ScienceWednesday-Vortrag von Prof. Dr. Peter Seeger
Wikis im organisationalen Wissensmanagement
1. Martin Michelson, Hochschule Darmstadt
Wikis im organisationalen Wissensmanagement:
Anforderungen und Gestaltungsoptionen
Wissen gilt in Unternehmen und Organisationen als Produktiv- eine stärkere Identifizierung mit dem Unternehmen und letztlich
faktor und gleichzeitig als Ressource, die sich der Einflussnah- verbesserte Marktchancen. Wissen gilt als Produktions- bzw. Pro-
duktivfaktor und gleichzeitig ist es eine Ressource, die sich der
me und Steuerung und damit dem Einsatz am deutlichsten ent- Einflussnahme und Steuerung und damit dem Einsatz am deut-
ziehen. Die zentral gesteuerte Wissenssammlung und -vertei- lichsten entzieht. Entsprechend gibt es auch zunehmend Stim-
men, die das Management von Wissen als kaum möglich oder gar
lung über Intranet, Groupware und Content-Management-Sys-
als Unsinn abqualifizieren. “Data and information may be ma-
teme hat sich als wenig erfolgreich erwiesen, da sich die Mitar- naged, and information resources may be managed, but know-
ledge (what we know) can never be managed, except by the indi-
beiter kaum aktiv beteiligen. Dabei ist die Kommunikation vor
vidual knower, and even then, only imperfectly.” [21].
allem des impliziten Wissens der Mitarbeiter eine zentrale He- Traditionelle Ansätze betrachten Information und Wissen als et-
rausforderung. Social Software Anwendungen, insbesondere was, das unabhängig von Individuen in Datenbanken, Intranets
und Informationssystemen gespeichert werden kann. Wissen wird
Wikis, verdrängen zunehmend herkömmliche Philosophien, danach als eine Ressource mit objektiven Charakterzügen ange-
Verfahren und Systemansätze in Unternehmen und Organisa- sehen. „Traditionell approaches have tended to see information
and knowledge as something existing independent of the user,
tionen. Allerdings gelten beim internen Einsatz andere Voraus-
which can be accessed, stored, classified and managed by refe-
setzungen und Regeln als bei den öffentlichen Communities. rence to its objective characteristics.” [20] Dies erscheint auch
notwendig, denn letztlich ist etwas nur zu handhaben oder zu ma-
nagen, wenn es greifbar, also dokumentiert ist. “In the business
Keywords world, it is a common dictum that ‘if you cannot document it, you
Social Software, Web 2.0, Knowledge Management, Wiki, Re- cannot manage it. Documentation of knowledge is crucial to ma-
quirements, Design naging knowledge.[…] It becomes obvious that it is extremely im-
Stichworte portant to manage those assets.” [15].
Social Software, Web 2.0, Wissensmanagement, Wiki, Anforde- Wissensmanagement konzentriert sich bisher hauptsächlich auf
rungen, Gestaltung den Versuch, Wissen, auch verborgenes Wissen zu abstrahieren
und zu kodifizieren. Als Hoffnungsträger galten und gelten vor al-
lem solche informationstechnische Lösungen, die die Mitarbeiter
1. Die Nachteile herkömmlicher Wissens- motivieren und es ihnen erleichtern, ihr Wissen zu dokumentieren
und anderen zur Verfügung zu stellen. Dafür sind Intranets und
management-Ansätze
web-basierte Content-Management-Systeme Standard. Sie hel-
In den letzten Jahren versuchten vor allem größere Unternehmen, fen allerdings vor allem dabei, das Recherchieren von Informa-
die Kommunikation zwischen den Wissensträgern und damit den tionen zu unterstützen, die Input-Seite, d.h. das Einstellen von
Wissensaustausch zu verbessern. Das kontextsensitive Wissen, Wissen bleibt aber weitgehend ebenso unbefriedigend gelöst wie
das an einzelne Mitarbeiter oder Gruppen gebunden ist, soll durch die Verwaltung der Inhalte.
