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PodiumSchule                                                                                                                                                   1.10




     „Gemeinsam lernen – mit und ohne Behinderung“
     Immer mehr Schulen in Deutschland entwickeln sich zu inklusiven Bildungsstätten. Ein Gewinn auch für nicht behinderte Kinder!


Christian Ebel | Angela Müncher                vention im März 2009 haben sich alle Bundes-       wissenschaftlich belegt. Am besten wurde          fung eines inklusiven Schulsystems“, erklärt
                                               länder dazu verpflichtet, Menschen mit Behin-      dies bereits für Kinder und Jugendliche mit       Hubert Hüppe, Beauftragter der Bundesregie-
Was ist Inklusion? Oder anders gefragt:        derungen einen gleichberechtigten Zugang           Förderbedarf im Bereich Lernen untersucht.        rung für die Belange behinderter Menschen.
Was ist inklusive Schule? Ganz einfach:        zum allgemeinen Schulsystem zu verschaffen.        Diese kommen zu einem großen Teil aus             Inklusion bezieht sich dabei jedoch nicht nur
Inklusive Schule ist eine Schule für alle.     Jedes Kind soll die Möglichkeit haben, an          sozial schwachen Familien und haben häufig        auf Menschen mit Behinderungen, sondern
Sie ist eine Schule, in der Kinder und         einem inklusiven, hochwertigen und unentgelt-      einen Migrationshintergrund. Die Kinder mit       auf alle Formen von Unterschiedlichkeit – sei
Jugendliche gemeinsam lernen, ohne             lichen Unterricht an Grundschulen sowie wei-       dem Schwerpunkt Lernen stellen fast die           es im Hinblick auf die körperliche, geistige
dass sie aufgrund ihrer individuellen          terführenden Schulen teilnehmen zu können.         Hälfte aller Förderschüler. Sowohl in natio­      oder kognitive Entwicklung, auf Interessen
Besonderheiten selektiert und vonein­             Die aktuellen Zahlen sprechen allerdings        nalen als auch internationalen Studien konnte     und Begabungen oder auch den Hintergrund
ander separiert würden. Eigentlich kein        noch eine andere Sprache: Annähernd eine           gezeigt werden, dass sich die Leistungen          eines Kindes. Inklusive Schule ist also eine
neues Thema und in einigen Ländern             halbe Million Schüler in Deutschland haben         dieser Gruppe verschlechtern, je länger sie       Schule, die allen Kindern offensteht und die
der Welt auch schon gängige Praxis.            derzeit einen ausgewiesenen sonderpädagogi-        gesondert unterrichtet werden. Entsprechend       die individuellen Begabungen und Interessen
In Deutschland hat Inklusion durch die         schen Förderbedarf. Damit liegt die Förder-        schafft in Deutschland auch nur ein Bruch-        eines jeden Kindes bestmöglich fördert. Genau
Ratifizierung der UN-Behindertenrechts­        quote (also der Anteil der Schüler mit Förder-     teil der Förderschülerinnen und -schüler den      diese Vielfalt hilft ihnen, gleichaltrige Vorbil-
konvention im Jahr 2009 nicht nur neue         bedarf) im Bundesdurchschnitt bei ungefähr         Sprung zurück auf eine allgemeine Schule. Im      der zu finden und auch selbst Vorbild sein zu
Aufmerksamkeit, sondern eine klare             sechs Prozent. Von diesen Kindern werden           Ergebnis erreichen über drei Viertel (76,3 Pro-   können.
Relevanz bekommen: Das deutsche Schul­         rund 82 Prozent in separaten Förderschulen         zent) der Abgänger aus Förderschulen keinen           Um das eigene Potenzial vollständig ent­
system muss inklusiv werden. Eine Auf­         unterrichtet (vgl. aktuelle Inklusionsstudie von   Hauptschulabschluss. Damit ist ihre Aussicht      falten und entwickeln zu können, brauchen
gabe, die – nicht zuletzt durch system­        Prof. Klemm auf Seite 3). International betrach-   auf gesellschaftliche Teilhabe – zum Beispiel     Kinder Kontakt zu anderen Kindern. Durch
bedingte Widersprüche – alle Beteiligten       tet sind das durchaus hohe Werte: In den meis-     in Form einer Berufstätigkeit – mehr als          inklusive Schulen wird dieser Kontakt nicht
vor große Herausforderungen stellt ...         ten EU-Ländern liegt die Förderquote bei unter     ge­ ing. Wie aber sieht eine Alternative zur
                                                                                                     r                                              unterbrochen, sondern verstärkt. Wohnort­
                                               drei Prozent. Außerdem wird dort ein viel grö-     Förderschule aus? Und gibt es sie überhaupt?      nahes, gemeinsames Lernen ermöglicht den
Die Situation:                                 ßerer Anteil der förderbedürftigen Kinder im                                                         Kindern, dass sie ihre sozialen Bindungen
Bildungssystem mit Förderbedarf                Regelschulsystem integriert (vgl. Abb. 1).         Der inklusive Anspruch:                           aus der Nachbarschaft auch in der Schule
Der Druck auf das deutsche Förder- und damit      Trotz kleiner Klassen und speziell ausgebil-    Gemeinsamer Unterricht an Regelschulen            erhalten und sogar weiterentwickeln können.
auch auf das Regelschulsystem wächst: Mit      deter Pädagogen sind deutsche Förderschulen        „Spätestens seit Inkrafttreten der UN-Konven-     Der gemeinsame Unterricht bietet Kindern mit
Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskon-    für ihre Schüler häufig eine Sackgasse. Das ist    tion haben wir eine Verpflichtung: die Schaf-     Förderbedarf darüber hinaus die Grundlage
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                                                                                                                                                                                                    mehr Schulsysteme in Deutschland geraten
                                                                                                                                                                                                    in Bewegung. Bremen und Hamburg sind die
                                                                                                                                                                                                    ersten Bundesländer, die Inklusion in ihre
                                                                                                                                                                                                    Schulgesetze aufgenommen haben. Ihre klare
                                                                                                                                                                                                    Verpflichtung: Behinderte und Nichtbehinderte
                                                                                                                                                                                                    sollen gemeinsam an Regelschulen unterrich-
                                                                                                                                                                                                    tet werden. In Schleswig-Holstein wurden
                                                                                                                                                                                                    alle Förderschulen zu Förderzentren ausge-
                                                                                                                                                                                                    baut und die Quote der Schüler mit sonder­
                                                                                                                                                                                                    pädagogischem Bedarf an allgemeinen Schu-
                                                                                                                                                                                                    len in den vergangenen Jahren kontinuierlich
                                                                                                                                                                                                    gesteigert.
                                                                                                                                                                                                       Bundesweit ist die Inklusionsquote in den
                                                                                                                                                                                                    vergangenen Jahren von 13,9 Prozent (2004)
                                                                                                                                                                                                    auf 18,4 Prozent (2008) angestiegen. Nach-
                                                                                                                                                                                                    denklich stimmen allerdings die zum Teil sehr
                                                                                                                                                                                                    großen Unterschiede zwischen den einzelnen
                                                                                                                                                                                                    Bundesländern. Während in Rheinland-Pfalz
                                                                                                                                                                                                    3,8 Prozent aller vollzeitschulpflichtigen Kin-
                                                                                                                                                                                                    der und Jugendlichen eine Förderschule besu-
                                                                                                                                                                                                    chen, sind es in Mecklenburg-Vorpommern
                                                                                                                                                                                                    9,2 Prozent. Von den Schülerinnen und Schü-
                                                                                                                                                                                                    lern mit Förderbedarf besuchen in Schleswig-
                                                                                                                                                                                                    Holstein 41,9 Prozent den gemeinsamen
                                                                                                                                                                                                    Unterricht, in Niedersachsen aber lediglich
                                                                                                                                                                                                    6,6 Prozent (vgl. Abb. 2). Hier stellt sich die
                                                                                                                                                                                                    Frage, welcher bildungspolitische Weg der
                                                                                                                                                                                                    beste ist, wenn es darum geht, Förderbedarfe
für nachweislich bessere Lern- und Entwick-
lungsfortschritte – was ihre Chance auf einen
                                                                       Inklusion ist also                                                                                                           festzustellen und Kinder und Jugendliche indi-
                                                                                                                                                                                                    viduell zu fördern.
weiterqualifizierenden Abschluss erhöht.
   Aber auch für Kinder ohne besonderen
                                                                       machbar. Dafür bedarf                                                                                                        Klarheit schaffen – dann wird Inklusion auch
Förderbedarf hat der gemeinsame Unterricht
positive Folgen. Sie üben und entwickeln nicht
                                                                       es eines schrittweisen                                                                                                       verständlicher
                                                                                                                                                                                                    Häufig werden in der öffentlichen Diskussion
nur ihre sozialen Kompetenzen, sondern profi-
tieren gleichermaßen von der Praxis individu-
                                                                       Ausbaus der Regel­                                                                                                           unterschiedliche Förderbedarfe miteinander
                                                                                                                                                                                                    vermischt. In die Kategorie der „Behinderun-
eller Förderung, wie sie an inklusiven Schulen
konsequent verankert ist.
                                                                       schulsysteme.                                                                                                                gen“ fallen die Bereiche Sehen, Hören, körper-
                                                                                                                                                                                                    liche und motorische Entwicklung, geistige
                                                                                                                                                                                                    Entwicklung sowie Erkrankungen. Im indivi-
Internationale Beispiele                                               Bildungseinrichtungen – vom Kindergarten bis                                                                                 duellen Fall gibt es jeweils klar diagnostizier-
für erfolgreiche Inklusion                                             zum Ende der Sekundarstufe und darüber hin-                                                                                  bare medizinische Sachverhalte, die einen
Kein Land hat im internationalen Vergleich ein                         aus (vgl. Reportage auf den Seiten 4 und 5).                                                                                 Unterstützungsbedarf induzieren. International
so hoch differenziertes Förderschulsystem wie                                                                                                                                                       wird die betroffene Gruppe von Kindern und
Deutschland. Hierzulande gilt es als „normal“,                         Wie weit sind wir in Deutschland                                                                                             Jugendlichen zum Teil separat beschult.
Kinder mit Behinderungen oder Lernschwie-                              auf dem Weg der Inklusion?
rigkeiten in eigens dafür geschaffenen Schu-                           Inklusion kann auch in Deutschland gelingen:     Abbildung 1: Schüleranteil mit sonderpädagogischem Förderbedarf* 2008
len zu unterrichten. In vielen europäischen                            Das zeigen die bundesweit mehr als 200           nach segregierter und integrierter Betreuungsform und Staaten
und außereuropäischen Ländern wird dies                                Schulen, die sich in diesem und im vergange-     Angaben in Prozent aller Schülerinnen und Schüler
längst anders gesehen – und anders gehand-                             nen Jahr am „Jakob Muth-Preis für inklusive
habt. So zum Beispiel in Italien, Norwegen                             Schule“ beteiligt haben. Unter dem Motto                                                                                                           8,6
oder Schweden. Die Schulpraxis in diesen                               „Gemeinsam lernen – mit und ohne Behinde-                                                                                                   7,7
Ländern zeigt, dass Inklusion machbar ist.                             rung“ zeichnet der Jakob Muth-Preis Schulen                                                                                                                    5,6        5,8
                                                                                                                                                     5,7                                                                              0,7        0,7
Über 90 Prozent aller förderbedürftigen                                aus, die behinderte und nicht behinderte Kin-
                                                                                                                                                                                                        4,1               4,1
Schüler besuchen dort die allgemeinbildenden                           der vorbildlich zusammen unterrichten. Hier                                                                          3,7                    3,8                                 3,6
Regelschulen.                                                          zeigt sich: Ein gemeinsamer Unterricht, der                                           2,6                    2,8
                                                                                                                                                                        2,3                 1,7         2,1                                            1,6
   Geradezu beispielhaft ist die italienische                          beim individuellen Kenntnisstand sowie den           0,01         1,5                            1,2         1,7
Provinz Südtirol: Hier gründet sich Inklusion                          persönlichen Bedürfnissen und Interessen             0,01         1,4         5,4     2,0
                                                                                                                            0,00         0,1         0,3     0,6        1,1         1,1     2,0         2,0        3,9    4,5         4,9        5,1    2,0
auf verbindliche gesetzliche Rahmenvorgaben,                           der einzelnen Schüler ansetzt, wirkt sich auch
                                                                                                                              I           S           N       E          L          UK      NL           A         FIN    CZ           D          B    EU**
ein gut organisiertes Netz personeller und                             auf deren Leistung aus. Viele dieser inklusi-
finanzieller Ressourcen sowie ein starkes,                             ven Schulen haben bei Vergleichstests über-           Segregierte Betreuungsform                  Integrierte Betreuungsform
ausdifferenziertes und kompetentes Unterstüt-                          durchschnittliche Ergebnisse erzielt. So auch      * Die Angaben stellen den Schüleranteil mit anerkanntem Förderbedarf („special educational needs“) dar. Die Regelungen zu Umfang und
                                                                                                                            zeitlicher Dauer der Förderung können sehr verschieden sein, sodass bei einigen EU-Staaten ein sehr hoher Anteil der Schüler im Laufe
zungssystem. Kennzeichnend ist außerdem                                die drei Preisträgerschulen aus 2010, die auf        eines Jahres aufgrund von „special educational needs“ eine sonderpädagogische Förderung erhält.
eine positive Haltung zur Inklusion sowie eine                         den nachfolgenden Seiten vorgestellt werden.      ** Der EU-Wert entspricht dem arithmetischen Mittel der Werte aller dargestellten Staaten.
auf das einzelne Kind ausgerichtete Arbeit                                Inklusion setzt sich jedoch nicht nur auf     Quelle: European Comission (2009), Progress Towards the Lisbon Objectives in Education and Training
der Pädagoginnen und Pädagogen in allen                                der Ebene von Einzelschulen durch. Mehr und

                                                                                                                        Abbildung 2: Die Förderquote in Primar- und Sekundarstufe
  Umfrage „Schulen und Gerechtigkeit“                                                                                   im Bundesländervergleich – unterteilt in Exklusions- und Inklusionsquote
                                                                                                                        Angaben in Prozent
  Dass die Bevölkerung für ein inklusives Schulsystem bereit wäre, zeigt eine repräsenta-
  tive Umfrage der Bertelsmann Stiftung, die vom Institut Infratest dimap durchgeführt                                                                                              11,7
  wurde: Rund zwei Drittel der Eltern befürworten demnach einen gemeinsamen Unterricht
  für behinderte und nicht behinderte Kinder.                                                                                                                                        2,5                                                9,5
                                                                                                                                                                                                                                                 9.0
                                                                                                                                                      8,5                                                          8,3                  0,8

     Die Mehrheit der Bevölkerung befürwortet                                                                                                  7,2          7,5                                                                                  1,5
                                                                                                                                                                                                  5,9              1,4
     das gemeinsame Lernen behinderter und nichtbehinderter Kinder                                                          6,4                                    5,7                                                          6,1
                                                                                                                                                                   0,8        4,8                 0,7                                                  6,0
                                                                                                                                    5,5               3,1                                  4,7            4,6            5,3
     Repräsentative Umfrage der Berteslmann Stiftung (2010), Angaben in Prozent                                             1,7     0,9                     2,9               0,5          0,3            0,8                                          1,1
                                                                                                                                               2,8                                                                              1,9
                                                                                                                                                                                                                         2,2
               Eltern                                    65                                 18

      Nicht Elterm                                       68                                 13
                                                                                                                            4,7     4,6        4,4    5,4   4,6    4,9        4,3    9,2   4,4    5,2     3,8      6,9   3,1    4,2     8,7      7,5   4,9
           Gesamt                                        67                                 14
                                                                                                                            BW      BY         BE     BB    HB     HH         HE    MV     NI     NW          RP    SN   SH     SL          ST   TH     D

                               Quelle: Infratest dimap                                                                       Exklusionsquote                Inklusionsquote
          Ja            Nein
                                                                                                                        Anmerkung: Die Balken zeigen insgesamt die Förderquote pro Bundesland an (Inklusionsquote + Exklusionsquote).
                                                                                                                        Quelle: Berechnungen durch Prof. Dr. Klaus Klemm auf der Grundlage von:
                                                                                                                        KMK: Sonderpädagogische Förderung in Schulen 1999 bis 2008. Berlin 2010
PodiumSchule 1.10     |3




