1. Fraktionsgeschlossenheit
Schukraft, Stefan (2011). “Fraktionsgeschlossenheit auf Landesebene im
Mehrebenen- Kontext – Der Einfluss des Föderalismus auf den Grad
geschlossenen Abstimmungsverhaltens von Fraktionen in den deutschen
Landesparlamenten”. In: Politische Vierteljahresschrift 52.4, S. 688–713.
Stecker, Christian (2011). “Bedingungsfaktoren der
Fraktionsgeschlossenheit. Eine vergleichende Analyse der deutschen
Länderparlamente”. In: Politische Vierteljahresschrift 52.3, S. 424–447.
Referat von Simon Flückiger und Patrick Hiepel
Seminar: Parlamentarimus in Deutschland, WS 12/13
Leitung: Prof. Kai Arzheimer
2. Gliederung
2
1. Einleitung
2. Studie von Stefan Schukraft (2011)
2.1 Begriffsdefinitionen und theoretische Konzeption
2.2 Fragestellung und Operationalisierung
2.3 Ergebnisse
2.4 Kritik
3. Studie von Christian Stecker (2011)
3.1 Begriffsdefinitionen und theoretische Konzeption
3.2 Fragestellung und Operationalisierung
3.3 Methodik und Befunde
3.4 Kritik
4. Zusammenfassung der Ergebnisse
5. Studie von Stefan Schukraft (2011)
2.1 Begriffsdefinitionen und theoretische Konzeption
5
Diskussion in der Öffentlichkeit geprägt vom mißverständlichen
Begriff des Fraktionszwangs
Geeigneter und angemessener in diesem Kontext sind die Begriffe
der Fraktionskohäsion und Fraktionsdisziplin
Weiterer zentraler Begriff: Party Unity, definiert als „der
beobachtete Grad des geschlossenen Abstimmungsverhaltens von
Fraktionen“
Party Unity ist neutraler Begriff, der sowohl Fraktionskohäsion als
auch -disziplin einschließt
Umfassendste und differenzierteste Modellierung der
Funktionslogik von Fraktionen findet sich bei Bergman et al.
(Rational-Choice-Ansatz)
6. Studie von Stefan Schukraft (2011)
2.1 Begriffsdefinitionen und theoretische Konzeption
6
7. Studie von Stefan Schukraft (2011)
2.1 Begriffsdefinitionen und theoretische Konzeption
7
Theoretische Annahmen (1):
Varianz in den Konstellationen von
Regierungskoalitionen
Bezüglich der Varianz drei unterschiedliche Muster
denkbar: A- B- oder C-Koalitionen
Abstimmungsverhalten über drei Mechanismen
beeinflusst
Strukturen der Parteiorganisationen
Wunsch der Parteien nach kohärenter
Außendarstellung
Beteiligung der Länder an der
Bundesgesetzgebung
8. Studie von Stefan Schukraft (2011)
2.1 Begriffsdefinitionen und theoretische Konzeption
8
Theoretische Annahmen (2):
Ursache für dissentierendes Abstimmungsverhalten liegt
hauptsächlichin abweichenden sachpolitischen
Präferenzen begründet
Karrierebezogene Präferenzen, Normen und
Eigenschaften des Parteiensystems determinieren die
(individuellen) Kosten eines solchen Verhaltens
Föderalismus könnte Einfluss auf den Grad
geschlossenen Abstimmungsverhaltens haben
Wirkungskraft mutmaßlich für A-Koalitionen am größten,
in C-Koalition schwächer ausgeprägt, für B-Koalition
nicht nachweisbar
9. Studie von Stefan Schukraft (2011)
2.2 Fragestellung und Operationalisierung
9
Leitfrage:
„Wie könnte der Föderalismus in Deutschland den Grad des
geschlossenen Abstimmungsverhaltens von Fraktionen
determinieren?“
Untersuchungsdesign:
Lineares Regressionsmodell
Auswahl von drei Bundesländern (Baden-Württemberg,
Nordrhein-Westfalen und Brandenburg)