geeignete organisatorische Maßnahmen sowie vor allem verfei- Auch wenn die Wichtigkeit eines funktionierenden Wissensma-
nerte informationstechnische Verfahren dem Unternehmen zu- nagements allgemein anerkannt wird, erreichen die Umsetzungen
gänglich gemacht werden. Das Ziel ist eine höhere Produktivität, in Unternehmen nur selten die gesetzten Ziele. [6]
14 Information Management und Consulting 25 (2010) 4
2. Zukunft der Arbeit
Das Problem sind in der Regel tradierte Organisations- und Zu- in den Arbeitsablauf integrieren. [5] Berücksichtigt werden soll
ständigkeitsstrukturen von Unternehmen und Organisationen, die der wirkliche Bedarf und nicht eine idealisierte, definierte Form
sich auch beim Wissensmanagement manifestieren. So werden des Bedarfes. Die Trennung von Nutzern und Bereitstellern von In-
Inhalte der Systeme überwiegend von der für die interne Kommu- halten interner Informationssysteme sollte soweit möglich und
nikation zuständigen Person oder Abteilung bereitgestellt. Beiträ- sinnvoll überwunden werden. Die auf Social Software basierenden
ge von Mitarbeitern durchlaufen zunächst einen redaktionellen Informationssysteme stellen im Idealfall also nur noch die Platt-
Prozess: Sei es inhaltlich oder um die Beiträge in eine einheitliche form und die Werkzeuge zur Verfügung, für die Inhalte sind die
Struktur zu gießen und ihnen entsprechende Metadaten zuzuwei- Teilnehmer selbst verantwortlich. Die Verantwortung für ein funk-
sen. Mit den meist aufwändigen Systemen der Wissensverwaltung tionierendes Wissensmanagement wird der Gemeinschaft über-
sind zwar Plattformen für die Publikation von Wissen geschaffen, tragen.
doch die Prozesse des Wissensaustausches werden durch zentra- Speziell für das den Wissensmanagement in Unternehmen und
le Kontrolle, Freigaberegeln und Qualitätsbestimmungen eher be- Organisationen und damit für das haben sich Wikis etabliert.
hindert. Wikis sind in erster Linie Wissensdatenbanken und Werkzeuge für
Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass ein zentral ge- die Dokumentation. In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich
steuertes Wissensmanagement einerseits mit einem relativ ho- zunächst nicht von traditionellen Dokumentenmanagement-Sys-
hem Aufwand verbunden ist, andererseits aber wenig geeignet ist, temen. Wie bei Groupware-Systemen wiederum kommt der Mög-
die Kommunikationsprozesse der Wissensverteilung zu unterstüt- lichkeit der kollaborativen Bearbeitung von Dokumenten eine be-
zen. Wissensmanagement sollte letztlich bedeuten, die organisa- sondere Bedeutung zu. Im Gegensatz zu Weblogs, in denen Beiträ-
torischen, technischen und psychologischen Voraussetzungen ge sequentiell geschrieben werden und statisch bleiben, unterlie-
und Rahmenbedingungen für den freiwilligen und bereitwilligen gen Beiträge in Wikis meist der dynamischen Veränderung und
Wissensaustausch zu schaffen. “At the core of knowledge ma- können das Produkt mehrerer Autoren sein. Die Qualität der In-
nagement practise and KM literature today is the desire to en- halte entsteht somit mehr durch die kollektive Kompetenz als
courage the sharing of knowledge, not the control over personal durch die Expertise des Einzelnen, sie sind Ergebnisse eines sozia-
knowledge. It is not the knowledge itself, but the representation len Prozesses. Beiträge werden geschrieben, gelesen, verbessert,
of knowledge held within a person.” [11] referenziert, viele befinden sich in einem ständigen Prozess. Inter-
Eine besondere Aufgabe kommt dabei Methoden der Erhebung, ne Markt- und Wettbewerbsanalysen werden nicht periodisch neu
Dokumentation und systematischen Weitergabe von informellem geschrieben, sondern regelmäßig aktualisiert, mit neuen Daten
(implizitem) Wissen der Mitarbeiter zu. Aber gerade die Explora- versehen, nicht mehr Zutreffendes wird entfernt. Das Feedback
tion und damit das Verfügbarmachen informellen oder impliziten über die bestehenden oder gemeinsam erarbeiteten Inhalte dient
Wissens ist sowohl das Problem als auch die Herausforderung. dem Anreiz zur Teilnahme und der Qualitätssicherung. [8] Fehler
Dieses persönliche Wissen ist überwiegend durch Kenntnisse, Er- werden somit schnell behoben, da jeder an der Richtigkeit von In-
fahrungen, Werte und Ansichten gekennzeichnet, die durch Ler- formationen interessiert ist, anders als in einem zentral gesteuer-
nen, bei der Arbeit, bei Problemlösungen, und beim Austausch von ten System, wo jede Änderung einen Freigabeprozess durchlaufen
Ideen entstehen. Die Übertragung von formalen Unternehmens- muss. Darüber hinaus lernen die Teilnehmer sich und ihre Interes-
strukturen auf das Wissensmanagement in Form von zuständigen sen kennen. Die Schwierigkeit, in herkömmlichen, oft formal stark
Abteilungen für die interne Kommunikation mit entsprechend fil- strukturierten Systemen, implizites Wissen zu erfassen, kann so
ternder Wirkung kann hier kaum funktionieren. überwunden werden.
