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Viktor Pfluger:
Hat die Zinslehre der Kirche noch Gültigkeit?

Unter der Herrschaft des Kapitalismus
Hat die Kirche wirklich ihre alte Lehre über Zins und Wucher, wie sie in der Enzyklika
«Vix pervenit» offiziell verkündet ist, heute nicht aufgegeben? Gaben nicht seit dem
Anfang des letzten Jahrhunderts römische Kongregationen auf die Anfrage, wie man
Beichtkinder, die Zins nehmen, im Beichtstuhl behandeln müsse, immer die Antwort:
«Non sunt inquietandi», sie sind nicht zu beunruhigen? Verkünden nicht die meisten
neuen Moralisten, das Zinsnehmen sei heute nicht unerlaubt? Hat nicht Heinrich Pesch
einen neuen Titel der sozialen Dienstleistung aufgestellt, der immer erlaube, einen
mäßigen Zins zu nehmen? Erklärte nicht die Kirche selber in ihrem Gesetzesbuch
(Ausgabe 1917, Canon 1543), den gesetzlichen Zins sich auszubedingen, sei per se nicht
unerlaubt? Ist es da nicht unmöglich, daß die Kirche an ihrer früheren Lehre noch festhält?
Lehrt sie jetzt nicht das gerade Gegenteil von der Enzyklika «Vix pervenit»? Nein, ihre
Lehre ist unveränderlich, sie ist heute noch die gleiche wie 1745. Freilich wird sie jetzt
nicht befolgt und kann nicht befolgt werden. Eine ganz andere Zinslehre, die Zinslehre der
Welt, hat sie vollständig verdrängt und die Herrschaft an sich gerissen.      In dieser Lage,
die die Kirche nicht ändern kann, muß sie entscheiden, was ihre Gläubigen praktisch unter
der Herrschaft der Zinswirtschaft tun dürfen. Diese pastoralen Entscheidungen sind nicht
ihre Zinslehre. Ihre Zinslehre zeigt, wie es in einer richtigen Wirtschaftsordnung nach dem
Willen Gottes sein soll. Die pastoralen Entscheidungen der römischen Kongregationen, der
Moralisten und des Codex Juris Canonici besagen, was die Gläubigen unter den ganz
andern Verhältnissen, in die sie durch die Zinswirtschaft hineingestellt sind und denen sie
sich nicht entziehen können, noch tun dürfen. Ihre Zinslehre verkündet, was von jedem
Staat, wenn er eine vernünftige und christliche Wirtschaft haben will, ausgeführt und
durchgeführt werden muß. Die jetzigen praktischen Entscheidungen der Kirche zeigen, wie
die Gläubigen sich verhalten dürfen, nachdem der Staat die Zinslehre der Kirche mißachtet
und eine ganz unchristliche Zinslehre zur Herrschaft erhoben hat. Unter der Herrschaft
dieser Zinslehre kann die Lehre der Kirche nicht durchgeführt und nicht in allen Punkten
befolgt werden. Die Zinslehre der Kirche hält sich gleichsam in den Katakomben
verborgen, und die meisten Christen kennen sie nicht einmal mehr. Aber sie existiert und
wird einmal wieder den Gruften der Katakomben entsteigen und den ihr gebührenden
Thron in der menschlichen Wirtschaft einnehmen.

Wie ist es gekommen, daß die Zinslehre der Kirche in die
Katakomben gehen mußte?
Zuerst suchte man im Mittelalter das strenge Zinsverbot der Kirche und des Staates
praktisch durch allerhand Titel und Verträge zu umgehen. Aber keiner wagte es, seine
Richtigkeit und Gültigkeit zu bestreiten. Der «Reformator» Kalvin (1509-1564) war der
erste, der dies tat, indem er leugnete, daß die Stelle Lk 6,35 ein Zinsverbot enthalte und
dem alttestamentlichen Zinsverbot die Verbindlichkeit für die Christen absprach, weil dies
ein politisches Gesetz für die Juden gewesen sei. Während der Genfer «Reformator» mit
der Zinslehre der Kirche brach, hielten Luther und Zwingli entschieden daran fest und
predigten gegen das Zinsnehmen noch ganz katholisch. Trotzdem riß gerade in ihren
Reihen das Zinsnehmen bedenklich ein, besonders nachdem die Staaten das staatliche
Zinsverbot aufgehoben hatten. Alles Predigen und Androhen kirchlicher Strafen fruchtete
nicht mehr. Der österreichische berühmte Prediger Pater Scherrer (1539-1605) gestand
schon 1584: „Wir Prediger sind gegen das Zinsnehmen zu schwach, man laßt uns dawider
schreien und schreiben, solange wir wollen. Die Zuhörer kehren sich nicht daran.“ Die
Synoden von Brixen (1603), Osnabrück (1628) und Bordeaux (1583) betonen, daß das
Bewusstsein von der Sündhaftigkeit des Zinsnehmens zum größten Teil geschwunden sei.