Deutlich von den Behinderungen abzugrenzen
sind die „Beeinträchtigungen“ beim Lernen,                      Neue Studie von Prof. Dr. Klaus Klemm im Auftrag der Bertelsmann Stiftung:
in der Sprache sowie in der emotionalen und
sozialen Entwicklung (LES). In diesen Berei-
chen resultiert der zusätzliche Förderbedarf
entweder aus Interaktionsproblemen oder
                                                                Gemeinsam lernen. Inklusion leben.
besteht aufgrund des individuellen Bildungs-                    Status Quo und Herausforderungen inklusiver Bildung in Deutschland.
kontextes. International wird diese Gruppe
überwiegend in Regelschulen gefördert –
Deutschland bildet hier eine Ausnahme.
   Ob nun mit Blick auf Behinderungen oder                 Bei über 565.000 Kindern und Jugendlichen in Kin­                                                    tet werden, liegt der Inklusionsanteil in anderen Ländern bei
auf Beeinträchtigungen: Inklusion ist in bei-              dertageseinrichtungen und Schulen bestand im Schul­                                                  unter fünf Prozent.
den Förderbereichen machbar. Das ist auch                  jahr 2008/2009 ein diagnostizierter sonderpädagogi­                                                     Mit etwa 76 Prozent erreicht die überragende Mehrheit der
die Überzeugung der beiden deutschen Bil-                  scher Förderbedarf. Ihrer Bildungssituation widmet                                                   Förderschüler keinen Regelschulabschluss. Einige Bundeslän-
dungsexperten Klaus Klemm und Ulf Preuss-                  sich die neue, im Auftrag der Bertelsmann Stiftung                                                   der bieten zwar an Förderschulen gesonderte Abschlüsse an,
Lausitz. In einem Wissenschaftsgutachten                   erstellte Studie des renommierten Bildungsforschers                                                  ob diese eine Integration in den Ausbildungs- und Arbeits-
„Zum Stand und zu den Perspektiven der son-                Klaus Klemm „Gemeinsam lernen. Inklusion leben.                                                      markt ermöglichen, ist jedoch infrage zu stellen: Momentan
derpädagogischen Förderung in den Schulen                  Status Quo und Herausforderungen inklusiver Bildung                                                  haben bereits Jugendliche mit einem Haupt- oder Realschul­
der Stadtgemeinde Bremen“ fordern sie die                  in Deutschland“. Im Mittelpunkt steht die Frage,                                                     abschluss Schwierigkeiten, einen Ausbildungsplatz zu bekom-
Abschaffung der Förderschulen für die Berei-               wo Deutschland auf dem Weg zu einem inklusiven                                                       men. Abgänger mit Zeugnissen aus Förderschulen, die unter-
che Lernen, emotionale und soziale Entwick-                Bildungssystem steht und welche weiteren Reform­                                                     halb des Hauptschulabschlusses anzusiedeln sind, dürften
lung sowie Sprache. Frei werdende Sonderpä-                maßnahmen einzuleiten sind.                                                                          daher erwartungsgemäß noch größere Probleme beim Über-
dagogen, so ihre Empfehlung, sollten innerhalb                                                                                                                  gang von der Schule in den Beruf haben. Für bildungspoliti-
besonderer „Unterstützungscentren“ (UC) in                 Die Ergebnisse zeigen, dass Inklusion über die Bildungsbio­                                          sche Reformen gilt daher: So viel Inklusion wie möglich! Die
den Regelschulen tätig werden. Regionale                   grafie von Kindern hinweg unterschiedlich weit fortgeschritten                                       Weichenstellungen hierfür müssen konsequent in allen Bun-
Beratungs- und Unterstützungsstellen könnten               ist. Während bundesweit im Bereich der Kindertageseinrich-                                           desländern vorgenommen werden. Das erfordert Veränderun-
schließlich die Schulen besonders im Hinblick              tungen ein Inklusionsanteil von über 60 Prozent erreicht wird,                                       gen im gesamten Bildungssystem. Keinesfalls dürfen diese zu
auf Kinder und Jugendliche mit emotional-                  werden in der Grundschule rund 34 Prozent, in der Sekundar-                                          Lasten der betroffenen Kinder und Jugendlichen erfolgen. Der
sozialem Förderbedarf unterstützen.                        stufe I nur noch 15 Prozent der Kinder mit Förderbedarf                                              Umbau ist daher auch nicht zum Nulltarif möglich. Mittel- bis
   Empfehlungen gab es auch für förderbe-                  gemeinsam mit anderen Kindern unterrichtet. Diese Zahlen                                             langfristig erzielen diese Investitionen sowie Umverteilungen
dürftige Schüler in den Bereichen Sinneswahr-              weisen darauf hin, dass in der Sekundarstufe I ein besonderer                                        aber enorme finanzielle Vorteile, denn bessere Bildung heißt
nehmungen, körperliche und motorische Ent-                 Nachholbedarf besteht.                                                                               weniger Kriminalität, geringere Transferzahlungen und mehr
wicklung sowie geistige Entwicklung. Auch                      Große Unterschiede zeigt auch der Bundesländervergleich:                                         Wachstum.
hier würden Kompetenzzentren benötigt, die                 In der Grundschule schwankt der Anteil der inklusiv unterrich-
mithilfe spezialisierter Sonderpädagogen die               teten Schüler an allen Kindern mit Förderbedarf zwischen
Schulen in ihrer Arbeit unterstützen. Das                  12,8 Prozent und 90,7 Prozent, in der Sekundarstufe reicht
Land Bremen hat mittlerweile zahlreiche Emp-               die Spannweite von 5,7 Prozent bis zu 40,2 Prozent. Geht man                                         Die Studie ist online abrufbar unter:
                                                                                                                                                                www.bertelsmann-stiftung.de/inklusion
fehlungen aus dem Gutachten der Bildungs-                  noch etwas mehr in die Tiefe und nimmt eine nach Förder-
wissenschaftler übernommen und ist dabei,                  schwerpunkten differenzierte Betrachtung vor, so offenbaren                                          Kontakt:
diese in die Praxis umzusetzen.                            sich noch größere Diskrepanzen: Während beispielsweise im                                            Antje Funcke | antje.funcke@bertelsmann-stiftung.de
   Inklusion ist also machbar. Dafür bedarf es             Förderschwerpunkt Lernen in Bremen über 60 Prozent aller                                             Anette Stein | anette.stein@bertelsmann-stiftung.de
eines schrittweisen Ausbaus der Regelschul-                Kinder und Jugendlichen mit Förderbedarf inklusiv unterrich-                                         05241.81 81 410



… auch für Kinder                                            Inklusionsanteile in den Bundesländern von der Kita bis zur Sekundarstufe I (2008/2009)
                                                             Angaben in Prozent
ohne besonderen Förder­
be­ arf hat der gemein-
  d                                                                   Baden-Württemberg
                                                                                                      38,2
                                                                                                      47,0
                                                                                                      13,4



same Unter­ icht positive
            r
                                                                                                      34,3
                                                                                      Bayern          23,0
                                                                                                      14,3

                                                                                                      98,7

Fol­ en.
   g                                                                                    Berlin        47,4
                                                                                                      40,3

                                                                                                      75,2
                                                                               Brandenburg            56,1
systeme: Als Erstes müssen Voraussetzungen                                                            35,7

                                                                                                      93,3
für den gemeinsamen Unterricht geschaffen                                            Bremen           90,7
                                                                                                      13,1
werden. Dazu gehört unter anderem, Lehr-                                                              89,0
kräfte für die individuelle Förderung von Kin-                                     Hamburg            12,8
                                                                                                      11,4
dern und Jugendlichen auszubilden, die Perso-                                                         86,9

nalstruktur an inklusiven Schulen auszubauen                                          Hessen          21,5
                                                                                                       8,6

und die Einzelschulen je nach Bedarf behin-                                                           88,5
                                                              Mecklenburg-Vorpommern                  30,2
dertengerecht auszustatten.                                                                           22,7

                                                                                                      36,6
                                                                             Niedersachsen
Übergang zu einem inklusiven Schulsystem
                                                                                                      68,6
Der Übergang zu einem inklusiven Schul­                               Nordrhein-Westfalen             26,0
                                                                                                       8,0
system gelingt nicht von heute auf morgen.                                                            60,5
Es braucht einen evolutionären Prozess, der                                 Rheinland-Pfalz           31,8
                                                                                                      13,1
alle Beteiligten mitnimmt. Dieser Prozess                                                             87,3
                                                                                    Saarland          64,5
sollte jedoch langsam an Fahrt gewinnen.                                                              20,7

Dieser Ansicht ist auch Dr. Jörg Dräger, für                                                          47,1
                                                                                     Sachsen          26,7
Bildungs- und Integrationsprojekte zuständi-                                                          13,2

ges Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stif-                                 Sachsen-Anhalt
                                                                                                      99,9
                                                                                                      18,0
                                                                                                       5,7
tung: „Ein Großteil der zirka 2,6 Milliarden
                                                                                                      88,9
Euro, die wir pro Jahr für Förderschulen in                             Schleswig-Holstein            69,2
                                                                                                      40,2
Deutschland ausgeben, muss in diesen Umbau                                                            87,1
investiert werden – sonst geben wir weiterhin                                     Thüringen           26,6
                                                                                                      17,0
jedes Jahr viel Geld für einen Sonderweg aus,                                                         61,5
                                                                              Deutschland             33,6
der für zu viele Kinder in einer Sackgasse                                                            14,9

endet.“ – Zeit also für ein chancengerechtes
und leistungsstarkes Schulsystem. Zeit für                                                        0                             20                            40                             60                             80                         100
Inklusion.                                                                                                                                                Kindertageseinrichtung                           Grundschule                    Sekundarstufe I

                                                             Anmerkung: Die Inklusionsanteile wurden für die Grundschule und die Sekundarstufe I ohne die Schüler des Förderschwerpunktes Geistige Entwicklung berechnet, für den es keine stufenspezifische
                                                             Ausdifferenzierung der entsprechenden Daten gibt. In Niedersachsen werden die Daten nicht schularten- und schulstufenspezifisch ausgewiesen. Inklusionsanteile geben den Anteil der Schüler mit
                                                             Förderbedarf, die inklusiv unterrichtet werden, an allen Schülern mit Förderbedarf an.

Kontakt:                                                     Quelle: Bertelsmann Stiftung, Berechnungen von Prof. Dr. Klaus Klemm.
Christian Ebel | christian.ebel@bertelsmann-stiftung.de
Angela Müncher | angela.muencher@bertelsmann-stiftung.de
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     Wo Inklusion
     schon Geschichte ist
     Ein Blick hinter die Berge

Eines vorab: Erfolgreiche Inklusion im           fachwissenschaftliche Diskussion gefunden
Bildungsbereich ist ein Märchen. Es ist          hatte. Ausgangspunkt war das Jahr 1977. In
ein Märchen, das nicht in Deutschland            dem Jahr, in dem die italienische Regierung
passiert, sondern in fernen Ländern,             immer noch mit den Folgen des Seveso-
irgendwo hinter den Bergen. Dort, wo             Unglücks beschäftigt war, legte sie per Gesetz
einst Kaiser und Könige herrschten und           fest, dass alle Kinder des Landes bis zum ach-
wo im Tal Palmen und Zypressen wach­             ten Schuljahr gemeinsam zu beschulen seien.
sen, während auf den Berggipfeln noch
der Schnee liegt.                                Schulreform per Gesetz
                                                 Kleine Ursache, große Wirkung. Mit einem
Wir befinden uns in Südtirol, der nördlichsten   Male waren sämtliche Sonderschulen ver-
Provinz Italiens. Hier, an der Südseite der      schwunden und wurde die Integration aller
Alpen, tragen Dörfer und Täler so märchen-       behinderten Schülerinnen und Schüler einge-
hafte Namen wie Wolkenstein oder Pustertal.      führt (wie gesagt, der Begriff Inklusion war
Es sind jedoch nicht Hänsel und Gretel, die in   noch nicht etabliert). Bildungspolitischer         dem Tisch liegen, den sie umsetzen mussten.      Bereich Integration auszeichnen. Sie unterstüt-
diesem Bergpanorama zur Schule gehen, son-       Ausgangspunkt war die Überzeugung, dass            Lehrerinnen und Lehrer waren für die inklu-      zen zwar in erster Linie die Lehrerteams in
dern Kinder wie Anna und Giuseppe. Beide         gemeinsames Lernen die beste Voraussetzung         sive Form von Schule nicht ausgebildet und       den Klassen, in denen Kinder mit Funktions-
sind 13 Jahre alt und gehen gemeinsam in die     für alle Kinder böte und dass die allgemeine       die Schulen waren gefordert, einen in jeder      störungen sitzen, stehen aber als Integrations-
zweite Klasse einer Meraner Mittelschule – in    Schule der beste Förderort dafür sei. Schul­       Hinsicht barrierefreien Zugang für alle Schü-    experten auch den übrigen Kindern und Kolle-
Deutschland wäre das die siebte Klasse. Auch     reform per Gesetz und ohne lange Vorberei-         ler zu schaffen – egal ob geistig oder körper-   gen zur Verfügung.
die Grundschule haben sie schon zusammen         tungen oder umfassende Bildungsdebatte.            lich behindert, ob mit Problemen im Sozialver-
besucht. Fünf Jahre lang. Fünf Jahre derselbe       Ist dies in Zeiten von durch Volksentscheid     halten oder mit anderen Einschränkungen in       Keine homogenen Wissensstände
Schulweg und fünf Jahre dieselbe Klasse.         gekippte Schulreformen ein durchaus diskus-        der persönlichen Lernfähigkeit.“                 Die bedarfsgerechte personelle Ausstattung
Nichts Ungewöhnliches. Schließlich sind sie      sionswürdiger Weg, brachte der italienische                                                         von Schulen ist nur ein Teil der Rahmenbe­
auch in derselben Nachbarschaft aufgewach-       Bildungswandel fundamentale Änderungen             Anrecht auf Unterstützung                        dingungen, die eine erfolgreiche „Schule für
sen. So weit, so gut.                            mit sich: allem voran die freie Schulwahl und      Das war Ende der 70er Jahre. Nun ist 2010,       alle“ in Südtirol ermöglicht haben. Natürlich
                                                 den freien Regelschulzugang für alle Kinder.       und Anna und Giuseppe merken von den             brauchte es Zeit und Mühe, und über die
Alles normal?                                    Eltern hatten ab sofort das Recht, ihre Kinder     vielen Schwierigkeiten der Anfangsjahre ihrer    Jahre hat sich ein umfassendes Unterstüt-
Anna wurde mit Down-Syndrom geboren.             auf die Grund- und Mittelschulen zu schicken,      inklusiven Schule nichts mehr. Inklusive         zungssystem entwickelt, wurden die notwendi-
Giuseppe ist „normal“. Normal – das wäre         die in ihrem Einzugsgebiet lagen. Kinder mit       Schule ist selbstverständlich geworden, sei es   gen strukturellen Voraussetzungen geschaffen,
zumindest der klassische Terminus, würde         geistigen oder körperlichen Beeinträchtigun-       für Schüler, Eltern oder Lehrer. Von den Letz-   sind finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt
man gängige Integrationsmaßstäbe ansetzen.       gen durften von den Schulen nicht mehr abge-       teren kümmern sich heute in einem Teil der       worden und hat die italienische Regierung
Im Grunde bedeutet normal aber nichts ande-      wiesen werden. Bereits seit 1987 gelten diese      Stunden zwei Lehrkräfte um die insgesamt         den gesetzlichen Rahmen noch präziser auf
res, als dass der Junge italienischer Abstam-    Vorgaben auch für die Oberschulen. Im selben       20 Kinder in der 7a. Nicht nur wegen Anna.       ein inklusives Bildungssystem ausgerichtet.
mung ein Kind ohne geistige oder körperliche     Jahr belegten die Südtiroler Schulen im inter-     Denn neben Anna hat noch ein weiteres Kind          Mit Blick auf jedes einzelne Kind und seine
Einschränkungen ist. In Südtirol bedeutet es,    nationalen Bildungsvergleich zusammen mit          aufgrund seiner körperlichen und geistigen       individuellen Fähigkeiten, Bedürfnisse und
dass Anna und Giuseppe einfach nur Kinder        Finnland einen der PISA-Spitzenplätze. Ein-        Behinderungen eine sogenannte Funktions­         Ansprüche existieren heute für den Unterricht
sind. Denn „normal“ und „unnormal“ gibt es       fach märchenhaft ...                               diagnose erhalten.                               „nur noch“ Rahmenrichtlinien, die durch die
bei der Betrachtung von Kindern und Jugend-         Oder nicht? Schließlich sind Märchen ja            Eine solche Diagnose wird vor der Einschu-    Schulbehörde vorgegeben werden. Es geht
lichen nicht – weder in Südtirol noch in den     nicht das Paradies. Sie zeichnen sich nicht        lung vom Gesundheitsamt erstellt und gibt        nicht mehr darum, vorgegebene Lehrpläne
übrigen Provinzen Italiens. Kinder sind Kinder   dadurch aus, dass sie völlig problembefreit        Anna und ihrem stark körperbehinderten Mit-      inhaltlich eins zu eins abzuarbeiten oder in
                                                                                                    schüler Florian ein Anrecht darauf, sämtliche    einer Klasse homogene Wissensstände herzu-
                                                                                                    Unterstützungs- und Individualisierungsmaß-      stellen. Viel wichtiger als der reine Wissens­
Denn „normal“ und „unnormal“ gibt es bei der                                                        nahmen zu nutzen, die ihnen erfolgreiches        transfer ist die Entwicklung von Fähigkeiten
                                                                                                    Lernen ermöglichen. Dazu gehört auch, dass       und Kompetenzen. Anna und Giuseppe haben
Betrachtung von Kindern und Jugendlichen nicht.                                                     ein zusätzlicher Mitarbeiter für Integration     zwar unterschiedliche Lernvoraussetzungen.
                                                                                                    Florian bei alltäglichen Dingen wie Essen        Beide Kinder können aber so gefördert und
                                                                                                    oder Anziehen zur Seite steht.                   gefordert werden, dass sie – für ihre jeweili-
und Jugendliche sind Jugendliche. Was sie ver-   wären. Im Gegenteil: Beim Durchqueren frem-           Dann gibt es noch Matthias und Alexander.     gen Verhältnisse – gleich große Lernerfolge
eint, ist der Umstand, dass sie alle voneinan-   der Königreiche und unbekannter Zauberwäl-         Diese beiden Jungen haben aufgrund von           und Lernerlebnisse haben. Und genau das
der verschieden sind – eben mit ganz eigenen     der werden ihre Protagonisten vor durchaus         Schwierigkeiten im sozialen Bereich keine        wird in ihren individuellen Erziehungsplänen
Fähigkeiten, Ansprüchen und Bedürfnissen.        anspruchsvolle Aufgaben und Herausforderun-        Funktionsdiagnose, sondern eine Funktionsbe-     festgehalten, die sie die gesamte Schullauf-
   Ein solch wertungsfreier Blick auf den        gen gestellt, die es zu bewältigen gilt. So auch   schreibung erhalten. Ein Sozialpädagoge sorgt    bahn begleiten.
Menschen ist der Kern von Inklusion. Es wird     die Situation in Südtirol nach der strukturell     zusammen mit den Lehrern dafür, dass sie            Ein zusätzliches funktionelles Entwick-
von vorneherein nicht klassifiziert, sortiert    und inhaltlich tief greifenden Schulreform.        durch individuelle pädagogische Maßnahmen        lungsprofil ermöglicht einen kompetenzorien-
oder separiert. Dann muss im Nachhinein             „Italiens Schulen waren natürlich auf die       besonders gefördert werden. Vervollständigt      tierten Blick auf den Entwicklungs- und Leis-
auch nicht mühevoll wieder integriert werden.    zahlreichen und umfassenden Veränderungen          wird das Fachkräfteteam an der Meraner Mit-      tungsstand der einzelnen Schüler. Das Profil
Mit diesem Ansatz hat sich Italien bereits vor   nicht vorbereitet“, sagt Dr. Edith Brugger-        telschule schließlich durch die sogenannten      dient besonders den Übergängen vom Kinder-
über 30 Jahren auf den Weg zum inklusiven        Paggi, die über 20 Jahre die Reform als Dezer-     Integrationslehrpersonen. Das sind Lehrkräfte,   garten in die Grundschule, zwischen den
Bildungssystem gemacht; lange bevor der          nentin maßgeblich gestaltet hat. „Die Schullei-    die sich durch eine ans Lehramtsstudium          einzelnen Schulstufen oder auf dem Weg in
Begriff Inklusion überhaupt Eingang in die       tungen hatten einen politischen Beschluss auf      anschließende zweijährige Spezialisierung im     die berufliche Ausbildung. Anna und Giuseppe
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                                                     „Eine inklusive Schule
                                                     gelingt nur gemeinsam“
                                                     Interview mit Wilfried Steinert



