1. Dorfgemeinden
auf dem Gebiet Deutschlands
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Beitrag von Annette S. zum Geschichtswochenende 2017 der
Zukunftswerkstatt Jena
(https://wiki.zw-
jena.de/index.php?title=Wochenendseminar_zu_Themen_der_menschlichen_Geschichte_2017)
2. Dorfgemeinden in Dt.
Fragestellung:
• „Feudalismus: Feudalherren und
Fronbauern...“ ???
• Worauf bezieht sich die
Commonstheorie, wenn sie von
„Einhegung der Allmende“ am Beginn
des Kapitalismus spricht?
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5. Dorfgemeinden in Dt.
Problem
• „Die schriftliche Überlieferung läßt
naturgemäß herrschaftliche vor
genossenschaftlichen Impulsen in
einer der Wirklichkeit kaum adäquaten
Weise in den Vordergrund treten.“
(Blickle, zit. in Schibel 1985: 38)
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6. Dorfgemeinden in Dt.
„Kommune“:
• „Vergesellschaftungsform in
überschaubaren Gemeinschaften,
deren Angehörige als Gleichwertige
gemeinsam wichtige Bereiche ihres
Lebens- und Arbeitszusammenhangs
organisieren“ (Schibel 9f.)
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8. Vorgeschichte
ab ca. 50 u.Z.:
• längere Ansässigkeit, Höfe und
Hofverbände entstanden (östlich des
Rheins und südlich von Nord- und Ostsee)
(Herrmann: 14)
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11. Vorgeschichte
500 u.Z. ff.: Merowinger...Karolinger:
• Nachbarschaftsgemeinden treten an
Stelle der Gentilgemeinden.
• Allod wird rechtlich gesichert bzw. in
Privateigentum umgewandelt.
• Größere Grundeigentumsstrukturen
entstehen. 11
12. Vorgeschichte
Merowinger
• König eignet sich ehem. römisches
Staatsland an und verschenkt das Land
an ihm ergebene Dienstleute.
• Adel und Kirche untergraben Allod-
Eigentum der freien Bauern.
• Hörigkeit und Leibeigenschaft entsteht.
(Herrmann: 29)
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13. Feudalismus
• Widerstand v.a. in Sachsen u. Thüringen
(wo Gentilgesellschaften noch stark)
• Aufstände (555...843) niedergeschlagen,
aber Adel hier „vorsichtiger“: weniger
Fron- und Hofdienst, mehr
Naturalsteuern („feudale
Hebegrundherrschaft“ lässt mehr
Spielraum)
(Herrmann: 55) 13
14. Feudalismus
600...900 u.Z.: Karl Martell (688/691-741)
Karl der Große (747/748-814):
• „Feudalismus“ entsteht:
Grundherrschaftliche Produktion statt
Raubzüge...
• System bäuerlicher Einzelwirtschaft und
Fronhof
(vgl. dazu Herrmann: 29)
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15. Feudalismus
• „Die Unterdrückung der Bauern, die
Beseitigung der freien Bauern, ging so
rasch voran, daß der Kaiser Furcht
bekam, er könne das bäuerliche
Heeresaufgebot überhaupt verlieren.“
(Herrmann: 44)
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17. Gemeinschaften im Feud.
600...900 u.Z.: Karl Martell (688/691-
741) Karl der Große (747/748-814):
• „Bedingung dafür“: kollektives
Zusammenwirken in Gemeinden
(Dreifelderwirtschaft!)
• Markgenossenschaften
(vgl. Engels: „Fränkische Zeit“ MEW 19: 474-494)
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18. Gemeinschaften im Feud.
„Das Wechselverhältnis zwischen
bäuerlicher Eigenwirtschaft und
feudaladliger Hofwirtschaft im Rahmen der
Grundherrschaft erwies sich als eine
bedeutende Triebkraft der ökonomischen
Entwicklung in der Aufstiegsperiode der
Feudalgesellschaft.“ (Herrmann 1988: 46)
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19. Gemeinschaften im Feud.
ab ca. 1000 u.Z.: „Feudalismus“:
• „Benefizium“ (für Kriegsdienste auf
Lebenszeit) wird umgewandelt in
„Feudum“ (auf Lebenszeit, erblich)
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20. Gemeinschaften im Feud.
„Der Ständecharakter des Feudalstaates
erkärt sich vor allem aus der Existenz
einflußreicher korporativer Gruppen, deren
Mitglieder die Gemeinsamkeit des Status
und die Gleichheit der Rechte vereinte. In
höchsten Maße symbolisch ist, daß in
England die Stände „commons“ hießen.“
(Gurjewitsch 1978: 226)
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21. Gemeinschaften im Feud.
