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Täter Opfer, Jedermann?
'DDR-Zeitzeugen´ im Spannungsfeld von Aufarbeitung,
Historisierung und Geschichtsvermittlung

Tagungsveranstalter: ZEITPFEIL
Potsdam 14.-15.02.2013
                                   Dr. Stefan Trobisch-Lütge
                                  Beratungsstelle Gegenwind,
                                                       Berlin
Übersicht
1. Zur psychosozialen Situation von politisch
 Traumatisierten der SED-Diktatur
2. Kommunikation in der Zeitzeugenarbeit
1. Zur psychosozialen Situation von politisch
Traumatisierten der SED-Diktatur
Psychische Krankheit nach Verfolgung
Traumatischer Stress und Strukturniveau
Emotionales Gedächtnis
Prozess und Folge traumatischer Erfahrung
Unterscheidung zwischen
   Prozess der Traumatisierung
   traumatischem Zustand
   bleibenden pathologische Veränderungen
  Beurteilung durch:

  Zeugenschaft
    Posttraumatischer Raum: z.B. gesellschaftlicher
    Diskurs über historische Wahrheit traumatischen
    Geschehens
  (Kriegskinder des 2 .Wk.– derzeit Echtzeit
    generationalen Narrativs – fehlt bei 1. und 2.
    Generation SED-Opfer)
Psychische Krankheit nach Verfolgung in der
                DDR/SBZ
  Geringe Krankheitseinsicht (Opfer einer Diktatur)
  PTSD, häufig chronifiziert
  complex PTSD vs. Persönlichkeitsänderung nach
   Extrembelastung
  Depression
  Psychosomatische Erkrankungen
  Angsterkrankungen
  „Verbitterungsstörung“
Affektives Beziehungsverhalten bei
Menschen mit PTBS
 Zentrales Merkmal der psychischen Langzeitfolgen von PTBS:
  gestörtes emotionales Verhalten und Erleben
 Maladaptive Prozesse von Beziehungsmustern („emotional
  numbing“) Einschränkung der Bandbreite der Affekte
 Angst, Reizbarkeit und vor allem mimisch nachweisbare Hinweise
  von Ärger überproportional stark
 Signal an die Außenwelt (Familie, Kinder etc.): Rückzug -
  Impulsdurchbrüche
 Analogie zur Distanzierung von traumatisierenden Erlebnissen
  (Flashbacks), Ängste (Phobische Vermeidung), vegetative
  Begleitsymptome
Psychodynamik bei Verfolgung und
Traumatisierung
Hohes Misstrauen
Scham-Verrat
  z.B. traumatische Regression – Ich-Funktionen
   werden dem Täter unterstellt
Groll, Rache, Ressentiment
  Abwehr von Scham, Verlust, Ohnmacht
  Rache als Bindung an das Objekt
Nicht vergessen können
Schwierigkeiten zu vergessen und
     retraumatisierende Einflüsse

Opfer zweiter Klasse
Ostalgie „doppelte Demütigung“
Keine gesellschaftliche Anerkennung
Stigmatisierung durch Haft und Erkrankung
Vergleiche mit „Wendegewinnern“
Konkurrierende Erinnerungskulturen
Formen traumatischer Erinnerung


Politisch Traumatisierte sind mit
  unterschiedlichen traumatische Erinnerungen
  konfrontiert:
    im „emotionalen Gedächtnis“ als implizite Inhalte, die
     sich auf die erinnerte Erregung beziehen
    (Erinnerungscodierung nach überstarken Affekten)
   als explizite Inhalte im autobiographischen Gedächtnis,
     Umschreibung von Gedächtnisspuren,
     Vergangenheitsumschreibung
    (Codierung in narrativer, symbolischer Form)
Emotionale Erinnerung
Auslösereiz
Autonome Reaktion
Emotion
Physiologische Begleiterscheinung
Kognitive Einordnung (Bewertung)
Psychotraumatologie
Konfrontation vs. Stabilisierung
Ziel: Integration traumatischer Erfahrungen in die
 Lebensgeschichte
Vermeidung von unbeabsichtigter Traumaexposition
Faktoren der Verarbeitung