                                                 W
                                                           as waren die Beweggründe, die            zum Thema integrative Grundschule oder
                                                           Waldhofschule von einer Förderschule     gemeinsames Lernen gemacht haben. Stattdes-
                                                           zu einer inklusiven Ganztagsschule       sen haben wir darüber diskutiert, ob Hausauf-
                                                 umzugestalten?                                     gaben notwendig sind, wie eine sinnvolle Leis-
                                                 Ausgangspunkt war das Anliegen der Stepha-         tungsbewertung in der Schule aussehen kann
                                                 nus-Stiftung, der Trägerin der Schule, die         oder wie eine gute Ganztagsschule aufgebaut
                                                 Son­ erpädagogik aus ihrem Nischendasein
                                                     d                                              sein muss. Als wir nach einem Jahr der inten-
                                                 herauszuholen. Dafür suchte sie 2002 eine          siven Bildungsdiskussion das integrative
                                                 neue Schulleitung, die mit vielen Freiheiten       Schulkonzept der Waldhofschule vorgestellt
                                                 ausgestattet werden und die Waldhofschule          haben, da haben Eltern ihre Kinder gar nicht
                                                 entwickeln sollte.                                 so sehr wegen der Behinderten bei uns
                                                    Dass wir auf eine integrative Grundschule       an­ emeldet, sondern wegen des überzeugen-
                                                                                                       g
                                                 hingearbeitet haben – den Begriff der Inklu-       den und zukunftsweisenden Gesamtkonzep-
                                                 sion gab es noch nicht – hing auch mit unse-       tes. Dazu gehörten neben dem gemeinsamen,
                                                 ren eigenen negativen Integrationserfahrun-        hand­ungsorientierten Lernen die rhythmi-
                                                                                                          l
                                                 gen zusammen. Vor der Schule für alle gab es       sierte Ganztagsschule, relativ kleine Klassen
                                                 die Einzelintegration. Im Rahmen dieser Maß-       mit maximal 18 Schülern, Teamteaching mit
                                                 nahme sind einzelne geistig behinderte Kinder      immer zwei Lehrern in einer Klasse, keine
                                                 in Regelschulklassen gegangen. Von denen           Hausaufgaben usw.
                                                 haben wir aber viele zwischen der dritten und
                                                 fünften Klasse wieder zurückbekommen, weil         Wie ist die Waldhofschule mit Blick auf Schüler
                                                 die normale Grundschule ihnen nicht mehr           und Personal aufgebaut?
                                                 gerecht werden konnte. Es fehlte nicht nur         Zurzeit lernen bei uns etwa 130 Schülerinnen
                                                 eine ausreichende fachliche Betreuung, son-        und Schüler in sechs Jahrgängen und etwa
                                                 dern die Kinder machten auch eher die Erfah-       zwei Klassen pro Jahrgang. Für jede Klasse ist
                                                 rung von Segregation statt Integration. Das        ein Pädagogenteam zuständig, das aus einer
                                                 hat dazu geführt, dass sie nach ihrer Rück-        sonderpädagogischen Lehrkraft, einer Grund-
                                                 kehr an die Waldhofschule zusätzliche Verhal-      schullehrerin und einer pädagogischen Fach-
Die bedarfsgerechte personelle                   tensauffälligkeiten zeigten, vor allem aggres­
                                                 sives Verhalten.
                                                                                                    kraft besteht. Etwa die Hälfte der Kinder einer
                                                                                                    Klasse hat einen diagnostizierten Förderbe-
Ausstattung von Schulen ist nur                  War es der „bessere“ Weg, eine Förderschule
                                                                                                    darf. Das Schülerspektrum reicht dabei von
                                                                                                    schwerst mehrfach Behinderten bis hin zum
ein Teil der Rahmenbedingungen,                  zu einer Integrationsschule umzugestalten oder
                                                 hätte es auch genauso mit einer Regelschule
                                                                                                    hochbegabten Kind.


die eine erfolgreiche „Schule für alle“          klappen können?
                                                 Der Vorteil an der Förderschule ist natürlich
                                                                                                    Wie gehen Sie mit dieser Vielfalt im Unterricht
                                                                                                    konkret um?
in Südtirol ermöglicht haben.                    der, dass hier schon die pädagogische Kompe-
                                                 tenz dafür vorhanden ist, Schüler mit ihren
                                                                                                    Zunächst mal besteht eine wesentliche Grund-
                                                                                                    lage des Unterrichtes darin, voneinander zu
                                                 Besonderheiten individuell zu betrachten. Wer      lernen. In den ersten zwei Schuljahren legen
                                                 sich mit einem geistig oder schwerst mehrfach      wir bei den Schülern die Basis dafür. In
profitieren schließlich in ihrer gesamten
Schullaufbahn von differenzierten Lernwegen,
differenzierten Bewertungen und differen­        Zunächst mal besteht eine wesentliche Grundlage
zierten Prüfungen. Beide können im Fach
Mathematik die gleiche Note erreichen und        des Unterrichtes darin, voneinander zu lernen.
beide können nach der Mittelschule einen
Abschluss machen – ohne dass darin an
irgendeiner Stelle erkennbar wäre, dass Anna     behinderten Kind auseinandersetzen muss,           Klasse eins und zwei lernen sie, wie man
behindert ist.                                   der hat einen ganz anderen Blick auf den           gemeinsam lernt. Diese Fähigkeit können die
                                                 Einzelnen, seine Beeinträchtigungen, seine         Lehrer dann unmittelbar im Unterricht auf­
Zauberformel für erfolgreiche Inklusion          Ansprüche und seine Stärken. Das ist der eine      nehmen und schauen, wer sich für welches
Inklusive Schule kann also gelingen. Fragt       Vorteil. Der andere ist, dass ein Förderschul-     Thema als Tutor eignet. Dafür müssen sie
man vor diesem Hintergrund dann doch nach        lehrer mit diesem besonderen Blick natürlich       aber zunächst die Stärken und Schwächen
einer möglichen Zauberformel, die inklusive      auch die Regelschüler betrachtet. Er erkennt       der Einzelnen erkennen.
Schule so lebbar und alltäglich macht wie in     auch hier viel leichter und schneller die indi-        Es ist dabei übrigens nicht so, dass Kinder
Südtirol, dann gibt es – jenseits gesetzlicher   viduellen Besonderheiten des Kindes. Also          mit individuellem Förderbedarf ständig von
Verordnungen, zu schaffender Strukturen oder     war es für uns naheliegend, die Regelschul-        Kindern ohne Beeinträchtigung angeleitet wer-
fachlicher Fortbildungen – etwas, was es mit     kinder zu uns an die Waldhofschule zu holen.       den. Das ist auch so ein Mythos. Gerade bei
Sicherheit braucht: Es ist die notwendige per-                                                      praktischen Aufgaben zeigen sich Kinder mit
sönliche und gesellschaftliche Haltung. Im       Gab es nicht starke Vorbehalte vonseiten der       Behinderungen zum Teil viel pfiffiger und ein-
heutigen bundesdeutschen Schulalltag ist es      Eltern, ihre „normalen“ Kinder auf eine Integra-   fallsreicher als Regelschüler, die vielleicht
vielleicht noch nicht normal, dass Kinder mit    tionsschule zu schicken?                           schon lesen können.
und ohne Förderbedarf gemeinsam lernen.          Ja, aber es sind eben auch nur Vorurteile,             Wir haben eine wissenschaftliche Begleit-
Das stimmt. Es ist im heutigen bundesdeut-       die da in erster Linie heißen: Die Behinderten     studie laufen, die uns seit unseren Anfängen
schen Schulalltag aber auch nicht normal,        behindern das Lernen. Wir waren uns dessen         begleitet. Die hat unter anderem festgestellt,
Schüler zu schlagen – was in den 70er Jahren     natürlich bewusst und haben deshalb auch           dass an der Waldhofschule kein Kind glaubt,
sowohl gesellschaftlich wie gesetzlich noch      erst mal ein Jahr lang intensive Öffentlich-       dass es grundsätzlich für Schule oder das
legitimiert war. Schule entwickelt sich also.    keitsarbeit gemacht. Dazu gehörten monat-          Erlernen bestimmter Dinge zu doof sei. Das
Genauso wie Gesellschaft. Genauso wie jeder      liche Bildungsveranstaltungen in der Stadt         ist ein scheinbar banaler Aspekt, der aber in
Einzelne von uns. Was für ein Glück. Und will-   und dazu gehörte auch das Glück, dass              einer Lernumgebung mit 50 Prozent beein-
kommen hinter den Bergen ...                     unsere örtliche Presse mitgegangen ist und         trächtigten Kindern ungeheuer wichtig ist. Die
                                                 kontinuierlich über die Bildungsdiskussion         Kinder aus der Einzelintegration zu Zeiten der
                                                 berichtet hat.                                     reinen Förderschule waren teilweise hoch frus-
                                                     Das Besondere war aber, dass wir unsere        triert und demotiviert. Das gibt es bei uns
                                                 einzelnen Bildungsveranstaltungen gar nicht        nicht.
6 | PodiumSchule 1.10




Wie haben die Regelschullehrer an Ihrer Schule    schieht kein gemeinsames Lernen und dann          Deshalb stehen am Anfang im besten Fall            Professor Ulf Preuss-Lausitz
gelernt, mit der Unterschiedlichkeit der Kinder   profitiert weder die Klasse noch der Regel-       Hospitationen: allen voran durch die Schul-        hält Inklusion für machbar.
umzugehen?                                        schullehrer von der fachlichen Kompetenz der      leitung, die dieses Thema schließlich für die
Die Fachlehrer von der Grundschule hatten         Sonderpädagogen. Alle Lehrer sind für alle        eigene Schule umsetzen will, und dann natür-
natürlich zunächst einen schwierigeren Weg        Schüler gemeinsam zuständig.                      lich durch die anderen Lehrer. Hospitationen
zu beschreiten als die Sonderpädagogen.                                                             geben nicht nur eine Vorstellung vom inklu­
Als Erstes muss ein grundlegendes Verständ-       Wie wichtig ist die Haltung eines Lehrers         siven Schulalltag, sie ermöglichen auch den
nis dahingehend hergestellt werden, dass in       in Bezug auf Inklusion?                           direkten Kontakt und Austausch zu Kollegen
jeder Hinsicht kooperativ gearbeitet wird.        Das Schlimmste, was einem förderbedürftigen       mit Inklusionserfahrung. Im zweiten Schritt
Inklusive Schule heißt nicht, dass die Regel-     Kind im inkludierten Unterricht passieren         muss schulintern diskutiert werden, welche
schullehrer sich um die Kinder ohne Förder­       kann, ist, dass es zwar gemeinsam mit den         Voraussetzungen für Inklusion es bereits an
bedarf kümmern und die Sonderpädagogen            anderen Schülern lernt, es von diesen aber als    der eigenen Schule gibt. Was bedeutet Inklu-
um die Be­ inderten. Inklusive Schule gelingt
           h                                      dummes oder unfähiges Kind angesehen und          sion für die eigene Schule? Welche Haltung
nur gemeinsam. Dafür haben wir uns dann           ausgegrenzt wird. Ob so etwas geschieht oder      braucht Inklusion? In welcher Form und mit
auch am An­ ang zusammen hingesetzt und
              f                                   nicht, hat ursächlich mit der Haltung zu tun,     welchen Schritten kann Inklusion an der eige-
daran gear­ eitet, wie ein gemeinsamer Unter-
            b                                     die der jeweilige Klassenlehrer an den Tag        nen Schule umgesetzt und entwickelt werden?
richt aussehen muss. Das war ein durchaus         legt. Wenn ein behindertes Kind von einem
schweres Stück Arbeit. Aber daraus hat sich       Fachlehrer als Belastung empfunden wird,          Die Waldhofschule hatte ihre Experten mit
unter anderem entwickelt, dass es an der          dann überträgt sich diese Einstellung – ob er     Inklusionsblick ja von Anfang an schon an Bord.
Waldhofschule nur noch 20 bis 30 Prozent          will oder nicht – auch auf die Schüler. Auf       Wer aber begleitet eine Regelschule auf dem
Frontalunterricht gibt. Die übrige Zeit wird      diese Weise entsteht Separation.                  Weg zur inklusiven Schule? Wer schaut im Schul-
als Lernlandschaft gestaltet, die gemeinsam                                                         alltag auf die Umsetzung und erkennt, wenn es
vom Pädagogenteam entwickelt und umge-            Welche Schritte sind entscheidend, wenn           irgendwo hakt?
setzt wird.                                       eine Schule sich nun zu einer inklusiven Schule   Im Moment eigentlich keiner. Für die Zukunft
   Schließlich muss auch klar sein, dass die      entwickeln will? Womit fängt man an?              brauchen wir im Prinzip Inklusions-Coaches,
entscheidenden Ressourcen einer inklusiven        Der erste Schritt auf dem Weg zur inklusiven      die von speziellen Schulentwicklungsagentu-
Schule nicht genutzt werden, wenn man die         Schule heißt Information. Sie müssen wissen,      ren kommen und die die Schulen auf ihrem
Sonderpädagogen mit den förderbedürftigen         was inklusive Schule wirklich bedeutet und        Weg zur „Schule für alle“ begleiten. Es ist eh
Kindern in den Nebenraum schickt. Dann ge-        wie inklusive Schule in der Praxis aussieht.      noch ein weiter Weg, unsere Schulen so zu
                                                                                                    entwickeln, dass sie gemäß der UN-Behinder-
                                                                                                    tenrechtskonvention allen Kindern offenste-
Die größte Herausforderung auf dem Weg zur                                                          hen. Da können wir es uns nicht leisten, dass
                                                                                                    jede Schule auch die Fehler der anderen
inklusiven Schule besteht meines Erachtens darin,                                                   macht und in die gleichen Sackgassen läuft.
                                                                                                    Wir brauchen also qualifiziertes Personal, das
den inklusiven Ansatz auch konsequent umzuset-                                                      hier relativ zeitnah beratend und begleitend
                                                                                                    zum Einsatz kommt.
zen. Er darf nicht in Teilen zurückgenommen und
                                                                                                    Welchen besonderen Herausforderungen sind Sie
damit im Ganzen verwässert werden.                                                                  auf dem Weg zur inklusiven Schule begegnet?
                                                                                                    Es gab manchmal sehr unerwartete, aus der
                                                                                                    Praxis entspringende Hürden, die wir zu
                                                                                                    bewältigen hatten. So wollten am Anfang die
                                                                                                    Fachkollegen in den Bereichen Mathematik
                                                                                                    und Deutsch plötzlich, dass wir in der dritten
                                                                                                    Klasse doch wieder zum differenzierten Unter-
                                                                                                    richt zurückkehren. Es wurde diskutiert, ob
                                                                                                    man die beiden Parallelklassen des Jahrgangs
                                                                                                    nicht in drei Niveaustufen unterteilen könne:
                                                                                                    stark, mittel und schwach.
                                                                                                       Wir haben dieses Modell dann auch ver-
                                                                                                    sucht, aber nach einem halben Jahr schnell
                                                                                                    wieder abgebrochen. Es hatte sich nämlich
                                                                                                    gezeigt, dass die Leistungen in allen drei Grup-
                                                                                                    pen gesunken waren. Besonders bei den guten
                                                                                                    Schülern ist die Situation entstanden, dass es
                                                                                                    im direkten Konkurrenzkampf nur noch darum
                                                                                                    ging, wer besser war. Den Schwächeren fehl-
                                                                                                    ten mit den leistungsstärkeren Schülern
                                                                                                    schließlich die Motivatoren und Tutoren.
                                                                                                       Die größte Herausforderung auf dem Weg
                                                                                                    zur inklusiven Schule besteht meines Erach-
                                                                                                    tens darin, den inklusiven Ansatz auch kon­
                                                                                                    sequent umzusetzen. Er darf nicht in Teilen
                                                                                                    zurückgenommen und damit im Ganzen ver-
                                                                                                    wässert werden. Wer über Jahre oder Jahr-
                                                                                                    zehnte differenzierten Unterricht gemacht hat,
                                                                                                    neigt natürlich schneller dazu, Erprobtes wie-
                                                                                                    der einzusetzen. Ich erkläre aber im Gespräch
                                                                                                    mit Kollegen immer wieder, dass ein förderbe-
                                                                                                    dürftiges Kind vielleicht eine bestimmte Multi-
                                                                                                    plikationsaufgabe nicht lösen kann. Aber es
                                                                                                    kann das Prinzip der Multiplikation und das
                                                                                                    Prinzip von Teilmengen verstehen. Ich muss
                                                                                                    mich als Lehrer dann halt nur mit dem Kind
                                                                                                    hinsetzen und mit ein paar farbigen Magneten
                                                                                                    dieses Prinzip darstellen.