Der materialistische, egoistische Mammongeist war, genährt durch den Humanismus die
neuen Erfindungen und Entdeckungen und den aufblühenden Welthandel, immer größer
geworden und erfüllte die Herzen. Aus diesem Geiste heraus suchten nun vom 16.
Jahrhundert an außer der Kirche stehende Gelehrte wie Molinäus, Salmasius und andere
die herrschende Zinspraxis zu rechtfertigen und stellten ganz neue Zinstheorien auf. Die
Kirche verurteilte sie. Umsonst. Sie fanden auch in katholischen Herzen Anklang. 1744
wagte es zum erstenmal ein Katholik, der als Gelehrte hochangesehene Scipio Maffei, in
seinem Buch «Über die Geldanlage» das Zinsverbot der Kirche prinzipiell zu bestreiten.
Dieser Irrlehre setzte Papst Benedikt XIV. 1745 in seiner Enzyklika „Vix pervenit“ die
wahre Lehre der Kirche entgegen, und sandte Maffei ein Exemplar der Enzyklika mit der
Aufforderung zu, sich der Lehre und dem Urteil der Kirche zu unterwerfen. Der gefeierte
Gelehrte erklärte in seinem Brief an den Papst seine völlige Übereinstimmung mit der
Lehre der Enzyklika. In Wirklichkeit war die Lehre der Enzyklika ganz entgegengesetzt.
1746 gab Maffei eine zweite Auflage seines Werkes heraus und ließ ihr als Anhang die
Enzyklika „Vix pervenit“ beidrucken, sowie seinen Brief an den Papst und auch - man höre
und staune - einen Auszug aus dem großen Folianten des niederländischen Jansenisten
Nikolaus Broedersen «Über die erlaubten und unerlaubten Zinsen» (erschienen 1743), der
die falschen Zinslehren des Molinäus und Salmasius wieder neu darstellte. In seiner
bekannten Milde setzte Benedikt XIV. das Buch seines früheren Schülers nicht auf den
Index der verbotenen Bücher. Es fehlte nicht an solchen, die eine Indizierung anstrebten.
Warum der Papst ihnen nicht nachgab? Wir wissen es nicht. Wahrscheinlich sah er ein,
daß ein weiterer Kampf unnütz und aussichtslos sei. Das Übel war schon zu weit
fortgeschritten und konnte von der Kirche nicht mehr geheilt werden. So begnügte sich der
Papst damit, die Lehre der Kirche über Zins und Wucher noch einmal offiziell verkündet
und festgenagelt zu haben.
Einige Jahrzehnte später, als die französische Revolution die letzten Schranken
wegräumte, hatte die neue Wirtschaft, die Zinswirtschaft, oder der Kapitalismus die volle
Herrschaft erlangt. Keiner konnte sich dieser Herrschaft mehr entziehen. Jeder war in
diesem neuen Wirtschaftssystem gezwungen, Zins zu zahlen, ob er wollte oder nicht. Der
Zins aller Kapitalien wurde auf die Preise geschlagen, in die Preise eingerechnet. So
enthalten alle Warenpreise durchschnittlich 50 Prozent Zins (siehe Grafik S. 33 v. Helmut
Creutz). In der Summe Geldes, die einer jährlich für seinen Unterhalt auslegen muß, zahlt
er den Zins. Wer z. B. Fr. 2000.- für seinen Unterhalt braucht, muß Fr. 1000.- Zins zahlen.
Alle müssen Zins zahlen, und von diesen müssen wenigstens 98 Prozent viel mehr Zins
zahlen, als sie selbst beziehen können. Sie kommen also bedeutend zu kurz. Ein Arbeiter,
der Fr. 2000.- für Wohnung, Kleidung und Nahrung ausgibt, muß durch diese Ausgabe Fr.
1000.- Zins zahlen und kann vielleicht von seinem Sparkassenbuch Fr. 50.- Zins beziehen.