Zeitraum 26.10.1998 – 26.10.2009
Systematische Untersuchung der Ergebnisse
namentlicher Abstimmungen von Regierungsfraktionen
Vergleich über modifizierten Rice-Index (mRIij)
Einführung von unterschiedlichen Kontrollvariablen
10. Studie von Stefan Schukraft (2011)
2.2 Fragestellung und Operationalisierung
10
11. Studie von Stefan Schukraft (2011)
2.2 Fragestellung und Operationalisierung
11
Analyse in drei Schritten:
– 1. lineare Regression mit und ohne KV
– 2. Aggregation von Beobachtungen
– 3. Fallstudie (Effekt für Gruppen von Abgeordneten im
selben Politikfeld)
12. Studie von Stefan Schukraft (2011)
2.3 Ergebnisse
12
Föderalismus als Determinante
hat einen begrenzten Einfluss
auf das Verhalten bei
Abstimmungen mit
innerfraktionellem
Konfliktpotential
Bei Kongruenz der
Koalitionskonstellationen fällt
der Grad der
Fraktionsgeschlossenheit
höher als in anderen Fällen
weitere Forschung notwendig
13. Studie von Stefan Schukraft (2011)
2.3 Ergebnisse
13
Föderalismus als Determinante
hat einen begrenzten Einfluss
auf das Verhalten bei
Abstimmungen mit
innerfraktionellem
Konfliktpotential
Bei Kongruenz der
Koalitionskonstellationen fällt
der Grad der
Fraktionsgeschlossenheit
höher als in anderen Fällen
weitere Forschung notwendig
14. Studie von Stefan Schukraft (2011)
2.3 Ergebnisse
14
Föderalismus als Determinante
hat einen begrenzten Einfluss
auf das Verhalten bei
Abstimmungen mit
innerfraktionellem
Konfliktpotential
Bei Kongruenz der
Koalitionskonstellationen fällt
der Grad der
Fraktionsgeschlossenheit
höher als in anderen Fällen
weitere Forschung notwendig
15. Studie von Stefan Schukraft (2011)
2.4 Kritik
15
Untersuchungsdesign der Studie ist aus verschiedenen Gründen
problematisch:
Es erfolgt eine Fallauswahl (nur dissentierendes
Abstimmungsverhalten wird untersucht)
Sowohl die abhängige Variable als auch die KV KGröße
weisen in vielen Beobachtungen identische Werte auf
Es zeigen sich methodische Probleme:
Der Versuch der „Mängelbeseitigung“ über den zweiten
Analyseschritt bringt inhaltlich nicht weiter
Die Interpretation der Regressionsergebnisse ist kaum
nachvollziehbar
Es stellt sich die Frage, ob der vermutete Einfluss der
unabhängigen Variablen mit dem Modell wirklich robust
getestet wird
16. Studie von Christian Stecker (2011)
3.1 Begriffsdefinitionen und theoretische Konzeption
16
Innerfraktionelle Geschlossenheit ist ein wichtiges
mehrdimensionales Phänomen
Wichtigste Dimension: Abstimmungsverhalten im Parlament
Faktoren: Kohäsion und Disziplin
Abstimmungen werden als Spiel zwischen Vorder- und
Hinterbänken (‚front-‘ & ‚backbench‘) betrachtet
Geschlossenheit = herzustellendes Kollektivgut
Abgeordnete können sich als Abweichler persönlich
profilieren
Sanktionen erlauben deren Kontrolle durch Parteien
Unterschiedliche Interessen können Auswirkungen zeitigen
Abstimmungen werden durch institutionellen Kontext geprägt
17. Studie von Christian Stecker (2011)
3.2 Fragestellung und Operationalisierung
17
Zielsetzung der Studie: Beitrag zum rationalistischen
Verständnis von Fraktionsgeschlossenheit
Welchen Einfluss haben Faktoren auf System-,
Parlaments-, Partei- und Abstimmungsebene auf
Fraktionsgeschlossenheit?