Wilfried Steinert, ehemaliger
Schulleiter der Waldhof­
schule Templin, setzt sich
seit langem für gemeinsa­                                                                           Kontakt: Wilfried W. Steinert
mes Lernen ein.                                                                                     W.W.Steinert@t-online.de
PodiumSchule 1.10   |7




                                                         „Wir dürfen nicht so tun, als hätten wir
                                                         in Regelschulen keine Heterogenität“
                                                         Interview mit Professor Ulf Preuss-Lausitz



                                                    Ich halte es für ganz wichtig, dass mit der                                                             Sozialarbeiter, Sonderpädagogen und auch die
                                                                                                                                                            Schulleitung sollten sich in die gleichen Fort-
                                                    inklusiven Schule auch die Schulentwicklung                                                             bildungen begeben, um hier eine gemeinsame
                                                                                                                                                            Basis zu haben.
                                                    inklusiv wird.                                                                                          Ist die derzeitige Lehrerausbildung ausreichend,
                                                                                                                                                            um angemessen auf die inklusive Schule vorzu-
                                                    Gerade wenn man auf die Sinnes- und Kör-            lehrer von Integrationskräften, Sozialarbeitern,    bereiten?
                                                    perbehinderten schaut: Für sie ergibt sich          Sonderpädagogen, Ergotherapeuten oder auch          Die Antwort lautet ganz klar: Nein. In der
                                                    im bestehenden Förderschulsystem ja so gut          Psychologen in ihrer Arbeit unterstützt wür-        Grundausbildung, also im Bereich Bachelor/
                                                    wie gar nicht die Möglichkeit, einen Abschluss      den. Wir dürfen nicht so tun, als hätten wir        Master, brauchen wir dringend ein Pflichtmo-
                                                    zu machen. Hier müssen einfach bessere              im Regelschulsystem keine Heterogenität.            dul zum Thema Heterogenität und Inklusion.
                                                    Bildungsmöglichkeiten geschaffen werden.            Jeder Lehrer muss schon heute jeden Tag mit         Dieses Modul muss dann auch Punkte wie
                                                                                                        Schülern umgehen, die aus den unterschied-          Kooperationsfähigkeit und Teamwork beinhal-
                                                    Warum ist eine inklusive Schule überhaupt           lichsten sozialen und/oder kulturellen Milieus      ten. Gleiches gilt für die Praxis. Auch im Refe-
                                                    wünschenswert?                                      stammen.                                            rendariat muss Inklusion so verankert werden,
                                                    Hilfs- und Förderschulen sind ehemals ins                                                               dass sie den Lehrernachwuchs ausreichend
                                                    Leben gerufen worden, um Kindern mit                Muss zukünftig jede Schule barrierefrei sein        auf den inklusiven Schulalltag vorbereitet.
                                                    Be­ inträchtigungen ein „ungestörtes“ Lernen
                                                       e                                                und sich auf alle Formen der Lernbehinderung            Darüber hinaus plädiere ich ganz stark
                                                    in einem vergleichsweise geschützten Raum           einstellen?                                         dafür, dass in einem inklusiven Bildungs­
                                                    zu ermöglichen. Man hatte gehofft, dort auch        So schön natürlich Barrierefreiheit an jeder        system die schulinterne Fortbildung für
                                                    eine bessere Ausbildungsfähigkeit und Berufs-       Schule wäre, zunächst muss man sich einfach         das gesamte Lehrpersonal verpflichtend sein
                                                    vorbereitung zu erreichen. Diese Hoffnung hat       mal die Zahlenverhältnisse bewusst machen.          muss – ob nun allgemeine Lehrkraft, Sonder-
                                                    sich aber in keiner Weise erfüllt. Das Thema        Von 1.000 Kindern haben vielleicht fünf oder        pädagoge oder Schulleitung.


W
           as macht für Sie eine inklusive Schule   „Schulabschlüsse an der Förderschule“ ist eine      sechs eine Körperbehinderung, die barriere-
           aus?                                     Katastrophe. Das hat nichts mit den Lehrern         freie Zugänge oder besondere Hilfsmittel            Welche Bedeutung kommt in diesem Zusammen-
           Eine inklusive Schule weist zunächst     zu tun, die dort eine Sisyphos-Arbeit bewerk-       erfordert. Inklusion bedeutet nicht, dass nun       hang der Schulleitung zu?
einmal keine Schüler aufgrund irgendwelcher         stelligen, sondern ist systemisch bedingt.          Kolonnen von Rollstuhlfahrern auf die Schulen       Eine ganz elementare Bedeutung. Damit
individuellen Besonderheiten oder Probleme             Wenn ich zehn lernschwache oder verhal-          zurollen. Gleiches gilt für geistig behinderte      In­ lusion überhaupt gelingt, brauchen wir
                                                                                                                                                              k
ab. Jedes Kind wird aufgenommen und so,             tensauffällige Schüler in eine Klasse packe,        Kinder; von 1.000 Kindern haben im Durch-           gute, inklusionsbereite Schulleiter. Hier steht
wie es ist, auch angenommen. Inklusive Schule       dann ist der Anregungsgehalt für diese Kinder       schnitt sechs eine geistige Behinderung. Hier       und fällt ansonsten mit wenigen Personen die
wendet sich dem einzelnen Schüler zu, er­­          einfach viel zu gering. Natürlich lernen auch
kennt ihn an und fordert ihn entsprechend           verhaltensauffällige Kinder voneinander. Aber
seiner persönlichen Möglichkeiten und Inter-        was sie lernen, das sind dann eben Verhal-          Wir dürfen nicht so tun, als hätten wir
essen.                                              tensauffälligkeiten. Ein solches Konzept kann
   Das muss aber mit dem größtmöglichen             nicht funktionieren. Auch die Ergebnisse der        im Regelschulsystem keine Heterogenität.
Anspruch und ernsthaft geschehen – auch bei         PISA-Studie haben bestätigt, wie wichtig die
Kindern mit Beeinträchtigungen. Es ist keine        Zusammensetzung der einzelnen Klasse ist.
Inklusion, wenn man für einen Teil der Kinder       Die – im Fall der Förderschulen nach Behinde-       wird sich also jede Schule individuell auf          Inklusionsfähigkeit einer ganzen Schule. Das
Kuschelpädagogik betreibt, damit sie beschäf-       rungsart – homogenisierten Klassen bieten           die Formen der Beeinträchtigung einstellen          kann und darf so natürlich nicht sein. Deshalb
tigt sind. Inklusion heißt auch nicht, dass         ein ungünstiges Lernmilieu ohne ausreichende        müssen, die auch tatsächlich in ihrem Ein-          muss die Verpflichtung zur Teilnahme an
Schule defizitorientiert ständig nur auf vor-       Anregung für den Einzelnen.                         zugsraum vorhanden sind.                            Inklusionsfortbildungen auch und besonders
handene Behinderungen und Beeinträchtigun-                                                                                                                  für Schulleitungen gelten.
gen blickt. Inklusive Schule muss sie zwar          Kann es eine Schule wirklich leisten, der Hetero-   Welche Rahmenbedingungen und welche
sehen und im Blick behalten, aber sie muss          genität aller Schüler gerecht zu werden?            Unterstützung benötigen Schulen vom System,         Was glauben Sie: Wie lange wird es dauern,
zusätzlich die Stärken, Potenziale und indi­        Zunächst einmal meine ich, dass die Hetero-         um inklusiver zu werden?                            bis Deutschlands Schulsysteme tatsächlich
viduellen Talente der Kinder erkennen, ihre         genität von Kindern mit Sinnes- und Körper-         Ich halte es für ganz wichtig, dass mit der         inklusiv sind?
Interessen fördern.                                 beeinträchtigungen keine Heterogenität ist,         inklusiven Schule auch die Schulentwicklung         Das ist natürlich schwer zu beantworten,
   Das gilt natürlich für alle Schüler. Also        die den Unterricht belastet. Diese Formen der       inklusiv wird. Bisher ist es so, dass dann,         zumal sich Inklusion in Deutschland als Ent-
auch für hochbegabte, die für ihre Verhält-         Beeinträchtigung stellen das geringste Prob-        wenn Integration stattfinden soll, Sonderpäda-      wicklungsprozess je nach Bundesland sehr
nisse ebenso Förderung brauchen. Und für all        lem in einer inklusiven Klasse dar. Dem             gogen als ambulante Hilfe in die Schule kom-        unterschiedlich darstellt. Damit das Ziel eines
diese unterschiedlichen Schüler braucht inklu-      gegenüber stehen die Kinder und Jugend-             men. Die einzelne Schule braucht aber eine          inklusiven Bildungssystems so schnell wie
sive Schule eine Pädagogik der Herausforde-         lichen, deren Lernentwicklung durch man-            Art internes pädagogisches Unterstützungs-          möglich erreicht wird, muss der Prozess aber
rung und Anerkennung.                               gelnde soziale Kompetenz, Verhaltensauffällig-      zentrum. Hier müssen dauerhaft Sozialarbei-         auf jeden Fall auf mehreren Ebenen gleichzei-
                                                    keiten oder auch mangelnde Sprachkenntnisse         ter und Sonderpädagogen verankert sein, die         tig starten: Wir brauchen im Klassenzimmer
Welche Bedeutung hat inklusive Schule in            massiv beeinträchtigt wird. Das hat einen viel      in die Schulleitung mit eingebunden sind und        einen guten, differenzierten Unterricht mit
bildungspolitischer Hinsicht?                       massiveren Einfluss auf Unterricht. Nur ist         die Unterricht mitgestalten oder beraten: seien     individueller Förderung; dann eine gute
Vom inklusiven Bildungssystem erwarte ich,          diese Form der Heterogenität für Regelschulen       es Kollegen, Eltern oder Schüler.                   inklusive Einzelschule mit funktionierendem
dass zunächst einmal die sozialen Benachtei-        eigentlich nichts Neues. Das sind Beeinträch-                                                           schuleigenen Unterstützungssystem und
ligungen abgebaut werden, die die immer             tigungen, die heute in vielen großstädtischen       Welche Aus- und Fortbildung benötigen               entsprechender Haltung und schließlich ein
wieder gleichen Gruppen im Alltag erfahren.         Regelschulklassen Alltag sind und den Unter-        Lehrkräfte, um allen Schülern in einer inklusiven   regionales Unterstützungsumfeld, das durch
Dazu gehören in ihrem Sozialverhalten ge-           richt bestimmen.                                    Schule gerecht zu werden?                           die Haltung der Menschen und Institutionen
störte Kinder, körperlich bzw. geistig Behin-          Inklusive Schule leistet somit also auch         Der konkrete Aus- bzw. Fortbildungsbedarf           in der Region den Gedanken der Inklusion
derte, Kinder und Jugendliche mit Migrations-       einen großen Beitrag für Regelschule. Inklu-        richtet sich immer nach den an der jeweiligen       weiterträgt und fördert. Zu guter Letzt muss
hintergrund oder sozialer Benachteiligung.          sive Schule beinhaltet nämlich, dass die Fach-      Schule vorhandenen Kindern bzw. Jugend­             natürlich der gesetzliche Rahmen inklusions-
                                                                                                        lichen und deren Beeinträchtigungen. Als            fördernd gestaltet werden. Sprich, hier ist die
                                                                                                        Physik- oder Mathelehrer weiß ich eben nicht        Bildungspolitik auf Landesebene gefordert,
Inklusive Schule wendet sich dem einzelnen                                                              viel über Autismus mit Asperger Syndrom.            die notwendigen Ressourcen zur Verfügung
                                                                                                        Habe ich aber ein solches Kind für die nächs-       zu stellen und gesetzliche Rahmenbedingun-
Schüler zu, erkennt ihn an und fordert ihn                                                              ten Jahre an der Schule zu betreuen, dann           gen zu schaffen.
                                                                                                        ergibt es Sinn, sich hier fortzubilden.
entsprechend seiner persönlichen Möglichkeiten                                                             In jedem Fall plädiere ich aber für eine
                                                                                                        gemeinsame Fortbildung von Regelschulleh-           Kontakt: Prof. Dr. Ulf Preuss-Lausitz
und Interessen.                                                                                         rern und ihren Förderschulkollegen. Lehrer,         ulf.preuss-lausitz@mailbox.tu-berlin.de
8 | PodiumSchule 1.10




   Jakob Muth-Preis
   Unter dem Motto „Gemeinsam lernen – mit und ohne Behinderung“ zeichnet der
   „Jakob Muth-Preis für inklusive Schule“ seit 2009 Schulen aus, die behinderte und
   nicht behinderte Kinder vorbildlich zusammen unterrichten. Projektträger sind der
   Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Hubert Hüppe,
   die Deutsche UNESCO-Kommission und die Bertelsmann Stiftung.
      Mit der Auszeichnung, die mit je 3.000 Euro dotiert ist, wollen die Projektträger posi-
   tive Beispiele für gemeinsamen Unterricht bekannt machen und zur Nachahmung anregen.
      Bewerben kann sich jede Schule, die sich auf dem Weg zur inklusiven Schule befindet:
   ob Förder- oder Regelschule, Grund- oder weiterführende Schule, Schule in öffentlicher
   oder privater Trägerschaft.
      Der Preis ist nach einem Vorkämpfer und Wegbereiter des gemeinsamen Lernens
   von behinderten und nicht behinderten Kindern benannt, dem Pädagogen Jakob Muth
   (1927–1993).
      Ausführliche Porträts der diesjährigen drei Preisträgerschulen befinden sich in der
   aktuellen Ausgabe dieser Zeitung.