So muß er 20 mal mehr Zins zahlen, als er beziehen kann. Was ist da eigentlich der Zins,
den er bezieht? Ist er nicht eine teilweise Zurücknahme für den weit größeren Zins, den er
bezahlen mußte? Wenn er Zins bezieht, bezieht er eigentlich keinen Zins, sondern nimmt
nur wieder etwas von dem zurück, was man ihm abgepreßt hat. Darf er sich nicht
möglichst schadlos halten für den Zins, den er hat zahlen müssen? Ist unter der Herrschaft
der Zinswirtschaft das Zinsnehmen nicht für die meisten Menschen erlaubt? Dürfen sie
nicht wenigstens so viel Zins beziehen, wie ihnen selber durch die Zinswirtschaft
abgenommen wird? Solange sie ja nicht mehr Zins beziehen, als sie infolge der
Zinswirtschaft notwendig zahlen müssen, nehmen sie im Grunde genommen gar keinen
Zins. Ihr Zinsnehmen ist nur äußerlich, dem Schein nach, Zins nehmen. In Wirklichkeit ist
es gar keine ungerechte Bereicherung, kein Zins. Eigentlichen Zins beziehen in der
Zinswirtschaft nur diejenigen, die mehr Zins beziehen, als sie zahlen müssen; zu diesen
gehören von hundert Personen nur zwei. Sollte nun die Kirche dieses «Zinsnehmen», das
in Wirklichkeit gar kein Zinsnehmen ist, verbieten? Sollte sie gerade ihre besten Mitglieder
daran hindern, den Schaden, den ihnen die Zinswirtschaft unfehlbar zufügt und den sie
durch das Zinszahlenmüssen, wirklich erleiden, wieder einigermaßen durch «Zins»
nehmen ausgleichen zu können? Nein. Durch die Herrschaft der Zinswirtschaft und den
gänzlichen Abfall von der Zinslehre der Kirche ist eine ganz neue Situation entstanden. Die
der Zinslehre der Kirche vollständig entgegengesetzte Zinslehre der habsüchtigen Welt
hatte die Herrschaft für sich erobert und schädigte alle Kinder der Kirche schwer, die sie
zum Zinszahlen nötigte. In dieser Lage, die die Kirche nicht ändern kann, sehen wir, wie
von der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts an die römischen Kongregationen auf Anfragen
von Bischöfen oder Beichtvätern, ob sie mit gutem Gewissen solche, die Zins nehmen in
der Beichte absolvieren dürften, immer wieder die Antwort erteilen: „Non sunt
inquietandi, dummodo parati sunt stare mandatis S. Sedis“ - «Die Gläubigen sind nicht zu
beunruhigen wegen des „Zins"nehmens, nur sollen sie bereit sein, den Erlassen des
Heiligen Stuhles sich zu unterwerfen.»
Hat die Kirche nun damit ihre alte Lehre aufgegeben oder geändert und das Zinsnehmen
erlaubt? Nein. Sie hält an ihr fest und wird sie in besseren Tagen, wenn man einmal das
schlimme Übel und die Irrlehre der Zinswirtschaft wieder richtig erkannt hat, von neuem
einschärfen und zur Geltung bringen. Jetzt muß sie die Zinswirtschaft dulden und für ihre
Gläubigen einfach entscheiden, was sie unter der eisernen Herrschaft der Zinswirtschaft
tun dürfen, ohne das Gewissen zu verletzen. Ihre diesbezüglichen Entscheidungen darf
man aber nicht als Kundgebungen ihres Lehramtes ansehen, sondern des Hirtenamtes.
Die Entscheidungen der Kongregationen und der Moralisten sowie der Kanon 1543 (4) des
kirchlichen Gesetzbuches von 1917 enthalten nicht die Lehre der Kirche; sie sind nur
praktische Anweisungen für die Zeit, da die Zinswirtschaft und die Irrlehre, auf der sie
beruht, alle in ihrem Bann und Zwang hält. Der Moralprofessor Franz Hürth S.J. schrieb,
„daß der Kanon (1543) unmittelbar nur eine praktische Norm gibt, nicht aber eine
Lehrentscheidung, noch eine aus der Natur der Sache hergeleitete theologisch-
wissenschaftliche Lösung des Zinsproblems» (Stimmen der Zeit, 1926, Band 111, Seite 151).
Auch der bekannte Moraltheologe Vermeersch spricht die gleiche Ansicht aus: „Was den
Lehrwert und die Bedeutung des Kanons betrifft, so ist er disziplinärer Natur, wie der
Kodex überhaupt. Dieser spielt zwar des öftern auf Dogmen an, aber es ist nicht seine
Aufgabe, sie kundzumachen. Er will nicht belehren, sondern praktische Vorschriften
geben“ (Linzer Quartalschrift 1928, Seite 764). Es wäre darum verfehlt, wenn jemand die
Lehre der Kirche im Kanon 1543 suchen würde. Die letzte offizielle Verkündigung der
Zinslehre enthält die Enzyklika «Vix pervenit». (5)


Die Wirtschaft muß wieder nach der Zinslehre der Kirche
eingerichtet werden
Die Menschen sind vielfach abgefallen von den Gesetzen Gottes; ganz besonders ist von
ihnen die Wirtschaft von der richtigen Zinslehre losgelöst und die Zinswirtschaft
eingeführt worden. Dadurch entstand die so brennende soziale Frage. Baron von
Vogelsang, der berühmte Sozialreformer, erkannte schon vor mehr als einem halben
Jahrhundert, daß die Zinsfrage das Kardinalproblem der sozialen Frage ist. (Zins und
Wucher - Ein Separatvotum in dem vom deutschen Katholikentage eingesetzten
sozialpolitischen Komitee, Wien 1884, Seite 27 und 49).