In Unternehmen und Organisationen haben Wikis die Aufgabe,
das Fachwissen der Mitarbeitern zu bündeln, transparent und ver-
2. Die besondere Bedeutung von Wikis für das
fügbar zu machen. Sie dienen vor allem dazu, implizites Wissen
Wissensmanagement aufzudecken, zu dokumentieren, aber auch, um das Wissen von
Social-Software-Ansätze betrachten Information und Wissen als Mitarbeitern festzuhalten, die die Gruppe oder das Unternehmen
etwas, das aus sozialer Interaktion entsteht. Im Gegensatz zur verlassen haben. Dabei geht es weniger darum, dieses Wissen zu
herkömmlichen organisierten Form der einseitigen Wissensbe- kodifizieren, als vielmehr, die Wissensträger zu identifizieren und
reitstellung über Intranets stellen Social-Software-Ansätze die den kommunikativen Austausch – persönlich oder eben über
Kommunikation, Interaktion und Zusammenarbeit in den Vorder- Plattform – zu befördern.
grund. Indem sie Wissen personalisieren, heben sie die Trennung
zwischen Wissen und Wissensträgern auf. Die Anwendungen von Der Einsatz von Wikis kann und soll die Art des Wissensmanage-
Social Software dienen weniger dem Austausch explizitem Wis- ments verändern. Der traditionelle Ansatz des Wissensmanage-
sens, als vielmehr der Kommunikation von implizitem Wissen, zum ments zeichnet sich durch die Wissensverwaltung aus:
Austausch von Ideen, Erfahrungen und Visionen und der gemein- - Fest definiertes inhaltliches Konzept der Wissensdokumen-
samen Problemlösung. Ideen und Fragen können von Kollegen tation
aufgegriffen werden, so dass sich daraus Diskussionen und Lö- - Zentrale Administration
sungsansätze entwickeln. Der Kommunikationsprozess lässt sich - Zentrale Qualitätskontrolle (Freigabe von Beiträgen)
Information Management und Consulting 25 (2010) 4 15
3. Kulturwandel akzeptiert und angenommen wird. Heinemann et al.
schreiben über die Erfahrungen bei Airbus: „The experiences […]
have shown that even though Wikis advocate a very open ap-
proach, most employees tend to ask for rules and guidelines to fol-
low. This highlights, again, that Knowledge Managers should be
aware of the differences between online communities and corpo-
rate Wikis.” [6] Auch die in öffentlichen Wikis gebräuchliche re-
lative Beliebigkeit in Struktur und Umfang der Beiträge lässt sich
nicht übernehmen, sondern folgen weitgehend vorgegebenen Re-
geln.