   Kontakt: Ulrich Kober | ulrich.kober@bertelsmann-stiftung.de | http://www.jakobmuthpreis.de




                                                                 Lernen mit Kopf, Herz und Hand
                                                                 Die Montessori-Gesamtschule Borken fördert nach ganzheitlichem Konzept

                                                          Auf dem Bauernhof herrscht heute                 drin. Lernen fürs Leben. „Lernen fürs Leben“     planung: „Und darauf versuchen wir zu rea-
                                                          reges Treiben. Eine Gruppe Jugendlicher          – dieser Satz wird in Borken ohnehin großge-     gieren mit dem Unterricht.“ Aufbauend auf
                                                          mistet den Stall aus, andere Kinder              schrieben. Die Montessori-Gesamtschule ist       der Eingangsdiagnose werden für jeden Schü-
                                                          versuchen sich im Hühnerrupfen oder              eine inklusive Schule, die großen Wert auf die   ler konkrete Lernziele formuliert und Lern­
                                                          arbeiten im Gemüsebeet. Rufe und                 Entwicklung sozialer Kompetenzen legt. Über      fortschritte regelmäßig evaluiert. Das setzt
                                                          Gelächter tönen aus jeder Ecke. Hier             150 Schülerinnen und Schüler lernen hier         jedoch voraus, dass sich die Lehrkräfte regel-
                                                          im münsterländischen Borken ist es ein           gemeinsam von der 5. bis zur 10. Klasse.         mäßig austauschen. Erfolgreiches Teamwork
                                                          Morgen wie jeder andere. Aus der nahe            Etwa 20 Prozent haben sonderpädagogischen        ist deshalb für das Kollegium der Borkener
                                                          gelegenen Montessori-Gesamtschule                Förderbedarf. Der im Schul­ onzept verankerte
                                                                                                                                       k                    Montessori-Gesamtschule eine zentrale
                                                          ist wieder eine Klasse rübergekommen,            inklusive Ansatz gründet sich in der Mon­        Arbeitsgrundlage. Hinzu kommen zeitgemäße
                                                          um „ihren“ Schulbauernhof zu bewirt­             tessori-Pädagogik. Diese fordert eine Lern­
                                                                                                                                                     -      Unterrichtskonzepte wie Binnendifferenzie-
                                                          schaften.                                        um­ ebung, die jedes Kind bestärkt und för-
                                                                                                              g                                             rung, Wochenplanarbeit, heterogene Lern­
                                                                                                           dert – unabhängig von seinem körperlichen        gruppen und bis zur 8. Klasse halbjährliche
                                                          Was inmitten von Äckern und Feldern pas-         und geistigen Entwicklungsstand. Somit           Lernberichte statt Ziffernnoten. In der Summe
                                                          siert, ist das gelebte Motto der Montessori-     gehört es seit Gründung im Jahr 1989 zum         sorgen sie dafür, dass die Schule ein hohes
                                                          Gesamtschule – Lernen mit Kopf, Herz und         Selbstverständnis der Borkener Montessori-
                                                          Hand. Michaela Müller, Lehrerin für Naturwis-    Gesamtschule, alle Kinder und Jugend­ichen
                                                                                                                                                  l
                                                          senschaft und Arbeitslehre, betont den prakti-   individuell zu fördern und zum selbstständi-     „Wir Lehrer verstehen
                                                          schen Aspekt ihres Unterrichts: „Da lernen die   gen Lernen anzuleiten. Ein Konzept, das es
                                                          Kinder wirklich sehr viel mehr, als wenn wir     von Anfang an leicht machte, auch behinderte     uns vor allem als
                                                          theoretisch aus dem Buch arbeiten.“ Mit der      Schüler mit einzubeziehen.
                                                          Schubkarre wird beispielsweise das alte Stroh       Was kann ein Schüler? Wo sind seine Inter-    Berater und Begleiter
                                                          aus dem Stall zum Beet transportiert und dort    essen und was kann er überhaupt schaffen?
                                                          als Dünger weiterverwertet. Der Kreislauf der    Diese Fragen stehen für Schulleiter Hartmuth     von Lernwegen.“
                                                          Natur – und die Montessori-Schüler mitten-       Schlüter-Müller am Beginn jeder Unterrichts-

                                                                                                                                                            Leistungsniveau erreicht: Bei den Lernstands-
                                                                                                                                                            erhebungen in Nordrhein-Westfalen konnte sie
                                                                                                                                                            bereits mehrfach mit hervorragenden Ergeb-
                                                                                                                                                            nissen aufwarten.
                                                                                                                                                               Wichtig ist auch das Selbstverständnis der
                                                                                                                                                            Pädagogen. „Wir Lehrer verstehen uns vor
                                                                                                                                                            allem als Berater und Begleiter von Lernwe-
                                                                                                                                                            gen“, erklärt Sonderpädagoge Hans-Werner
                                                                                                                                                            Bick, zuständig für das Fach Mathematik. Ihm
                                                                                                                                                            und den anderen Lehrkräften ist wichtig, dass
                                                                                                                                                            alle Schüler in der Klasse möglichst am glei-
                                                                                                                                                            chen Gegenstand arbeiten – wenn auch auf
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Podium Schule 1.10 - Thema: Inklusion