Die Zinswirtschaft führt notwendig zu sehr schlimmen Folgen. Sie hat das Proletariat
geschaffen. Sie nimmt allen Arbeitern durchschnittlich die Hälfte ihres Arbeitslohnes weg
und schiebt sie in die Taschen verhältnismäßig weniger Reichen, die diesen Gewinn ohne
Arbeit erhalten. Die Nichtarbeiter bekommen in der Zinswirtschaft die Hälfte des
Arbeitslohnes aller Arbeiter, und zwar ohne eigentliche Arbeit leisten zu müssen. Muß da
die Arbeit nicht in Mißkredit und Verachtung kommen? Müssen die Arbeiter nicht zu
Proletariern werden, die ähnlich wie die Sklaven nur das Notwendigste für ihren
Lebensunterhalt erhalten? Wird dadurch die Menschheit nicht in Herren und Sklaven, in
Ausbeuter und Ausgebeutete geschieden? Ist der Klassenhaß und Klassenkampf nicht eine
natürliche Folge?


Wie ganz anders würde es sein, wenn die Zinslehre der Kirche, wie sie von Gott geoffenbart
ist, wieder in der Wirschaft richtig durchgeführt würde! Dann raubte der Zins den
Arbeitern nichts mehr von ihrem Lohn; sie erhielten den vollen und gerechten Lahn, der es
jedem Arbeiter ermöglichte, auch eine sehr große Familie gut zu erhalten. Man brauchte
keinen extra Familienlohn und keine Ausgleichskassen. Es gäbe auch kein Proletariat
mehr. Die Ursachen des Klassenhasses und Klassenkampfes wären aufgehoben. Die
Drohnen, die unter der Zinswirtschaft auf Kosten des Arbeitsertrages anderer lebten,
wären verschwunden. Alle, die arbeiten könnten, müßten arbeiten, wenn sie etwas
verdienen wollten. Die Arbeit käme zu ihrem Recht und würde nicht mehr verachtet.
Aber könnte man dann noch sparen, wenn es keinen Zins mehr gäbe? Das Sparen mit Zins
ist freilich bezaubernd und verlockend. Wer Fr. 100.- in die Sparkasse einlegt, bekommt im
Jahr einen Zuwachs von Fr. 3.- oder Fr. 4.-, ohne daß er etwas zu tun braucht. In 20 oder
25 Jahren hat er doppelt so viel Geld, wie er eingelegt. Wie herrlich!


Wie viele lassen sich durch diese Vermehrung täuschen und merke nicht, daß sie für den
Zins, den sie bekommen, 10 und 100 mal mehr Zins zahlen müssen, indem ihnen die
Zinswirtschaft die Hälfte des Lohnes wegnimmt! Sie müssen in der Zinswirtschaft viel
mehr Zins zahlen, als sie erhalten können. Alle Arbeitenden müssen rund die Hälfte ihres
Jahreslohnes an den Zins abtreten. In Wirklichkeit bekommen sie also nicht nur keinen
Zins, sondern sie müssen noch dazu Zins zahlen. Wie wenig können sie unter diesen
Verhältnissen sparen? Wie ganz anders aber könnten sie sparen, wenn die Zinswirtschaft
sie nicht ausbeutete, wenn es keine Zinswirtschaft gäbe! Sie bekämen ja dann einen
doppelt so hohen Lohn, wie jetzt unter der Zinswirtschaft. Rechnet mal, wie viel ihr
jährlich mehr auf die Seite tun könnt, wenn euer Lohn noch einmal so groß ist! In der
zinslosen Wirtschaft kann man viel, viel mehr sparen als in der heutigen Zinswirtschaft.
Alle Werktätigen haben darum ein eminentes Interesse daran, daß die Zinswirtschaft
abgeschafft wird und die Lehre der Kirche wieder zur Herrschaft kommt.
Es ist die Aufgabe und die Pflicht des Staates, die zinslose Wirtschaft durchzuführen. Im
Mittelalter wollten die Regierungen diese Aufgabe erfüllen durch ein strenges Verbot mit
schwerer Strafandrohung. Die Erfahrung hat gezeigt, daß dieses Mittel nicht zum Ziel
führt. (...)
Möge bald die Zeit anbrechen, wo die Wirtschaft wieder nach den Gesetzen Gottes
eingerichtet und der Zins, die usura, verschwunden ist.
Fußnoten:
(4) Im neuen Gesetzbuch der Kirche (CIC von 1983) wurde dieser Kanon ersatzlos
gestrichen. Er lautete (CIC 1917):
«Bei Gewährung eines Darlehens (d.h. wenn jemandem eine vertretbare Sache überlassen
wird, daß sie sein Eigentum wird gegen die Verpflichtung, nachher eine gleichwertige
Sache zurückzuerstatten) darf kein Lohn beansprucht werden für die Gewährung des
Darlehens selbst.
Damit ist es aber an sich nicht verboten, die gesetzlichen Zinsen zu beanspruchen, sofern
der gesetzliche Zinsfuß nicht übermäßig groß ist. Anderseits kann sogar eine noch höhere
Vergütung verlangt werden, wenn ein gerechter und hinreichend schwerwiegender Grund
vorhanden ist.»