...1100-1300 u.Z....:
• 1100: Dreifelderwirtschaft,
Roggenwendepflug, Spezialkulturen,
Bevölkerungswachstum
• Neue Dorf- und Gehöftformen,
Rodung, Ausweitung handwerklicher
und bäuerlichen Wirtschaften
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22. Gemeinschaften im Feud.
• Märkte, Handel, Münzstätten
• Burgenbau, Städte...
• Flucht in neue, gerodete Gebiete und
Städte möglich (als „Klassenkampf“)
• Reduzierung der Frondienste, mehr
Geldabgaben: Abgabengrundherrschaft
statt Fronhof 22
23. Gemeinschaften im Feud.
„Der Fronhof als eine mehr oder minder geschlossene
Hausherrschaft verlor an Bedeutung, das Dorf und die
grundherrschaftliche Agrarverfassung wurden
herrschende Form. Während auf dem Fronhof die
Unfreien nach den Weisungen des Feudalherren
gearbeitet hatten, wurde bei der grundherrschaftlichen
Agrarverfassung das herrschaftliche Eigenland an die
Bauern ausgegeben, die jetzt Abgaben in Naturalien oder
Geld leisten mußten. Ihre Arbeit auf dem Land und auf
die Hofstelle organisierten die Bauern selbst.“ (Schibel
31)
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24. Gemeinschaften im Feud.
• Bauern gewinnen mehr Selbständigkeit
• Auch Leibeigene bekommen
Eigentumsrechte (an beweglicher Habe)
• Geldbedarf der Feudalherren wächst,
Bauern versuchen mehr Produkte zu
verkaufen (Produktivitätssteigerung...)
24
25. Gemeinschaften im Feud.
„Übergang von der fremdbestimmten
Fronarbeit zur selbstbestimmten Arbeit
des abgabepflichtigen Bauern“ als
Epochenwende“ (Schibel 51)
25
26. Gemeinschaften im Feud.
• Aufsplitterung der Hufen... Dörfliche
Genossenschaft bekommt größeres
Eigengewicht
• Produktionsorganisation wird komplexer
– „Ausbau der dorfgenossenschaftlichen
Organisation“
26
27. Gemeinschaften im Feud.
„Die mittelalterliche Dorfgemeinde war die Folge von
Bevölkerungswachstum und steigender Siedlungsdichte,
mit denen sich die Reibungspunkte und
Konfliktmöglichkeiten mehrten und nach einer Regelung
verlangten, die Folge wachsender agrarischer
Produktivität durch die Dreifelderwirtschaft, die
gemeinsames Vorgehen im Feldbau erfordert, die Folge
der Gefahr von Feuer im Dorf und von Frevel auf der
Flur - kurz, ihr Ursprung war mit Notwendigkeiten
verknüpft, demographischen und technologischen
Entwicklungen gerecht zu werden.“ (Schibel 1985: 263)
27
28. Gemeinschaften im Feud.
• Ernteerträge verdoppeln sich zwischen
900 und 12./13. Jhd.
• Durch neue Instrumente und –
techniken, Pferde, Dreifelderw.,
häufigeres Pflügen und Eggen +
28
30. Gemeinschaften im Feud.
Hohe Zeit der Dorfgemeinschaften:
• in der von der feudalen Herrschaft
„freiem“ Raum (Schibel: 46)
• „Innerhalb eines von der Herrschaft
gesetzten oder ihr abgetrotzten
Raumes konnten die Bauern autonom
ihr Recht finden und sprechen.“ (48)
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31. Gemeinschaften im Feud.
Hohe Zeit der Dorfgemeinschaften:
• Während der Feudalismus durch
hierarchisch gestaffelte Abhängigkeiten
mit entsprechenden Ausbeutungsformen
gekennzeichnet war, bezogen sich in den
dörflichen und städtischen Kommunen
die Bauern und Bürger als Gleiche
aufeinander.“ (Schibel: 29)
31
32. Gemeinschaften im Feud.
Hohe Zeit der Dorfgemeinschaften:
„Der mittelalterliche Mensch konnte vor allem deshalb
nicht in ein Verfügungsobjekt ähnlich wie ein Sklave
verwandelt werden, weil er keine isolierte Einheit
darstellte, die man sich wie Vieh oder anderes Eigentum
leicht aneignen konnte. Der mittelalterliche Mensch ist
immer das Mitglied einer Gruppe, mit der er aufs engste
verbunden ist. Die mittelalterliche Gesellschaft ist
korporativ von oben bis unten.“ (Gurjewitsch 1978: 221)