Subjektive Risikofaktoren
  Grad des Kontroll-Levels
  Qualität der Täterbindung
  Alter zum Zeitpunkt der Verfolgung
  Individuelles Strukturniveau
  Niveau, Ausprägung von Copingstrategien
Strukturniveau und Umgang mit traumatischem Stress
Strukturniveau      Gut integrierter         Gering integrierter
                    Umgang mit Stress        Umgang mit Stress
Allgemeine          Erhaltung von            Fähigkeit zur
Charakteristika     Autonomie und            Selbststeuerung gering,
                    Beziehungsfähigkeit      Reduzierte
                                             Konfliktfähigkeit
Selbst-             Leitaffekte (Freude,     Leitaffekte (Chronische
wahrnehmung         Angst, Schuld)           Wut, Depression)
                    vorhanden
Selbststeuerung     vorhanden (u.U. leicht   impulsiv,
                    neurotisch               selbstbestrafend-
                    eingeschränkt)           entwertend, fragil
Abwehr              stabil, effektiv         Erfolglos durch
                                             Veränderung Selbst-
                                             /Objektrepräsentanten
Objektwahrnehmung   differenziert            fehlende Empathie
Kommunikation       gute Bereitschaft        Beeinträchtigt
Bindung             längere affektive        Objekte strafend,
2. Kommunikation in der Zeitzeugenarbeit

 Diagnostik, Stabilisierung, Verarbeitung
 Zeitzeugenarbeit mit „Opfer und Tätern“
 Die Beziehung zwischen Interviewer und
  Zeitzeuge
Diagnostik
Schädigungsgrad
Formen der Belastung
 (Entwicklungstraumastörung vs. PTSD)
Erfassung des Schädigungszusammenhangs
Auslöser für Triggerung
Stabilisierungsgrad

Soziale Stabilisierung
  Z.B. Anträge nach SED-Unrechtsbereinigungsgesetz
  Arbeitsfähigkeit
Emotionale Stabilisierung
Familiäre Stabilisierung
  Interner Stasieinfluss
  Verwicklungsgrad Nachkommen
Verarbeitung
Verarbeitungsangebote
  Erinnerungen „heimisch machen“
  Anerkennende Beziehung befördern
  Konstruktive Gruppensituationen schaffen
Traumaexposition
  Besuch Haftanstalt
  Traumatische Situation zur Entlastung bringen
    (Hypno,EMDR)
Individueller Notfallkoffer
  Umgang mit traumatischen Stressoren
Spezifische Zeitzeugenproblematik
DDR-spezifische Konfrontation mit
  Systemträgern
  „Tätern“
  „Mitläufern“


Nachwende-Thematik
  z.B. mangelnde Empathie, Aufmerksamkeit
  schuldgefühlshafte Unterstellung (selten)


Reaktion:
   Belehrung/Bekehrung
   Emotionale Verausgabung/Auslieferung
Die Beziehung zwischen Interviewer und
Zeitzeugen

    Veränderte emotionale Gegebenheit
    Charakteristische Rollenhaltungen und
     Interaktionen
    Schwer entschlüsselbare Sachinformationen
    Versteckte Appelle
    Organisationsstrukturen
Zeitzeugenrolle: Emotionale Komponenten


Überlegenheit
Vertrauen, Hoffnung
Verunsicherung, Angst
Wut, Ärger, Aggression
Widersprüchlichkeit Zeitzeugenrolle




    Alles im Griff!
    Schütz´ mich!
    Ich habe Angst!
    Ich bin sauer!
    Hilf´ mir!
    Lass´mich!
Unterschiedliche Einstellungen/
Rollenhaltung

Zeitzeuge :
  hohe Emotionalität
  Asymmetrie der Kommunikation
  Hilfsappelle
  Angriffe
Interaktionspartner:
  diagnostische Haltung – auch Situation des Besuchers
   im Auge
  Sachlicher, rationaler Umgang
  „Führungsrolle“
  Emotionsmodellierung
Beziehung zwischen Opfern und Tätern
Verfolgte
  Gefühle von totaler Manipulation
  Bindung an Selbstwertkomplexe
  Tendenz zur Erhöhung und Dämonisierung der Täter
Gefahr: Rollenumkehr/-diffusion