Erfahrungsgemäß scheitern partizipatorische Systeme zum Wis-
sensaustausch meist daran, dass zu wenig Inhalte eingebracht
Abbildung 1: Wissensidentifizierung werden. Schon bald nach dem Start werden sie schlicht uninter-
essant. Dies liegt zum Teil auch an unrealistischen Erwartungen in
- Vordefinierte Terminologie (Metadaten) der Anfangsphase. Mielke et al. [13] vergleichen die Einführung
- Wenig Interaktion und Kontribution eines kollaborativen Tools mit der Auswahl, dem Zusammenbau
- Verantwortliche Autoren der Beiträge und dem Start eines Lenkdrachen. Nach Fertigstellung wird er in
- Weitgehend statische Dokumente die Luft gehoben, er startet aber nicht von selbst, sondern man
- Gegensatz von Produzenten und Rezipienten von Informa- muss ihn in die Höhe ziehen. Und auch dort bleibt er nicht, wenn
tion er nicht dauerhaft einer gewissen Windstärke ausgesetzt wird.
Es bedarf einer zuständigen redaktionellen Einheit, die nicht nur
Der Wiki-Ansatz des Wissensmanagements konzentriert sich auf für die Rahmenvorgaben sorgt, sondern auch aktuelle Inhalte be-
Wissensproduktion und Wissensteilung: reitstellt, die aus explizitem Wissen, Dokumenten, Daten, Berich-
- Inhaltliches Konzept als sozialer Prozess te, Projektdossiers etc. anfallen. Und es bedarf der Unterstützung
- Die Teilnehmer legen Inhalte fest und stellen sie ein durch die Geschäftsleitung, die den Austausch von Wissen als es-
- Qualitätskontrolle durch die Teilnehmer sentielles strategisches Ziel proklamiert und leitender Mitarbeiter,
- Gemeinsame Autoren, Dokumente gehören allen die sich selbst intensiv mit Inhalten einbringen.
- Metadaten frei durch die Teilnehmer zu bestimmen und zu In einem ersten Stadium eignen sich Wikis in Unternehmen und
ändern Organisationen vor allem für die kollaborative Ausarbeitung von
- Weitgehend dynamische Dokumente Berichten und Dokumentationen, Richtlinien, Glossarien, Pro-
- Interaktion und Kontribution duktbeschreibungen, Handbüchern, Sammlungen von Best Prac-
- Einfache Handhabung tices, Protokollen und Arbeitsplatzbeschreibungen. [3] In einem
ausgereiften Stadium steht dann aber der Wissenstransfer zwi-
2.1 Einsatz von Wikis in Unternehmen und Organisationen schen den Mitarbeitern im Vordergrund. Ein Wiki, an dem sich vie-
le Mitarbeiter aktiv beteiligen, ermöglicht die Identifizierung von
Es stellt sich die Frage, inwieweit ein Wiki überhaupt in seiner Kollegen, die bestimmtes Hintergrundwissen besitzen und sich
Reinform als Wissensmanagement-Tool für Unternehmen und Or- fachlich austauschen und ergänzen können. [19] Neben den Wis-
ganisationen geeignet ist. Die eigentliche Philosophie, die die sensmanagement-Aufgaben dienen Wikis also auch der sozialen
Wikipedia oder in den öffentlichen fachlichen oder kommunalen Interaktion. Eine indirekte Aufforderung an die Kollegenschaft,
Wikis weitgehend prägt, basiert ja auf der Idee einer großen und Beiträge zu schreiben, sind die so genannten „roten Links“, poten-
offenen Community. tielle Artikel also, die schon Überschriften, aber noch keinen Inhalt
Organisations- und unternehmensinterne Wikis haben eine ande- haben. Sie zeigen an, dass hier ein Bedarf an bestimmten Themen
re Zielrichtung und einen anderen Charakter als öffentliche Wikis. besteht.