32
33. Gemeinschaften im Feud.
Hohe Zeit der Dorfgemeinschaften:
• Insgesamt viele verschiedene Formen,
die sich eigentlich nicht
vereinheitlichen lassen (Schibel 52)
• Formen „ergaben sich aus den
gemeinsamen Aufgaben, die
zusammen genossenschaftlich gelöst
werden mußten“ (Schibel 32)
33
34. Gemeinschaften im Feud.
Hohe Zeit der Dorfgemeinschaften:
• Erscheinen bei Gemeindeversammlung
war Pflicht, wurde durch Zwang
abgesichert (Schibel 41)
... „jede leichtfertige oder inkompetente Handlung
oder Unterlassung schadete nicht nur dem jeweiligen
Bauern, sondern meist der ganzen Gemeinde“ (43) 34
35. Gemeinschaften im Feud.
Hohe Zeit der Dorfgemeinschaften:
• „... mit seiner ganzen produktiven und
einem wesentlichen
Teil seiner reproduktiven
Arbeit waren der Bauer
und seine Familie eng mit
den anderen Höfen
verflochten.“ (43)
Bildquelle: http://deutschland-im-mittelalter.de/Lebensraeume/Dorf
35
36. Gemeinschaften im Feud.
Eigentumsverhältnisse
• Individuelles Nutzungsrecht abhängig
von tatsächlicher Nutzung
• Bauer hat Verfügungsgewalt über
seine Arbeitsmittel und seine
Arbeitskraft
• ... und das Wissen über die lokalen
Bedingungen agrar. Prod.
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37. Gemeinschaften im Feud.
„Altes Recht“:
• Konsensorientiert, auch wenn Rechte
und Pflichten ungerecht verteilt
• Grundsatz der gegenseitigen Leistung
(auch in Beziehung zu Herrschern)
(Schibel: 36, vgl. Gurjewitsch 1978: 201)
37
38. Gemeinschaften im Feud.
14. Jhd.- Jahrhundert der Katastrophen:
• 1309-1317: große Hungersnot
• 1356/57 und 1365: Pest: 1/3 stirbt
• 14.-15. Jhd.: fallende Getreidepreise
38
39. Gemeinschaften im Feud.
Dorfgemeinschaften:
Voraussetzung: relative Unabhängigkeit
vom Feudalherrn/König
• Gestreute Grundherrschaft
• „unterhalb des Zugriffs der Institutionen
und im toten Winkel des Auges der
Obrigkeit“ (Schibel 266)
• Besonderheit des europ. Feud. (ebd.: 37)
39
41. Gemeinschaften im Feud.
Besonderheit Bayern:
• einer großen und mächtigen
Landesherrschaft gelang es,
den lokalen Adel ganz oder
weitgehend auszuschalten –
da hatten die Gemeinden
keinen Spielraum, sich zu
entfalten (Schibel 41)
41
42. Gemeinschaften im Feud.
Das Ende der Dorfgemeinschaften:
„Territorialisierung“:
• Herausbildung von Landesherrschaften
(Versammlungen der Adligen mit
Landesherrn)
• fortschreitende Entmachtung des
Kleinadels
42
44. Gemeinschaften im Feud.
Das Ende der Dorfgemeinschaften:
„Territorialisierung“:
• „Die Vereinheitlichung und Zentralisierung von
Herrschaft über die in der vorfindlichen,
dezentralen, kommunitären Struktur
tendenziell unbeherrschbaren Gemeinden
wurde für die Landesherren Bedingung, um in
einem System rivalisierender Territorialstaaten
sich behaupten zu können.“ (Schibel 53)
44
45. Gemeinschaften im Feud.
Das Ende der Dorfgemeinschaften:
„Territorialisierung“:
• ab ca. 1500 verstärkter materieller
Druck und Beraubung der alten Rechte
(Schibel 20; Herrmann 110)
• Abgabenlast steigt, Allmenden
enteignet 45
46. Gemeinschaften im Feud.
Das Ende der Dorfgemeinschaften:
• Aufgezwungene eidliche
Verpflichtungen, nicht wegzuziehen
(„Territorialleibeigenschaft“),
Beschlagnahme von Allmende, erhöhte
Abgaben für die Nutzung von Wäldern
und Weiden (Herrmann 1988: 110)
46
47. Gemeinschaften im Feud.
Bauernaufstände:
• Bauernaufstände 1518...1523
Schwarzwald, Oberschwaben...