  • 1. PodiumSchule 1.10 „Gemeinsam lernen – mit und ohne Behinderung“ Immer mehr Schulen in Deutschland entwickeln sich zu inklusiven Bildungsstätten. Ein Gewinn auch für nicht behinderte Kinder! Christian Ebel | Angela Müncher vention im März 2009 haben sich alle Bundes- wissenschaftlich belegt. Am besten wurde fung eines inklusiven Schulsystems“, erklärt länder dazu verpflichtet, Menschen mit Behin- dies bereits für Kinder und Jugendliche mit Hubert Hüppe, Beauftragter der Bundesregie- Was ist Inklusion? Oder anders gefragt: derungen einen gleichberechtigten Zugang Förderbedarf im Bereich Lernen untersucht. rung für die Belange behinderter Menschen. Was ist inklusive Schule? Ganz einfach: zum allgemeinen Schulsystem zu verschaffen. Diese kommen zu einem großen Teil aus Inklusion bezieht sich dabei jedoch nicht nur Inklusive Schule ist eine Schule für alle. Jedes Kind soll die Möglichkeit haben, an sozial schwachen Familien und haben häufig auf Menschen mit Behinderungen, sondern Sie ist eine Schule, in der Kinder und einem inklusiven, hochwertigen und unentgelt- einen Migrationshintergrund. Die Kinder mit auf alle Formen von Unterschiedlichkeit – sei Jugendliche gemeinsam lernen, ohne lichen Unterricht an Grundschulen sowie wei- dem Schwerpunkt Lernen stellen fast die es im Hinblick auf die körperliche, geistige dass sie aufgrund ihrer individuellen terführenden Schulen teilnehmen zu können. Hälfte aller Förderschüler. Sowohl in natio­ oder kognitive Entwicklung, auf Interessen Besonderheiten selektiert und vonein­ Die aktuellen Zahlen sprechen allerdings nalen als auch internationalen Studien konnte und Begabungen oder auch den Hintergrund ander separiert würden. Eigentlich kein noch eine andere Sprache: Annähernd eine gezeigt werden, dass sich die Leistungen eines Kindes. Inklusive Schule ist also eine neues Thema und in einigen Ländern halbe Million Schüler in Deutschland haben dieser Gruppe verschlechtern, je länger sie Schule, die allen Kindern offensteht und die der Welt auch schon gängige Praxis. derzeit einen ausgewiesenen sonderpädagogi- gesondert unterrichtet werden. Entsprechend die individuellen Begabungen und Interessen In Deutschland hat Inklusion durch die schen Förderbedarf. Damit liegt die Förder- schafft in Deutschland auch nur ein Bruch- eines jeden Kindes bestmöglich fördert. Genau Ratifizierung der UN-Behindertenrechts­ quote (also der Anteil der Schüler mit Förder- teil der Förderschülerinnen und -schüler den diese Vielfalt hilft ihnen, gleichaltrige Vorbil- konvention im Jahr 2009 nicht nur neue bedarf) im Bundesdurchschnitt bei ungefähr Sprung zurück auf eine allgemeine Schule. Im der zu finden und auch selbst Vorbild sein zu Aufmerksamkeit, sondern eine klare sechs Prozent. Von diesen Kindern werden Ergebnis erreichen über drei Viertel (76,3 Pro- können. Relevanz bekommen: Das deutsche Schul­ rund 82 Prozent in separaten Förderschulen zent) der Abgänger aus Förderschulen keinen Um das eigene Potenzial vollständig ent­ system muss inklusiv werden. Eine Auf­ unterrichtet (vgl. aktuelle Inklusionsstudie von Hauptschulabschluss. Damit ist ihre Aussicht falten und entwickeln zu können, brauchen gabe, die – nicht zuletzt durch system­ Prof. Klemm auf Seite 3). International betrach- auf gesellschaftliche Teilhabe – zum Beispiel Kinder Kontakt zu anderen Kindern. Durch bedingte Widersprüche – alle Beteiligten tet sind das durchaus hohe Werte: In den meis- in Form einer Berufstätigkeit – mehr als inklusive Schulen wird dieser Kontakt nicht vor große Herausforderungen stellt ... ten EU-Ländern liegt die Förderquote bei unter ge­ ing. Wie aber sieht eine Alternative zur r unterbrochen, sondern verstärkt. Wohnort­ drei Prozent. Außerdem wird dort ein viel grö- Förderschule aus? Und gibt es sie überhaupt? nahes, gemeinsames Lernen ermöglicht den Die Situation: ßerer Anteil der förderbedürftigen Kinder im Kindern, dass sie ihre sozialen Bindungen Bildungssystem mit Förderbedarf Regelschulsystem integriert (vgl. Abb. 1). Der inklusive Anspruch: aus der Nachbarschaft auch in der Schule Der Druck auf das deutsche Förder- und damit Trotz kleiner Klassen und speziell ausgebil- Gemeinsamer Unterricht an Regelschulen erhalten und sogar weiterentwickeln können. auch auf das Regelschulsystem wächst: Mit deter Pädagogen sind deutsche Förderschulen „Spätestens seit Inkrafttreten der UN-Konven- Der gemeinsame Unterricht bietet Kindern mit Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskon- für ihre Schüler häufig eine Sackgasse. Das ist tion haben wir eine Verpflichtung: die Schaf- Förderbedarf darüber hinaus die Grundlage
  • 2. 2 | PodiumSchule 1.10 mehr Schulsysteme in Deutschland geraten in Bewegung. Bremen und Hamburg sind die ersten Bundesländer, die Inklusion in ihre Schulgesetze aufgenommen haben. Ihre klare Verpflichtung: Behinderte und Nichtbehinderte sollen gemeinsam an Regelschulen unterrich- tet werden. In Schleswig-Holstein wurden alle Förderschulen zu Förderzentren ausge- baut und die Quote der Schüler mit sonder­ pädagogischem Bedarf an allgemeinen Schu- len in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesteigert. Bundesweit ist die Inklusionsquote in den vergangenen Jahren von 13,9 Prozent (2004) auf 18,4 Prozent (2008) angestiegen. Nach- denklich stimmen allerdings die zum Teil sehr großen Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern. Während in Rheinland-Pfalz 3,8 Prozent aller vollzeitschulpflichtigen Kin- der und Jugendlichen eine Förderschule besu- chen, sind es in Mecklenburg-Vorpommern 9,2 Prozent. Von den Schülerinnen und Schü- lern mit Förderbedarf besuchen in Schleswig- Holstein 41,9 Prozent den gemeinsamen Unterricht, in Niedersachsen aber lediglich 6,6 Prozent (vgl. Abb. 2). Hier stellt sich die Frage, welcher bildungspolitische Weg der beste ist, wenn es darum geht, Förderbedarfe für nachweislich bessere Lern- und Entwick- lungsfortschritte – was ihre Chance auf einen Inklusion ist also festzustellen und Kinder und Jugendliche indi- viduell zu fördern. weiterqualifizierenden Abschluss erhöht. Aber auch für Kinder ohne besonderen machbar. Dafür bedarf Klarheit schaffen – dann wird Inklusion auch Förderbedarf hat der gemeinsame Unterricht positive Folgen. Sie üben und entwickeln nicht es eines schrittweisen verständlicher Häufig werden in der öffentlichen Diskussion nur ihre sozialen Kompetenzen, sondern profi- tieren gleichermaßen von der Praxis individu- Ausbaus der Regel­ unterschiedliche Förderbedarfe miteinander vermischt. In die Kategorie der „Behinderun- eller Förderung, wie sie an inklusiven Schulen konsequent verankert ist. schulsysteme. gen“ fallen die Bereiche Sehen, Hören, körper- liche und motorische Entwicklung, geistige Entwicklung sowie Erkrankungen. Im indivi- Internationale Beispiele Bildungseinrichtungen – vom Kindergarten bis duellen Fall gibt es jeweils klar diagnostizier- für erfolgreiche Inklusion zum Ende der Sekundarstufe und darüber hin- bare medizinische Sachverhalte, die einen Kein Land hat im internationalen Vergleich ein aus (vgl. Reportage auf den Seiten 4 und 5). Unterstützungsbedarf induzieren. International so hoch differenziertes Förderschulsystem wie wird die betroffene Gruppe von Kindern und Deutschland. Hierzulande gilt es als „normal“, Wie weit sind wir in Deutschland Jugendlichen zum Teil separat beschult. Kinder mit Behinderungen oder Lernschwie- auf dem Weg der Inklusion? rigkeiten in eigens dafür geschaffenen Schu- Inklusion kann auch in Deutschland gelingen: Abbildung 1: Schüleranteil mit sonderpädagogischem Förderbedarf* 2008 len zu unterrichten. In vielen europäischen Das zeigen die bundesweit mehr als 200 nach segregierter und integrierter Betreuungsform und Staaten und außereuropäischen Ländern wird dies Schulen, die sich in diesem und im vergange- Angaben in Prozent aller Schülerinnen und Schüler längst anders gesehen – und anders gehand- nen Jahr am „Jakob Muth-Preis für inklusive habt. So zum Beispiel in Italien, Norwegen Schule“ beteiligt haben. Unter dem Motto 8,6 oder Schweden. Die Schulpraxis in diesen „Gemeinsam lernen – mit und ohne Behinde- 7,7 Ländern zeigt, dass Inklusion machbar ist. rung“ zeichnet der Jakob Muth-Preis Schulen 5,6 5,8 5,7 0,7 0,7 Über 90 Prozent aller förderbedürftigen aus, die behinderte und nicht behinderte Kin- 4,1 4,1 Schüler besuchen dort die allgemeinbildenden der vorbildlich zusammen unterrichten. Hier 3,7 3,8 3,6 Regelschulen. zeigt sich: Ein gemeinsamer Unterricht, der 2,6 2,8 2,3 1,7 2,1 1,6 Geradezu beispielhaft ist die italienische beim individuellen Kenntnisstand sowie den 0,01 1,5 1,2 1,7 Provinz Südtirol: Hier gründet sich Inklusion persönlichen Bedürfnissen und Interessen 0,01 1,4 5,4 2,0 0,00 0,1 0,3 0,6 1,1 1,1 2,0 2,0 3,9 4,5 4,9 5,1 2,0 auf verbindliche gesetzliche Rahmenvorgaben, der einzelnen Schüler ansetzt, wirkt sich auch I S N E L UK NL A FIN CZ D B EU** ein gut organisiertes Netz personeller und auf deren Leistung aus. Viele dieser inklusi- finanzieller Ressourcen sowie ein starkes, ven Schulen haben bei Vergleichstests über- Segregierte Betreuungsform Integrierte Betreuungsform ausdifferenziertes und kompetentes Unterstüt- durchschnittliche Ergebnisse erzielt. So auch * Die Angaben stellen den Schüleranteil mit anerkanntem Förderbedarf („special educational needs“) dar. Die Regelungen zu Umfang und zeitlicher Dauer der Förderung können sehr verschieden sein, sodass bei einigen EU-Staaten ein sehr hoher Anteil der Schüler im Laufe zungssystem. Kennzeichnend ist außerdem die drei Preisträgerschulen aus 2010, die auf eines Jahres aufgrund von „special educational needs“ eine sonderpädagogische Förderung erhält. eine positive Haltung zur Inklusion sowie eine den nachfolgenden Seiten vorgestellt werden. ** Der EU-Wert entspricht dem arithmetischen Mittel der Werte aller dargestellten Staaten. auf das einzelne Kind ausgerichtete Arbeit Inklusion setzt sich jedoch nicht nur auf Quelle: European Comission (2009), Progress Towards the Lisbon Objectives in Education and Training der Pädagoginnen und Pädagogen in allen der Ebene von Einzelschulen durch. Mehr und Abbildung 2: Die Förderquote in Primar- und Sekundarstufe Umfrage „Schulen und Gerechtigkeit“ im Bundesländervergleich – unterteilt in Exklusions- und Inklusionsquote Angaben in Prozent Dass die Bevölkerung für ein inklusives Schulsystem bereit wäre, zeigt eine repräsenta- tive Umfrage der Bertelsmann Stiftung, die vom Institut Infratest dimap durchgeführt 11,7 wurde: Rund zwei Drittel der Eltern befürworten demnach einen gemeinsamen Unterricht für behinderte und nicht behinderte Kinder. 2,5 9,5 9.0 8,5 8,3 0,8 Die Mehrheit der Bevölkerung befürwortet 7,2 7,5 1,5 5,9 1,4 das gemeinsame Lernen behinderter und nichtbehinderter Kinder 6,4 5,7 6,1 0,8 4,8 0,7 6,0 5,5 3,1 4,7 4,6 5,3 Repräsentative Umfrage der Berteslmann Stiftung (2010), Angaben in Prozent 1,7 0,9 2,9 0,5 0,3 0,8 1,1 2,8 1,9 2,2 Eltern 65 18 Nicht Elterm 68 13 4,7 4,6 4,4 5,4 4,6 4,9 4,3 9,2 4,4 5,2 3,8 6,9 3,1 4,2 8,7 7,5 4,9 Gesamt 67 14 BW BY BE BB HB HH HE MV NI NW RP SN SH SL ST TH D Quelle: Infratest dimap Exklusionsquote Inklusionsquote Ja Nein Anmerkung: Die Balken zeigen insgesamt die Förderquote pro Bundesland an (Inklusionsquote + Exklusionsquote). Quelle: Berechnungen durch Prof. Dr. Klaus Klemm auf der Grundlage von: KMK: Sonderpädagogische Förderung in Schulen 1999 bis 2008. Berlin 2010
  • 3. PodiumSchule 1.10 |3 Deutlich von den Behinderungen abzugrenzen sind die „Beeinträchtigungen“ beim Lernen, Neue Studie von Prof. Dr. Klaus Klemm im Auftrag der Bertelsmann Stiftung: in der Sprache sowie in der emotionalen und sozialen Entwicklung (LES). In diesen Berei- chen resultiert der zusätzliche Förderbedarf entweder aus Interaktionsproblemen oder Gemeinsam lernen. Inklusion leben. besteht aufgrund des individuellen Bildungs- Status Quo und Herausforderungen inklusiver Bildung in Deutschland. kontextes. International wird diese Gruppe überwiegend in Regelschulen gefördert – Deutschland bildet hier eine Ausnahme. Ob nun mit Blick auf Behinderungen oder Bei über 565.000 Kindern und Jugendlichen in Kin­ tet werden, liegt der Inklusionsanteil in anderen Ländern bei auf Beeinträchtigungen: Inklusion ist in bei- dertageseinrichtungen und Schulen bestand im Schul­ unter fünf Prozent. den Förderbereichen machbar. Das ist auch jahr 2008/2009 ein diagnostizierter sonderpädagogi­ Mit etwa 76 Prozent erreicht die überragende Mehrheit der die Überzeugung der beiden deutschen Bil- scher Förderbedarf. Ihrer Bildungssituation widmet Förderschüler keinen Regelschulabschluss. Einige Bundeslän- dungsexperten Klaus Klemm und Ulf Preuss- sich die neue, im Auftrag der Bertelsmann Stiftung der bieten zwar an Förderschulen gesonderte Abschlüsse an, Lausitz. In einem Wissenschaftsgutachten erstellte Studie des renommierten Bildungsforschers ob diese eine Integration in den Ausbildungs- und Arbeits- „Zum Stand und zu den Perspektiven der son- Klaus Klemm „Gemeinsam lernen. Inklusion leben. markt ermöglichen, ist jedoch infrage zu stellen: Momentan derpädagogischen Förderung in den Schulen Status Quo und Herausforderungen inklusiver Bildung haben bereits Jugendliche mit einem Haupt- oder Realschul­ der Stadtgemeinde Bremen“ fordern sie die in Deutschland“. Im Mittelpunkt steht die Frage, abschluss Schwierigkeiten, einen Ausbildungsplatz zu bekom- Abschaffung der Förderschulen für die Berei- wo Deutschland auf dem Weg zu einem inklusiven men. Abgänger mit Zeugnissen aus Förderschulen, die unter- che Lernen, emotionale und soziale Entwick- Bildungssystem steht und welche weiteren Reform­ halb des Hauptschulabschlusses anzusiedeln sind, dürften lung sowie Sprache. Frei werdende Sonderpä- maßnahmen einzuleiten sind. daher erwartungsgemäß noch größere Probleme beim Über- dagogen, so ihre Empfehlung, sollten innerhalb gang von der Schule in den Beruf haben. Für bildungspoliti- besonderer „Unterstützungscentren“ (UC) in Die Ergebnisse zeigen, dass Inklusion über die Bildungsbio­ sche Reformen gilt daher: So viel Inklusion wie möglich! Die den Regelschulen tätig werden. Regionale grafie von Kindern hinweg unterschiedlich weit fortgeschritten Weichenstellungen hierfür müssen konsequent in allen Bun- Beratungs- und Unterstützungsstellen könnten ist. Während bundesweit im Bereich der Kindertageseinrich- desländern vorgenommen werden. Das erfordert Veränderun- schließlich die Schulen besonders im Hinblick tungen ein Inklusionsanteil von über 60 Prozent erreicht wird, gen im gesamten Bildungssystem. Keinesfalls dürfen diese zu auf Kinder und Jugendliche mit emotional- werden in der Grundschule rund 34 Prozent, in der Sekundar- Lasten der betroffenen Kinder und Jugendlichen erfolgen. Der sozialem Förderbedarf unterstützen. stufe I nur noch 15 Prozent der Kinder mit Förderbedarf Umbau ist daher auch nicht zum Nulltarif möglich. Mittel- bis Empfehlungen gab es auch für förderbe- gemeinsam mit anderen Kindern unterrichtet. Diese Zahlen langfristig erzielen diese Investitionen sowie Umverteilungen dürftige Schüler in den Bereichen Sinneswahr- weisen darauf hin, dass in der Sekundarstufe I ein besonderer aber enorme finanzielle Vorteile, denn bessere Bildung heißt nehmungen, körperliche und motorische Ent- Nachholbedarf besteht. weniger Kriminalität, geringere Transferzahlungen und mehr wicklung sowie geistige Entwicklung. Auch Große Unterschiede zeigt auch der Bundesländervergleich: Wachstum. hier würden Kompetenzzentren benötigt, die In der Grundschule schwankt der Anteil der inklusiv unterrich- mithilfe spezialisierter Sonderpädagogen die teten Schüler an allen Kindern mit Förderbedarf zwischen Schulen in ihrer Arbeit unterstützen. Das 12,8 Prozent und 90,7 Prozent, in der Sekundarstufe reicht Land Bremen hat mittlerweile zahlreiche Emp- die Spannweite von 5,7 Prozent bis zu 40,2 Prozent. Geht man Die Studie ist online abrufbar unter: www.bertelsmann-stiftung.de/inklusion fehlungen aus dem Gutachten der Bildungs- noch etwas mehr in die Tiefe und nimmt eine nach Förder- wissenschaftler übernommen und ist dabei, schwerpunkten differenzierte Betrachtung vor, so offenbaren Kontakt: diese in die Praxis umzusetzen. sich noch größere Diskrepanzen: Während beispielsweise im Antje Funcke | antje.funcke@bertelsmann-stiftung.de Inklusion ist also machbar. Dafür bedarf es Förderschwerpunkt Lernen in Bremen über 60 Prozent aller Anette Stein | anette.stein@bertelsmann-stiftung.de eines schrittweisen Ausbaus der Regelschul- Kinder und Jugendlichen mit Förderbedarf inklusiv unterrich- 05241.81 81 410 … auch für Kinder Inklusionsanteile in den Bundesländern von der Kita bis zur Sekundarstufe I (2008/2009) Angaben in Prozent ohne besonderen Förder­ be­ arf hat der gemein- d Baden-Württemberg 38,2 47,0 13,4 same Unter­ icht positive r 34,3 Bayern 23,0 14,3 98,7 Fol­ en. g Berlin 47,4 40,3 75,2 Brandenburg 56,1 systeme: Als Erstes müssen Voraussetzungen 35,7 93,3 für den gemeinsamen Unterricht geschaffen Bremen 90,7 13,1 werden. Dazu gehört unter anderem, Lehr- 89,0 kräfte für die individuelle Förderung von Kin- Hamburg 12,8 11,4 dern und Jugendlichen auszubilden, die Perso- 86,9 nalstruktur an inklusiven Schulen auszubauen Hessen 21,5 8,6 und die Einzelschulen je nach Bedarf behin- 88,5 Mecklenburg-Vorpommern 30,2 dertengerecht auszustatten. 22,7 36,6 Niedersachsen Übergang zu einem inklusiven Schulsystem 68,6 Der Übergang zu einem inklusiven Schul­ Nordrhein-Westfalen 26,0 8,0 system gelingt nicht von heute auf morgen. 60,5 Es braucht einen evolutionären Prozess, der Rheinland-Pfalz 31,8 13,1 alle Beteiligten mitnimmt. Dieser Prozess 87,3 Saarland 64,5 sollte jedoch langsam an Fahrt gewinnen. 20,7 Dieser Ansicht ist auch Dr. Jörg Dräger, für 47,1 Sachsen 26,7 Bildungs- und Integrationsprojekte zuständi- 13,2 ges Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stif- Sachsen-Anhalt 99,9 18,0 5,7 tung: „Ein Großteil der zirka 2,6 Milliarden 88,9 Euro, die wir pro Jahr für Förderschulen in Schleswig-Holstein 69,2 40,2 Deutschland ausgeben, muss in diesen Umbau 87,1 investiert werden – sonst geben wir weiterhin Thüringen 26,6 17,0 jedes Jahr viel Geld für einen Sonderweg aus, 61,5 Deutschland 33,6 der für zu viele Kinder in einer Sackgasse 14,9 endet.“ – Zeit also für ein chancengerechtes und leistungsstarkes Schulsystem. Zeit für 0 20 40 60 80 100 Inklusion. Kindertageseinrichtung Grundschule Sekundarstufe I Anmerkung: Die Inklusionsanteile wurden für die Grundschule und die Sekundarstufe I ohne die Schüler des Förderschwerpunktes Geistige Entwicklung berechnet, für den es keine stufenspezifische Ausdifferenzierung der entsprechenden Daten gibt. In Niedersachsen werden die Daten nicht schularten- und schulstufenspezifisch ausgewiesen. Inklusionsanteile geben den Anteil der Schüler mit Förderbedarf, die inklusiv unterrichtet werden, an allen Schülern mit Förderbedarf an. Kontakt: Quelle: Bertelsmann Stiftung, Berechnungen von Prof. Dr. Klaus Klemm. Christian Ebel | christian.ebel@bertelsmann-stiftung.de Angela Müncher | angela.muencher@bertelsmann-stiftung.de