Dieser Charakter kann durchaus der basisdemokratischen Philoso-
phie widersprechen. Es gibt klare Regeln und Verantwortlichkei- 2.2 Voraussetzungen und Erfolgskriterien
ten. Das Wiki ist nicht nach außen hin geöffnet, die Beiträge ha-
ben keine anonymen Verfasser, die Mitarbeiter können unter- Die technische Integration eines Wiki in die bestehende IT-Infra-
schiedliche Zugriffsrechte bekommen. Bestimmte Dokumente, die struktur gestaltet sich relativ unproblematisch. Notwendig sind
der Haftbarkeit unterliegen, dürfen nicht beliebig geändert wer- letztlich nur ein Web-Server, eine leistungsfähige Datenbank und
den. So werden Bekanntmachungen etwa der Personalabteilung eine Wiki-Software. All dies lässt sich natürlich auch als Netz-
nur von dieser herausgegeben und ggf. verändert werden können. dienst mieten. Bei der Wiki-Software gibt es mittlerweile eine
Ein Mindestmaß an Regeln, Vorgaben und Steuerung ist in Orga- recht große Bandbreite von Open-Source- und kommerziellen An-
nisationen und Unternehmen schon deshalb unerlässlich, damit geboten. Zu bedenken ist, dass die meisten Open-Source-Produk-
der mit der Einführung eines Wikis möglicherweise gewünschte te wie MediaWiki für eine öffentliche Plattform entwickelt wur-
16 Information Management und Consulting 25 (2010) 4
4. Zukunft der Arbeit
den. Sie ermöglichen keine Rechteverwaltung und lassen keine - Eine Integration in die Arbeitsprozesse findet statt, der Um-
geschützten Bereiche zu. Der frei verfügbare Quellcode der Open- gang mit dem Wiki wird nicht als zusätzliche Last empfun-
Source-Wikis wie auch im Netz verfügbare Plug-Ins erlauben es den.
zumindest in Teilbereichen, die Software an die eigenen Bedürf- - Das Wiki hat Vorreiter und Botschafter
nisse anzupassen. Dieses Vorgehen ist aber eher im Bereich der - Es erfährt Unterstützung durch die Leitungsebene
Struktur und der Gestaltung zu empfehlen. In jedem Fall sollte der - Es werden Anreize gegeben, das eigene Wissen zu teilen,
Funktionsumfang der Softwareangebote geprüft und mit den ei- insbesondere weil Wissenspreisgabe zu Prestigegewinn
genen Anforderungen abgestimmt werden. führt
Eine grundsätzlichere Voraussetzung für den Erfolg eines Wikis - Und nicht zuletzt: Die Beteiligung ist ausreichend groß
ist, dass es die strategischen Ziele des Unternehmens wirkungsvoll Eine praxisorientierte Darstellung von Erfolgsfaktoren und Barrie-
unterstützt und von der Geschäftsleitung gewollt wird. Im Pla- ren bei der Nutzung eines Wikis als Wissensmanagement-Lösung
nungsprozess sind die Anwendungsszenarien festzustellen und es bieten Heinemann und Katzung. [6]
ist zu ermitteln, welche Funktionen sinnvoll und welche hinder-
lich sind. In der Unternehmenspraxis werden Wikis zwar oft als 2.3 Die Bereitstellung bereits vorhandener Inhalte
kleine Lösungen in Entwicklungs- und IT-Abteilungen zur Ideen-
sammlung und zum Erfahrungsaustausch betrieben, ihre eigentli- Die ursprüngliche Wiki-Idee hat wenig mit der Zielsetzung zu tun,
che Stärke entfalten sie aber dann, wenn sie für die Mitarbeiter ein organisationales Wissensmanagementsystem bereitzustellen.
der unterschiedlichsten Bereiche offen sind. Entsprechend sind vor allem die meisten frei verfügbaren Wiki-
Die Planung und Einführung eines neuen Informationssystems Produkte nicht primär für den Einsatz in Unternehmen und Orga-
wird bei den Mitarbeitern i.d.R. auf Skepsis bzw. Ablehnung nisationen entwickelt.
stoßen. Dies wird vor allem dann der Fall sein, wenn es als weite- Wird das Wiki als alleiniges Wissensmanagement-System geführt
res System zu bereits bestehenden hinzu kommt. Deshalb ist von – und davon geht der vorliegende Beitrag aus -, so werden insbe-
der Geschäftsleitung zu kommunizieren, dass es vordergründig sondere in der Beginnphase offizielle organisationsinterne Doku-
nicht um die Einführung eines neuen Systems geht, sondern da- mente wie Richtlinien, Glossarien, Produktbeschreibungen, Hand-
rum, die Kompetenzen der Mitarbeiter zu erkennen und zu för- bücher, Sammlungen von Best Practices, Protokolle und Arbeits-
dern. Das Wiki sollte keine zusätzliche Belastung für die Mitarbei- platzbeschreibungen eingestellt, um den wichtigen Grundstock zu
ter bedeuten, sondern umständlichere Verfahren der Informations- liefern. Diese Dokumente liegen in einem Wiki-unabhängigen For-
gewinnung ablösen und die Bearbeitung der Aufgaben erleich- mat vor und bilden i.d.R. in den Originalformaten den Anhang zu
tern. Ob ein Wiki angenommen wird, hängt entscheidend davon kurzen Wiki-Artikeln.