Rollendiffusion Zeitzeuge – Interviewer
   Interviewer wird zum Verfolgten
   Zeitzeuge wird zum Verfolger (als Täter oder als Opfer)




Resultat
   Angst
   Rückzug, Flucht
   Ärger/ Aggression
Übertragung traumatischer Erfahrung
auf Mitarbeiter und Besucher
Verführung zur Unachtsamkeit
Konstruktion von Unverbindlichkeit
Aufbau von „Verschworenen-Zirkeln“
Abschreckung
Hilflos machen



   Übernahme von Rollen im imaginären Gerichtssaal
„Imaginärer Gerichtssaal“
Wahrnehmung Verfolgung: Übertragung
       (auch transgenerationaler Aspekt)
Verfolgter                           Besucher, Interviewer ,Mitarbeiter
 Zweifel an eigener Erinnerung               Sensibilisierung für
                                               „Verfolgungswahrheit“
                                              Wahrnehmungsverun-
 Verschweigen
                                               sicherung (Hätte ich
 Verdrängung
                                               (eher) etwas merken
                                               müssen, können?)
 Aufklärungseifer                            Wahrnehmungsverwei-
  (Enantiodromie)                             gerung


                                              Zweifel an Integrität,
 Introjizierte Demütigung                      Infragestellung
Typische Interaktionsprobleme
Gefahr der Überdistanzierung
Emotionale Überflutung
Überidentifikation
Probleme beim „Format-Wechsel“
Täteranteile von „Opfern“ werden ausgeblendet
Narzisstische Helferphantasien
Aufbau destruktiver Zeitzeugen-
Mitarbeiter/Besucher-Kommunikation
 Überidentifikation
   „Ich bewundere Dich!“
 Beschuldigung(Simulationsvorwurf)
   „Dir geht es besser, als Du vorgibst! Du übertreibst! Du sagst die
   Unwahrheit!“
 Entmachtung
     „Ich kann nichts ausrichten!“
 Distanzierung/ Neutralitätslösung
      „Mir ist egal, was passiert ist, ich halte mich ´raus“
 Ängstigung
   „Du könntest Dir etwas antun!“
 Beschämung
   „ Mir geht es gut, ihm/ihr nicht!“

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Sensible Begegnungen: Zeitzeugenarbeit mit politisch Traumatisierten der SED-Diktatur