  • 4. 4 | PodiumSchule 1.10 Wo Inklusion schon Geschichte ist Ein Blick hinter die Berge Eines vorab: Erfolgreiche Inklusion im fachwissenschaftliche Diskussion gefunden Bildungsbereich ist ein Märchen. Es ist hatte. Ausgangspunkt war das Jahr 1977. In ein Märchen, das nicht in Deutschland dem Jahr, in dem die italienische Regierung passiert, sondern in fernen Ländern, immer noch mit den Folgen des Seveso- irgendwo hinter den Bergen. Dort, wo Unglücks beschäftigt war, legte sie per Gesetz einst Kaiser und Könige herrschten und fest, dass alle Kinder des Landes bis zum ach- wo im Tal Palmen und Zypressen wach­ ten Schuljahr gemeinsam zu beschulen seien. sen, während auf den Berggipfeln noch der Schnee liegt. Schulreform per Gesetz Kleine Ursache, große Wirkung. Mit einem Wir befinden uns in Südtirol, der nördlichsten Male waren sämtliche Sonderschulen ver- Provinz Italiens. Hier, an der Südseite der schwunden und wurde die Integration aller Alpen, tragen Dörfer und Täler so märchen- behinderten Schülerinnen und Schüler einge- hafte Namen wie Wolkenstein oder Pustertal. führt (wie gesagt, der Begriff Inklusion war Es sind jedoch nicht Hänsel und Gretel, die in noch nicht etabliert). Bildungspolitischer dem Tisch liegen, den sie umsetzen mussten. Bereich Integration auszeichnen. Sie unterstüt- diesem Bergpanorama zur Schule gehen, son- Ausgangspunkt war die Überzeugung, dass Lehrerinnen und Lehrer waren für die inklu- zen zwar in erster Linie die Lehrerteams in dern Kinder wie Anna und Giuseppe. Beide gemeinsames Lernen die beste Voraussetzung sive Form von Schule nicht ausgebildet und den Klassen, in denen Kinder mit Funktions- sind 13 Jahre alt und gehen gemeinsam in die für alle Kinder böte und dass die allgemeine die Schulen waren gefordert, einen in jeder störungen sitzen, stehen aber als Integrations- zweite Klasse einer Meraner Mittelschule – in Schule der beste Förderort dafür sei. Schul­ Hinsicht barrierefreien Zugang für alle Schü- experten auch den übrigen Kindern und Kolle- Deutschland wäre das die siebte Klasse. Auch reform per Gesetz und ohne lange Vorberei- ler zu schaffen – egal ob geistig oder körper- gen zur Verfügung. die Grundschule haben sie schon zusammen tungen oder umfassende Bildungsdebatte. lich behindert, ob mit Problemen im Sozialver- besucht. Fünf Jahre lang. Fünf Jahre derselbe Ist dies in Zeiten von durch Volksentscheid halten oder mit anderen Einschränkungen in Keine homogenen Wissensstände Schulweg und fünf Jahre dieselbe Klasse. gekippte Schulreformen ein durchaus diskus- der persönlichen Lernfähigkeit.“ Die bedarfsgerechte personelle Ausstattung Nichts Ungewöhnliches. Schließlich sind sie sionswürdiger Weg, brachte der italienische von Schulen ist nur ein Teil der Rahmenbe­ auch in derselben Nachbarschaft aufgewach- Bildungswandel fundamentale Änderungen Anrecht auf Unterstützung dingungen, die eine erfolgreiche „Schule für sen. So weit, so gut. mit sich: allem voran die freie Schulwahl und Das war Ende der 70er Jahre. Nun ist 2010, alle“ in Südtirol ermöglicht haben. Natürlich den freien Regelschulzugang für alle Kinder. und Anna und Giuseppe merken von den brauchte es Zeit und Mühe, und über die Alles normal? Eltern hatten ab sofort das Recht, ihre Kinder vielen Schwierigkeiten der Anfangsjahre ihrer Jahre hat sich ein umfassendes Unterstüt- Anna wurde mit Down-Syndrom geboren. auf die Grund- und Mittelschulen zu schicken, inklusiven Schule nichts mehr. Inklusive zungssystem entwickelt, wurden die notwendi- Giuseppe ist „normal“. Normal – das wäre die in ihrem Einzugsgebiet lagen. Kinder mit Schule ist selbstverständlich geworden, sei es gen strukturellen Voraussetzungen geschaffen, zumindest der klassische Terminus, würde geistigen oder körperlichen Beeinträchtigun- für Schüler, Eltern oder Lehrer. Von den Letz- sind finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt man gängige Integrationsmaßstäbe ansetzen. gen durften von den Schulen nicht mehr abge- teren kümmern sich heute in einem Teil der worden und hat die italienische Regierung Im Grunde bedeutet normal aber nichts ande- wiesen werden. Bereits seit 1987 gelten diese Stunden zwei Lehrkräfte um die insgesamt den gesetzlichen Rahmen noch präziser auf res, als dass der Junge italienischer Abstam- Vorgaben auch für die Oberschulen. Im selben 20 Kinder in der 7a. Nicht nur wegen Anna. ein inklusives Bildungssystem ausgerichtet. mung ein Kind ohne geistige oder körperliche Jahr belegten die Südtiroler Schulen im inter- Denn neben Anna hat noch ein weiteres Kind Mit Blick auf jedes einzelne Kind und seine Einschränkungen ist. In Südtirol bedeutet es, nationalen Bildungsvergleich zusammen mit aufgrund seiner körperlichen und geistigen individuellen Fähigkeiten, Bedürfnisse und dass Anna und Giuseppe einfach nur Kinder Finnland einen der PISA-Spitzenplätze. Ein- Behinderungen eine sogenannte Funktions­ Ansprüche existieren heute für den Unterricht sind. Denn „normal“ und „unnormal“ gibt es fach märchenhaft ... diagnose erhalten. „nur noch“ Rahmenrichtlinien, die durch die bei der Betrachtung von Kindern und Jugend- Oder nicht? Schließlich sind Märchen ja Eine solche Diagnose wird vor der Einschu- Schulbehörde vorgegeben werden. Es geht lichen nicht – weder in Südtirol noch in den nicht das Paradies. Sie zeichnen sich nicht lung vom Gesundheitsamt erstellt und gibt nicht mehr darum, vorgegebene Lehrpläne übrigen Provinzen Italiens. Kinder sind Kinder dadurch aus, dass sie völlig problembefreit Anna und ihrem stark körperbehinderten Mit- inhaltlich eins zu eins abzuarbeiten oder in schüler Florian ein Anrecht darauf, sämtliche einer Klasse homogene Wissensstände herzu- Unterstützungs- und Individualisierungsmaß- stellen. Viel wichtiger als der reine Wissens­ Denn „normal“ und „unnormal“ gibt es bei der nahmen zu nutzen, die ihnen erfolgreiches transfer ist die Entwicklung von Fähigkeiten Lernen ermöglichen. Dazu gehört auch, dass und Kompetenzen. Anna und Giuseppe haben Betrachtung von Kindern und Jugendlichen nicht. ein zusätzlicher Mitarbeiter für Integration zwar unterschiedliche Lernvoraussetzungen. Florian bei alltäglichen Dingen wie Essen Beide Kinder können aber so gefördert und oder Anziehen zur Seite steht. gefordert werden, dass sie – für ihre jeweili- und Jugendliche sind Jugendliche. Was sie ver- wären. Im Gegenteil: Beim Durchqueren frem- Dann gibt es noch Matthias und Alexander. gen Verhältnisse – gleich große Lernerfolge eint, ist der Umstand, dass sie alle voneinan- der Königreiche und unbekannter Zauberwäl- Diese beiden Jungen haben aufgrund von und Lernerlebnisse haben. Und genau das der verschieden sind – eben mit ganz eigenen der werden ihre Protagonisten vor durchaus Schwierigkeiten im sozialen Bereich keine wird in ihren individuellen Erziehungsplänen Fähigkeiten, Ansprüchen und Bedürfnissen. anspruchsvolle Aufgaben und Herausforderun- Funktionsdiagnose, sondern eine Funktionsbe- festgehalten, die sie die gesamte Schullauf- Ein solch wertungsfreier Blick auf den gen gestellt, die es zu bewältigen gilt. So auch schreibung erhalten. Ein Sozialpädagoge sorgt bahn begleiten. Menschen ist der Kern von Inklusion. Es wird die Situation in Südtirol nach der strukturell zusammen mit den Lehrern dafür, dass sie Ein zusätzliches funktionelles Entwick- von vorneherein nicht klassifiziert, sortiert und inhaltlich tief greifenden Schulreform. durch individuelle pädagogische Maßnahmen lungsprofil ermöglicht einen kompetenzorien- oder separiert. Dann muss im Nachhinein „Italiens Schulen waren natürlich auf die besonders gefördert werden. Vervollständigt tierten Blick auf den Entwicklungs- und Leis- auch nicht mühevoll wieder integriert werden. zahlreichen und umfassenden Veränderungen wird das Fachkräfteteam an der Meraner Mit- tungsstand der einzelnen Schüler. Das Profil Mit diesem Ansatz hat sich Italien bereits vor nicht vorbereitet“, sagt Dr. Edith Brugger- telschule schließlich durch die sogenannten dient besonders den Übergängen vom Kinder- über 30 Jahren auf den Weg zum inklusiven Paggi, die über 20 Jahre die Reform als Dezer- Integrationslehrpersonen. Das sind Lehrkräfte, garten in die Grundschule, zwischen den Bildungssystem gemacht; lange bevor der nentin maßgeblich gestaltet hat. „Die Schullei- die sich durch eine ans Lehramtsstudium einzelnen Schulstufen oder auf dem Weg in Begriff Inklusion überhaupt Eingang in die tungen hatten einen politischen Beschluss auf anschließende zweijährige Spezialisierung im die berufliche Ausbildung. Anna und Giuseppe
  • 5. PodiumSchule 1.10 |5 „Eine inklusive Schule gelingt nur gemeinsam“ Interview mit Wilfried Steinert W as waren die Beweggründe, die zum Thema integrative Grundschule oder Waldhofschule von einer Förderschule gemeinsames Lernen gemacht haben. Stattdes- zu einer inklusiven Ganztagsschule sen haben wir darüber diskutiert, ob Hausauf- umzugestalten? gaben notwendig sind, wie eine sinnvolle Leis- Ausgangspunkt war das Anliegen der Stepha- tungsbewertung in der Schule aussehen kann nus-Stiftung, der Trägerin der Schule, die oder wie eine gute Ganztagsschule aufgebaut Son­ erpädagogik aus ihrem Nischendasein d sein muss. Als wir nach einem Jahr der inten- herauszuholen. Dafür suchte sie 2002 eine siven Bildungsdiskussion das integrative neue Schulleitung, die mit vielen Freiheiten Schulkonzept der Waldhofschule vorgestellt ausgestattet werden und die Waldhofschule haben, da haben Eltern ihre Kinder gar nicht entwickeln sollte. so sehr wegen der Behinderten bei uns Dass wir auf eine integrative Grundschule an­ emeldet, sondern wegen des überzeugen- g hingearbeitet haben – den Begriff der Inklu- den und zukunftsweisenden Gesamtkonzep- sion gab es noch nicht – hing auch mit unse- tes. Dazu gehörten neben dem gemeinsamen, ren eigenen negativen Integrationserfahrun- hand­ungsorientierten Lernen die rhythmi- l gen zusammen. Vor der Schule für alle gab es sierte Ganztagsschule, relativ kleine Klassen die Einzelintegration. Im Rahmen dieser Maß- mit maximal 18 Schülern, Teamteaching mit nahme sind einzelne geistig behinderte Kinder immer zwei Lehrern in einer Klasse, keine in Regelschulklassen gegangen. Von denen Hausaufgaben usw. haben wir aber viele zwischen der dritten und fünften Klasse wieder zurückbekommen, weil Wie ist die Waldhofschule mit Blick auf Schüler die normale Grundschule ihnen nicht mehr und Personal aufgebaut? gerecht werden konnte. Es fehlte nicht nur Zurzeit lernen bei uns etwa 130 Schülerinnen eine ausreichende fachliche Betreuung, son- und Schüler in sechs Jahrgängen und etwa dern die Kinder machten auch eher die Erfah- zwei Klassen pro Jahrgang. Für jede Klasse ist rung von Segregation statt Integration. Das ein Pädagogenteam zuständig, das aus einer hat dazu geführt, dass sie nach ihrer Rück- sonderpädagogischen Lehrkraft, einer Grund- kehr an die Waldhofschule zusätzliche Verhal- schullehrerin und einer pädagogischen Fach- Die bedarfsgerechte personelle tensauffälligkeiten zeigten, vor allem aggres­ sives Verhalten. kraft besteht. Etwa die Hälfte der Kinder einer Klasse hat einen diagnostizierten Förderbe- Ausstattung von Schulen ist nur War es der „bessere“ Weg, eine Förderschule darf. Das Schülerspektrum reicht dabei von schwerst mehrfach Behinderten bis hin zum ein Teil der Rahmenbedingungen, zu einer Integrationsschule umzugestalten oder hätte es auch genauso mit einer Regelschule hochbegabten Kind. die eine erfolgreiche „Schule für alle“ klappen können? Der Vorteil an der Förderschule ist natürlich Wie gehen Sie mit dieser Vielfalt im Unterricht konkret um? in Südtirol ermöglicht haben. der, dass hier schon die pädagogische Kompe- tenz dafür vorhanden ist, Schüler mit ihren Zunächst mal besteht eine wesentliche Grund- lage des Unterrichtes darin, voneinander zu Besonderheiten individuell zu betrachten. Wer lernen. In den ersten zwei Schuljahren legen sich mit einem geistig oder schwerst mehrfach wir bei den Schülern die Basis dafür. In profitieren schließlich in ihrer gesamten Schullaufbahn von differenzierten Lernwegen, differenzierten Bewertungen und differen­ Zunächst mal besteht eine wesentliche Grundlage zierten Prüfungen. Beide können im Fach Mathematik die gleiche Note erreichen und des Unterrichtes darin, voneinander zu lernen. beide können nach der Mittelschule einen Abschluss machen – ohne dass darin an irgendeiner Stelle erkennbar wäre, dass Anna behinderten Kind auseinandersetzen muss, Klasse eins und zwei lernen sie, wie man behindert ist. der hat einen ganz anderen Blick auf den gemeinsam lernt. Diese Fähigkeit können die Einzelnen, seine Beeinträchtigungen, seine Lehrer dann unmittelbar im Unterricht auf­ Zauberformel für erfolgreiche Inklusion Ansprüche und seine Stärken. Das ist der eine nehmen und schauen, wer sich für welches Inklusive Schule kann also gelingen. Fragt Vorteil. Der andere ist, dass ein Förderschul- Thema als Tutor eignet. Dafür müssen sie man vor diesem Hintergrund dann doch nach lehrer mit diesem besonderen Blick natürlich aber zunächst die Stärken und Schwächen einer möglichen Zauberformel, die inklusive auch die Regelschüler betrachtet. Er erkennt der Einzelnen erkennen. Schule so lebbar und alltäglich macht wie in auch hier viel leichter und schneller die indi- Es ist dabei übrigens nicht so, dass Kinder Südtirol, dann gibt es – jenseits gesetzlicher viduellen Besonderheiten des Kindes. Also mit individuellem Förderbedarf ständig von Verordnungen, zu schaffender Strukturen oder war es für uns naheliegend, die Regelschul- Kindern ohne Beeinträchtigung angeleitet wer- fachlicher Fortbildungen – etwas, was es mit kinder zu uns an die Waldhofschule zu holen. den. Das ist auch so ein Mythos. Gerade bei Sicherheit braucht: Es ist die notwendige per- praktischen Aufgaben zeigen sich Kinder mit sönliche und gesellschaftliche Haltung. Im Gab es nicht starke Vorbehalte vonseiten der Behinderungen zum Teil viel pfiffiger und ein- heutigen bundesdeutschen Schulalltag ist es Eltern, ihre „normalen“ Kinder auf eine Integra- fallsreicher als Regelschüler, die vielleicht vielleicht noch nicht normal, dass Kinder mit tionsschule zu schicken? schon lesen können. und ohne Förderbedarf gemeinsam lernen. Ja, aber es sind eben auch nur Vorurteile, Wir haben eine wissenschaftliche Begleit- Das stimmt. Es ist im heutigen bundesdeut- die da in erster Linie heißen: Die Behinderten studie laufen, die uns seit unseren Anfängen schen Schulalltag aber auch nicht normal, behindern das Lernen. Wir waren uns dessen begleitet. Die hat unter anderem festgestellt, Schüler zu schlagen – was in den 70er Jahren natürlich bewusst und haben deshalb auch dass an der Waldhofschule kein Kind glaubt, sowohl gesellschaftlich wie gesetzlich noch erst mal ein Jahr lang intensive Öffentlich- dass es grundsätzlich für Schule oder das legitimiert war. Schule entwickelt sich also. keitsarbeit gemacht. Dazu gehörten monat- Erlernen bestimmter Dinge zu doof sei. Das Genauso wie Gesellschaft. Genauso wie jeder liche Bildungsveranstaltungen in der Stadt ist ein scheinbar banaler Aspekt, der aber in Einzelne von uns. Was für ein Glück. Und will- und dazu gehörte auch das Glück, dass einer Lernumgebung mit 50 Prozent beein- kommen hinter den Bergen ... unsere örtliche Presse mitgegangen ist und trächtigten Kindern ungeheuer wichtig ist. Die kontinuierlich über die Bildungsdiskussion Kinder aus der Einzelintegration zu Zeiten der berichtet hat. reinen Förderschule waren teilweise hoch frus- Das Besondere war aber, dass wir unsere triert und demotiviert. Das gibt es bei uns einzelnen Bildungsveranstaltungen gar nicht nicht.