ab, ob es den Bedürfnissen und Interessen der betroffenen Mitar- Die Realität in Unternehmen und Organisationen zeigt, dass nicht
beiter entspricht und ob diese zur regelmäßigen aktiven Teilnah- nur das explizite Wissen in Form von Dokumenten und Daten in
me bereit sind. Dateisystemen, Datenbanken und Dokumentenmanagement-Sys-
Anreizverfahren fördern die Bereitschaft, sich aktiv zu beteiligen. temen gespeichert ist. Auch implizites, persönliches Wissen exis-
So steigt die Motivation, Beiträge zu liefern und damit eigenes tiert in dokumentierter Form. Dazu gehören Präsentationen, Pro-
Wissen bereitzustellen, wenn dadurch positive Aufmerksamkeit tokolle, Seminarmitschriften, Grafiken, persönlich erstellte Erläu-
und Prestigegewinn zu erzielen ist. Hilfreich sind Vorreiter („Wiki- terungen. Manche Mitarbeiter beteiligen sich schon deshalb nicht
Champions“) in gehobenen Positionen mit einem Vertrauens- und als Autoren an einem Wiki ein, weil sie sich nicht in der Lage se-
Respektvorschuss unter den Mitarbeitern, die sich zumindest in hen oder keine Zeit finden, ihre Erfahrungen und Kenntnisse in ei-
der Anfangsphase engagieren. Zudem benötigt ein Wiki eine Min- genen Beiträgen aktuell zu artikulieren. Etwas anderes ist es,
destgröße, die möglichst bald erreicht werden sollte. Nur bei um- wenn sie eigene bereits vorhandene, in digitaler Form vorliegende
fassendem Inhalt wir das Wiki auch genutzt: Es wird recherchiert, Dokumente unverändert in das Wiki überführen können. Das Hin-
Beiträge werden erweitert und ergänzt. Die oft initiierten Abtei- terlegen von Dateien, die den eigentlichen Beitrag repräsentieren,
lungs-Wikis mit großen, aber wenigen Beiträgen sind wenig öko- ist zwar ungewöhnlich für das Prinzip eines Wikis. Jedoch macht
nomisch, die Artikel werden kaum gelesen geschweige denn wei- es häufig keinen Sinn oder ist zuweilen auch gar nicht möglich, ei-
terentwickelt. Der CTO von IBM, Guenther Dueck, beschreibt am ne umfassende Textabhandlung, eine Präsentation, lange Pro-
Beispiel des „Bluewiki“ der IBM recht anschaulich, wie auch ein grammiercodes oder spezielle Grafiken direkt in die Artikelstruk-
etabliertes Wiki um seine Akzeptanz kämpfen muss. [4] tur eines Wikis zu packen. Bleiben die Dokumente aber in ihrem
Somit lassen sich – sicherlich unvollständig - einige Punkte zu- ursprünglichen Dokumentformat, so gibt der eigentliche Wiki-Ar-
sammenfassen, die ein Wiki-Projekt mittelfristig zum Erfolg tikel eine Kurzbeschreibung, die vom jeweiligen Autor selbst er-
führen können: stellt ist. Diese Möglichkeit, bereits existierende Ausarbeitungen
- Die Lösung passt in die Unternehmenskultur und –struktur unverändert in das Wiki einzufügen, kann ein bedeutender Anreiz
- Es besteht Bereitschaft zu Veränderungen (Arbeitsweise, sein, Beiträge zu liefern.