(5) Aber der Kanon 1543 versuchte doch noch der traditionellen Lehre der Kirche durch
die Trennung in Darlehens- und Zinsvertrag Rechnung zu tragen. (Fussnote eingefügt
vom Verleger)

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Hat die zinslehre der kirche noch gültigkeit viktor pfluger

  • 1. Viktor Pfluger: Hat die Zinslehre der Kirche noch Gültigkeit? Unter der Herrschaft des Kapitalismus Hat die Kirche wirklich ihre alte Lehre über Zins und Wucher, wie sie in der Enzyklika «Vix pervenit» offiziell verkündet ist, heute nicht aufgegeben? Gaben nicht seit dem Anfang des letzten Jahrhunderts römische Kongregationen auf die Anfrage, wie man Beichtkinder, die Zins nehmen, im Beichtstuhl behandeln müsse, immer die Antwort: «Non sunt inquietandi», sie sind nicht zu beunruhigen? Verkünden nicht die meisten neuen Moralisten, das Zinsnehmen sei heute nicht unerlaubt? Hat nicht Heinrich Pesch einen neuen Titel der sozialen Dienstleistung aufgestellt, der immer erlaube, einen mäßigen Zins zu nehmen? Erklärte nicht die Kirche selber in ihrem Gesetzesbuch (Ausgabe 1917, Canon 1543), den gesetzlichen Zins sich auszubedingen, sei per se nicht unerlaubt? Ist es da nicht unmöglich, daß die Kirche an ihrer früheren Lehre noch festhält? Lehrt sie jetzt nicht das gerade Gegenteil von der Enzyklika «Vix pervenit»? Nein, ihre Lehre ist unveränderlich, sie ist heute noch die gleiche wie 1745. Freilich wird sie jetzt nicht befolgt und kann nicht befolgt werden. Eine ganz andere Zinslehre, die Zinslehre der Welt, hat sie vollständig verdrängt und die Herrschaft an sich gerissen. In dieser Lage, die die Kirche nicht ändern kann, muß sie entscheiden, was ihre Gläubigen praktisch unter der Herrschaft der Zinswirtschaft tun dürfen. Diese pastoralen Entscheidungen sind nicht ihre Zinslehre. Ihre Zinslehre zeigt, wie es in einer richtigen Wirtschaftsordnung nach dem Willen Gottes sein soll. Die pastoralen Entscheidungen der römischen Kongregationen, der Moralisten und des Codex Juris Canonici besagen, was die Gläubigen unter den ganz andern Verhältnissen, in die sie durch die Zinswirtschaft hineingestellt sind und denen sie sich nicht entziehen können, noch tun dürfen. Ihre Zinslehre verkündet, was von jedem Staat, wenn er eine vernünftige und christliche Wirtschaft haben will, ausgeführt und durchgeführt werden muß. Die jetzigen praktischen Entscheidungen der Kirche zeigen, wie die Gläubigen sich verhalten dürfen, nachdem der Staat die Zinslehre der Kirche mißachtet und eine ganz unchristliche Zinslehre zur Herrschaft erhoben hat. Unter der Herrschaft dieser Zinslehre kann die Lehre der Kirche nicht durchgeführt und nicht in allen Punkten befolgt werden. Die Zinslehre der Kirche hält sich gleichsam in den Katakomben verborgen, und die meisten Christen kennen sie nicht einmal mehr. Aber sie existiert und wird einmal wieder den Gruften der Katakomben entsteigen und den ihr gebührenden Thron in der menschlichen Wirtschaft einnehmen. Wie ist es gekommen, daß die Zinslehre der Kirche in die Katakomben gehen mußte? Zuerst suchte man im Mittelalter das strenge Zinsverbot der Kirche und des Staates praktisch durch allerhand Titel und Verträge zu umgehen. Aber keiner wagte es, seine Richtigkeit und Gültigkeit zu bestreiten. Der «Reformator» Kalvin (1509-1564) war der erste, der dies tat, indem er leugnete, daß die Stelle Lk 6,35 ein Zinsverbot enthalte und dem alttestamentlichen Zinsverbot die Verbindlichkeit für die Christen absprach, weil dies ein politisches Gesetz für die Juden gewesen sei. Während der Genfer «Reformator» mit der Zinslehre der Kirche brach, hielten Luther und Zwingli entschieden daran fest und predigten gegen das Zinsnehmen noch ganz katholisch. Trotzdem riß gerade in ihren Reihen das Zinsnehmen bedenklich ein, besonders nachdem die Staaten das staatliche Zinsverbot aufgehoben hatten. Alles Predigen und Androhen kirchlicher Strafen fruchtete nicht mehr. Der österreichische berühmte Prediger Pater Scherrer (1539-1605) gestand schon 1584: „Wir Prediger sind gegen das Zinsnehmen zu schwach, man laßt uns dawider schreien und schreiben, solange wir wollen. Die Zuhörer kehren sich nicht daran.“ Die