(Engels 1850/1951: 116)
•
ab 1524 „nahmen diese Aufstände
einen systematischen Charakter an“
(Schibel 1985: 29, vgl. auch Herrmann 1988: 110)
47
49. Gemeinschaften im Feud.
Bauernaufstände:
• „Haufen“ kamen zusammen, um ihrer
jeweiligen Herrschaft „zwölf Artikel“
vorzutragen (vgl auch bei Engels 1850/1951:
125)
„Haufen“: Bauern einer Landschaft;
„Landschaft“: „genossenschaftlich
organisierte, korporative auftretende
Untertanenschaft einer Herrschaft“
(Schibel 19) 49
50. Gemeinschaften im Feud.
Bauernaufstände:
• Bis Ende 15. Jhd. organisierten sich
jeweils Bauern eines Dorfes; ab
16.Jhd. kamen dann auch Bauern
ganzer Täler und Landschaften
zusammen
50
51. Gemeinschaften im Feud.
Bauernaufstände - Forderungen:
51
Memmingen
1. Pfarrer selbst wählen,
2. Verwaltung des Getreidezehnten
durch die Gemeinde,
3. Abschaffung der
Leibeigenschaft,
4. Rückgabe der Gewässer,
5. Holzungsrechte für Bauern,
verwaltet von Gemeinde...
(Schibel 25ff.)
52. Gemeinschaften im Feud.
Bauernaufstände:
• Bauernkriege waren „in ihren
Anfängen Kämpfe um die
Wiedereinführung vermeintlicher oder
tatsächlicher
• „Ich diskutiere den Bauernkrieg nicht als einen
frühen Schritt hin auf die bürgerliche Gesellschaft,
sondern als Niederlage der mittelalterlichen
Dorfgemeinde.“ (Schibel 63)
52
53. Gemeinschaften im Feud.
Bauernaufstände:
• Teilweise Erfolge:
Memmingen im Winter 1524:
Abschaffung der Leibeigenschaft in 27
Dörfern,
Recht der Gemeinden, ihren Pfarrer
selbst zu wählen, Erlaubnis zu jagen,
zu fischen, Holz zu schlagen...
53
54. Gemeinschaften im Feud.
Bauernaufstände:
• 1525: Niederlage, schrittweise
Verstaatlichung der Gemeinden
(Schibel 95)
• „Der militärische Niedergang der Bauern
bezeichnete in Deutschland auch den Sieg der
protestantischen Ethik über ihre christliche
Brüderlichkeitsethik.“ (Schibel 264)
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55. Gemeinschaften im Feud.
Bauernaufstände:
• „In dem Maße, in dem die Bauern, die Handwerker
und die kleinen Händler im Aufstieg des
Kapitalismus von ihren Produktionsmitteln, ihren
Fähigkeiten und Ideen enteignet wurden, in dem
der Haushalt als Produktionseinheit und die
Nachbarschaft als überschaubarer
Lebenszusammenhang zerstört wurden, wurde der
Kommune als Vergesellschaftungsform die
materielle Basis entzogen.“(Schibel 12)
55
56. Gemeinschaften im Feud.
Hilft uns das?
„Wir leben wie die Menschen des
ausgehenden Mittelalters in einer Epoche der
Desintegration und des Verfalls. Aber es ist
schwierig zu erkennen, wie aus der Angst vor
der physischen Vernichtung, die möglich, aber
keinesfalls zwingen ist, das Bemühen um eine
neue Gesellschaft erwachsen könnte.“ (Schibel
270) 56
57. Literatur
Literatur
• Engels, Friedrich (MEW 19): Fränkische Zeit. Karl Marx, Friedrich Engels. Werke. Band
19. Berlin: Dietz Verlag 1987. S. 474-581.
• Herrmann, Joachim (Hrsg. 1988): Deutsche Geschichte in 10 Kapiteln. Berlin: Akademie-
Verlag.
• Gurjewitsch, Aaron J. (1978): Das Weltbild des mittelalterlichen Menschen. Dresden: VEB
Verlag der Kunst.
• Krader, Lawrence (1976): Einleitung. In: Karl Marx. Die ethnologischen Exzerpthefte.
Suhrkamp. S. 9-123.
• Marx, Karl (MEW 19): [Entwurf einer Antwort auf den Brief von V.I. Sassulitsch.] [Erster
Entwurf]. In: Karl Marx, Friedrich Engels. Werke. Band 19. Berlin: Dietz Verlag 1987. S.
384-396.
• Schibel, Karl-Ludwig (1985): Das alte Recht auf die neue Gesellschaft. Zur
Sozialgeschichte der Kommune seit dem Mittelalter. Frankfurt am Main: Sendler.
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