18. Studie von Christian Stecker (2011)
3.2 Fragestellung und Operationalisierung
18
Wahlsystem (Systemebene):
3 Systemtypen: Parteizentriert vs Mischtyp vs
Kandidatenzentriert
Kandidatenzentrierte Systeme bieten Anreiz,
Parlamentsmandate frei auszuüben und von der Parteilinie
abzuweichen, während parteizentrierte Systeme Konformität
fördern und Abweichlern keine Anreize bieten.
Hypothese 1: Je stärker kandidatenzentriert das
Wahlsystem ist, desto geringer ist die
Fraktionsgeschlossenheit.
Operationalisiert:
Bayern, Baden-Württemberg = Kandidatenzentriert
Hamburg, Bremen Saarland = Parteizentriert
19. Studie von Christian Stecker (2011)
3.2 Fragestellung und Operationalisierung
19
Regierungsstatus (Fraktionsebene):
Regierungsfraktionen gelten als geschlossener
Regierung hat mehr Mittel zur Disziplinierung
Gegenargument: Abstimmungen über unpopuläre
Maßnahmen könnten Geschlossenheit gefährden
Erwartung: Steigerung der Disziplin, Schwächung der
Kohäsion
Hypothese 2: Regierungsfraktionen sind
geschlossener als Oppositionsfraktionen.
20. Studie von Christian Stecker (2011)
3.2 Fragestellung und Operationalisierung
20
Mehrheitsverhältnisse (Parlamentsebene):
Bei knappen Mehrheitsverhältnissen senkt sich die
Dissenstoleranz der Regierungsfraktionen
Die Bedeutung jeder Stimme steigt
Der Anreiz steigt, die Parteidisziplin zu stärken bzw.
Abweichler zu sanktionieren
Hypothese 3: Je knapper die
Regierungsmehrheit, desto höher die
Fraktionsgeschlossenheit.
Operationalisiert:
Logarithmierte Sitzzahl über die nötige Mehrheit hinaus
21. Studie von Christian Stecker (2011)
3.2 Fragestellung und Operationalisierung
21
Politisch-ideologische Distanz (Parlamentsebene):
Bei ideologischer Nähe zu anderen Fraktionen wächst die
Versuchung, mit anderen, ideologisch benachbarten,
Parteien zu stimmen
Hypothese 4: Mit steigender Ideologischer
Distanz zwischen Regierung und Opposition nimmt
die Fraktionsgeschlossenheit zu.
Operationalisiert:
Positionsdaten nach Bräuninger und Debus, gewonnen aus
den Parteiprogrammen
Regierungsposition wird operationalisiert als mittlere
Position aller Koalitionspartner
22. Studie von Christian Stecker (2011)
3.2 Fragestellung und Operationalisierung
22
RCV beantragende Fraktion (Abstimmungsebene):
Üblicherweise führen 2 Ziele zum Antrag auf RCV (roll call
vote = namentliche Abstimmung):
Öffentliches Bekenntnis zu (position-taking) oder
Abgrenzung von (negatives position-taking) einer
Position
Offenlegung des Abstimmungsverhaltens der politischen
Konkurrenz
Erwartung: Opposition sollte die meisten RCVs
beantragen, bevorzugt bei Themen, die eigenen Konsens
oder Dissens der Konkurrenz vorzuführen geeignet sind.
Hypothese 5: Die den RCV beantragende
Fraktion sollte geschlossener abstimmen.