  • 2. Synoden von Brixen (1603), Osnabrück (1628) und Bordeaux (1583) betonen, daß das Bewusstsein von der Sündhaftigkeit des Zinsnehmens zum größten Teil geschwunden sei. Der materialistische, egoistische Mammongeist war, genährt durch den Humanismus die neuen Erfindungen und Entdeckungen und den aufblühenden Welthandel, immer größer geworden und erfüllte die Herzen. Aus diesem Geiste heraus suchten nun vom 16. Jahrhundert an außer der Kirche stehende Gelehrte wie Molinäus, Salmasius und andere die herrschende Zinspraxis zu rechtfertigen und stellten ganz neue Zinstheorien auf. Die Kirche verurteilte sie. Umsonst. Sie fanden auch in katholischen Herzen Anklang. 1744 wagte es zum erstenmal ein Katholik, der als Gelehrte hochangesehene Scipio Maffei, in seinem Buch «Über die Geldanlage» das Zinsverbot der Kirche prinzipiell zu bestreiten. Dieser Irrlehre setzte Papst Benedikt XIV. 1745 in seiner Enzyklika „Vix pervenit“ die wahre Lehre der Kirche entgegen, und sandte Maffei ein Exemplar der Enzyklika mit der Aufforderung zu, sich der Lehre und dem Urteil der Kirche zu unterwerfen. Der gefeierte Gelehrte erklärte in seinem Brief an den Papst seine völlige Übereinstimmung mit der Lehre der Enzyklika. In Wirklichkeit war die Lehre der Enzyklika ganz entgegengesetzt. 1746 gab Maffei eine zweite Auflage seines Werkes heraus und ließ ihr als Anhang die Enzyklika „Vix pervenit“ beidrucken, sowie seinen Brief an den Papst und auch - man höre und staune - einen Auszug aus dem großen Folianten des niederländischen Jansenisten Nikolaus Broedersen «Über die erlaubten und unerlaubten Zinsen» (erschienen 1743), der die falschen Zinslehren des Molinäus und Salmasius wieder neu darstellte. In seiner bekannten Milde setzte Benedikt XIV. das Buch seines früheren Schülers nicht auf den Index der verbotenen Bücher. Es fehlte nicht an solchen, die eine Indizierung anstrebten. Warum der Papst ihnen nicht nachgab? Wir wissen es nicht. Wahrscheinlich sah er ein, daß ein weiterer Kampf unnütz und aussichtslos sei. Das Übel war schon zu weit fortgeschritten und konnte von der Kirche nicht mehr geheilt werden. So begnügte sich der Papst damit, die Lehre der Kirche über Zins und Wucher noch einmal offiziell verkündet und festgenagelt zu haben. Einige Jahrzehnte später, als die französische Revolution die letzten Schranken wegräumte, hatte die neue Wirtschaft, die Zinswirtschaft, oder der Kapitalismus die volle Herrschaft erlangt. Keiner konnte sich dieser Herrschaft mehr entziehen. Jeder war in diesem neuen Wirtschaftssystem gezwungen, Zins zu zahlen, ob er wollte oder nicht. Der Zins aller Kapitalien wurde auf die Preise geschlagen, in die Preise eingerechnet. So enthalten alle Warenpreise durchschnittlich 50 Prozent Zins (siehe Grafik S. 33 v. Helmut Creutz). In der Summe Geldes, die einer jährlich für seinen Unterhalt auslegen muß, zahlt er den Zins. Wer z. B. Fr. 2000.- für seinen Unterhalt braucht, muß Fr. 1000.- Zins zahlen. Alle müssen Zins zahlen, und von diesen müssen wenigstens 98 Prozent viel mehr Zins zahlen, als sie selbst beziehen können. Sie kommen also bedeutend zu kurz. Ein Arbeiter, der Fr. 2000.- für Wohnung, Kleidung und Nahrung ausgibt, muß durch diese Ausgabe Fr. 1000.- Zins zahlen und kann vielleicht von seinem Sparkassenbuch Fr. 50.- Zins beziehen. So muß er 20 mal mehr Zins zahlen, als er beziehen kann. Was ist da eigentlich der Zins, den er bezieht? Ist er nicht eine teilweise Zurücknahme für den weit größeren Zins, den er bezahlen mußte? Wenn er Zins bezieht, bezieht er eigentlich keinen Zins, sondern nimmt nur wieder etwas von dem zurück, was man ihm abgepreßt hat. Darf er sich nicht möglichst schadlos halten für den Zins, den er hat zahlen müssen? Ist unter der Herrschaft der Zinswirtschaft das Zinsnehmen nicht für die meisten Menschen erlaubt? Dürfen sie nicht wenigstens so viel Zins beziehen, wie ihnen selber durch die Zinswirtschaft abgenommen wird? Solange sie ja nicht mehr Zins beziehen, als sie infolge der Zinswirtschaft notwendig zahlen müssen, nehmen sie im Grunde genommen gar keinen Zins. Ihr Zinsnehmen ist nur äußerlich, dem Schein nach, Zins nehmen. In Wirklichkeit ist es gar keine ungerechte Bereicherung, kein Zins. Eigentlichen Zins beziehen in der Zinswirtschaft nur diejenigen, die mehr Zins beziehen, als sie zahlen müssen; zu diesen gehören von hundert Personen nur zwei. Sollte nun die Kirche dieses «Zinsnehmen», das
