Darwin und H. G. Wells - Evolutionstheorie in der Science Fiction.pdf
1. Summer School „Entwicklung und Evolution als Schlüsselbegriffe
moderner Wissenschaft“ Universität Karlsruhe, 14.-19.09.09
Darwin und H. G .Wells - Evolutionstheorie in der Science Fiction
Abstract
In meinem Referat möchte ich anhand dreier Werke des britischen Science Fiction
Schriftstellers H.G. Wells (The Time Machine, The Island of Dr. Moreau und The War of the
Worlds) aufzeigen, wie das System Literatur den emotionalen Gehalt der Evolutionstheorie
künstlerisch codiert. In der Science Fiction (SF) werden diffuse Hoffnungen und Ängste
literalisiert und Fragen nach Sinn und Moralität des Fortschrittsgedankens, der sich mit dem
Begriff ‚Evolution‘ unmittelbar verbindet, gestellt.
Evolutionstheorie und Science Fiction
Darwins On the Origin of Species und die darin formulierten Ideen
stehen in einer Traditionslinie mit geistesgeschichtlichen
Umwälzungen wie der Kopernikanischen Wende, der Französischen
Revolution, der Geschichtsphilosophie, der Industriellen Revolution
und der um 1830 aufgekommenen Geologie. Sie alle trugen zum
Paradigmenwechsel von christlich-teleologischer zu rational-offener
Weltsicht bei, durch die das heutige Selbstbild und die Positionierung
des Menschen in Raum und Zeit geprägt sind.
Betrachtet man 'Evolution' als Gegenbegriff zu 'Stagnation', wird
deutlich, in welch enger Verbindung Evolutionstheorie und die SF, die ‚literature of change‘,
stehen.
Das Genre SF formierte sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts als künstlerische
Reaktion auf die zahlreichen Umbrüche gesellschaftlicher, technologischer und
wissenschaftlicher Art, in deren Verlauf sich bisher als fest gedachte Größen als dynamisches
Produkt eines ziellosen Spiels unzähliger Faktoren erwiesen. Darwin lieferte mit den
Ausdrücken ‚survival of the fittest‘ und ‚natural selection‘ Begrifflichkeiten, die sich rasch als
zentrale Metaphern für unterschiedliche Entwicklungen ihrer Zeit etablierten. Die
Evolutionstheorie sprengte somit den Rahmen der Biologie und erreichte über die illustrierte
Presse, populärwissenschaftliche Bücher und Science-Fiction-Romane rasch weiteTeile der
Bevölkerung.
H. G .Wells und Darwin
Einer der ersten Autoren, die sich mit den postulierten Erkenntnissen
Darwins auseinandersetzten, war der britische SF-Schriftsteller H.G.
Wells. In vielen seiner Werke spielt er die damals wie heute heiß
diskutierte Thematik unter unterschiedlichen Gesichtspunkten
durch. Dabei stellt er heraus, dass Evolution nicht zwangsläufig eine
progressive Richtung einschlagen muss, sondern dass sich in diesem
Prozess auch regressive Tendenzen verwirklichen können.
2. Summer School „Entwicklung und Evolution als Schlüsselbegriffe
moderner Wissenschaft“ Universität Karlsruhe, 14.-19.09.09
The Time Machine (1895)
Der Zeitreisende in The Time Machine (1895) berichtet aus dem
Jahr 802701 von einer zwischenzeitlich geschehen Aufspaltung des
Menschengeschlechts in eine herrschende und eine unterworfene
Rasse. Neben diesen sozialdarwinistischen Gedanken finden sich in
Wells‘ Buch auch Passagen, die die Gleichgültigkeit der Natur
gegenüber dem menschlichen Wunsch nach Sinnerfüllung und
Überleben illustrieren. Am Ende seiner Reise blickt der Erzähler in
eine Welt, aus der im entropischen Verlauf kosmischer Evolution
alles menschliche Leben verschwunden ist.
The Island of Dr. Moreau (1896)
In The Island of Dr. Moreau (1896) befindet sich der Schauplatz der
Erzählung nicht in der Zukunft, sondern auf einer fernen Insel. Ein
schiffbrüchiger Engländer wird Zeuge der Zuchtversuche des Dr.
Moreau. Dieser setzt die Erkenntnisse der modernen Wissenschaft
ohne Rücksicht auf ethische Gebote um schafft so eine Welt
schauriger Chimären.
The War of the World (1898)
1898 schuf Wells mit The War of the Worlds eine der
ersten Invasionsphantasien. In ihr wird der Gedanke des
‘survival of the fittest’ zu einem im gesamten Universum
gültigen Naturgesetz ausgearbeitet. Der im Buch
geschilderte Angriff der Marsianer stellt die technisch
unterlegene Menschheit vor eine nicht zu bewältigende
Herausforderung, die ihre gesamte weitere Existenz
bedroht. Gegen Ende jedoch wendet sich das Blatt und
irdische Krankheitserreger erweisen sich im Sinn einer
biologischen Waffe als unerwartete Helfer.
Ich denke, dass sich ausgehend von diesen drei Beispielen eine fruchtbare Diskussion
entwickeln kann. Denn letztlich stellen diese Werke Fragen zur Diskussion, auf die Darwin
die Antwort schuldig geblieben ist: Ist Evolution gleichbedeutend mit positivem Fortschritt?
Welche ethischen Konflikte entstehen durch kultürliche Evolution? Wie verhält es sich
beispielsweise mit den Folgen von ‚Genetic Engineering‘ oder Nanotechnologie für die
Gesellschaft? Diese Fragen sind gerade heute dringlich, da die Menschheit des 21.
Jahrhunderts direkt mit ihnen konfrontiert ist.
Joerg Hartmann MA, Literaturwissenschaft