  • 6. 6 | PodiumSchule 1.10 Wie haben die Regelschullehrer an Ihrer Schule schieht kein gemeinsames Lernen und dann Deshalb stehen am Anfang im besten Fall Professor Ulf Preuss-Lausitz gelernt, mit der Unterschiedlichkeit der Kinder profitiert weder die Klasse noch der Regel- Hospitationen: allen voran durch die Schul- hält Inklusion für machbar. umzugehen? schullehrer von der fachlichen Kompetenz der leitung, die dieses Thema schließlich für die Die Fachlehrer von der Grundschule hatten Sonderpädagogen. Alle Lehrer sind für alle eigene Schule umsetzen will, und dann natür- natürlich zunächst einen schwierigeren Weg Schüler gemeinsam zuständig. lich durch die anderen Lehrer. Hospitationen zu beschreiten als die Sonderpädagogen. geben nicht nur eine Vorstellung vom inklu­ Als Erstes muss ein grundlegendes Verständ- Wie wichtig ist die Haltung eines Lehrers siven Schulalltag, sie ermöglichen auch den nis dahingehend hergestellt werden, dass in in Bezug auf Inklusion? direkten Kontakt und Austausch zu Kollegen jeder Hinsicht kooperativ gearbeitet wird. Das Schlimmste, was einem förderbedürftigen mit Inklusionserfahrung. Im zweiten Schritt Inklusive Schule heißt nicht, dass die Regel- Kind im inkludierten Unterricht passieren muss schulintern diskutiert werden, welche schullehrer sich um die Kinder ohne Förder­ kann, ist, dass es zwar gemeinsam mit den Voraussetzungen für Inklusion es bereits an bedarf kümmern und die Sonderpädagogen anderen Schülern lernt, es von diesen aber als der eigenen Schule gibt. Was bedeutet Inklu- um die Be­ inderten. Inklusive Schule gelingt h dummes oder unfähiges Kind angesehen und sion für die eigene Schule? Welche Haltung nur gemeinsam. Dafür haben wir uns dann ausgegrenzt wird. Ob so etwas geschieht oder braucht Inklusion? In welcher Form und mit auch am An­ ang zusammen hingesetzt und f nicht, hat ursächlich mit der Haltung zu tun, welchen Schritten kann Inklusion an der eige- daran gear­ eitet, wie ein gemeinsamer Unter- b die der jeweilige Klassenlehrer an den Tag nen Schule umgesetzt und entwickelt werden? richt aussehen muss. Das war ein durchaus legt. Wenn ein behindertes Kind von einem schweres Stück Arbeit. Aber daraus hat sich Fachlehrer als Belastung empfunden wird, Die Waldhofschule hatte ihre Experten mit unter anderem entwickelt, dass es an der dann überträgt sich diese Einstellung – ob er Inklusionsblick ja von Anfang an schon an Bord. Waldhofschule nur noch 20 bis 30 Prozent will oder nicht – auch auf die Schüler. Auf Wer aber begleitet eine Regelschule auf dem Frontalunterricht gibt. Die übrige Zeit wird diese Weise entsteht Separation. Weg zur inklusiven Schule? Wer schaut im Schul- als Lernlandschaft gestaltet, die gemeinsam alltag auf die Umsetzung und erkennt, wenn es vom Pädagogenteam entwickelt und umge- Welche Schritte sind entscheidend, wenn irgendwo hakt? setzt wird. eine Schule sich nun zu einer inklusiven Schule Im Moment eigentlich keiner. Für die Zukunft Schließlich muss auch klar sein, dass die entwickeln will? Womit fängt man an? brauchen wir im Prinzip Inklusions-Coaches, entscheidenden Ressourcen einer inklusiven Der erste Schritt auf dem Weg zur inklusiven die von speziellen Schulentwicklungsagentu- Schule nicht genutzt werden, wenn man die Schule heißt Information. Sie müssen wissen, ren kommen und die die Schulen auf ihrem Sonderpädagogen mit den förderbedürftigen was inklusive Schule wirklich bedeutet und Weg zur „Schule für alle“ begleiten. Es ist eh Kindern in den Nebenraum schickt. Dann ge- wie inklusive Schule in der Praxis aussieht. noch ein weiter Weg, unsere Schulen so zu entwickeln, dass sie gemäß der UN-Behinder- tenrechtskonvention allen Kindern offenste- Die größte Herausforderung auf dem Weg zur hen. Da können wir es uns nicht leisten, dass jede Schule auch die Fehler der anderen inklusiven Schule besteht meines Erachtens darin, macht und in die gleichen Sackgassen läuft. Wir brauchen also qualifiziertes Personal, das den inklusiven Ansatz auch konsequent umzuset- hier relativ zeitnah beratend und begleitend zum Einsatz kommt. zen. Er darf nicht in Teilen zurückgenommen und Welchen besonderen Herausforderungen sind Sie damit im Ganzen verwässert werden. auf dem Weg zur inklusiven Schule begegnet? Es gab manchmal sehr unerwartete, aus der Praxis entspringende Hürden, die wir zu bewältigen hatten. So wollten am Anfang die Fachkollegen in den Bereichen Mathematik und Deutsch plötzlich, dass wir in der dritten Klasse doch wieder zum differenzierten Unter- richt zurückkehren. Es wurde diskutiert, ob man die beiden Parallelklassen des Jahrgangs nicht in drei Niveaustufen unterteilen könne: stark, mittel und schwach. Wir haben dieses Modell dann auch ver- sucht, aber nach einem halben Jahr schnell wieder abgebrochen. Es hatte sich nämlich gezeigt, dass die Leistungen in allen drei Grup- pen gesunken waren. Besonders bei den guten Schülern ist die Situation entstanden, dass es im direkten Konkurrenzkampf nur noch darum ging, wer besser war. Den Schwächeren fehl- ten mit den leistungsstärkeren Schülern schließlich die Motivatoren und Tutoren. Die größte Herausforderung auf dem Weg zur inklusiven Schule besteht meines Erach- tens darin, den inklusiven Ansatz auch kon­ sequent umzusetzen. Er darf nicht in Teilen zurückgenommen und damit im Ganzen ver- wässert werden. Wer über Jahre oder Jahr- zehnte differenzierten Unterricht gemacht hat, neigt natürlich schneller dazu, Erprobtes wie- der einzusetzen. Ich erkläre aber im Gespräch mit Kollegen immer wieder, dass ein förderbe- dürftiges Kind vielleicht eine bestimmte Multi- plikationsaufgabe nicht lösen kann. Aber es kann das Prinzip der Multiplikation und das Prinzip von Teilmengen verstehen. Ich muss mich als Lehrer dann halt nur mit dem Kind hinsetzen und mit ein paar farbigen Magneten dieses Prinzip darstellen. Wilfried Steinert, ehemaliger Schulleiter der Waldhof­ schule Templin, setzt sich seit langem für gemeinsa­ Kontakt: Wilfried W. Steinert mes Lernen ein. W.W.Steinert@t-online.de
  • 7. PodiumSchule 1.10 |7 „Wir dürfen nicht so tun, als hätten wir in Regelschulen keine Heterogenität“ Interview mit Professor Ulf Preuss-Lausitz Ich halte es für ganz wichtig, dass mit der Sozialarbeiter, Sonderpädagogen und auch die Schulleitung sollten sich in die gleichen Fort- inklusiven Schule auch die Schulentwicklung bildungen begeben, um hier eine gemeinsame Basis zu haben. inklusiv wird. Ist die derzeitige Lehrerausbildung ausreichend, um angemessen auf die inklusive Schule vorzu- Gerade wenn man auf die Sinnes- und Kör- lehrer von Integrationskräften, Sozialarbeitern, bereiten? perbehinderten schaut: Für sie ergibt sich Sonderpädagogen, Ergotherapeuten oder auch Die Antwort lautet ganz klar: Nein. In der im bestehenden Förderschulsystem ja so gut Psychologen in ihrer Arbeit unterstützt wür- Grundausbildung, also im Bereich Bachelor/ wie gar nicht die Möglichkeit, einen Abschluss den. Wir dürfen nicht so tun, als hätten wir Master, brauchen wir dringend ein Pflichtmo- zu machen. Hier müssen einfach bessere im Regelschulsystem keine Heterogenität. dul zum Thema Heterogenität und Inklusion. Bildungsmöglichkeiten geschaffen werden. Jeder Lehrer muss schon heute jeden Tag mit Dieses Modul muss dann auch Punkte wie Schülern umgehen, die aus den unterschied- Kooperationsfähigkeit und Teamwork beinhal- Warum ist eine inklusive Schule überhaupt lichsten sozialen und/oder kulturellen Milieus ten. Gleiches gilt für die Praxis. Auch im Refe- wünschenswert? stammen. rendariat muss Inklusion so verankert werden, Hilfs- und Förderschulen sind ehemals ins dass sie den Lehrernachwuchs ausreichend Leben gerufen worden, um Kindern mit Muss zukünftig jede Schule barrierefrei sein auf den inklusiven Schulalltag vorbereitet. Be­ inträchtigungen ein „ungestörtes“ Lernen e und sich auf alle Formen der Lernbehinderung Darüber hinaus plädiere ich ganz stark in einem vergleichsweise geschützten Raum einstellen? dafür, dass in einem inklusiven Bildungs­ zu ermöglichen. Man hatte gehofft, dort auch So schön natürlich Barrierefreiheit an jeder system die schulinterne Fortbildung für eine bessere Ausbildungsfähigkeit und Berufs- Schule wäre, zunächst muss man sich einfach das gesamte Lehrpersonal verpflichtend sein vorbereitung zu erreichen. Diese Hoffnung hat mal die Zahlenverhältnisse bewusst machen. muss – ob nun allgemeine Lehrkraft, Sonder- sich aber in keiner Weise erfüllt. Das Thema Von 1.000 Kindern haben vielleicht fünf oder pädagoge oder Schulleitung. W as macht für Sie eine inklusive Schule „Schulabschlüsse an der Förderschule“ ist eine sechs eine Körperbehinderung, die barriere- aus? Katastrophe. Das hat nichts mit den Lehrern freie Zugänge oder besondere Hilfsmittel Welche Bedeutung kommt in diesem Zusammen- Eine inklusive Schule weist zunächst zu tun, die dort eine Sisyphos-Arbeit bewerk- erfordert. Inklusion bedeutet nicht, dass nun hang der Schulleitung zu? einmal keine Schüler aufgrund irgendwelcher stelligen, sondern ist systemisch bedingt. Kolonnen von Rollstuhlfahrern auf die Schulen Eine ganz elementare Bedeutung. Damit individuellen Besonderheiten oder Probleme Wenn ich zehn lernschwache oder verhal- zurollen. Gleiches gilt für geistig behinderte In­ lusion überhaupt gelingt, brauchen wir k ab. Jedes Kind wird aufgenommen und so, tensauffällige Schüler in eine Klasse packe, Kinder; von 1.000 Kindern haben im Durch- gute, inklusionsbereite Schulleiter. Hier steht wie es ist, auch angenommen. Inklusive Schule dann ist der Anregungsgehalt für diese Kinder schnitt sechs eine geistige Behinderung. Hier und fällt ansonsten mit wenigen Personen die wendet sich dem einzelnen Schüler zu, er­­ einfach viel zu gering. Natürlich lernen auch kennt ihn an und fordert ihn entsprechend verhaltensauffällige Kinder voneinander. Aber seiner persönlichen Möglichkeiten und Inter- was sie lernen, das sind dann eben Verhal- Wir dürfen nicht so tun, als hätten wir essen. tensauffälligkeiten. Ein solches Konzept kann Das muss aber mit dem größtmöglichen nicht funktionieren. Auch die Ergebnisse der im Regelschulsystem keine Heterogenität. Anspruch und ernsthaft geschehen – auch bei PISA-Studie haben bestätigt, wie wichtig die Kindern mit Beeinträchtigungen. Es ist keine Zusammensetzung der einzelnen Klasse ist. Inklusion, wenn man für einen Teil der Kinder Die – im Fall der Förderschulen nach Behinde- wird sich also jede Schule individuell auf Inklusionsfähigkeit einer ganzen Schule. Das Kuschelpädagogik betreibt, damit sie beschäf- rungsart – homogenisierten Klassen bieten die Formen der Beeinträchtigung einstellen kann und darf so natürlich nicht sein. Deshalb tigt sind. Inklusion heißt auch nicht, dass ein ungünstiges Lernmilieu ohne ausreichende müssen, die auch tatsächlich in ihrem Ein- muss die Verpflichtung zur Teilnahme an Schule defizitorientiert ständig nur auf vor- Anregung für den Einzelnen. zugsraum vorhanden sind. Inklusionsfortbildungen auch und besonders handene Behinderungen und Beeinträchtigun- für Schulleitungen gelten. gen blickt. Inklusive Schule muss sie zwar Kann es eine Schule wirklich leisten, der Hetero- Welche Rahmenbedingungen und welche sehen und im Blick behalten, aber sie muss genität aller Schüler gerecht zu werden? Unterstützung benötigen Schulen vom System, Was glauben Sie: Wie lange wird es dauern, zusätzlich die Stärken, Potenziale und indi­ Zunächst einmal meine ich, dass die Hetero- um inklusiver zu werden? bis Deutschlands Schulsysteme tatsächlich viduellen Talente der Kinder erkennen, ihre genität von Kindern mit Sinnes- und Körper- Ich halte es für ganz wichtig, dass mit der inklusiv sind? Interessen fördern. beeinträchtigungen keine Heterogenität ist, inklusiven Schule auch die Schulentwicklung Das ist natürlich schwer zu beantworten, Das gilt natürlich für alle Schüler. Also die den Unterricht belastet. Diese Formen der inklusiv wird. Bisher ist es so, dass dann, zumal sich Inklusion in Deutschland als Ent- auch für hochbegabte, die für ihre Verhält- Beeinträchtigung stellen das geringste Prob- wenn Integration stattfinden soll, Sonderpäda- wicklungsprozess je nach Bundesland sehr nisse ebenso Förderung brauchen. Und für all lem in einer inklusiven Klasse dar. Dem gogen als ambulante Hilfe in die Schule kom- unterschiedlich darstellt. Damit das Ziel eines diese unterschiedlichen Schüler braucht inklu- gegenüber stehen die Kinder und Jugend- men. Die einzelne Schule braucht aber eine inklusiven Bildungssystems so schnell wie sive Schule eine Pädagogik der Herausforde- lichen, deren Lernentwicklung durch man- Art internes pädagogisches Unterstützungs- möglich erreicht wird, muss der Prozess aber rung und Anerkennung. gelnde soziale Kompetenz, Verhaltensauffällig- zentrum. Hier müssen dauerhaft Sozialarbei- auf jeden Fall auf mehreren Ebenen gleichzei- keiten oder auch mangelnde Sprachkenntnisse ter und Sonderpädagogen verankert sein, die tig starten: Wir brauchen im Klassenzimmer Welche Bedeutung hat inklusive Schule in massiv beeinträchtigt wird. Das hat einen viel in die Schulleitung mit eingebunden sind und einen guten, differenzierten Unterricht mit bildungspolitischer Hinsicht? massiveren Einfluss auf Unterricht. Nur ist die Unterricht mitgestalten oder beraten: seien individueller Förderung; dann eine gute Vom inklusiven Bildungssystem erwarte ich, diese Form der Heterogenität für Regelschulen es Kollegen, Eltern oder Schüler. inklusive Einzelschule mit funktionierendem dass zunächst einmal die sozialen Benachtei- eigentlich nichts Neues. Das sind Beeinträch- schuleigenen Unterstützungssystem und ligungen abgebaut werden, die die immer tigungen, die heute in vielen großstädtischen Welche Aus- und Fortbildung benötigen entsprechender Haltung und schließlich ein wieder gleichen Gruppen im Alltag erfahren. Regelschulklassen Alltag sind und den Unter- Lehrkräfte, um allen Schülern in einer inklusiven regionales Unterstützungsumfeld, das durch Dazu gehören in ihrem Sozialverhalten ge- richt bestimmen. Schule gerecht zu werden? die Haltung der Menschen und Institutionen störte Kinder, körperlich bzw. geistig Behin- Inklusive Schule leistet somit also auch Der konkrete Aus- bzw. Fortbildungsbedarf in der Region den Gedanken der Inklusion derte, Kinder und Jugendliche mit Migrations- einen großen Beitrag für Regelschule. Inklu- richtet sich immer nach den an der jeweiligen weiterträgt und fördert. Zu guter Letzt muss hintergrund oder sozialer Benachteiligung. sive Schule beinhaltet nämlich, dass die Fach- Schule vorhandenen Kindern bzw. Jugend­ natürlich der gesetzliche Rahmen inklusions- lichen und deren Beeinträchtigungen. Als fördernd gestaltet werden. Sprich, hier ist die Physik- oder Mathelehrer weiß ich eben nicht Bildungspolitik auf Landesebene gefordert, Inklusive Schule wendet sich dem einzelnen viel über Autismus mit Asperger Syndrom. die notwendigen Ressourcen zur Verfügung Habe ich aber ein solches Kind für die nächs- zu stellen und gesetzliche Rahmenbedingun- Schüler zu, erkennt ihn an und fordert ihn ten Jahre an der Schule zu betreuen, dann gen zu schaffen. ergibt es Sinn, sich hier fortzubilden. entsprechend seiner persönlichen Möglichkeiten In jedem Fall plädiere ich aber für eine gemeinsame Fortbildung von Regelschulleh- Kontakt: Prof. Dr. Ulf Preuss-Lausitz und Interessen. rern und ihren Förderschulkollegen. Lehrer, ulf.preuss-lausitz@mailbox.tu-berlin.de
  • 8. 8 | PodiumSchule 1.10 Jakob Muth-Preis Unter dem Motto „Gemeinsam lernen – mit und ohne Behinderung“ zeichnet der „Jakob Muth-Preis für inklusive Schule“ seit 2009 Schulen aus, die behinderte und nicht behinderte Kinder vorbildlich zusammen unterrichten. Projektträger sind der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Hubert Hüppe, die Deutsche UNESCO-Kommission und die Bertelsmann Stiftung. Mit der Auszeichnung, die mit je 3.000 Euro dotiert ist, wollen die Projektträger posi- tive Beispiele für gemeinsamen Unterricht bekannt machen und zur Nachahmung anregen. Bewerben kann sich jede Schule, die sich auf dem Weg zur inklusiven Schule befindet: ob Förder- oder Regelschule, Grund- oder weiterführende Schule, Schule in öffentlicher oder privater Trägerschaft. Der Preis ist nach einem Vorkämpfer und Wegbereiter des gemeinsamen Lernens von behinderten und nicht behinderten Kindern benannt, dem Pädagogen Jakob Muth (1927–1993). Ausführliche Porträts der diesjährigen drei Preisträgerschulen befinden sich in der aktuellen Ausgabe dieser Zeitung. Kontakt: Ulrich Kober | ulrich.kober@bertelsmann-stiftung.de | http://www.jakobmuthpreis.de Lernen mit Kopf, Herz und Hand Die Montessori-Gesamtschule Borken fördert nach ganzheitlichem Konzept Auf dem Bauernhof herrscht heute drin. Lernen fürs Leben. „Lernen fürs Leben“ planung: „Und darauf versuchen wir zu rea- reges Treiben. Eine Gruppe Jugendlicher – dieser Satz wird in Borken ohnehin großge- gieren mit dem Unterricht.“ Aufbauend auf mistet den Stall aus, andere Kinder schrieben. Die Montessori-Gesamtschule ist der Eingangsdiagnose werden für jeden Schü- versuchen sich im Hühnerrupfen oder eine inklusive Schule, die großen Wert auf die ler konkrete Lernziele formuliert und Lern­ arbeiten im Gemüsebeet. Rufe und Entwicklung sozialer Kompetenzen legt. Über fortschritte regelmäßig evaluiert. Das setzt Gelächter tönen aus jeder Ecke. Hier 150 Schülerinnen und Schüler lernen hier jedoch voraus, dass sich die Lehrkräfte regel- im münsterländischen Borken ist es ein gemeinsam von der 5. bis zur 10. Klasse. mäßig austauschen. Erfolgreiches Teamwork Morgen wie jeder andere. Aus der nahe Etwa 20 Prozent haben sonderpädagogischen ist deshalb für das Kollegium der Borkener gelegenen Montessori-Gesamtschule Förderbedarf. Der im Schul­ onzept verankerte k Montessori-Gesamtschule eine zentrale ist wieder eine Klasse rübergekommen, inklusive Ansatz gründet sich in der Mon­ Arbeitsgrundlage. Hinzu kommen zeitgemäße um „ihren“ Schulbauernhof zu bewirt­ tessori-Pädagogik. Diese fordert eine Lern­ - Unterrichtskonzepte wie Binnendifferenzie- schaften. um­ ebung, die jedes Kind bestärkt und för- g rung, Wochenplanarbeit, heterogene Lern­ dert – unabhängig von seinem körperlichen gruppen und bis zur 8. Klasse halbjährliche Was inmitten von Äckern und Feldern pas- und geistigen Entwicklungsstand. Somit Lernberichte statt Ziffernnoten. In der Summe siert, ist das gelebte Motto der Montessori- gehört es seit Gründung im Jahr 1989 zum sorgen sie dafür, dass die Schule ein hohes Gesamtschule – Lernen mit Kopf, Herz und Selbstverständnis der Borkener Montessori- Hand. Michaela Müller, Lehrerin für Naturwis- Gesamtschule, alle Kinder und Jugend­ichen l senschaft und Arbeitslehre, betont den prakti- individuell zu fördern und zum selbstständi- „Wir Lehrer verstehen schen Aspekt ihres Unterrichts: „Da lernen die gen Lernen anzuleiten. Ein Konzept, das es Kinder wirklich sehr viel mehr, als wenn wir von Anfang an leicht machte, auch behinderte uns vor allem als theoretisch aus dem Buch arbeiten.“ Mit der Schüler mit einzubeziehen. Schubkarre wird beispielsweise das alte Stroh Was kann ein Schüler? Wo sind seine Inter- Berater und Begleiter aus dem Stall zum Beet transportiert und dort essen und was kann er überhaupt schaffen? als Dünger weiterverwertet. Der Kreislauf der Diese Fragen stehen für Schulleiter Hartmuth von Lernwegen.“ Natur – und die Montessori-Schüler mitten- Schlüter-Müller am Beginn jeder Unterrichts- Leistungsniveau erreicht: Bei den Lernstands- erhebungen in Nordrhein-Westfalen konnte sie bereits mehrfach mit hervorragenden Ergeb- nissen aufwarten. Wichtig ist auch das Selbstverständnis der Pädagogen. „Wir Lehrer verstehen uns vor allem als Berater und Begleiter von Lernwe- gen“, erklärt Sonderpädagoge Hans-Werner Bick, zuständig für das Fach Mathematik. Ihm und den anderen Lehrkräften ist wichtig, dass alle Schüler in der Klasse möglichst am glei- chen Gegenstand arbeiten – wenn auch auf unterschiedlichen Ebenen, entsprechend der individuellen Fähigkeiten. So vermittelt der Bau eines Atommodells im Chemieunterricht einem Teil der Kinder neues Wissen über Ele- mente und Naturgesetze. Ein anderer Teil wird allein durch die praktische Arbeit am Modell motorisch gefordert und gefördert. Letztendlich arbeiten aber alle mit dem gleichen Material. Auch nach dem Unterricht gibt es zahlreiche