  • 3. in Wirklichkeit gar kein Zinsnehmen ist, verbieten? Sollte sie gerade ihre besten Mitglieder daran hindern, den Schaden, den ihnen die Zinswirtschaft unfehlbar zufügt und den sie durch das Zinszahlenmüssen, wirklich erleiden, wieder einigermaßen durch «Zins» nehmen ausgleichen zu können? Nein. Durch die Herrschaft der Zinswirtschaft und den gänzlichen Abfall von der Zinslehre der Kirche ist eine ganz neue Situation entstanden. Die der Zinslehre der Kirche vollständig entgegengesetzte Zinslehre der habsüchtigen Welt hatte die Herrschaft für sich erobert und schädigte alle Kinder der Kirche schwer, die sie zum Zinszahlen nötigte. In dieser Lage, die die Kirche nicht ändern kann, sehen wir, wie von der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts an die römischen Kongregationen auf Anfragen von Bischöfen oder Beichtvätern, ob sie mit gutem Gewissen solche, die Zins nehmen in der Beichte absolvieren dürften, immer wieder die Antwort erteilen: „Non sunt inquietandi, dummodo parati sunt stare mandatis S. Sedis“ - «Die Gläubigen sind nicht zu beunruhigen wegen des „Zins"nehmens, nur sollen sie bereit sein, den Erlassen des Heiligen Stuhles sich zu unterwerfen.» Hat die Kirche nun damit ihre alte Lehre aufgegeben oder geändert und das Zinsnehmen erlaubt? Nein. Sie hält an ihr fest und wird sie in besseren Tagen, wenn man einmal das schlimme Übel und die Irrlehre der Zinswirtschaft wieder richtig erkannt hat, von neuem einschärfen und zur Geltung bringen. Jetzt muß sie die Zinswirtschaft dulden und für ihre Gläubigen einfach entscheiden, was sie unter der eisernen Herrschaft der Zinswirtschaft tun dürfen, ohne das Gewissen zu verletzen. Ihre diesbezüglichen Entscheidungen darf man aber nicht als Kundgebungen ihres Lehramtes ansehen, sondern des Hirtenamtes. Die Entscheidungen der Kongregationen und der Moralisten sowie der Kanon 1543 (4) des kirchlichen Gesetzbuches von 1917 enthalten nicht die Lehre der Kirche; sie sind nur praktische Anweisungen für die Zeit, da die Zinswirtschaft und die Irrlehre, auf der sie beruht, alle in ihrem Bann und Zwang hält. Der Moralprofessor Franz Hürth S.J. schrieb, „daß der Kanon (1543) unmittelbar nur eine praktische Norm gibt, nicht aber eine Lehrentscheidung, noch eine aus der Natur der Sache hergeleitete theologisch- wissenschaftliche Lösung des Zinsproblems» (Stimmen der Zeit, 1926, Band 111, Seite 151). Auch der bekannte Moraltheologe Vermeersch spricht die gleiche Ansicht aus: „Was den Lehrwert und die Bedeutung des Kanons betrifft, so ist er disziplinärer Natur, wie der Kodex überhaupt. Dieser spielt zwar des öftern auf Dogmen an, aber es ist nicht seine Aufgabe, sie kundzumachen. Er will nicht belehren, sondern praktische Vorschriften geben“ (Linzer Quartalschrift 1928, Seite 764). Es wäre darum verfehlt, wenn jemand die Lehre der Kirche im Kanon 1543 suchen würde. Die letzte offizielle Verkündigung der Zinslehre enthält die Enzyklika «Vix pervenit». (5) Die Wirtschaft muß wieder nach der Zinslehre der Kirche eingerichtet werden Die Menschen sind vielfach abgefallen von den Gesetzen Gottes; ganz besonders ist von ihnen die Wirtschaft von der richtigen Zinslehre losgelöst und die Zinswirtschaft eingeführt worden. Dadurch entstand die so brennende soziale Frage. Baron von Vogelsang, der berühmte Sozialreformer, erkannte schon vor mehr als einem halben Jahrhundert, daß die Zinsfrage das Kardinalproblem der sozialen Frage ist. (Zins und Wucher - Ein Separatvotum in dem vom deutschen Katholikentage eingesetzten sozialpolitischen Komitee, Wien 1884, Seite 27 und 49). Die Zinswirtschaft führt notwendig zu sehr schlimmen Folgen. Sie hat das Proletariat geschaffen. Sie nimmt allen Arbeitern durchschnittlich die Hälfte ihres Arbeitslohnes weg und schiebt sie in die Taschen verhältnismäßig weniger Reichen, die diesen Gewinn ohne Arbeit erhalten. Die Nichtarbeiter bekommen in der Zinswirtschaft die Hälfte des
