließfertigung mit analogen Spezialmaschinen Feste Integration der Einzelprozesse Digitale Universalmaschine
  • 16. Industrie 4.0: „Vernetzte Agenten-Produktion“ ● Transformation: Zentral gesteuerte Fertigung → Agenten- basierte Netzwerk-Fertigung ● Dritte algorithmische Revolution: Der »autonome« Prozess ● Reelle Subsumtion: … darauf komme ich gleich zurück! Analoge Prozessmaschine E M flexibel-autonom Autonom interagierende digitale Prozessmaschinen Dezentrale Selbststeuerung Digitale Universalmaschine EM flexibel-modular Zentrale Softwaresteuerung
  • 17. Muskelkraft Werkzeug Wissen/Erfahrg Energie- maschine Werkzeug- und Algorithmusmaschine →Sachlogik →Zeitlogik EM Sachlogik Fließfertigung mit analogen Spezialmaschinen Feste Integration der Einzelprozesse EM flexibel-modular Analoge Prozessmaschinen softwaregesteuert Digitale Universalmaschine E M flexibel-autonom Autonom interagierende digitale Prozessmaschinen Dezentrale Selbststeuerung
  • 18. Muskelkraft Werkzeug Wissen/Erfahrg Energie- maschine Werkzeug- und Algorithmusmaschine →Sachlogik →Zeitlogik EM Sachlogik Fließfertigung mit analogen Spezialmaschinen Feste Integration der Einzelprozesse EM flexibel-modular Analoge Prozessmaschinen softwaregesteuert Digitale Universalmaschine E M flexibel-autonom Autonom interagierende digitale Prozessmaschinen Dezentrale Selbststeuerung Wo ist da der Mensch?
  • 19. »Handwerkliche Industrie«: Mensch als Maschinen-Bediener*in Analoge Fließfertigung: Mensch als Bestandteil der Maschine Digital integrierte Fertigung: Mensch als Maschinen-Dirigent*in Agenten-basierte Netzwerk-Fertigung: Mensch als Produktionsagent*in
  • 20. Neue Qualität reeller Subsumtion: ● Maschinen-Anhängsel → Produktionsagent*in ● Marx: „Detailindividuum“ → „total entwickeltes Individuum“ ► Totalisierung & Internalisierung des Verwertungsimperativs ► Widerspruch zwischen Selbstentfaltung und Selbstverwertung „Industrie 4.0“: Agentenbasierte Netzwerkfertigung »In der bürgerlichen Ökonomie … erscheint diese völlige Herausarbeitung des menschlichen Innern [das ‚absolute Herausarbeiten’ der ‚schöpferischen Anlagen’] als völlige Entleerung, diese universelle Vergegenständlichung als totale Entfremdung, und die Niederreißung aller bestimmten einseitigen Zwecke als Aufopferung des Selbstzwecks unter einen ganz äußren Zweck.« Marx (Grundrisse, 387)
  • 24. Wie rekonfigurieren? 1) Das »automatische Subjekt« abschalten 2) Alle Derivate mit entsorgen: Ware, Geld, Markt, Staat 3) Zwei Freiheiten realisieren: Freiwilligkeit und Eigentumsfreiheit ► Inklusionsgesellschaft, »eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist« (Marx/Engels 1848) ► Schlechte Nachricht: Schwer zu machen, das Einfache ► Gute Nachricht: Die Transformation hat bereits begonnen … und das führt uns zu den Commons
  • 25. Commons ... »bezeichnet Ressourcen (Code, Wissen, Nahrung, Energiequellen, Wasser, Land, Zeit u.a.), die aus selbstorganisierten Prozessen des gemeinsamen bedürfnisorientierten Produzierens, Verwaltens, Pflegens und/oder Nutzens (Commoning) hervorgehen.« (Wikipedia) Commons Beitragen statt Tauschen Selbstorganisation statt Fremdbestimmung Commoning Ressourcen Produkte »Eigentumsfreiheit« »Freiwilligkeit«
  • 26. Commoning in der Industrie 4.0 Einerseits: ● Bedürfnisse nach Selbstbestätigung, Selbstwirksamkeit, Anerkennung, Autonomie, Kooperation – kurz: Selbstentfaltung Andererseits: ● Zwang zur Internalisierung der Verwertungsimperative zur Optimierung, Kosteneinsparung, Flexibilisierung, Rationalisierung (aka »unternehmerisches Selbst«) – kurz: Selbstverwertung ► Soziologie: »Doppelte Subjektivierung« ► Widerspruch zwischen Selbstentfaltung und Selbstverwertung
  • 27. Commons: Re/Produktion jenseits von Markt & Staat Eigenschaften: ● Transformatorische Bewegungsform des Widerspruchs zwischen Selbstentfaltung und Selbstverwertung bzw. menschlichen Bedürfnissen und ökonomischer Rationalität ● Doppelte Funktionalität im Kapitalismus: nutzbar zur Kostenreduktion, aber inkompatibel zur Verwertungslogik Potenziale: ● Agentenbasierte Netzwerk-Produktion als Vorform commons- basierter Peer-Produktion in polyzentrischer Selbstorganisation ● Elementarform einer commonistischen Re/Produktionsweise ● Aufhebung der Sphärenspaltung von Ökonomie und Care ● Positiv-reziproke Inklusionslogik statt Exklusionslogik ► Gesellschaftliche Verallgemeinerung: Commonismus Simon Sutterlütti, Stefan Meretz: »Kapitalismus aufheben. Eine Einladung«. Erscheint 2018 im VSA-Verlag.
  • 28. Danke ☺ No rights reserved. Do what you want.