Kontrollstrukturen, Kommunikationsprozesse) Dadurch wird das Wiki-Prinzip der dynamischen Beiträge teilwei-
- Das Wiki entspricht den Bedürfnissen der Mitarbeiter se verletzt: Das eigentliche Dokument erfährt keine Änderung, es
Information Management und Consulting 25 (2010) 4 17
5. sei denn, der Autor führt diese Änderung durch. Alle Interessier- sich in dieser Hinsicht kaum. Der Schwerpunkt liegt auf einem er-
ten können aber entsprechende Anmerkungen und Ergänzungen höhten Funktionsumfang, tiefergehenden Nutzerverwaltungsop-
auf der Wiki-Seite, auf der das Dokument hinterlegt ist, vorneh- tionen sowie besseren Sicherheitsstandards.
men. Ein Wiki in einem Unternehmen oder einer Organisation soll ein
leicht zu handhabendes Werkzeug sein, um einerseits das in Do-
2.4. Inhaltliche Strukturierung und Navigation kumente gefasste Wissen schnell und problemlos aufzufinden,
und andererseits, die Erfassung und Zuordnung von Beiträgen
Eine inhaltlich und gestalterisch klare Struktur des Wikis hilft bei durch die Wissensträger zu unterstützen. Mangels formularartige
der Handhabung und Recherche. Bei vielen Wiki-Projekten, wie Such- und Erfassungsmasken, wie sie sowohl in öffentlich zu-
auch bei der Konzeption und Einrichtung von Wissensmanage- gänglichen Online-Datenbanken als auch in organisationalen Do-
ment-Systemen allgemein, wird der Strukturierung der Inhalte kumentenmanagement-Systemen geboten werden, können eine
sowie der Navigation meist wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die entsprechende Strukturierung und dazu gehörende Navigations-
Recherche- und Navigationsmöglichkeit herkömmlicher Wiki- möglichenkeiten dabei helfen, die Nachteile des einfachen Wiki-
Software orientieren sich an dem Prinzip des Beitragstitels als we- Prinzips zu kompensieren. Ein Wiki kann und soll durchaus ein
sentliches Beschreibungs- und Suchmerkmal, die Volltextsuche herkömmliches Dokumentenmanagement-System als Ganzes er-
ist selbstverständlich. Darüber hinaus wird durch Verlinkung ein- setzen oder aber dieses als nachgelagertes Datei-Repository nut-
zelner Stichworten im Text auf andere Artikel verwiesen, deren Ti- zen.
tel dieses Stichwort enthält. Ist ein Stichwort verlinkt, aber noch
kein Beitrag vorhanden, so erscheint das beim Anklicken das 2.5. Ein Wiki für studentisches Wissensmanagement
Stichwort rot markiert und ein Hinweis, dass der Artikel noch
fehlt, aber ein Interesse besteht, dass dieses Thema bearbeitet Am Beispiel eines Wiki, das eine studentische Projektgruppe unter
wird. Leitung des Autors im Bereich Informationswissenschaft der
Wiki-Software ist auf den Charakter öffentlicher Wikis wie der Hochschule Darmstadt entwickelt hat, wird nachfolgend kurz vor-
Wikipedia zugeschnitten, bei der die Nutzer gewohnt sind, wie mit gestellt, wie solch eine Struktur aufgebaut sein kann. Aufgabe
einer Suchmaschine zu agieren. Zwar bietet gerade Wikipedia die war, studentische Expertise, die sich in Form von fachlichen Ar-
Möglichkeit, über hierarchische Strukturen zu navigieren, ausge- beiten, Referaten, Präsentationen und Programmentwicklungen
feilte Navigationsfunktionen wie bei Dokumentenmanagement- dokumentiert, in einem internen Wiki zu erschließen. Dabei wur-
Systemen fehlen aber. Kommerzielle Programme unterscheiden de darauf geachtet, dass sich die grundsätzliche Konzeption auf
Abbildung 2: Hauptseite mit Kategorien und interaktiven Grafiken
18 Information Management und Consulting 25 (2010) 4
6. Zukunft der Arbeit
Unternehmen und Organisation übertragen lässt, in denen Mitar- Das Wiki enthält mehrere alternative Navigationsmöglichkeiten:
beiter ihre Arbeitsergebnisse in unterschiedlicher Weise doku- Eine Kategorisierung der Inhalte, interaktive Grafiken, ein alpha-
mentieren (müssen). betischer Index sowie eine Volltextsuche. Die Kategorien sind
Als Wiki-Software wurde die Open-Source MediaWiki gewählt, ebenso wie die interaktiven Grafiken als Hierarchie aufgebaut, in-
ein Web-Server und eine MySQL-Datenbank eingerichtet. Die dem das Anwählen eines Punktes jeweils die nachfolgenden Un-
Projektgruppe sollte zunächst eigene Arbeiten einstellen, um so terpunkte öffnet. Auch zwischen den eigentlichen Wikibeiträgen
einen Grundstock für ein fachbereichs- bzw. in einem späteren selbst besteht eine Hierarchie: Die Lehrveranstaltung bietet eine
Stadium hochschulweites Wiki von studentischer Expertise zu bil- Auswahl an thematischen Beiträgen, die wiederum auf hinterleg-
den. Die grundsätzliche Fragestellung drehte sich um die Struktur te Dokumente unterschiedlichen Formates verweisen und diese
des Wiki. Studentische Arbeiten werden im Rahmen von Lehrver- kurz zusammenfassen.