  • 4. Arbeitslohnes aller Arbeiter, und zwar ohne eigentliche Arbeit leisten zu müssen. Muß da die Arbeit nicht in Mißkredit und Verachtung kommen? Müssen die Arbeiter nicht zu Proletariern werden, die ähnlich wie die Sklaven nur das Notwendigste für ihren Lebensunterhalt erhalten? Wird dadurch die Menschheit nicht in Herren und Sklaven, in Ausbeuter und Ausgebeutete geschieden? Ist der Klassenhaß und Klassenkampf nicht eine natürliche Folge? Wie ganz anders würde es sein, wenn die Zinslehre der Kirche, wie sie von Gott geoffenbart ist, wieder in der Wirschaft richtig durchgeführt würde! Dann raubte der Zins den Arbeitern nichts mehr von ihrem Lohn; sie erhielten den vollen und gerechten Lahn, der es jedem Arbeiter ermöglichte, auch eine sehr große Familie gut zu erhalten. Man brauchte keinen extra Familienlohn und keine Ausgleichskassen. Es gäbe auch kein Proletariat mehr. Die Ursachen des Klassenhasses und Klassenkampfes wären aufgehoben. Die Drohnen, die unter der Zinswirtschaft auf Kosten des Arbeitsertrages anderer lebten, wären verschwunden. Alle, die arbeiten könnten, müßten arbeiten, wenn sie etwas verdienen wollten. Die Arbeit käme zu ihrem Recht und würde nicht mehr verachtet. Aber könnte man dann noch sparen, wenn es keinen Zins mehr gäbe? Das Sparen mit Zins ist freilich bezaubernd und verlockend. Wer Fr. 100.- in die Sparkasse einlegt, bekommt im Jahr einen Zuwachs von Fr. 3.- oder Fr. 4.-, ohne daß er etwas zu tun braucht. In 20 oder 25 Jahren hat er doppelt so viel Geld, wie er eingelegt. Wie herrlich! Wie viele lassen sich durch diese Vermehrung täuschen und merke nicht, daß sie für den Zins, den sie bekommen, 10 und 100 mal mehr Zins zahlen müssen, indem ihnen die Zinswirtschaft die Hälfte des Lohnes wegnimmt! Sie müssen in der Zinswirtschaft viel mehr Zins zahlen, als sie erhalten können. Alle Arbeitenden müssen rund die Hälfte ihres Jahreslohnes an den Zins abtreten. In Wirklichkeit bekommen sie also nicht nur keinen Zins, sondern sie müssen noch dazu Zins zahlen. Wie wenig können sie unter diesen Verhältnissen sparen? Wie ganz anders aber könnten sie sparen, wenn die Zinswirtschaft sie nicht ausbeutete, wenn es keine Zinswirtschaft gäbe! Sie bekämen ja dann einen doppelt so hohen Lohn, wie jetzt unter der Zinswirtschaft. Rechnet mal, wie viel ihr jährlich mehr auf die Seite tun könnt, wenn euer Lohn noch einmal so groß ist! In der zinslosen Wirtschaft kann man viel, viel mehr sparen als in der heutigen Zinswirtschaft. Alle Werktätigen haben darum ein eminentes Interesse daran, daß die Zinswirtschaft abgeschafft wird und die Lehre der Kirche wieder zur Herrschaft kommt. Es ist die Aufgabe und die Pflicht des Staates, die zinslose Wirtschaft durchzuführen. Im Mittelalter wollten die Regierungen diese Aufgabe erfüllen durch ein strenges Verbot mit schwerer Strafandrohung. Die Erfahrung hat gezeigt, daß dieses Mittel nicht zum Ziel führt. (...) Möge bald die Zeit anbrechen, wo die Wirtschaft wieder nach den Gesetzen Gottes eingerichtet und der Zins, die usura, verschwunden ist. Fußnoten: (4) Im neuen Gesetzbuch der Kirche (CIC von 1983) wurde dieser Kanon ersatzlos gestrichen. Er lautete (CIC 1917): «Bei Gewährung eines Darlehens (d.h. wenn jemandem eine vertretbare Sache überlassen wird, daß sie sein Eigentum wird gegen die Verpflichtung, nachher eine gleichwertige Sache zurückzuerstatten) darf kein Lohn beansprucht werden für die Gewährung des Darlehens selbst. Damit ist es aber an sich nicht verboten, die gesetzlichen Zinsen zu beanspruchen, sofern
  • 5. der gesetzliche Zinsfuß nicht übermäßig groß ist. Anderseits kann sogar eine noch höhere Vergütung verlangt werden, wenn ein gerechter und hinreichend schwerwiegender Grund vorhanden ist.» (5) Aber der Kanon 1543 versuchte doch noch der traditionellen Lehre der Kirche durch die Trennung in Darlehens- und Zinsvertrag Rechnung zu tragen. (Fussnote eingefügt vom Verleger)