  • 1. Täter Opfer, Jedermann? 'DDR-Zeitzeugen´ im Spannungsfeld von Aufarbeitung, Historisierung und Geschichtsvermittlung Tagungsveranstalter: ZEITPFEIL Potsdam 14.-15.02.2013 Dr. Stefan Trobisch-Lütge Beratungsstelle Gegenwind, Berlin
  • 2.
  • 3. Übersicht 1. Zur psychosozialen Situation von politisch Traumatisierten der SED-Diktatur 2. Kommunikation in der Zeitzeugenarbeit
  • 4. 1. Zur psychosozialen Situation von politisch Traumatisierten der SED-Diktatur Psychische Krankheit nach Verfolgung Traumatischer Stress und Strukturniveau Emotionales Gedächtnis
  • 5. Prozess und Folge traumatischer Erfahrung Unterscheidung zwischen  Prozess der Traumatisierung  traumatischem Zustand  bleibenden pathologische Veränderungen Beurteilung durch: Zeugenschaft Posttraumatischer Raum: z.B. gesellschaftlicher Diskurs über historische Wahrheit traumatischen Geschehens (Kriegskinder des 2 .Wk.– derzeit Echtzeit generationalen Narrativs – fehlt bei 1. und 2. Generation SED-Opfer)
  • 6. Psychische Krankheit nach Verfolgung in der DDR/SBZ Geringe Krankheitseinsicht (Opfer einer Diktatur) PTSD, häufig chronifiziert complex PTSD vs. Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung Depression Psychosomatische Erkrankungen Angsterkrankungen „Verbitterungsstörung“
  • 7. Affektives Beziehungsverhalten bei Menschen mit PTBS  Zentrales Merkmal der psychischen Langzeitfolgen von PTBS: gestörtes emotionales Verhalten und Erleben  Maladaptive Prozesse von Beziehungsmustern („emotional numbing“) Einschränkung der Bandbreite der Affekte  Angst, Reizbarkeit und vor allem mimisch nachweisbare Hinweise von Ärger überproportional stark  Signal an die Außenwelt (Familie, Kinder etc.): Rückzug - Impulsdurchbrüche  Analogie zur Distanzierung von traumatisierenden Erlebnissen (Flashbacks), Ängste (Phobische Vermeidung), vegetative Begleitsymptome
  • 8. Psychodynamik bei Verfolgung und Traumatisierung Hohes Misstrauen Scham-Verrat z.B. traumatische Regression – Ich-Funktionen werden dem Täter unterstellt Groll, Rache, Ressentiment Abwehr von Scham, Verlust, Ohnmacht Rache als Bindung an das Objekt Nicht vergessen können
  • 9. Schwierigkeiten zu vergessen und retraumatisierende Einflüsse Opfer zweiter Klasse Ostalgie „doppelte Demütigung“ Keine gesellschaftliche Anerkennung Stigmatisierung durch Haft und Erkrankung Vergleiche mit „Wendegewinnern“ Konkurrierende Erinnerungskulturen
  • 10. Formen traumatischer Erinnerung Politisch Traumatisierte sind mit unterschiedlichen traumatische Erinnerungen konfrontiert:  im „emotionalen Gedächtnis“ als implizite Inhalte, die sich auf die erinnerte Erregung beziehen  (Erinnerungscodierung nach überstarken Affekten) als explizite Inhalte im autobiographischen Gedächtnis, Umschreibung von Gedächtnisspuren, Vergangenheitsumschreibung  (Codierung in narrativer, symbolischer Form)
  • 11. Emotionale Erinnerung Auslösereiz Autonome Reaktion Emotion Physiologische Begleiterscheinung Kognitive Einordnung (Bewertung)
  • 12. Psychotraumatologie Konfrontation vs. Stabilisierung Ziel: Integration traumatischer Erfahrungen in die Lebensgeschichte Vermeidung von unbeabsichtigter Traumaexposition
  • 13. Faktoren der Verarbeitung Subjektive Risikofaktoren Grad des Kontroll-Levels Qualität der Täterbindung Alter zum Zeitpunkt der Verfolgung Individuelles Strukturniveau Niveau, Ausprägung von Copingstrategien
  • 14. Strukturniveau und Umgang mit traumatischem Stress Strukturniveau Gut integrierter Gering integrierter Umgang mit Stress Umgang mit Stress Allgemeine Erhaltung von Fähigkeit zur Charakteristika Autonomie und Selbststeuerung gering, Beziehungsfähigkeit Reduzierte Konfliktfähigkeit Selbst- Leitaffekte (Freude, Leitaffekte (Chronische wahrnehmung Angst, Schuld) Wut, Depression) vorhanden Selbststeuerung vorhanden (u.U. leicht impulsiv, neurotisch selbstbestrafend- eingeschränkt) entwertend, fragil Abwehr stabil, effektiv Erfolglos durch Veränderung Selbst- /Objektrepräsentanten Objektwahrnehmung differenziert fehlende Empathie Kommunikation gute Bereitschaft Beeinträchtigt Bindung längere affektive Objekte strafend,