anstaltungen erstellt. Es kristallisierte sich schließlich heraus, Derzeit werden keine Metadaten in Form von Schlagworten ver-
dass auf der obersten Ebene die Fachbereichsstruktur und auf der geben. In einem späteren Stadium kann das Wiki um ein semanti-
nachgeordneten Ebene das Studienprogramm die Grundstruktur sches Metadaten-Management erweitert werden. Dafür bietet
des Wikis bilden sollte. sich das auf dem MediaWiki aufsetzende Semantic MediaWiki
(SMV) an. [18], [14]
Auf die umfangreichen Planungs-, technischen und redaktionel-
len Arbeiten, die notwendig waren, um das Wiki schließlich im
4. Fazit
Lauf des Jahres 2010 in Betrieb zu nehmen, soll hier nicht näher
eingegangen werden. Vor allem zur Programmierung und Gestal- Wikis sind zunächst Werkzeuge für das Wissensmanagement,
tung der interaktiven grafischen Navigation und der Einbindung gleichzeitig aber auch Plattformen, die den fachlichen Austausch
unterschiedlichster Dateiformate musste die Software angepasst von Mitarbeitern unterstützen, die sich persönlich gar nicht ken-
werden, was sich durch den freien Quellcode und im Netz verfüg- nen müssen. Hemmnisse bestehen in der Bereitschaft, das eigene
bare Plug-Inns bewerkstelligen ließ. Ein eigenes Forum bietet je- Wissen in Form von regelmäßigen Beiträgen intern zu artikulieren.
dem Nutzer die Möglichkeit, Weiterentwicklungen oder Verände- Damit das Wiki schnell zu einer produktiven Größe gelangt, soll-
rungen am Wiki in Bezug auf Inhalt, Ausrichtung, Gestaltung und ten die Mitarbeiter angehalten werden, bereits bestehende eige-
Technik vorzuschlagen. ne Dokumente in ihrem Originalformat in das Wiki zu stellen. Für
Abbildung 3: Wiki-Seite mit Zusammenfassung der dazugehörenden Präsentation
Information Management und Consulting 25 (2010) 4 19
7. die Wiki-Seiten selbst genügen kurze Zusammenfassungen. Eine München 2008, S. 171/172.
gute Navigationsstruktur unterstützt sowohl bei der themati-
[14] Mintert, S., Spanneberg, B.: Semanic Web – Semantsiche
schen Suche als auch bei der Zuordnung eigener Beiträge. Wich-
Erweiterung für MediaWiki. In: iX-Magazin für professionelle
tig für den dauerhaften Erfolg ist, dass das Wiki die Kultur des
Informationstechnik 11, 2007, S. 102-105
Wissensaustausches fördert. Und letztlich muss die Beschäfti-
gung mit ihm die Arbeitsprozesse unterstützen, interessant sein [15] Powell, T.: The knowledge Matrix: A proposed Taxonomy for
und vielleicht auch Spaß machen. Enterprise Knowledge. In: Knowledge Management: Lessons
Learned. What works and what doesn’t. American Society of In-
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20 Information Management und Consulting 25 (2010) 4