23. Studie von Christian Stecker (2011)
3.2 Fragestellung und Operationalisierung
23
Geschlossenheitswerte innerhalb der Fraktionen werden mittels
Index of Agreement berechnet:
Wert zwischen 0 und 1
Maximale Unstimmigkeit bei gleichmäßiger Verteilung über die
Kategorien
25. Studie von Christian Stecker (2011)
3.3 Methodik und Befunde
25
100%ige
Geschlossenheit
ist die Norm
Median liegt bei
100%
2 Länder mit
perfekten
Geschlossen-
heitswerten
Dissens vor allem
in Ostländern und
kandidatenzen-
trierten Ländern
26. Studie von Christian Stecker (2011)
3.3 Methodik und Befunde
26
Mittelwert: 95,5 %
Gesteigerte Ge-
schlossenheit:
Regierungskoalition
Antragsteller
Kein Nachweis über
geringere
Geschlossenheit in
kandidatenzentrierten
Wahlsystemen
Werte für
Mischsysteme durch
schlechte Geschlos-
senheitswerte in
Ostländern verzerrt
27. Studie von Christian Stecker (2011)
3.3 Methodik und Befunde
27
Multivariater Test soll der Kontrolle der Effekte dienen
Wichtige Besonderheiten der Datenstruktur
Hypothesen postulieren Einfluss auf 4 verschiedenen Ebenen
Vorteilhafte Mehrebenenanalyse wird abgelehnt, da die
geringe Fallzahl und Datenstruktur dies ausschlössen
Index of Agreement liefert nur Ergebnisse zwischen 0 und 1
‚Fractional Response Modell‘ wäre angemessener, der
einfacheren Interpretation halber nutzt Stecker dennoch
eine einfache Regression
28. Studie von Christian Stecker (2011)
3.3 Methodik und Befunde
28
Erneute Operationalisierung für Kontrollregression:
Regierungsmehrheit sowie politische Distanz wie bisher
Wahlsysteme werden durch Dummyvariablen operationalisiert
Parteizentrierte Systeme gelten als Referenzkategorie
Ostdeutsche Länder werden durch einen Dummy kontrolliert
2 Modelle werden berechnet:
Eines enthält alle erwähnten Variablen
Ein zweites enthält anstelle der Wahlsysteme Länderdummys,
um die Robustheit der Effekte der unteren Ebenen absichern
zu können.
29. Studie von Christian Stecker (2011)
3.3 Methodik und Befunde
29
Ergebnisse Hypothese 1:
Kandidatenzentrierte
Systeme führen nicht
zu konsistenter
Minderung der
Geschlossenheit.
In einer nicht
abgebildeten
Regression ohne die
Ostländer wirken sich
gemischte Systeme
nicht nachteilig aus.
30. Studie von Christian Stecker (2011)
3.3 Methodik und Befunde
30
Ergebnisse Hypothese 2:
Regierungsbeteiligung
steigert die Geschlos-
senheit um ca. 2,4
Punkte bei höchster
Signifikanz.
Ergebnisse Hypothese 3:
Zunehmende Mehrheit
wirkt sich
erwartungsgemäß
negativ auf
Geschlossenheit aus
In Modell 2
verschwindet der
Effekt.
31. Studie von Christian Stecker (2011)
3.3 Methodik und Befunde
31
Ergebnisse Hypothese 4:
Ideologische Distanz
wirkt sich geringfügig,
aber signifikant durch
beide Modelle hinweg,
aus.
Ergebnisse Hypothese 5:
Größte Geschlossen-
heitsgewinne erwarten
den RCV-Antrags-
steller. 4,6 Punkte bei
höchster Signifikanz.
32. Studie von Christian Stecker (2011)
3.4 Kritik
32
‚Index of Agreement‘ ist in seinen Resultaten fragwürdig:
Geringste Übereinstimmung (0) bei gleichmäßiger Verteilung
Bei verhärteten Fronten (50 – 50 Verteilung) geringer, aber deutlich
höherer Effekt
Negativer Effekt von Enthaltungen?
Geringer Erklärungswert (R² von 0,058 bzw. 0,073) und die hohen
Konstanten lassen viel zu wünschen übrig.
33. Studie von Christian Stecker (2011)
4. Zusammenfassung der Ergebnisse
33
Auf Parlamentarische Fraktionen wirken Einflüsse verschiedener Art,
die auf Geschlossene Reihen bei Abstimmungen hinwirken:
Einflüsse können unter anderem ausgehen von
Vertikalen Verflechtungen des Parteisystems
Koalitionskonfigurationen
Wahlsystemen
Regierungserfordernissen
Fraktionsgröße
Individueller Taktik
Die Erklärungen können jeweils nur kleine Teile der
Fraktionsgeschlossenheit erklären, während der Hauptanteil im
Dunkeln liegt.