  • 15. 2. Kommunikation in der Zeitzeugenarbeit Diagnostik, Stabilisierung, Verarbeitung Zeitzeugenarbeit mit „Opfer und Tätern“ Die Beziehung zwischen Interviewer und Zeitzeuge
  • 16. Diagnostik Schädigungsgrad Formen der Belastung (Entwicklungstraumastörung vs. PTSD) Erfassung des Schädigungszusammenhangs Auslöser für Triggerung
  • 17. Stabilisierungsgrad Soziale Stabilisierung Z.B. Anträge nach SED-Unrechtsbereinigungsgesetz Arbeitsfähigkeit Emotionale Stabilisierung Familiäre Stabilisierung Interner Stasieinfluss Verwicklungsgrad Nachkommen
  • 18. Verarbeitung Verarbeitungsangebote Erinnerungen „heimisch machen“ Anerkennende Beziehung befördern Konstruktive Gruppensituationen schaffen Traumaexposition Besuch Haftanstalt Traumatische Situation zur Entlastung bringen (Hypno,EMDR) Individueller Notfallkoffer Umgang mit traumatischen Stressoren
  • 19. Spezifische Zeitzeugenproblematik DDR-spezifische Konfrontation mit  Systemträgern  „Tätern“  „Mitläufern“ Nachwende-Thematik  z.B. mangelnde Empathie, Aufmerksamkeit  schuldgefühlshafte Unterstellung (selten) Reaktion:  Belehrung/Bekehrung  Emotionale Verausgabung/Auslieferung
  • 20. Die Beziehung zwischen Interviewer und Zeitzeugen Veränderte emotionale Gegebenheit Charakteristische Rollenhaltungen und Interaktionen Schwer entschlüsselbare Sachinformationen Versteckte Appelle Organisationsstrukturen
  • 21. Zeitzeugenrolle: Emotionale Komponenten Überlegenheit Vertrauen, Hoffnung Verunsicherung, Angst Wut, Ärger, Aggression
  • 22. Widersprüchlichkeit Zeitzeugenrolle Alles im Griff! Schütz´ mich! Ich habe Angst! Ich bin sauer! Hilf´ mir! Lass´mich!
  • 23. Unterschiedliche Einstellungen/ Rollenhaltung Zeitzeuge : hohe Emotionalität Asymmetrie der Kommunikation Hilfsappelle Angriffe Interaktionspartner: diagnostische Haltung – auch Situation des Besuchers im Auge Sachlicher, rationaler Umgang „Führungsrolle“ Emotionsmodellierung
  • 24. Beziehung zwischen Opfern und Tätern Verfolgte Gefühle von totaler Manipulation Bindung an Selbstwertkomplexe Tendenz zur Erhöhung und Dämonisierung der Täter
  • 25. Gefahr: Rollenumkehr/-diffusion Rollendiffusion Zeitzeuge – Interviewer Interviewer wird zum Verfolgten Zeitzeuge wird zum Verfolger (als Täter oder als Opfer) Resultat Angst Rückzug, Flucht Ärger/ Aggression
  • 26. Übertragung traumatischer Erfahrung auf Mitarbeiter und Besucher Verführung zur Unachtsamkeit Konstruktion von Unverbindlichkeit Aufbau von „Verschworenen-Zirkeln“ Abschreckung Hilflos machen Übernahme von Rollen im imaginären Gerichtssaal
  • 28. Wahrnehmung Verfolgung: Übertragung (auch transgenerationaler Aspekt) Verfolgter Besucher, Interviewer ,Mitarbeiter  Zweifel an eigener Erinnerung  Sensibilisierung für „Verfolgungswahrheit“  Wahrnehmungsverun-  Verschweigen sicherung (Hätte ich  Verdrängung (eher) etwas merken müssen, können?)  Aufklärungseifer  Wahrnehmungsverwei- (Enantiodromie)  gerung  Zweifel an Integrität,  Introjizierte Demütigung Infragestellung
  • 29. Typische Interaktionsprobleme Gefahr der Überdistanzierung Emotionale Überflutung Überidentifikation Probleme beim „Format-Wechsel“ Täteranteile von „Opfern“ werden ausgeblendet Narzisstische Helferphantasien
  • 30. Aufbau destruktiver Zeitzeugen- Mitarbeiter/Besucher-Kommunikation Überidentifikation „Ich bewundere Dich!“ Beschuldigung(Simulationsvorwurf) „Dir geht es besser, als Du vorgibst! Du übertreibst! Du sagst die Unwahrheit!“ Entmachtung „Ich kann nichts ausrichten!“ Distanzierung/ Neutralitätslösung „Mir ist egal, was passiert ist, ich halte mich ´raus“ Ängstigung „Du könntest Dir etwas antun!“ Beschämung „ Mir geht es gut, ihm/ihr nicht!“